Funktionswandel der Öffentlichkeitsbeteiligung

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Erfüllt die
Öffentlichkeitsbeteiligung
ihre vorgesehene Funktion
für Staat, Unternehmen und
Bürger?
Prof. Dr. Andreas Fisahn – Universität Bielefeld
Funktionswandel des Rechts
Recht konstitutiert keine mathematisch
exakten Ordnungen. Die Praxis des Rechts
hängt ab von den kulturellen, sozialen und
ökonomischen Rahmenbedingungen. Dieselbe
Norm kann unter unterschiedlichen
Bedingungen eine unterschiedliche Funktion
erfüllen. Normen können einem
Funktionswandel unterliegen. Ein solcher
Funktionswandel ist historisch bei annähernd
gleichen Normen oft festzustellen.
Funktionswandel des Rechts
So hat auch die Öffentlichkeitsbeteiligung im
Verlaufe der Geschichte unterschiedliche
Funktionen erfüllt: diese reichen von einem
Ersatz für demokratische Institutionen bis
zur demokratischen Kontrolle administrativer
Entscheidungen. Im Überblick lassen sich
verschiedene Etappen ausmachen:
Historischer Rückblick
Die Bürgerbeteiligung zu Zeiten der
Preußischen Wassergesetzgebung
(1811) stand unter dem Eindruck der
erfolgreichen französischen Revolution.
Die Obrigkeit gab Beteiligung und
kommunale Selbstverwaltung und
hoffte den revolutionären Geist in
Schach zu halten.
Historischer Rückblick
Ähnliches lässt sich für die
Restaurationsphase nach 1848 feststellen:
Statt zentralstaatlicher Demokratie wurde der
Bereich öffentlicher Beteiligung an
Verwaltungsentscheidungen erweitert.
Die Weimarer Republik war ein fortwährender
Kampf um staatliche Demokratie,
Beteiligungsrechte spielten so gut wie keine
Rolle.
Paternalistische Einbindung der
Beteiligung
In der Bundesrepublik wurde die
Öffentlich-keitsbeteiligung eingebettet
in eine pater-nalistische Form des
Korporatismus. Die
Planfeststellungsrichtlinie von 1955
enthielt folgende Anweisung zur
Durchführung des
Anhörungsverfahrens:
Paternalistische Einbindung der
Beteiligung
„Für den Verhandlungstermin hat die Praxis
folgendes
Verfahren
als
zweckmäßig
herausgebildet: Die Erschienenen werden mit ihren
Erklärungen gehört, und der Bauplan wird in allen
seinen
Auswirkungen
eingehend
erörtert.
Insbesondere wird auch dafür Sorge getragen, dass
die des Wortes weniger gewandten Beteiligten volle
Gelegenheit zur Darlegung ihrer Interessen
erhalten. Zu dem Termin werden auf Antrag auch
solche Beteiligten zugelassen und gehört, die
bisher noch keine Einwendungen erhoben haben."
Paternalistische Einbindung der
Beteiligung
Die Beteiligung ist keine demokratische
Entscheidungsfindung aber angelegt auf:
Konsens und Zustimmung
Berücksichtigung der Belange des Bürgers
gegenüber
der
staatlichen
Infrastrukturplanung
Verbesserung der staatlichen Planung
Sie findet sich im Recht, ist aber nicht
Verrechtlicht
Partizipation und Opposition
Die Funktion ändert sich in den 1970/ 80er
Jahren.
Öffentlichkeitsbeteiligung wird kritisiert als
Alibiveranstaltung
ohne
reale
Einflusschancen der Bürger.
Es wird eine Erweiterung partizipativer
Rechte gefordert.
Gleichzeitig findet über die Öffentlichkeitsbeteiligung echte zivilgesellschaftlicher
Partizipation statt.
Partizipation und Opposition
Die Funktion der Öffentlichkeitsbeteiligung
ändert sich, sie wird:
Konfliktorientiert
Artikuliert politische Abweichung
Vertritt partizipative Ansätze
Gerät in Widerspruch zur politischen
Repräsentation
Partizipation und Opposition
Die
Öffentlichkeitsbeteiligung
verrechtlicht,
wird
wird als „vorgelagerter Rechtsschutz“
aufgewertet,
zum Gegenstand gerichtlicher Verfahren,
und durch die Rechtsprechung zum
Verfahrensfehler wieder entwertet
Zwischen Abbau und Demokratieersatz
In den 1990er Jahren findet ein Abbau von
Öffentlichkeitsbeteiligung in der BRD statt,
gleichzeitig
wird
Beteiligung
auf
internationaler und europäischer Ebene
eingefordert.
Verwaltung und Verfahren werden dem
neoliberalen
Ökonomismus
und
dem
Effizienzdenken untergeordnet.
Öffentlichkeitsbeteiligung
erscheint
zunächst nur als störendes Element und wird
mit den sog. Beschleunigungsgesetzen
abgebaut.
Zwischen Abbau und Demokratieersatz
Auf internationaler/ europäischer Ebene wird
Öffentlichkeitsbeteiligung gefordert. Dies hat
zwei wesentliche Funktionen:
Harmonisierung des Wettbewerbs auch bei
Verfahrensbedingungen
Kompensation
des
europäischen
Demokratiedefizits
Das neue Paradoxon: Beteiligung als
Weg der Entdemokratisierung
Im neuen Jahrtausend wird die
Öffentlichkeitsbeteiligung
in
der
Bundesrepublik
Teil
der
Entdemokratisierung und Oligarchisierung
allgemein
verbindlicher
Entscheidungen.
Das lässt
Beispielen:
sich
ablesen
an
drei
Das neue Paradoxon: Beteiligung als
Weg der Entdemokratisierung
1. Die WRRl fordert eine aktive
Beteiligung interessierter Stellen bei der
Erarbeitung der Wasserpläne.
Die
in
den
Ländern
gebildeten
„Wasserbeiräte“
sind
meist
zu
Kungelgremien zwischen Verwaltung
und Industrie ausgebaut worden.
Umweltverbände
legitimieren
den
formalisierten Einfluss sozialer Macht.
Das neue Paradoxon: Beteiligung als
Weg der Entdemokratisierung
2. In sog. Business Improvement Districts
entscheiden Gremien aus Grundeigentümern
und Kaufleuten über örtliche Maßnahmen
neben der demokratisch gewählten Gremien.
3. Die Normierungs- und Standardisierungsgremien
treffen
wertende
Entscheidungen in Absprache der beteiligten
Industrien
und
mit
dem
Feigenblatt
Umweltverbände.
Das neue Paradoxon: Beteiligung als
Weg der Entdemokratisierung
Die Beteiligung hat unter neoliberaler
Hegemonie folgende Funktion:
Kritische Verbände der Zivilgesellschaft
„legitimieren“ oligarchische Entscheidungsstrukturen
Sie werden im Prozess der Beteiligung
eingenordet, „befriedet“ oder schlicht
eingekauft
Das neue Paradoxon: Beteiligung als
Weg der Entdemokratisierung
Ergebnis:
Die Öffentlichkeitsbeteiligung erfüllt
ihre Funktion für die Unternehmen, die
Regierung aber nicht für den Bürger.
Auch in der Partizipation wird die Krise
der Repräsentation sichtbar.
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