Sorgerecht-Revision

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Gemeinsame elterliche Sorge
wird zur Regel
Bundesrat verabschiedet die Botschaft zur
Revision des Zivilgesetzbuches
Beim Sorgerecht für Kinder ist der Gesetzgeber künftig
nicht mehr Partei. Grundsätzlich soll das gemeinsame
Sorgerecht der Eltern gelten. Väter werden damit
Müttern gleichgestellt.
vorkommt. Der Bundesrat will deshalb regeln, dass alltägliche
und dringende Angelegenheiten vom Elternteil, der das Kind
betreut, alleine verrichtet werden dürfen. Dazu werden die
Ernährung, die Bekleidung oder die Freizeitgestaltung gezählt.
Zu klären wäre allenfalls, wie in dringenden schulischen Fragen
zu verfahren wäre. Auch die obhutsberechtigte Person kann
sticheln und etwa das Besuchsrecht vereiteln. Dies wollte der
Bundesrat ursprünglich unter Strafe stellen, worauf er nun
aber verzichtet. Unter der Bestrafung eines Elternteils hätte
das Kind zu leiden, argumentiert die Landesregierung jetzt. Die
Gerichte und die Kindesschutzbehörde hätten die Möglichkeit,
in diesem Fall eine Busse auszusprechen.
Michael Schoenenberger, NZZ vom 18. 11. 11
«Dieses Gesetz löst die Frage nicht, welcher Elternteil das Kind
bekommt», sagte Simonetta Sommaruga am Donnerstag vor
den Medien in Bern. Die Vorsteherin des Eidgenössischen
Justiz- und Polizeidepartements sprach damit einen wichtigen
Punkt an: Trotz dem Wechsel zum gemeinsamen elterlichen
Sorgerecht wird es künftig zu Streit zwischen Vätern und
Müttern um ihre Kinder kommen. Für die Gerichte wird es
kaum einfacher, die Obhut für die Kinder in die richtigen
Hände zu legen. Der Bundesrat kommt mit dem
Paradigmenwechsel aber zweifellos einem breit abgestützten
Anliegen nach.
Unabhängig vom Zivilstand
Die geltende Regelung benachteiligt nämlich die Männer und
wird emanzipierten Lebensformen in keiner Weise mehr
gerecht. Heute wird bei einer Scheidung die elterliche Sorge in
aller Regel einem Elternteil - fast immer der Mutter zugesprochen. Sind die Eltern unverheiratet, geht das
Sorgerecht automatisch an die Mutter. Der Bundesrat sagt
denn auch klar, dass das geltende Recht die Gleichstellung von
Mann und Frau missachte. Künftig wird die gemeinsame
elterliche Sorge unabhängig vom Zivilstand der Eltern zur
Regel. Einzig wenn die Interessen des Kindes geschützt werden
müssen, kann die elterliche Sorge einem Elternteil entzogen
werden. Die Botschaft zur dafür nötigen Revision des
Zivilgesetzbuches hat der Bundesrat am Mittwoch
verabschiedet.
Bei einer Scheidung erhalten die Eltern die gemeinsame
elterliche Sorge nicht ohne weiteres: Das Gericht muss sich
künftig vergewissern, dass die Voraussetzungen dafür gegeben
sind. Etwas anders sieht es bei den unverheirateten Eltern aus.
Für sie ändert sich mit dem neuen Gesetz - indem die Mutter
nicht mehr bevorzugt ist - Entscheidendes. Ist eine
Verständigung bei der Trennung nicht möglich, kann sich ein
Elternteil an die Kindesschutzbehörde wenden, die dann die
gemeinsame elterliche Sorge verfügen wird, ausser wenn
diese nicht den Interessen des Kindes entspricht. Als mögliche
Gründe für den Entzug des Sorgerechts werden im
Gesetzesentwurf «Unerfahrenheit, Krankheit, Gebrechen,
Ortsabwesenheit, Gewalttätigkeit oder ähnliche Gründe»
genannt. Über den Entzug der elterlichen Sorge entscheidet
bei einer Scheidung das Gericht, bei Unverheirateten die
erwähnte Behörde. Im Vernehmlassungsentwurf hatte der
Bundesrat noch beabsichtigt, auch Streitfälle, die
unverheiratete Eltern betreffen, den Gerichten zuzuführen.
