Caesar, de bello Gallico, 1.13-21 13 (1) Nach dieser Schlacht ließ Caesar eine Brücke über den Arar schlagen, um den übrigen Truppen der Helvetier nachsetzen zu können, und überquerte mit seinem Heer den Fluß. (2) Sein plötzliches Erscheinen versetzte die Helvetier in Schrecken, weil sie sahen, daß ihm in einem Tag der Übergang über den Fluß gelungen war, während sie selbst zwanzig Tage mühevoller Arbeit dazu gebraucht hatten. Sie schickten daher Unterhändler zu ihm. Der Sprecher dieser Gesandtschaft war Divico, der im Krieg gegen Cassius das helvetische Heer kommandiert hatte. (3) In seiner Unterredung mit Caesar erklärte er, wenn das römische Volk mit den Helvetiern Frieden schließe, werde sich der Stamm Caesar unterwerfen und das Gebiet, das er bestimme, zum Ziel und Aufenthaltsort nehmen. (4) Wenn er aber dabei bleibe, weiter mit ihnen Krieg zu führen, solle er sich an die damalige Niederlage des römischen Volkes und an die bewährte Tapferkeit der Helvetier erinnern. (5) Die Tatsache, daß er überraschend einen Teil des Stammes angegriffen habe, als ihm die übrigen nicht zu Hilfe kommen konnten, weil sie den Fluß schon überquert hatten, solle Caesar keinen Anlaß geben, den Erfolg in unangemessener Weise seiner Tüchtigkeit zuzurechnen, geschweige denn, die Helvetier zu gering einzuschätzen. (6) Sie seien von ihren Vätern und Ahnen dazu erzogen worden, im Kampf mehr Tapferkeit als List anzuwenden oder sich gar auf Hinterhalte zu verlassen. (7) Er möge also vermeiden, daß der Ort, an dem jetzt die Heere stünden, seinen Namen einer neuen Niederlage des römischen Volkes und dem Tod des gesamten Heeres verdanke und so in die Geschichte eingehe. 14 (1) Caesar antwortete ihm folgendes: Er sehe keinen Grund, in seiner Entscheidung schwankend zu werden, weil er das, was die Helvetier erwähnt hätten, sehr wohl im Gedächtnis habe und es um so schwerer nehme, als es ohne Verschulden des römischen Volkes geschehen sei. (2) Wenn die Römer das Gefühl gehabt hätten, rechtswidrig gehandelt zu haben, wäre es nicht schwer gewesen, sich in acht zu nehmen. Da sie jedoch überzeugt gewesen seien, nichts begangen zu haben, was ihnen Anlaß zu Furcht hätte geben müssen, andererseits die Auffassung vertreten hätten, sich nicht grundlos fürchten zu dürfen, habe man sie täuschen können. (3) Doch auch wenn er die vergangene Schmach vergessen wolle, könne er etwa von den kürzlich begangenen Rechtsbrüchen der Helvetier absehen, daß sie nämlich gegen römischen Willen versucht hätten, sich gewaltsam den Durchmarsch durch die römische Provinz zu erzwingen, daß sie die Haeduer, Ambarrer und Allobroger überfallen hätten? (4) Hierher gehöre auch die Tatsache, daß sie sich ihres damaligen Sieges so unverschamt rühmten und Bewunderung dafür verlangten, daß Caesar ihre Untaten so lange schweigend hingenommen habe. (5) Es sei doch gewöhnlich so, daß die unsterblichen Götter den Menschen, die sie für ihre Verbrechen strafen wollten, eine Zeitlang günstige Umstände und längere Straffreiheit gewährten, um sie nach einer Wende ihres Glücks um so mehr leiden zu lassen. (6) Trotz allem sei er unter folgenden Bedingungen bereit, mit ihnen Frieden zu schließen: Wenn sie ihm Geiseln stellten, damit er sehe, daß sie gewillt seien, ihre Zusagen einzuhalten, und wenn sie für die Schäden, die sie den Haeduern selbst und ihren Bundesgenossen zugefügt hätten, ebenso auch den Allobrogern, Wiedergutmachung leisteten. (7) Darauf erwiderte Divico: Es sei bei den Helvetiern von alters her Tradition, Geiseln anzunehmen, nicht aber zu stellen. Zeuge dafür sei das römische Volk. Mit dieser Antwort ging er fort. 15 (1) Am folgenden Tag zogen die Helvetier