Axiologie heißt die allgemeine Wertlehre. Sie formuliert unter

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Vorlesung Hedonismus Frühling 2008 – copyright Jean­Claude Wolf
INTRINSISCHE WERTE
Axiologie heißt die allgemeine Wertlehre. Sie formuliert unter anderem einen Katalog der intrinsischen Werte. Dazu können moralisch neutrale Werte (wie Lust, ökonomische Kosten), aber auch moralische Werte (wie Tugend, Gerechtigkeit) oder ästhetische Werte (wie Schönheit) gehören. Es gibt auch Werte (wie z.B. Freundschaft), die sich nicht eindeutig als moralisch oder nicht­moralisch klassifizieren lassen. Kataloge von Werten und Normen sind aus verschiedenen Traditionen und Bereichen (wie Recht, Moral, Ökonomie, Beruf etc.) bekannt und werden immer wieder vorausgesetzt, aber auch kritisiert und revidiert. Sie enthalten die Standards, die praktischen Entscheidungen zugrunde liegen. Ein Auto wird z.B. ausgewählt und gekauft nach den Standards des Preises, der Leistungsfähigkeiten, der ästhetischen Qualitäten und der Umweltverträglichkeit.
Werte sind wie Wegweiser; sie zeigen in eine bestimmte Richtung, z.B. in die Richtung einer idealen Welt ohne Leiden und Ungerechtigkeiten. Sie sind weniger präskriptiv und weniger handlungsspezifizierend als Normen. Ein typischer moralischer Wert ist z.B. die Ehrfurcht vor dem Leben oder der Respekt vor Personen.
Normen sagen uns, was wir tun sollen oder was verboten ist. Sie gleichen Verbotsschilder (z.B. „Rasen betreten verboten“, „schneller Fahren als 60 Stundenkilometer verboten“ etc.) Normen sind präskriptiv und sagen und genau, welche Arten von Handlungen erfordert oder verboten sind, z.B. „Die direkte und absichtliche Tötung unschuldiger Personen ist moralisch verboten“. Werte sind mit Normen verwandt, doch sie sind nicht identisch mit moralischen Normen. Zu den Werten gehören z.B. auch ästhetische Werte. Das Urteil „X ist schön“ verpflichtet uns nicht auf moralische Weise dazu, X schön zu finden; es ist nicht unmoralisch, ein abweichendes Urteil zu haben. Uneinigkeit in ästhetischen Fragen ist leichter zu ertragen als Uneinigkeit in moralischen Fragen. Das Urteil „X ist schön“ ist auch nicht präskriptiv; es heißt nicht, daß ich Gegenstände von der Art X sammeln oder hervorbringen soll.
Intrinsischer Wert: vier Definitionen (nach Paul W. Taylor)
1) was um seiner selbst Willen gesucht wird, was als Zweck an sich gewünscht wird [what is sought for its own sake, or desired as an end in itself].
2) Was seinen Wert hat durch das eigene Wesen, nicht durch seine Konsequenzen oder seine Beziehungen zu anderen Dingen [value due to its nature rather than to its consequences or its relation to other things]
3) Was einen nicht­abgeleiteten Wert hat [nonderivative value]
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4) Eine nicht­natürliche, objektive Eigenschaft, die einem Ding oder Sachverhalt inhäriert [a non­natural, objective property]
Die Definition 1) definiert genau genommen nicht den Wert selber, sondern die Einstellung oder den Glauben von Menschen. Es ist möglich, daß etwas um seiner selbst willen gewünscht wird, aber keinen intrinsischen Wert hat im Sinne der Definitionen 2), 3) und 4).
Ein Empirist kann sagen: Daß etwas um seiner selbst Willen gesucht oder als Zweck an sich selber gewünscht wird, ist ein Indiz (oder ein schwacher Beweis) dafür, daß das Gesuchte in sich gut ist. John Stuart Mill (In Utilitarianism, ch. 4 „Of What Sort of Proof the Principle of Utility Is Susceptible“) formuliert einen solchen schwachen (oder indirekten) Beweis. (Dieser schwache Beweis hat die Form: What is desired (by most people), seems to be desirable). Mehrere Varianten dieses Beweises kommen in Betracht: X ist gut, weil x von sehr vielen Menschen um seiner selbst Willen gesucht wird, oder weil x von sehr vielen informierten und rational aufgeklärten Personen um seiner selbst willen gesucht wird. Der Empirist kann jedoch keine All­Aussagen begründen wie „Alle Menschen suchen Lust.“ Er kann auch nicht eigentlich beobachten, sondern muß interpretieren, ob Menschen die etwas um seiner selbst willen suchen, und nicht um anderer Dinge oder Werte willen.
