FH D Fachhochschule Düsseldorf Prof. Dr.-Ing. Frank Kameier Prof. Dr.-Ing. Walter Müller Johannes Goebel BEng Sophia Schönwald MscEng Robert Heinze MscEng Praktikum Strömungstechnik I, Messdatenverarbeitung, WS 2010/2011 Fachbereich 4 Maschinenbau und Verfahrenstechnik Josef-Gockeln-Str. 9 40474 Düsseldorf (0211) 4351-848 (0175) 4200853 Fax (0211) 4351-468 email [email protected] email [email protected] http://ifs.muv.fh-duesseldorf.de 4. Versuch: Kräfte auf umströmte Körper – ein Windkanalexperiment Düsseldorf, den 19.12.2011 Aufgabe ist es, im Niedergeschwindigkeitswindkanal die Widerstandskraft verschiedener Körper (Kugeln, Zylinder, Modellauto) zu bestimmen. Die Ergebnisse sind mit der semi-empirischen Theorie zu vergleichen. 1. Windkanal 9 8 2250 10 Ø600 Mitte Waage 11 4 580 maximal 1 2 1200 3 5 6 7 6700 1 Gleichrichter (nicht eingebaut) 2 Turbulenzsiebe3 Düse 4 Freistrahl – Messstrecke 5 Auffangtrichter 6 Auffangdiffusor 7 Umlenkbleche 8 Antriebsmotor (Gleichstrom) 9 einstufiges Axialgebläse 10 Diffusor 11Bedienungsbühne mit Dreikomponenten-Waage 1 Filtermatte 2 Tubulenzsieb 3 Düse 4 Freistrahl - Meßstrecke Bild 1: Schematische Darstellung des Windkanals Göttinger Bauart. 5 Auffangtrichter 6 Auffangdiffusor 7 Umlenkung 8 Antriebsmotor (Gleichstrom) Bild 1 zeigt schematisch den Niedergeschwindigkeits-Windkanal Göttinger Bauart mit offener Messstrecke. Die Einstellung Anströmgeschwindigkeiten erfolgt durch Änderung 9 Einstufiges Axialgebläse verschiedener 11 Bedienungsbühne mit Dreikomponenten-Waage 10 Diffusor der Drehzahl des Axialgebläses. Technische Daten : Maximale Luftgeschwindigkeit im Freistrahl 50 m/s Düsenaustrittsfläche 0,28 m² Maximale Gebläsedrehzahl 2100 U/min Kameier/Müller/Goebel/Schönwald/Heinze Maximale Totaldruckerhöhung Maximaler Volumenstrom Antrieb 1 11 mbar FH Düsseldorf 2011 14 m³/s regelbarer Gleichstrommotor 2. Strömungstechnische Grundlagen Die Bestimmung des Strömungswiderstandes einer Kugel ist nicht nur historisch durch die Versuche von Prandtl Anfang des 20. Jahrhunderts und Eiffel 1912 interessant, sondern auch von besonderer praktischer Bedeutung für das Schweben von Partikeln in Luft- und Gasströmungen, bei pneumatischer Förderung, Trocknung, Verschwelung, Entstaubung, Viskosimetrie sowie im Sport bei Golf und anderen Ballsportarten. Die Widerstandskraft FW auf einen umströmten Körper setzt sich additiv zusammen aus der Flächen- oder Reibungswiderstandskraft FWR und der Form- oder Druckwiderstandskraft FWP. Die Flächen- oder Reibungswiderstandskraft FWR entsteht durch die Reibung zwischen Fluid und Partikelfläche. Infolge der Grenzschicht an der Oberfläche bilden sich Schubspannungen aus, die zu Kräften in Richtung der Anströmgeschwindigkeit führen. Die Form- oder Druckwiderstandskraft FWP entsteht durch die unterschiedliche Verteilung des Druckes an der Oberfläche des umströmten Körpers. An der Vorderkante des Körpers (von der Strömung aus gesehen) herrscht infolge des aufgestauten Fluids maximaler Überdruck. Auf dem Weg zur breitesten Stelle der Körperkontur nimmt die Strömungsgeschwindigkeit zu, und der Druck an der Oberfläche sinkt gemäß der Impulserhaltung entsprechend ab, z.T. bis weit unter den Druck der Umgebung. Liegt die Grenzschicht auf der Körperrückseite sauber an, so steigt hier der Druck wieder an und kann im Idealfall den Druck auf der Vorderseite erreichen, so dass der Druckwiderstand Null ist. Existieren jedoch Strömungsablösungen auf der Rückseite des Körpers, kann der Druck nicht wieder ansteigen, und es entsteht je nach Größe des Ablösegebietes ein beträchtlicher