weiter. Das gleiche tat Caesar und schickte die gesamte Reiterei, etwa 4000 Mann, voraus. Diese hatte er von der ganzen Provinz, von den Haeduern und ihren Bundesgenossen stellen lassen. Sie sollte erkunden, in welche Richtung der Feind marschiere. (2) Da sie jedoch der feindlichen Nachhut zu stürmisch folgte, sah sie sich in ungünstigem Gelände in ein Gefecht mit der Reiterei der Helvetier verwickelt, wobei einige wenige Reiter fielen. (3) Da der Ausgang dieses Gefechts, in dem 500 helvetische Reiter eine so bedeutende Anzahl in die Flucht geschlagen hatte, das Selbstvertrauen der Übersetzung: Marieluise Deissmann (Reclam) Helvetier stärkte, begannen sie, bisweilen kühn ihren Marsch zu unterbrechen und mit ihrer Nachhut unsere Soldaten zu einem Gefecht herauszufordern. (4) Caesar ließ sich jedoch nicht mit seinen Soldaten in einen Kampf ein und begnügte sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt damit, feindliche Raubzüge und Verwüstungen zu verhindern. (5) So zogen sie etwa 15 Tage dahin, wobei die Entfernung zwischen der Nachhut der Feinde und der Spitze unseres Heeres nicht mehr als 5 oder 6 Meilen betrug. 16 (1) In der Zwischenzeit wiederholte Caesar täglich seine Forderung nach Getreide, dessen Lieferung die Haeduer ihm von Staats wegen zugesagt hatten. (2) Denn da Gallien, wie schon gesagt, recht weit nördlich liegt, war wegen des kalten Klimas das Getreide auf den Feldern noch nicht reif, und ebensowenig stand ein ausreichender Vorrat an Pferdefutter zur Verfügung. (3) Hinzu kam, daß Caesar von dem Getreide, das auf dem Arar herantransportiert wurde, keinen Gebrauch machen konnte, weil die Helvetier von dem Arar abgebogen waren, Caesar jedoch weiter mit ihnen in Berührung bleiben wollte. (4) Während die Haeduer die Lieferung von Tag zu Tag hinzogen, lautete ihre Auskunft, das Getreide werde schon gesammelt, es werde schon angeliefert, ja es sei schon da. (5) Als Caesar sah, daß er immer weiter vertröstet wurde und daß der Zeitpunkt bald bevorstand, wo man den Soldaten ihre Getreideration zuteilen müsse, rief er die führenden Persönlichkeiten der Haeduer zusammen, die sich in großer Anzahl im Lager befanden, unter ihnen auch Diviciacus und Liscus, der bei ihnen an der Spitze der Regierung stand. Dieses Amt heißt bei den Haeduern Vergobretus, sein Inhaber wird jährlich gewählt und hat in seinem Volk Gewalt über Leben und Tod. (6) Caesar erhob schwere Vorwürfe gegen die Leitung der Haeduer, daß er von ihnen unter diesen dringenden Umständen, wo der Feind in der Nähe stehe, keine Unterstützung durch die Lieferung von Getreide erfahre, das er weder kaufen noch von den Feldern nehmen könne, obwohl er vorwiegend auf ihre Bitten hin den Kriegszug unternommen habe. Sehr viel schwerer noch wog sein Vorwurf, daß sie ihn im Stich gelassen hätten. 17 (1) Die Rede Caesars gab Liscus den Anlaß, nun endlich offen vorzubringen, was er bis dahin verschwiegen hatte: Es gebe einige Männer bei den Haeduern, die den größten Einfluß beim Volk hätten und die sogar als Privatleute mächtiger seien als die Beamten selbst. (2) Durch umstürzlerische und schädliche Reden schreckten sie die Masse des Volkes davon ab, das fällige Getreide zu liefern, (3) und zwar mit der Begründung,es sei besser, sich der Herrschaft von Galliern zu unterwerfen als der von Römern, wenn sie schon selbst nicht mehr Herren Galliens bleiben könnten. (4) Es dürfe auch kein Zweifel darüber bestehen, daß die Römer im Falle eines Sieges über die Helvetier zusammen mit den übrigen Galliern auch den Haeduern die Freiheit nehmen würden. (5) Dieselben Leute sorgten dafür, daß unsere Pläne und alles, was im Lager vorgehe, dem Feind verraten werde. Er selbst sei nicht in der Lage, sie in Schach zu halten. (6) Es sei ihm sogar völlig klar, welche Gefahr es für ihn mit sich bringe, daß er Caesar in dieser Zwangslage davon Mitteilung gemacht habe; daher habe er geschwiegen, solange er konnte. 