Kinder brauchen Halt und Grenzen, aber auch grenzenlose Freiheit – auf den Zeitpunkt kommt es an! Entwicklungspsychologische und frühpädagogische Aspekte zum Thema „Grenzen“ Ein Download der vollständigen Präsentation (von 60 Folien) steht auf meiner Webseite bereit www.hartmut-kasten.de Grenzen für Kinder im Wandel der Zeiten • Das Bild vom Kind hat sich gewandelt • Zwangskorsette für Kinder in historischen Zeiten, als sie wie kleine Erwachsene behandelt wurden • Kindheit in den Nachkriegsjahren: Gab es damals weniger Grenzen und mehr Freiheit für Kinder? • Erziehungsstile und Erziehungsmethoden früher und heute • Mehr Eingrenzungen und Planquadrate für Kinder (durch „Helicopter-Eltern“) heute? Grenzen für Kinder im Wandel der Zeiten (2) • Im Vergleich zu früher wird das Heranwachsen der Kinder von Anfang an viel stärker von äußeren Leitlinien bestimmt und vorstrukturiert und individualisiert • Grund: Die Gesellschaft hat einen Wertewandel vollzogen – von Uniformität, Anpassung und Einordnung zu mehr Selbstbestimmung und persönlicher Sinnfindung • nicht zuletzt durch wirtschaftlich Faktoren bedingt finden immer noch enorme Beschleunigungs-, Automatisierungs- und Verdichtungsprozesse statt, die sich auf die Kindererziehung direkt auswirken Grenzen für Kinder in anderen Ländern und Kulturen • Ist „Grenzen setzen“ etwas typisch Deutsches (und wurzelt im sprichwörtlich autoritären Charakter der Deutschen)? Das kann man nicht sagen: • In Irland, Polen und anderen europäischen Ländern wird z. B. großer Wert darauf gelegt, dass Kindern elementare soziale Regeln beigebracht werden: Von sich aus grüßen, ihre Jacke aufhängen, Essmanieren zeigen, Gespräche der Erwachsenen nicht einfach unterbrechen, Respekt vor dem Eigentum anderer zeigen, anderen auch einmal den Vorrang lassen, höflich und bescheiden sein. • Es gibt aber auch Länder, in denen man lockerer unterwegs ist und natürlich schicht- und erziehungsstilabhängige Variationen. Grenzen setzen – aber wie? • Kindern richtig Grenzen zu setzen, stellt für viele Eltern eine große Herausforderung dar. Manche scheinen heute unsicherer zu sein als früher Elterngenerationen. Woher kommt diese Unsicherheit? Gibt es eindeutige Regeln, nach denen man Kinder erziehen kann? • Allgemeingültige, verbindliche Regeln für eine gute Erziehung gibt es nicht • Tipps und Empfehlungen finden sich in sogenannten RATGEBERN • Fakten und Informationen, die mir persönlich erwähnenswert scheinen, erhalten Sie im Folgenden Erziehung und Beziehung • Erziehung ist Beziehung (Rainer Dollase) • Beziehung statt Erziehung: Aus Beziehung wird Erziehung (Jesper Juul) • Meine Meinung: Ohne Beziehung kann Erziehung nicht gelingen. Beziehung besitzt das Primat! Beim Grenzen setzen ist jede Familie anders • Die in deutschen Familien praktizierten Erziehungsmethoden (und die dahinter stehenden Erziehungsstile und pädagogischen Werte) variieren heutzutage über ein breites Spektrum: • In der Mitte sind die (mehr oder weniger) demokratisch und partnerschaftlich orientierten Erziehungsstile angesiedelt, rechts außen lassen sich die autoritären, links außen die (mehr oder weniger) gewähren lassenden (permissiven) Erziehungsstile verorten. Grenzen und Grenzenlosigkeit – Einige begriffliche Klärungen • Die Wortwahl „brauchen Grenzen“ – was wird damit in der Regel assoziiert und damit suggeriert? • Grenzen vs. grenzenlos – was ist gemeint? • Was ermöglicht Grenzenlosigkeit? • Grenzen und Freiheit – oder „Freiheit in Grenzen“ (Klaus Schneewind) ? • Was be-grenzt unser Leben? • Natürlich unsere Sterblichkeit, aber auch angeborene und erworbene Be- und Einschränkungen