Einzelmolekülspektroskopie an lebenden Zellen Vortrag für das physikalische Hauptseminar von Ulrich Stopper, Januar 2004 Vorteile der Untersuchung einzelner Moleküle: • Quantitativer Einblick in biologische Prozesse • Arbeit mit niedrigen Stoffkonzentrationen natürliche Vorgänge in der Zelle werden nicht gestört Schwierigkeiten bei der Untersuchung einzelner Moleküle: • empfindliche Detektoren • hohe Zeitauflösung • Photobleichen Photobleichen: Bei langer Laserbestrahlung, Übergang des Fluorophors in einen Zustand, der keine optische Relaxation erlaubt. Drei Beispiele : 1.) Untersuchung der Endozytose 2.) Erforschung chemotaktischer Zellen 3.) Verfolgung der viralen Infektion 1.) Untersuchung endozytoser Prozesse in lebenden Zellen mit der Fluoreszenz-Kreuzkorrelations-Analyse (Bacia et al., MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen, 2002) 1. Untersuchung der Endozytose Fluoreszenz-Korrelations-Spektroskopie (FCS): Messung des Fluoreszenzsignals: F t einzelne Fluorophore diffundieren durch den Laserfokus Anwendung der Autokorrelation (i = j) : GF G ( ) F ij 1 Diffusionszeit der Partikel Fi (t ) F j (t ) Fi F j ... : zeitliches Mittel τ : zeitliche Verschiebung τ Fluoreszenz-Kreuzkorrelations-Spektroskopie (FCCS): 0 Messung zweier Fluoreszenzsignale, von spektral unterscheidbaren Molekülen. Anwendung der Kreuzkorrelation (i j). Anstieg von GijF(0), wenn zwei unterschiedliche Moleküle aneinander gebunden sind. 1. Untersuchung der Endozytose Experimenteller Aufbau für die FCCS: Fokus lateraler 1/e²-Radius des Beobachtungsvolumens: ~0,18μm für grün, 0,25μm für rot Zellprobe Objektiv Laseranregung Hauptstrahlteiler 488nm & 631nm (einige μW) Sekundärstrahlteiler Fr Detektor 1 Detektor 2 Fg G ( ) F rg Fr (t ) Fg (t ) Fr Fg 1. Untersuchung der Endozytose Experiment : Bakterielles Cholera-Toxin (CTX) wurde mit Cy2- und Cy5Farbstoffmolekülen an unterschiedlichen Untereinheiten des Moleküls markiert : Markiert mit Cy5: B5-Einheit (verantwortlich für die Bindung an die Zelloberfläche durch Wechselwirkung mit GM1Gangliosid) Markiert mit Cy2: A-Einheit (enzymatisch aktiv) an eine Zellmembran gebundenes CTX 1. Untersuchung der Endozytose CTX nutzt vermutlich einen Pfad durch das Endoplasma und den GolgiApparat aus, den es rückwärts durchläuft, um zum endoplasmatischen Retikulum zu gelangen. Golgi-Apparat endoplasmat. Retikulum Aufnahme des Choleratoxins in die Zelle (Endozytose) Sekretproduktion durch das endoplasmatische Retikulum und den Golgi-Apparat (Exozytose) 1. Untersuchung der Endozytose Wie markiert man ein Biomolekül mit zwei verschiedenen Farbstoffen ? - Cy5 lagert sich ausschließlich an B-Einheit an. - Cy2-Färbung würde sich nicht nur an A-Einheit, sondern auch an B-Einheit binden Experiment wäre nicht durchführbar Also: B-Einheit muss abgeschirmt werden Einsatz von Antikörper gegen die B-Einheit - Einfärben der A-Einheit - Entfernen der Antikörper 1. Untersuchung der Endozytose Beobachtung des doppelt markierten CTX mit FCCS, gleichzeitig LSM-Imaging: - die ersten Sekunden: Keine Kreuzkorrelation (KK) und keine Autokorrelation (AK), LSM: Starkes Photobleichen CTX ist unbeweglich Anbindung an die Membran LSM-Bild der Zelle in den ersten Sekunden Pfeil: Photobleichen durch Korrelations-Messung - Kurz darauf: Nach anfänglichem Photobleichen, Anstieg von AK und KK Erste Vesikel kapseln sich ab und diffundieren durch den Fokus Zellmembran und Membrannahe Vesikel mit CTX 1. Untersuchung der Endozytose - 15 Min. später: Starke KK in den meisten intrazellulären