18 (1) Caesar merkte, daß Liscus mit diesen Worten auf Dumnorix, den Bruder des Diviciacus, anspielte. Da er jedoch in Anwesenheit mehrerer anderer diese Angelegenheit nicht ausführlich erörtern wollte, beendete er schnell die Versammlung, hielt Liscus jedoch zurück. (2) Unter vier Augen fragte er ihn nach dem, was er in der Konferenz erwähnt hatte. jetzt sprach Liscus freier und ungehemmter. Caesar zog nun insgeheim von den anderen dieselben Erkundigungen ein und erfuhr, daß alles zutraf: (3) Es handele sich in der Tat um Dumnorix, der einen Umsturz anstrebe. Tollkühn und verwegen, sei er auf Grund seiner Freigebigkeit beim Volk überaus beliebt. Mehrere Jahre lang habe er die Zölle und die übrigen Abgaben bei den Haeduern für eine geringe Summe gepachtet, weil niemand wage, dagegen zu bieten, wenn er biete. (4) Auf diese Weise habe er sein Vermögen vermehrt und sich umfangreiche Möglichkeiten der Bestechung geschaffen. (5) Er unterhalte auf seine Kosten eine große Zahl von Reitern, die sich immer in seiner Nähe befänden, (6) und nicht allein in der Heimat, sondern auch bei den benachbarten Stämmen sei sein Einfluß bedeutend. Übersetzung: Marieluise Deissmann (Reclam) Um seine Macht zu sichern, habe er seine Mutter dem vornehmsten und mächtigsten Mann der Bituriger zur Ehe gegeben, (7) während er selbst eine Frau aus dem Stamm der Helvetier besitze und seine Schwester mütterlicherseits sowie die Frauen aus seiner Familie in andere Stämme verheiratet habe. (8) Auf Grund seiner Verwandtschaft sei er den Helvetiern freundschaftlich verbunden, während er Caesar und die Römer aus ganz persönlichen Gründen, hasse, weil durch ihr Erscheinen seine Machtstellung erschüttert worden sei, wohingegen sein Bruder Diviciacus seine frühere Beliebtheit und sein ehrenvolles Ansehen wiedererlangt habe. (9) Für den Fall, daß die Römer in Schwierigkeiten gerieten, richte sich die ganze Hoffnung des Dumnorix darauf, mit Hilfe der Helvetier die Alleinherrschaft zu erringen. Unter römischer Oberhoheit müsse er nicht nur den Gedanken an Alleinherrschaft auf geben, sondern befürchte auch den Verlust des Einflusses, den er schon besitze. (10) Bei seinen Nachforschungen erfuhr Caesar auch hinsichtlich des vor wenigen Tagen so unglücklich verlaufenen Reitergefechts, daß Dumnorix und seine Reiterei, Caesar hatte ihn an die Spitze der Reiterei gestellt, die die Haeduer zu seiner Unterstützung gesandt hatten den Anstoß zur Flucht gegeben hätten und daß ihre Flucht die übrigen Reiter in Panik versetzt habe. 19 (1) Nachdem Caesar dies festgestellt hatte, sah er seinen Verdacht durch Tatsachen erhärtet: Dumnorix hatte den Helvetiern zu dem Zug durch das Gebiet der Sequaner verholfen, hatte veranlaßt, daß sie untereinander Geiseln stellten, und das alles nicht nur ohne Genehmigung Caesars und seiner Stammesgenossen, sondern auch ohne deren Wissen. Da die Regierungsspitze der Haeduer Rechenschaft forderte, hielt Caesar dies für einen ausreichenden Grund, entweder selbst gegen Dumnorix vorzugehen oder dessen eigenen Stamm dazu zu veranlassen, ihn zur Verantwortung zu ziehen. (2) Diesem Beschluß stand allein entgegen, daß er wußte, wie sehr sich Diviciacus, der Bruder des Dumnorix, mit allen Kräften für die Belange der Römer einsetzte, Caesar höchstes Entgegenkommen bewies und sich durch außerordentliche Zuverlässigkeit, Gerechtigkeit und maßvolles Verhalten auszeichnete. Caesar