Informationsarchitektur Ordnen und Strukturieren „Unordnung ist eine Struktur, die keine Regel erkennen lässt.“ „Sinn ist Ordnung, und Ordnung ist doch am Ende Übereinstimmung mit unserer Natur.“ Wolf Steinbrecher, Records Management Experte Georg Christoph Lichtenberg, Philosoph Spree WS 2009/2010 Fehlende Organisationsstruktur als Usabilty-Fehler Informationen ordnen „The most notable structural problem is when designers treat a site like one big swamp with no organizing principle for individual items. […] No opportunities for understanding the site's other offerings or locating related items. This sin is common on news sites and catalog-based e-commerce sites, where each item (articles and products, respectively) is treated as a stand-alone unit without connections to related items.“ (Jakob Nielsen, Top 10 Information Architecture Mistakes … http://www.useit.com/alertbox/ia-mistakes.html) Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Einstieg: Informationen ordnen Informationen ordnen Nehmen Sie sich 3 Minuten Zeit und ordnen Sie die unten aufgeführten Begriffe: Architekt, U-Bahn, Bahnhof, Krankenschwester, Krankenhaus, Lehrer, Haus, Meer, Wissenschaftler, Arzt, Schule, Mechaniker, Seemann, Schaffner, Universität Was fällt an dieser Inhaltsübersicht einer Website einer Bibliothek auf? - Benutzerausweis beantragen - Bücher vormerken - Erwachsene - Jugendliche - Kultur und Medien - Naturwissenschaften - Teenager - Über uns Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Ordnungsschemata / organizational schemes Ordnungsschemata Zwei Typen von Ordnungsschemata Exakte Ordnungsschemata (objective schemes) Alphabetisch Chronologisch Geographisch Sprache Mehrdeutige Ordnungsschemata (subjective schemes) Nach Themen Architektur, Bildung, Erziehung,... Nach Aufgaben … Bearbeiten Einfügen Formatieren Nach Nutzergruppen Studenten, Frauen, Senioren Metaphorisch Virtueller Klassenraum Desktop-Metapher Schaufenster: http://www.potterybarn.com/ Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Konventionen thematischer Ordnungen Ordnungsschemata Mehrdeutige Ordnungsschemata haben eine lange Geschichte. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert geht der Glaube an die Existenz einer richtigen (universellen) Ordnung verloren. Die verschiedenen seitdem entwickelten Ordnungsprinzipien finden aber noch einen Niederschlag in unserem heutigen Denken. 1. (Wissenschaftliche) Disziplinenbildung 2. Normative Prinzipien 3. Spree WS 2009/2010 1. Universalkategorien 2. Heuristiken Alternative Prinzipien 1. Basic Concepts / graded structure 2. Familienähnlichkeit / Prototypen Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Konventionen thematischer Ordnungen : Disziplinen Ordnungsschemata Philosophie = Wissenschaft der Vernunft Geschichte = Wissenschaft des Erinnerns Poesie = Wissenschaft des Vorstellungsvermögens (Einteilung der Wissenschaften nach Francis Bacon im Novum organum 1620) Grammatik Rhetorik Dialektik Arithmetik Geometrie Musik Astronomie Theologie Jurisprudenz Medizin 000 Computer science, information & general works 100 Philosophy & psychology 200 Religion 300 Social sciences 400 Language 500 Science 600 Technology 700 Arts & recreation 800 Literature 900 History & geography (Disziplineneinteilung der mittelallterlichen Universität) 500 Science 510 Mathematics 520 Astronomy 530 Physics 540 Chemistry 550 Earth sciences & geology 560 Fossils & prehistoric life 570 Life sciences; biology 580 Plants (Botany) 590 Animals (Zoology) (Ausschnitt aus der DDC) Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Konventionen thematischer Ordnungen – Wie werden Disziplinen gebildet? Philosophie Physik • Ästhetik •Kernphysik • Logik •Hochenergieteilchenphysik • Metaphysik Spaltung Spezialisierung • Ethik Forschungs-Methodologie • Metaphysik • Wirtschaft Destillation • Biologie Osteuropa Studien • Soziologie • Anthropologie • Geschichte • Geographie • Geschichte • Politische Wissenschaften Clustering • Kunst Biochemie • Soziologie • Biologie • Wirtschaft • Chemie • Literatur Agglomeration Lose Verbindung Spree WS 2009/2010 Fusion Ansammlung Cluster Spaltung Fusion Enge Verbindung Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 1. Normative Prinzipien: Reminder Facettenklassifikation In der klassischen Klassifikationstheorie werden Objekte auf der Grundlage gemeinsamer Merkmale geordnet. Es gibt eine Anzahl Klassen definierender Attribute, auf Grund derer die Zugehörigkeit zu einer Klasse festgelegt wird. Die zentralen universellen logisch korrekte Über- Unterordnungsprinzipien sind die 1. Generische Beziehung (genus proximum / differentia specifica) Ist_ein (Gattungsbegriff) ´ „Ein Stuhl ist ein (eine Art) Möbelstück“ • Partitive Beziehung Ist_Teil_von (Teilgegriff) „Ein Stuhlbein ist Teil eines Stuhles.“ Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 1. Normative Prinzipien: Facettenanalyse Ordnungsschemata Voraussetzung der klassischen Klassifikationstheorie ist die Facettenanalyse, die Beschreibung eines komplexen Gegenstandes aus Einzelperspektiven wie Funktion, Material Beispiel Möbelhaus Merkmal Funktion Ausprägung Schlafen Sitzen Verstauen Merkmal Raumzugehörigkeit Ausprägung Kinderzimmer Küche Schlafzimmer Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 1. Normative Prinzipien: Facettenanalyse - Universalkategorien Facettenklassifikation Für die Gewinnung der Facetten kann es sinnvoll sein auf universelle Kategorien zurückzugreifen. Thing / entity Kind, Part, Property Der indische Bibliothekar S.R. Ranganathan hat für die Colon Classification die Universalkategorien PMEST vorgeschlagen Material Process Operation P = Personality (Wer?) M = Matter (Was?) E = Energie (Wie?) S = Space (Wo?) T = Time (Wann?) Patient Product By-product Agent In der Bliss Bibliographic Classification hat die britische Classification Research Group die Facetten von Ranganathan zu 13 Standardkategoirein differenziert. Spree WS 2009/2010 Space Time Bliss Bibliographic Classification Standard categories Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 1. Normative Prinzipien: Heuristiken 1. Ordnungsschemata Die klassenbildenden Merkmale zeichnen sich aus durch: • Unterscheidungsfähigkeit • • • • • • Relevanz Verifizierbarkeit Dauerhaftigkeit Disjunktheit Homogenität Berücksichtigung von Fundamentatkategorien 2. Klassen sollten sich gegenseitig ausschließen (disjunkt) 3. Unterkategorien sollten vom selben Typ wie die Oberkategorie sein (Objekt, Eigenschaft, Aktivität, Dimension) 4. Bei der Anordnung der Klassen in der Begriffsreihe (Gleichordnung) und der Begriffsleiter (Unterordnung) sollte ein Prinzip erkennbar sein. (alphabetisch, chronologisch, Größe, Zeit, Ort, Bedeutung) 5. Eine Klassifikation sollte vollständig sein. 6. Eine Klassifikation sollte erweiterungsfähig sein. 7. Eine Klassifikation sollte lückenlos sein. (keine Sprünge in der Hierarchie) 8. Eine Klassifikation sollte ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Tiefe und Breite aufweisen. (Forschungsfeld – hängt von Medium, Darstellungsform, Funktion etc. ab) Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 1. Normative Prinzipen: Beispiel Arbeitsschritte Wenden wir die Heuristik Auswahl klassenbildender Merkmale einmal auf das Beispie Website Lehrvideos http://www.academicearth.org/subjects/biology/ an Unterscheidungsfähigkeit? Relevanz? Verifizierbarkeit? Dauerhaftigkeit? Disjunktheit? Homogenität? Berücksichtigung von Fundamentatkategorien? Spree WS 2009/2010 ?? Advanced Placement (AP) Test Prep Astronomy Biology Chemistry Computer Science Economics Engineering Entrepreneurship History Law Literature Mathematics Medicine Philosophy Physics Political Science Pre-Med Psychology Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 1. Normative Prinzipien: Anordnung der Klassen in der Begriffsreihe Arbeitsschritte Anordnung der Klassen auf derselben Ebene (Begriffsreihe) a) Principle of Relevant Succession I. Chronological Order II. Alphabetical Order III. Spatial/Geometric Order IV. Simple