Lern- und Verhaltensstörungen

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Vorlesung Bildungspsychologie I WS 2008/09
PD Dr. Haci-Halil Uslucan
Herzlich Willkommen
1
Vorlesung Bildungspsychologie I WS 2008/09
PD Dr. Haci-Halil Uslucan
1.
Überblick: Vorlesungsinhalte
Freitag: 24.01.2009:
 Bildung und Erziehung
 Lernstörungen und lernförderliche Umwelten
2
Anlässe von Interventionen:
Lern- und Verhaltensstörungen: Ein Überblick zur Entstehung und
Prävalenz
3
Lern- und Verhaltensstörungen:
Zentral: Beeinträchtigung von kognitiven Leistungen bzw. diese ist
das spezifische Merkmal bei beiden Störungen.
4
Lern- und Verhaltensstörungen:
Wann Lernstörungen?
1.
Diskrepanzkriterium: 1.5 bis 2 SD unterhalb des Altersdurchschnitts, das
bei einer allgemeinen intellektuellen Begabung zu erwarten ist
2. Aus der Einschätzung der Lehrkraft ein Weiterlernen bei diesen
Kompetenzen nicht möglich ist.
5
Lern- und Verhaltensstörungen:
Wann Lernstörungen?
Zeichen einer Störung - und nicht nur eines vorübergehenden Abweichung, wenn
sie von
•
•
•
•
•
Zeit-, kultur- und gruppenspezifischen Erwartungsnormen stark abweichen,
sie über einen längeren Zeitraum - meistens mehrere Monate - anhalten
sich in verschiedenen, also mindestens zwei Lebensbereichen äußern,
die Arbeits- und Interaktionsfähigkeit mit der Umwelt beeinträchtigen,
ohne gezielte pädagogische oder therapeutische Interventionen nicht von
selbst sich wieder zurückbilden.
6
Lern- und Verhaltensstörungen:
Bei Lernstörungen: Schuld vielfach am lernenden identifiziert,
an dessen angeblich fehlender Motivation;
jedoch seltener bspw. an der fehlenden Kompetenz des Lehrers;
an der dysfunktionalen Erziehung der Eltern,
an den beeinträchtigenden Umweltfaktoren.
Lernstörungen aber Wechselwirkungen von Lernendem und seiner sozialen
Umwelt.
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Lern- und Verhaltensstörungen:
Klassische Lernstörungen:
Lese-Rechtschreibschwäche und Rechenschwäche
aber auch: Underachievement
Ausschlusskriterien:
•
•
keine Sinnesstörung
keine längere Abwesenheit von der Schule bzw. kein
unangemessener Schulbesuch
8
Lern- und Verhaltensstörungen:
Klassische Lernstörungen: Lese-Rechtschreibschwäche
Prävalenz:
LRS kommt etwa bei 2.7% aller 8-jährigen Kinder vor;
im Verlauf der Schuljahre nimmt sie zu;
die Quote liegt etwa bei 5 bis 10%.
Anteil von Jungen zu Mädchen: 3:2
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Lern- und Verhaltensstörungen:
Klassische Lernstörungen: Rechenstörungen
Prävalenz:
Rechenstörungen: 4.4 % bis 6.7%
Anteil von Jungen zu Mädchen: 1:2
Bei Rechenstörungen spielt das soziale Milieu eine geringere Rolle als bei
LRS;
dennoch kommen beide bei Kindern in sozial benachteiligten Familien
häufiger vor.
10
Lern- und Verhaltensstörungen:
Bundesweit besuchen etwa 2.5% aller Schüler eine Förderschule mit
Schwerpunkt Lernen;
Quote kombinierter Lernstörüngen (LRS und Dyslexie) bei
Hauptschülern ohne Schulabschluss betrug im Jahre 2004 in
Deutschland ca. 8.4%.
Prävalenz von Underachievern: 5 bis 10% aller Schüler.
