Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss ANLAGE II zum Protokoll der Plenartagung im Januar Brüssel, den 15. Februar 2016 ANLAGE II zu dem PROTOKOLL der 513. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 20./21. Januar 2016 in Brüssel _____________ Sitzung vom 21. Januar 2016 _____________ Punkt 8 der Tagesordnung Debatte über die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft im Demokratisierungsprozess: Fallstudie Tunesien unter Teilnahme des "Tunesischen Quartetts", Friedensnobelpreis 2015: Kacem AFAYA, stellvertretender Generalsekretär des tunesischen Gewerkschaftsdachverbands (UGTT), Ahmed ben Tahar GALAI, Vizepräsident der tunesischen Menschenrechtsliga (LTDH) und Slim GHORBEL, Mitglied des Exekutivbüros des tunesischen Arbeitgeberverbands (UTICA) ___________ EESC-2015-06625-02-00-PV-TRA (FR) externe Übersetzung 1/6 DE Der Präsident Georges Dassis geht zu Punkt 8 der Tagesordnung über: Debatte über die Rolle der organisierten Zivilgesellschaft im Demokratisierungsprozess: Fallstudie Tunesien unter Teilnahme des "Tunesischen Quartetts", Friedensnobelpreis 2015: Kacem Afaya, stellvertretender Generalsekretär des tunesischen Gewerkschaftsdachverbands (UGTT), Ahmed ben Tahar Galai, Vizepräsident der tunesischen Menschenrechtsliga (LTDH) und Slim Ghorbel, Mitglied des Exekutivbüros des tunesischen Arbeitgeberverbands (UTICA). **** Georges Dassis begrüßt die Vertreter des Quartetts, die Friedensnobelpreisträger sind; die Verleihung des Friedensnobelpreises sei ein Ausdruck der Bedeutung der Rolle der Zivilgesellschaft im politischen Dialog. Er betont die wichtige Arbeit, die von den vier Organisationen nicht nur zur Förderung und Entwicklung des sozialen Dialogs, sondern auch bei der Initiative zum Aufbau eines Systems der partizipativen und pluralistischen Demokratie geleistet worden sei, und ruft das Plenum dazu auf, diese Arbeit als ein vorbildhaftes Beispiel zu betrachten. Herr Dassis weist ferner auf die bedeutende Rolle der Zivilgesellschaft in den Beziehungen zwischen der EU und ihren südlichen Nachbarstaaten hin und erinnert daran, wie wichtig es sei, dass die EU mit ihren Partnern der Region einen Dialog auf gleicher Ebene führe, um eine Partnerschaft zugunsten der Bürger zu beiden Seiten des Mittelmeeres zu gewährleisten. Er betont, dass eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Zivilgesellschaft ihre Erfahrung in diesen Beziehungen weitergeben könne, darin bestehe, dass sie das Recht der Versammlungsfreiheit, der freien Aussprache und der Redefreiheit in der Öffentlichkeit habe. Der Präsident erinnert zum Abschluss seines Redebeitrags daran, dass die Verleihung des Nobelpreises ein wichtiger Schritt sei; währenddessen befinde sich Tunesien jedoch gegenwärtig in einer schwierigen Lage, die nicht nur den Beistand der EU, sondern auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft erfordere. In diesem Sinne sichert er den Organisationen des Quartetts den Beistand des EWSA bei der Einrichtung der durch die neue tunesische Verfassung geplanten zukünftigen beratenden Instanz zu, um einen strukturierten Dialog zwischen den Vertreterorganisationen der Zivilgesellschaft und der Regierung zu gewährleisten, mit dem Ziel, eine wirtschaftliche Entwicklung herbeizuführen, die mit einem dauerhaften sozialen Zusammenhalt einhergehe. Slim Ghorbel erklärt, dass sich die Initiative des Quartetts als Reaktion auf die politische Sackgasse und die schwierige soziale und wirtschaftliche Lage des Landes entwickelt habe, und er betont den Aspekt des Strebens nach einem Konsens in der Arbeit des Quartetts. Der aus dieser Arbeit resultierende