Was begrenzt unser Leben? • In erster Linie aber: Vorgaben des familialen und sozialen Umfeldes und der Gesellschaft (z. B. Eltern, Gruppenzugehörigkeit, Eingliederung in Institutionen): Regeln, Gebote und Verbote, Pflichten und Aufgaben, Verhaltensstandards, Normen, Konventionen, Trends und Moden, Sitten und Gebräuche usw. • Reaktionen auf Grenzen: Akzeptanz, Gehorsam, Unterordnung, Flüchten, Weglaufen, Abwehr, Auflehnung, Aggression, Rebellion • Grenzen, die HALT geben, kommen häufig zu kurz! Arten von Grenzen – es lassen sich voneinander abgrenzen: • Äußere, faktisch gegebene, physikalische Grenzen • Innere (genetisch, biologisch, physiologisch fundierte) Grenzen, die im Laufe der Kindheit abnehmen und mit dem Älterwerden wieder zunehmen (s. folgende Folien) • Konventionelle Grenzen - In Abhängigkeit von Alter und Geschlecht festgelegte Grenzen - Alter- u. geschlechtsunabhängig vorgegebene Grenzen von Familie, Institutionen u. Gesellschaft - Individuelle vereinbarte zwischenmenschliche Grenzen (z. B. innerhalb einer Familie oder Gruppe) Zwischenmenschliche Grenzen – wann können Kinder sie lernen? • Meilensteine in der kindlichen Entwicklung, die man kennen muss, um „richtig“ Grenzen zu setzen: • Um das vollendete 2. Lebensjahr herum (das ICH wird entdeckt) • Gegen Ende des 4. Lebensjahr und in den nachfolgenden ein, zwei Jahren wird realisiert, dass sich die eigene Sicht von der Welt von der Sicht anderer Menschen unterscheidet: Sein und Anschein (Realität und Fiktion), Innenwelt und Außenwelt werden entdeckt Grenzen, die von innen kommen und von Anfang an da sind : Biologisch fundierte Grenzen • Neugeborene verfügen von Anfang an über Kompetenzen und Fähigkeiten, die ihr Auseinandersetzen mit der Umwelt in bestimmte Bahnen lenken und sie dadurch begrenzen. • Denn andere, nicht in ihrem Genrepertoire festgelegte Weisen des Mit-der-Welt-in-KontaktTretens werden ausgegrenzt! • Fazit: Angeborene Kompetenzen (z. B. Spiegelneuronen, Orientierungs- und StartleReflex, Bindungsbereitschaft) bestimmen schon am Anfang mit, wovon man sich abgrenzt und in welche Richtung die Entwicklung verläuft Grenzen, die von innen kommen und von Anfang an da sind : Biologisch fundierte Grenzen (2) Hervorhebenswert sind beispielsweise: (1) Kindliche Bindungsbereitschaft im Hinblick auf Personen, die ihnen regelmäßig und angemessen Zuwendung und Versorgung zuteil werden lassen Erwähnenswert: Sicher gebundene Kinder akzeptieren Grenzen, weil sie ihre Bezugspersonen lieben und respektieren (nächste Folie) (2) Ihre Vorliebe für menschliche Gesichter und sprachliche Laute (Hinwendungs- und Abwendungsreaktion) (3) Ihre Nachahmungsbereitschaft, die den Nährboden für Mitgefühl und Empathie bildet, wenn sie erwidert und zurückgespiegelt wird. Bindungsqualität und von von außen Grenzen setzen - Sicher gebundene Kinder • akzeptieren auch unbequeme Grenzen eher, weil sie ihre Bezugspersonen lieben und respektieren • sie lernen schneller als unsicher gebundene Kinder Verhaltensregeln zu verinnerlichen (so entsteht das “Gewissen“) und Versuchungen zu widerstehen (Untersuchungen zum „Widerstand gegen Versuchung“), auch wenn die Bezugspersonen nicht anwesend sind • sie erkunden die Welt furchtlos und voller Selbstvertrauen (und Urvertrauen), vergewissern sich zwischendurch aber hin und wieder (Blickkontakt), dass ihre Bezugsperson in Reichweite bleibt • Damit gilt: eine sichere Bindung ist fundamental für den weiteren Bildungsweg Bindungsqualität und von von außen Grenzen setzen - Unsicher gebundene Kinder • Unsicher gebundene Kinder tun sich schwerer mit der Akzeptanz von Grenzen (ein