Messungen B- und A-Einheit sind immer noch an einander gebunden, diffundieren durch das Plasma LSM-Aufnahme des Zytoplasmas nach 15 Minuten - einige Minuten danach: Abnahme der KK und der AK, LSM bestätigt Photobleichen Immobilität AK Cy2 AK Cy5 KK gemessen an der markierten Stelle im linken Bild Vesikel werden vom Golgi-Apparat aufgenommen - Kurz darauf: leicht erhöhte AK, immernoch keine KK A und B wieder beweglich, aber keine gemeinsame Bewegung LSM-Aufnahme des Golgi keine KK im Golgi A- und B-Einheit werden erst im Golgi von einander getrennt ! 1. Untersuchung der Endozytose Diffusionszeiten im Zellplasma können aus Fits an die Korrelationskurven bestimmt werden: τDiff= 20ms Diffusionskonstante D 6·10-9 cm2/s (langsame Diffusion) Stokes-Einstein-Gleichung: D kT η 5 : Viskosität 6Rh Rh : hydrodynamischer Radius Durchmesser der diffundierenden Partikel: 2Rh 150nm bestätigt Einschluß in Vesikel Weiterer Beweis für Vesikelbildung: Anwendung einer Mischung aus unterschiedlich einfach-markiertem CTX (CTX-Cy2 & CTX-Cy5) auf eine Zelle. Starke KK im Zellplasma, obwohl jedes einzelne Molekül nur einfach markiert ist! Mehrere CTXMoleküle führen korrelierte Bewegungen aus. Bindung in Vesikel AK- und KK-Kurven für unterschiedliche Mischungen 1. Untersuchung der Endozytose Zusammenfassung der Ergebnisse der Korrelations-Analyse von CTX: - FCCS kann verwendet werden, um herauszufinden, ob unterschiedliche Moleküle gebundene Bewegungen ausführen. - A- und B-Einheiten des CTX-Moleküls werden erst nach Erreichen des Golgi-Apparats voneinander getrennt. - Mehrere CTX-Moleküle werden in einzelne Vesikel zusammengeschlossen, die im Plasma diffundieren. 2.) Einzelmolekül-Analyse von chemotaktischen Prozessen mit der Totalreflexions-Fluoreszenz-Mikroskopie (Ueda et al., Universität Osaka, 2001) 2. Erforschung chemotaktischer Zellen TIRFM (Total internal reflection fluorescence microscopy) : Totalreflexion dichtes Medium Intensität dünnes Medium Photonen tunneln in das Fluorophor evaneszentes elektromagnetisches Feld Eindringtiefe (einige hundert nm) Vorteil: sehr geringe Hintergrundfluoreszenz Objektiv 2. Erforschung chemotaktischer Zellen Dictyostelium-Zellen reagieren chemotaktisch auf cAMP Chemotaxie spielt wichtige Rolle bei: - Immunsystem - Ausbildung neuronaler Netze - Morphogenese zyklisches Adenosin-Monophosphat (cAMP): wichtiger Botenstoff, der aus ATP gebildet wird und zur Steuerung von Zellfunktionen dient. der Schleimpilz Dictyostelium discoideum 2. Erforschung chemotaktischer Zellen cAMP Die chemotaktische Reaktion wird durch Rezeptoren an der Zelloberfläche und durch G-Protein-abhängige Signalübermittlung ermöglicht: Zellmembran Rezeptor Enzym Aktivierung G-Protein GTP GDP GDP G-Protein GTP Umbau des Zellskeletts 2. Erforschung chemotaktischer Zellen Experiment: Echtzeit-Abbildung von einfach fluorophorisch markierten cAMPMolekülen, die an die Oberfläche einer Dictyostelium-Zelle gebunden sind. TIFRM-Bild der Dictyostelium-Zelle vor Abwaschen von ungebundenem Cy3-cAMP Gleich nach Zugabe des cAMP beginnt dieses, sich an die Membran zu binden und sich lateral zu bewegen. einzelne, fluoreszierende Cy3-cAMP-Moleküle 2. Erforschung chemotaktischer Zellen Verfolgung einzelner Fluoreszenzpunkte über mehrere Minuten: laterale Beweglichkeit mit D = (2,7 ± 1,1) · 10-10 cm2/s Diffusion einzelner cAMP-Rezeptor-Komplexe letztes Bild: Trajektorien meistens sehr lineare Bewegungen mit gelegentlichen Zwischenstopps evtl. Wechselwirkung mit Zellskelett REM-Aufnahme eines Zellskeletts 