Ein Kritiker des Empirismus (wie Immanuel Kant oder George Edward Moore) wird sagen, daß die Tatsache, was Menschen suchen oder wünschen, niemals einen Wert zu begründen vermag. Werte lassen sich nicht im menschlichen Streben begründen. Zwischen Tatsache und Wert besteht ein tiefer Unterschied; über Tatsachen urteilen wir mit deskriptiven Urteilen, während wir mit Werturteilen nicht oder nicht primär die Welt beschreiben. Werturteile enthalten ein Element von Sollen, und dieses Sollen (Normativität) entzieht sich dem Empirismus (oder Naturalismus), für den es nur Fakten gibt.
Die Definition 2) erlaubt es, intrinsische Werte durch die Methode der Isolation (Moore) zu ermitteln. Intrinsisch gut ist und bleibt etwas auch unabhängig von den sich wandelnden Umständen; man könnte auch sagen, daß etwas gut bleibt unter allen Bedingungen und Konstellationen, selbst dann, wenn es keine empfindungsfähigen Wesen mit Wünschen mehr gibt. Eine saubere und geordnete Welt ist nach Moore an sich schöner und wünschenswerter als eine chaotische und schmutzige Welt, auch wenn es keinen Menschen mehr gäbe. (Der Hedonist dagegen bestreitet, daß es solche objektive Werte gibt.) Die Methode der Isolation von George Edward Moore ist ein Testverfahren durch Imagination. Gedankenexperimente über hypothetische Zustände treten an die Stelle der Empirie. Nach Kant ist z.B. der gute Wille das einzige unbedingte Gut, das unter allen denkbaren Umständen gut bleibt. Nur der gute Wille hat einen absolut konstanten Wert. Für den Hedonisten trifft das auf die Lust zu: Die Lust des tugendhaften Menschen ist in sich gut, so wie die Lust des lasterhaften Menschen. Kant versteht den intrinsischen Wert zugleich als moralischen Wert; der Hedonist versteht Lust als moralisch neutralen Wert.
Die Definition 2) vermag aber auch zu formulieren, daß eine Tätigkeit (z.B. ein Spiel) in sich gut ist, nämlich dann, wenn es um seiner selbst gespielt wird, ohne Rücksicht darauf, ob man dabei Geld verdient oder wie oft man gewinnt oder nur um der Erhaltung von Gesundheit und fitness wegen. Der Hedonist kann sagen: Ein Spiel, das um seiner selbst willen Freude bereitet, ist ein intrinsisch gutes Spiel. Es bereitet Freude, wenn es um seiner selbst willen 2
gespielt wird, heißt gerade nicht, daß es nur um der Freude willen gespielt wird. Stelle Dir vor, ob du das Spiel auch dann noch spielen würdest, wenn du dabei kein Geld mehr verdienen würdest ... – Es gibt eine Freude, die sich als Nebenwirkung einstellen kann, und eine Freude, die darin besteht, das Spiel um seiner selbst willen zu spielen. Das Spiel ist nicht ein Mittel zum Zweck (Freude zu erleben), sondern das Spiel macht Freude, weil es diese Art von Spiel ist [„it is the kind of game it is, it is an end in itself“ Taylor].
Die Definition 3) geht davon aus, daß intrinsische Werte nicht von anderen Werten abgeleitet sind und nicht andere Werte voraussetzen. Dies kommt der Unterscheidung zwischen Gut als Zweck und Gut als Mittel sehr nahe. Ein nicht­abgeleiteter Wert ist z.B. die Freude an einem Spiel; sie ist nicht abgeleitet von der Annahme, daß das Spiel profitabel sei.
Die Definition 4) setzt voraus, daß wir intrinsische Werte nicht beobachten können; sie kommen nicht in der natürlichen Welt vor. Um sie zu entdecken und zu verstehen, braucht es eine rein geistige Intuition. Diese Definition legt einen Intuitionismus nahe. Als intuitiv wahr gelten Sätze, von denen wir absolut gewiß sind, daß sie wahr sind. Diese Gewißheit läßt sich nicht korrigieren; wir verstehen nicht, was diese Gewißheit widerlegen könnte, sie sind nicht empirisch falsifizierbar; von einigen werden sie sogar für unfehlbar gehalten.
Intrinsische Werte im Sinne dieser Definition und entsprechende Intuitionen brauchen wir, sonst können wir in der Ethik oder Ästhetik nicht beginnen. Negativ gesprochen: Werturteile lassen sich nicht auf empirische Weise verifizieren oder falsifizieren. X ist in sich gut ist nicht eine Aussagen, die durch empirische, der Beobachtung zugängliche Fakten wahr oder falsch gemacht werden könnte. Anders gesagt: Auch eine vollständige Beschreibung der empirischen Welt enthält keine Werte und Normen. Die Annahme rein geistiger Intuitionen (wie z.B. in der Euklidschen Geometrie) ist ein Erbe der platonischen Auffassung von Werte als Ideen. Im Unterschied zu den drei ersten Definitionen setzt die vierte Definition eine bestimmte Epistemologie und Ontologie voraus. Sie geht davon aus, daß intrinsische Werte objektiv existieren, d.h. unabhängig von unseren Wünschen, Interessen und Meinungen. Die ersten drei Definitionen sind dagegen neutral; sie setzten nicht die Wahrheit des rationalen Intuitionismus und eines metaphysischen Realismus in bezug auf Werte voraus
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Der Hedonismus ist eine monistische Werttheorie. Er besteht in vier Prämissen:
A) Alle Lust/ Freude ist intrinsisch gut.
