Document

Werbung
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
1
Guten Morgen
und
herzlich willkommen
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
2
Das wahre Gesicht
In jedes Mensche Gesichte
Steht eine Geschichte,
Sein Hassen und Lieben
Deutlich geschrieben;
Sein innerstes Wesen,
Es tritt hier ans Licht...
Doch nicht jeder kanns lesen,
Verstehn jeder nicht.
Friederich von Bodenstedt
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
3
Tagungsablauf
1. Verständigung auf Begriffe
2. Entwicklung einer gemeinsamen ethischen
Grundlage
3. Grundlagen der Biografiearbeit
4. Zur Situation und dem fachlichen Können
von Fachkräften
5. Methoden der Biografiearbeit im
Einzelgespräch
6. Methoden der Biografiearbeit in Gruppen
7. Auswertung durch Fragebogen
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
4
Quellennachweis
Der Inhalt dieses Seminars ist
hauptsächlich aus folgenden
Literaturquellen erfolgt:
Irmgard Preißinger: Uni Bamberg
Dissertation 2004
„Biographiearbeit und Erinnerungspflege
zur Verbesserung der Lebensqualität im
Alter“
Caroline Osborn, Pam Schweitzer, Angelika Trilling
„Erinnern“
Lambertus Verlag 1997
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
5
Zeitablauf
10.00 Uhr Beginn
11.30 Uhr – 11.45 Uhr Pause
12.15 Uhr Gruppenarbeit Biografiebogen
13.00 Uhr – 14.00 Uhr Mittagspause Essen
im Litfaß (Leererstr. 3)
 14.00 Uhr Gruppenarbeit zum Thema
„Familie“
 15.15 Uhr – 15.35 Uhr Gruppenarbeit
Erinnerungskisten




Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
6
„Nur wer sich erinnern kann, weiß wer er ist. In unserer
Lebensgeschichte und den Geschichten unseres Lebens finden wir die
Wurzeln für Selbstvertrauen und Individualität. Lässt das Gedächtnis
alter Menschen so nach, dass sie ihren Alltag nur noch mit fremder
Hilfe bewältigen können, brauchen sie auch Unterstützung bei ihrem
Bemühen, sich ihrer Identität zu vergewissern. Leben sie nicht mehr
in ihrer vertrauten Wohnung und haben kaum mehr Kontakt zu alten
Freunden, fehlen ihnen auch die Anknüpfungspunkte für ein Gespräch
über die Vergangenheit.
Je mehr sich der Aktivitätsradius der alten Menschen verringert,
desto wichtiger wird für sie die Vergangenheit. Sie ist oftmals
zentraler Gesprächsstoff und bietet die Möglichkeit, in Kontakt zu
anderen zu treten.“ (Zitat aus Erinnern Caroline Osborn, Pam
Schweitzer, Angelika Trilling / Freuburg 1997
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
7
Definition Biografie
 Biografie = Lebensbeschreibung. Sie beinhaltet
objektive und dokumentierte Ereignisse im
individuellen Lebenslauf.
 Die Beschäftigung mit der eigenen Biografie ist
die Verarbeitung des subjektiven Erlebens.
 Biografie verändert sich mit jedem Erzählen.
Damit ist sie nicht unveränderlich.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
8
Definition Biografie
 In einer Biografie sind die normativen
Ereignisse für viele Personen einer
Generation sehr wahrscheinlich.
 Andere Ereignisse haben einen
zeitgeschichtlichen Charakter.
 Kritische Lebensereignisse können einem
Lebenslauf eine unerwartete Richtung
geben. Dabei kann eine Lebenskrise
später durchaus positive Folgen haben.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
9
Definition Lebensspanne
 Durchschreiten der Lebensspanne bedeutet einen
stetigen Wandel sozialer Rollen. Sie werden
eingenommen und verloren. Es besteht auch eine
Veränderung in der persönlichen Wahrnehmung der
eigenen Rollen und Aufgaben.
 Nach Ursula Lehr sind durchschnittlich 17,5
markante Lebenseinschnitte per Biografie zu
beobachten - 2/3 dieser werden als negativ; 1/3 als
positiv erlebt. Frauen berichten mehr über
zwischenmenschliche, Männer mehr über sach- und
berufsorientierte Lebenserfahrungen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
10
Subjektive Wahrnehmung der
Lebensspanne
Vom Standpunkt der Jugend aus gesehen, ist das Leben eine
unendlich lange Zukunft. Aus Sichtwinkel des Alters ist die
Vergangenheit ein sehr kurzer Zeitraum.
Die Zeit vergeht in der Kindheit und Jugend viel langsamer, da
sie nicht an der Vergangenheit und den daraus resultierenden
Erfahrungen gemessen wird. Vieles ist neu. Das Kind und der
junge Jugendliche gehen unvoreingenommen auf Situationen
zu. Von daher ist dieser Lebensabschnitt meist der Glücklichste
und subjektiv längste Lebensabschnitt. Daher ist das erste Viertel
unseres Lebens das Einprägsamste. Es lässt viel mehr Erinnerungen
zurück.
„Wenn sie älter werden, interessiert sie weit mehr, wer sie sind, als
was sie tun. Sie möchten sich die Menschen, Ereignisse und Orte
vergegenwärtigen, denen sie verdanken, dass sie geworden sind, was
sie sind.“ (Rosemary Pittmann)
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
11
Definition Lebensspanne
Lebenslauf in Zeitabschnitten (Deutsches Zentrum für
Altersfragen Berlin)
 Kindheit
Geburt bis 12 / 14 Jahre
Jugend
14 bis 18 / 21 Jahre
 Erwachsenenalter
Junges Erwachsenenalter
18 /21 Jahre bis ca. 35 / 40
Jahre
Mittleres Erwachsenenalter
35 / 40 Jahre bis 60 / 65
Jahre
 Alter
Junge Alte
60 / 65 bis ca. 80 Jahre
Hochbetagte
über 85 Jahre
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
12
Lebenssinn







Der Sinn des Daseins ist immer konkret. Jeder Tag, jede Stunde wartet also mit einem
neuen Sinn auf, und auf jeden Menschen wartet ein anderer Sinn. Aus alledem ergibt
sich, dass der Sinn, um den es da geht, ebenso von Situation zu Situation wie von Person
zu Person wechseln muss. Aber er ist allgegenwärtig. (Frankl 1948, S.30)
Es gibt somit keine allgemeinen Antworten auf die Sinnfrage. Sie zu erörtern, ist nur
unter Einbeziehung der Lebenssituation im Jetzt und den persönlichen Lebensumstände
des alten Menschen möglich. Die Antwort ist immer eine individuelle.
In der Gesprächsorientierten Biografiearbeit und Erinnerungspflege können Prozesse
der Sinnsuche eingeleitet und unterstützt werden. „Was wir in der Fülle unseres
vergangenen Lebens, in dessen Erlebnisfülle verwirklicht haben, diesen inneren Reichtum
kann uns nichts und niemand mehr nehmen. Aber nicht nur, was wir erlebt, auch das, was
wir gelitten (….), all das haben wir hineingerettet in die Wirklichkeit, ein für allemal. Und
mag es auch vergangen sein – eben in der Vergangenheit ist es für alle Ewigkeit
gesichert! Denn Vergangensein ist auch noch eine Art von Sein, ja vielleicht die
sicherste.“ (Frankl 1948 S. 132 f.)
Sinnerfüllung durch Werteverwirklichung
Schöpferische Werte: berufliche Arbeit, Hingabe an einer Sache
Erlebniswerte: Beziehung zu anderen Menschen, Begegnung mit Kunstwerken oder das
Naturerleben.
Werte durch Einstellungen: in problemorientierten Situationen werden durch Haltung
und Einstellung Handlungsentscheidungen getroffen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
13
Freiheit und Verantwortung
 Biologische Anlagen und psychische und soziale
Gegebenheiten, die als persönliches Schicksal
die Basis bieten, gilt es zu gestalten.
 Fragestellung in der Gesprächsorientierten
Biografiearbeit und Erinnerungspflege –
Welche Einflüsse hatte das Vorhandensein von
Freiheit bzw. Unfreiheit auf frühere
Krisenereignisse durch biologische, psychische
und soziale Einflüsse auf den betreffenden
Menschen? Daraus können sich entlastende
Perspektiven ergeben.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
14
Gewissen




