die entwicklung der musik in der türkei

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DIE ENTWICKLUNG DER MUSIK IN DER TÜRKEI
(Cevad Memduh Altar’ın, 23 Eylül 1959 tarihinde Hammer-Purgstall-Gesellschaft’ın
davetlisi olarak Viyana’da Almanca olarak verdiği “Türkiye’de müziğin gelişimi” başlıklı
konferansı.)
Man kann die Existenz nationaler Volkstämme die gesamte Menschheit bilden, nicht
nur als das Ergebnis historischer Notwendigkeiten betrachten, und genau so sind auch die
Fortschritte der zivilisierten Welt durchaus nicht auf Zufälle zurückzuführen. Angesichts der
Historie liegt die höchste Schwierigkeit eigentlich darin, zwischen den täuschenden
Gegensätzen deterministischer und auch fatalistischer Philosophien hindurch den gesunden
Weg an den Tag zu bringen. Ob die gegenwärtigen Ergebnisse gesamter türkischer Künste
heute als das Resultat einer natürlich-historischen Entwicklung oder als fatalistisches Ereignis
zu betrachten sind, sind auch verschiedenartig zu beantworten. Das Eine ist nur bestimmt,
dass vom Anbeginn der Proklamation des sozialen und politischen Reform – Tanzimats im
Jahre 1839 unter Sultan Abdülmecit ausgehend bis zur Gegenwart sich die gesamten
türkischen Künste, vor allen Dingen den Vorschriften einer natürlichen Entwicklung
entsprechend erhoben haben.
Ich weiß nicht ob der, wie in manchen Sprachen alt Westernisation bezeichnete
Ausdruck bei uns in der Türkei genau auf die Tanzimat-Reform hindeutet. Ob man damit ein
bestimmtes Gebiet europäischen Bodens in Betracht ziehen will, in dem sich seit Beginn der
Renaissance die europäische Zivilisation im höchsten Masse und einheitlich lokalisiert haben
soll? Sollte man es auch daher nicht für notwendig halten, die Reformbezeichnungen
verschiedener Nationen den geographischen Bezeichnungen ihrer eigenen Sprache
entsprechend zu benennen? So ist es nicht nur für uns Türken, sondern auch für manche
anderen Nationen, die sich von jeher zu den oben erwähnten Renaissancegebieten Europas
wandten, die neuzeitliche Zivilisation Europas in allen Hinsichten vom gleichen Werte.
Außerdem, angesichts der Transition zur neuzeitlichen Kultur der Türken, auf einem Boden
wie Anatolien, der Jahrhunderte hindurch die Brücke zwischen Osten und Westen bildet,
könnte sich die geopolitische Lage eines enderen Landes wohl noch für längere Zeit eine
ähnliche Transition fir nicht notwendig erweisen. Allein aus diesem Grunde haben sich die
Reformbewegungen unseres Landes vom Ende des 18. Jahrhunderts ausgehend bis zu den
heutigen Tagen natürlicherweise fortentwickelt und diese natürlichen Entwicklungen wurden
jedesmal durch verschiedenartigen Reformbewegungen von neuen angespornt.
Also, wenn wir die Ursachen von dieser natürlichen Wandlung im Lichte des geistigen
und künstlerischen Lebens der letzten hundertfünfzig Jahren analysieren wollen, da sehen wir
erst recht ein, dass all die Reformbewegungen der Türkei, wie es auch in vielen anderen
Ländern üblich war, von manchen interessanten Ereignissen abhängig waren. Es lässt sich für
selbstverständlich erklären, dass die schon sowieso als natürliche Entwicklung zu
betrachtenden geistigen und künstlerischen Beziehungen zwischen dem Osmanischen Reiche
und den europäischen Staaten schon vor der Tanzimat Reformerklärung des Sultans
Abdülmecit ihre Früchte brachten. Daher ist nichts Natürlicheres als die Reformerklärung der
Türken (Tanzimat) gegen die Mitte des l9. Jahrhunderts (1839), in einem Lande wie die
Türkei, die schon über ihre politische und auch soziale Entwicklung hinaus, wegen dem
Ausnahmezustand ihrer geographischen Lage zu den Mitgliedern europäischer
Völkerfamilien zählte. Diese Bewegung war nichts anderes als das natürliche Resultat der
schon vorher unternommenen politisch-, sozial- und kulturellen Reformen. Die folgenden
Ereignisse sind besonders unter den wichtigsten Reformplanungen zu erwähnen: Das
Bestreben Mehmet des Eroberers in den 1453 folgenden Jahren, den meisten europäischen
Ländern zu folgen, der italienischen Renaissance näher zu treten und mit einer unerhörten
Toleranz, der Religion völlige Freiheit zu gewähren; die von Soliman des Prächtigen durch
das 16. Jahrhundert mit Erfolg durchgeführte Reorganisation der Universitäten in Istanbul;
durch die Reformplanungen Selim III. das erstemal ins Leben gerufene moderne Heer
(Nizam-ı Cedit), die am Ende dem Sultan selbst das Leben kostete; in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts die Abschaffung der Janitscharenhorde (Vak’a-i Hayriyye) durch Sultan
Mahmut II. und das tapfere und tatkräftige Unternehmen des Sultans, die von Selim III.
begonnene Reformation zu vollenden; und endlich im Jahre 1839 die Bekanntmachung der
politisch-sozialen Tanzimat Reform durch den kaiserlichen Erlass von Gülhane (Gülhane
Hatt-ı Hümayunu) des jungen Sultans Abdülmecit. Alle diese besonderen Ereignisse, die
eigentlich als Erfordernisse ainer Modernisierung zu betrachten sind, andererseits auch die
Beweise dafür erbringen, wie die Türken damals, um die europäische Bildungsweise selbst in
ihrem eigenen Lande verpflanzen zu können, eine derartige Reformation ins Auge gefasst
haben.
Hinsichtlich der kulturellen Beziehungen zwischen der Türkei und den europäischen
Staaten, die bis zum heutigen Tage stattfanden, hat die zeitgenössische und neue türkische
Musik ihre Entwicklung, genauso wie die italienische Musik des 15. Jahrhunderts, im
Vergleich mit den phonetischen und plastischen Künsten, sich ziemlich spät vervollständigt.