Grund dafür, dass die Fragen nach dem Wann, Wo und Wie des Grenzensetzens in jüngerer Zeit häufiger gestellt werden) • Sie erkunden die Welt nur zaghaft, haben wenig Selbstvertrauen und kleben am Rockschoß ihrer Bezugsperson oder sie entfernen sich von dieser (ohne Blickkontakt zu wahren) und verlieren sie aus den Augen und geraten dann in Panik • Fakt ist: Der Anteil unsicher gebundener Kinder wächst Spiegelneuronen – Wurzeln von Empathie und Mitgefühl • Schon Neugeborene spiegeln Mimik und Ausdruck wider, weil sie Spiegelneuron besitzen • Eltern sollten darauf reagieren und so etwas wie einen Resonanzboden für die Gefühle ihrer Kinder zu Verfügung stellen: Emotionale Resonanz ist vonnöten, wenn ihre Spiegelneuronen nicht verkümmern sollen und gefühlskalte, zu keinem Mitgefühl fähige Erwachsene resultieren. • So sorgen sie dafür, dass ihr Kind zu einem mitfühlendem Menschen heranwächst Biologisch fundierte Grenzen – Begrenzungen, die im Laufe des 1. Lebensjahres dazukommen (3) • Begrenzung auf Nahwahrnehmung und nicht räumliches Sehen • Begrenzung durch noch nicht zielgerichtet greifen können • Begrenzung durch sich nicht verständlich machen können • Begrenzung durch Beschränkung auf relativ kurze Phasen des Wach- und Aufmerksam-sein-Könnens • Begrenzung durch nicht zeigen können, was man gern haben möchte • Begrenzung durch nicht sagen können, was man gern haben möchte • Begrenzung durch nicht hinlaufen können, um sich zu holen, was man gern haben möchte Biologisch fundierte Grenzen – Grenzen, die im Laufe des 2. Lebensjahres verschwinden und neue Grenzen, die dazukommen • Begrenzungen, die entfallen: Zu Beginn des zweiten Lebensjahres kann das Kleinkind Dinge scharf wahrnehmen, die weiter entfernt sind; es kann räumlich sehen, zielgerichtet greifen, ist länger wach und aufnahmefähig und kann sich durch die Zeigegeste und weitere nonverbale Kommunikation verständlich machen können • Begrenzungen, durch Grenzen, die weiter bestehen bzw. neu dazukommen: (1) Sein Radius ist noch begrenzt (2) Dasselbe gilt für sein sprachliches Ausdrucksvermögen (3) Nach der Entdeckung des Ich lernt es im Laufe des dritten Lebensjahres die Grenzen seines Willens kennen Quantensprung gegen Ende des 4. und zu Beginn des 5. Lebensjahres: Die Weltwahrnehmung der Kinder wandelt sich • Ein umfassender Wandel in der Weltwahrnehmung der Kinder setzte Endes des 4.Lebensjahres ein und wird im Laufe des 5. Lebensjahres beständig weiter ausgebaut: • Die Kinder begreifen allmählich, dass sich ihre Sicht der Welt von der Sichtweise, die andere Menschen haben, unterscheidet. • Sie verstehen darüber hinaus auch langsam, dass sich ihre innere Welt, ihre eigenen Gedanken, Gefühle und Absichten, von der Innenwelt anderer Menschen unterscheiden kann. • Auf der Basis dieses Erkenntnisgewinns wird ihr eigenes zwischenmenschliches Handeln immer kompetenter. • Paradox ist, dass um diese Zeit herum das Grenzenvon-außen-gesetzt-Bekommen beträchtlich zunimmt! Grenzen, mit denen Kinder besonders im ersten Lebensjahr konfrontiert werden • Ihre Bewegungsmöglichkeiten sind am Anfang noch stark eingeschränkt (abhängig vom Reifestand) • Zusätzlich werden ihre Bewegungsmöglichkeiten durch zivilisatorische Vorrichtungen und Maßnahmen (Kleidung, Windeln, Wiege, Bettchen) weiter eingeschränkt (von Natur aus sind Säuglinge Traglinge!) Beispiele für typische (äußere) Grenzen in der Kindheit (Vorschulalter) Es gilt: Wenn die Mutter oder der Vater “Nein” sagen, dann stellt das eine Grenze dar - der Wunsch des Kindes wird nicht erfüllt, das Thema ist damit erledigt. Beispiele: • Wenn das Kind von der Schule