Das Gewissen ist ein Sinnorgan. Über das Gewissen werden
Lebenssituationen aus der Vergangenheit häufig bewertet.
Das Entstehen des Gewissens wird in der Psychologie als Übernahme von
Werten und Normen aus dem engen Bezugsfeld aber auch durch
Gesellschaft und Tradition definiert. Darüber hinaus gibt es in jedem
Menschen noch eine geistige Instanz, die zur anerzogenen Orientierung
Stellung nimmt.
Wenn auf Grund von Veränderungen oder Weiterentwicklungen der
Persönlichkeit andere Werte und Normen zum Tragen kommen, die mit
der erworbenen Gewissensbildung nicht im Einklang stehen, kann es zu
Gewissenskonflikten kommen.
Auch in der Gesprächsorientierten Biografiearbeit und
Erinnerungspflege brechen Gewissenskonflikte auf, die mit
Schuldgefühlen einhergehen. In solchen Situationen muss nach
Möglichkeit differenziert werden, ob fremde oder eigene Einflüsse zum
Entstehen von Ereignissen beitrugen. Vor diesem Hintergrund wird
versucht, die vergangenen Ereignisse abzuklären, evt. anders zu sehen
und zu bewerten. Dabei kann kompetenter Beistand hilfreich sein.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
15
Die Würde des Menschen
 Die Person ist geistig.
 Die Würde kommt dem Menschen nicht auf
Grund der Werte zu, die er noch besitzen mag,
sondern auf Grund der Werte, die er bereits
verwirklicht hat. Wer die Würde des Menschen
anerkennt, hat auch Ehrfurcht vor der
menschlichen Person. Die geistige Person ist
immer zugegen, auch wenn eine psychiatrische
Erkrankung vorliegt.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
16
Existentielle Erfahrungen


Die Endlichkeit des menschlichen Lebens, die Angst vor dem Tod und dem, was
danach kommt, stellt für den Menschen eine existentielle Bedrohung dar.
Durch das Bewusstwerden um Sterben und Tod wollen viele Menschen ihr Leben
sinnvoll strukturieren, so dass die verfügbare Lebenszeit bewusst genutzt wird.
Diesbezügliche Fragestellungen:

Wie kann die verbleibende Lebenszeit sinnvoll strukturiert werden, damit sie
weder überfüllt noch entleert wird?

Welche Schwerpunkte können gesetzt werden, damit die verbleibende Zeit
bewusst und sinnvoll gelebt wird?

Wie kann die verbleibende Lebenszeit genutzt werden, um die Chancen einer
Verbesserung des Selbstverständnisses oder der Persönlichkeitsentfaltung oder
einer Sinnsuche oder Sinnfindung wahrzunehmen?

Vor dem Hintergrund dieser Fragestellungen können bei alten Menschen z.B.
Perspektivenwechsel hinsichtlich vergangener Krisenereignisse eingeleitet werden.
Dadurch wird es möglich, unerledigte Dinge zu bearbeiten, oder es kann zu
anderen Lebensschwerpunkten hingeführt werden, z.B. dem Wieder entdecken der
früheren Religiosität.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
17
Bedeutung der Biografie für die
Altenarbeit
 In der Altenpflege dient die Biografie zur
„Persönlich-Machung“.
 Eine Person, die begleitet, betreut und
gepflegt wird, erscheint zunächst als eine
Ansammlung von Problemlagen und nicht als eine
über Jahrzehnte gereifte Persönlichkeit.
 Die Biografie ist anfänglich ein Puzzle mit
vielen Leerstellen, die allmählich mit den
Ereignissen des individuellen Lebens gefüllt
werden.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
18
Biografiearbeit




Biografiearbeit ist eine niedrigschwellige Erfassung unter
Berücksichtigung der Kenntnisse im Umgang mit der besonderen
Person.
Sirsch: Biografiearbeit ist ein „Türöffner“
Bei Gesprächen über die Biografie wird das Gedächtnis
trainiert. Durch das Erzählen wird deutlich, welche Macht
frühere Erfahrungen in der Gegenwart haben.
Die Gesprächsorientierte Biografiearbeit und
Erinnerungspflege ermöglichen Gespräche, Mitteilungen,
den Austausch von Informationen oder Erfahrungen auf
einer Basis der gegenseitigen Sympathie und Vertrauen, die
Verschwiegenheit mit einschließt. Es besteht kein Zwang
zum Erzählen. Die Situation, die Art, der Umfang und der
Zeitrahmen bleiben offen. Allerdings setzen der
Personalschlüssel und der begrenzte Zeitrahmen für diese
Tätigkeiten in der Altenpflege Grenzen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
19
Ziele der Biografiearbeit
Alte Menschen in der Pflege sind im besonderen Maße von Autonomieverlust bedroht.
Die Biografiearbeit zielt auf:

die Verbesserung der Lebensqualität alter Menschen. Die Verbesserung wird als Verbesserung des Selbstverständnisses oder als
Persönlichkeitsentfaltung definiert oder als Sinnsuche und Sinnfindung definiert.

die lebenslange Verfügbarkeit und Nutzung von Ressourcen zur Alltagsbewältigung in Lebenskrisen und schwerer Krankheit

die Erweiterung des Wissens über den Menschen

die Ermöglichung individueller Pflege

die Unterstützung der Befriedigung psychosoziale Grundbedürfnisse, wie Sicherheit, Geborgenheit, Prestige, Produktivität, Gefühle

den Rückblick auf das bisher gelebte Leben und bietet für alte Menschen und für die sie betreuenden Pflegenden die Möglichkeit, auf
bewährte Verhaltensmuster und Strategien zurück zu greifen.

den Zugewinn von Selbstverfügung

Lebensautonomie

Umweltkontrolle

Erhaltung und Stärkung der Identität

die Auseinandersetzung mit Erinnerungen. Alte Menschen, die dies tun, sind seltener depressiv und geistig gesünder als Gleichaltrige
ohne diese Beschäftigung

die Auseinandersetzung mit früheren Plänen und Zielsetzungen. Es kann eine Versöhnung mit der Vergangenheit erfolgen

das Stolz sein auf zurückliegende Leistungen

das Interesse für Erfahrungen und Erzählungen für andere. Diese Erkenntnis hebt das Selbstbewusstsein.

die Wahrnehmung liebgewonnenen Gewohnheiten, die akzeptiert oder toleriert werden sollten.

den Abbau von Vorurteilen.

die Wertschätzung durch die Biografiearbeit. Dadurch wird ein Stück Geborgenheit vermittelt.

Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit

Bewältigung von Einsamkeit

Abbau von Kommunikationsängsten

Erhöhung des Selbstwertgefühls

Stärkung des Gemeinschaftsgefühls

Förderung des gegenseitigen Verständnisses

Aktivierung der kognitiven Fähigkeiten

Aktivierung positiver Emotionen

Kritische Überprüfung des Standpunktes –früher war alles besser –

Anregung zur Eigeninitiative
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
20
Grundlagen für die Biografiearbeit
In der Biografiearbeit sind alle drei
Zeitdimensionen einzubeziehen:
 Vergangenheit als Lebensbilanz
 Gegenwart als
Lebensbewältigung
 Perspektiven für die Zukunft als
Lebensplanung
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
21
Inhalte der Biografiearbeit
geschichtlich Erlebtes ( Krieg, Währungsreform,
„Wirtschaftswunder“, etc.
 Familienverhältnisse (Eltern, Geschwister, Ehepartner,
Kinder, Enkelkinder)
 Beruflicher Werdegang (Schule, Studium, Lehre, Beruf)
 Ethische, religiöse, politische Prägung
 Gesundheitlicher Werdegang
 Generell prägende positive und negative Erlebnisse
 Fragen nach Gewohnheiten
Die Biografiearbeit kann an den AEDL Bereichen
ausgerichtet werden. Es ist eine Hilfestellung und
systematisch und umfassend die Fähigkeiten und
Probleme zu erfassen.

Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
22
Gefahren in der Biografiearbeit








Gespräche werden nur geführt, um kein Formular auszufüllen
Pflegende sehen nur das hier und jetzt und fragen den Betroffenen
nicht nach seiner gesamten Vergangenheit und was ihm wichtig
erscheint.
Pflegende kennen den geschichtlich sozialen Hintergrund dieser
Zeit nicht
Die Persönlichkeitssphäre wird durch die Art der Fragen und der
Weitergabe von Informationen verletzt
„Innere Wunden“ aus der Vergangenheit werden neu aufgerissen.
Konflikte der Familie treten zutage und können evt. nicht weiter
verarbeitet werden.
Differenz zwischen tatsächlicher Erlebtem und der erzählten
Lebensgeschichte. Beim Erzählen wird die Lebenssituation neu
erlebt und auch neu belebt. Dies wirkt von außen häufig wie ein
Zurechtbiegen und wie eine Lügengeschichte.
Bei Fremddeutung der Biografie besteht die Gefahr der
Fehldeutung, da nur Ausschnitte der Lebensbiografie betrachtet
werden und verkürzt wahrgenommen werden.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
23
Situation der Pflege- und
Betreuungskräfte
 Die Arbeitsqualität und
Arbeitszufriedenheit von Pflegekräften
kann durch Biografiearbeit und
Erinnerungspflege gesteigert werden.
 Kräfte sind aus Zeitmangel häufig
überfordert. Sie betreuen eine große
Gruppe von Menschen. Die Gespräche
über die Lebensgeschichte der zu
Pflegenden benötigt Zeit.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
24
Fachliche Voraussetzungen für die
Biografiearbeit





Empathie: Eine Person in der Einzigkeit ihres Seins als Du anzuerkennen
und dementsprechend zu reagieren.
Um uns mit der Biografiearbeit und Erinnerungspflege zu beschäftigen,
ist das Bewusstmachen des eigenen Menschenbildes, der eigenen
Biografie und was damit im Zusammenhang steht, unerlässlich.
In der Gesprächsorientierten Biografiearbeit und der Erinnerungspflege
ist es möglich, Menschen durch Gespräche zu öffnen und ihnen
Anregungen zu geben, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen.
Benötigte Fähigkeiten der Fachkräfte: Zeit, Geduld, Takt und
Sensibilität. Wichtig ist auch das Akzeptieren von Abweisungen.
Fachkräfte in der Altenpflege benötigen im Rahmen ihrer beruflichen
Fähigkeiten Geduld und Empathie um die einzelnen Abschnitte des
Entwicklungsverlaufes nachzuvollziehen. Sie können Unterstützung und
Hilfestellung bei der Reflektion von Haltungen und Einstellungen geben,
oder einen Perspektivwechsel anregen, der Leistungen sichtbar macht,
auf die ein alter Mensch stolz sein kann.
Es bedarf fortgesetzter Übung, über längere Zeit aktiv zuzuhören, auf
alle Signale zu achten und gedanklich nicht abzuschweifen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
25
Fachliche Voraussetzungen für die
Biografiearbeit


Die positive Wertschätzung (Akzeptanz) besagt, dass dem Gegenüber eine nicht
an Bedingungen gebundene Wertschätzung entgegen gebracht wird. Das
Akzeptieren bedeutet nicht, dass allem, was gesagt oder getan wird, zuzustimmen
sei; doch muss ein alter Mensch spüren können, dass dies die Beziehung nicht
beeinträchtigt.
Das Grundbedürfnis jedes Menschen ist es, akzeptiert und anerkannt zu werden.
Besonders wichtig ist dies für alte Menschen, die mit sich selbst unzufrieden sind
und/ oder die von der Umwelt mit negativen Werturteilen bedacht oder sogar
abgelehnt werden.
Anerkennung kann zur größeren Selbstachtung führen. Durch eine positive
Wertschätzung wird einem alten Menschen auch die Möglichkeit gegeben, Angstund Verteidigungsverhalten abzubauen und dadurch offen über alle seine Gefühle
zu sprechen, über die er sprechen will.
Echtheit (Kongruenz) ist für Rogers die grundlegenste Bedingung (Rogers 1977, S.
26 In Weinberger 1992, S. 39) für eine Veränderung von Einstellungen und
Haltungen. Voraussetzung ist die Offenheit für sein eigenes Erleben. Die
Fachkraft soll die Gefühle, die sie im Umgang mit ihm erlebt, nicht verleugnen und
auch äußern, wenn diese permanent auftauchen. Dabei muss ein Maß von Offenheit
eingesetzt werden, das der augenblicklichen Situation angemessen ist. Echtheit
ist auch die Grundlage für das gegenseitige Vertrauen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
26
Was ist Emphatie?


Emphatie (einfühlendes Verstehen) – die Pflege- und Betreuungskraft
versucht sich in das Erleben des anderen einzufühlen. Die Gefühle und
Empfindungen, die der alte Mensch wahrnimmt, sollen verstanden und
mitgeteilt werden. Dadurch kann der alte Mensch diese Empfindungen
aus einer gewissen Distanz wahrnehmen. Wichtig dabei ist, dass die
Äußerungen nicht als Feststellung, sondern als Angebot des Verstehens
offenlassend formuliert werden. Denn nur der alte Mensch kann sagen,
ob die Äußerung über seine Empfindung zutrifft.
Die Bedeutung des einfühlenden Verstehens besteht für den alten
Menschen darin, dass er keine Bewertungen und keine Kritik erfährt, so
dass er angstfrei und ohne Abwehrmaßnahmen über seine Gefühle und
Konflikte sprechen und sich um Klärung bemühen kann. Der alte Mensch
erlebt, dass die Pflege- und Betreuungskraft sich ihm aktiv zuwendet
und Anteil an seiner Person und seinen Emotionen nimmt. Er erlebt die
Fachkraft als Mitmenschen, der offen und entspannt mit seinen
Emotionen umgehen kann. Die Betreuungs- und Pflegekraft wiederum
kann den alten Menschen besser verstehen und akzeptieren.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
27
Dialogische Prinzipien bei der
Biografiearbeit