mußte fürchten, daß er mit der Bestrafung des Dumnorix Diviciacus tief treffen würde. (3) Daher ließ er, bevor er entsprechende Maßnahmen ergriff, Diviciacus zu sich kommen und hatte mit ihm eine Unterredung, bei der an Stelle der gewöhnlichen Übersetzer, die er entfernt hatte, C. Valerius Trucillus als Dolmetscher diente. Dieser, ein führender Mann aus der Provinz Gallien, war ihm eng verbunden und genoß in allen Dingen sein Vertrauen. (4) Caesar teilte Diviciacus unter anderem mit, was in seiner Gegenwart in der Versammlung der Gallier über Dumnorix laut geworden war, und legte ihm zugleich dar, was jeder im Einzelgespräch über Dumnorix geäußert hatte. (5) Er bat Diviciacus dringend, sich dadurch nicht verletzt zu fühlen und jetzt, da alles bekannt sei, nach genauer Untersuchung zu gestatten, daß er, Cae sar , die Entscheidung über Dumnorix treffe oder die Haeduer dazu auffordere. 20 (1) Unter vielen Tränen umarmte ihn Diviciacus und beschwor ihn, kein zu hartes Urteil über seinen Bruder zu fällen: (2) Er wisse, daß alles der Wahrheit entspreche, und niemand leide mehr darunter als er, denn jener sei durch ihn groß geworden, als er selbst den meisten Einfluß bei seinem Stamm und den übrigen Galliern gehabt habe, während sein Bruder auf Grund seiner Jugend noch sehr wenig galt. Jetzt nutze er seine Mittel und Kräfte nicht nur dazu, seinen Einfluß zu untergraben, sondern ihn, so könne man fast sagen, ins Verderben zu stürzen. (3) Trotzdem leite ihn weiter die Liebe zu seinem Bruder, daneben die Rücksicht auf die Volksmeinung. (4) Denn wenn Caesar zu hart gegen seinen Bruder vorgehe, werde jeder annehmen, es sei mit seinem Einverständnis geschehen, weil ihn ein freundschaftliches Verhältnis mit Caesar verbinde. Die Folge wäre, daß sich ganz Gallien von ihm abwendete. (5) Als er unter Tränen immer weiter flehentlich in Caesar drang, ergriff dieser seine rechte Hand und forderte ihn auf, nicht weiter zu bitten, sondern sich zu beruhigen. Er schätze Diviciacus, erklärte er, so sehr, daß er das Vergehen gegen das römische Volk und seine Übersetzung: Marieluise Deissmann (Reclam) eigene Betroffenheit mit Rücksicht auf den Wunsch und die Bitte des Diviciacus hintan stellen werde. (6) Er ließ Dumnorix kommen und zog seinen Bruder zu dem Gespräch hinzu: Dabei wies er auf die Vorwürfe hin, die gegen ihn erhoben wurden, und setzte ihm seine eigene Auffassung und die Klagen, die aus seinem Stamm gekommen waren, auseinander. Zum Schluß mahnte er ihn, in Zukunft alles Verdächtige zu unterlassen, und sagte, über das Vergangene werde er um seines Bruders Diviciacus willen hinwegsehen. Er ließ Dumnorix beobachten, um über seine Handlungen und Gespräche unterrichtet zu sein. 21 (1) Am selben Tag erhielt er von Kundschaftern die Nachricht, daß der Feind am Fuß eines Berges haltgemacht habe, 8 Meilen von seinem eigenen Lager entfernt. Daraufhin schickte Caesar Leute ab, die erkunden sollten, wie der Berg beschaffen sei und welche Aufstiegsmöglichkeiten ringsum bestünden. (2) Sie meldeten, das Gelände sei günstig. Caesar befahl nun T. Labienus, einem Legionskommandanten im Rang eines Praetors, um die dritte Nachtwache mit zwei Legionen und unter Begleitung von wegkundigen Führern den Bergrücken zu ersteigen, und machte ihn zugleich mit seinem Plan vertraut. (3) Er selbst eilte um die 4. Nachtwache auf demselben Weg wie die Feinde ihnen nach. An die Spitze stellte er die gesamte Reiterei. (4) Gleichzeitig sandte er P. Considius, den er für einen äußerst erfahrenen Soldaten hielt und der schon unter Sulla und später unter M. Crassus gekämpft hatte, mit Kundschaftern voraus. Übersetzung: Marieluise Deissmann (Reclam)