Zwei-Plus-Vier-Gespräche - Internationale Beziehungen und

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
Die Vereinigung
Genauso überraschend wie die Ereignisse des Jahres 1989, der
Zusammenbruch des Ostens, kam für alle Beteiligten die Chance,
Deutschland wiederzuvereinigen. Fertige Pläne und Rezepte gab es keine.
Dies traf gerade auch für die Bundesregierung in Bonn zu, die bei ihrem ersten
Vereinigungspapier unter anderem auch auf den Deutschlandplan der SPD aus dem
Jahr 1957 zurückgriff. Was könnte die Überraschung, Rat- und Planlosigkeit besser
unterstreichen?
Während die innenpolitische Seite der Vereinigung relativ schnell Sache der Deutschen,
also der Bundesregierung und der neugewählten Regierung der DDR war, war die
außenpolitische Seite der Vereinigung zuerst einmal eine Angelegenheit der beiden
Supermächte.
Eigentlich wollten beide nicht recht, fanden sich aber schnell damit ab, dass die
Vereinigung als Folge der Demokratisierung in Osteuropa und in der DDR nicht von
außen verhindert werden könnte. Um so mehr sollten die Konditionen abgesprochen
und nicht Deutschland allein überlassen werden.
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Möglich wurde die Vereinigung durch die totale Umwälzung des
Nachkriegssystems, also den Zusammenbruch des alten Ostens, konkret
die Veränderungen in der Sowjetunion. Deren Bereitschaft, ihr strategisches
Vorfeld in Osteuropa militärisch und politisch aufzugeben, war der
Schlüssel jeglicher Veränderung.
Was die Sowjetunion vertreten durch Gorbatschow dazu bewog, ist umstritten. Sicher
war die Rolle Gorbatschows selbst von gewaltigem Einfluss, das erklärt aber nicht, was
den alten Apparat in der Sowjetunion dazu brachte, den Ausverkauf der Ergebnisse
des Zweiten Weltkrieges, konkret der Eroberungen der Roten Armee, hinzunehmen.
Konservative Amerikaner sahen darin einfach den Sieg der USA im Systemwettstreit
nicht zuletzt dank der harten Linie der Administration Reagan.
Die Preisgabe der DDR, die vornehmste Siegesprämie der Roten Armee, fiel der
politischen und militärischen Elite der Sowjetunion besonders schwer. Gorbatschow und
sein Außenminister Schewardnadse stießen selbst bei den eigenen Mitarbeitern auf
Widerspruch.
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Der Deutschlandexperte Valentin Falin und dessen Kollege Nikolai Portugalow
versuchten, ihre beiden Chefs ohne Erfolg zu bremsen. Die Rote Armee selbst
gehorchte grummelnd und widerwillig. Der Verlust des schönsten Stationierungsplatzes mit der besten Versorgung im Ostblock entsetzte die Marschälle und Generäle
und traf sie ins Mark.
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 Die Maueröffnung und der sich abzeichnende Beitritt der DDR zur
Bundesrepublik setzte die Supermächte unter Druck, diesen Prozess
außenpolitisch in ihrem Sinne und von ihnen gesteuert zu organisieren.
Anfang Februar war der amerikanische Außenminister Baker in Moskau, um mit
seinem sowjetischen Kollegen und Gorbatschow selbst die Veränderungen in
Deutschland zu verhandeln. Beide Seiten wollten eine Destabilisierung Europas
unterbinden.
Gorbatschow sorgte sich um die deutschen Ostgrenzen. Er befürchtete, Deutschland
werde sich nicht auf alle Zeiten mit diesem Ergebnis des Zweiten Weltkrieges abfinden.
Heutigen Zusicherungen deutscher Politiker sei womöglich nicht zu trauen.
Die amerikanische Seite teilte zwar diese Bedenken in der Grenzfrage nicht unbedingt,
wollte aber genau wie die Sowjetunion den Prozess der deutschen Vereinigung
außenpolitisch kontrollieren.