Druckunterschied zwischen Vorder- und Rückseite. Der Strömungswiderstand - bekannt als cw oder w -Wert - eines umströmten Körpers stellt eine dimensionslos gemachte Widerstandskraft dar, diese wird auf den dynamischen Druck der Anströmung und die Projektionsfläche zur Anströmung bezogen. W FW 2 c A 2 Der gesamte Widerstandsbeiwert W setzt sich entsprechend zusammen aus dem Flächen- oder Reibungswiderstand WR und dem Form- oder Druckwiderstand WP. Bei „plumpen“ umströmten Körpern überwiegt der Anteil des „Formwiderstandes“. Handelt es sich um scharfkantige Körper, bleibt das Ablösegebiet in weiten Bereichen der Anströmgeschwindigkeit immer gleich groß. Das bedeutet, dass der Widerstandsbeiwert nahezu unabhängig von der Reynoldszahl ist. Anders sind die Verhältnisse bei abgerundeten Körpern wie Kugeln oder quer angeströmten Zylindern, die im Rahmen des durchzuführenden Experiments untersucht werden. Bei der Umströmung von Zylindern (Bild 2) und Kugeln lassen sich 4 Bereiche der Re-Zahl unterscheiden. 1. Schleichende Umströmung: Im Bereich Re < 1 (Kugeln) bzw. Re < 4 (Zylinder) bewegt sich die Strömung auf glatten, zur Körperoberfläche parallelen Strombahnen, sowohl auf der Vorderseite wie auch der Rückseite. Ablösung der Grenzschicht findet nicht statt. Die Strömung ist rund um Zylinder bzw. Kugel laminar; der Strömungswiderstand ist ein reiner Reibungswiderstand. Etwa im Bereich Re= 1 bzw. 4 werden erste Ablösungseffekte unmittelbar am rückseitigen Pol beobachtet. Kameier/Müller/Goebel/Schönwald/Heinze 2 FH Düsseldorf 2011 Bild 2: Zylinderumströmung bei laminarer und turbulenter Grenzschicht. 2. Stationärer Wirbel Bei Re-Zahlen > 1 bzw. > 4 beginnt sich die Strömung auf der Rückseite von Kugeln bzw. Zylindern, am "Polpunkt", abzulösen. Der Ablösungseffekt ist Folge der konvex gekrümmten Oberfläche und der damit verbundenen Aufweitung der Grenzschicht bei gleichzeitigem Druckanstieg. Beim Zylinder bildet sich bis etwa Re < 40 ein stationäres Wirbelgebiet mit zwei gegenläufigen Wirbeln aus. Im Bereich zwischen 40 < Re < 300 lösen sich abwechselnd oben und unten Wirbel ab, hinter dem Zylinder entsteht also eine charakteristische Konfiguration von Wirbeln, die man eine Kármán'sche Wirbelstraße nennt. Bei einer Kugel bildet sich dagegen infolge der anderen Symmetrieeigenschaften ein stationärer Ringwirbel, der bis etwa Re = 500 stabil bleibt. Mit weiter steigender Reynoldszahl verschiebt sich der Ablösepunkt immer mehr in Richtung Kugeläquator bzw. zur breitesten Stelle des Zylinders. Je früher die Ablösung eintritt, desto größer wird das Wirbelgebiet auf der Rückseite. 3. Instationäre Wirbelschleppe Ab Re 300-500 wächst der Wirbelbereich weiter, aber die Ringwirbel werden instationär, d.h. Lage und Größe der Einzelwirbel wechseln permanent. Etwa bei Re 103 (Zylinder) bzw. Re 2 . 104 (Kugel) ist aus dem Wirbelbereich eine ausgedehnte Wirbelschleppe entstanden, deren Größe sich mit weiter steigender Reynoldszahl nicht mehr verändert. Im folgenden Bereich bleiben Ablösepunkt, die voll ausgebildete Wirbelschleppe und auch der Druckwiderstand konstant. Der Widerstandsbeiwert in diesem Konstanzbereich ist bei Zylindern mit etwa W = 1 ca. 2,5mal so groß wie bei Kugeln (W = 0,4). Kameier/Müller/Goebel/Schönwald/Heinze 3 FH Düsseldorf 2011 4. Überkritischer Bereich Bis zu Rekr 2 . 105 (Kugel) bzw. Rekr 4 . 