Vorlesung Bildungspsychologie I WS 2008/09 PD Dr. Haci-Halil Uslucan Herzlich Willkommen 1 Vorlesung Bildungspsychologie I WS 2008/09 PD Dr. Haci-Halil Uslucan 1. Überblick: Vorlesungsinhalte Freitag: 24.01.2009: Bildung und Erziehung Lernstörungen und lernförderliche Umwelten 2 Anlässe von Interventionen: Lern- und Verhaltensstörungen: Ein Überblick zur Entstehung und Prävalenz 3 Lern- und Verhaltensstörungen: Zentral: Beeinträchtigung von kognitiven Leistungen bzw. diese ist das spezifische Merkmal bei beiden Störungen. 4 Lern- und Verhaltensstörungen: Wann Lernstörungen? 1. Diskrepanzkriterium: 1.5 bis 2 SD unterhalb des Altersdurchschnitts, das bei einer allgemeinen intellektuellen Begabung zu erwarten ist 2. Aus der Einschätzung der Lehrkraft ein Weiterlernen bei diesen Kompetenzen nicht möglich ist. 5 Lern- und Verhaltensstörungen: Wann Lernstörungen? Zeichen einer Störung - und nicht nur eines vorübergehenden Abweichung, wenn sie von • • • • • Zeit-, kultur- und gruppenspezifischen Erwartungsnormen stark abweichen, sie über einen längeren Zeitraum - meistens mehrere Monate - anhalten sich in verschiedenen, also mindestens zwei Lebensbereichen äußern, die Arbeits- und Interaktionsfähigkeit mit der Umwelt beeinträchtigen, ohne gezielte pädagogische oder therapeutische Interventionen nicht von selbst sich wieder zurückbilden. 6 Lern- und Verhaltensstörungen: Bei Lernstörungen: Schuld vielfach am lernenden identifiziert, an dessen angeblich fehlender Motivation; jedoch seltener bspw. an der fehlenden Kompetenz des Lehrers; an der dysfunktionalen Erziehung der Eltern, an den beeinträchtigenden Umweltfaktoren. Lernstörungen aber Wechselwirkungen von Lernendem und seiner sozialen Umwelt. 7 Lern- und Verhaltensstörungen: Klassische Lernstörungen: Lese-Rechtschreibschwäche und Rechenschwäche aber auch: Underachievement Ausschlusskriterien: • • keine Sinnesstörung keine längere Abwesenheit von der Schule bzw. kein unangemessener Schulbesuch 8 Lern- und Verhaltensstörungen: Klassische Lernstörungen: Lese-Rechtschreibschwäche Prävalenz: LRS kommt etwa bei 2.7% aller 8-jährigen Kinder vor; im Verlauf der Schuljahre nimmt sie zu; die Quote liegt etwa bei 5 bis 10%. Anteil von Jungen zu Mädchen: 3:2 9 Lern- und Verhaltensstörungen: Klassische Lernstörungen: Rechenstörungen Prävalenz: Rechenstörungen: 4.4 % bis 6.7% Anteil von Jungen zu Mädchen: 1:2 Bei Rechenstörungen spielt das soziale Milieu eine geringere Rolle als bei LRS; dennoch kommen beide bei Kindern in sozial benachteiligten Familien häufiger vor. 10 Lern- und Verhaltensstörungen: Bundesweit besuchen etwa 2.5% aller Schüler eine Förderschule mit Schwerpunkt Lernen; Quote kombinierter Lernstörüngen (LRS und Dyslexie) bei Hauptschülern ohne Schulabschluss betrug im Jahre 2004 in Deutschland ca. 8.4%. Prävalenz von Underachievern: 5 bis 10% aller Schüler. 11 Lern- und Verhaltensstörungen: Störungen mit oppositionellem Problemverhalten bei 9 bis 15-jährigen: 4.5% bei Jungen und 2.5% bei Mädchen höchste Prävalenzrate bei 12 bis 17-jährigen: 7-9% aller Jugendlichen 12 Lern- und Verhaltensstörungen: Aufmerksamkeitsstörungen: 3 bis 6% aller Schulkinder; Jungen deutlich stärker (6-9x) als Mädchen davon betroffen; bei 25 bis 40% der Aufmerksamkeitsgestörten auch delinquente bzw. antisoziale Verhaltensweisen (Komorbidität). 13 Lern- und Verhaltensstörungen: Angststörungen: etwa bei 10% der Kinder; Angststörungen besonders persistent bis ins hohe Erwachsenenalter und ein gravierender Risikofaktor für die Entwicklung weiterer Störungen. Depressionen etwa bei 6%; Bei Mädchen stärker als bei Jungen; hohes Risiko für suizidale Verhaltensweisen sowie für Alkohol- und Drogensucht. 