Zugleich wollte Baker den Sowjets keine Anhaltspunkte geben, die die amerikanischen
Vorbehalte gegen eine rasche Wiedervereinigung offen legten. Er befürchtete in diesem
Fall, wenn das zu Helmut Kohl durchsickerte, dass dies das Misstrauen des
Bundeskanzlers gegenüber den USA anstacheln würde.
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Abzusprechen war zum einen das Forum, das die außenpolitische Seite der
Vereinigung aushandelte. Der Vorschlag für das Modell der „Zwei-Plus-VierGespräche“ stammte aus dem amerikanischen Außenministerium.
Dort waren die Experten Robert Zoellick und Dennis Ross der Meinung, ein
Vierertreffen im Stil von Jalta und Potsdam sei nicht zeitgemäß, andererseits könnte
die KSZE mit 35 Mitgliedstaaten diesen Verhandlungsprozess nicht managen, weil sie
zu schwerfällig sei.
Mit dem Kunstgriff der „Zwei-Plus-Vier-Gespräche“ wurden die Regierungschefs der
beiden deutschen Staaten und der vier Siegermächte das geeignete Forum.
Die sowjetische Seite hatte keine bessere Idee, und der deutsche Außenminister HansDietrich Genscher willigte ein, vorausgesetzt es handele sich tatsächlich um Zwei-PlusVier- und nicht um Vier-Plus-Zwei-Gespräche.
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 Schon im Februar 1990 machte Baker in Moskau klar, dass die USA das
wiedervereinigte Deutschland nicht neutral, sondern als Mitglied der NATO
sehen wollten. Baker betonte, dass eine Wirtschaftsmacht von der Größe
Deutschlands nicht neutral bleiben könne.
Genau das war für die sowjetische Seite eine schwer zu schluckende Kröte. Baker
fragte Gorbatschow, ob er ein wiedervereinigtes Deutschland außerhalb der NATO und
ohne amerikanische Streitkräfte, dafür aber womöglich mit eigenen Atomwaffen,
vorziehe.
Baker pries Deutschland in der NATO als das für alle Seiten bessere Modell an. Zu
diesem Zeitpunkt behielt sich Gorbatschow noch vor, über diesen Fall intensiv
nachzudenken.
Hinter den sowjetischen Kulissen fand derweil eine erbitterte Auseinandersetzung
zwischen Gorbatschow und Schewardnadse mit ihren Gegnern in der Partei, der
Bürokratie und dem Generalstab statt.
Der damals noch mächtige, konservative Vertreter im Politbüro, Jegor Ligatschow, war
die Speerspitze der Empörung darüber, dass Gorbatschow die DDR als Außenposten
der Sowjetunion aufgegeben hatte. Die konservative Fronde suchte die Führungsspitze
daran zu hindern, Gesamtdeutschland den Amerikanern zu überlassen.
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 Wie kompliziert in diesem Zusammenhang das deutsch-amerikanische
Verhältnis war, zeigte sich an der Tatsache, dass ein Tag nach Bakers
Gesprächen in Moskau, am 10. Februar 1990, auch der deutsche
Bundeskanzler und sein Außenminister Gespräche im Kreml führten. Baker
vermied demonstrativ ein Zusammentreffen mit den beiden deutschen
Spitzenpolitikern.
Der Hintergrund war, dass die USA den Eindruck vermeiden wollten, die beiden
Supermächte und Westdeutschland bezögen London und Paris nicht adäquat in die
Entscheidungen über die Zukunft Deutschlands ein. Dies war eine Quelle für potentielle
westliche Unstimmigkeiten, die andere Seite war, dass Helmut Kohl außerordentlich
misstrauisch wegen der vertraulichen amerikanisch-sowjetischen Gespräche war.
Der amerikanische Präsident Busch versuchte, Helmut Kohl mit einem
überschwänglichen Brief zu beruhigen. Darin behauptete er, dass sich die Interessen
der USA mit dem leidenschaftlichen Eintreten Kohls für die deutsche
Wiedervereinigung deckten. Ferner wies er darauf hin, dass sich die deutsche
Wiedervereinigung nun womöglich noch rascher vollziehen könnte, bat aber dringlich,
dass Deutschland Mitglied der NATO bleiben müsse.