105 (Zylinder) ist die Grenzschicht, in der sich das eigentliche Geschwindigkeitsprofil ausbildet, laminar. Bei höheren Re-Zahlen ist aber auch innerhalb der Grenzschicht die mittlere Strömungsgeschwindigkeit so weit angestiegen, dass die Grenzschicht in den turbulenten Zustand umschlägt. Durch das Turbulentwerden der Grenzschicht verlagert sich der Ablösepunkt weiter nach hinten (in Richtung des rückseitigen Pols), da infolge der Mischbewegungen die mitschleppende Wirkung der Außenströmung wesentlich größer ist als bei der laminaren Grenzschicht. Gemäß einer energetischen Betrachtung steht der turbulenten Grenzschicht aufgrund der zusätzlichen Schwankungsenergie mehr kinetische Energie zur Verfügung als der laminaren Grenzschicht. Größere Druckberge können daher bei turbulenter Grenzschicht überwunden werden, ohne dass die Strömung ablöst. Damit wird die Ausdehnung der vorher voll ausgebildeten Wirbelschleppe beträchtlich verkleinert. Mit der Verkleinerung des Wirbelbereichs wird aber auch der Druckwiderstand vermindert, es kommt zu einem steilen Abfall des w-Wertes oberhalb von Rekr. Die genaue Lage des kritischen Umschlagpunktes hängt zusätzlich vom Turbulenzgrad der Strömung ab. Unter "Turbulenzgrad" versteht man die Größe der örtlichen Schwankungsbewegungen, bezogen auf die mittlere Strömungsgeschwindigkeit. Die "kritische Reynoldszahl", bei der der Steilabfall auftritt, ist umso kleiner, je größer der Turbulenzgrad des Windkanals ist. Ebenso wird die kritische Re-Zahl kleiner, wenn die umströmte Oberfläche aufgeraut oder z.B. mit Noppen versehen wird; die Unebenheiten wirken gleichsam wie "Stolperstellen", die die laminare Grenzschicht früher umschlagen lassen. Dieser Effekt wird in der Praxis vielfach ausgenutzt, um den Strömungswiderstand von Körpern zu vermindern. 10 2 w 1 laminare GS 10 turbulente GS 0 10 -1 10 10 0 10 1 10 2 3 10 10 4 6 5 10 10 Re Kugel Zylinder Messbereich des Laborversuchs an der FH Düsseldorf Bild 3: Widerstandsbeiwerte verschiedener umströmter Körper nach /1/. Der Verlauf des Widerstandsbeiwertes in Abhängigkeit von der Reynoldszahl für Zylinder (gestrichelt) und Kugeln (durchgezogen) ist in Bild 3 dargestellt. Man erkennt, dass der Widerstandsbeiwert mit der Re-Zahl abnimmt, in einem Bereich von etwa zwei Zehnerpotenzen nahezu konstant ist und dann für Kugeln bei einer Re-Zahl von ungefähr 3 10 5 „plötzlich“ von ζ w 0,4 auf einen Minimalwert von w 0,1 abfällt. Diese Verringerung des Widerstandsbeiwertes wird verursacht durch den Übergang einer laminaren zu einer turbulenten Grenzschicht im Bereich des Meridiankreises und die dadurch bedingte erhebliche Verkleinerung des Ablösegebietes im Nachlaufbereich der Kugel, vgl. Bild 2. Kameier/Müller/Goebel/Schönwald/Heinze 4 FH Düsseldorf 2011 3. Messtechnik Die Strömungsgeschwindigkeit in der Messstrecke des Windkanals wird mit einem Prandtlschen Staurohr und einem Flügelradanemometer bestimmt. Das Flügelradanemometer demonstriert ein alternatives Messverfahren – allerdings mit einem begrenzten Geschwindigkeitsbereich. Zur Messung der Kräfte auf umströmte Körper steht eine 3-Komponenten-Waage für die Widerstands-, die Auftriebskraft und das Kippmoment zur Verfügung, Bild 4. Im Rahmen dieses Versuchs wird nur die Widerstandskraft gemessen und ausgewertet. Wägezelle (Moment) 2 3 Wägezelle (Widerstand) Wägezelle (Auftrieb) 6 4 4 1 blau Mitte Waage Auftrieb Z ( N ) 5 Moment My ( Nm ) gelb Widerstand X ( N ) 5 Windkanaldüse rot coo Mitte Windkanal x x = Abstand Aufhängung Momentenwaage zum Drehpunkt = 65 mm 1 Rahmen 2 Pendelstange 3 Pendelstütze 4 verstellbare Aufhängung 5 Spannschlösser 6 Lager ( Drehpunkt ) Übertragungselemente ( Stangen ; Hebel etc. ) Bild 4: Schematische Darstellung der Windkanalwaage. Bild 6 Dreikomponenten - Waage ( Schema ) Kameier/Müller/Goebel/Schönwald/Heinze 