Was ist Sozialpsychologie? Und was nicht? Henrik Singmann Organisatorisches Meine E-Mail: [email protected] Sprechzeiten: nach Vereinbarung/einfach vorbeischauen Teilnahme & Schein Hausarbeit: deutsch oder englisch Fehler bei Literatur hinweisen 23.12. letztes Seminar in diesem Jahr??? 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 2 Worum geht es in diesem Seminar Was ist Sozialpsychologie? - Die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben von Menschen in sozialen Situationen. - Die Wissenschaft vom Verhalten und Erleben von Menschen die sich sozialem Einfluss ausgesetzt fühlen. Grundfrage: Wie interpretiert/ konstruiert das Individuum seine Umwelt und was folgt daraus? - Beispiel: Suizid, Alkoholkonsum bei Jugendlichen, Heiraten Soziologie • Beschäftigt sich mir generellen Gesetzmäßigkeiten und Theorien die für Gesellschaften gelten und nicht für das Individuum 16.05.2016 Sozialpsychologie • Untersucht die psychischen Prozesse, die Menschen gemeinsam sind und die sie für sozialen Einfluss empfänglich machen Persönlichkeitspsychologie/ Differentielle Psychologie • Untersucht die Charakteristiken, die den Einzelnen von anderen unterscheiden und ihn einzigartig machen Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 3 Was will empirische Wissenschaft? Empirie - von griechisch empeiria: Erfahrung, Erfahrungswissen Ziel: "Dass ich erkenne, was die Welt - Im Innersten zusammenhält." - Faust I, Vers 382 f. / Faust, Goethe Regularien oder kausale Zusammenhänge zwischen Objekten und Sachverhalten der Welt entdecken. Wichtigste Bausteine: Erhebung von Daten im Feld (z.B. Beobachtung) oder Labor (z.B. Experiment) 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 4 Purity 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 5 Was ist Wissenschaft I: Gemeinsame Werte Akkuratheit – sorgfältiges, präzises sammeln von Informationen/Daten Objektivität – so neutral und unvoreingenommen wie möglich gesammelte Informationen bewerten Skeptizismus – nur replizierten Ergebnissen trauen Open-Mindedness – durch überzeugende Evidenz seine Einstellung/Sichtweise ändern lassen 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 6 Was ist Wissenschaft I: Gemeinsame Werte Akkuratheit – sorgfältiges, präzises sammeln "Eine neue wissenschaftliche von Informationen/Daten Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise Objektivität – so neutral und durchzusetzen, daß ihre unvoreingenommen wie möglich gesammelte Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern Informationen bewerten dadurch, daß ihre Gegner vielmehr Skeptizismus – nur replizierten Ergebnissen allmählich aussterben und daß die trauen heranwachsende Generation von vornherein Open-Mindedness – durch überzeugende mit der Wahrheit vertraut gemacht Evidenz seine ist." Einstellung/Sichtweise ändern lassen Max Planck, 1858 - 1947 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 7 Was ist Wissenschaft II: Wissenschaftliche Methode – Das Problem Induktionsproblem: Aus einer Reihe Einzelbeobachtungen ein allgemeines Gesetz machen ist unmöglich. Beispiele: Geht die Sonne morgen auf? Sind alle Schwäne weiß? „Man kann nicht mehr wissen, als man weiß.“ Karl Popper, 1902 - 1994 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 8 Was ist Wissenschaft II: Wissenschaftliche Methode – Eine Lösung: Falsifikationsismus Wissenschaftliche Theorien müssen nicht belegbar, sondern widerlegbar (falsifizierbar) sein können, d.h. wissenschaftliche Theorien müssen an der Empirie scheitern können. Vorgehen: Aus Theorie folgt eine empirische Vorhersage. Es wird überprüft ob diese Eintritt. Wenn nicht, ist die Theorie gescheitert. Aber: Theorien können nicht bewiesen werden. Beispiel: Situation ist entscheidend Schema: Theorie → Vorhersage Vorhersage ist falsch Theorie ist falsch 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 9 Duhem-Quine-These Idealisiertes Schema: Theorie → Vorhersage Vorhersage ist falsch Theorie ist falsch Tatsächliches Schema: (Theorie + Operationalisierungen + Hilfsannahmen) → Vorhersage Vorhersage ist falsch (Theorie oder Operationalisierungen oder Hilfsannahmen) ist falsch Willard Van Orman Quine 1908 - 2000 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 10 Die sozialpsychologische Sicht I.d.R. gilt: Die (soziale) Situation ist der entscheidende Faktor der Erleben und Verhalten beeinflusst. Nicht die Persönlichkeit, nicht die Gesellschaft. Beispiel: Situation versus Persönlichkeit 48 ausgewählte Studierende (besonders kooperativ oder kompetitiv) Prisoner‘s Dilemma Game „Wall-Street-Game“ versus „CommunityGame“ 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 1 11 Situation versus Persönlichkeit Liberman, V., Samuels, S., & Ross, L., (2004). The name of the game: Predictive power of reputation vs. situational labels in determining prisoner’s dilemma game moves. Personality and Social Psychology Bulletin, 30: 1175-1185. 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 1 12 Kurze Verschnaufpause 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 13 Sozialpsychologie versus „gesunder Menschenverstand“ I Wissenschaftliche (empirische) Psychologie kann zwischen konkurrierendem „Wissen“ entscheiden: - Gegensätze ziehen sich an? - Gleich und gleich gesellt sich gern? - Vier Augen sehen mehr als zwei? - Viele Köche verderben den Brei? 