Tamara Nagl 5HBA / BRM 2012/2013 Interviewprotokoll Thema: Der Dritte Sektor und die ehrenamtliche Tätigkeit Forschungsfrage: „Was spricht für und gegen die Einführung eines freiwilligen, sozialen Jahres im Falle einer Abschaffung der Wehrpflicht und damit des Zivildienstes in Österreich? Wie soll dieser freiwillige Dienst organisiert sein und welche gesellschaftlichen Folgen ergeben sich? Untersucht am Vorbild Deutschland.“ Meine Interviewpartnerin ist Frau Maga. Charlotte Sachse vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Sie ist in der Sektion Europäische, internationale & sozialpolitische Grundsatzfragen & in der Abteilung V/1 (EU-Angelegenheiten) zuständig. Das Interview fand am 30.11.2012 im Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz statt. Maga. Charlotte Sachse 1) Sehr geehrte Frau Sachse, erstmals danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, um mit mir dieses Experteninterview zu führen. Zunächst darf ich fragen, was genau Ihre Aufgabe in dem Bereich Europäische, internationale & sozialpolitische Grundsatzfragen ist? In der Sektion Europäische, internationale & sozialpolitische Grundsatzfragen arbeite ich in der Abteilung für EU-Angelegenheiten bzw. europäische Integration. Das heißt, wenn es um EU-Angelegenheiten geht werde ich eingesetzt und übernehme dann Koordinierungsaufgaben. Ich arbeite auch bei verschiedenen nationalen Projekten mit, wie zum Beispiel bei der Erstellung des Planes für das freiwillige, soziale Jahr. 2) Wie sind sie zu dieser Stelle gekommen sind bzw. welche Ausbildung ist für diesen Posten nötig? Nun ich habe Rechtswissenschaften studiert und arbeitete ursprünglich im Personalbereich für diese Abteilung. Damals habe ich mich schon für europäische Integration interessiert und habe somit bezüglich dessen eine Zusatzausbildung absolviert. Danach ging ich für 10 Jahre nach Brüssel um dort mitzuwirken. Als ich 2006 nach Österreich zurückkehrte, bekam ich diese Stelle, da ich viele Erfahrungen in Brüssel sammeln konnte. Tamara Nagl 5HBA / BRM 2012/2013 Katastrophenschutz & Bundesheer - Zivildienst 3) Nun meine nächste Frage bezieht sich auf den Wegfall der Wehrpflicht und des Zivildienstes und auf die Einführung eines Berufsheeres. Welche Tätigkeiten, die aktuell vom Bundesheer erbracht werden, können oder sollen bei der Einführung des neuen Heeres übernommen werden? Wie viele Mannstunden sind das in Etwa? Vom neuen Heer, also dem Berufsheer, sollen die Kernbereiche des Bundesheeres übernommen werden. Doch gewisse Dienste, wie zum Beispiel Chauffeurdienste, werden vom Berufsheer nicht übernommen. Ich habe hier eine Broschüre für Sie vorbereitet, da ich Ihnen nicht allzu viel über das Bundesheer sagen kann. Es ist auch schwer zu sagen wie viele Stunden das wären, da es ja auch von den verschiedenen Einsätzen abhängt. 4) Ebenfalls interessiert mich, für welche Tätigkeiten der Zivildienst aufkommt und welche dann nach Abschaffung des Bundesheeres/Zivildienstes von Freiwilligen übernommen werden? Wie viele Mannstunden sind das? Zuerst möchte ich den Begriff „Freiwillige“ klären. Es stimmt, dass man sich zu diesem freiwilligen, sozialen Jahr eben freiwillig meldet und es kein Zwangsdienst ist wie das Bundesheer oder der Zivildienst. Dennoch darf man dies nicht mit freiwilligen Engagement verwechseln, da dieses freiwillige Jahre gegen monetären Gegenfluss getätigt wird und freiwilliges Engagement nicht. Das freiwillige, soziale Jahr ist ein normales Arbeitsverhältnis mit Lohnsteuerabgaben, Sozialversicherung, etc. Nun, mehr als die Hälfte der Zivildiener