Beachtung der unterschiedlichen Bedingungen und Einstellungen der verschiedenen Lebensalter
Alter Mensch und Betreuungs- und Pflegekraft sind aufeinander angewiesen!
Der Mensch will leben – deshalb den alten Menschen mit seinem Lebensanspruch akzeptieren.
Die Anerkennung des alten Menschen ist zur Verbesserung der Lebensqualität Voraussetzung.
Vertrauen ist Basis eines menschenwürdigen Lebens. Doch dieses Vertrauen muss die
Hinterfragung des Gegenüber möglich machen.
Mitmenschliche Verantwortung: Das Handeln soll auch die Bedürfnisse des anderen im Blick
behalten. Die kleinste Einheit mitmenschlicher Verantwortung ist der freundliche Umgang
miteinander.
Grundvoraussetzung in der Altenpflege: Direkt und aufmerksam miteinander sprechen. Eine
Sensibilität im sprachlichen Umgang entwickeln. Das Miteinander vollzieht sich im Gespräch.
Das Gelingen des menschlichen Zusammenlebens ist hauptsächlich von gelingenden Gesprächen
abhängig.
Vertrauen ist die Grundlage des Verstehens.
Da nicht immer Zeit für ein Gespräch vorhanden ist, ist es wichtig, auf den Engpass
hinzuweisen und eine Möglichkeit zur Fortführung des Gespräches hinzuweisen und auch
verbindlich umzusetzen.
Dialogfähigkeit, richtige Fragen, Fragen sind wichtig, wenn Menschen orientierungslos und
verunsichert sind. Sie sind nötig, um Fehldeutungen, Missverständnisse oder Differenzen
auszuschließen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
28
Praktische Methode:
Befragung
Bei Aufnahme in eine Pflegeeinrichtung, in ein Tagespflegehaus oder
bei einen neuen ambulanten Pflegeeinsatz ist es im Interesse des
alten
Menschen, der Angehörigen und der Pflege- und Betreuungskräfte
wichtig, persönliche Angaben zu erfragen.
 Der Hinweis, dass eine möglichst umfangreiche biografische
Auskunft besonders in einem wechselnden Team eine
individuellere Betreuung und Pflege ermöglicht, ist auf den
meisten der bereits verwendeten Vordrucke vorhanden und
fördert die Auskunftswilligkeit.
 Beim Bezugspflegemodell ist die Bezugspflegekraft für die
Vervollständigung und kontinuierliche Weiterführung des
Biografiebogens verantwortlich.
 Gruppenaufgabe: Betrachten unterschiedlicher Biografiebögen.
Ziel ist die gemeinsame Erstellung eines optimalen
Biografiebogens.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
29
Methoden der Biografiearbeit: hier
Einzelgespräche




Einzelgespräche sind effizienter und tiefgehender als
Gruppengespräche. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Es besteht
eine größere Flexibilität hinsichtlich Raum, Zeit, Inhalt und
Zuwendung. Hemmschwellen können besser überwunden werden.
Persönliche Gespräche können geführt werden. Schwer
zugängliche Menschen ermöglicht das Einzelgespräch, eine
vertrauensvolle Beziehung zur Pflegekraft aufzubauen.
Einzelgespräche sind personalintensiver und für beide
Gesprächspartner anstrengender. Durch Einzelgespräche
unterbleibt die Kontaktpflege in der Gruppe. Eine vermehrte
Zuwendung zu einer einzelnen Person innerhalb einer Gruppe,
kann zur Entwicklung negativer Gefühle, wie Eifersucht bei den
anderen Gruppenmitgliedern führen.
Es besteht das Risiko, das unbewältigte Krisenereignisse eher zur
Sprache kommen und von der Pflegekraft nicht begleitende
bearbeitet werden können, da hier die berufsfachlichen
Voraussetzungen fehlen. (Psychotherapie)
Die Pflegekraft muss abwägen, wann ein Einzelgespräch als
Methode sinnvoll ist.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
30
Betrachtungsebenen in der Biografiearbeit,
hier Arbeit und Beruf





Das Ausscheiden aus dem Beruf ist eine Herausforderung
an die Identität. Der zeitliche Rhythmus wird verändert. Es
bestehen Einkommensverluste. Es erfolgt ein Rückgang an
gesellschaftlichen und sozialen Einfluss und Ansehen.
Die Partnerschaft steht durch einen gemeinsamen täglichen
Alltag vor einer neuen Aufgabe.
Die Großelternrolle birgt neue Freuden aber auch Konflikte.
Die Neuorientierung wird dem Menschen selbst überlassen.
Sie wird nicht immer hinreichend verarbeitet.
In der demenziellen Erkrankung finden sich teilweise
Strukturen der früheren Arbeitswelt wieder, wie zur Arbeit
gehen, die Aktentasche suchen, heimgehen und den
Kindern das Essen kochen. Interesse und Sympathie
wecken
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
31
Betrachtungsebenen in der Biografiearbeit,
hier körperliche und psychische Beeinträchtigungen




Bei körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen
verringert sich die gesellschaftliche Teilhabe. Bei
Pflegebedürftigkeit muss eine Uminterpretation der
personellen Identität erfolgen.
Die Kompetenz von Menschen beinhaltet diese
Selbstgestaltung des eigenen Lebens. Es ist schwierig, mit
der Situation umzugehen, sich helfen und betreuen zu
lassen.
Es erfolgt eine Auseinandersetzung zwischen Selbst- und
Fremdbild. Verstärkt wird diese bereits schwierige Situation
durch die negativen gesellschaftlichen Stereotype über alte
Menschen, die teilweise durch Vorurteile bestimmt werden.
Dieses gesellschaftliche Bild wirkt sich negativ auf das
Selbstbild aus.
Eine Thematisierung in der Gesprächsorientierten
Biografiearbeit bietet hier eine Möglichkeit der
Verarbeitung.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
32
Betrachtungsebenen in der Biografiearbeit,
hier Begrenzung der Lebenszeit
Die Zeit, die vor dem alten Menschen liegt
wird immer kürzer. Bilanz zu ziehen, ist ein
normaler Prozess. Bei der bewussten
Auseinandersetzung erfolgt eine Bewertung
von belastenden Krisen. Einige führen
hektische Versuche durch, bisher nicht
Erreichtes nachzuholen. Es bedarf enormer
Energie und Persönlichkeitsreife sich mit
dem Leben abzufinden, so wie es war und
ist.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
33
Betrachtungsebenen in der Biografiearbeit,
hier Umgang mit dem Tod
 Das Sterben und der Tod anderer ist ein
radikaler Einschnitt. Gemeinsamkeiten,
wie auch immer, gehen zu Ende. Wichtige
Spiegelungen durch andere Menschen
fallen weg. Wenn Hochbetagte „ übrig
bleiben“ besteht die Gefahr der
Vereinsamung.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
34
Betrachtungsebene: Krise