2. Erforschung chemotaktischer Zellen Erzeugung eines cAMPKonzentrationsgradienten Zellen bewegen sich linear in Richtung des Gradienten. cAMP-Konzentrationsgradient wird mit einer Mikropipette erzeugt. Verfolgung der cAMP-Rezeptor-Komplexpositionen: Pfeil: Konzentrationsgradient Es befinden sich auf der Membran im Mittel mehr Rezeptoren an der nach vorne gerichteten Zellhälfte: Konzentrationsgradient und Bewegungsrichtung 2. Erforschung chemotaktischer Zellen Aber: Kein Unterschied im Diffusionskoeffizienten vordere Hälfte: 12% mehr Rezeptoren als auf der hinteren Hälfte Punkte, die seit t=0 an der Membran haften Die meisten Cy3-Punkte blieben nur einige Sekunden lang an der Membran haften: Dissoziationsratenunterschied zwischen vorderer und hinterer Hälfte schneller cAMP-Austausch langsamer cAMP-Austausch 2. Erforschung chemotaktischer Zellen Wichtige Entdeckung: Dissoziationsratenunterschied zwischen der einen und der anderen Seite der Zelle existiert auch dann, wenn kein KonzentrationsGradient vorhanden ist ! zellinterne Polarisation legt die Zellvorderseite fest ! Zwei mögliche Ursachen für schnelleren cAMP-Austausch: - Rezeptor-Phosphorylierung oder Phosphorylierung: Chemische Reaktion (Anhängen einer Phosphatgruppe), die die Rezeptoraffinität um das 3- bis 6-Fache verringert. - besondere Wechselwirkung zwischen G-Protein und Rezeptor selbes Experiment diesmal mit zwei verschiedenen Dictyostelium-Mutationen: 1. Mutation: phosphorylierte Rezeptoren keine Veränderung Phosphorylierung ist nicht die Ursache 2. Mutation: „defektes“ G-Protein keine Dissoziationsunterschiede mehr ! Wahrscheinlich ist G-Protein-Rezeptor-Wechselwirkung die Ursache. 2. Erforschung chemotaktischer Zellen Überprüfen, ob Rezeptor - G-Protein - Wechselwirkung vorliegt: Beobachtung der Auswirkungen bei Zugabe von GTP und GDP: unveränderte Zelle 1. Mutation - GTP verursacht Zunahme der cAMPDissoziationsrate - GDP hat keinen Effekt 2. Mutation (2 Varianten) G-Protein beeinflusst das Liganden-Bindungsverhalten. Fragen, die noch zu beantworten sind: cAMP-Austauschgeschwindigkeit ohne (-) und mit (+) Zugabe von GTP. dunkel-/hellgrau/weiß: Zusammensetzung des Fits aus einer schwach/mittel/stark abklingenden Komponente Ist die Polarisation des Dissoziationsverhaltens eine spezielle Eigenschaft der Membran oder des Zellskeletts? Kann sich die Polarisation, also die Auszeichnung der Vorderseite zeitlich verändern? 3.) Echt-Zeit-Aufzeichnung des Infektionsvorgangs eines Adeno-assoziierten Virus mit Single Virus Tracing (Bräuchle et al., LMU München, 2001) 3. Single Virus Tracing Detaillierte Kenntnisse über virale Infektionsprozesse sind von großer Bedeutung für antivirale Medizin und Gen-Therapie. Adeno-assoziierter Virus (AAV): kleiner Virus, der den Adenovirus zur Ausbreitung benötigt. Verursacht keine Krankheit beim Menschen interessant für Gen-Therapie Adeno-assoziierter Virus Viren werden mit nur ein oder zwei Cy5-Molekülen markiert, um den natürlichen Vorgang nicht zu beeinflussen. sehr hohe Detektorempfindlichkeit notwendig Beobachtung mit der Weitfeldmikroskopie 3. Single Virus Tracing Außerhalb der Zelle: normale Diffusion mit D = 7,5 μm2/s In der Nähe der Zellmembran: - Beschleunigung in Richtung Zellwand - Wiederholte Berührungsereignisse, unterbrochen von kurzer Diffusion in Zellnähe Im Durchschnitt 4,4 Berührungen Häufigkeit n der Trajektorien ohne Penetration mit nTouch Kontakten Fits 3. Single Virus Tracing mittlere Berührungszeit: 62ms mittlere Kontaktdauer: 3,2s (erster ... letzter