Beispiel

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Prof. Kirsten Meyer
WS 2010/11
VL Glück und gutes Leben
Glück und gutes Leben
Wunschtheorien II
Letzte Vorlesung
• 1. Problem der Wunschtheorie:
• Es gibt gute Gründe dafür, dass nur die
Befriedigung informierter Wünsche das Leben
besser macht.
• Damit scheint man aber die Grundintuition
preiszugeben, aus der die Wunschtheorie ihre
Stärke bezieht.
Letzte Vorlesung
• 2. Problem:
• Nicht die Befriedigung aller Wünsche ist gut
für uns.
• Außerdem bereichern Dinge unser Leben, die
wir uns gar nicht gewünscht haben.
• Wunscherfüllung ist also weder eine
notwendige noch eine hinreichende Bedingung
dafür, dass etwas unser Leben besser macht.
Ein weiteres Problem für die
Wunschtheorie: Entfernte Wünsche
• 3. Problem: Unsere Wünsche erstrecken sich
so weit (zeitlich und räumlich), dass die
Annahme, ihre Erfüllung würde immer etwas
mit unserem eigenen Wohlergehen zu tun
haben, unplausibel ist.
Beispiel
• Beispiel: Ich wünsche jemandem Gutes, der
mir im Zug seine Geschichte erzählt, werde
aber nie erfahren, ob dieser Wunsch
eingetreten ist.
• Ist es dennoch gut für mich, wenn ihm Gutes
widerfährt?
Mögliche Lösung für dieses Problem
• Mögliche Lösung: Man zählt nur die Wünsche,
die sich auf unser eigenes Leben beziehen.
• Problem damit: Welche Wünsche fallen
darunter?
• Fällt zum Beispiel der Wunsch darunter, den
eigenen Kindern solle es gut ergehen?
Weitere mögliche Lösung für dieses
Problem
• Vorschlag: Die Befriedigung unserer Wünsche
trägt nur dann zu einer Verbesserung unseres
Lebens bei, wenn wir auch tatsächlich davon
erfahren, dass diese Wünsche befriedigt
werden.
Problem mit dieser Lösung
• Das bringt uns aber wieder in die Nähe des
Hedonismus, da auch hier unsere subjektiven
Erfahrungen konstitutiv unser Glück sind.
• Gibt es überhaupt noch einen Unterschied zum
Hedonismus?
Möglicher Unterschied
• Bestimmte Erfahrungen (der
Wunschbefriedigung) sind hier zwar eine
notwendige Bedingung, dafür, dass uns etwas
Gutes widerfährt, aber keine hinreichende (es
bedarf auch des Wunsches).
• Oder anders: Positive Erfahrungen zählen nur,
wenn ihnen ein Wunsch vorausgeht.
Zurück zum 2. Problem
• Problem: Es ist wenig plausibel anzunehmen,
dass uns nur in der Befriedigung unserer
Wünsche Gutes widerfährt.
• Außerdem: Was ist eigentlich gut an der
Wunschbefriedigung?
• Der Hedonist hat eine Antwort: Dass man dies
als befriedigend erfährt.
• Welche Antwort kann der Wunschtheoretiker
noch geben?
Zurück zu 3. Problem
• Sollte man sagen, dass die Erfüllung unserer
Wünsche unabhängig von unseren
Erfahrungen gut ist?
• Oder die Nicht-Erfüllung unabhängig davon
schlecht?
Beispiele
• Ist es gut für uns, wenn der Fremde aus dem
Zug, dem wir alles Gute für seine Bewerbung
wünschten, den Job tatsächlich bekommt obwohl wir nie davon erfahren?
• Ist es schlecht für uns, wenn niemand auf
unserer Beerdigung erscheint?
• Ist es schlecht für uns, wenn unser (erklärter)
letzter Wille nach unserem Tod nicht
berücksichtigt wird?
Erweiterung der letzten Frage
• Sollten wir die Wünsche der Toten
berücksichtigen?
• Wer diese Frage bejaht, muss nicht behaupten,
dass dies gut für die Toten ist.
• Alternative Begründung: Wir haben es
versprochen.
• Allerdings dürfte die Begründung dieser
moralischen Pflicht nicht auf den „welfareeffects“ beruhen (den die werden hier ja
gerade bestritten).
Aber kann uns nun nach unserem Tod
Schlechtes widerfahren?
• Diese Frage ist in der Literatur sehr umstritten.