14 Lern- und Verhaltensstörungen Erklärungen für die Ätiologie: Monokausale Erklärungen (biologische wie auch nur soziale) greifen zu kurz, denn: 1. Auch biologische Risikofaktoren können Produkt des Verhaltens sein (z.B. neurologische Störungen des Kindes durch Substanzgebrauch der Mutter während der Schwangerschaft verursacht etc.) 2. Umweltbezogene Risiken können vom Kind selbst aktiv arrangiert worden sein (z.B. Anschluss an eine delinquente Clique, Gruppe etc.), 15 Lern- und Verhaltensstörungen Erklärungen für die Ätiologie: Monokausale Erklärungen (biologische wie auch nur soziale) greifen zu kurz, denn: 3. Dieselben Umweltfaktoren können je nach Kind unterschiedlich wahrgenommen und unterschiedlich verarbeitet werden, 4. Nicht alle potenziellen Risikofaktoren führen auch bei jedem zu einem Durchbruch bzw. verursachen eine Störung: Unterschiedliche Vulnerabilität bzw. unterschiedliche Resilienzfaktoren wirksam. 16 Lern- und Verhaltensstörungen Erklärungen für die Ätiologie: Multifinalität: derselbe Faktor/Stressor kann zu ganz verschiedenen Störungen führen Äquifinalität: verschiedene Faktoren/Stressoren können zu Ausprägung eines bestimmten Krankheitsbildes führen. 17 Lern- und Verhaltensstörungen Erklärungen für die Ätiologie: Ko-präsenz von weiteren Risiken nicht nur einfach additiv, sondern quasi exponential; Deater-Deckard, Dodge, Bates und Pettit (1998): Einfluss folgender vier Risikofaktoren auf die Ausbildung von Störungen des Sozialverhaltens: niedriger sozioökonomischer Status, frühe körperliche Misshandlung, Zurückweisung durch Gleichaltrige in der Schule und schwieriges Temperament der Kinder. Kinder ohne diese Risken entwickelten später nur 7% eine Störung des Sozialverhaltens; beim Vorhandensein eines Risikofaktors variierte diese von 11 bis 30%; bei Vorhandensein aller vier Risikofaktoren betrug die Rate jedoch 57%. 18 Lern- und Verhaltensstörungen Für die Intervention heisst das: Multimodale Interventionen, die mehrere Ebenen einbeziehen. + Interventionen: Abschwächung von Risiken + Stärkung der Stärken bzw. auf die Förderung von Ressourcen und Schutzfaktoren. 19 Wie kann die Lernmotivation gefördert werden? Schulkontext: Cage und Berliner haben explizit für den Unterricht einige Motivierungstechniken vorgeschlagen: 1. Sage den Schülern präzis, was sie erreichen sollen: 2. Lobe den Schüler: 20 Effektives bzw. ineffektives Loben: Effektives Lob: Wird Die kontingent, d.h. planmäßig erteilt Einzelheiten des Erreichten werden spezifiziert Äußert sich spontan; wirkt glaubwürdig; verdeutlicht die klare Zuwendung zum Schüler und seiner Leistung Belohnt das Erreichen unter Einschluss der Bemühungen Informiert Stellt den Schüler über seine Kompetenz oder den Wert seiner Leistung für Schüler eine Orientierungshilfe dar Verwendet frühere Leistungen des Schülers als Kontext zur Beschreibung momentaner Leistungen Erkennt die Anstrengung oder den Erfolg bei für diesen Schüler besonders schwierigen Aufgaben an Schreibt Richtet Erfolg dem Bemühen und der Fähigkeit des Schülers zu die Aufmerksamkeit des Schülers auf sein aufgabenbezogenes Verhalten 21 Wie kann die Lernmotivation gefördert werden? Schulkontext: Cage und Berliner haben explizit für den Unterricht einige Motivierungstechniken vorgeschlagen: 3. Verwende Tests und Noten mit Bedacht 4. Spannung, Entdeckung, Neugier