Das der allgemeinen und gemeinsamen Technik des Westens entsprechende Erblühen der
nationalen Kunst in der Türkei hat nur mit dem Anbeginn des Tanzimats die freie Möglichkeit
gehabt, sich dauernd und systematisch zu entwickeln1.
Was den im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts zwischen der Türkei und der
westlichen Zivilisation zustande gekommenen geistigen und künstlerischen Austausch
betrifft: Ein solcher Austausch, der sich besonders im Gebiete der musikalischen Kunst
verschiedentlich bemerkbar macht, sollte eigentlich nicht einseitig untersucht werden. Schon
lange bevor die Reorganisation der türkischen Armee im Jahre 1828 von Sultan Mahmut II.
nach europäischer Sinne und vor dem Unternehmen dessen, wodurch er zum erstenmal in die
türkische Armee die europäischen Militärmusikkapellen, also die Fanfaren mit allen ihren
üblichen Blas – und Schlaginstrumenten einführte, hatten zwei geniale Männer der westlichen
Zivilisation, Mozart und Beethoven die Freude daran, vom türkischen Volkstum inspirierte,
türkische Märsche zu komponieren. Es ist ihnen auch soweit gelungen, diese Idee angesichts
der Authentizität der besprochenen Musik bis zu einem gewissen Grade zu realisieren. Zumal
von Mozart und Beethoven komponierte türkische Märsche, die den Europäern nur wegen den
von den Komponisten vorgezogenen Intervallen und Schlaginstrumenten interessant
erscheinen und dadurch auch einen gewissen exotischen Reiz verursachen, sind mit der
wahren türkischen Musik nicht im geringsten zu vergleichen und weder östlichen noch
westlichen Geschmack zu befriedigen. Zwar aber waren solche Unternehmungen immer noch
die lebendigsten Beweise über die Existenz solcher Ideen, die auf das Vorhandensein
gegenseitiger Annäherung und des Austausches hindeuteten.
Selbst Beethoven hatte vielleicht die Absicht, uns die Idee des Austausches zu
verwirklichen, und zwar hat man eines Tages die Früchte eines anderweitigen Unternehmens
Beethovens, in dem größten und reifsten Werk des Künstlers, eben in der 9. Symphonie
geerntet. In den Skizzen dieser Symphonie aus dem Jahre 1882 schreibt Beethoven für den
Schlusssatz des Werkes unter anderen folgendes: "…Ende der Symphonie mit türkischer
Musik und Singchor". Dadurch hatte der große Mann dem letzten Satz seiner 9. Symphonie,
durch die von ihm gedachte türkische Art und Weise sicherlich eine triumphierende
Atmosphäre verleihen wollen. Es ist ganz zweigellos, dass diese Idee von der
Janitscharenmusik, und zwar von den alttürkischen Mehtertruppen inspiriert war. Gerade
diese Truppen der Osmanen, die speziell von alttürkischen Blas – und Schlaginstrumenten
zusammengestellt waren, veranlassten damals, in den europäischen Armeen zum ersten mal
Militärmusikkapellen einzuführen. Der Hauptzweck lag hier darin, dass Beethoven, der seine
9. Symphonie ohne weiteres dem Leben und Ringen der Menschen widmete, die Absicht
hatte, am Ende des Werkes besonders dem Jubel Platz einzuräumen. Aber keine der
Unternehmungen, die oben besprochenen Fälle mehr oder minder berührten, waren in der
Lage, den kulturellen Austausch zwischen Osten und Westen von Grund auf zu beschleunigen
als die europäischen Militärmusikkapellen, also die Fanfaren, die mit allen ihren einzelnen
Instrumenten im Jahre 1828 von Sultan Mahmut II. zum ersten mal an Stelle der neu
abgeschafften Janitscharenmusik, also Mehtertruppe, eingeführt wurden. Weil solche
Annäherungen, die stets durch den gegenseitigen Austausch zustande kamen und eng
miteinander verbunden gewesen sind, haben im Laufe der Zeit veranlasst, auch die Türken
von der, eines Tages zu einem internationalen Niveau Angelangten gemeinsamen Technik
Europas zu profitieren.
Die allgemeine Verbreitung der durch die gemeinsame Technik und Praxis
standardisierten Musikinstrumente hat noch dazu veranlasst dass die auf solchen Instrumenten
zu spielenden musikalischen Schöpfungen, die lokalen Eigenschaften innehaben, durch den
internationalen Kunstverkehr im Laufe der Jahre zum Mittel eines sich dauernd verbreitenden
Austausches wurden. Zwar hat eine Entwicklung historischen und sowohl auch natürlichen
Ursprungs angesichts der gesamten Künste folgendes formuliert: "Das nationale Denken
und Fühlen durch die Hilfe der international – gemeinsamen Technik der Menschheit zu
verwerten." Es ist ganz selbstverständlich, dass die sich durch diese Art und Weise
entwickelten nationalen Kunstschätze natürlich nicht damit begnügten, um nur zu einen
bestimmten geographischen Teil der Welt zu gehören, sondern sich im Laufe der Jahre zu
solchen Schöpfungen entwickelten, die von allen Ecken der zivilisierten Welt in gleicher
Weise geliebt und geachtet werden und diese haben sich eines Tages über ihren nationalen
Eigenschaften hinaus zur Übernationalität erhoben. Und wie es auch überall bekannt ist, ist
die schon oben besprochene gemeinsame Technik der musikalischen Kunst in drei folgenden
Punkten zu resumieren:
1. Ein gemeinsames Alphabet, das heißt die gemeinsame Notation.
2. Die standardisierten Instrumente, die den gegenseitigen Austausch ermöglichen.
3. Die allgemeinen theoretischen Kenntnisse samt Harmonielehre, Kontrapunkt,
Kompositionslehre, Formenlehre etc. und die allgemeinen ästhetischen Prinzipien,
nämlich die gemeinsamen Techniken und dadurch auch Systhemen, Methoden,
Regeln und Vorschriften.