kommt, darf es Ranzen u. Schuhe nicht einfach kreuz u. quer im Flur ablegen • Um eine bestimmte Uhrzeit muss es zuhause sein. • Der Fernseher darf nur von 18.00 bis 19.00 Uhr eingeschaltet werden. • Wenn Erwachsene reden, darf das Kind nicht dazwischen zu reden. • Es darf die Wohnung/das Haus (den Hof, Garten usw.) nicht allein verlassen. • Wenn es eine Grenze nicht einhält, hat dies Konsequenzen (es wird nötigenfalls bestraft). Was geht in Kindern vor, wenn ihnen solche Grenzen gesetzt werden? • Im besten Fall sind sie mit der jeweiligen Grenzziehung einverstanden, den Eltern zuliebe ode weil sie die Beweggründe der Eltern (oder ihrer anderen erwachsenen Bezugspersonen) verstehen und akzeptieren. • In den meisten Fällen spielt sich das Einhalten von Grenzen aber eher nach dem Prinzip nolens-volens ab: Wohl oder übel werden Grenzen respektiert gezwungenermaßen, notgedrungen, unfreiwillig, zwangsläufig … • Im schlimmsten Fall fühlen sich beständig begrenzte Kinder unterdrückt, erleben sich als ewig zurückgewiesen und schließlich als minderwertig und ungeliebt - ihr Selbstvertrauen, ihre Zuversicht und ihr Selbstwertgefühl nehmen Schaden. Kontroverses Thema: Grenzen, die (den eigenen) Kindern von fremden Erwachsenen gesetzt werden • Wann, in welchen Situation und bei welchen Anlässen wäre das (für Sie) akzeptabel? Und wie sollte es ablaufen? • Direktes fremden Kindern Grenzen setzen – oder auf dem Umweg über die Eltern? • Diese Fragen werden ganz unterschiedlich beantwortet • Denn: Jede Familie ist anders (nächste Folie)! „Grenzen setzen“ – Behandlung des Themas in den Medien • In den Medien wird oft bedauert, dass den Deutschen anscheinend der soziale Kompass abhanden gekommen ist: „Wir scheinen unsere gemeinsamen Bewertungsmaßstäbe verloren zu haben. Wir <wissen> nicht mehr prinzipiell: So und so muss es sein.“ (DER SPIEGEL 2011). • Meine Meinung: Bedauern ist unangebracht. Wir leben in einer pluralen, vielfältigen und vielschichtigen, multikulturellen Gesellschaft, in der Kinder immer seltener, ältere Menschen immer häufiger anzutreffen sind (demographischer Wandel). • Interessanterweise wird zur Zeit – angesichts einer deutlich zunehmenden Ausländerzahl, der Ruf nach einer (deutschen) „Leitkultur“ (Friedrich Merz im Oktober 2000) wieder lauter… Jede Familie ist anders – was bedeutet das für das Thema „Grenzen setzen“? • In manchen Familien werden Kindern zahlreiche Grenzen gesetzt. Was bedeutet das für die Entwicklung der betroffenen Kinder? • In anderen Familie werden den Kindern nur wenige Grenzen gesetzt. Was bedeutet das für die Entwicklung der betroffenen Kinder? • Was ist aus pädagogischer Sicht empfehlenswert? Es gibt keine Patentlösungen. Auf die Signale der Kinder sollten beachtet werden. Anlässe und Gründe von Eltern oder anderen für die Erziehung verantwortlichen Personen Kindern Grenzen zu setzen • Wenn diese sich selbst gefährden • Wenn sie andere gefährden • Wenn sie gegen Regeln verstoßen, die mit ihnen (z. B. in der Familie oder KiTa) vereinbart wurden • Wenn sie gegen soziale, gesellschaftlich festgelegte Konventionen und Verhaltensnormen verstoßen (es gilt: Kants Kategorischer Imperativ in sehr vereinfachter Form: „Was du nicht willst, das Dir man tu, das füg auch keinem anderen zu“) • Wenn sie ihren Eltern/Bezugspersonen etwas angedeihen lassen wollen, dass sie auch selbst erledigen können (Bequemlichkeit) Sinnvoll Grenzen setzen – eingebaut in die elterliche Erziehung • Grenzen können Kindern Halt geben (z. B. Kleinkindern bei der Spannungsregulation) • Grenzen müssen altersgemäß sein, ggf. auch geschlechtsspezifisch • Grenzen sollten den