Medienrohstoff Unabhängige Gesundheitsdatenbanken: Die Geburt einer revolutionären Idee Seit er für seine Patientenfall-Suchmachine vor einem Datenpuzzle landete, setzte sich der IBM-Forscher Amnon Shabo für unabhängige Gesundheitsdatenbanken ein. Obwohl er sein Vorhaben wegen rechtlichen Hürden bisher noch nicht in die Tat umsetzen konnte, hat er wichtige Pionierarbeit zur institutionenübergreifenden und patientenzentrierten Informationenspeicherung geleistet. Unvollständige Patientendokumentationen Es war 1997, Amnon Shabo hatte eben seine Postdoc-Studien beendet, als er mit dem Gedanken zu spielen begann, eine neuartige Plattform zu schaffen. Er dachte an einen elektronischen Speicherort, wo alle Patientendaten einer Krankengeschichte abgespeichert würden. In seinen bisherigen Studien hatte sich der heutige Mitarbeiter im IBM-Forschungslabor in Haifa auf eine fallbasierte Entscheidungslogik spezialisiert: Er wollte einen Service schaffen, welcher es Patienten ermöglichen würde, nach ähnlichen Krankheitsverläufen wie der eigenen zu suchen und dadurch erfolgreiche Therapien zu identifizieren. Um das Projekt umzusetzen brauchte der Gesundheitsinformatiker jedoch möglichst umfangreiche und vollständige Patientendokumentationen. «Ich realisierte aber, dass ein Krankheitsfall, wie er bei einem bestimmten Gesundheitsdienstleister dokumentiert ist, notgedrungen unvollständig bleibt, weil die Daten von anderen Institutionen fehlen», schrieb Amnon Shabo 2010 auf seinem Blogspot. Anstatt die Patientenfall-Suchmaschine weiter auszuarbeiten, begann er sich mit ethisch-rechtlichen Fragen der Gesundheitsdatenverteilung zu beschäftigen. «Es wurde mir klar, dass ich zuerst die bestehende Reglementierung ändern musste.» Über den Zugriff entscheidet der Patient Amnon Shabo entwickelte in der Folge die Vision einer «Independent Health Record Bank» (IHRB), also einer unabhängigen Gesundheitsdatenbank, die er erstmals an der TEHR 2001 in London vorstellte. Die Unabhängigkeit einer solchen Datenbank müsste sowohl von Gesundheitsdienstleistern , als auch von Versicherungen und Patienten gewährleistet sein, wenn sie Datenschutz garantieren und Missbrauch von Informationen verhindern wollte. Die grosse Neuerung einer IHRB gegenüber den konventionellen Datenspeichern besteht darin, dass sie klinische und genomische Informationen institutionenübergreifend integriert. Von den originalen medizinischen Akten wird jeweils eine einzige Kopie hergestellt, die dann für die Verein Daten und Gesundheit, www.datenundgesundheit.ch, [email protected] 2 Dauer eines Patientlebens in der IHRB gespeichert bleibt. Wer zum Zugriff auf Kontodokumente autorisiert wird, entscheidet der Kontoinhaber, also der Patient. Um diesen Datenkreislauf auf nationaler Ebene zu verändern, würde allerdings eine neue Gesetzgebung notwendig sein. IHRB-Gesetzesentwurf am US Kongress Soweit, dass das Recht IHRB-freundlich angepasst worden wäre, ist Israel, die direkte Wirkungsstätte von Amnon Shabo, noch nicht. Allerdings wurde 2006 am US-Kongress ein IHRBGesetzesentwurf vorgestellt, welcher dann aber nicht erlassen wurde.. Amnon Shabo schreibt dazu auf seinem Blogspot: «Auch wenn dieser Entwurf nicht deckungsgleich mit meiner Vision war, waren die amerikanischen Gesetzgeber dennoch von meinen Publikationen beeinflusst.» Für Patienten wären unabhängige Gesundheitsbanken insofern interessant, als sie die Umsetzung verschiedener Patientenrechte unterstützen würden: Das Recht auf Kopien medizinischer Aufzeichnungen, auf Kontinuität in der Behandlung, auf eine ärztliche Zweitmeinung und auf eine Einverständniserklärung. Gesundheitsdienstleister wiederum könnten Kosten in der LangzeitArchivierung senken und auf die kompletten Krankheitsgeschichten ihrer Patienten zurückgreifen. Letzteres wäre auch für die Betreiber klinischer Studie von entscheidendem Vorteil, wenn es darum geht, die personalisierte Medizin voranzutreiben. Versicherer könnten von den Datenbanken insofern profitieren, als sie weniger häufig für Doppeluntersuchungen aufzukommen hätten. Gebühren für Spezialdienste «Das Businessmodell der IHRBs wird dem von Finanzbanken ähnlich sein», schreibt Amnon Shabo 2010 im Artikel «Independent health record banks for older people». Die primäre Einkommensquelle von IHRBs würde also aus Kontogebühren, abhängig von der Anzahl Transaktionen und des Speichervolumens, bestehen. Weiter könnten Spezialdienste verrechnet werden, wie z.B. dass Patientendaten mit Telemedizinangeboten verlinkt oder als standardisierte Darstellungen aufbereitet würden. Amnon Shabo forscht schon seit Jahren an der Ausarbeitung solcher Zusatzdienste. 2002 publizierte er eine Applikation, welche Patientendaten auswertet und visualisiert. Ausserdem plant er, mit Hilfe von Algorithmen eine Art abschliessende Bewertung («summative layer») über die die Patientenrohdaten zu legen. Die daraus resultierenden Diagnosen und Behandlungspläne könnten dann denjenigen der Ärzte gegenübergestellt werden, schreibt Amnon im Artikel von 2010. Wegen Top-Down Ansatz noch nicht am Ziel? Amnon Shabo war und ist ein Pionier mit seinem Anliegen, autorisierten Personen den Zugriff auf komplette Patientendokumentationen zu erleichtern. Trotzdem konnte er seine Vision von unabhängigen Gesundheitsdatenbanken bislang nicht verwirklichen. 2001 schreibt er im Artikel «Who`s afraid of lifetime electronic medical records?», dass es die Leistungserbringer (Ärzte und Spitäler) bevorzugen würden, die Daten unter ihrer Kontrolle zu behalten. Zu gross sei deren Befürchtung, Gerichtsverfahren könnten sich mehren und strengere Richtlinien ihren Handlungsspielraum schmälern. Der Informatiker meint zudem, dass manche Gesundheitskonsumenten lieber nicht zu viel über ihren körperlichen Zustand wissen möchten. Abgesehen von Widerständen bei Direktbetroffenen könnte Amnon Shabo der Top-Down-Ansatz zum Verhängnis geworden sein. Anstatt auf Freiwilligkeit zu bauen, hat der IBM-Forscher eine verpflichtende Reformstrategie über den Gesetzesweg gewählt. Dadurch, dass die IHRBs durch Verein Daten und Gesundheit 3 die Regierung durchgesetzt werden müssen, sind vor deren Einführung mit Sicherheit viele rechtlich-politische Hürden und Widerstände zu bewältigen. Rebecca Knoth, August 2013 Medienanfragen: Mathis Brauchbar: 079 407 9362 [email protected] Verein Daten und Gesundheit