Kohl meinte dazu gegenüber seinen Mitarbeitern, dies sei „eines der wichtigsten
Dokumente in der Geschichte der deutsch-amerikanischen Beziehungen“.
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 Die NATO-Frage war der Kern des Problems für die Vereinigten Staaten.
Bush und Baker waren nämlich besorgt, Helmut Kohl könne, vor die Wahl
gestellt, entweder NATO-Mitglied zu bleiben oder eine schnelle
Wiedervereinigung als Zugeständnis der Sowjetunion zu gewinnen, auf die
NATO-Mitgliedschaft verzichten.
Die amerikanische Seite versuchte deshalb, einen „westlichen Kokon“ um Kohl zu
spinnen. So bezeichnete es ein Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der USA,
Robert Blackwill.
Der deutsche Bundeskanzler sollte praktisch durch eine Umarmungsstrategie bei der
westlichen Stange gehalten werden. Dazu gehörte auch die Schmeichelei der
Amerikaner, die ihn auf die gleiche Stufe mit Bismarck und Adenauer stellte.
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Die nächste amerikanisch-sowjetische Verhandlungsrunde folgte Ende Mai
1990 bei Gorbatschows Besuch in Washington. Die amerikanische Seite gab
sich sehr viel Mühe, der Sowjetunion die Zustimmung zur Mitgliedschaft des
vereinten Deutschland in der NATO zu erleichtern. Gorbatschow kam mit
dem Vorschlag, Deutschland solle in beiden Bündnissen Mitglied sein.
Zudem schlug Gorbatschow zum Entsetzen seiner Delegation vor, die Entscheidung
darüber solle Sache des deutschen Volkes sein. Die Idee eines Referendums in
Deutschland legte die Differenzen innerhalb der sowjetischen Delegation schonungslos
bloß.
Außenminister Schewardnadse widersprach Gorbatschow vor den Amerikanern ganz
heftig und betonte, dass dieses Problem von den Regierungschefs selbst gelöst
werden müsse.
Die Amerikaner waren völlig verblüfft. Noch nie war es vorgekommen, dass ein
sowjetischer Außenminister es wagte, sich offen seinem Vorgesetzten zu widersetzen.
Am Ende des sowjetischen Besuchs in den USA hatte sich der Eindruck verfestigt,
dass die Sowjetunion sich mit einem vereinigten Deutschland in der NATO abgefunden
habe.
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 Anlässlich einer Sitzung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (KSZE) am 5. Juni in Kopenhagen präzisierten die USA die von
Ihnen vorgeschlagenen Sicherheitsgarantien für die Sowjetunion in bezug auf
ein vereinigtes Deutschland. Baker schlug vor, die Zahl der deutschen
Soldaten zu begrenzen sowie die Zukunft der sowjetischen Truppen in
Ostdeutschland zu regeln.
Schewardnadse ließ sich darauf ein und deutete an, dass sich die Sowjetunion auf eine
Wiedervereinigung Deutschlands bis Ende des Jahres 1990 einlassen würde, sofern
diese amerikanischen Garantien kodifiziert würden. Die amerikanische Seite war über
dieses Ergebnis mehr als erfreut.
Am 12. Juni 1990 erklärte Gorbatschow dann vor dem Obersten Sowjet offiziell seine
Bereitschaft, ein vereintes Deutschland in der NATO hinzunehmen. Er verlangte
lediglich für eine Übergangsperiode die Fortdauer der Zugehörigkeit der Streitkräfte der
DDR zum Warschauer Pakt als „assoziiertes Mitglied“.
Er deutete zudem an, dass dieses Problem leichter lösbar wäre, wenn die NATO sich
von einem militärischen Bündnis in ein eher politisches wandelte.
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 Genau daran knüpften die Amerikaner an und präsentierten beim
Londoner NATO-Gipfel Anfang Juli Vorschläge, wie eine neue NATO
aussehen sollte.
