Psychiatrie Vor 23 Juristische Aspekte und Maßnahmen Zwischen Psychiatrie und Recht gibt es eine Vielzahl von Verknüpfungen, die hier nur teilweise erwähnt werden können. Bei richtiger Anwendung sind die für Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen vorgesehenen Rechtsmöglichkeiten von Vorteil. Sie schützen z. B. unter bestimmten Konditionen vor Vermögensschäden oder Bestrafung. Allerdings bedeuten viele dieser Maßnahmen aus der subjektiven Sicht des Betroffenen eine erhebliche Einschränkung seiner Freiheit, so z. B. die Unterbringungsgesetze oder das Betreuungsgesetz. Das Betreuungsgesetz und die Unterbringungsgesetze bieten die Möglichkeit, einen krankheitsuneinsichtigen psychisch Kranken gegen seinen Willen zu behandeln. Behandlung nach dem Betreuungsgesetz Voraussetzungen für die Anwendung des Betreuungsgesetzes: Hierzu gehören das Vorliegen einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung, als deren Folge der Betroffene seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Die Betreuung wird nicht von der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen abhängig gemacht. Diese wird nicht geprüft. Allerdings kann gerichtlich verfügt werden, dass der Betreute zu einer Willenserklärung, z.B. bei Vermögensangelegenheiten, der Einwilligung seines Betreuers bedarf (Einwilligungsvorbehalt). Ohne dessen Einwilligung ist die Willenserklärung des Betreuten nichtig. Während sich die Geschäftsfähigkeit auf Rechtsgeschäfte bezieht, betrifft die Einwilligungsfähigkeit persönliche Entscheidungen. Einwilligungsfähigkeit für ärztliche Maßnahmen liegt z.B. vor, wenn der Patient über die Fähigkeit verfügt, Wesen und Tragweite eines ärztlichen Eingriffes zu ermessen. Bei Einwilligungsunfähigkeit kann der Betreuer die Einwilligung erteilen. Er braucht jedoch eine Genehmigung des Vormundschaftsrichters, wenn der Betreute durch eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff Schaden nehmen oder sterben könnte. Nur wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden wäre, darf die Maßnahme auch ohne Genehmigung durchgeführt werden. Mit der Anordnung der Betreuung ist kein Verlust anderer bürgerlicher Rechte verbunden (z.B. Wahlrecht). Die Kernbereiche der Betreuung sind Aufenthalt, ärztliche Behandlung und Vermögensangelegenheiten. Zuständig für das Betreuungsverfahren ist das zuständige Amtsgericht (Vormundschaftsgericht). Vor der Einrichtung einer Betreuung ist die persönliche Anhörung des Betroffenen durch den Richter vorgeschrieben. Die Betreuung darf erst nach psychiatrischer Begutachtung angeordnet werden. Das Gutachten hat die medizinischen und sozialen Gesichtspunkte zu würdigen und muss Umfang und Dauer der Betreuung darlegen. Es muss sich auf die persönliche Untersuchung und Befragung des Betroffenen stützen. Durch einstweilige Anordnung kann das Gericht einen vorläufigen Betreuer bestellen und ggf. einen vorläufigen Einwilligungsvorbehalt anordnen. Die Anordnung darf für max. 6 Monate erfolgen, kann jedoch auf 1 Jahr verlängert werden. Eine Unterbringung nach dem Betreuungsgesetz kann durch einen Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung" erfolgen, wenn dies zum Wohle des Betroffenen erforderlich ist (z. B. bei Gefahr einer Selbsttötung). Das Gericht kann im Rahmen der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Unterbringung (max. 6 Wochen!) anordnen. Voraussetzungen sind: Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses, ggf. Bestellen eines Verfahrenspflegers, Anhörung des Betroffenen und des Pflegers. Behandlung nach den Unterbringungsgesetzen Nach den Unterbringungsgesetzen kann gegen seinen Willen in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht werden, wer an einer psychischen Krankheit oder an einer krankheitswertigen psychischen Störung leidet und darüber hinaus eine Gefahr für sich selbst oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Zwischen den Unterbringungsgesetzen der verschiedenen Bundesländer bestehen erhebliche Unterschiede Das Verfahren läuft in 3 Stufen ab: Polizei/Amt für öffentliche Ordnung leiten das Verfahren ein, der Arzt nimmt zu den Voraussetzungen Stellung, der Richter beim zuständigen Vormundschaftsgericht entscheidet. Die richterliche Entscheidung muss bis zum Ablauf des Tages vorliegen, der dem Beginn des Freiheitsentzuges folgt. Häufig beginnt das Unterbringungsverfahren mit einer Noteinweisung des Patienten in die Klinik, wofür unverzüglich die richterliche Genehmigung eingeholt werden muss. Weitere gesetzliche Regelungen Geschäftsunfähigkeit Definition: Geschäftsunfähigkeit liegt vor, wenn infolge anhaltender krankhafter Störung der Geistestätigkeit ein die freie Willensbesimmung ausschließender Zustand gegeben ist