Fahrplan habe dank aller beteiligten Akteure einen politischen Wandel ermöglicht, der in den ersten freien und demokratischen Wahlen, die stattgefunden haben, zum Ausdruck gekommen sei. Er betonte, dass der Dialog und die Kompromissbereitschaft die einzigen Lösungen für politische Konflikte seien. Herr Ghorbel ruft die EU zum Abschluss seines Redebeitrags dazu auf, Tunesien in Anbetracht der schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Lage, mit der das Land derzeit konfrontiert sei, Beistand zu EESC-2015-06625-02-00-PV-TRA (FR) externe Übersetzung 2/6 leisten, um seine Stabilität zu fördern, denn dies würde auch positive Auswirkungen auf die gesamte Region mit sich bringen. Herr Galai weist darauf hin, dass die Arbeit des Dialogs des Quartetts zweifelsohne dazu beigetragen habe, dass Tunesien von dem Schicksal manch anderer Länder der Region verschont geblieben sei. Er betont, dass die geleistete Arbeit sich in drei wesentliche Aspekte unterteilen lässt: Verfassung: Die neue Verfassung garantiere die grundlegenden Menschenrechte. Wahlen: Es haben demokratische Wahlen stattgefunden. Regierung: Eine funktionsfähige Regierung habe es ermöglicht, den politischen Übergang zu gewährleisten. Herr Galai ruft in Anbetracht der bestehenden Problematiken in der Region, wie der Migration oder dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Tunesien, zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit und des Dialogs mit dem EWSA und mit Europa auf. Herr Afaya entschuldigt sich für seine Verspätung wegen einer Flugverzögerung. Er betont zu Beginn seines Redebeitrags, dass die Demokratie aus einer breiteren Perspektive, unter Einbeziehung der sozialen Gerechtigkeit, der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und der Armut zu betrachten sei. Er weist darauf hin, dass die UGTT sich nicht mit der Politik zum Zwecke der Macht als solcher befasse, und diesem Ansatz habe sie ihren Einfluss in der tunesischen Zivilgesellschaft zu verdanken. Die UGTT stehe auf den drei Grundpfeilern Unabhängigkeit, Transparenz und Aufgeschlossenheit. Er erklärt, dass diese Unabhängigkeit trotz der erlittenen Bedrohungen aufrecht erhalten worden sei und dass die Gründungsprinzipien der UGTT nach wie vor von vorrangiger Bedeutung seien. Herr Afaya betont, dass einige von den zehntausend Vereinigungen der Zivilgesellschaft, die in der Folge der Revolution gegründet worden seien, dem Terrorismus nahestünden und dass nicht alle Vereinigungen in das Gefüge der Zivilgesellschaft integriert werden könnten. Er weist ferner darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Vereinigungen die Demokratie, die Menschenrechte und das Prinzip der Kohabitation befürworten. Er weist zum Abschluss seines Redebeitrags darauf hin, dass die Verleihung des Nobelpreises insbesondere in dem schwierigen aktuellen Kontext ein hohes Maß an Verantwortung für das Quartett mit sich bringe, um mehr soziale Gerechtigkeit und Demokratie herbeizuführen, und ruft zu einer Zusammenarbeit auf der Grundlage der gemeinsamen Prinzipien und Werte zwischen der EU und Tunesien auf. **** EESC-2015-06625-02-00-PV-TRA (FR) externe Übersetzung 3/6 Ausführungen von Vertretern der Gruppen: Frau Bischoff beglückwünscht die Redner zu ihrer Arbeit und betont die Anerkennung, die der Nobelpreis der Zivilgesellschaft biete; sie weist ferner auf die Unterstützung der Organisationen des Quartetts durch den EWSA hin. Sie unterstreicht die bedeutenden Probleme, mit denen Europa derzeit konfrontiert sei, und die Notwendigkeit, dem Dialog mit der Zivilgesellschaft angemessen Rechnung zu tragen, um Lösungen für diese Probleme