Kindern verständlich gemacht werden • Persönliche Grenzen sollten in ICH-Form gesetzt und erklärt werden • Jede Familie (jedes Kind) ist einzigartig und hat ihre eigenen Auffassungen von Grenzen: Wir leben in einer pluralen Gesellschaft, in der es keine Patentrezepte fürs Grenzen setzen und all die individuellen Fälle gibt K. A. Schneewinds Konzept „Freiheit in Grenzen“ Das Konzept beruht auf drei Säulen: • Klare Grenzen setzen und sie, soweit möglich, begründen • Das Kind als Person in jeder Situation wertschätzen (auch wenn man ein konkretes Verhalten des Kindes, z. B. die Nichteinhaltung einer Grenze, missbilligt) • Seine Eigenständigkeit fördern es (innerhalb der gesetzten Grenzen) bewusst gewähren und eigene Erfahrungen sammeln lassen. Dadurch wird die Entwicklung von Kindern gefördert und unterstützt, so dass sie heranwachsen zu • lebensbejahenden, • selbständigen, selbstbewussten • leistungsbereiten und • gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten. Praktisches Vorgehen beim Grenzen setzen (1) Abwarten, solange wie möglich (wenn eine Grenzüberschreitung droht). Den sprichwörtlich langen Geduldsfaden bewahren (2) Begrenzen, trennen, intervenieren, wenn es nötig ist (Beispiele aus der Trotzphase!). (3) Anschließend den Kontakt wieder herstellen. Dieser Schritt ist sehr wichtig. Wer Grenzen setzt, schreitet ein, unterbricht, stört, weist zurecht, engt ein, beschränkt. Grenzen unterbrechen den Fluss der Dinge, den Ablauf des Geschehens und können, wenn sie abrupt und gegen den Willen der Kinder eingesetzt werden, auch die Beziehung zu diesen belasten und beeinträchtigen • Grenzen sollen sich nicht gegen Kinder richten, nicht diese ablehnen und einschränken, sondern möglichst angemessen und kindbezogen sein Konsequenzen bei und Verhalten nach Verstößen? • Wie sinnvoll sind Strafen, Sanktionen, Entzug von Privilegien? • Aus meiner Sicht Tabu sein sollten physische Gewalt, Drohungen, Liebesentzug, Blaming! • Sinn macht kindgemäßes kognitives Strukturieren (erläutern, erklären, begründen, verständlich machen): • Du bist okay, Deine Wut kann ich nachvollziehen, aber keine aggressive Handlung bitte! Warum macht es Sinn, unseren Kindern auch „grenzenlose Freiheit“ zu ermöglichen? • Alle Babys kommen neugierig auf die Welt • Ihr (unser aller) Gehirn ist so getaktet, dass sie sich (wir uns) reflexartig allem Neuen zuwenden (Hinwendungs- u. Abwendungsreaktion: orienting reflex vs. startle reflex) • Ihr (unser aller) Gehirn fragt im Drei-Sekunden-Takt „Was gibt es Neues auf der Welt“ • Im Hinblick auf die Ausprägungsstärke der Hinwendungs- und Abwendungsreaktionen unterscheiden sich Babys von Anfang voneinander • Aber alle sind neugierig, immer und immer wieder Warum macht es Sinn, den Kleinen „grenzenlose Freiheit“ zu ermöglichen? • Manche beschäftigen sich länger mit etwas Neuem, das sie interessiert, manche nicht so lange • Manche bevorzugen diese, andere jene neuen Reize - Babys haben von Anfang an persönliche Vorlieben (sie fühlen sich von bestimmten Objekten, Geräuschen, Gerüchen stärker angezogen als von anderen) • Die Gründe dafür liegen in ihren individuellen Anlagen, bilden sich möglicherweise auch noch im Mutterleib weiter aus. • Aber: Sie signalisieren von Anfang an, was sie interessiert z. B durch Blick- und Zuwendungsverhalten Angeborene Neugier: Die Orientierungsreaktion • Kinder sind von Natur aus neugierig. Sie wenden sich Neuem reflexartig zu. Die Ursache dafür ist der angeborene Orientierungsreflex, der auch Orientierungsreaktion genannt wird. • Diese grundlegende Bereitschaft gilt es feinfühlig zu fördern (dafür sind