B) Nur Lust/ Freude ist intrinsisch gut.
C) Etwas ist in dem Masse intrinsisch gut, als es lustvoll [pleasurable] ist.
D) Was etwas intrinsisch gut macht ist die Freude, die es jemandem bereitet.
Der Hedonismus setzt einen nicht­moralischen Wert als den einzigen positiven intrinsischen Wert voraus, nämlich Lust. Daraus folgt, daß der Hedonismus noch keine ethische Position ist. Um vom Hedonismus zu einer ethischen Position zu gelangen, müssen zusätzliche Prämissen eingefügt werden, nämlich
1) Wie sollen wir uns zur Lust verhalten: Sollen wir Lust erhalten (nicht vermindern), vermehren oder gar maximieren?
2) Wessen Lust sollen wir beachten: Nur die eigene Lust (Egoismus)? Die Lust unserer Liebsten und Nächsten [near and dear]? Die Lust unserer Landsleute? Die Lust aller Menschen? Die Lust aller empfindungsfähigen Lebewesen, inklusive empfindungsfähige Tiere? Die Frage des Anwendungsbereichs der obligatorischen Rücksichten auf die Lust und das Leid anderer wird vom Hedonismus als solchen nicht beantwortet. – 3) Nach welchen Kriterien sollen wir Lust und Leiden in der Welt verteilen (distributive Gerechtigkeit)?
Die erste und zweite Frage betreffen vor allem die Anforderungen der Ethik. Eine minimale Moral besagt: Begnüge dich damit, deine eigene Lust zu erhalten, insbesondere Unlust zu vermeiden. Eine solche Moral kommt der Bequemlichkeit entgegen. Es ist eine „Moral für Faule“.
Es gibt eine Formulierung des Hedonismus, die eine egoistische Variante nahelegt und besagt: Suche deine eigene Lust. Sie kann sich darauf stützen, daß die Menschen von Natur aus ihre eigene Lust suchen; man könnte die Natur als Norm formulieren. Der Sinn einer solchen Formulierung besagt: Lasse dich nicht durch Vorurteile und Aberglauben von deinen natürlichen Instinkten abbringen. Folge deiner Natur! Finde heraus, was wirklich deiner Natur entspricht. Halte dich fern von künstlichen Bedürfnissen!
Es gibt eine Formulierung des Hedonismus, die eine universalistische Variante nahelegt, d.h. den Übergang vom axiologischen Hedonismus zu einer utilitaristischen Ethik. Diese besagt:
Die beste Form des Lebens ist ein Leben, in dem es möglichst viel Lust und möglichst wenig Unlust gibt. Angenehme Erfahrungen sind in sich gut, völlig egal, wessen Erfahrung es sind. Daraus könnte man nun eine utilitaristische Norm ableiten, die besagt: Fördere die Freuden aller Wesen, nicht nur die eigenen. Damit wäre eine simple egoistische Variante des Hedonismus (Fördere nur deinen eigene Lust) ausgeschlossen. Wenn ich genügend Energien dafür habe, meine Lust und die anderer zu fördern, dann sollte ich dazu beitragen, die Summe 4
der Freuden in der Welt zu vermehren. Der Utilitarist bemüht sich mehr und leistet auch mehr als der Egoist, um den Wert der Lust in der Welt zu vermehren.
Es gibt also eine Affinität des Hedonismus zur Idee der Maximierung (so viel Lust als möglich, so wenig Unlust als möglich) und zur Idee der Ausweitung der Rücksichten auf alle empfindungsfähigen Lebewesen. Diese beiden Elemente (Maximierung von Lust, Ausweitung der Rücksichten, „the expanding circle“) sprechen dafür, den Hedonismus in eine utilitaristische Ethik zu integrieren.
Es gibt aber auch Gründe gegen den Utilitarismus und für den hedonistischen Egoismus als Lebenskunst. Ein Einwand lautet: Der Utilitarismus ist extrem anspruchsvoll; er fordert ein fast grenzenloses moralisches Engagement. Der gemäßigte hedonistische Egoismus (oder der „ethische“ Egoismus) besagt: „Gut ist deine eigene Freude. Es ist erlaubt, primär die eigene Lust anzustreben, sofern dadurch andere Menschen nicht ernsthaft gefährdet oder geschädigt werden.“
Literatur
Taylor, Paul W. (1975): Principles of Ethics. An Introduction, Encino, Belmont, California: Dickenson Publishing Company.
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