5 FH Düsseldorf 2011 4. Untersuchte Körper und Versuchsdurchführung Zu vermessen sind Kugeln und Zylinder verschiedener Durchmesser, ein Modellauto sowie deren Halterungen. Gemessen werden die Widerstandskraft, die Strömungsgeschwindigkeit mit Prandtlschem Staurohr, die Temperatur und die Drehzahl des Windkanalantriebs. Der Widerstandsbeiwert W ist anhand der Gleichung W FW 2 c A 2 zu berechnen. Zu beachten ist, dass für FW die gemessene Widerstandskraft ohne Halterung einzusetzen ist. Die Projektionsfläche A (Bild 5) kann für die einfachen Körper mit Hilfe geometrischer Grundformen berechnet werden. Für das Modellauto wird ein Digitalfoto der Schattenfläche aufgenommen und der Flächenwert wird anhand einer bildanalytischen Messung der Pixelzahl bestimmt. Bild 5: Projektionsflächen Zur Bestimmung der dynamischen Viskosität von Luft soll die Gleichung nach Sutherland /2/ verwendet werden: B T Ns in 2 mit : B = 1,503 10-6 ; C = 123,6 . C m 1 T Die kinematische Zähigkeit kann über die dynamische Viskosität bei Division durch die Dichte berechnet werden. Zur Berechnung der Dichte ist die ideale Gasgleichung zu verwenden. 5. Darstellung der Ergebnisse 1. Tragen Sie die Widerstandskraft über der Anströmgeschwindigkeit auf. Die Verläufe für alle Körper, die mit gleicher Halterung befestigt waren, sollen in jeweils ein Diagramm gezeichnet werden. Die Widerstandskraft der Halterung ist zum Vergleich mit einzuzeichnen. Untersuchen Sie anhand dieser Diagramme den Einfluss der Halterung auf den gemessenen Widerstandsbeiwert der unterschiedlichen Körper. Beantworten Sie vorab die folgende Frage: Wenn Sie eine polynomische Regressionsgerade Fw = f(c) durch die Messwerte legen, welche Ordnung hat das Polynom und geht die Funktion durch den Nullpunkt oder besitzt sie einen y-Achsenabschnitt? Kameier/Müller/Goebel/Schönwald/Heinze 6 FH Düsseldorf 2011 2. Berechnen Sie die Widerstandsbeiwerte in Abhängigkeit von der Reynoldszahl und erstellen ein eigenes (doppeltlogarithmisches) Diagramm w w (Re) . Tragen Sie in das Diagramm ihre eigenen Messdaten nur als Punkte mit sinnvollen Symbolen ein. Tragen sie die aus der Literatur bekannten Verläufe (Bild 3) auch in das Diagramm als Linien ohne Punktsymbole ein! Die Daten aus der Literatur finden Sie im Excel File "kugel_zylinder_wertetabelle290403.xls".. Für das Modellauto gilt der Vergleichswert für einen Mini Cooper lt. Hersteller W = 0,33 (konstant). Verwenden Sie als charakteristische Länge für den Mini D 4 * A / (Durchmesser aus flächengleichem Kreis). Das Diagramm soll nur den kritischen Bereich von etwa 104 < Re < 106 abdecken (Wertebereich der Messdaten!). Diskutieren Sie die Unterschiede zwischen gemessenen Verläufen und den Daten aus der Literatur! 3. Schätzen Sie für die Kugeln aus den von Ihnen aufgenommenen Verläufen w w (Re) eine kritische Reynoldszahl Re kr ab. Als kritische Reynoldszahl ist diejenige Re-Zahl definiert, bei der der Widerstandsbeiwert w = 0,3 beträgt: Re kr Re w 0,3 . Zeichnen Sie Ihre Ablesung in das Widerstandsdiagramm ein! 4. Beschreiben Sie in eigenen Worten den Vorteil der Auftragung cW=f(Re) gegenüber FW=f(c) und schätzen Sie die Strömungsgeschwindigkeit für den laminar turbulenten Grenzschichtumschlag einer Kugel mit dem Durchmesser von 50 mm ab. Bild 6 (aus /3/) 6. Verwendete Literatur /1/ Schade, H., Kunz, E., Kameier, F., Paschereit, C.O.: Strömungslehre, 2007. /2/ Vogelpohl, G.: Betriebsichere Gleitlager, Springer Verlag , 1958. /3/ Strybny, J.; Ohne Panik – Strömungsmechanik, Vieweg-Verlag 2003 Kameier/Müller/Goebel/Schönwald/Heinze 7 FH Düsseldorf 2011