herbeizuführen, was durch die Arbeit des Quartetts beispielhaft verdeutlicht worden sei. Frau Slavova erinnert an den Beistand, den die EU Tunesien in den letzten Jahren geleistet habe. Sie hebt das Modell des Quartetts in Bezug auf die Probleme der Region hervor und stellt den Vertretern des Quartetts Fragen zu ihrer Perspektive der Zusammenarbeit mit Europa. Herr Malosse betont, wie wichtig es sei, der Zukunft entgegenzusehen. Die Problematik und Herausforderung liege in der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Wirtschafts- und Sozialentwicklung. Er ruft zu einer Stärkung der Rolle der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), zu Investitionen in die persönliche Bildung und Berufsausbildung auf. Er erinnert ferner an die Bedeutung ausländischer Investoren sowie die nötige Stabilität, um diese anzuziehen. Frau Del Rio betont die Wichtigkeit des sozialen Dialogs und der Arbeit des Quartetts. Sie ruft zu einer Stärkung der Rolle des Parlaments in Tunesien auf und weist darauf hin, dass die Priorität darin bestehen müsse, gute Arbeitsplätze für die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen zu schaffen. Eines der Risiken der mangelnden Perspektiven sei deren Radikalisierung. Herr Longo ruft zu einer Weitergabe der bewährten Praktiken des Quartetts auf und betont noch einmal den Beistand des EWSA im Hinblick auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Tunesien. Herr Dimitriadis betont den gescheiterten Barcelona-Prozess, das Ausmaß der wirtschaftlichen Probleme in der Region sowie den raschen und weitreichenden Wandel, der sich in den letzten Jahren in der Region vollzogen habe. Herr Zufiaur betont die einigende Rolle der Zivilgesellschaft für den Demokratisierungsprozess und die soziale Gerechtigkeit. Er erwähnt die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft an bestimmten Themen, an denen der Begleitausschuss Europa-Mittelmeer arbeite, wie etwa die Nachbarschaftspolitik, die Frauenfrage, der soziale Dialog oder die Handelspartnerschaften. Er bringt die Bedeutung eines gemeinsamen Arbeitsprogramms und die Wichtigkeit konkreter Maßnahmen zum Ausdruck und stellt den tunesischen Vertretern Fragen über die zukünftige beratende Instanz. Herr Metzler erinnert daran, dass die gemeinsame Initiative der Zivilgesellschaft die politischen Gewalten dazu bringen könne, Entscheidungen herbeizuführen. EESC-2015-06625-02-00-PV-TRA (FR) externe Übersetzung 4/6 Frau Skrabalo bringt den Wunsch zum Ausdruck, anhand von drei Fragen mehr aus der Erfahrung in Tunesien zu lernen: Wie konnte das Quartett – in Anbetracht der Schwierigkeiten, mit denen die europäische Zivilgesellschaft konfrontiert ist, um ihren Standpunkten Gehör und Geltung zu verschaffen – die Politiker überzeugen, seinen Sichtweisen Rechnung zu tragen? Worin bestehen die spezifischen Handlungsschritte, die der EU empfohlen werden könnten, um eine dauerhafte Lösung für die Migrationsfrage herbeizuführen? Worin bestehen die Empfehlungen für den Aufbau eines interkulturellen Dialogs im Hinblick auf die Spannungen in Europa angesichts der Migrationsfrage? Herr Pirvulescu betont, dass der Prozess der Revolutionen eine langfristige Beobachtung erfordere, da es sich um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen handele, die nicht in kurzer Zeit analysiert werden könnten. Er weist darauf hin, dass die Zivilgesellschaft nicht als ein Block zu betrachten sei, da es auch ideologische Konfrontationen gebe, und dass die Unterstützung der Zivilgesellschaft in der Europa-Mittelmeer-Region ein vorrangiges Ziel für die EU sein müsse. **** Dann erteilt der Präsident den Vertretern