11
Lern- und Verhaltensstörungen:
Störungen mit oppositionellem Problemverhalten bei 9 bis 15-jährigen:
4.5% bei Jungen und 2.5% bei Mädchen
höchste Prävalenzrate bei 12 bis 17-jährigen: 7-9% aller Jugendlichen
12
Lern- und Verhaltensstörungen:
Aufmerksamkeitsstörungen: 3 bis 6% aller Schulkinder;
Jungen deutlich stärker (6-9x) als Mädchen davon betroffen;
bei 25 bis 40% der Aufmerksamkeitsgestörten auch delinquente bzw.
antisoziale Verhaltensweisen (Komorbidität).
13
Lern- und Verhaltensstörungen:
Angststörungen: etwa bei 10% der Kinder;
Angststörungen besonders persistent bis ins hohe Erwachsenenalter
und ein gravierender Risikofaktor für die Entwicklung weiterer
Störungen.
Depressionen etwa bei 6%;
Bei Mädchen stärker als bei Jungen; hohes Risiko für suizidale
Verhaltensweisen sowie für Alkohol- und Drogensucht.
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Lern- und Verhaltensstörungen
Erklärungen für die Ätiologie:
Monokausale Erklärungen (biologische wie auch nur soziale) greifen zu
kurz, denn:
1.
Auch biologische Risikofaktoren können Produkt des Verhaltens
sein (z.B. neurologische Störungen des Kindes durch
Substanzgebrauch der Mutter während der Schwangerschaft
verursacht etc.)
2. Umweltbezogene Risiken können vom Kind selbst aktiv arrangiert
worden sein (z.B. Anschluss an eine delinquente Clique, Gruppe
etc.),
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Lern- und Verhaltensstörungen
Erklärungen für die Ätiologie:
Monokausale Erklärungen (biologische wie auch nur soziale) greifen zu
kurz, denn:
3. Dieselben Umweltfaktoren können je nach Kind unterschiedlich
wahrgenommen und unterschiedlich verarbeitet werden,
4. Nicht alle potenziellen Risikofaktoren führen auch bei jedem zu einem
Durchbruch bzw. verursachen eine Störung: Unterschiedliche
Vulnerabilität bzw. unterschiedliche Resilienzfaktoren wirksam.
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Lern- und Verhaltensstörungen
Erklärungen für die Ätiologie:
Multifinalität: derselbe Faktor/Stressor kann zu ganz verschiedenen
Störungen führen
Äquifinalität: verschiedene Faktoren/Stressoren können zu Ausprägung
eines bestimmten Krankheitsbildes führen.
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Lern- und Verhaltensstörungen
Erklärungen für die Ätiologie:
Ko-präsenz von weiteren Risiken nicht nur einfach additiv, sondern quasi
exponential;
Deater-Deckard, Dodge, Bates und Pettit (1998):
Einfluss folgender vier Risikofaktoren auf die Ausbildung von Störungen
des Sozialverhaltens: niedriger sozioökonomischer Status, frühe
körperliche Misshandlung, Zurückweisung durch Gleichaltrige in der
Schule und schwieriges Temperament der Kinder.
Kinder ohne diese Risken entwickelten später nur 7% eine Störung des
Sozialverhaltens;
beim Vorhandensein eines Risikofaktors variierte diese von 11 bis 30%;
bei Vorhandensein aller vier Risikofaktoren betrug die Rate jedoch 57%.
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Lern- und Verhaltensstörungen
Für die Intervention heisst das:
Multimodale Interventionen, die mehrere Ebenen einbeziehen.
+
Interventionen: Abschwächung von Risiken +
Stärkung der Stärken bzw. auf die Förderung von Ressourcen und
Schutzfaktoren.
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Wie kann die Lernmotivation gefördert werden?
Schulkontext:
Cage und Berliner haben explizit für den Unterricht einige
Motivierungstechniken vorgeschlagen:
1. Sage den Schülern präzis, was sie erreichen sollen:
2. Lobe den Schüler:
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Effektives bzw. ineffektives Loben: Effektives Lob:
Wird
Die
kontingent, d.h. planmäßig erteilt
Einzelheiten des Erreichten werden spezifiziert
Äußert
sich spontan; wirkt glaubwürdig; verdeutlicht die klare Zuwendung zum Schüler und
seiner Leistung
Belohnt
das Erreichen unter Einschluss der Bemühungen
Informiert
Stellt
den Schüler über seine Kompetenz oder den Wert seiner Leistung
für Schüler eine Orientierungshilfe dar
Verwendet
frühere Leistungen des Schülers als Kontext zur Beschreibung momentaner
Leistungen
Erkennt
die Anstrengung oder den Erfolg bei für diesen Schüler besonders schwierigen
Aufgaben an
Schreibt
Richtet
Erfolg dem Bemühen und der Fähigkeit des Schülers zu
die Aufmerksamkeit des Schülers auf sein aufgabenbezogenes Verhalten
21
Wie kann die Lernmotivation gefördert werden?