Die neuen Regeln sollen auch rückwirkend Geltung haben.
Allerdings nur für Fälle, die nicht länger als fünf Jahre
zurückliegen. - Die gemeinsame elterliche Sorge kann im Alltag
Probleme verursachen. Denn der nicht mit der Obhut der
Kinder betraute Elternteil kann dem anderen das Leben
schwermachen, was in zerfahrenen Situationen leider häufig
Das Sorgerecht nimmt auch die Frage des Ortswechsels eines
Elternteils oder des Kindes auf. Liegt der neue Aufenthaltsort
im Ausland, so bedarf dies der Zustimmung des anderen
Elternteils. Erfolgt eine Ortsänderung in der Schweiz, braucht
es nur dann die Zustimmung, wenn «erhebliche
Auswirkungen» auf die Ausübung der elterlichen Sorge durch
den anderen Elternteil gegeben sind.
Knackpunkt Unterhalt
Mit der elterlichen Sorge ist es freilich nicht getan. Die Frage
des Unterhalts kommt hinzu. Sommaruga wollte anfänglich
beide Aspekte verbinden, was sie dann mit Blick auf die
berechtigten Anliegen der Männer unterliess. Wie sie gestern
sagte, will der Bundesrat in der ersten Hälfte des nächsten
Jahres ein neues Unterhaltsrecht in die Vernehmlassung
schicken. Darin will er namentlich der Benachteiligung von
ledigen Müttern Augenmerk schenken. Die Vorlage dürfte die
parlamentarischen Beratungen problemlos durchlaufen, da
das gemeinsame elterliche Sorgerecht von allen Parteien
schon seit längerem begrüsst wird. Erfreut zeigten sich am
Donnerstag insbesondere verschiedene Elternorganisationen
sowie der Dachverband der Männerorganisationen.
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Kommentar:
Harter Brocken kommt erst
Streit um Unterhalt ist absehbar
hof. · Eine über 30 Jahre alte Forderung soll zum Normalfall
werden: Nach einer Scheidung erhalten die Eltern das
gemeinsame Sorgerecht für das Kind oder die Kinder; die
Regelung gilt auch bei einer Trennung von nicht verheirateten
Eltern. Dies schlägt der Bundesrat vor. Jahrzehntelange
Debatten über das Kindeswohl und die Gleichberechtigung von
Frau und Mann sowie die Demonstrationen von
Männergruppen in den vergangenen Monaten haben ihre
Wirkung nicht verfehlt. Der Entscheid des Bundesrates ist
richtig. Zu begrüssen ist auch, dass der Bundesrat davon
absieht, die Vereitelung eines Besuchsrechts unter Strafe zu
stellen; das Strafrecht eignet sich nicht zur Lösung jedes
zwischenmenschlichen Streits, vor allem dann nicht, wenn die
Wahrscheinlichkeit gross ist, dass Kinder darunter zu leiden
haben. Voraussichtlich wird die neue Sorgerechtsregelung im
Parlament eine Mehrheit finden.
Die Probleme, die sich im Konfliktfall bei einer Trennung stellen
können, sind damit aber bei weitem noch nicht gelöst. Nicht
ohne Grund wollte Sommaruga Anfang Jahr die Neuregelung
des Sorgerechts mit einer Novelle zum Unterhaltsrecht
verbinden, wo es unbestrittenermassen um einiges nicht zum
Besten bestellt ist.
Das Sorgerecht ist das eine, doch das andere ist das Geld - und
um das dreht sich letztlich vieles im Trennungskonflikt. In den
Unterhaltsfragen stehen sich die Anliegen teilweise diametral
entgegen. Auf den diesjährigen Männerprotest hat
Sommaruga politisch sensibel reagiert. Noch mehr
Fingerspitzengefühl wird sie bei den anstehenden Debatten
zum Unterhaltsrecht benötigen. Zuzutrauen ist es ihr.
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