in Österreich sind im Sozialwesen eingesetzt. Somit werden hauptsächlich die Tätigkeiten im Sozialbereich übernommen und kleinere Bereiche weggelassen, da diese Bereiche sich dann selbst koordinieren können, weil sie überschaubarer sind. Hier habe ich Ihnen eine Grafik ausgedruckt, welche auflistet in welchen Bereichen Zivildiener eingesetzt werden und vor allem in welchem Ausmaß. Ebenfalls kann man hier nicht sagen wie viele Mannstunden das sind, da es auch hier wieder abhängig von den Einsätzen ist und es schwer ist, diese Zahlen zu erheben. 5) Das ist sehr freundlich, danke. Somit wurde auch gleich meine nächste Frage „Welche Tätigkeiten fallen in den Bereich des Bundesheeres und des Zivildienstes bzw. welche Tätigkeiten werden von diesen bzgl. sozialer Bereiche getätigt?“ beantwortet. 6) Nun, in meiner Arbeit konzentriere ich mich auf den Katastrophenschutz. Wer trägt den Katastrophenschutz eigentlich? In der Bundesverfassung wurde festgelegt, dass die Koordination des Katastrophenschutzes beim Innenministerium, aber auch bei den eigenen Bundesländern liegt. Tamara Nagl 5HBA / BRM 2012/2013 7) Wie viel und von wem wird in Österreich für Katastrophenschutz jährlich ausgegeben? Unterliegen die Kosten des Katastrophenschutzes nicht großen Schwankungen, da er ja zum Beispiel von den jeweiligen Wetterereignissen abhängig ist? Das jährliche Budget für Katastrophenschutz wird auf den Bund und auf die Bundesländer aufgeteilt. Aber die Ausgaben schwanken sehr, da diese, wie Sie bereits erwähnt haben, abhängig von den Wetterereignissen sind. Deshalb gibt es diesbezüglich keine genauen Angaben. Wie hoch das Budget ist, weiß ich allerdings nicht. 8) In der Arbeit „Sozialschutz in Österreich 2012“, welche ich auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gefunden habe wird erwähnt, dass ca. 70% der Sozialleistungen Geldleistungen sind und die anderen 30% Sachleistungen. Ist auch der Zivildienst eine Sachleistung im Rahmen des österreichischen Sozialsystems oder ist dieser gesondert geregelt? Nein, der Zivildienst ist nicht in diesen 30% mit inbegriffen. Dieser hat einen eigenen Posten, wo alles geregelt wird. Die Kosten, sprich die indirekten und direkten Kosten, für den Zivildienst sind im Bundesbudget ausgewiesen. Hier habe ich eine Grafik für Sie vorbereitet, wo die Kosten für den Zivildienst und für das freiwillige, soziale Jahr gegenübergestellt sind. Wie Sie hier sehen können betragen die Kosten für den Zivildienst 208 Mio. Euro pro Jahr. 9) Wie genau sind das Bundesheer und der Zivildienst in den Katastrophenschutz eingebunden? Welche Auswirkungen würden sich aus deren Wegfall, speziell auf den Katastrophenschutz, aber auch auf die anderen Bereiche ergeben? Und welche Aufgabenbereiche wären im Katastrophenschutz von Freiwilligen zu erledigen (z.B. Organisation/Katastrophenmanagement, aktiv helfen, etc.)? Wie bereits erwähnt kann ich Ihnen nichts Genaueres über das Bundesheer sagen. Aber diesbezüglich können Sie im Internet recherchieren. Ich werde Ihnen den Link zusenden, wo Sie nachschlagen können wegen genauen Zahlen. Zum Zivildienst kann ich Ihnen natürlich mehr sagen. Es sind nur sehr wenige Zivildiener im Katastrophenschutz tätig. Insgesamt sind 413.000 Menschen in Katastrophenhilfs- und Rettungsdienste freiwillig tätig. Der Zivildienst macht dabei nur 3% aus, was sehr wenig ist. Also Sie sehen, es sind sehr viele Menschen in diesem Bereich tätig und ich denke nicht, dass der Wegfall des Zivildienstes eine große Auswirkung auf den Katastrophenschutz haben wird. 10) Es ist ja nicht nur der Katastrophenschutz