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 14 Beispiele für psychologisches Wissen Wenn Personen eine Lüge für eine Belohnung erzählen, wann glauben sie eher an die Lüge, bei einer kleinen oder bei einer großen Belohnung? - Bei einer kleinen. Dissonanzreduktion: Theorie der kognitiven Dissonanz, Festinger. Personen für das Ausführen einer spannenden und angenehmen Aufgabe zu Belohnen führt dazu, dass Sie diese Aufgabe langfristig lieber machen. - Falsch. Einfluss externer Belohnung auf intrinsische Motivation, z.B. Deci & Ryan Personen die einen große Bitte ausgeschlagen haben, sind dann eher geneigt einer kleinen Bitte nachzukommen. - Korrekt. Door-in-the-face Taktik, Cialdini Personen die einer kleinen Bitte nachkommen, sind Sie dann eher geneigt einer großen Bitte nachzukommen. - Korrekt. Foot-in-the-door Taktik, Cialdini 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 15 Sozialpsychologie versus „gesunder Menschenverstand“ II Der Rückschaufehler (hindsight bias): Wenn wir einmal etwas bestimmtes Wissen, glauben wir, dass wir eh so gedacht hätten. Retrospektiv wirken die meisten Erkenntnisse nicht überraschend. „I-knew-it-all-along“ Phänomen 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 16 Betrachtungsebenen i.d. Sozialpsychologie Verhalten & Eigenschaften anderer Personen - Schöne Menschen (z.B. sehr symmetrische Menschen) werden positiver wahrgenommen und es wird auch positiver auf sie zugegangen. (Langlois, et al. 2000) Kognitive Prozesse Umweltvariablen - Bei Sonne sind Menschen zufriedener mit Ihrem Leben als bei Regen, außer Sie können Stimmung mit dem Wetter erklären. (Schwarz & Clore, 1983) 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 17 FAE Allerdings neigen Menschen dazu diesen Einfluss der Situation zu ignorieren Beispiel (Jones & Harris, 1967): - Sie lesen einen Aufsatz eines anderen Studierenden über Fidel Castro. - Der Aufsatz ist entweder pro oder contra Fidel Castro. - Ihnen wird mitgeteilt, dass der Autor entweder freiwillig eine bestimmte Position gewählt hat oder dass ihm aufgetragen wurde eine bestimmte Position zu beziehen. - Was ist die wahre Meinung des Aufsatzsatzschreibenden? 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 1 18 Jones & Harris (1967), Experiment 1 Vermutete Einstellung zu Castro 70 60 50 40 30 20 10 Choice Pro-Castro 16.05.2016 No-Choice Anti-Castro Skala reicht von 10 (extrem anti-Castro) bis 70 (extrem pro-Castro) Paradoxer Effekt: Obwohl bekannt ist, dass der Text unter situationalem Einfluss entstanden ist, wird trotzdem eine entsprechende Persönlichkeit vermutet. Fundamentaler Attributionsfehler: FAE Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 1 19 Jones & Harris (1967), Experiment 2 Einstellung zu Castro 70 60 50 40 30 20 10 Choice Pro-Castro 16.05.2016 No-Choice (NC) Anti-Castro self NC - NC Ambivalent Präsentationstitel Zusätzliche Bedingungen: Zuerst selbst einen Aufsatz schreiben (ohne Wahl) und anschließend Einstellung bewerten. Zusätzlicher Aufsatz mit ambivalenter Richtung. 20 Betrachtungsebenen i.d. Sozialpsychologie Kultureller Kontext - Kulturelle Überzeugungen und Werte verändern sich mit der Zeit. z.B. die Einstellung gegenüber Scheidungen - Kulturelle Unterschiede zwischen Kulturen. Wenig Kontakt zu seinen Eltern zu haben ist akzeptierter in westlichen Kulturen 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 21 Biologische Faktoren 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 22 Wodurch zeichnet sich (wissenschaftliche) Sozialpsychologie aus? Durch die wissenschaftliche Herangehensweise: Benutzen bestimmter empirischer Methoden (Daten!) Durch die Themen: Verhalten und Erleben von Menschen unter dem Einfluss anderer Menschen (anwesend oder nicht) 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 23 Was ist (wissenschaftliche) Psychologie NICHT? Intuitive Psychologie 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 24 Kognitionen & Verhalten Herbst, et al. (2003): actual versus ideal self 1. Sich selbst bewerten auf 30 Dimensionen (z.B.: gesprächig – zurückhaltend) bewerten: Selbstbild und gewünschtes Selbstbild 2. 1 Woche später: Schlüsseldimension pro VP gewählt. Anschließend Interaktionspartner vorgestellt der auf dieser Dimension variiert. „Wie gerne mögen Sie diese Person?“ (Skala von 1 bis 13) MW Anziehung: 16.05.2016 7.5 8.6 8.7 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 7.0 25 Social Neuroscience Ist Klassifizierung nach Hautfarbe oder Geschlecht schneller? Hautfarbe 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 Ito & Urland, 2003 Geschlecht 26 Implizite (unbewusste) Prozesse Später… 16.05.2016 Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 27 Für nächste Woche Lesen TB1: Kapitel 1 19-36 Versuchen zu verstehen: Was macht ein Experiment aus Ein Experiment überlegen zur Beantwortung einer (trivialen) sozialpsychologischen Frage (schriftlich, max. 1 Seite, Stichpunkte erlaubt). - 16.05.2016 Was ist die Forschungsfrage? Was sind meine Hypothesen? Wie ist meine Operationalisierung? Was sind die abhängigen, was die unabhängigen Variablen? Sozialpsychologie – Henrik Singmann – WiSe 2010/2011 – Session 2 28