Andererseits hat die Türkei, die sich der europäischen Mehrstimmigkeit
höchstwahrscheinlich im Laufe der letzten hundert Jahren angeschlossen hatte und auch nach
der Reform Atatürks besonders danach strebte, einen neuen Nachwuchs von jungen
Komponisten in verschiedenen Kunstzentren Europas ausbilden zu lassen um die gemeinsame
Technik der Mehrstimmigkeit zu erlernen und davon in ihren eigenen Werken Gebrauch zu
machen. Diese jungen Komponisten haben zwar in Europa die auf Dur und Moll, also auf die
Tonalität basierte Technik der mehrstimmigen Musik und dabei auch Kompositionslehre
gelernt. Aber auch durch diese Kenntnisse, die sie für ihre eigene Musik zu eigen zumachen
versucht haben, ist eine eigenartige Mehrstimmigkeit zustande gekommen, die sich nur auf
ihre eigene Struktur, also auf eine gewisse Polyphonie gestützt und von den Regeln
europäischer Mehrstimmigkeit ziemlich abgesondert hat. Es lässt sich ganz selbstverständlich
erklären, dass zu solchen Kenntnissen und Techniken entsprechende anderweitige
Neuerungen auch in allen anderen Künsten zur Durchführung kamen. Und was wäre in
diesem Falle unsere gegenwärtige Lage im Gebiete der plastischen Künste? Die Lage ist ohne
jede Zweifel auch hier dieselbe. Zumal die neue türkische Malerei, ohne ihren lokalen und
volkstümlichen Inhalt zu schädigen, sich die Methoden der zivilisierten Welt mit allen ihren
neuzeitlichen Gebrauchstechniken zu eigen machte, hat kürzlich ihr hundertjähriges Bestehen
gefeiert. Heute, nunmehr zu den historischen Dokumenten zählenden türkischen Miniaturen,
die als künstlerische Schöpfungen der Ahnen die geschichtliche Grundlage zu jeder
Modernisierung im Gebiete der Malerei bilden, haben schon seit einem Jahrhundert ihren
Platz der perspektivisch-dimensionalen Malerei gegeben. Der türkische Kunstliebhaber, der
die Miniatur, als höchstentwickelte Schöpfungen ihrer Zeit betrachtend, liebt und respektiert,
hat auch seit einem Jahrhundert die Räume seines eigenen Hauses allmählich mit solchen
Gemälden geschmückt, die ohne weiteres den Geschmack einer neuzeitlich - türkischen
Kunst, mit den perspektivischen und dimensionalen Inhalt, besser gesagt, den Ausdruck einer
gegenwärtigen und volkstümlich - modernen Kunst, aufweisen. Und es war wieder derselbe
Liebhaber, der im Laufe der Zeit seinen eigenen visuellen Geschmack soweit verfeinerte, dass
er eines Tages den historischen Dokumenten und künstlerischen Schöpfungen damaliger Zeit,
die als wertvollstes Gemeingut der Nation zu betrachten sind, in der Archiven sowie in den
Museen den allerbesten Platz einräumen und sein Auge und Herz unwillkürlich einer völlig
neuen Welt zuwenden musste.
Ist es nicht derselbe Fall auch für die architektonische und literarische Kunst? Wir sind
selbstverständlich die Verehrer und Bewunderer des großen türkischen Architekten des 16.
Jahrhunderts Sinan, sowie des großen Dichters des 18. Jahrhunderts Nedim. Alle diese
nationalen Geisteshelden der Türken sind jeder Zeit von uns als die nur zu vorwärtsstrebenden
Lebensquellen der geistigen und künstlerischen Inspiration anerkannt. Aber bei den neuen
künstlerischen Schöpfungen werden diese Großen der Vergangenheit natürlich niemals
imitiert, denn man weiß genau, dass das allgemeine Gesetz der Entwicklung uns nicht zurück,
sondern nach vor bewegt. Trotz alledem haben sich die neuen türkischen Künste, nämlich die
Malerei, Architektur, Musik und Literatur, gemäß der natürlichen Entwicklung, immer
gemeinsam zu einem fruchtbringenden Erblühen entfaltet. Dabei ist das Eine nur bestimmt,
dass alle Künste, wie es überall der Fall ist, ihre Fortschritte nicht gleicherweise und von
selben Niveau ausgehend vervollständigen können. Zumal auch bei uns, vom Anbeginn der
Tanzimatreform bis zum heutigen Tage, die Literatur, Malerei und Architektur sich mehr oder
minder von demselben Niveau ausgehend, die Mittel und Möglichkeiten gemeinsamer
Technick und Wissenschaft er zivilisierten Welt zu eigen machen versucht haben. Bei dieser
Gelegenheit ist aber nur unsere Musik, traditionellem Sinne nach, wiedermal der
Notwendigkeit vorbeugend, verhältnismäßig spät zu ihrem Erblühen gelangt. War es nicht
derselbe Fall zur Zeit der italienischen Hochrenaissance im Laufe des 15. Und 16.
Jahrhunderts? Während man mit dem Dreigestirn des Renaissance nämlich mit Leonardo,
Raffael und Michelangelo, besonders im Gebiete der Malerei und Bildhauerei zum höchsten
Gipfel der Kreation anlangte (Cinquecento), war die musikalische Kunst noch nicht in der
Lage, sich von ihrem Niveau loszulösen. Endlich aber hatte das Gesetz der Entwicklung eines
Tages sein Bestes getan, indem es sich auch die musikalische Kunst vom geistigen Inhalte der
Renaissance gehörig profitieren ließ. Tatsächlich hatte diese Kunst 70-80 Jahre später, als die
plastischen Künste, durch den großen Meister Palestrina (1524-1594) die Möglichkeit
gehabt, ihre eigene Renaissance zu erleben. Die Ursache dieses Ereignisses hängt eigentlich
davon ab, dass die Stimme, allein das Baumaterial der musikalischen Denkmäler bildet und
vom absoluten Ursprung ist, und daher sind auch die musikalischen Werke im Vergleich mit
den plastischen Künsten weniger verständlicher und dadurch vollenden sie ihre eigene
Entwicklung verhältnismäßig später. Vom Standpunkt des eigenen Erblühens aus hat unsere
Musik wegen den technischen und sozialen Gründen leider nicht die Möglichkeit gehabt, ihre
Entwicklung normalerwiese zu entfalten. Letzten Endes aber hat sich diese Musik die
gemeinsamen Erfordernisse neuzeitlicher Technik und Ästhetik zu eigen gemacht.