Rechtsgeschäfte sind bei Nachweis der Geschäftsunfähigkeit nichtig. Außerdem existiert eine Regelung im Sinne der Nichtigkeit der Willenserklärung. Geschäftsunfähigkeit muss stets positiv bewiesen werden. Zweifel an der Geschäftsfähigkeit genügen nicht, um getätigte Rechtsgeschäfte als nichtig erklären zu können. Unser Rechtssystem sieht nur eine völlige Geschäftsunfähigkeit vor, eine verminderte Geschäftsfähigkeit jedoch nicht. Es gibt aber die auf einen Bereich beschränkte partielle Geschäftsunfähigkeit (z. B. Prozessunfähigkeit). Testierunfähigkeit Definition: Unter Testierfähigkeit versteht man die Fähigkeit zur Abfassung eines rechtswirksamen Testamentes. Ist der Patient bei krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht in der Lage, die Bedeutung einer solchen Willenserklärung einzusehen oder einsichtsgemäß zu handeln, besteht Testierunfähigkeit. Auch die Testierunfähigkeit muss positiv nachgewiesen werden, Zweifel an der Testierfähigkeit allein reichen nicht aus. Eherecht Die Nichtigkeit einer Ehe kann erklärt werden, wenn einer der Ehepartner zur Zeit der Eheschließung geschäftsunfähig, bewusstlos oder in seiner Geistestätigkeit vorübergehend gestört war. Auch kann die Aufhebung wegen Irrtums über die persönlichen Eigenschaften des Ehegatten (z.B. Sucht, sexuelle Abweichungen) oder eine Scheidung bei Zerrüttung durch psychische Erkrankung erfolgen (Zerrüttungsprinzip). Schuldunfähigkeit Bei schweren psychischen Erkrankungen kann die Schuldfähigkeit vermindert (§ 21 StGB) oder aufgehoben (§ 20 StGB) sein, wenn durch eine krankhafte seelische Störung (v. a. endogene u. exogene Psychosen), tief greifende Bewusstseinsstörung (v.a. im Rahmen hochgradiger Affektzustände), Schwachsinn (geistige Behinderung) oder eine andere schwere seelische Abartigkeit (Neurosen, Konfliktreaktionen, Abhängigkeit, Sucht, Sexual- und Persönlichkeitsstörungen) die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aufgehoben oder erheblich eingeschränkt war. Der Nachweis der krankhaften Störung muss für die Tatzeit erfolgen. Die Unterbringung erfolgt meist im Rahmen des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus. Jugendstrafrecht Liegt bei einem Jugendlichen (14-17 J.) die entsprechende sittliche und geistige Reife nicht vor, dann ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht gegeben (§ 3 JCG). Andernfalls wird das Jugendstrafrecht angewandt. Beim Heranwachsenden (Alter 18-20 J.) kann das Jugendstrafrecht angewandt werden, wenn er in seiner sittlichen und geistigen Reife einem Jugendlichen gleichzustellen ist (§ 105 JCC). Beurteilung der Fahrtauglichkeit Für die Beurteilung werden die Fahrerlaubnisklassen in zwei Gruppen eingeteilt: Gruppe 1: hauptsächlich PKW und Krafträder Gruppe 2: vor allem LKW und Fahrgastbeförderung. Die Leistungsfähigkeit wird mit psychologischen Tests untersucht. Die Beurteilung ist von einem Facharzt für Psychiatrie vorzunehmen, eventuell ergänzt durch eine neuropsychologische Zusatzuntersuchung. Der begutachtende Arzt darf nicht zugleich der behandelnde Arzt sein. Affektive und schizophrene Psychosen Bei akuten affektiven oder schizophrenen Psychosen besteht keine Fahrtauglichkeit. Nach Abklingen der gravierenden Psychosesymptome besteht für die Gruppe 1 in der Regel wieder Fahrtauglichkeit. Organisch-psychische Störungen, Demenz Leichte hirnorganische Wesensänderungen sind mit der Fahrerlaubnisgruppe 1 vereinbar. Ausgeprägte leistungsmängel z.B. im Rahmen von Demenzen und schweren Persönlichkeitsveränderungen führen zum Ausschluss der Fahrtauglichkeit. Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit Fahrtauglichkeit ist nur bei Nachweis dauerhafter Abstinenz wieder gegeben. Dies bedeutet eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung mit einjährigem Abstinenznachweis Drogenabhängigkeit Eine erfolgreiche Entwöhnungsbehandlung mit anschließender einjähriger Abstinenz wird gefordert. Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit Definition: Bei psychischen Erkrankungen kann es zur Berufsoder Erwerbsunfähigkeit kommen. Der Betroffene hat dann Anspruch auf Rente wegen Berufs-/Erwerbsunfähigkeit. Falls eine Berentung noch nicht indiziert ist, kann durch Rehabilitationsmaßnahmen oder Vergünstigungen im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes bzw. Schwerbehindertengesetzes Hilfe geleistet werden. Beratung und Aufklärung von Patienten Zur Pflicht des Behandlers gehört die umfassende Aufklärung und Beratung des Patienten. Eine Meldepflicht gegenüber Behörden besteht nicht, seltene Ausnahme ist die Verkehrsgefährdung durch einen trotz Aufklärung uneinsichtigen fahruntauglichen Patienten. Aus haftungsrechtlichen Gründen ist die Dokumentation der Aufklärung obligat.