Die Krise wird als Bruch in der Normalität und Kontinuität des Lebenslaufs verstanden. Die Häufigkeit ihres
Auftretens in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens hängen mit den raschen Entwicklungen
zusammen, denen unser Lernprozess insgesamt unterliegt. Wo immer Entwicklungen stattfinden, bleiben Krisen
nicht aus, denn Entwicklung und Krisen bilden eine Einheit.
Eine Krise lässt sich nicht über den äußeren Anlass bestimmen. Es wird im Bewusstsein eines Menschen
entschieden, welche äußeren Ereignisse als glückliche und welche als traurige Brüche bewertet werden, ob die
Ursache der Krise in der sozialen Umwelt oder bei ihm selbst liegt.
In jedem Krisengeschehen ist Sinn enthalten, auch wenn es noch so sinnlos erscheinen mag. Der Sinn liegt
allerdings nicht objektiv im Kriseninhalt selbst, sondern darin, was der Mensch aus diesem Inhalt macht. Ob der
Mensch den Sinn seiner Krise verstehen kann, hängt von seinem Bewusstsein ab. Das heißt: Wenn der Sinn nicht
erkannt wird, liegt das an der Unreife bzw. der Unfähigkeit des Bewusstseins. Die Krisenbewältigung spiegelt
die geistigen Entwicklungs- und Reifungsprozesse wider. Um den Sinn einer Krise zu verstehen, muss der Mensch
eine Bewusstseinsentwicklung durchmachen, das heißt, er ist nach der Krise ein anderer Mensch als vorher. Im
veränderten Bewusstsein spiegelt sich die Krise nicht mehr als Bruch, sondern als Aufbruch zum neuen Sinn
wider.
Es ist hilfreich, zu wissen, dass viele Menschen in Krisensituationen ähnlich reagieren. So wird es möglich, die
eigene Krise nicht zu verdrängen oder zu verabsolutieren, sondern darüber mit anderen zu sprechen, sie im
Vergleich mit den Krisen anderer Menschen zu relativieren und so die Gefahr der Selbstisolierung abzuwenden.
Je nach Art des Krisenanlasses muss der Mensch sein Leben neu strukturieren und Entscheidungen treffen, ob
er noch in die Welt hinaus agieren kann, um die Verhältnisse zu verändern, oder ob er sich selbst verändern
muss. Er muss auch lernen, die Folgen einer Krise, die nicht mehr rückgängig zu machen sind, zu ertragen und
auszuschalten.
Können Probleme, die eng im Zusammenhang mit der Persönlichkeitsfindung stehen, nicht gelöst werden, kann
der Mensch hoffnungslos werden bis hin zur Verzweiflung. Besonders dem alten Menschen, der ohnehin viele
Verluste akzeptieren muss, erscheint es dann zu spät, sich noch einmal neue Ziele zu setzen.
Die Gesprächsorientierte Biografiearbeit und Erinnerungspflege soll es alten Menschen ermöglichen, sich unter
Anleitung und beratender Hilfestellung ihre Lebensgeschichte noch einmal anzusehen, um evt. einen
Perspektivwechsel vorzunehmen. Dabei unterstützen die Altenpflege- und Betreuungskräfte durch Gespräche
über Krisen, die z.B. verursacht sind durch Erinnerungen an Kriegsereignisse, durch den Einzug in eine
Pflegeeinrichtung oder durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
35
Praktische Methode:
Tür- und Fensteröffner
 Der alte Mensch erzählen den Fachkräften
während der Pflege und Betreuung, bei
Aktivitäten und Besuchen. Sie können durch
Fenster- und Türöffner stimuliert werden über
ein Krisenereignis in ihrem Leben zu berichten.
Zum Beispiel erfolgt eine Stimulierung durch
eine Eingangsfrage in Verbindung mit einem
Foto auf dem Nachttisch oder im Zimmer,
einen Duft, einem Lied, einem Gebet, einer
Aktivität oder ähnliches.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
36
Praktische Methode:
Tür- und Fensteröffner
 Die Fenster- und Türöffner sind Stimulans für die
Aufarbeitung der Biografie. Sie ermöglichen einen
Perspektivenwechsel oder eine Reflexionsmöglichkeit.
 Beim Erstellen eines Fenster- bzw. Türöffners in die
Vergangenheit ist zu beachten, dass alle Sinne - Tasten,
Riechen, Hören, Fühlen, Schmecken beachtet werden.
 Sütterlinschrift hat für viele einen hohen
Wiedererkennungswert. Texte in Sütterlinschrift wecken
Erinnerungen
 Tiere als Türöffner
 Materialien und Dinge zu einem Thema haben hohe
Erinnerungswerte
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
37
Praktische Methode
Narratives Interview
Entwickelt von Fritz Schütze und MitarbeiterInnen
 Beim narrativen Interview wird zum freien Erzählen animiert. Im
Vordergrund steht die einzelne Person mit ihrer persönlichen
Biografie und der subjektiven Bewertung und Auslegung. Die
Thematik Krisenereignis und Krisenbewältigung hat im
narrativem Interview einen hohen Stellenwert.
 Umsetzung: Mit dem alten Menschen werden Krisenereignisse
und deren Bearbeitung aus der Vergangenheit oder der
Gegenwart thematisiert. Dabei ist die Selbsteinschätzung eines
kritischen Lebensereignisses entscheidend, und die
InterviewpartnerIn trifft die Auswahl selbst, über welches
Krisenereignis sie sprechen will.
Struktur des narrativen Interviews:
 Erzählstimulierung
 Erzählpräsentation entlang dem roten Faden der Geschichte
 Abschluss der Erzählung und Nachfragen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
38
Narratives Interview
Erzählpräsentation
 Die Thematik entfaltet sich anhand eines
selbstgewählten Erzählstrangs. Der
„rote Faden“ wird erhalten, indem die
Betreuungskraft den Überblick behält,
auch wenn vom roten Faden abgewichen
wird und das Krisenereignis und deren
Bewältigung als Leitschnur wählt.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
39
Narratives Interview
Erzählabschluss









Um Aussagen zu vervollständigen oder zu klären sind manchmal Nachfragen notwendig, wobei
die Intimsphäre der interviewten Person gewahrt bleiben soll. Auch in Situationen, in denen
eine Erzählung abbricht oder ins Stocken gerät, kann eine Fortsetzung durch sensibles
Nachfragen gesucht werden. Bei Nachfragen ist die besondere Aufmerksamkeit den richtigen
Fragen zuzuwenden damit die Frageninhalte von den Befragten auch verstanden werden können.
Abfrage: Welche Fragen sind sinnvoll Warum oder Wozu? Wozu -Fragen unterstützen die
subjektiven Sinnstrukturen. Sie sind in die Gegenwart und Zukunft gerichtet. Die Warum Fragen sind in die Vergangenheit gerichtet.
Probleme aus Erfahrungen von AltenpflegerInnen mit dem narrativem Interview: Finden
geeigneter Fenster- und Türöffner und diesbezüglicher Eingangsfragen.
Pausen aushalten
Ungereimtheiten ruhig zuzuhören ohne zu intervenieren
Die Interviewten müssen über genügend Erzählkompetenz verfügen
Beide müssen mit der Rollenverteilung zurechtkommen
Nicht alle älteren Menschen sind bereit, über sich etwas zu erzählen. Dies muss akzeptiert
werden.
Aus Zeitgründen können die Fachkräfte oft nur begrenzt den Erzählungen alter Menschen
zuhören. Sinnvoll ist es, über das gehörte ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen
(handschriftlich, PC). Sie können auch mit Darstellungen, Bildern und Fotos versehen werden.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
40
Narratives Interview
Narrationsanalyse