wecken 5. Tue gelegentlich etwa Unerwartetes 6. „Appetit anreizen“ (1001-Nacht-Gschichten) 22 Wie kann die Lernmotivation gefördert werden? Schulkontext: Cage und Berliner haben explizit für den Unterricht einige Motivierungstechniken vorgeschlagen: 7. Verwende Bekanntes als Beispiele 8. Wende das Gelernte auch an 9. Verwende Simulationen oder Spiele im Unterricht 10. Verringere die Attraktivität konkurrierender Motivierungssysteme 11. Minimiere unangenehme Konsequenzen der Schüler bei der Beteiligung am Unterricht 23 Wie kann die Lernmotivation gefördert werden? Kontext Familie: Einfluss der Familie auf die Lernmotivation: Bedeutung der Familie für die Genese motivationaler Orientierungen recht spät, erst ab den 90-er Jahren intensiv erforscht; In neueren Studien (Ginsburg & Bronstein, 1993; Grolnick & Ryan, 1989) empirisch belegt: elterliche Autonomieunterstützung hat eine motivfördernde Wirkung elterliche Kontrolle hat eine demotivierende Wirkung. 24 Wie kann die Lernmotivation gefördert werden? Kontext Familie: Einfluss der Familie auf die Lernmotivation: Vor dem Hintergrund der Selbstbestimmungstheorie von Deci & Ryan hat Wild versicht, die familialen bzw. erzieherischen Haltungen zu eruieren, die Einfluss auf die Lernmotivation des Kindes haben. Studie mit 169 Schülern: Alter 11 bis 14 Jahre (M = 12,6 J.); Fragebogenuntersuchung 25 Tabelle: Zusammenhänge zwischen Instruktionsverhalten von Lehrern, elterlichem Schulengagement und der intrinsischen und extrinsischen Schülermotivation (Wild, 2001) Verhaltensdimension Autonomieunterstützung Kontrolle Struktur Emotionale Zuwendung Stimulation Intrinsische Motivation Extrinsische Motivation Lehrer .48** .26** Eltern .27** -.02 Lehrer -.08 .20** Eltern .04 .27** Lehrer .24** .04 Eltern .17* .13 Lehrer .48** .22** Eltern .33** -.01 Lehrer .45** .13* Eltern .34** .05 ** p<.01; *p<.05 26 Wie kann die Lernmotivation gefördert werden? Kontext Familie: Einfluss der Familie auf die Lernmotivation: Ergebnisse: Schüler waren umso stärker intrinsisch motiviert: • je eher die Lehrer aus ihrer Sicht eine autonomieunterstützende Form des Umgangs pflegten, • sie über den Unterricht hinausgehndes persönliches Interesse an den Schülern zeigten, • für ein hohes Maß an Stimulation und gut strukturierten Unterricht durchführten. Schüler waren dagegen umso stärker extrinsisch motiviert, je mehr sie sich vom Lehrer kontrolliert fühlten. 27 Wie kann die Lernmotivation gefördert werden? Kontext Familie: Ergebnisse: nicht nur die Merkmale des Lehrerverhaltens, sondern auch der elterliche Umgang mit schulischen Belangen hat einen substanziellen Beitrag zur Aufklärung von Unterschieden in der Lernmotivation. Schulische und familiale Bedingungen wirkten sich als kompensatorisch bzw. ergänzend auf die Lernmotivation aus. Implikation: Förderungen in den jeweiligen Kontexten können die Defizite im jeweils anderen Kontext zum Teil aufheben 28 1. Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten und Schulmerkmalen Was ist die Rolle der Bildungsinstitutionen für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten? Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten und Schulmerkmalen – Schulform, Schul- und Unterrichtsqualität, Ausbildungsdauer etc. – meist geringer als die Korrelationen zur Bildungsnähe des Elternhauses (Good & Brophy, 1986). 