Akzeptanz, Wertschätzung und eine sichere Bindung zentral und Zeitknappheit kontraindiziert) • Das sich reflexartig neuen Objekten zuwenden ermöglicht Erkundung (mehr oder weniger intensive Exploration) und (allmähliche) Gewöhnung (Habituation) • Schnelle und langsame Habituierer - Vorteile und Nachteile (teilweise genetisch determinierte Unterschiede) • Die Orientierungsreaktion steht im Wechselspiel mit der Schreckreaktion, die ausgelöst wird, wenn neuartige Reize zu intensiv, neuartig oder chaotisch erlebt werden (individuelle Unterschiede im Hinblick auf die Habituation). Schon Kleinkinder signalisieren, was sie wollen • Babys haben von Anfang an persönliche Vorlieben (sie fühlen sich von bestimmten Objekten, Geräuschen, Gerüchen stärker angezogen als von anderen). • Die Gründe dafür liegen in ihren individuellen Anlagen, bilden sich möglicherweise auch noch im Mutterleib weiter aus. • Sie signalisieren von Anfang an, was sie interessiert durch Blick- und Zuwendungsverhalten). Von der Geburt an vorhanden: • Von Geburt an kompetent – interessant ist sich vor Augen zu führen, was Neugeborene schon alles mitbringen auf die Welt: • Bindungsbereitschaft • Angeborenes Nachahmungspotential (Spiegelneuronen) • Neugier (Orientierungs- und Abwendungsreflex) • Angeborene Vorlieben (z. B. für lebendige Objekte, Sprachliche Laute, Gesichter, Streicheleinheiten) • Angeborenes mimisches Ausdrucksrepertoire • Auf den Anfang kommt es an: Bedeutung der ersten Lebensmonate (was uns die Hirnforschung berichtet) Fördern von Flow – von Anfang an • Schon dem Baby alle Zeit geben, die es braucht, wenn es von sich aus Interesse an etwas signalisiert und anfängt sich damit zu beschäftigen • Nicht lenkend eingreifen in die Art und Weise, wie sich das Baby mit der Sache beschäftigt • Wenn das Interesse abklingt, dem Baby Zeit lassen zur Verarbeitung • Schnuller-Experimente: Während einer intensiven Beschäftigung hören sie auf zu nuckeln, hinterher (wenn sie verarbeiten), nuckeln sie wieder intensiver Natürlich kann Kindern grenzenlose Freiheit nicht kontinuierlich ermöglicht werden, durchaus aber hin und wieder, z. B. in dem wir ihnen • großzügige Zeitkontingente zu Verfügung stellen, sie zu Ende spielen lassen (zuweilen kann an einem Spiel tagelang weitergespielt werden und es baut sich wie von selbst so etwas wie FLOW auf) • indem wir ihnen Phantasiereisen und ausgedehntes Rollen- und imaginatives Spiel ermöglichen • wir neugierig auf die Kinder sind, uns nicht von Vorannahmen (oder unseren eigenen Wolkenkuckucksheimen), sondern von den Kindern steuern lassen (wir können viel von unseren Kindern lernen: Kindermund tut Weisheit kund!) Wie werden die Fundamente dafür gelegt? • Aufbau intrinsischer Motivation, d. h. zu • ermöglichen, das sich Kinder intensiv mit einer Sache beschäftigen können, für die sie sich interessieren • Flow-Erleben stellt sich im Idealfall gleichsam wie von selbst her – dadurch können Kinder Kennerschaft erwerben • und lernen analog und problemorientiert zu denken Fazit Wenn Sie alles beherzigen, fördern Sie behutsam und kindgemäß die Beschäftigungsvorlieben, Interessen und Begabungen ihrer Kinder und implizit damit auch ihre Fähigkeit von sich aus immer wieder FLOW (und damit ein Stück „grenzenlose Freiheit“) herzustellen und ihrer Entwicklung gemäß auszubauen und zu erweitern Entwicklung im 1. Lebensjahr • Vom Lallen zum Plappern zu ersten Wortschöpfungen • Soziales Lächeln, Basisemotionen • Vom Tun zum immer zielgerichteteren Er- und Begreifen • Erwerb der Zeigegeste • Das zweite Lebenshalbjahr (Motorische Fortschritte: Sitzen, Krabbeln, Stehen, Gehen • Symbiose