Als erstes wird das Geschriebene nach Erzählung und Argumentationen und
Bewertungen andererseits sortiert (z.B. Markierungen oder Sortieren im
PC).
Zur Reduzierung der Materialfülle werden sie den einzelnen Phasen des
Spiralphasenmodells nach Schuchardt zugeordnet.
Beispiel 1:
Benennung der Krise: Erkrankung im jungen Erwachsenenalter
Ungewissheit: „Ich war immer schlapp, habe abgenommen und bekoam
Gliederschmerzen in den Fingern. Ich fragte micht, was mit mir los ist.“
Gewissheit: „Der Arzt stellte Schilddrüsenüberfunktion fest.“
Aggression: „Zur Wut hatte ichkeine Kraft mehr.“
Depression: „Soll das das ganze Leben gewesen sein?“
Annahme: „Ich will wieder gesund werden.“
Aktivität: „Ich bin wieder arbeiten gegangen!“
Solidarität: „Ich pflegte meinen bettlägerigen Mann eineinhalb Jahre.“
Die Interviewerin stellt abschließend fest: „Es wurden alle acht Stufen des
Schuchardt-Modells durchlaufen, was für eine Krisenbewältigung spricht.
Frau X hätte sonst nicht den Schritt von der Kranken zur Pflegenden gehen
und die aufopfernde Pflege ihres Mannes durchführen können. Darin
bestand für sie der Sinn.“
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
41
Narratives Interview
Narrationsanalyse
Beispiel 2, indem dargestellt wird, dass in einer Phase verharrt wird:

Benennung der Krise: Die Interviewte kann ihrer Mutter auch nach deren Tod ihre
Lieblosigkeit nicht verzeihen.

Ungewissheit: „wohin sollte ich bei der Scheidung der Eltern? Es tat so weh.“

Gewissheit: Nach der Scheidung schwor die Neunjährige: “Mir tut keiner mehr
weh.“

Aggression: Nachdem zwei Geschwister verstarben, äußerte die Mutter der
interviewten Person gegenüber: „Warum bist du übergeblieben?“

Verhandlung; Die Mutter wurde krank und von der interviewten Person zu Hause
gepflegt in der Hoffnung, dass sich dadurch die Beziehung verbessern würde.

Depression: „Es änderte sich nichts am Verhalten der Mutter. Manchmal war alles
sinnlos.“

Annahme: Nach neun Jahren gab die interviewte Person ihre Mutter ins
Pflegeheim, nachdem sie selbst am Ende ihrer Kraft war.

Aktivität: Sie besuchte die Mutter täglich im Pflegeheim und wartete auf ein
gutes Wort, das bis zum Tod der Mutter nicht gesprochen wurde.

Die interviewte Person verharrt auf der Phase sieben, da sie die
Solidarisierungsphase mit ihrer verstorbenen Mutter nicht erreichen kann.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
42
Narratives Interview
Narrationsanalyse
Beispiel 3: Überspringen von Phasen

Benennung der Krise: Die interviewte Person sieht ihre Erkrankung als Strafe Gottes für den
Kirchenaustritt an.

Ungewissheit: Die interviewte Person hat zum Zeitpunkt des Interviews noch eine
Lebensprognose, nach Aussage des Arztes, von drei bis vier Monate,

Gewissheit: „Gott straft mich für den Kirchenaustritt.“

Aggression: die Aggressionen richten sich gegen Gott, ihre Schwiegermutter und den Ehemann:
“Momentan finde ich den Weg zu Gott nicht.“ – „Ich musste alles in mich hineinfressen. Die
Schwiegermutter war dominant, der Ehemann viel geschäftlich unterwegs.“ Die
Schwiegermutter und der Ehemann sind verstorben.

Verhandlung: Sie sieht keinen Ausweg aus dieser existentiellen Notlage.

Depression: Auf Grund ihrer Gottferne und mehreren Erkrankungen leidet sie unter
Depressivität.

Annahme: Eine Annahme der Situation wird versucht, hat aber während des Interviewverlaufs
nicht stattgefunden.

Aktivität: Die interviewte Person besucht Gruppenstunden und heiminterne Veranstaltungen.

Solidarität: Sie kümmert sich intensiv um eine Mitbewohnerin.

Die Phasen vier und sechs werden übersprungen. Die Phasen sieben und acht werden erreicht.

Die depressive Verstimmung hinsichtlich der Gottferne kann weiterhin Thema der Gespräche
sein. Die Depression wird medikamentös behandelt.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
43
Narratives Interview
Narrationsanalyse
Beispiel 4: Wechseln zwischen Phasen

Benennung der Krise: Schreckliche Kindheit durch Krieg und Flucht

Ungewissheit: Mit 13 Jahren war die interviewte Person auf der flucht allein auf sich gestellt;
die Zukunft war ungewiss, insbesondere, ob sie ihre Familie wiedersehn würde.

Gewissheit: Sie kam nach der Flucht mit der Mutter und den Geschwistern wieder zusammen.

Aggression: Sie ist aggressiv gegen ihren alkoholkranken Mann. Außerdem hat sie eine Wut
wegen ihrer eigenen Erkrankungen und mehreren stationären Aufenthalten.

Verhandlung: Um die eigene schreckliche Kindheit zu verarbeiten, will sie, dass es den eigenen
Kindern, aber auch allen anderen Kindern besser geht.

Depression: Die Depressionen werden damit begründet, dass die interviewte Peron nach der
Flucht neun Monate bei einem Bauern eingesperrt war und nur zum Arbeiten herausgelassen
wurde. Sie war mutterseelenallein, unterernährt und verlaust. (Sexuelle Übergriffe wären
möglich)

Annahme: „Daran ist nichts mehr zu ändern, aber die schrecklichen Erlebnisse quälen mich
immer noch.“

Aktivität: Die interviewte Person hat guten Kontakt zu den eigenen Kindern und Enkeln und ist
in deren Leben mit eingebunden.

Solidarität. Sie bezeichnet auch die Erwachsenen in ihrer Umgebung als Kindchen und hat ein
verstärktes Verständnis für alle Kinder.

Durch die Kenntnis der Biografie können die Pflegekräfte die Bezeichnung aller Erwachsener
mit „Kindchen“ besser nachvollziehen. Die Interviewte wechselt zwischen den Phasen fünf und
sechs. Der Leidensdruck der Kindheit müsste, wenn möglich, durch eine psychotherapeutische
Behandlung bearbeitet werden.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
44
Biografiearbeit in Gruppen
Auch hier gilt, der alte Mensch sollte auf jedem
Fall selbst entscheiden, welche Erinnerungen er mitteilen
möchte und was ungesagt bleibt. Immer bestimmt er,
über welchen Abschnitt seines Lebens er auf welche
Weise berichten möchte.
Pam Schweitzer berichtet, dass aus dem
Erinnerungstraining viele Aktivitäten und Projekte
entstanden sind, wie Projekte zur Stadtgeschichte,
Ausstellungen, Bücher und Theaterstücke und öffentliche
Veranstaltungen zur Gemeindepolitik.
Dies bewiese, dass Erinnerungstraining Mut und
Neugierde schafft, sich auf Neues einzulassen und sich
mit der Gegenwart auseinander zu setzen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
45
Biografiearbeit in Gruppen
allgemeine Vorbereitung