29 1. Zusammenhänge zwischen individuellen kognitiven Fähigkeiten und Schulmerkmalen Was ist die Rolle der Bildungsinstitutionen für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten? Vorfähigkeiten der Schüler und Persönlichkeitsmerkmale am aussagekräftigsten zur Prädiktion der Schulleistung; Metaanalyse von Wang, Hertel und Walberg (1993): für Schulleistungen sind proximale Variablen (individuelle Schülermerkmale, einzelne Unterrichtsmerkmale) erklärungsmächtiger als distale Variablen (überindividuelle Schulkultur, Schulorganisation). 30 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Schulunterricht in den meisten Ländern verbreitet: explizite und implizite Inhalte des schulischen Lernens jedoch gelegentlich im Konflikt mit herkömmlichen Werten. Bspw.: Selbstständiges Denken und Infragestellen herkömmlicher Antworten oft als unerwünscht. Wober (1984): Intelligenz-Begriff traditioneller Kulturen in Uganda. Intelligenz: „Respekt vor den Älteren“, „Achtung der Eltern“, „Geschichte des Landes auswendig kennen“, 31 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Gehorsam rangiert vor akademischen Fähigkeiten als Indikator für Intelligenz. Dienst an bestehenden Normen und Werten, an der Wahrung der Tradition, ihrer Sitten und Gebräuche wird honoriert, Stabilität und Harmonie stehen vor Innovation und Individualität. Kulturelle Werte Erziehungsverhalten und Schulunterricht kognitiver Fähigkeiten. Auswirkungen auf Form und Ausprägung 32 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich In prämodernen Gesellschaften liegen häufig – aus westlicher Sicht betrachtet - defizitäre Unterrichtsbedingungen vor: • • • • • • • Probleme in der Schulorganisation (Schulverwaltung, Durchsetzung der Schulpflicht usw.), veraltete Curricula, schlechte Ausstattung (fehlende Tische, Stühle und Schulbücher), hohe Absentismusrate (Tippelt, 2002), ungünstiges Schüler-Lehrer-Verhältnis (z.B. wird für Tansania etwa ein Verhältnis von 45:1 angegeben), oft ist Schulgeld zu bezahlen, und häufig Regelschulzeit deutlich kürzer (in der Türkei bspw. bis 1998 nur eine fünfjährige Schulpflicht). 33 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Neben schwierigen Unterrichtsbedingungen: Oft auch der praktizierte Schulunterricht lernpsychologisch für den Erwerb kognitiver Fähigkeiten eher ungünstig: Bspw.: In einigen afrikanischen und arabischen Gesellschaften Wert auf mündliches Lernen und Auswendiglernen (vgl. Müller, 2002); Orale vs. Literale Kulturen Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit vs. Wahrheit; Dagegen: Verstehen und Anwenden eher marginale Aspekte. 34 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Korrektes Wiedergeben (Stoffmemorierung statt Verständnis); Respekt sowie Gehorsam stellen wichtigere Orientierungen dar als selbstständiges Denken. Trotz suboptimaler Bedingungen: deutlicher Intelligenzgewinn durch Schulbesuch nachweisbar. 35 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Rindermann: extreme Unterschiede in den gemessenen Intelligenztestergebnissen bei jugendlichen und erwachsenen Yanomani-Indianern: Nicht beschulte Yanomani konnten Aufgaben eines einfachen Intelligenztests (SPM) trotz verschiedener Instruktionsvarianten (sprachliche Erklärung auf Portugiesisch und Yanomani, gestische Erklärung, mehrfache Durchführung, Hilfe eines dort lebenden Betreuers) nicht lösen (Rindermann, 2002). 36 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Neben dem Fehlen der Schule: auch kulturelle Unterschiede Yanomani verfügen über keine Schriftsprache und kein komplexes Zahlensystem. Schrift wie Zahl bilden die stoffliche, materielle Basis für Sprache und Mathematik, wodurch in der Regel hypothetisches, kontextfreies und formales Denken gefördert wird. Yanomani - Indianer sind in ihrer visuellen Wahrnehmung und in ihrem Denken nicht geübt im Umgang mit abstrakten Zeichen, mit Schrift, Zahlen und Ziffern. 