Schulkontext:
Cage und Berliner haben explizit für den Unterricht einige
Motivierungstechniken vorgeschlagen:
3. Verwende Tests und Noten mit Bedacht
4. Spannung, Entdeckung, Neugier wecken
5. Tue gelegentlich etwa Unerwartetes
6. „Appetit anreizen“ (1001-Nacht-Gschichten)
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Wie kann die Lernmotivation gefördert werden?
Schulkontext:
Cage und Berliner haben explizit für den Unterricht einige
Motivierungstechniken vorgeschlagen:
7. Verwende Bekanntes als Beispiele
8. Wende das Gelernte auch an
9. Verwende Simulationen oder Spiele im Unterricht
10. Verringere die Attraktivität konkurrierender Motivierungssysteme
11. Minimiere unangenehme Konsequenzen der Schüler bei der
Beteiligung am Unterricht
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Wie kann die Lernmotivation gefördert werden?
Kontext Familie:
Einfluss der Familie auf die Lernmotivation:
Bedeutung der Familie für die Genese motivationaler Orientierungen
recht spät, erst ab den 90-er Jahren intensiv erforscht;
In neueren Studien (Ginsburg & Bronstein, 1993; Grolnick & Ryan,
1989) empirisch belegt:
elterliche Autonomieunterstützung hat eine motivfördernde Wirkung
elterliche Kontrolle hat eine demotivierende Wirkung.
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Wie kann die Lernmotivation gefördert werden?
Kontext Familie:
Einfluss der Familie auf die Lernmotivation:
Vor dem Hintergrund der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan
hat Wild versicht, die familialen bzw. erzieherischen Haltungen zu
eruieren, die Einfluss auf die Lernmotivation des Kindes haben.
Studie mit 169 Schülern: Alter 11 bis 14 Jahre (M = 12,6 J.);
Fragebogenuntersuchung
25
Tabelle: Zusammenhänge zwischen Instruktionsverhalten von Lehrern,
elterlichem Schulengagement und der intrinsischen und extrinsischen
Schülermotivation (Wild, 2001)
Verhaltensdimension
Autonomieunterstützung
Kontrolle
Struktur
Emotionale Zuwendung
Stimulation
Intrinsische Motivation
Extrinsische Motivation
Lehrer
.48**
.26**
Eltern
.27**
-.02
Lehrer
-.08
.20**
Eltern
.04
.27**
Lehrer
.24**
.04
Eltern
.17*
.13
Lehrer
.48**
.22**
Eltern
.33**
-.01
Lehrer
.45**
.13*
Eltern
.34**
.05
** p<.01; *p<.05
26
Wie kann die Lernmotivation gefördert werden?
Kontext Familie:
Einfluss der Familie auf die Lernmotivation:
Ergebnisse:
Schüler waren umso stärker intrinsisch motiviert:
•
je eher die Lehrer aus ihrer Sicht eine
autonomieunterstützende Form des Umgangs pflegten,
•
sie über den Unterricht hinausgehndes persönliches
Interesse an den Schülern zeigten,
•
für ein hohes Maß an Stimulation und gut strukturierten
Unterricht durchführten.
Schüler waren dagegen umso stärker extrinsisch motiviert, je mehr sie
sich vom Lehrer kontrolliert fühlten.
27
Wie kann die Lernmotivation gefördert werden?
Kontext Familie:
Ergebnisse:
nicht nur die Merkmale des Lehrerverhaltens, sondern auch der
elterliche Umgang mit schulischen Belangen hat einen
substanziellen Beitrag zur Aufklärung von Unterschieden in der
Lernmotivation.
Schulische und familiale Bedingungen wirkten sich als
kompensatorisch bzw. ergänzend auf die Lernmotivation aus.
