öffentlichen Rechtes

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Drei Themen
1. Die Geschichte der inneren Ordnung der
christlichen Kirche (Kirchenrecht im
eigentlichen Sinne)
2. Die Stellung der christlichen Kirche in der
staatlichen Ordnung (Staatskirchenrecht)
3. Zivilrechtliche Impulse des Kirchenrechts
Ein Spannungsverhältnis …
… besteht zwischen der Kirche als freiwillige Verbindung im Glauben und
dem Recht als zwangsweise durchsetzbare Ordnung.
… hat sich durch die Institutionalisierung des von Christus gestifteten
Glaubens herausgebildet, die ihren Ursprung schon in der ersten
Gemeinde in Jerusalem und ihren Ablegern hat:
- Die Apostel selbst bilden aus ihrer Reihe Leitungsgruppen.
- Nach ihrer Aussendung gibt es nach jüdischem Vorbild einen Rat der
Ältesten (Presbyter), der später auch in anderen Gemeinden existiert
und neben den Gemeindeaufsehern (Episkopen) und Gemeindedienern
(Diakonen) steht.
- Ab dem 2. Jh. stehen sich die Presbyter als Laien und die Diakone und
Episkopen (= Bischöfe) als „hauptamtliche“ Nachfolger der Apostel
gegenüber. Sie sind
… grundsätzlich unabsetzbar.
… mit der Eucharistie sowie der Vergebung von Sünden und ihrer Buße
betraut.
Die Struktur der Kirche …
… wird im 4. Jh. der Verwaltung des römischen Reichs
angepasst und vielgliedriger:
- Gemeinden werden den Diözesen unterstellt, die von
einem Bischof geleitet werden.
- Diözesen werden einer Metropole zugeordnet, die von
einem Erzbischof (Metropolit) geleitet wird.
- Darüber stehen im Osten der Patriarch, im Westen der
ab Ende des 4. Jh. sogenannte Papst als Bischof von
Rom, der wegen der Nachfolge in die Stellung Petrus‘
eine besonders hervorgehobene Rolle spielt.
Das kirchliche Recht …
… geht aus Rechtssammlungen hervor, deren erste die 1140
entstandene Privatsammlung des in Bologna wirkenden Mönchs
Gratian, das Decretum Gratiani, ist, das aus Papstbriefen,
Konzilbeschlüssen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen (vor
allem des römischen Rechts) besteht. Es …
… umfasst das Amts- und Kultusrecht (1., 3. Teil) sowie
Prozess-, Vermögens- und Eherecht (2. Teil).
… strebt danach, aus den disparaten Quellen, eine
widerspruchsfreie Rechtsmasse zu schaffen.
… ist zunächst Gegenstand wissenschaftlicher Bearbeitung durch
die sogenannten „Dekretisten“, deren Ergebnisse in der etwa
1215 veröffentlichten Glossa ordinaria des Johannes Teutonicus
gesammelt sind.
Das kirchliche Recht …
… wird durch weitere Dekretalen (Papstbriefe, i. d. R.
Einzelfallentscheidungen) ständig fortgebildet, die jeweils
gesammelt werden …
… 1234 unter Papst Gregor IX. in einem in fünf Bücher
aufgeteilten Liber extra,
… 1298 unter Papst Bonifaz VIII. in einem Liber sextus, der die
Einteilung des Liber extra übernimmt,
… 1317 unter Papst Johannes XXII. in den Constitutiones
Clementis („Clementinen“),
… wird dann Gegenstand der weiteren wissenschaftlichen
Bearbeitung durch die sogenannten „Dekretalisten“, u. a. den
auch als Kommentator bekannten Baldus de Ubaldis, ist.
Das Kirchenrecht …
… wird 1582 in der Weise kodifiziert, dass aus den bisherigen
Sammlungen das Corpus Iuris Canonici als Parallelwerk zum
Corpus Iuris Civilis von Kaiser Justinian gebildet wird. Hierin werden
in sechs Teilen die Vorgängersammlungen in modernisierter Form
aufgenommen:
- Decretum Gratiani
- Liber Extra
- Liber Sextus
- Clementines
- Extravagantes des Johannes XXII. (1316-1334)
- Extravagantes Communes (Sammlung verschiedener Dekretalen
von 1261 bis 1484)
Das katholische Kirchenrecht …
… wird umfassend neu gefasst im Codex Iuris Canonici, der …
… von Papst Benedikt XV. 1918 nach vierzehnjähriger Vorarbeit in Kraft gesetzt
wird und in fünf Bücher eingeteilt ist:
- Allgemeiner Teil (u. a. Rechtsquellen, Interpretationsmaximen)
- De personis (Kirchenverfassungsrecht)
- De rebus (Sakramenten- und Vermögensrecht)
- De processibus (Verfahrensrecht)
- De delictis (Strafrecht)
… auf die Initiative Papst Johannes XXIII. bis 1983 vollständig neu gefasst wurde
und jetzt in sieben Teile gegliedert ist:
- Allgemeiner Teil
- Volk Gottes (Gläubige, Kirchenverfassung)
- Verkündigungsdienst der Kirche
- Heiligungsdienst der Kirche (Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Ehe)
- Kirchenvermögen
- Strafrecht
- Prozessrecht
Die Hierarchie in der katholischen Kirche …
… wird im Zuge der Gegenreformation und des Konzils von Trient (1545-1563)
verschärft: Die Bischöfe erhalten umfassende Verwaltungs- und
Jurisdiktionsgewalt, werden aber ihrerseits stärker an den Papst gebunden, dem
sie einen Gehorsamseid zu leisten haben.
… wird zugunsten des Papstes noch einmal durch die im Rahmen des Ersten
Vatikanischen Konzils 1870 ergangene Konstitution „Pastor aeternus“
verstärkt, seit der dem Papst umfassende Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und
Gerichtsgewalt und das Privileg der Unfehlbarkeit zukommt.