Schließlich haben sich die Gedanken unseres großen Philosophen Ziya Gökalp, die er
für unsere Literatur äußerte, auch für unsere musikalische Sprache geltend gemacht. Der
Philosoph sagte folgendes: "…das Jahnhundert hat eine allgemein geistige Sprach inne,
sodass sich die eigentliche Sprache gezwungen fühlt, mit dieser übereinzustimmen"2. Diese
Art von Abfassung des Philosophen hat sich auch für unsere eigene Musiksprache realisierbar
gemacht. Nur durch diese Art und Weise wurde es uns immer möglich, in die nationalen
Musikwerke fremder Kulturgemeinschaften, die ebenfalls von derselben Technik und
Wissenschaft der zivilisierten Welt profitiert haben, mit Genuss und Verständnis zu vertiefen;
genau so haben wir Türken auch uns die Möglichkeit verschafft, unsere, sich auf das eigene
Kulturgemeingut stützende neue Musikwerke ebenso für die zivilisierte Welt brauchbar zu
machen.
Während sich die musikalische Reform Mahmut II. im Jahre 1828, durch die
Tanzimatreform des Sultan Abdülmecit vom Jahre 1839 stark beeinflusst fortentwickelte,
waren die offizielle Annahme des Systems der europäischen Militärmusikkapellen in das
neureformierte türkische Heer und danach von Giuseppe Donizetti organisierte
Musikensemble im Grunde genommen nicht vorübergehende oder forcierte Angelegenheiten,
sondern ganz umgekehrter Weise als sich auf die oben erwähnten Ursachen stützenden
natürlichen Reformbewegunger anzusehen. Zumal mit dieser Reform räumten sich neben den
im Lande befindlichen volkstümlich-lokalen Instrumenten allmählich solchen Platz ein, die
sich auf die gemeinsame Technik des Westens entwickelt hatten und dadurch auch überall
bekannt und brauchbar sind. Und zwar war unter diesen standardisierten Instrumenten zuerst
das Klavier, das bei uns in den Kulturkreisen ein tiefes Interesse erweckte und gleich vom
Anfang an nicht als Luxus - , oder wo es darauf ankam, als Möbelstück angesehen wurde,
sondern es hat die Neugierde der Liebhaber der klassisch-türkischen Musik besonders auf sich
gelenkt. Nun, im Jahre 1845, ein in Istanbul in der Tageszeitung Ceride-i Havadis
diesbezüglich erschienenes Inserat, das ich bei meinen Studien ausfindig machte, war mit der
oben besprochenen Tatsache völlig übereinstimmend. Dieses Inserat lautete, der damaligen
Sprechart der Osmanen entsprechend, wie folgt:
"Annonce
Eine europäische Dame, die auf in der Art dem Kanun
ähnlichen und unter den Namen Piano bekannten
Instrument spielt, ist bereit, den ausübenden Musikern
Der Zeit Unterricht zu erteilen. Ihre Adresse ist vom
Büro unserer Zeitung zu übermitteln. "
Andererseits, neben all diesen Kunstereignissen in der Türkei und ebenso auch neben
der modalen Struktur der einstimmigen klassischen Musik der Türken, die von jeher das in 24
ungleichgeteilten Tönen innerhalb einer Oktave innehabende Vierteltonsystem zur Basis hat,
bemühte sich zum ersten mal stillschweigend das im Westen von Johann Sebastian Bach zur
entgültigen Praxis entwickelte, wohltemperierte System seinen Platz einzuräumen. Die
höchstinteressante Bedeutung dieses Dualismus war nicht so einfach wie es eigentlich aussah.
Zwar war es damals, unter den in die Türkei neueingeführten europäischen Instrumenten
zuerst das Tastinstrument Klavier, das sich in den damaligen Kunstkreisen und besonders
unter den weiblichen Musikliebhabern ziemlich rasch verbreitet hatte, aber niemands hatte es
damals bemerkt wie schlau dieses, der zeitlichen Mode völlig entsprechende Instrument alles
arrangierte, indem die, bei den neugierigen Wiedergaben der einstimmigen türkischen Musik
auf dem neuen Instrument Klavier verlorengegangenen Vierteltöne unter den zarten Händen
der Spielerinen damaliger Zeit in einem ganz anderen Sinne ausgeglichen wurden, sodass sie
nicht nur zwischen forte und pianonuancen und unter den übertrieben angeschlagenen
Verzierungen den modalen Inhalt der "Makamen" verkürzt beibehalten haben, sondern auch
unbewusster weise ihr Gehör und Seele der gemeinsamen Technik, also dem
wohltemperierten System entsprechend erzogen!
In diesem Falle schlossen gleichzeitig die damals in der Türkei erstmals zum Gehör
gebrachten fremden Werke, den musikalischen Geschmack der Türken, der eigentlichen
Anschauung des Philosophen Ziya Gökalp entsprechend zu der von Sinnen herrührenden
allgemein - geistigen Kunstsprache des Jahrhunderts an. Solche Werke, die vom
internationalen Werte sind, wurden damals von den neuorganisierten Militärmusikkapellen,
Orchestern oder auf Klavier gespielt. Gerade bei ähnlichen Fällen, laut der Aunschauung des
Philosophen Ziya Gökalp: " … sich die Substanz des Lebens zu einer kreativen
Entwicklung vorbeugte; [und] sich das Kulturleben mit all seiner Kraft und Festigkeit die
Anforderungen des zivilisierten Lebens zu eigen machte…". Das war eine geschichtliche
und ebenso auch eine natürliche Entwicklung. Man hat auch die Mölichkeit, es als das
Durcheinander wogen der Kultur-und Bürgerstände zu erklären.