37 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Relativ unstrittig: mehr Unterricht pro Jahr und längerer Unterricht im Leben eines Heranwachsenden wirken sich positiv auf kognitive Fähigkeiten aus (Ceci, 1991). Deshalb Förderempfehlung: a) möglichst viele Kinder ab möglichst jungem Alter möglichst lange mit hoher Jahresunterrichtsstundenzahl sollten eine Schule besuchen. Hieran sollte sich eine weitere formale Ausbildung (Lehre, Studium) anschließen; 38 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich b) Unterricht darf nicht ausfallen; bei Erkrankung eines Lehrers sollte der Unterrichtsinhalt durch einen anderen Lehrer vermittelt werden (nicht nur bloße Aufsicht). 39 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Kognitive Fähigkeiten fördernde Schulen nach Good und Brophy: Zwischen guten und schlechten Schulen gibt es innerhalb der USA bei gleichem sozio-ökonomischen Status der Herkunftsfamilien Unterschiede von d = 1 in Schülerleistungen. Eine gute Schule bedeutet: • • • • • starke Führung: Direktor führt und macht Unterrichtsbesuche, hohe Erwartungen an die Schülerleistung aller Schüler, Anerkennung des Schülererfolges, klare Ziele, klare Leistungsstandards, 40 2. Schule und individuelle kognitive Entwicklung im Kulturvergleich Kognitive Fähigkeiten fördernde Schulen nach Good und Brophy: Eine gute Schule bedeutet: • maximalisierte Lernzeit wird für Unterricht genutzt, • Evaluation des Lernfortschritts, • die Schule fühlt sich für Lernerfolge aller ihrer Schüler verantwortlich, • Lehrerweiterbildung, • gute Atmosphäre, elterliche Unterstützung und Einbeziehung sowie ein hohes Schulethos. Klassengröße war dagegen innerhalb gewisser Grenzen eher unwichtig. 41 Eine kleine Pause? 42 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Neben schulstrukturellen Maßnahmen spielt auch die Person des Lehrers sowie die Unterrichtsqualität eine große Rolle. 43 Zunächst sind Sie gefragt: Ihre Schule hat gerade einen Preis bekommen, bei dem einige Ihrer Kollegen für die gute Lehre prämiert werden; es ist noch nicht klar, wer den Preis bekommen wird. Sie als junger Lehrer/in sitzen mit in der Kommission bei der Preisvergabe nächste Woche. Sie möchten sich darauf vorbereiten und stellen sich folgende Fragen: 1. Was müssen Sie wissen, um bei dem Treffen sachkundig argumentieren und eine faire Entscheidung treffen zu können? 2. Was zeichnet guten Unterricht aus? 3. Was sagt aus Ihrer Sicht hierzu die Forschung? (Vgl. Woolfolk, 2008) 44 These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig. Studie in den USA (Harme & Pienta, 2001): Vorschulkinder bis zur achten Schulklasse beobachtet: Lehrer-Schüler-Beziehung in der Vorschule eine bedeutende Vorhersagekraft, was Schulleistungen und Schülerverhalten betraf. Operationalisiert wurde die Beziehung über Ausmaß von Konflikten, Abhängigkeit des Kindes vom Lehrer, Zuneigung des Lehrers zum Kind. 45 These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig. Trotz Kontrolle von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, kognitive Kompetenzen sagte die Beziehung einige Aspekte des Schulerfolges vorher. Insbesondere Problemschüler (Verhaltensauffälligkeiten in der Vorschule) profitierten am meisten von einer guten Beziehung und gutem