… wird vor allem durch die Entscheidungen des 2. Vatikanischen Konzils (19621965) und die daran anknüpfenden Regelungen des neuen CIC deutlich
abgebaut. Seitdem …
… sind die Bischöfe den Bischofskonferenzen als kollegial handelnde
Zwischeninstanz mit eigener Rechtspersönlichkeit untergeordnet.
… sind nicht katholische Christen nicht mehr voll der römischen Gewalt
unterworfen.
Die Konstitution Pastor aeternus (1870)
„Der ewige Hirt und Bischof unsrer Seelen wollte seinem Werk der Erlösung und des Heils
durch alle Zeiten Dauer verleihen. … Wir lehren also und erklären: Nach den Berichten des
Evangeliums wurde der Jurisdiktionsprimat über die ganze Kirche Gottes von Christus dem
Herrn unmittelbar und direkt dem heiligen Apostel Petrus verheißen und übertragen. Denn
Simon allein ist es, zu dem der Herr schon lang zuvor das Wort gesprochen hatte: „Du sollst
Kephas, Fels, genannt werden … Simon Petrus allein endlich verlieh Jesus nach seiner
Auferstehung die oberste Hirten- und Führergewalt über seine ganze Herde mit den Worten:
„Weide meine Lämmer. Weide meine Schafe." … Was aber der Fürst aller Hirten und große
Hüter seiner Schafe Christus Jesus der Herr, zum immerwährenden Heil und Wohl der Kirche
im heiligen Apostel Petrus eingesetzt hat, das muss kraft dieser Anordnung als dauernde
Einrichtung in der Kirche fortbestehen, da sie ja, auf Felsen gegründet, unerschüttert stehen
wird bis zum Ende der Zeiten. … Wer immer daher auf diesem Stuhl Nachfolger Petri wird, der
erlangt nach der Bestimmung Christi selbst auch den Primat Petri über die gesamte Kirche. …
Der heilige Apostolische Stuhl oder der römische Papst hat den Primat den gesamten Erdkreis
inne. Der römische Papst ist der Nachfolger des heiligen Apostelfürsten Petrus; er ist wirklich
der Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche, der Vater und Lehrer aller Christen; ihm
ist von unserm Herrn Jesus Christus im heiligen Petrus die Vollgewalt übergeben, die gesamte
Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten; ganz wie es auch in den Akten der allgemeinen
Konzilien und in den heiligen Canons enthalten ist. … Wenn der römische Papst „ex Cathedra“
spricht, - das heißt, wenn er in Ausübung seines Amtes als Hirte und Lehrer aller Christen mit
seiner höchsten Apostolischen Autorität erklärt, dass eine Lehre, die den Glauben oder das
sittliche Leben betrifft, von der ganzen Kirche gläubig festzuhalten ist, - dann besitzt er kraft des
göttlichen Beistandes, der ihm im heiligen Petrus verheißen wurde, eben jene Unfehlbarkeit, mit
der der göttliche Erlöser seine Kirche bei Entscheidungen in der Glaubens- und Sittenlehre
ausgerüstet wissen wollte. Deshalb lassen solche Lehrentscheidungen des römischen Papstes
keine Abänderung mehr zu, und zwar schon von sich aus, nicht erst infolge der Zustimmung
der Kirche. Wer sich aber vermessen sollte, was Gott verhüte, dieser Unserer
Glaubensentscheidung zu widersprechen: der sei im Bann.“
Der Papst im Codex Iuris Canonici (1983)
Can. 331.
Der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom Herrn einzig dem Petrus, dem
Ersten der Apostel, übertragene und seinen Nachfolgern zu vermittelnde Amt
fortdauert, ist Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der
Gesamtkirche hier auf Erden; deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche
über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer
frei ausüben kann.
Can. 333 § 3.
Gegen ein Urteil oder ein Dekret des Papstes gibt es weder Berufung noch
Beschwerde.
Can. 336.
In dem Bischofskollegium, dessen Haupt der Papst ist und dessen Glieder kraft
der sakramentalen Weihe und der hierarchischen Gemeinschaft mit dem Haupt
und den Gliedern des Kollegiums die Bischöfe sind, dauert die apostolische
Körperschaft immerzu fort; es ist zusammen mit seinem Haupt und niemals ohne
dieses Haupt ebenfalls Träger höchster und voller Gewalt in Hinblick auf die
Gesamtkirche.
Unfehlbarkeit im Codex Iuris Canonici (1983)
Can. 749
§ 1. Unfehlbarkeit im Lehramt besitzt kraft seines Amtes der Papst, wann
immer er als oberster Hirt und Lehrer aller Gläubigen, dessen Aufgabe es ist,
seine Brüder im Glauben zu stärken, eine Glaubens- oder Sittenlehre definitiv
als verpflichtend verkündet.
§ 2.
Unfehlbarkeit im Lehramt besitzt auch das Bischofskollegium, wann immer die
Bischöfe, auf einem Ökumenischen Konzil versammelt, ihr Lehramt ausüben,
indem sie als Lehrer und Richter über Glaube und Sitte für die ganze Kirche
eine Glaubens- oder Sittenlehre definitiv als verpflichtend erklären; oder wann
immer sie, über die Welt verstreut, unter Wahrung der Gemeinschaft
untereinander und mit dem Nachfolger Petri, zusammen mit eben dem Papst
in authentischer Lehre über Sachen des Glaubens oder der Sitte zu ein und
demselben, als definitiv verpflichtenden Urteil gelangen.
§ 3.
Als unfehlbar definiert ist eine Lehre nur anzusehen, wenn dies offensichtlich
feststeht.
Die lutherische Reformation …
… geht von einer Zweiteilung zwischen der geistlichen Kirche als
Gemeinschaft der Gläubigen („Reich Gottes zur Rechten“) und der
Kirche als Teil der Welt („Reich zur Linken“) aus, in der eine staatliche
Zwangsordnung und auch eine kirchliche Hierarchie nach
menschlichem Kirchenrecht besteht.