Nur wer sich selbst gerne an seine Vergangenheit erinnert und sich erfolgreich damit auseinandergesetzt hat,
wird die Voraussetzungen für die Leitung von Gruppen haben.
Ziel der Veranstaltung – Integration in die Gemeinschaft, tägliches Gruppenangebot zur Kompetenzförderung,
z.B. im Tagespflegehaus, Hinarbeiten auf eine Ausstellung oder ein Buch
Wie viele Treffen sollen stattfinden – Wird an einem Thema mehre Male gearbeitet oder handelt es sich um
einmaliges Angebot oder findet das Angebot regelmäßig ein Mal wöchentlich zur gleichen Zeit statt.
Wie kündigt man die Veranstaltung an – ist es, wie im Tagespflegehaus, ein tägliches Ritual oder muss es durch
Werbung, z.B. in einem Pflegeheim per Plakat, Tafel oder monatlichem Programm veröffentlicht werden.
Wie groß sollen die Gruppen sein und wie lange dauern die einzelnen Treffen – Wenn die Personen an
Gruppenaktivitäten gewöhnt sind, können Gruppengrößen von sechs bis acht Personen und eine Dauer von 45
Minuten möglich sein. Eine halbe Stunde kann aber für Personen, die mit solchen Gruppenaktivitäten nicht
vertraut sind, völlig ausreichend sein.
Wird mit einer Gruppe demenziell erkrankter Menschen mit eingeschränkten verbalen Fähigkeiten gearbeitet,
reicht eine Gruppengröße von zwei bis drei Personen.
Welche Räumlichkeiten sind geeignet – Es wird ein ruhiger Raum mit möglichst wenig Störungen benötigt. Die
TeilnehmerInnen sollen einander sehen und hören können.
Wie werden Unterbrechungen vermieden – Die TeilnehmerInnen sollen nicht aus den Gruppentreffen geholt
werden. Gut kommt es an, wenn am Schluss gemeinsam etwas getrunken wird. Das gemeinsame Kaffee trinken
kann am zu Beginn stehen, damit die älteren Menschen überhaupt kommen. Er kann zur Auflockerung dienen.
Wie unterstützt die Einrichtung das Vorhaben – Leitung und KollegInnen müssen die Erinnerungsaktivitäten
mittragen. Nur dann werden auch reguläre Arbeitszeit und Fortbildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt.
Verschwiegenheit: Gegenseitiges Vertrauen ist wichtig, wenn persönliche Erlebnisse zur Sprache kommen.
Jede/r muss sicher sein, dass alles was in der Gruppe gesagt wird, nicht nach draußen getragen wird. Dies muss
als Regel miteinander verbindlich abgesprochen werden. Sollten persönliche Erinnerungen in Texte, Bilder oder
Theaterstücken veröffentlicht werden, müssen die betroffenen Personen einverstanden sein.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
46
Biografiearbeit in Gruppen
inhaltliche Vorbereitung








Entscheidung für ein Thema. Jedes Treffen sollte ein Thema
haben. Eine Veranstaltungsreihe kann chronologisch oder
thematisch am Lebenslauf orientiert sein.
Klar für sich formulieren, was das Ziel ist.
Planung der Einstimmungsübung
Planung der zentralen Aktivität
Requisiten werden zusammengelegt.
Stichworte und Fragen werden in Vorbereitung schriftlich
formuliert
Sitzgelegenheiten so hinstellen, dass sich alle sehen und hören
können.
Wo ist der eigene Platz. Personen, die schwerhörig sind oder
besonders unterstützungsbedürftig sind, sollten neben einem
sitzen. Sind Menschen mit Sehbehinderung anwesend, sollte auf
kleinformatige Bilder verzichtet werden.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
47
Biografiearbeit in Gruppen
Durchführung








Jedes Treffen sollte mit dem gleichen Ritual begonnen und beendet werden.
Keinesfalls von Programmpunkt zu Programmpunkt eilen. Erinnerungen wieder lebendig zu
machen, benötigt Zeit. Erinnerungen, die einem völlig entfallen sind, wieder lebendig zu
machen, ist ein positives Erfolgserlebnis.
Das Ansprechen und Fragen sind wichtig, Unterschiedliche Fragetechniken müssten auf ihren
Erfolg in bestimmten Situationen erprobt werden. Geschlossene Fragen, wie „Sind sie in
Altenberge zur Schule gegangen?“ „Wie alt waren sie zu diesem Zeitpunkt?“ “Sind Sie gerne
zur Schule gegangen?“ werden mit ja oder nein oder einer kurzen Information beantwortet.
Kommt es nur auf eine Information an, ist die Fragestellung richtig.
Offene Fragen ermutigen zu ausführlichen Antworten und stellen auch frei, wozu man sich
äußern will. „Erzählen sie doch mal, an was sie sich aus ihrer Schulzeit erinnern?“ “Welche
Gefühle haben Sie, wenn Sie an Ihre Schulzeit denken?“
Suggestivfragen gehen in eine bestimmte Richtung. Sie können eine Diskussion einleiten. „Die
Schulzeit ist doch die beste Zeit im Leben, nicht wahr?“
Viele Fragen gleichzeitig zu stellen, kann verwirrend sein, wie „ Möchten Sie sich nicht zu mir
setzen, Frau Müller und über ihre Schulzeit erzählen. Sie waren doch auch in der Schule in
Sellen?“
Alles, was die alten Menschen einbringen, ist ernst zu nehmen und verdienen Beachtung.
Herablassung, Missbilligung und Spott sind fehl am Platz. Es sollte auch nicht vorgeschrieben
werden, woran sich die TeilnehmerInnen erinnern sollen „Nun denkt mal jeder an die
Luftangriffe“
Die Älteren sollen miteinander ins Gespräch kommen und sich nicht nur an die Gruppenleitung
wenden. Man bittet, wenn notwendig, eine Teilnehmeräußerung laut wiederholen zu dürfen,
damit sie jeder verstehen kann. Günstig ist es, wenn Verbindungen zwischen den Erinnerungen
von TeilnehmerInnen hergestellt werden können. „Sie kommen auch gebürtig aus Sellen?“
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
48
Biografiearbeit in Gruppen
Nachbereitung
Nach der Veranstaltung sollten trotz vieler Widrigkeiten folgendes schriftlich fixiert
werden:

Rahmenbedingungen:

Datum und Dauer des Treffens

Zahl und Namen der TeilnehmerInnen

Inhalt und Methode

Welche Themenstellung und Vorplanung gab es

Welche Stichworte wurden gegeben

Welche Materialien kamen zum Einsatz

Wie hat sich das Vorgehen bewährt

Welches waren besonders erfolgreiche Intervention

Sind bereits die Vorbereitungen schriftlich erfolgt, können diese angehängt werden.