Implikation: Förderungen in den jeweiligen Kontexten können die
Defizite im jeweils anderen Kontext zum Teil aufheben
28
1. Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten
und Schulmerkmalen
Was ist die Rolle der Bildungsinstitutionen für die Entwicklung
kognitiver Fähigkeiten?
Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten
und Schulmerkmalen – Schulform, Schul- und Unterrichtsqualität,
Ausbildungsdauer etc. – meist geringer als die Korrelationen zur
Bildungsnähe des Elternhauses (Good & Brophy, 1986).
29
1. Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten und
Schulmerkmalen
Was ist die Rolle der Bildungsinstitutionen für die Entwicklung
kognitiver Fähigkeiten?
Vorfähigkeiten der Schüler und Persönlichkeitsmerkmale am
aussagekräftigsten zur Prädiktion der Schulleistung;
Metaanalyse von Wang, Hertel und Walberg (1993):
für Schulleistungen sind proximale Variablen (individuelle
Schülermerkmale, einzelne Unterrichtsmerkmale)
erklärungsmächtiger als distale Variablen (überindividuelle
Schulkultur, Schulorganisation).
30
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Schulunterricht in den meisten Ländern verbreitet:
explizite und implizite Inhalte des schulischen Lernens jedoch
gelegentlich im Konflikt mit herkömmlichen Werten.
Bspw.: Selbstständiges Denken und Infragestellen herkömmlicher
Antworten oft als unerwünscht.
Wober (1984): Intelligenz-Begriff traditioneller Kulturen in Uganda.
Intelligenz: „Respekt vor den Älteren“, „Achtung der Eltern“,
„Geschichte des Landes auswendig kennen“,
31
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Gehorsam rangiert vor akademischen Fähigkeiten als Indikator für
Intelligenz.
Dienst an bestehenden Normen und Werten, an der Wahrung der
Tradition, ihrer Sitten und Gebräuche wird honoriert,
Stabilität und Harmonie stehen vor Innovation und Individualität.
Kulturelle Werte
Erziehungsverhalten und
Schulunterricht
kognitiver Fähigkeiten.
Auswirkungen auf Form und Ausprägung
32
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
In prämodernen Gesellschaften liegen häufig – aus westlicher
Sicht betrachtet - defizitäre Unterrichtsbedingungen vor:
•
•
•
•
•
•
•
Probleme in der Schulorganisation (Schulverwaltung,
Durchsetzung der Schulpflicht usw.),
veraltete Curricula,
schlechte Ausstattung (fehlende Tische, Stühle und
Schulbücher),
hohe Absentismusrate (Tippelt, 2002),
ungünstiges Schüler-Lehrer-Verhältnis (z.B. wird für
Tansania etwa ein Verhältnis von 45:1 angegeben),
oft ist Schulgeld zu bezahlen,
und häufig Regelschulzeit deutlich kürzer (in der Türkei
bspw. bis 1998 nur eine fünfjährige Schulpflicht).
33
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Neben schwierigen Unterrichtsbedingungen:
Oft auch der praktizierte Schulunterricht lernpsychologisch für den
Erwerb kognitiver Fähigkeiten eher ungünstig:
Bspw.: In einigen afrikanischen und arabischen Gesellschaften Wert
auf mündliches Lernen und Auswendiglernen (vgl. Müller, 2002);
Orale vs. Literale Kulturen
Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit vs. Wahrheit;
Dagegen: Verstehen und Anwenden eher marginale Aspekte.
34
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Korrektes Wiedergeben (Stoffmemorierung statt Verständnis);
Respekt sowie Gehorsam stellen wichtigere Orientierungen dar als
selbstständiges Denken.
Trotz suboptimaler Bedingungen: deutlicher Intelligenzgewinn
durch Schulbesuch nachweisbar.
35
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im
Kulturvergleich
Rindermann: extreme Unterschiede in den gemessenen
Intelligenztestergebnissen bei jugendlichen und erwachsenen
Yanomani-Indianern:
Nicht beschulte Yanomani konnten Aufgaben eines einfachen
Intelligenztests (SPM) trotz verschiedener Instruktionsvarianten
(sprachliche Erklärung auf Portugiesisch und Yanomani,
gestische Erklärung, mehrfache Durchführung, Hilfe eines dort
lebenden Betreuers) nicht lösen (Rindermann, 2002).