... unterscheidet sich darin von der schweizerischen Reformation durch
Zwingli und Calvin, die sich aber ebenfalls gegen die traditionelle
Ämterhierarchie wenden.
... führt dazu, dass an die Stelle der Bischöfe als äußerer Leiter der Kirche
in einem Land die Landesherrn als „Summepiskopen“ tritt, die durch
eine Behörde, das „Konsistorium“, handeln, in der Juristen und
Theologen tätig sind.
… hat die grundsätzliche Geltung des Corpus Juris Canonici nicht in
Frage gestellt, das jedoch nur noch kraft seiner Rezeption durch den
Landesherrn und nur insoweit wirken kann, als es dem evangelischen
Bekenntnis nicht zuwiderläuft.
Die evangelische Kirche …
… gibt sich als Landeskirche in der Weimarer Republik Verfassungen, die an den
demokratischen Staatsaufbau angelehnt sind und die vorsehen …
… als oberstes Organ die Synode als direkt oder mittelbar gewähltes
Kirchenparlament.
… eine Kirchenregierung.
… erst seit 1933 durchgängig auch ein Bischofsamt.
… ist darüber hinaus seit 1922 reichsweit im Deutschen Evangelischen Kirchenbund
organisiert.
… wird von der durch die NSDAP gesteuerten „Glaubensbewegung deutscher
Christen“ erfasst und gleichsam zur evangelischen Reichskirche in Gestalt der
1933 gegründeten „Deutschen Evangelischen Kirche“, der ein Reichsbischof
vorsteht.
… erhält ein Gegengewicht durch die 1934 gegründete „Bekennende Kirche“, die
für sich ebenfalls reklamiert, die evangelische Kirche zu vertreten, und diese so
spaltet.
… wird nach dem Krieg in der „Evangelischen Kirche in Deutschland“ und in den
neuen Verfassungen der Landeskirchen reorganisiert, die nach wie vor um die
Synode herum gebildet, aber weniger am staatlichen Vorbild orientiert ist.
Die Stellung der christlichen
Kirche in der staatlichen Ordnung
(Staatskirchenrecht)
Die Christen im römischen Reich …
… werden nicht ständig, sondern nur von einzelnen Kaisern und aus
unterschiedlichen Anlässen verfolgt.
… sind seit dem Toleranzedikt des Gallienus von 260 als
Religionsgemeinschaft geduldet.
… werden dann wieder sehr hart von Diokletian (284-305) verfolgt, bevor 311
unter Konstantin d. Gr. (306-337) ein neues Toleranzedikt erlassen und
313 das Mailänder Abkommen geschlossen wird, das die christliche
Kirche den anderen Reichsreligionen gleichstellt.
… bilden die Reichskirche seit Theodosius I. (379-394), als sie wegen ihrer
guten Organisation einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der
Ordnung leisten können.
… sind gespalten in Arianer (nach einem Priester namens Arius aus
Alexandria), die Christus nur für wesensähnlich mit Gott halten, und die
später sogenannten Katholiken, die in der von Konstantin 325
einberufenen Synode von Nicäa (bei Konstantinopel) siegreich sind.
Das Kräfteverhältnis von Kirche und Staat im Mittelalter…
… wird vorgeprägt …
… durch die Schriften der Kirchenväter Ambrosius (339-397) und Augustin (354-430), die
es so beschrieben, dass die geistliche der weltlichen Gewalt vorgeht.
… durch die Entscheidung Leos des Großen (440-461), sich als pontifex maximus zu
bezeichnen – ein Titel, der bislang nur dem Kaiser vorbehalten war.
… verschob sich in den germanischen Staaten zum Nachteil der Kirche, indem kirchliche
Ämter dem Lehnswesen untergeordnet, die Pfarrer den Grundherrn unterstellt wurden.
… verschiebt sich im Heiligen Römischen Reich ab Otto d. Gr. (936-973) wieder zugunsten
der Kirche, als Bistümer und Abteien mit weltlichen Hoheitsrechten (vor allem Zoll- und
Marktrechten) ausgestattet werden; hieraus entstehen die geistlichen Fürstentümer.
… wird zum Konfliktstoff im sogenannten Investiturstreit, der …
… auf die vom Kloster Cluny (gegründet 910) ausgehende Reformbewegung zurückgeht,
deren Ziel die Unabhängigkeit der Kirche ist.
… über die Einsetzung der Geistlichen zunächst zwischen Papst Gregor VII. (1073-1085)
und dem deutschen Kaiser Heinrich IV. (1050-1106) ausgetragen wird.
... vorläufig durch das Wormser Konkordat von 1122 beendet wird, in dem der Kaiser auf
die Verleihung des Kirchenamts verzichtet.
Das Kräfteverhältnis von Kirche und Staat im Mittelalter…
…wird später vor allem zum Gegenstand einer
Auseinandersetzung zwischen der römischen Kirche und
dem französischen König. Diese …
… führt nach der nach einer Gefangennahme von Bonifaz
VIII. (1294-1303) bis 1377 zur Verlegung des Papstsitzes
nach Avignon und danach zum großen Schisma, der
Dualität von römischem Papst und avignonesischem
Gegenpapst.
… wird in ihren Konsequenzen mühsam im Zuge der Konzile
von Konstanz (1414-1418) und Basel/Ferrara/Florenz (14311449) überwunden.
Die Reformation …
… führt später zu einer Kirchenspaltung, die mit einer politischen Spaltung
Deutschlands einhergeht. Sie wird …
… ist im Augsburger Religionsfrieden von 1555 politisch in der Weise erfolgreich,
dass …
… die Gerichtsbarkeit der katholischen Kirche über die Anhänger der neuen
Konfessionen suspendiert wird.