• Ja - uns kann Schlechtes widerfahren, meint
z.B. Feinberg (in Harm to Others)
• Nein - meint z.B. Sumner (1993, S. 80):
• „[O]ne of the few advantages of death is that it
puts us beyond the possibility of further harm.“
Jenseits dieses Streits
• Es gibt weniger umstrittene Beispiele dafür,
dass die Erfüllung mancher unserer Wünsche
offenbar nichts zu unserem Wohl beiträgt.
• Beispiel: Der Fremde im Zug.
• Mögliche Lösung: Erfahrungsabhängige
Wunschtheorie.
• Eine Deutung dieser Lösung: Mischung aus
Wunschtheorie und Hedonismus.
Wunschtheorie (+ notwendige
Bedingung Freude):
• Was letztlich zählt, ist die Befriedigung
unserer Wünsche. Aber es zählt nur die
Wunschbefriedigung, die uns auch Freude
bereitet.
• Beispiel: Wenn es dem Fremden, den ich im
Zug Gutes gewünscht habe, später auch gut
ergeht (und ich nicht davon erfahre), dann trägt
das nicht zu meinem Glück bei.
Hedonismus (+ notwendige Bedingung
Wunscherfüllung):
• Was letztlich zählt, ist die Freude. Aber es
zählt nur die Freude, die mit unseren
Wünschen übereinstimmt.
• Beispiel: Die Freude des Schriftstellers über
sein gutes Buch zählt nur, wenn dieses Buch
auch tatsächlich gut ist. (Der er wollte ja ein
gutes Buch schreiben).
Probleme dieser Erweiterungen
• Es bleibt unklar, wie diese jeweils zusätzliche
Bedingung im Rahmen der jeweiligen
Theorien zu begründen ist.
• Beispiel erweiterter Hedonismus: Wenn
Freude alles ist, was zählt, warum sind dann
plötzlich Wünsche wichtig?
Probleme dieser Erweiterungen
• Wenn der Wunschtheoretiker nur Wünsche
zählen will, deren Befriedigung wir auch
erfahren, dann steht er in Bezug auf einige
Einwände gegen den Hedonismus nicht länger
besser dar als dieser.
• Z.B. kommt er dann nicht besser als der
Hedonist mit dem Beispiel des betrogenen
Geschäftsmanns klar.
Welche Grundform?
• Also (erst einmal) zurück zu den
Grundformen.
• Spricht mehr für den Hedonismus, oder spricht
mehr für die Wunschtheorie?
• Im Folgenden: Ein weiterer Einwand gegen die
Wunschtheorie.
Gegen die Wunschtheorie
• Scanlon (1993):
• Die Tatsache, dass etwas unser Leben besser
macht, versorgt uns mit einem Grund dafür,
dies herbeizuführen.
• Wenn die Wunschtheorie zutreffend wäre,
dann würde uns die Tatsache, dass etwas
unseren Wunsch befriedigt, einen solchen
basalen Grund liefern.
Gegen die Wunschtheorie
• Scanlon: Aber Wünsche liefern uns keine
solchen basalen Gründe.
• Solche Gründe müssen wir in bestimmten
Bewusstseinszuständen (z.B. Freude) suchen
oder unter Verweis auf andere substantielle
Güter.
Gründe versus Präferenzen
• Zusätzliche Überlegung (nicht von Scanlon):
• Kritik an einer wichtigen ökonomischen
Grundannahme.
• Annahme: Nur wenn aus der Bevorzugung von
A gegenüber B und von B gegenüber C auch
die Bevorzugung von A gegenüber C folgt
(Transitivität), sind diese Präferenzen als
rational zu bezeichnen.
Keine rationalen Präferenzen?
•
•
•
•
1. Ich finde A besser als B.
2. Ich finde B besser als C.
3. Ich finde C besser als A.
Diese Einschätzung wird nicht als
widerspruchsfrei akzeptiert.
• Aber ist diese Kritik immer berechtigt?
Gegenbeispiel
• Maurice fährt lieber nach Rom (A) als zum
Bergsteigen (B).
• Maurice fährt lieber zum Bergsteigen (B) als
zu Hause zu bleiben (C).
• Aber:
• Maurice bleibt lieber zu Hause (C) als nach
Rom zu fahren (A).
Maurices Gründe
• Suppose the explanation of Maurice‘s
preferences is this: He is frightened of heights,
and therefore he would rather go to Rome than
go mountaineering. Sightseeing bores him,
however, and therefore he would rather stay
home than go to Rome. ...