Auf diese Art und Weise sind Jahre in der Türkei verflossen. Durch das von Donizetti
organisierte Serailorchester und sonstigen Ensembles hat man in der Türkei zum erstenmal
veranlasst, auch ausübende türkische Künstler im Gebiete europäischer Musik auszubilden
und dadurch auch eine eigene Spielart von europäischer Musik zustande zu bringen. Die
neuausgebildeten türkischen Künstler haben zuerst auf Blasinstrumenten geübt und auch wie
ihre europäischen Kollegen mit Erfolg auf solchen gespielt. Mit der Zeit kamen sie auch in
die Lage, in den Orchestern italienischer Truppen, die damals nach Istanbul kamen, mit
Freude mitzuwirken. Andererseits hatten die im Juni 1847 zum erstenmal in Istanbul
stattgefundenen Konzerte des großen Pianisten Franz Liszt, mit der Hoffnung des Künstlers,
der neureformierten Türkei in kultureller Hinsicht behilflich zu sein, veranlasst, dass die
Chopinischen Werke überhaupt und erstmalig, von Türken gehört wurden. In dieser Zeit
wurden die Opern von Verdi, kurz nach ihren Uraufführungen in Italien auch in Istanbul
gespielt und danach wurde im Laufe der Zeit auch die Kunst der italienischen Oper in der
Türkei beliebt. Endlich ist eine Zeit gekommen, in der auch die Türken ihre eigenen
Virtuosen im Gebiete der europäischen Musik hatten. Zuerst wurden in der Türkei namentlich
Necip Ahmet Paşa und in den 1876 folgenden Jahren Leyla Hanım und Tevfik Bey als erste
türkische Virtuosen zu bescheidenen Bachbrechern er neuen Musik. Alle diese Künstler
haben auch den damals ziemlich verbreiteten Kreis der kultivierten Türken mit dem
ästhetischen Sinn und Geschmack des Westens vertraut gemacht. Trotz alledem haben die am
Beginn dicht nebeneinander platznehmenden Elemente lokaler und übernationaler Künste in
der Türkei, der Mode entsprechend, eine unter den Namen "Dualismus der Reform" zu
nennende Zwiespältigkeit zustande gebracht. Es war nicht zu verhindern, dass eines Tages nur
die konstitutionellen Staatsreformen in der Türkei vom Jahre 1876 und 1908 bis zu einem
gewissen Grade die nötigen Vorkehrungen trafen, um den oben besprochenen Dualismus aus
dem Lande abzuschaffen. Damals hat auch der neuzeitliche Musikgeschmack der Türken die
nötigen Schritte unternommen um den, bei der parallelen Entwicklung der Künste
zurückgebliebenen Weg der Musik möglichst rasch zu überholen.
Die im höchsten Masse fruchtbringenden Bestrebungen unter all den oben erwähnten
Ereignissen, besonders seit der Reform Selim III., haben sich ohne Zweifel erst in den
folgenden Jahren nach der Proklamation des republikanischen Regimes von Atatürk
bemerkbar gemacht. Im Jahre 1923 hatte man in der Türkei, wie in allen Gebieten so auch in
den Gebieten verschiedener Künste zu tatkräftigen Reformbewegungen energische Schritte
unternommen. Diese Bewegung veranlasste auch, unter den anderen Wertschätzen ein tiefes
Verständnis für die gesamten Künste im Lande zu verwurzeln. Aus diesem Grunde kann man
auch die, in den letzten 36 Jahren im Lande stattgefundenen musikalischen
Reformbewegungen in folgender Weise einreihen:
Das Symphonische Orchester, das kürzlich sein 130 jähriges Bestehen feierte, hat im
Laufe der Jahre die Pflicht übernommen, zuerst in den dichbevölkerten Städten wie Ankara
und Istanbul und auch außerhalb dieser Regionen, durch Saisonkonzerte dem Publikum die
musikalischen Werke fremder Kulturgemeinschaften, die von übernationalen Wert sind, zu
spielen und bekannt zu machen; die türkischen Komponisten, Orchesterleiter und Virtuosen,
die ihre Studien in den Letzten 25 Jahren in den großen Kunstzentren und bei berühmten
Meistern Europas beendet haben, haben auch nach ihrer Rückkehr in manchen künstlerischen
Angelegenheiten die Führung übernommen; die neuzeitliche türkische Musik hat sich schon,
die neue Konzeption der türkischen Musik vertretend, im internationalen Repertoire ihren
Platz eingeräumt und auch zu den fruchtbringenden Austausch mit den fremden Kulturen
veranlasst; und endlich haben sich eines Tages die Absolventen der Meisterklassen vom
Staatlichen Konservatorium in Ankara, das in den Jahren 1934-1935 unter Mitwirkung von
Prof. Paul Hindemith, Prof. Carl Ebert und Dr. Ernst Praetorius, sowie namhaften
türkischen und europäischen Fachmännern gegründet wurde, in der Komposition, im
Dirigieren und auch im Spielen und Gesang besonders bemerkbar gemacht; es wurden auch
manche von den talentierten Absolventen, um ihre Kenntnisse zu erweitern von der türkischen
Regierung aus zu berühmten Meistern Europas geschickt. Ganz vom Anfang an bis zum
heutigen Tag sind unter diesen Persönlichkeiten folgende besonders zu erwähnen: Vincent
d’Indy, Hoftat Marx, Prof. Alois Haba, Arthur Honegger, Alfred Cortot, Wanda
Landowska, Nadia Boulanger, Vlado Perlemutter, Marguerite Long, Lucette Descaves,
Gabriel Bouillon etc.; man hat in der Staatsoper Ankara, die seit 23 Jahren in Betreib steht,
nur mit türkischen Opernkünstlern, also mit den Absolventen des Staatskonservatoriums die
verschiedenen Standardwerke des italienischen Opernrepertoires inszeniert; außerdem wurde
im Jahre 1954 die erste türkische Oper vom Komponisten Adnan Saygun "Kerem" und im
Jahre 1958 die Oper "Van Gogh" des jungen türkischen Komponisten Nevit Kodallı
uraufgeführt. Die letztere ist auch in das Repertoire des Théâtre Royal de la Monnaie in
Brüssel aufgenommen worden; wurden auch die symphonischen, instrumentalen oder vokalen
Werke der modernen türkischen Musikliteratur besonders in den letzten 25 Jahren in die
Programme der im In- und Ausland veranstalteten Konzerte aufgenommen; diese Werke
haben selbst in solchen Programmen Eingang gefunden, in denen auch die überall bekannten
Standardwerke der internationalen Musikliteratur mitwirkten; wurden auch moderne türkische
Werke, bei verschiedenen Anlässen in manchen Kulturkreisen Europas veranstalteten
türkischen Konzerten gespielt und somit auch in die internationalen Repertoires übergegangen
sind; wurden manche von diesen Werken von bekannten Verlegern Europas und der
Vereinigten Staaten nach deren Anfrage gestochen und gedruckt; haben die türkischen
Orchesterleiter und Virtuosen auf ihren Tourneen europäische Werke und auch aus der
neutürkischen Musikliteratur gemeinsam zusammengestellte Programme dirigiert oder auch
vorgetragen; wurden die durch das Radio übertragenen modernen türkischen Werke durch den
Äther im In- und Auslande bekannt und verursachten auch, gemeinsam mit den ausländischen
Sendern den Austausch von Radio-Programmen; endlich haben sich parallelerweise zu diesen
Bewegungen auch die musikwissenschaftlichen Fächer von Tag zu Tag ziemlich entwickelt.