36
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Neben dem Fehlen der Schule: auch kulturelle Unterschiede
Yanomani verfügen über keine Schriftsprache und kein komplexes
Zahlensystem.
Schrift wie Zahl bilden die stoffliche, materielle Basis für Sprache
und Mathematik, wodurch in der Regel hypothetisches,
kontextfreies und formales Denken gefördert wird.
Yanomani - Indianer sind in ihrer visuellen Wahrnehmung und in
ihrem Denken nicht geübt im Umgang mit abstrakten Zeichen, mit
Schrift, Zahlen und Ziffern.
37
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Relativ unstrittig:
mehr Unterricht pro Jahr und längerer Unterricht im Leben eines
Heranwachsenden wirken sich positiv auf kognitive Fähigkeiten
aus (Ceci, 1991).
Deshalb Förderempfehlung:
a) möglichst viele Kinder ab möglichst jungem Alter möglichst lange
mit hoher Jahresunterrichtsstundenzahl sollten eine Schule
besuchen.
Hieran sollte sich eine weitere formale Ausbildung (Lehre,
Studium) anschließen;
38
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
b) Unterricht darf nicht ausfallen;
bei Erkrankung eines Lehrers sollte der Unterrichtsinhalt durch
einen anderen Lehrer vermittelt werden (nicht nur bloße
Aufsicht).
39
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Kognitive Fähigkeiten fördernde Schulen nach Good und Brophy:
Zwischen guten und schlechten Schulen gibt es innerhalb der USA
bei gleichem sozio-ökonomischen Status der Herkunftsfamilien
Unterschiede von d = 1 in Schülerleistungen.
Eine gute Schule bedeutet:
•
•
•
•
•
starke Führung: Direktor führt und macht Unterrichtsbesuche,
hohe Erwartungen an die Schülerleistung aller Schüler,
Anerkennung des Schülererfolges,
klare Ziele,
klare Leistungsstandards,
40
2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich
Kognitive Fähigkeiten fördernde Schulen nach Good und Brophy:
Eine gute Schule bedeutet:
• maximalisierte Lernzeit wird für Unterricht genutzt,
• Evaluation des Lernfortschritts,
• die Schule fühlt sich für Lernerfolge aller ihrer Schüler
verantwortlich,
• Lehrerweiterbildung,
• gute Atmosphäre, elterliche Unterstützung und Einbeziehung sowie
ein hohes Schulethos.
Klassengröße war dagegen innerhalb gewisser Grenzen eher
unwichtig.
41
Eine kleine Pause?
42
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Neben schulstrukturellen Maßnahmen spielt auch die Person des
Lehrers sowie die Unterrichtsqualität eine große Rolle.
43
Zunächst sind Sie gefragt:
Ihre Schule hat gerade einen Preis bekommen, bei dem einige Ihrer Kollegen
für die gute Lehre prämiert werden; es ist noch nicht klar, wer den Preis
bekommen wird.
Sie als junger Lehrer/in sitzen mit in der Kommission bei der Preisvergabe
nächste Woche. Sie möchten sich darauf vorbereiten und stellen sich
folgende Fragen:
1. Was müssen Sie wissen, um bei dem Treffen sachkundig argumentieren und
eine faire Entscheidung treffen zu können?
2. Was zeichnet guten Unterricht aus?
3. Was sagt aus Ihrer Sicht hierzu die Forschung?
(Vgl. Woolfolk, 2008)
44
These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig.
Studie in den USA (Harme & Pienta, 2001):
Vorschulkinder bis zur achten Schulklasse beobachtet:
Lehrer-Schüler-Beziehung in der Vorschule eine bedeutende Vorhersagekraft,
was Schulleistungen und Schülerverhalten betraf.
Operationalisiert wurde die Beziehung über Ausmaß von Konflikten,
Abhängigkeit des Kindes vom Lehrer, Zuneigung des Lehrers zum Kind.
45
These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig.
Trotz Kontrolle von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, kognitive
Kompetenzen sagte die Beziehung einige Aspekte des Schulerfolges vorher.