Unterricht des Lehrers. Auch Korrelationen zwischen Lehrerqualität und Schülerleistungen: Schüler, die von fachlich gut qualifizierten Lehrern sowie von Lehrern, die ihr eigenes Studienfach unterrichteten, angeleitet wurden, hatten bessere Leistungen: (Vgl. Woolfolk, 2008) 46 These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig. Einige Beispiele guter Lehrer aus der Praxis: Eine Grundschullehrerin mit 25 Kindern, die größtenteils einen Migrationshintergrund (in den USA) aufweisen (d.h. sie kommen aus der Dom. Republik, Nikaragua, Mexiko, Puerto Rico und Honduras): bei Schuleintritt sprachen die Kinder kein Englisch; am Ende des ersten Schuljahres wurden sie soweit gefördert, dass sie alle in eine Regelklasse wechseln konnten. Wie machte sie das? 47 These: Guter Unterricht ist vom Lehrer abhängig. Einige Beispiele guter Lehrer aus der Praxis: • Zunächst war der Unterricht auf spanisch, damit sie von allen Schülern verstanden wurde; allmählich ging sie ins Englische über. • Auch ermutigte sie die Kinder, sich zu ihrer spanisch-sprachigen Herkunft zu bekennen sowie jede Möglichkeit zu nutzen, um englisch zu sprechen. Sie stellte allen Kindern ausreichend Material zur Verfügung; auch solchen Kindern, die von Zuhause aus mit wenig Stiften, Scheren, Blätter etc. versorgt waren. Sie setzte viel Musik und Rhythmik ein; betonte und intonierte besonders, damit die Kinder die englische Aussprache besser lernten und um ihre Schüler besser kennenzulernen, machte sie mindestens einmal im Jahr Hausbesuche bei ihnen. (Vgl. Woolfolk, 2008) • • • 48 Wer war Ihr guter Lehrer/Ihre gute Lehrerin? Beschreiben Sie Sie ihn/sie mal. 49 Was müssen gute Lehrer können: 1. Fachlich gut qualifiziert sein; ihr Fachgebiet systematisch kennen. 2. Es reicht nicht allein, richtige und falsche Antworten der Schüler auseinander zu halten, sondern gute Lehrer, „Experten“, können auch hinter den unterschiedlich falschen Antworten der Schüler eine Systematik erkennen und auf diese besonderen Schwächen der Schüler eingehen. Darüber hinaus müssen sie folgende Qualifikationen mitbringen: 50 (Vgl. Woolfolk, 2008) 51 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Neben schulstrukturellen Maßnahmen spielt auch die Unterrichtsqualität eine große Rolle. Gute Lehrer überwachen den Wissensfortschritt, vermitteln zeiteffektiv viel Unterrichtsstoff, steuern Unterrichtsprozesse und Wissensvermittlung, führen die Klasse lernzielorientiert und setzen themenadäquat offene Unterrichtsformen ein. 52 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Typische Schul- und Unterrichtssituationen: 1. Situation: Welche Methode soll der Lehrer einsetzen, um Schüler für das Vorlesen im Unterricht auszuwählen? Antwort des gesunden Menschenverstandes: Je nach Zufallsprinzip die Schüler aufrufen, damit jeder darauf gefasst sein kann, jederzeit vom Lehrer aufgerufen zu werden und so mit voller Aufmerksamkeit dem Unterricht folgt. Bei einer bestimmten Reihenfolge könnten sich die Schüler ja ausrechnen, wann sie dran kommen und bis dahin eher weniger aufmerksam sein. 53 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Typische Schul- und Unterrichtssituationen: 1. Situation: Welche Methode soll der Lehrer einsetzen, um Schüler für das Vorlesen im Unterricht auszuwählen? Antwort der Forschung: Ogden, Brophy & Evertson (1977) zeigten bereits vor längerer Zeit, dass bspw. in der ersten Klasse im Vorlesen die Schüler bessere Leistungen zeigten, wenn sie im Kreis der Reihe nach vorgelesen hatten; jeder Schüler sollte gleich viel lesen und gleich häufig Rückmeldung erhalten. 