des Quartetts das Wort, um auf die Beiträge aus dem Plenum einzugehen: Herr Ghorbel erinnert zunächst daran, dass die Organisationen UTICA und UGTT eine reiche Vergangenheit bezüglich ihres Beitrags zum Aufbau des modernen Tunesiens vorzuweisen hätten und dass sie aufgrunddessen einen bedeutenden Einfluss auf den Wandel genommen hätten. Er weist darauf hin, dass die Lösungen für die Probleme, mit denen Tunesien konfrontiert sei, auf der Schaffung eines funktionstüchtigen sozioökonomischen Kontexts im Land beruhen müssten. Er betont, dass die größte Gefahr nicht ein Problem von Religion sei, sondern in den Ideologien liege, die aus den Religionen hervorgehen, und in den Ideologien, die exportiert werden. Er betont außerdem den Punkt, dass eine Zusammenarbeit zwischen Europa, Tunesien und den südlichen Anrainerstaaten auf der Grundlage der Zivilgesellschaft erfolgen müsse, die mit der Realität vor Ort vertraut sei, und bringt sein Interesse für die Entsendung einer Delegation des EWSA nach Tunesien zum Ausdruck. Herr Galai erinnert daran, dass die EU Tunesien vor und nach der Revolution Beistand geleistet habe; Ben Ali sei zum Teil wegen des Schutzes, den er Europa gegen den Islamismus geboten habe, unterstützt worden. Er bringt sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die finanzielle Unterstützung nach der Revolution ohne Bewertung der früheren Beihilfe organisiert worden sei und dass die Bedingungen für die europäische Hilfe zur Zeit Ben Alis missachtet worden seien. Er warnt vor einem "Eurozentrismus" in den Beziehungen zwischen der EU und Tunesien, damit die Interessen aller geachtet würden. EESC-2015-06625-02-00-PV-TRA (FR) externe Übersetzung 5/6 Zu der Frage, wie das Quartett in der Lage gewesen sei, einen wirksamen Dialog mit den politischen Behörden zu führen, betont er die Bedeutung der gemeinsamen Arbeit zwischen den verschiedenen Vereinigungen, die Schaffung von Vertrauen und die von der Bevölkerung im Rahmen von Demonstrationen vorgetragenen Forderungen nach Veränderungen. Mit Blick auf die Zukunft betont Herr Galai die Notwendigkeit der Sicherheit für das tunesische Volk als Priorität sowie die Achtung der Menschenrechte. Herr Galai weist darauf hin, dass der frühere Wirtschafts- und Sozialrat von Tunesien zwar aufgelöst worden sei, weil er der Regierung nahegestanden habe, dies dennoch nicht bedeuten würde, dass eine solche Institution in Tunesien nicht notwendig sei, denn es sei wichtig, dass eine Konsultation bestehe, und er wies ferner darauf hin, dass dies ein möglicher Weg der Zusammenarbeit mit dem EWSA sein könne. Er erinnert an die Notwendigkeit von Initiativen für die Jugend sowie die Rolle der Bildung und Kultur zur Bekämpfung der Radikalisierung; er weist ferner darauf hin, dass die Verfahren der Mobilität vereinfacht werden müssten, um den Austausch zu ermöglichen. **** Herr Dassis betont zum Abschluss der Debatte die Notwendigkeit der Repräsentativität der beratenden Institutionen und weist darauf hin, dass es im Rahmen der Einrichtung einer solchen Instanz in Tunesien wichtig sei, dass die Mitglieder des Quartetts vertreten seien, und er betont erneut seine Unterstützung zum Aufbau eines neuen Wirtschafts- und Sozialrats in Tunesien, bestehend aus Vertreterorganisationen der Zivilgesellschaft. Er weist darauf hin, dass die EU eine moralische Verpflichtung und ein Interesse habe, Tunesien bei seinem Übergang zu einer dauerhaften Demokratie zu unterstützen, und betont noch einmal mit Nachdruck die Unterstützung der tunesischen Zivilgesellschaft durch den EWSA. _____________ EESC-2015-06625-02-00-PV-TRA (FR) externe Übersetzung 6/6