im Falle eines Wegfalles vom Bundesheer und vom Zivildienst betroffen, sondern auch viele andere Bereiche. Wie viele Personen, welche dieses freiwillige Jahr machen werden, werden hier benötigt um dies auszugleichen und vor allem, welche Bereiche müssen abgedeckt werden? Hier habe ich Ihnen auch eine Grafik ausgedruckt. Wie bereits vorher schon erwähnt, wird dieses freiwillige, soziale Jahr benötigt, um den Sozialbereich abzudecken und kleinere Bereiche sich selbst koordinieren müssen. Bzw. es werden die gesellschaftspolitischen Bereiche abgedeckt. Nach den Berechnungen reichen 8.000 Personen zu dieser Abdeckung aus. Tamara Nagl 5HBA / BRM 2012/2013 Bundesfreiwilligendienst / freiwilliges, soziales Jahr 11) Nun gibt es ja seit ca. 2 Jahren den Bundesfreiwilligendienst in Deutschland. Auf einer Internetseite des Bundesfreiwilligendienstes Deutschlands habe ich herausgefunden, dass ca. 44.520 Personen ein soziales, freiwilliges Jahr (pro Jahr) absolvierten, bei einer Einwohnerzahl von fast 82 Millionen. Denken Sie dass, wenn man dieses Verhältnis auf Österreich umlegt, genauso viele Freiwillige sich bereitstellen würden um so ein freiwilliges soziales Jahr zu absolvieren? Würde diese Zahl dann auch ausreichen? Das stimmt. Auch wenn es anfangs in Deutschland Probleme gab, funktioniert der Bundesfreiwilligendienst sehr gut. Dieses Phänomen ist aber auch auf die derzeitigen Arbeitsverhältnisse zurückzuführen. Viele sehen den Bundesfreiwilligendienst nämlich als einen Übergang von der Arbeitslosigkeit in das Berufsleben. Man muss abwarten, ob sich der Freiwilligendienst auch dann so gut hält, wenn sich die Arbeitsverhältnisse in Deutschland verbessern. Man kann leider nicht davon ausgehen, dass viele diesen Bundesfreiwilligendienst auf Dauer machen, da es in Deutschland nur Taschengeld gibt und von diesem kann man nicht leben. Zur Situation in Österreich kann ich Ihnen sagen, dass es überhaupt kein Problem sein wird genug Personen zu finden, welche das freiwillige, soziale Jahr machen wollen. Jährlich nehmen 91.500 Personen neu eine Beschäftigung im Gesundheits- und Sozialbereich auf. Wir gehen davon aus, es sei keine Schwierigkeit 8.000 Personen von diesen 91.500 Personen zu finden, welche das freiwillige, soziale Jahr absolvieren möchten. 12) Wie würde die Organisation eines freiwilligen sozialen Jahres aussehen, wenn dieses wirklich in Österreich eingeführt werden würde? Wie auch beim Zivildienst gibt, wird es auch für das freiwillige, soziale Jahr eine Agentur geben, welche die Personen an die Organisationen vermitteln und weiterleiten wird. Es werden dieselben Organisation sein, die auch bereits mit der Organisation des Zivildienstes in Kooperation stehen. Sollten sich zu wenige Personen bei einer Organisation bewerben, dann kann die Agentur nachhelfen und vermitteln. Es liegt aber auch an den Organisationen selbst, Werbung zu betreiben und auf sich aufmerksam zu machen. Während des freiwilligen, sozialen Jahres wird es kein Taschengeld geben, sondern man bezieht ein Gehalt von 1.386 € brutto. Das sind 1.284 € netto. Man ist somit auch Sozialversichert, was man bei einem Taschengeld nicht ist und außerdem wäre ein Taschengeld nicht so hoch wie dieses Gehalt. Weiters sehen wir das freiwillige, soziale Jahr als ein Förderungsprogramm. Die Organisationen sind zu Weiterbildung des Personals verpflichtet, da man nach dem freiwilligen Jahr etwas mitnimmt und es auch für die Zukunft nutzen soll. Vor allem junge Menschen können durch das freiwillig, soziale Jahr im Sozialbereich schnuppern und das gegen eine