54 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Typische Schul- und Unterrichtssituationen: 2. Situation: Wann sollte der Lehrer leistungsschwachen Schülern helfen? Antwort des gesunden Menschenverstandes: Lehrer sollen ihre Hilfe oft anbieten, weil leistungsschwache Schüler selber nicht erkennen können, wann sie eine Hilfe brauchen und sich eventuell schämen, von sich aus nach Hilfe zu fragen. (Vgl. Woolfolk, 2008) 55 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Typische Schul- und Unterrichtssituationen: 2. Situation: Wann sollte der Lehrer leistungsschwachen Schülern helfen? Antwort der Forschung: Graham (1996) stellte fest, dass Hilfen, die gegeben wurden, noch bevor der Schüler darum bat, eher kontraproduktiv waren. Die anderen Schüler nahmen an, dass der Lehrer diesem Schüler nicht zutraue, die Aufgaben selber zu lösen; ungünstigere Attributionsprozesse („Ich bin unfähig“) und geringere Leistungsmotivation waren die Folge. 56 Was wünschen sich Schüler von einem „guten Lehrer“? Ratschläge einer ersten Klasse an ihre Lehrerpraktikanten und –praktikantinnen. (Vgl. Woolfolk, 2008) 57 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Dennoch: bei schwächeren und jüngeren Schülern: eher eine unterstützende Kontrolle notwendig (Korrelation mit Leistungszuwachs bei Weinert r =.32), der Unterricht muss hier stärker lehrergeleitet und schülerzentriert sein. Eine zentrale Größe: Struktur und Klarheit (z.B. bei Weinert, Schrader & Helmke, 1989, Klarheit r = .39 mit Schülerkompetenzen). 58 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Lernen von verschiedenen Kontextfaktoren abhängig, die im Unterricht verschieden gestaltet werden können; Lernumgebung besteht in der Regel aus den Komponenten: • Unterrichtsmethoden und Unterrichtstechniken • Lernmaterialen • Medien 59 3. Lern- und kognitive Förderung durch Unterricht Unterricht nicht nur Vermittlung von Wissen; Dem Unterricht liegen grundsätzlich als übergeordnete Ziele auch stets Fragen der Bildung bzw. der gesellschaftlichen Auffassung von einem „gebildeten Bürger“ zugrunde. Unterricht, Lehre hat neben Wissensanreicherung auch immer eine persönlichkeitsprägende Wirkung auf die Lernenden: Er hat nicht nur kognitive Folgen, sondern auch emotionale, soziale und andere persönlichkeitsformative Prozesse eingeleitet. 60 Wirksame Lernstrategien ausserhalb des Unterrichts Förderung kognitiver Fähigkeiten aus einer lebensspannenübergreifenden Perspektive: Beschäftigung mit kognitiv anspruchsvollen Aufgaben • • • • • in Beruf und Freizeit, Weiterbildung, das Lernen von Sprachen, Einarbeitung in Computerprogramme, Lesen von anspruchsvollerer Literatur und Zeitungen etc. fördern kognitive Fähigkeiten, Wissen und Expertise. 61 Wirksame Lernstrategien ausserhalb des Unterrichts Förderung kognitiver Fähigkeiten aus einer lebensspannenübergreifenden Perspektive: Vor allem im Alter : Sich kognitiven Herausforderungen stellen, um Alterungsprozesse durch Strategien und Expertise auszugleichen Möglichkeiten hierfür: Volkshochschulen, Seniorenstudium oder ein reguläres Studium dar. Personen mit hohen kognitiven Fähigkeiten sind bei der Kompensation und Herauszögerung von kognitiven Alterungsprozessen im Vorteil (vgl. Weinert, 1992). 62 Wirksame Lernstrategien ausserhalb des Unterrichts Merke: Kluge leben länger Frauen leben länger Kluge Frauen leben am längsten 63 Danke für Ihre Aufmerksamkeit! und nun Schluß, sonst... 64