Man sieht also ganz klar ein, dass bei den auf der gemeinsamen Technik und
Wissenschaft zustande gekommenen ähnlichen Bewegungen internationaler Kunst, sich auch
die neutürkische Musik ihren Platz eigeräumt hat, die sich schon durch die den technischen
und ästhetischen Anforderungen des Tages entsprechende Wandlung der eigenen Kultur zur
Mehrstimmigkeit entfaltete. Die Ursachen dieser Wandlung sind eigentlich nicht außerhalb
unserer Kulturtradition zu suchen. Diese Tradition hat sich seit dem Beginn des Romantismus
vom 19. Jahrhundert überall von solchen Lebensquellen genährt, die sich zu Hauptträgern
nationaler Schulen machten, und diese Schulen hatten sich auch seit dem Beginn des
Romantismus ein absolutes Dasein gesichert. Diese Lebensquellen sind nichts anderes als die
reinen Traditionen der Völker und solange man den Geist und den Sinn solcher Quellen
entnimmt und sie mit den gemeinsamen technischen Mitteln der zivilisierten Welt bearbeitet,
so werden sich mit der Zeit auch die Traditionen verändern, sogar verjüngen. Als unser
Philosoph Ziya Gökalp von den unfruchtbaren Traditionen sprach, die genau wie die
unveränderlichen Regeln entwicklungswidrig sind, sprach er auch über die lebensfähigen
Traditionen wie folgenderweise: "Die Regeln, die von unabhängiger und absoluter Natur
sind, bleiben an Ort und Stelle wie sie sind, können auch nie eine Zukunft zustande
bringen. Aber die Tradition deutet auf die Schöpfung und Fortschritt hin. Denn, hat die
Tradition eine Vergangenheit, die, die sich ineinander verschmolzenen Phasen inne hat
und auch einen natürlichen Zug der sie, wie die treibende Kraft von Rückwärts nach Vor
drängt, so wären auch solche Traditionen in der Lage, sich immer zu den neuen
Fortschritten sowie auch Neigungen hinzustreben. Obwohl die Tradition von sich selbst
aus von fruchtbarer und schöpferischer Natur ist, wird sie sich doch immer in den ihr
eingeimpften fremden Eindrücken und durch den in ihren eigenen Adern kreisenden
Lebenssaft erblühend beleben und nicht zerrüttet zum Verfall bringen".
Laut dieser Abfassung des Philosophen beruht die historische und reine Tradition der
neuen türkischen Musik, das heißt der nationale und kulturelle Geist derselben, in ihrer
eigenen Bedeutung und Sinne. Dass sich dieselbe Tradition, durch die sich im eigenen Körper
eingeimpften neuen Eindrücke oder Mittel belebt, deutet zwar auf die, von der gemeinsamen
Technik der Neuzeit abhängigen Harmonisation des musikalischen Satzes hin, daher aus dem
eigenen Körper herausentwickelten Mehrstimmigkeit, oder besser gesagt, eigene Polyphonie.
Man stellt also hier, in kurzgefasster Form, zwei Hauptbegriff fest: der Geist und die Technik.
In diesem Falle veranlasst die gemeinsame Wissenschaft der zivilisierten Welt, das heißt auch
für die türkische Musik in Frage kommende Technik der Polyphonie, den Geist der nationalen
Musik jedes Mal von Neuem zu beleben und dadurch auch der eigenen Tradition. Aus diesem
Grunde und wie es bei allen anderen Kulturgemeinschaften der Fall ist, bemüht sich auch der
sich stets auf die eigene Tradition stützende türkische Komponist der jüngeren Generation,
der eigentlichen Anschauung des Philosophen Ziya Gökalp völlig entsprechend, den
geistigen und auch materiellen Inhalt seines eigenen Werkes, "…aus den mündlichen
Überlieferungen des Volkes zu gewinnen, wie es einst unser nationales Gedicht und
Literatur auch durchgemacht hatten". Was die technische, also die mehrstimmige
Entwicklung dieser nationalen Musik betrifft, wendet sich in der Türkei, wie es auch von
manchen Völkern für ihre eigene Musik gemacht wurde, der neue Komponist zur
internationalen gemeinsamen Technik der Wissenschaft und daher auch zu den Mitteln "…
des neuzeitlichen Bildungsstandes…" zu. Laut der Letzten Entfaltung, machte auch
natürlicherweise der Komponist der neuen türkischen Musik von der standardisierten
Instrumenten Europas Gebrauch, die sich von jeher zum gegenseitigen Austausch und
Verständnis zwischen den Völkern geeignet haben; und daher auch von dem die 12
gleichgeteilten Halbtöne innehabenden, wohltemperierten System von Johann Sebastian
Bach, das sich zu den allen oben besprochenen Instrumenten, sowie zur technischen
Durchführung zeitgenössischer Musik zur Basis gemacht hat. Dabei hielt der türkische
Komponist nicht im geringsten für notwendig, in seiner eigenen Musik von den, sich zur
tonalen Musik der Europäer zum Fundament gemachten dur oder moll Tonleitern Gebrauch
zu machen. Nur durch diese Art und Weise, und das alte modale System der lokalen Musik zu
einer eigenen Polyphonie entfaltend, bemüht sich auch der türkische Komponist des jüngeren
Nachwuchses in voller Gültigkeit der Worte des Philosophen Ziya Gökalp: "in der, sich
dauernd fortentwickelten neuzeitlichen Kunst und Wissenschaft und ebenso in der selben
Reihe der fortgeschrittenen Nationen den entsprechenden Platz…" einräumen.