to Complex Order V. Complex to Simple Order VI. Canonical Order VII. Increasing Quantity VIII.Decreasing Quantity Topics All Pre-Med (10) Biology (3) Calculus (1) Chemistry (2) Organic Chemistry (1) Physics (3) Featured Featured Most Viewed Top Rated (Beispiel: http://www.academicearth.org/subjects/biology/) Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 2. Alternative Ordnungsprinzipien Facettenklassifikation Experiment: Bitte notieren Sie das Beispiel, das Ihnen jeweils zuerst in den Sinn kommt für Blume Märchen Transportmittel Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 2. Alternative Ordnungsprinzipien : Basic Concepts Facettenklassifikation Die Phsychologin Eleanor Rosh hat in den 1970er Jahren viele Experimente durchgeführt, um herauszufinden, wie Menschen kategorisieren. Zwei Haupterkenntnisse: abhängig von Kultur und Lebensalter existieren sogenannte „basic level“ categories die Menschen spontan zur Kategorisierung nutzen. wenn Testpersonen ein Bild von einem Küchenstuhl gezeigt wird, benennen sie dieses als Stuhl und nicht als Möbel oder Küchenstuhl bestimmte Mitglieder einer Kategorie werden von den Testpersonen als typischer für diese Kategorie betrachtet als andere. Rot ist eine typischere Farbe als rosa Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 2. Alternative Ordnungsprinzipien : Familienähnlichkeiten Facettenklassifikation Aus den „philosophical investigations“ des Philosophen Ludwig Wittgenstein wird häufig das Beispiel der Familienähnlichkeiten angeführt. Zwei Haupterkenntnisse: In der Wirklichkeit sind die Übergänge zwischen Klassen fließend und die Merkmalsstrukturen überschneiden sich – die Unterschiede sind erkennbar, aber unscharf Wittgenstein demonstriert diese These mit dem Versuch eine Definition für Spiele zu entwickeln. Klassen lassen sich manchmal besser durch Prototypen als durch eine klare definitorische Abgrenzung der Merkmale beschreiben High Noon ist ein prototypischer Western Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Strukturieren Strukturieren Die Struktur einer Site ist dadurch bestimmt, in welcher Beziehung Informationen zueinander stehen: Eingangsseite Registrieren Login Home a b Abb.1 lineare Struktur H ome Inhalt c A B Abb. 2 Flache Hierarchie a b Abb. 3 Tiefe Hierarchie Farbe: gelb Rand: ohne Form: Rechteck Abb. 4 Hypertext/Netz Spree WS 2009/2010 Abb. 5 Facettenstruktur Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Strukturieren Strukturieren Die richtige Struktur für eine Aufgabe finden Für welche Aufgabe würden Sie eine lineare Struktur wählen? Für welche Aufgaben würden Sie eine flache Hierarchie wählen? Für welche Aufgaben würden Sie eine tiefe Hierarchie wählen? Für welche Aufgaben würden Sie eine Hypertextstruktur wählen? Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004 Quellen und weiterführende Ressourcen Quellen / Ressourcen Kalbach, James: Designing Web Navigation. Sebastopol, CA: O'Reilly & Associates,2007, S. 210232 Rosenfeld, Louis Rosenfeld und Peter Morville: Information Architecture for the World Wide Web. Sebastopol, CA: O'Reilly & Associates, 1998, S. 22-46 Shiple, John: Information Architecture Tutorial http://webmonkey.wired.com/webmonkey/design/site_building/tutorials/tutorial1.html einführender Elearningkurs Spiteri, A.: A simplified Model for Facet Analysis: http://iainstitute.org/en/learn/research/a_simplified_model_for_facet_analysis.php DIN 32 705: Klassifikationssysteme : Erstellung und Weiterentwicklung von Klassifikationssystemen, Stand: Januar 1987 (Grundprinzipien sind auch noch in der digitalen Welt sinnvoll) Weiterführende Links: The Information Architecture Institute http://iainstitute.org/en/ University of Minnesota: Web Design References http://www.d.umn.edu/itss/support/Training/Online/webdesign/architecture.html Semesterapparat Spree: IWS WM 1–3: Informationssysteme und -dienstleistungen http://semapp.bbt.haw-hamburg.de/index.php Spree WS 2009/2010 Seminar I-Prax: Inhaltserschließung visueller Medien, 5.10.2004