… den Landesherrn das ius reformandi gegeben und der jeweiligen Minderheit
die Möglichkeit zur Auswanderung gegeben wird.
… findet volle rechtliche Anerkennung erst nach dem dreißigjährigen Krieg 1648 im
Westfälischen Frieden von Münster (Vertrag mit Frankreich) und Osnabrück
(Vertrag mit Schweden), in dem …
… reichsrechtlich die Gleichheit der Konfessionen anerkannt wird.
… die Landesherrn zur Gewährung der öffentlichen Religionsausübung wie im
Jahre 1624 (das „Normaljahr“) verpflichtet werden (ausgenommen Österreich und
Oberpfalz).
Das Instrumentum Pacis Osnabrugense (IPO)
Art. 5 § 1
DerBestettigung deß Passawischen Vertrags vnd ReligionFriedens. Vertrag/ so im Jahr
1552 zu Passaw gemacht/ vnnd darauff im Jahr 1555 gefolgte ReligionsFrieden/ gestalt
solche im Jahr 1566 zu Augspurg/ vnnd nachgehends auff vnterschiedlichen allgemeinen
Reichstägen bestettigt worden/ sollen in allen jhren/ mit der Röm. Kayserl. Mayest. ChurFürsten/ vnd Ständen/ beyderseits Religion einhellig verwilligt: gemacht/ vnnd
geschlossenen Articuln/ beständig verbleiben/ auch vffrichtig/ vnd vnverändert gehalten
werden. … biß daß man/ durch Gottes Gnade/ sich in der Religion vergleiche … In allem
andern aber/zwischen beyder Religion Chur-Fürsten und Ständen/allen und jeden/ solle
eine richtige/durgehende/reciprocirende Gleichheit/so viel die Form der Republick, die
Gesetze des heyl. Römischen Reichs/ und gegenwärtigen Convent
betrifft/Also/und/dergestalt gehalten werden/daß/was einem Theil recht und billig ist/dem
anderen ebenmässig seye …
Art. 5 § 31
Ohnerachtet aber dessen sollen der Catholischen Ständte Landtsassen/ Lehenleuthe
vnnd Vnderthanen/ wessen Standts sie seynd/ welche entweders das öffentliche oder
privat Exercitium der Augspurgischen Confession Anno 1624. zu welcher Jahrszeit es
auch gewesen/ entweders vermög gewissen Vertrags/ oder Privilegij/ oder langem
Herkommen/ oder auß blosser observantz dessen Jahrs gehabt/ solches auch hinfüro/
sampt seinem Anhang/ im Gebrauch behalten/ wie es gedachten Jahrs geübet oder/ daß
sie es exercirt hätten/ beweisen können …
Das Verhältnis von Staat und Kirche in der Moderne …
… wird vorgeprägt durch den zur Bewältigung der Folgen der
napoleonischen Kriege 1803 gefassten
Reichsdeputationshauptschluss, mit dem …
… die geistlichen Fürstentümer aufgelöst und samt ihres
Vermögens in die jeweiligen Länder eingegliedert werden.
… den Landesherrn die Säkularisierung des übrigen
Kirchenvermögens ermöglicht wird.
… die Landesherrn im Gegenzug zur Unterhaltung der
Geistlichen und der Kirchen verpflichtet werden.
… wird in Deutschland später durch das Kirchensteuersystem
gekennzeichnet, das im 19. Jahrhundert entsteht und insofern
ein Merkmal der Trennung von Kirche und Staat ist, als es die
Kirche von der staatlichen Alimentation löst.
Der Reichsdeputationshauptschluss 1803
§ 34
Alle Güter der Domkapitel und ihrer Dignitarien werden den Domänen der Bischöfe einverleibt, und gehen
mit den Bisthümern auf die Fürsten über, denen diese angewiesen sind. In den zwischen mehrere
vertheilten Bisthümern werden die in den einzelnen Theilen befindlichen Güter dieser Art mit denselben
vereinigt.
§ 35
Alle Güter der fundierten Stifter, Abteyen und Klöster, in den alten sowohl als in den neuen Besitzungen …
werden der freien und vollen Disposition der respectiven Landesherrn, sowohl zum Behuf des Aufwandes
für Gottesdienst, Unterrichts- und andere gemeinnützige Anstalten, als zur Erleichterung ihrer Finanzen
überlassen, unter dem bestimmten Vorbehalte der festen und bleibenden Ausstattung der Domkirchen,
welche werden beibehalten werden, und der Pensionen für die aufgehobene Geistlichkeit, nach den unter
theils wirklich bemerkten, theils noch unverzüglich zu treffenden näheren Bestimmungen.
§ 36
Die namentlich und förmlich zur Entschädigung angewiesenen Stifter, Abteyen und Klöster, so wie die der
Disposition der Landesherren überlassenen, gehen überhaupt an ihre neuen Besitzer mit allen Gütern,
Rechten, Kapitalien und Einkünften, wo sie auch immer gelegen sind, über, sofern oben nicht
ausdrückliche Trennungen festgesetzt worden sind.
§ 63
Die bisherige Religionsübung eines jeden Landes soll gegen Aufhebung und Kränkung aller Art geschützt
seyn; insbesondere jeder Religion der Besitz und ungestörte Genuß ihres eigenthümlichen Kirchenguts,
auch Schulfonds nach der Vorschrift des Westphälischen Friedens ungestört verbleiben; dem
Landesherrn steht jedoch frei, andere Religionsverwandte zu dulden und ihnen den vollen Genuß
bürgerlicher Rechte zu gestatten.
Das Verhältnis von Staat und Kirche im 19. Jahrhundert …
… kennzeichnen die Grundsätze der Paulskirchenverfassung, die in ihrem
staatskirchenrechtlichen Teil von vielen Landesverfassungen übernommen
wurden, vor allem …
… die Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung.
… das Verbot einer Staatskirche, das allerdings durch die Bindung an die
christliche Religion in der preußischen Verfassung von 1850 relativiert wird.