Es hinderte ihn das alte und modale System des Landes, genauso wie die einstmaligen
Kirchentöne vom Mittelalter Europas, angesichts der gemeinsamen Wissenschaft der Neuzeit
jede freie Bewegung; schon hätte er auch von jeher die kulturelle Entwicklung seiner eigenen
Konstitution bis zur letzten Phase vervollständigen können; demzufolge ist er auch jetzt leider
nicht mehr in der Lage, die eigene Musik mit der vorhandenen alten Technik bis zur gleichen
Universalität der neuzeitlichen Kunstmusik mancher Völker zu entwickeln. Also das heißt,
dass bei uns auch zur Zeit keine von solchen musikalischen Werken als neuzeitliche Kunst
anerkannt werden, wenn diese nicht über die technischen Möglichkeiten verfügt, die die
verschiedenen Äußerungen des, dem kulturellen Gemeingut des Volkes eigenen, geistigen
und sentimentalen Denkens im Lichte der nach verschiedenen Richtungen sich entfaltenden
Perspektive verwerten und ebenso auch dieselben, die von den internationalen
Musikinstrumenten und den, dem Ausdruck der neuzeitlichen Kunst entsprechenden und
daher auch nur der Schreibart der Kompositionen standardisierten Instrumenten geeigneten 12
Halbtonstufen des wohltemperierten Systems und auch den allgemeingültigen Objekten und
Regeln der Komposition - und Formenlehre nicht profitieren lassen. Und nun sich in dieser
Form entwickelnd, hat die neue mehrstimmige Musik, genauso wie bei den denselben Weg
vorgezogenen Nationen, von den gemeinsamen Mitteln und Möglichkeiten neuzeitlicher
Wissenschaft profitiert und dabei wurden auch eine Anzahl von den beinahe theoretischen
Intervallen und sich auf den verschiedenartigen modalen Verlauf der Töne stützenden alten
türkischen Makamen (Makamen bedeuten in der alten türkischen Musik dasselbe wie Modus
in der gregorianischen Musik) weggelassen; das heißt manche Töne des 24 ungleichgeteilte
vierteltöne innehabende Modalensystems der alten Musik. Aber man hat auch in den, im
Gegensatze dieses Verlustes gewonnenen mehrstimmigen und melodischen Linien der neuen
türkischen Kunstmusik im Vergleich mit der früheren, immer die Möglichkeit, die den alten,
klassischen Makamen zugesprochenen Eigenschaften und die lokalen Farben unserer
Volkmusik viel reiner und klarer zum Ausdruck zu bringen. Dabei wurden alle uns eigenen
rhythmischen Eigenschaften durch die neuen Instrumente viel charakteristischer und
verständlicher ausgeprägt. Endlich wurde mit diesen, durch die gemeinsame Technik und
Mitteln zustande gebrachten mehrstimmigen Musikwerken eine gesunde Perspektive mit
kräftigen Schattierungen hervorgebracht. Andererseits hat sich zur Zeit die neue türkische
Kunstmusik, über die Modalitäten und modalen Farben der alten türkischen Makamen hinaus,
im Wege der Ästhetik eines völlig veränderten Ausdruckes, zu den die kulturelle Struktur des
Landes vertretenden neuen Eindrücken und Wirkungen gewendet.
Zwar haben die modernen türkischen Komponisten manchmal mit einer, von der alten
Tradition der klassischen Musik herrührenden Inspiration und einem neuen Kunstverständnis
den modalen Farben der alten Makamen wie auch bekannten volkstümlichen Melodien in
ihren eigenen Werken ein völlig neues Leben zugesichert oder auch solchen Schöpfungen
manchmal vollkommen neue und unabhängige Inspirationen zu Grunde gelegt. Nun bemüht
sich das neue Repertoire der türkischen Kunstmusik von Tag zu Tag, mit solchen Werken zu
bereichern; ebenso trachtet es sich auch, stets zur Vollkommenheit strebendes Repertoire
unter die Werke internationaler Musikliteratur hinzuzufügen. Zuerst wurden die Werke der
bahnbrechenden Komponisten wie Cemal Reşit Rey, Necil Kâzım Akses, Ahmet Adnan
Saygun, Ulvi Cemal Erkin und Ferit Alnar in den 1927 folgenden Jahren in Ankara,
Istanbul und ebenso in den Kunstkreisen mancher europäischen Städten wie Paris, Wien, Prag
etc. vorgetragen und dadurch haben sich auch eine Anzahl von Werken moderner türkischer
Komponisten in die internationale Musikliteratur Europas der letzten 30 Jahren, einverleibt.
Seit dem Beginn der Reform Atatürk waren alle die oben erwähnten Komponisten, als
Bahnbrecher der neuen Richtung, an den neugegründeten Musikhochschulen mit der
Unterweisung der Theoretischen Fächer und Komposition verpflichtet. Es wurden auch
damals in der Weltpresse über diese Künstler manche interessante Aufsätze und Kritiken
veröffentlicht.