Insbesondere Problemschüler (Verhaltensauffälligkeiten in der Vorschule)
profitierten am meisten von einer guten Beziehung und gutem Unterricht
des Lehrers.
Auch Korrelationen zwischen Lehrerqualität und Schülerleistungen:
Schüler, die von fachlich gut qualifizierten Lehrern sowie von Lehrern, die
ihr eigenes Studienfach unterrichteten, angeleitet wurden, hatten bessere
Leistungen:
(Vgl. Woolfolk, 2008)
46
These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig.
Einige Beispiele guter Lehrer aus der Praxis:
Eine Grundschullehrerin mit 25 Kindern, die größtenteils einen
Migrationshintergrund (in den USA) aufweisen (d.h. sie kommen aus der
Dom. Republik, Nikaragua, Mexiko, Puerto Rico und Honduras):
bei Schuleintritt sprachen die Kinder kein Englisch; am Ende des ersten
Schuljahres wurden sie soweit gefördert, dass sie alle in eine Regelklasse
wechseln konnten.
Wie machte sie das?
47
These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig.
Einige Beispiele guter Lehrer aus der Praxis:
•
Zunächst war der Unterricht auf spanisch, damit sie von allen Schülern
verstanden wurde; allmählich ging sie ins Englische über.
•
Auch ermutigte sie die Kinder, sich zu ihrer spanisch-sprachigen Herkunft zu
bekennen sowie jede Möglichkeit zu nutzen, um englisch zu sprechen.
Sie stellte allen Kindern ausreichend Material zur Verfügung; auch solchen
Kindern, die von Zuhause aus mit wenig Stiften, Scheren, Blätter etc. versorgt
waren.
Sie setzte viel Musik und Rhythmik ein; betonte und intonierte besonders,
damit die Kinder die englische Aussprache besser lernten und
um ihre Schüler besser kennenzulernen, machte sie mindestens einmal im
Jahr Hausbesuche bei ihnen.
(Vgl. Woolfolk, 2008)
•
•
•
48
Wer war Ihr guter Lehrer/Ihre gute Lehrerin?
Beschreiben Sie Sie ihn/sie mal.
49
Was müssen gute Lehrer können:
1. Fachlich gut qualifiziert sein; ihr Fachgebiet systematisch kennen.
2.
Es reicht nicht allein, richtige und falsche Antworten der Schüler
auseinander zu halten, sondern gute Lehrer, „Experten“, können auch
hinter den unterschiedlich falschen Antworten der Schüler eine Systematik
erkennen und auf diese besonderen Schwächen der Schüler eingehen.
Darüber hinaus müssen sie folgende Qualifikationen mitbringen:
50
(Vgl. Woolfolk, 2008)
51
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Neben schulstrukturellen Maßnahmen spielt auch die
Unterrichtsqualität eine große Rolle.
Gute Lehrer überwachen den Wissensfortschritt,
vermitteln zeiteffektiv viel Unterrichtsstoff,
steuern Unterrichtsprozesse und Wissensvermittlung,
führen die Klasse lernzielorientiert und setzen themenadäquat
offene Unterrichtsformen ein.
52
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Typische Schul- und Unterrichtssituationen:
1.
Situation: Welche Methode soll der Lehrer einsetzen, um Schüler für das
Vorlesen im Unterricht auszuwählen?
Antwort des gesunden Menschenverstandes:
Je nach Zufallsprinzip die Schüler aufrufen, damit jeder darauf gefasst sein kann,
jederzeit vom Lehrer aufgerufen zu werden und so mit voller Aufmerksamkeit
dem Unterricht folgt.
Bei einer bestimmten Reihenfolge könnten sich die Schüler ja ausrechnen, wann
sie dran kommen und bis dahin eher weniger aufmerksam sein.
53
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Typische Schul- und Unterrichtssituationen:
1.
Situation: Welche Methode soll der Lehrer einsetzen, um Schüler für das
Vorlesen im Unterricht auszuwählen?