… ist geprägt durch den „Kulturkampf“ zwischen katholischer Kirche und
(preußischem) Staat, der …
… nicht zuletzt durch die von Papst Pius IX. 1864 erklärte Ablehnung der
Staatskirchenhoheit und der Religionsfreiheit provoziert wird.
… vor allem über die Fragen der Klerikerausbildung, der Besetzung von
kirchlichen Ämtern, von Religionslehrer- und Professorenstellen und
staatlicherseits mit Gehaltssperren gegen Bischöfe ausgetragen wird.
… seinen Höhepunkt in der preußischen Kulturkampfgesetzgebung von 1873
erreicht, in der unter anderem eine Anzeigepflicht mit staatlichem
Einspruchsrecht für die kirchliche Ämterbesetzung eingeführt wird. Diese
Gesetzgebung wird ab 1882 wieder schrittweise rückgängig gemacht.
Paulskirchenverfassung 1848
§ 144
Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.
§ 145
Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner
Religion.
Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem
Gesetze zu bestrafen.
§ 146
Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.
§ 147
Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig, bleibt aber den
allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.
Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine
Staatskirche.
Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung ihres Bekenntnisses durch den
Staat bedarf es nicht.
§153
Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staates, und ist, abgesehen
vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben.
Die preußische Verfassung von 1850
Art. 12
Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die Vereinigung zu Religionsgesellschaften … und der
gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Religionsübung wird gewährleistet. Der Genuß der
bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. …
Art. 13
Die Religionsgesellschaften, so wie die geistlichen Gesellschaften, welche keine Korporationsrechte
haben, können diese Rechte nur durch besondere Gesetze erlangen.
Art. 14
Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsübung
im Zusammenhange stehen, unbeschadet der im Art.12 gewährleisteten Religionsfreiheit zum Grunde
gelegt.
Art. 15
Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, so wie jede andere Religionsgesellschaft, ordnet
und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig und bleibt im Besitz und Genuß der für ihre Kultus-,
Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.
Art. 24
(1) Bei der Errichtung der öffentlichen Volksschulen sind die konfessionellen Verhältnisse möglichst
zu berücksichtigen.
(2) Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die betreffenden Religionsgesellschaften.
Die Weimarer Reichsverfassung von 1919
Art. 136
(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der
Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen
oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.
Art. 137
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. …
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der
Schranken des für alle geltenden Gesetzes. …
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des
bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher
waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch
ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. …
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf
Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu
erheben.
Art. 138
(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden
gewährleistet.
Art. 149
Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien
(weltlichen) Schulen. … Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der
betreffenden Religionsgesellschaften unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.
Ein Konkordat …
… kommt unter dem neuen Staatskirchenrecht des Reiches 1924 in
Bayern mit beiden Kirchen zustande und verpflichtet den Staat zur
Gewährleistung des Bekenntnisschulsystems, die katholische Kirche zur
Beteiligung der Regierung bei der Bischofsernennung.
… gelingt 1929 mit der katholischen Kirche auch in Preußen, allerdings
unter Ausnahme der Schulfrage.
… kommt auf Reichsebene erst mit dem nationalsozialistischen Regime
1933 zustande und garantiert der katholischen Kirche den Bestand und
die Neugründung von Bekenntnisschulen.
… hat einen Nachfahren in den Kirchenverträgen, die seit 1955 zwischen
den Bundesländern und der evangelischen Kirche geschlossen werden.
Mit der katholischen Kirche kommt in der alten Bundesrepublik nur ein
Konkordat in Niedersachsen 1965 zustande; mit den neuen
Bundesländern haben dagegen beide Kirchen jeweils einen Vertrag
abgeschlossen.
Der NS-Staat …
… versucht zunächst, die evangelische Kirche als
Reichskirche zu vereinnahmen und die katholische Kirche
durch das Konkordat günstig zu stimmen.
… geht nach den Wirren in der evangelischen Kirche und der
von ihr und der katholischen Kirche geäußerten Kritik am
Regime aggressiv gegen beide Kirchen vor.
… entwickelt ein Modell sogenannter Trennung von Staat und
Kirche, das im Reichsgau Posen durch Verordnung
umgesetzt wird und eine Verstaatlichung von Kirchengut,
den Verbot des Religionsunterrichts und die Einordnung
der Gemeinden als privatrechtliche Vereine einschließt, die
staatlich zugelassen werden müssen und nur Volljährige als
Mitglieder aufnehmen können.
Die Verfassung der DDR von 1949
Art. 41
(1) Jeder Bürger genießt volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung steht unter dem
Schutz der Republik.
(2) Einrichtungen von Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der Religionsunterricht dürfen nicht für
verfassungswidrige oder parteipolitische Zwecke mißbraucht werden. Jedoch bleibt das Recht der Religionsgemeinschaften,
zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, unbestritten.
Art. 42
(1) Private oder staatsbürgerliche Rechte und Pflichten werden durch die Religionsausübung weder bedingt noch
beschränkt.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur
Benutzung einer religiösen Eidesformel gezwungen werden.
Art. 43
(1) Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wird gewährleistet.
(2) Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig nach Maßgabe der für alle
geltenden Gesetze.
(3) Religionsgemeinschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie es bisher waren. Andere
Religionsgemeinschaften erhalten auf ihren Antrag gleiche Rechte, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer
Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften zu
einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlich-rechtliche Körperschaft.
(4) Die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften sind berechtigt, von ihren Mitgliedern Steuern auf Grund der
staatlichen Steuerlisten nach Maßgabe der allgemeinen Bestimmungen zu erheben.
(5) Religionsgemeinschaften werden Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer
Weltanschauung zur Aufgabe machen.
Art. 44
(1) Das Recht der Kirche auf Erteilung von Religionsunterricht in den Räumen der Schule ist gewährleistet. Der
Religionsunterricht wird von den durch die Kirche ausgewählten Kräften erteilt. … Über die Teilnahme am Religionsunterricht
bestimmen die Erziehungsberechtigten.