Laut eines bei mir befindlichen Konzertprogrammes (vom 5.Mai 1931) des Wiener
Musikvereines haben sich neben den Werken von Max Reger, Scriabin und Schönberg auch
die Werke von türkischen Komponisten Cemal Reşit Rey, Nezil Kâzım Akses und Ferit
Alnar den Platz eingenommen. Außer den Werken dieser Komponisten wurden auch Werke
von Ahmet Adnan Saygun und Ulvi Cemal Erkin, in den im Laufe der folgenden Jahren
veranstalteten Konzerten mancher Musikzentren Europas und der Vereinigten Staaten (Paris,
Wien, London, New York, Berlin, Rom, Prag etc.) gespielt. Unter den Werken des neuen
Repertoires der neuen türkischen Kunstmusik sind folgende besonders zu erwähnen:
Symphonische Dichtung "Karagöz", Klavierkonzert, Violinkonzert, Symphonien,
Symphonische Dichtung "Iniciation", Symphonische Dichtung „Mehmet der Eroberer“,
Streichquartetten, Sextet und Klavierquartett von Cemal Reşit Rey; Symphonische Dichtung
"Festung von Ankara", Tanzsuit "Bayönder", Tanzmusik "Çifte Telli", Poem für
Violincello, Ballade für Orchester, Streichquartett von Necil Kâzım Akses; "Inci’s
Büchlein", eine Waldlegende, Divertimento, Zaubertanz, Suite für Orchester, Oratorium
"Junus Emre", Sonate für Pianoforte und Violine, Sonate für Pianoforte und Violoncello,
Streichquartetten, Oper "Kerem" und Symphonien von Ahmet Adnan Saygun; Symphonien,
Klavierkozert, Tanzsuite "Köçekçe", Klavierquintett, Streichquartett und Violinkonzert von
Ulvi Cemal Erkin; Violoncellokonzert, Suite für Orchester, Präludium und zwei Tänze von
Ferit Alnar.
So hat der moderne türkische Komponist, sich auf die geistige, sinnliche und aus
drucks, volle Eigenschaft unseres nationalen und kulturellen Daseins stützend, in eigenen
Werken von der gemeinsamen Kenntnis, Wissenschaft und Technik des internationalen
Bildungsstandes mit Geschicklichkeit Gebrauch gemacht. Und wie er auch von der
symmetrischen Form und den thematischen Bearbeitungen der Wiener Klassiker profitiert hat,
hat er ebenso von der, sich auf die momentanen Eindrücke Debussyscher Kunst stützenden
Technik des Impressionismus profitiert und schließlich wurde die zeitgenössische türkische
Kunstmusik zum natürlichen Ergebnis dieses historischen Durcheinanderwogens. Also im
natürlichen Gange einer derartig bedeutsamen Entfaltung, haben sich die Bahnbrecher,
Angehörigen, Lehrer und Studierende dieser Richtung um die feste Meinung zur völligen
Realisation dieses großen Unternehmens vereint. Wir haben alle diese Ursachen der oben
besprochenen natürlichen und historischen Entwicklung der modernen türkischen Musik bis
hierher gemeinsam untersucht. Wenn wir auch dieselben mit ähnlichen Werken mancher
anderen Kulturgemeinschaften vergleichen, können wir auch ohne weiteres den Prozentsatz
der Teilnahme an die gemeinsame Wissenschaft und Technik des internationalen
Bildungsstandes und ebenso auch die gegenwärtige Lage unserer, vom Geiste der Zeit
herrührenden neuen Kunstsprache feststellen.
Wenn man zum Beispiel den ersten Satz des Klavierquintetts von Ulvi Cemal Erkin
analysiert, wird man auch an Ort und Stelle die Möglichkeit haben, die Unterschiede
zwischen der neuen und alten türkischen Musik praktisch festzulegen und dadurch auch die
Weite des Erblühens traditioneller Elemente im Körper der Neueren. Der erste Satz dieses
Klavierquintetts äußert nämlich folgende Struktur3: "… der sich, wie gewöhnlich, in der
Sonatenhauptsatzform entwickelte 1. Satz dieses Klavierquintetts hat den, der traditionalen
Musik des Landes eigenen 12/8 Takt inne. Das Exposé des Hauptthemas wird gleich am
Anfang vom Violoncello übernommen. In derselben Zeit befinden sich auch alle übrigen
Instrumente in der Begleitlage zum Hauptthema. Das vom Klavier übernommene Exposé
des Seitenthemas dieses Satzes, laut Beethovenscher Sonaten, bildet auch hier einen
ziemlich starken Kontrast zum Hauptthema. Das Seitenthema ist mehr von lyrischer Natur.
Im weiteren Verlaufe des 1. Satzes, vom Standpunkte der international gemeinsamen
Technik, werden die weiteren thematischen Bearbeitungen, und wo es auch darauf
ankommt, abwechselnden Wiederholungen des Hauptthemas von verschiedenen
Instrumenten die eigentliche Entwicklung des Sonatenhauptsatzes vollenden und uns
wiedereinmal den Glauben an die natürliche Verwandlung des türkischen Geschmackes m
Wege zur neuen Kunstmusik schenken".
Das mir hierdurch die beste Gelegenheit vergönnt wurde, meinen hochverehrten
Zuhörerinnen und Zuhörern meine Gedanken und Anschauungen über die Entwicklung der
türkischer Musik auszusprechen, hat mich besonders beglückt. Für die liebenswürdige Geduld
der verehrten Anwesenden herzlichst dankend, führe ich meine bescheidenen Worte mit
folgendem Motto zu Ende:
"Die höchstnationale Kunst ist die,
die vom höchstinternationalen Werte ist. "
1
ALTAR, Cevad Memduh: “Türkiye’de Chopin” (Chopin in der Türkei), Ulus, 20-23 Ekim 1949.
2
GÖKALP, Ziya: “Türkleşmek, İslamlaşmak, Muasırlaşmak”, İnkılap Kitabevi, İstanbul. Alle die noch in dieser
Abhandlung zu erwähnenden Worte und Ideen des Philosophen sind demselben Werk entnommen.
3
ALTAR, Cevad Memduh: “Bir Konser Münasebetiyle”, Radyo dergisi, 1 Mart 1946, Ankara.
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