relativ gute Bezahlung. Diese Weiterbildungen müssen die Organisationen, so wie bis jetzt, selber zahlen. Außerdem wird das freiwillige, soziale Jahr für Männer und Frauen sein. Es gibt auch keine Altersgrenze. Somit steigt das Potenzial viele Personen dafür zu finden. Eine gewisse Qualifikation wird natürlich verlangt, aber ich denke, dies wird kein Problem sein. Tamara Nagl 5HBA / BRM 2012/2013 13) Es beklagen sich viele, dass das Bundesheer dem Staat eine Menge Geld kostet. Aber Kritiker meinen wiederum, dass ein Berufsheer noch viel teurer ist, da es ja keine Gratissoldaten mehr gibt und auch Mehrkosten durch den Wegfall des Zivildienstes entstehen. Nun, fallen wirklich so viele Mehrkosten an oder erspart sich der Staat in Wirklichkeit Geld? Wenn wir noch mal die Kostentabelle zur Hand nehmen, können wir sehen, dass die Kosten für den Zivildienst 208 Mio. Euro betragen und die Kosten für das freiwillige, soziale Jahr 211 Mio. Euro betragen. Also Sie sehen, das System ist sehr kostendeckend bzw. kostenneutral, denn 3 Millionen Euro machen im Bundesbudget keinen großen Unterschied. Aber nehmen Sie sich ruhig diese Tabelle mit, damit Sie wirklich alle Kosten haben für Ihre Arbeit. Alternativen 14) Sollten sich nicht genug Freiwillige melden, haben Sie hier einen Plan B? Wenn ja, wie sieht dieser aus? Ehrlich gesagt haben wir im Moment keinen Plan B, denn wir gehen davon aus, dass es funktionieren wird. Wie bereits erwähnt, wird es kein Problem sein die 8.000 Stellen bei 91.500 jährlichen Anfängern und Anfängerinnen im Gesundheits- und Sozialbereich zu besetzen. Außerdem gibt es viele junge Menschen, die noch nicht wissen was genau sie im weiteren Leben machen wollen und somit die Chance haben gegen Bezahlung zu schnuppern. Aber nicht nur jungen Menschen bietet dieses System Möglichkeiten für das Leben. Auch Umsteiger und Umsteigerinnen können das freiwillige Jahr nutzen um etwas Neues auszuprobieren, da eventuell ihr derzeitiger Beruf keinen Spaß mehr macht, sie sich nicht mehr dafür interessieren oder es noch nie das Wahre für sie war. Doch nun müssen wir das Ergebnis vom 20.1.2013 abwarten. 15) Haben sie einen Vorschlag, wie man mehr Menschen animiert, sich aktiv an einer freiwilligen Tätigkeit zu beteiligen? Das liegt hauptsächlich bei den Organisationen, dass sie auch auf sich aufmerksam machen und aktiv Werbung betreiben. Gesellschaft 16) Mich würde noch etwas interessieren: Wäre dieses freiwillige soziale Jahr nicht auch eine Möglichkeit, um Arbeitslosigkeit abzubauen? Der Abbau der Arbeitslosigkeit ist nicht die Intention hinter diesem Zivildienstersatz. Arbeitslose sind auch nicht die Zielgruppe. Dieses System kann zur Prävention von Arbeitslosigkeit beitragen, aber nicht um sie abzubauen. Tamara Nagl 5HBA / BRM 2012/2013 17) Welche gesellschaftlichen Vorteile bzw. Nachteile bringt ein freiwilliges soziales Jahr? Ein Vorteil ist auf jeden Fall der Einsatz von Männern UND Frauen. Weiters kommt noch das Beschäftigungsverhältnis mit einer Entlohnung von 1.386 brutto und einer sozialversicherungsrechtlichen Absicherung hinzu. Ein weiterer Vorteil ist die verwertbare Qualifizierung bzw. Ausbildung von mind. 180 Stunden. Nachteile kann man nicht wirklich aufzählen. 18) Welche gesellschaftlichen Gruppen sollen von dem Freiwilligenjahr angesprochen werden? Es sollen alle Altersgruppen angesprochen werden, aber primär junge Menschen, da das freiwillige, soziale Jahr auch eine Aus- bzw. Weiterbildung bietet. Aber auch Umsteiger sollen angesprochen werden und vor allem Frauen, da es ja für Frauen und Männer ist.