Art. 45
(2) Das Eigentum sowie andere Rechte der Religionsgemeinschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-,
Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen wird gewährleistet.
Die Verfassung der DDR von 1968
Art. 39
(1) Jeder Bürger der Deutschen Demokratischen Republik
hat das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu
bekennen und religiöse Handlungen auszuüben.
(2) Kirchen und andere Religionsgemeinschaften ordnen
ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in
Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen
Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik.
Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden.
Das Grundgesetz
Art. 4
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des
religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Art. 7
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit
Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.
Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der
Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der
Religionsgemeinschaften erteilt. …
(4) Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet.
…
Art. 140
Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen
Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
Die Weimarer Reichsverfassung von 1919
Art. 136
(1) Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der
Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.
(4) Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen
oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.
Art. 137
(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. …
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der
Schranken des für alle geltenden Gesetzes. …
(4) Religionsgesellschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des
bürgerlichen Rechtes.
(5) Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher
waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch
ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. …
(6) Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf
Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu
erheben.
Art. 138
(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden
gewährleistet.
Art. 149
Der Religionsunterricht ist ordentliches Lehrfach der Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien
(weltlichen) Schulen. … Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der
betreffenden Religionsgesellschaften unbeschadet des Aufsichtsrechts des Staates erteilt.
Das Grundgesetz …
… hat die Religionsfreiheit und den Religionsunterricht in den Abschnitt über die
Grundrechte aufgenommen und beschränkt sich ansonsten auf eine Verweisung auf
die WRV. Deren institutionelle Bestimmungen sind aber im Lichte der
Religionsfreiheit zu verstehen, weil die Bildung von Religionsgemeinschaften der
kollektiven Religionsausübung dient (sog. „grundrechtliche Deutung“).
Daher sind auch etwa die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über den Erwerb der
Rechtsfähigkeit (Art. 137 Abs. 4 WRV) im Lichte des Grundrechts der Religionsfreiheit
anzuwenden.
… statuiert die positive und die negative Religionsfreiheit in einem Grundsatz. Beide sind
…
… auch gegen mittelbar-faktische Eingriffe (wie Kruzifixe und staatliche Warnungen)
geschützt.
… vorbehaltlos gewährleistet, können also nur zugunsten anderer Rechte mit
Verfassungsrang beschränkt werden wie z. B. des staatlichen Erziehungsauftrags
gemäß Art. 7 Abs. 1 GG (Art. 136 WRV lässt sich nicht als Gesetzesvorbehalt
verstehen).
… gewährleistet das Selbstbestimmungsrecht nach Art. 137 Abs. 3 WRV im Rahmen
des für alle geltenden Gesetzes. Auf dieser Grundlage sind kirchliche Betriebe etwa
von der Mitbestimmung ausgenommen (§ 118 Abs. 2 BetrVG) und Kirchen bei
innerkirchlichen Maßnahmen nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit unterworfen.
Das Grundgesetz …
… gewährleistet über Art. 137 Abs. 5 WRV nach wie vor den Status als Körperschaft
des öffentlichen Rechts, obwohl die Religionsgemeinschaften keine Staatsaufgaben
wahrnehmen. Amtsträger der Kirchen können daher Beamte sein.
… gewährleistet über Art. 137 Abs. 6 WRV für die als öffentlich-rechtliche Körperschaften
anerkannten Kirchen das (in der DDR nur nominal gewährte) Recht zur Erhebung von
Kirchensteuern, was bedeutet, dass die Beiträge der Kirchenmitglieder durch die
Steuerverwaltung ohne Gerichtsverfahren eingetrieben werden.
… gewährleistet den Zugang zum Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft bei
Gewähr der Dauer. Daneben fordert das BVerfG, dass die Religionsgemeinschaft die
in Art. 79 Abs. 3 GG genannten Prinzipien, insbesondere die Grundrechte anderer,
nicht gefährdet.
… sieht den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als staatliche Veranstaltung
vor. Dies gilt …
… nicht für abweichende frühere Regelungen (Art. 141 GG): In Berlin wird
Religionsunterricht von den Kirchen erteilt, in Bremen biblische Geschichte
unterrichtet.
… theoretisch auch für den Islam, bei dem mangels hinreichender Organisation jedoch
fraglich ist, ob Grundsätze bestehen, die dem Unterricht zugrunde gelegt werden
können.
… gewährleistet die Einrichtung von Bekenntnisschulen als Teil der Garantie von
Privatschulen.
In Frankreich …
… kommt es schon während der Revolution 1789 zur Verstaatlichung des
Vermögens der Kirche, die als Teil des ancien régime begriffen wird. Der Klerus
wird fortan vom Staat unterhalten und soll sich der revolutionären Verfassung
unterordnen.
… gelingt aber schon unter Napoleon 1801 der Abschluss eines Konkordats, der
jedoch nichts an der Verstaatlichung des Kirchenguts ändert und durch ein
Gesetz später vor allem in Personalbesetzungsfragen eingeschränkt wird.
… bessert sich das Verhältnis von Staat und Kirche im Laufe des 19. Jahrhunderts
wieder.
… kommt es in der dritten Republik (ab 1871) ebenfalls zu einem Kulturkampf, in
dessen Zuge vor allem das Schulsystem laisiert wird.
… wird 1905 ein Trennungsgesetz erlassen, das …
… die staatlichen Leistungen beendet.
… das staatliche Eigentum am Kirchenvermögen feststellt.
… nur den Gemeinden als Vereinen das Nutzungsrecht am verstaatlichten
Kirchenvermögen einräumte (was im Widerspruch zum hierarchischen Aufbau
der katholischen Kirche steht).
… nach wie vor einen Religionsunterricht an staatlichen Schulen ausschließt.