Maurices Gründe
• ...But Maurice sees a choice of staying at home
and undertaking a mountaineering trip as a test
of his courage. He believes it would be
cowardly to stay at home, and that is why he
prefers to go mountaineering.
• Broome, John (1999): Ethics out of economics,
Cambridge University Press. S. 73.
Maurices Gründe?
• Maurice hasst Bergsteigen (B), weil er Angst
davor hat; daher fährt er, vor die Wahl gestellt,
lieber nach Rom (A). (Also A besser als B)
• Wenn Maurice die Wahl hat zwischen
Bergsteigen (B) und zu Hause bleiben (C),
dann fände er es feige und armselig, zu Hause
zu bleiben und geht daher lieber Bergsteigen
(Also B besser als C).
Maurices Gründe?
• Aber vor die Wahl gestellt, zu Hause zu
bleiben (C) oder nach Rom zu fahren (A),
bleibt er lieber zu Hause, weil er keine Lust
auf Sightseeing hat (Also C besser als A).
• Wogegen spricht dieses Beispiel?
• Mein Vorschlag: Nur auf bloße Präferenzen zu
schauen und die Gründe dafür außer Acht zu
lassen.
Zurück zu Scanlon
• Scanlon:
• „My preferences are not the source of reasons
but reflect conclusions based on reasons of
other kinds.“
• Scanlon 1993, S. 191.
• Aber welche Gründe sind das? Scanlon geht
hier über eine hedonistische Position hinaus.
Fazit: Hedonismus versus
Wunschtheorie
• Für den Hedonismus spricht, dass er Gründe
dafür liefern kann, warum wir bestimmte
Wünsche haben und warum es gut ist, sie zu
erfüllen.
• Frage aber: Nennt er wirklich alle relevanten
Gründe – zumindest bezogen auf die Wünsche,
die unser eigenes gutes Leben betreffen? (also
z.B. moralische Wünsche ausgenommen?)
Gründe und gutes Leben
• Einwand gegen den Hedonismus:
• Es kann auch andere Gründe dafür geben, dass
etwas unserem Leben zuträglich ist, als den,
dass es Freude bereitet.
• Manche sagen:
• Z.B., dass man etwas aus seinen Fähigkeiten
macht.
Ein weiteres Beispiel
• Rawls‘ Beispiel (Theory of Justice, 379):
• Ein brillianter Mathematiker bildet den
Wunsch aus, alle Grashalme auf der Wiese vor
seinem Büro zu zählen.
• Frage: Führt er, Grashalme zählend, ein gutes
Leben?
Mögliche negative Antworten
• 1. Nein, weil es keine Freude bereitet,
Grashalme zu zählen. Das wäre eine mögliche
Antwort des Hedonisten.
• 2. Nein, weil der brilliante Mathematiker
stattdessen etwas aus seinen Fähigkeiten
machen sollte. Das wäre eine mögliche
Antwort des Objektivisten.
Zur 2. Antwort
• In den nächsten Vorlesungen werde ich mich
nun mit der 2. Antwort (und verwandten
Antworten) beschäftigen.
• Also mit objektivistischen Theorien des guten
Lebens.
Diese Theorien wenden sich gegen:
• 1) Gegen den Hedonismus
• a) Nicht jede Art von Freude macht das Leben
besser.
• b) Freude ist nicht alles – es gibt noch andere
(objektive) Güter
• 2) Gegen die Wunschtheorie
• a) Nicht jede Art von Wunscherfüllung macht
das Leben besser.
Noch einmal: Mischformen
• 1) Hedonist/Objektivist:
• Es zählt nur die Freude, die sich auf die
objektiv guten Dinge/Tätigkeiten richtet.
• Z.B. die Freude daran, ein objektiv gutes Buch
zu schreiben.
Mischformen
• 2) Hybrid Wunschtheorie/Objektivist
• Es zählen nur die Wünsche, die sich auf die
objektiv guten Dinge/Tätigkeiten richten.
• Z.B. nicht der Wunsch, Grashalme zu zählen
• Zu 2): Denjenigen, die von „informed-desires“
reden, wird oftmals unterstellt, eigentlich eine
solche hybride Theorie zu vertreten.
Objektivismus?
• Beim nächsten Mal:
• Klärung der Frage, was genau eigentlich unter
einer subjektiven oder objektiven bzw.
subjektivistischen oder objektivistischen
Theorie des guten Leben zu verstehen ist.
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