Störende Einflüsse

Gruppendynamische Situation

Erreichen der Zielsetzung

Bemerkungen zur Leitungsrolle

Pläne zur weiteren Arbeit

Welche neuen Ideen sind einzubringen
Zwischen Fakten und Meinungen muss bei der kritischen Nachbereitung klar unterschieden
werden. Subjektive Einschätzungen sollten belegt werden.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
49
Biografiearbeit in Gruppen
praktische Methoden der Durchführung




Reihum fragen: Jedes Gruppenmitglied wird gebeten, kurz auf eine Frage zu
antworten. Der Redefluss besonders gesprächiger TeilnehmerInnen wird
gezügelt. Menschen, die sehr zurückhaltend sind, schaffen es dann zumindest ein
Wort zu sagen. Beispiele: „In welche Schule sind sie gegangen?“ „Welche
Süßigkeiten hatten Sie als Kind gerne aus dieser Tüte gehabt?“
Erinnerungen präsentieren: Es kann in der Gruppe der Wunsch enstehen, andere
an den Erinnerungen Anteil nehmen zu lassen. Das ist mit einer Schautafel, einer
Landkarte oder Textstücke und Fotos möglich.
Die Lebenskiste ist eine plastische Gestaltungsform. Sie werden wie eine kleine
Bühne oder eine Pupenstube gestaltet. Es wird dargestellt, was jeder
rückblickend für sein Leben als typisch ansieht.
Rollen- und Theaterspiele: Erinnerungen eignen sich gut für kleine Rollenspiele,
die oft nur Minuten dauern. Man braucht sich dabei kaum bewegen. Wenn eine
Spielidee nicht funktioniert, kann schnell auf eine andere Methode
übergewechselt. Beispiele: Im Gespräch über die Schule sagt die Gruppenleiterin
plötzlich: Setz dich mal endlich ruhig hin, du da hinten. Kommt dann spontan „Ich
war es nicht, Frau Lehrerin“ ist ein Rollenspiel komplett. Eine erzählte Situation
wird nachgespielt. Eine weitere Variante, die Gruppenleiterin spricht alle Rollen.
„Ich bin eine ärgerliche Mutter. Meine 16jährige Tochter ist zu spät nach Hause
gekommen. Was wird die Mutter zur Tochter sagen?“ Ein Beitrag aus der Gruppe
wird umgesetzt. „ Ich habe Dir doch gesagt, Du sollst um halb elf nach Hause
kommen........“ Weiterhin ist der Einsatz von Marionetten und Handpuppen
möglich.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
50
Biografiearbeit in Gruppen
praktische Methoden der Durchführung





Gegenstände betrachten und herumreichen Erinnerungen werden durch das
Hantieren mit alten und auch neueren Alltagsgegenständen angeregt. Es empfiehlt sich
eine Sammlung anzulegen, die immer wieder genutzt wird. Beispiele: Gegenstände zu
einem Thema werden herumgereicht. Die TeilnehmerInnen führen einander vor, wie sie
benutzt wurden und erzählen, welche Erinnungen ihnen hierzu einfallen. / Beim
Gruppentreffen steht ein Stilleben aus Gegenstände im Raum. Jeder kann sie ausgiebig
betrachten und kommentieren. / Ein Korb oder Tablett mit Gegenständen wird
herumgereicht. Jeder kann sich einen Gegenstand herausnehmen und berichten, was
ihm gerade zu diesem Gegenstand einfällt. / Ein abgedeckter Korb wird herumgereicht.
Die TeilnehmerInnen raten durch Ertasten, welcher Gegenstand in ihm ist.
Listen aufstellen Vielen macht es Freude, auf einer Liste alle dinge zu einem Thema
zusammen zu tragen. Beispiele: Was gehört in eine Schultasche / alle Tätigkeiten im
Haushalt.
Stadtpläne und Landkarten Die alten Menschen können einzeichnen, wo sie gelebt
haben oder wohin sie gereist sind. Auch eine ganz persönliche Landkarte kann
gezeichnet werden.
Musik und Geräusche diese sprechen das Gedächtnis auf besonders intensive Weise
an. Vertraute Lieder und Melodien erreichen auch an Demenz erkrankte Menschen.
Passend zu bestimmten Themen kann die Gruppe singen. Das Raten von Geräuschen, die
erkannt werden können, wie die Geräusche einer Dampflock oder den Schrei einer
Möve können Erinnerungen wachrufen.
Ausflüge bieten besonders Menschen, die selten außer Haus kommen, gute
Gelegenheiten, sic an Vergangenes zu erinnern und Veränderungen zur Kenntnis zu
nehmen. Wo möglich kehrt man zu Städten der Vergangenheit oder besucht ein
Heimatmuseum.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
51
Biografiearbeit in Gruppen
praktische Methoden der Durchführung









Tätigkeiten aus dem früheren Arbeitsleben das Nachvollziehen von Altvertrauten Bewegungen,
deren Techniken man nach mehren Jahrzehnten nicht verlernt hat. Beispiele Schuhe putzen, Wäsche
von Hand waschen, Kochen, Backen, Gemüse putzen, Teig kneten, Haare aufdrehen.
Stichworte geben und Fragen stellen In Vorbereitung soll man sich mit dem Thema und
zeitgeschichtlichen Hintergrund vertraut machen. Mit der Zeit entwickelt sich ein Gefühl für
Schlüsselbegriffe.
Texte vorlesen Originalzitate aus Lebensberichten oder alte Zeitungsausschnitte oder
Zeitungsannoncen führen direkt ins Thema
Eine Einladung zum Rundgang Erinnerungen an bestimmte Örtlichkeiten werden lebendig, wenn man
Besucher in seiner alten Wohnung herumführt.
Geschichten erzählen Die Leiterin beginnt mit einer Phantasiegeschichte und die TeilnehmerInnen
spinnen den Faden weiter. Das kann nach der Reihenfolge erfolgen oder derjenige, dem etwas einfällt,
setzt die Geschichte fort.
Rezitieren Alte Menschen sollten immer wieder Gelegenheit haben, auf alte Wissensbestände
zurückzugreifen. Gedichte, Kinderreime, Lieder, Sprichwörter und Redewendungen werden rezitier.
Fühlen, Riechen, Schmecken alles was man fühlen, riechen und schmecken kann bietet der Gruppe
eine neue Dimension. Beispiele: Nahrungsmittel, Gewürze, Haushaltsreiniger, Kosmetika, Kastanien
Bilder betrachten eigenen sich hervorragend, um Erinnerungen anzuregen. Alte Zeitschriften,
Postkarten, Landkarten, Bildbände aber auch kleine Filme oder Fotos über den Beamer gezeigt helfen.
Schreiben Erinnerungen lassen sich schriftlich festhalten. Beispiele: kurze Gedichte, Merksprüche,
Gedichte, Rezepte oder kleine Begebenheiten. Die Texte können in Theaterstücke oder bei
Ausstellungen präsentiert werden. Es können auch Schreibwerkstätten entstehen.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
52
Fragekatalog als Qualitätskontrolle




Der Fragekatalog stellt eine Grundlage für Fragestellungen während der
Betreuung und Pflege alter Menschen dar. Trotz gesprächsgesteuerte
Vorgaben werden dadurch den Beteiligten große gestalterische
Freiräume zugestanden. Es liegt im Ermessen der Fachkräfte, wann sie
eine Frage ansprechen und wie sie letztendlich formulieren.
Erst im wechselseitigen Dialog wachsen die Chancen mehr über die
Biografie zu erfahren, bzw. damit konstruktiv umzugehen.
Der standardisierte Fragebogen enthält zwanzig Fragen mit einigen
Unterfragen. Sie dient der Lernzielkontrolle. Es wird bewusst gemacht,
inwieweit bis zum jetzigen Zeitpunkt das biografische Wissen über eine
neue BewohnerIn, PatientIn, Gast, MandantIn erweitert werden konnte.
Daneben erhält der Fragenbogen auch Fragen zur persönlichen
Stellungsnahme und Selbstreflexion der Pflege- und Betreuungskräfte
über den Umgang mit dem Fragekatalog sowie einige Leitfadenfragen.
Gruppenarbeit: Diskussion über den Fragekatalog,
Verbesserungsvorschläge, Kritik, etc.
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
53
Vielen Dank
für Ihre /
Eure
Aufmerksam
keit!
Juni 2008
Mobilé e.V. Steinfurt
Referentin: Ingeborg Rowedda
54
Herunterladen