Antwort der Forschung:
Ogden, Brophy & Evertson (1977) zeigten bereits vor längerer Zeit, dass bspw. in
der ersten Klasse im Vorlesen die Schüler bessere Leistungen zeigten, wenn sie
im Kreis der Reihe nach vorgelesen hatten; jeder Schüler sollte gleich viel lesen
und gleich häufig Rückmeldung erhalten.
54
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Typische Schul- und Unterrichtssituationen:
2. Situation: Wann sollte der Lehrer leistungsschwachen Schülern helfen?
Antwort des gesunden Menschenverstandes:
Lehrer sollen ihre Hilfe oft anbieten, weil leistungsschwache Schüler selber
nicht erkennen können, wann sie eine Hilfe brauchen und sich eventuell
schämen, von sich aus nach Hilfe zu fragen.
(Vgl. Woolfolk, 2008)
55
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Typische Schul- und Unterrichtssituationen:
2. Situation: Wann sollte der Lehrer leistungsschwachen Schülern helfen?
Antwort der Forschung:
Graham (1996) stellte fest, dass Hilfen, die gegeben wurden, noch bevor der
Schüler darum bat, eher kontraproduktiv waren.
Die anderen Schüler nahmen an, dass der Lehrer diesem Schüler nicht zutraue, die
Aufgaben selber zu lösen; ungünstigere Attributionsprozesse („Ich bin
unfähig“) und geringere Leistungsmotivation waren die Folge.
56
Was wünschen sich Schüler von einem „guten Lehrer“?
Ratschläge einer ersten Klasse an ihre Lehrerpraktikanten und –praktikantinnen.
(Vgl. Woolfolk, 2008)
57
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Dennoch: bei schwächeren und jüngeren Schülern: eher eine
unterstützende Kontrolle notwendig (Korrelation mit
Leistungszuwachs bei Weinert r =.32),
der Unterricht muss hier stärker lehrergeleitet und schülerzentriert
sein.
Eine zentrale Größe:
Struktur und Klarheit (z.B. bei Weinert, Schrader & Helmke, 1989,
Klarheit r = .39 mit Schülerkompetenzen).
58
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Lernen von verschiedenen Kontextfaktoren abhängig, die im
Unterricht verschieden gestaltet werden können;
Lernumgebung besteht in der Regel aus den Komponenten:
• Unterrichtsmethoden und Unterrichtstechniken
• Lernmaterialen
• Medien
59
3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht
Unterricht nicht nur Vermittlung von Wissen;
Dem Unterricht liegen grundsätzlich als übergeordnete Ziele auch
stets Fragen der Bildung bzw. der gesellschaftlichen Auffassung
von einem „gebildeten Bürger“ zugrunde.
Unterricht, Lehre hat neben Wissensanreicherung auch immer eine
persönlichkeitsprägende Wirkung auf die Lernenden:
Er hat nicht nur kognitive Folgen, sondern auch emotionale, soziale
und andere persönlichkeitsformative Prozesse eingeleitet.
60
Wirksame Lernstrategien ausserhalb des Unterrichts
Förderung kognitiver Fähigkeiten aus einer
lebensspannenübergreifenden Perspektive:
Beschäftigung mit kognitiv anspruchsvollen Aufgaben
•
•
•
•
•
in Beruf und Freizeit,
Weiterbildung,
das Lernen von Sprachen,
Einarbeitung in Computerprogramme,
Lesen von anspruchsvollerer Literatur und Zeitungen etc. fördern
kognitive Fähigkeiten, Wissen und Expertise.
61
Wirksame Lernstrategien ausserhalb des Unterrichts
Förderung kognitiver Fähigkeiten aus einer
lebensspannenübergreifenden Perspektive:
Vor allem im Alter :
Sich kognitiven Herausforderungen stellen, um Alterungsprozesse durch
Strategien und Expertise auszugleichen
Möglichkeiten hierfür:
Volkshochschulen,
Seniorenstudium oder ein reguläres Studium dar.
Personen mit hohen kognitiven Fähigkeiten sind bei der
Kompensation und Herauszögerung von kognitiven
Alterungsprozessen im Vorteil (vgl. Weinert, 1992).
62
Wirksame Lernstrategien ausserhalb des Unterrichts
Merke:
Kluge leben länger
Frauen leben länger
Kluge Frauen leben am längsten
63
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
und nun Schluß, sonst...
64
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