Kontakt) Häufigkeit n der Trajektorien ohne Penetration mit der mittleren Berührungszeit t Fit Eindringen in die Zelle: mittlere, zum Eindringen benötigte, Kontaktzeit: 1,2s Eindringeffizienz: 13% Membran ist eine wichtige Barriere gegen Viren. Trajektorien mit Penetration: Im Zellplasma: 3. Single Virus Tracing 47% normale Diffusion (<r2> ~ t) D = 0,6 μm2/s D = 1,3 μm2/s zwei verschiedene Komponenten: - freies Virus - Virus in Endosom (Stokes-Einstein: 2R 50 nm) Jedes Endosom enthielt stets nur ein AAV. 0,3μm2/s < D < 1,5μm2/s 0,5 < α < 0,9 45% anomale Diffusion (<r2> ~ Dt α) Behinderung der Diffusion durch feste Bestandteile des Plasmas MSD-Plots von Partikel im Plasma: normale Diffusion, freies AAV normale Diffusion anomale Diffusion endosomal 8% gerichtete Bewegung! (<r2> = 4Dt + (vt)2) Behandlung mit Nocodazol gerichtete Bewegung verschwindet Mikrotubuli-Transport durch Ausnutzen von Motorproteinen wie Kinesin oder Dynein. 1,8μm/s < v < 3,7μm/s Nocodazol: wird zum Depolymerisieren von Mikrotubuli verwendet. Im Zellkern: 57% normale Diffusion 0,4μm2/s < D < 1,3μm2/s <D> = 0,85μm2/s 17% anomale Diffusion 0,25μm2/s < D < 0,9μm2/s 0,6 < α < 0,9 26% gerichtete Bewegung! Einige Virusmoleküle bewegen sich nacheinander auf dem selben Pfad. Alle Pfade waren regional gleich orientiert. 0,2μm/s < v < 2,8μm/s Behandlung mit Nocodazol gerichtete Bewegung im Zellkern verschwindet Aktiver Transport in der Kernregion, obwohl dort bisher keine Mikrotubuli und Motorproteine nachgewiesen werden konnten! 3. Single Virus Tracing 3. Single Virus Tracing Die wichtigsten Ergebnisse des Single Virus Tracing: Unterschiedliche Bewegungsarten und -Phasen: I.) Beschleunigung in Richtung Zellwand (1), mehrere aufeinanderfolgende VirusMembran-Kontakte (2) und schnelle Endozytose (3) II.) freie und anomale Diffusion des Endosoms mit dem Virus im Plasma und im Kern (3, 4) III.) gerichtete Bewegung durch Ausnutzung von Motorproteinen im Plasma und in Röhrchenstrukturen des Kerns (4) 15 Minuten nach jeder Behandlung waren 50% der Zellen von mindestens einem Virusmolekül befallen! Quellen: [1] Bacia et al. (2002): Probing the Endocytic Pathway in Live Cells Using Dual-Color Fluorescence Cross-Corelation Analysis. Biophysical Journal 83(2) 1184-1193. [2] Ueda et al. (2001): Single-Molecule Analysis of Chemotactic Signaling in Dictyostelium Cells. Science Vol 294 864-867. [3] Bräuchle et al. (2001): Real-Time Single-Molecule Imaging of the Infection Pathway of an Adeno-Associated Virus. Science Vol 294 1929-1932. Bildmaterial: Folien-Nr. Bildbeschreibung Quelle 6 Zelle im Querschnitt www.art4science.de/bsp_right.html 7 CTX-Molekül www.cvm.uiuc.edu/courses/vp331/ToxinsGposBact/ 7 CTB-Einheit bio.winona.msus.edu/berg/308s01/ Lec-note/10-new.htm 8 Modell der Exozytose www.schoolwork.de/cytologie/golgiapparat.php 8 Endozytose von CTX research.chem.psu.edu/brpgroup/ Nonnaturalreceptors.html 10-12 Alle Bilder [1] 16 Dictyostelium-Pilz www.biologie.uni-hamburg.de/b-online/d27_10/27_10.htm 16 cAMP-Strukturformel www.uni-frankfurt.de/fb14/fsbc/lexikon/c/camp.html 18-23 Alles außer den folgenden [2] 19 REM-Aufnahme des Zellskeletts 35.9.122.184/images/07-TourOfTheCell/ 20 Chemotaxie-Video http://www.physik.uni-stuttgart.de/SMG/altleiningen/talks/ 25 Adeno-assoziierter Virus www.cup.uni-muenchen.de/schnupper/Inhalte.html 26-30 Alles außer den folgenden [3] 26,27,29 SVT-Videos www.single-virus-tracing.com 28 Nocodazol-Strkturformel w-chemdb.nies.go.jp/noyaku/1615.htm 28 Kinesin ung.nbi.dk/biofysik/biofysik.htm