Das französische Trennungsgesetz von 1905
Art. 1
La République assure la liberté de conscience. Elle garantit le libre exercice des cultes sous les seules restrictions
édictées ci-après dans l'intérêt de l'ordre public.
„Die Republik gewährleistet die Gewissensfreiheit. Sie garantiert die freie Ausübung der Kulte vorbehaltlich der
nachstehenden, im Interesse der öffentlichen Ordnung verfügten Einschränkungen.“
Art. 2
La République ne reconnaît, ne salarie ni ne subventionne aucun culte. En conséquence, à partir du Ier janvier qui
suivra la promulgation de la présente loi, seront supprimés des budgets de l'État, des départements et des
communes, toutes dépenses relatives à l'exercice des cultes.
„Von der Republik wird kein Kultus anerkannt, besoldet oder subventioniert. Folglich werden ab dem auf die
Verkündung dieses Gesetzes folgenden 1. Januar alle Ausgaben für die Ausübung der Kulte aus den Haushalten des
Staates, der Departements und der Gemeinden gestrichen.“
Art. 12
Les édifices qui … servent à l'exercice public des cultes ou au logement de leurs ministres (cathédrales, églises,
chapelles, temples, synagogues, … séminaires), ainsi que leur dépendances immobilières, et les objets mobiliers qui
les garnissaient … sont et demeurent propriétés de l'Etat, des départements, des communes.
„Die Gebäude, die … der öffentlichen Ausübung der Kulte oder der Unterbringung ihrer Bediensteten (Kathedralen,
Kirchen, Kapellen, Tempel, Synagogen … Seminare), und zwar sowohl die Grundstücke als auch die beweglichen
Sachen, die ihnen als Zubehör dienen …, sind und bleiben Eigentum des Staates, der Departements oder der
Gemeinden.“
Art. 13
Les édifices servant à l'exercice public du culte, ainsi que les objets mobiliers les garnissant, seront laissés
gratuitement à la disposition des établissements publics du culte …
„Die Gebäude, die der öffentlichen Ausübung des Kultus dienen, sowie die beweglichen Sachen, die ihnen als
Zubehör dienen, sollen unentgeltlich den öffentlichen Einrichtungen des Kultus zur Verfügung gestellt werden …“
In den Vereinigten Staaten …
… ist die strikte Trennung von Staat und Kirche die Konsequenz aus der
Erfahrung vieler Einwanderer mit Verfolgung aus religiösen Gründen.
… ergibt sich die Trennung aus dem 1. Zusatzartikel (first amendment)
von 1791:
Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or
prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of
speech, or of the press; or the right of the people peaceably to
assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.”
„Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einrichtung einer
Religion betrifft, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder
Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu
versammeln und die Regierung um die Beseitigung von Missständen
zu ersuchen.“
Zivilrechtliche Impulse des
Kirchenrechts
Eheschluss und -scheidung nach BGB
§ 1310 Abs. 1 S. 1
Die Ehe wird nur dadurch geschlossen, dass die Eheschließenden vor dem Standesbeamten
erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen.
§ 1312
Der Standesbeamte soll bei der Eheschließung die Eheschließenden einzeln befragen, ob sie die
Ehe miteinander eingehen wollen, und, nachdem die Eheschließenden diese Frage bejaht haben,
aussprechen, dass sie nunmehr kraft Gesetzes rechtmäßig verbundene Eheleute sind. Die
Eheschließung kann in Gegenwart von einem oder zwei Zeugen erfolgen, sofern die
Eheschließenden dies wünschen.
§ 1565 Abs. 1
Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die
Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass
die Ehegatten sie wiederherstellen.
§ 1566
(1) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit
einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der
Antragsgegner der Scheidung zustimmt.
(2) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit drei
Jahren getrennt leben.
Die römische Ehe und die Abgrenzung von Ehe und Verlöbnis
D 23.1.11 Iul 16 dig
Sponsalia sicut nuptiae consensu contrahentium fiunt: et ideo sicut nuptiis, ita sponsalibus
filiam familias consentire oportet:
Das Verlöbnis geschieht ebenso wie die Heirat durch Konsens: und daher ist ebenso wie
bei der Heirat auch beim Verlöbnis erforderlich, dass die (betroffene) Haustochter zustimmt.
CJ 8.38.2 (a. 223)
Alex. A. Menophilo. Libera matrimonia esse antiquitus placuit. ideoque pacta, ne liceret
divertere, non valere et stipulationes, quibus poenae inrogarentur ei qui divortium fecisset,
ratas non haberi constat.
Kaiser Alexander an Menophilus. Seit alters gilt, dass die Ehe frei sei. Daher steht fest,
dass Vereinbarungen, man werde sich nicht scheiden lassen, ebenso ungültig sind wie
Stipulationsversprechen, mit deren Hilfe eine Strafzahlung verspricht, wer sich scheiden
lässt.
X 4.1.31 (Gregor IX.)
Si inter virum et mulierem legitimus consensus interveniat de praesenti ita, quod unus
alterum mutuo consensu, verbis consuetis expresso, recipiat, utroque dicenti: ,ego te in
meam accipio‘, et ,ego te accipio in meum‘ vel alia verba consensum exprimentia de
praesenti, sive sit iuramentum interpositum sive non: non licet alteri ad alia vota transire. …
Verum si inter ipsos accessit tantummodo promissio de futuro, utroque dicente alteri
‚ego te recipiam in meam‘, et ‚ego te in meum‘ sive verba similia, si alius mulierem illam per
verba de praesenti desponsaverit, …
Die protestantische Kritik
Luther, Von Ehesachen, 1530, 1. Art.:
„Gleich wie sie auch ein lauter narren spiel getrieben haben/ cum verbis de
presenti vel de futuro/ Damit haben si auch viel Ehe zurissen/ die nach yhrem
recht gegolten hat und gebunden/ die nichts gegolten hat/ Denn diese Wort/ Ich
will dich zum weibe haben/ oder ich will dich nemen … und der gleichen haben/
haben sie gemeiniglich/ verba de futuro genennet/ und fur gegeben/ der mans
name solt also sagen/ Accipio te in uxorem/ Ich neme dich meinem Weibe …
Und haben nicht gesehen noch gemerckt/ das dis nicht ym brauch ist deutsch zu
reden/ wenn man de presenti redet. Sondern das heisst de presenti geredet/ Ich
will dich haben/ Ego volo te habere/ est presentis temporis non futuri. Darumb
redet kein deutsch mensch von zukünftigen Verlöbnis/ wenn er spricht/ Ich will
dich haben/ odder nehmen … Sondern/ Accipio te/ heisst eigentlich auff
Deutsch/ Ich will dich nemen/ odder haben/ Und wird verstanden de presenti/
das er itzt mit solchen worten/ ia spricht und seinen willen darein gibt.