Beginnend mit der Vorstellung, dass der Kalte Krieg vorbei sei, regte die
amerikanische Seite an, Osteuropa solle ständige Vertreter in die NATO entsenden
und Gorbatschow an einer Sitzung des NATO-Rates teilnehmen.
Damit sollte zum einen Gorbatschow mit Rechtfertigungsgründen ausgestattet werden,
die NATO-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland zu Hause besser durchsetzen zu
können.
Zum anderen wollten die USA ihre Führungsrolle in einer Phase klarstellen, wo
allgemein vom Niedergang der USA gesprochen wurde. Der deutsche Bundeskanzler
war von Präsident Bushs Neuerungsplänen für die NATO begeistert.
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 Die Ehre der Endrunde wurde der deutschen Seite zuteil.
Bundeskanzler Kohl traf Gorbatschow im Juli des Jahres in Moskau und reiste dann mit
ihm in den Kaukasus. Gorbatschow machte Kohl klar, dass er die Zugehörigkeit eines
vereinten Deutschland zur NATO nach dem sich abzeichnenden Wandel dieses
Bündnissystems hinnehmen könne.
Kohl selbst schwärmte von Durchbruch und einem phantastischen Ergebnis.
Aus amerikanischer Sicht war dies nur ein simpler Vollzug, also ein sogenanntes NichtEreignis. Eifersüchtig verfolgten die USA jeden Anschein, Kohl und Gorbatschow
hätten die Sache letztlich unter sich ausgemacht. Bush wollte die Architektenrolle
unbedingt für sich reklamieren.
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 Abgesehen von allen Eitelkeiten und Rollenspielen war klar, dass die
Supermächte den Deal unter sich abgesprochen hatten. Die deutsche Seite
spielte die Rolle des herausgehobenen Statisten. Das belegt, wer den
Schlüssel zur Veränderung in Europa in der Hand hatte.
Vom Ergebnis her konnte die deutsche Seite mehr als zufrieden sein. Es war klar, dass
dieses Ergebnis nach einer Übergangsphase und dem Abzug der sowjetischen
Truppen aus der früheren DDR auf einen tatsächlichen Wiedergewinn der deutschen
Souveränität hinauslaufen musste.
Deutschland blieb zwar europäisch eingehegt, die mittelfristige Gleichberechtigung
zumindest mit Frankreich und England war ihm freilich nicht mehr zu nehmen. Dies
wird dadurch unterstrichen, dass die giftigsten Seitenhiebe auf den Prozess der
deutschen Einigung aus diesen beiden Ländern kamen.
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 François Mitterand hatte die DDR bei einem Besuch bei Hans Modrow zur
Fortsetzung ihrer Existenz überreden wollen.
 Margaret Thatcher ließ von London aus wenig vereinigungsfreundliche
Signale aussenden. Das offenbarte altes Denken in Reinkultur.
Die Souveränitätsbeschränkungen Deutschlands, insbesondere nach außen, hatten
Frankreich und England für Jahrzehnte in Europa eine künstliche Vorrangrolle
eingeräumt. Diese Phase ging nun zu Ende und kreierte bei den außenpolitischen Eliten
in beiden Hauptstädten Anpassungsprobleme, weil Macht- und Statusverlust drohten.
Die deutsche Seite, Kohl und Genscher, hatte ihre Sache zweifellos gut gemacht. Vom
Glück begünstigt, weil alle beteiligten früheren Siegermächte der Meinung waren, die
deutsche Vereinigung ließe sich sowieso nicht verhindern, sollte es schnell aber geregelt
vonstatten gehen.
So geschah es dann auch, und die deutsche Seite konnte als Gewinner die
Boshaftigkeiten aus Paris und London freundlich ignorieren. Was könnte die
Machtverschiebung deutlicher ausdrücken als die wohlwollend-herablassende
Vernachlässigung von bedeutungslosen kleinen Querschüssen bei der deutschen
Vereinigung.
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