mit der Mutter, Fremdeln • Vorläuferformen von Vorstellungen • Ausbildung von Objekt- und Personpermanenz • Erste vorläufigen Konzepte aus (z. B. Verwendung des Wortes „Ball“ für alles Runde und Rollende oder des Wortes „wau“ für ganz verschiedene Tiere) Entwicklung im 2. Lebensjahr • • • • • Vom Gehen zum Laufen Mit Richtungswechseln Treppen steigen Kurz auf einem Bein stehen, hüpfen Feinmotorisch: z.B. mit dem Löffel essen, mit einem Stift kritzeln, Klötze in einen Behälter tun • Eingeschränkte Trainings- und Übungseffekte Kognitive Entwicklung im 2. Lebensjahr • Fortschritte in der Sprachentwicklung: Erste verständliche Wörter, Ein-Wort-Sätze, weitere Wörter kommen dazu, eigenen Namen benutzen, Zwei-Wort-Sätze • Im 2. Lebensjahr bildet das Kind immer differenziertere innere Vorstellungen von äußeren Dingen und Vorgängen, so genannte Repräsentationen. • Ich-Entwicklung (Bereitstellung neuronaler Voraussetzungen) Motorische Entwicklung im 3. Lebensjahr Grobmotorisch: Behender hüpfen und springen, schneller rennen, werfen, fangen (letzteres noch recht unsicher) Feinmotorisch: z.B. mit Gabel essen, vier Bauklötze aufeinander stellen, größere Perlen aufreihen auf Schnur, Flüssigkeit in einen anderen Becher umgießen Um diese Zeit herum sind Übungs- und Trainingseffekte teilweise belegbar (begabungsabhängig) Motorische Entwicklung im 3. Lebensjahr (2) • Kinder vor dem vollendeten 2. Lebensjahr einem speziellen motorischen Training (z.B. Skifahren, Eislaufen) zu unterziehen ist nicht sinnvoll, denn die biologischen Voraussetzungen müssen vorliegen, das heißt, die Reifung der entsprechenden Großhirnareale muss abgeschlossen sein. • Erst vom 3. Lebensjahr an erweist sich ein Training bestimmter Bewegungsabläufe als sinnvoll. Kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr • Sprachliche Entwicklungsfortschritte: • Wortschatzexplosion (von ca. 250 auf ca. 1000 Wörter mit 2,5 Jahren) • Längere, grammatikalisch immer korrektere Sätze • Sprache wird allmählich zum wichtigsten Mittel der Verständigung Weitere kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr • Das Selbst-Konzept wird differenzierter (wer bin ich = was kann ich, was gehört mit) • Bevorzugung überwiegend positiver Merkmale zur Selbstcharakterisierung • „Mein“ und „Dein“: Konzepte von Besitz und Eigentum entstehen Weitere kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr (3) • Die Konzepte von Raum, Zeit und Zahl differenzieren sich allmählich aus • Vorläuferformen einer „Theorie der Innenwelt“ (theory of mind) zeigen sich – eine echte Dezentrierung von der eigenen Perspektive erfolgt aber in der Regel erst ein Jahr später, gegen Ende des 4. Lebensjahres • Gegen Ende des 3. Lebensjahres differenziert sich auch das Konzept von „lebendig“ weiter aus (Pflanzen werden nicht mehr durchgängig als unbelebte Objekte eingestuft) Sozial-emotionale Entwicklung im Laufe des 3. Lebensjahres • Allmähliche Lockerung der engen symbiotischen Beziehung zur Mutter (wechselseitiger Prozess!) • Vorübergehende Trennung kann besser ausgehalten werden • Weitere Bindungen stabilisieren sich (Vater, Geschwister, Großeltern, Erzieherin) • Bedeutung der Kontinuität der zentralen Bezugspersonen • Die Trotzphase und ihre Wurzeln (prägende Erfahrungen) • Geben und Nehmen wird gelernt • Helfen und Hilfe bekommen Empfehlungen für die Praxis – bitte Vorsicht: • Jedes Kind hat sein eigenes Tempo und braucht seine eigene Zeit (es gibt große inter- und intraindividuelle Unterschiede im Entwicklungstempo) • Den richtigen Zeitpunkt (Beginn der sensible Phase) abwarten, nichts forcieren wollen: Kleine Kinder lernen spielend! Empfehlungen für die Praxis - Fortsetzung - Feinfühlig sein für die Signale, die vom Kind kommen und auf diese eingehen: Vor allem durch gelungene Interaktionen – wirklich wechselseitiges aufeinander Bezugnehmen – baut sich eine gute Beziehung auf - Dem Kind Vertrauen schenken: Vertrauen in das Kind festigt sein Selbstvertrauen Empfehlungen für die Praxis Fortsetzung • Sich grundlegende Kenntnisse verschaffen über die entwicklungspsychologischen und pädagogischen Grundlagen der Kindheit – und sich nicht verunsichern lassen durch manchmal widersprüchlich erscheinende Fakten • Die eigene Sicherheit vermittelt auch den Kindern Sicherheit und Vertrauen in das eigene Können • Sich Zeit nehmen zum zum Spielen, zum Anregen, zum Schmusen – Kinder brauchen Zeit, zuweilen ganz viel Zeit (das sind Freiheiten + Freiräume) !! • Die Frustrationstoleranz der Kinder stärken und ihre Widerstandsfähigkeit (Resilienz) ausbauen – wie geht das? Empfehlungen für die Praxis Fortsetzung • Auf sein Gefühl und seine Intuition kann man sich zumeist, aber nicht immer verlassen • Der Aufbau und die Aufrechterhaltung einer guten Beziehung ermöglicht den Kindern Neugier und selbständiges Explorieren • Neugierig auf das Kind sein, offen sein für ungeahnte, überraschende, ungewöhnliche Seiten, die es spontan (zeitweilig kann das Kind ein wichtiger Lehrer für die Eltern sein) Lernen und Förderung in außerfamilialer institutioneller Betreuung • hängt ab von der Qualität der jeweiligen Einrichtung • Öffentliche sind besser als freie sind besser als private Einrichtungen (im statistischen Durchschnitt) • Kooperationseinrichtungen sind besser als Krippen sind besser als Tagesmütter Kognitive Entwicklung gegen Ende des 2. Lebensjahres • Ich-Entwicklung (neuronale Voraussetzungen) • 3 Phasen (aufgeregt-aktiv; Playmate und Verunsicherung, Gehemmtheit; allmählich sich im Spiegel erkennen) bei den „Spiegel-Ich“-Untersuchungen • „Rouge-Test“ Kognitive Entwicklung im 3. Lebensjahr • Das Ich und Selbst wird differenzierter (was kann ich?) • „Mein“ und „Dein“: Konzepte von Besitz und Eigentum entstehen Sozial-emotionale Entwicklung im Laufe des 3. Lebensjahres • Allmähliche Lockerung der engen symbiotischen Beziehung zur Mutter (wechselseitiger Prozess!) • Vorübergehende Trennung kann besser ausgehalten werden • Weitere Bindungen stabilisieren sich (Vater, Geschwister, Großeltern, Krippenerzieherin) • Bedeutung der Kontinuität der zentralen Bezugspersonen • Die Trotzphase und ihre Wurzeln (prägende Erfahrungen) Kognitive Entwicklung von 4-6 Jahren (1) • Fundamental ist der neurophysiologische Entwicklungsschub, der in der 2. Hälfte des 4. Lebensjahres einsetzt • Explizites Gedächtnis (Strategienerwerb: Wiederholen, Ordnen, selektive Aufmerksamkeit) • Kausales Denken (allmähliche Lockerung der engen raumzeitlichen Nähe zwischen Ursache und Wirkung) • Problemlösen (z.B. durch analoges Denken, einer Wurzel von Kreativität – Pfirsichkerne statt Steine) • Begriffe hierarchisieren (Lebewesen – Säugetiere – Nagetiere - Mäuse): Differenzierung und Integration der kognitiven Strukturen • „Theorien im Hinterkopf“ bilden sich aus: Kognitive Entwicklung von 4-6 Jahren (2) – Theorien über die Welt • Welt der äußeren Dinge und Ereignisse (naive Theorie der Physik), z.B. Vorstellungen von der Erde • Innenwelt (naive Theorie der Psychologie) – Differenzierung zwischen eigener und fremder Innenwelt – und Außenwelt werden allmählich unterschieden • Welt des Lebendigen (Wachstum, Fortpflanzung, Vererbung) Gemeinsam mit Cornelia Nitsch wird in diesem kürzlich erschienenen Buch die Sichtweise der Kinder dargestellt