Ja ich wüste selbs nicht wol/ wie ein knecht oder magd sollten odder kundten
ynn Deutscher Sprache per verba de futuro sich verloben/ Denn wie man sich
verlobet/ so lauts per verba de presenti/ und sonderlich weis der pobel von
solcher behender grammatica nichts/ das accipio und accipiam zweierley sey/ Er
feret daher nach unser sprachen art/ und spricht/ Ich will dich haben/ Ich will dich
nehmen/ Dusolt mein sein etc.“
Das Decretum tametsi (1563)
Tametsi dubitandum non est, clandestina matrimonia, libero contrahentium consensu facta, rata et vera
esse matrimonia, … Verum, cum sancta Synodus animadvertat, et gravia peccata perpendat, quae ex
eisdem clandestinis coniugiis ortum habent, praesertim vero eorum, qui in statu damnationis
permanent, dum priore uxore, cum qua clam contraxerant, relicta, cum alia palam contrahunt, … idcirco
sacri Lateranensis Concilii praecipit, ut in posterum, antequam matrimonium contrahatur, ter a proprio
contrahentium parocho tribus continuis diebus festivis in ecclesia inter Missarum solemnia publice
denuntietur, inter quos matrimonium sit contrahendum; quibus denuntiationibus factis, si nullum
legitimum opponatur impedimentum, ad celebrationem matrimonii in facie Ecclesiae procedatur, ubi
parochus, viro et muliere interrogatis, et eorum mutuo consensu intellecto, vel dicat: 'Ego vos in
matrimonium coniungo, in nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti' … Qui aliter quam praesente parocho
… et duobus vel tribus testibus matrimonium contrahere attentabunt: eos sancta Synodus ad sic
contrahendum omnino inhabiles reddit, et huiusmodi contractus irritos et nullos esse decernit ...
Auch wenn außer Zweifel steht, dass heimliche Ehen, wenn sie auf der freien Einigung der Parteien
beruhen, gültige und wirkliche Ehen sind … Aber, wie das heilige Konzil erkennt, … ist die Begehung
schwerer Sünden in Rechnung zu stellen, die aus diesen heimlichen Ehen erwachsen, insbesondere
derer, die verdammt sind, weil sie eine frühere Frau verlassen haben, mit der sie heimlich verheiratet
sind, indem sie eine neue offen heiraten. … Daher bestimmt das heilige Konzil, dass in Zukunft, bevor
eine Ehe geschlossen wird, der für die Eheleute zuständige Pfarrer dreimal an drei aufeinander
folgenden Festtagen in der Kirche während der Messe förmlich öffentlich ankündigen soll, zwischen
wem die Ehe geschlossen werden soll, und dass, wenn nach den Ankündigungen kein
Hinderungsgrund für die Ehe vorgebracht worden ist, zur feierlichen Hochzeit vor der Kirche
geschritten werden soll, wobei der Pfarrer, nachdem er Mann und Frau gefragt und deren Zustimmung
erhalten hat, sagen soll: „Ich verbinde Euch in der Ehe, im Namen des Vaters, des Sohnes und des
Heiligen Geistes.“ … Wer versuchen sollte, anders als vor dem Pfarrer … und zwei oder drei Zeugen
die Ehe zu schließen, dem versagt das Konzil die Möglichkeit zum Eheschluss, und es beschließt, dass
diese Ehen unwirksam und nichtig sind …
Die Einführung der Zivilehe
Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten
§ 136 II 1: Eine vollgültige Ehe wird durch die priesterliche Trauung
vollzogen.
§ 718 II 1: Doch soll dem Richter erlaubt seyn, in besonderen Fällen, wo
nach dem Inhalte der Akten der Widerwille so heftig und tief eingewurzelt
ist, daß zu einer Aussöhnung und zur Erreichung der Zwecke des
Ehestandes gar keine Hoffnung mehr übrig bleibt, eine solch unglückliche
Ehe zu trennen.
Der Code civil (1804)
Art. 165: Le mariage sera célébré publiquement devant l'officier de l'état
civil de la commune où l'un des époux aura son domicile ou sa résidence …
(„Die Ehe wird öffentlich vor dem Standesbeamten der Gemeinde
eingegangen wo einer der Ehegatten seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort
hat …“)
Die Paulskirchenverfassung
§ 150: Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des
Civilactes abhängig; die kirchliche Trauung kann nur nach der Vollziehung
des Civilactes stattfinden.
Der Eheschluss nach geltendem Kirchenrecht …
… ist in der katholischen Kirche ein Sakrament, das nach wie vor in der Form vollzogen wird,
die das Decretum tametsi vorschreibt:
Can. 1108 § 1: Nur jene Ehen sind gültig, die geschlossen werden unter Assistenz des
Ortsordinarius oder des Ortspfarrers oder eines von einem der beiden delegierten Priesters
oder Diakons sowie vor zwei Zeugen …
… führt nach katholischer Auffassung zu einem unauflöslichen Band, das nur die tatsächliche
Trennung (von Tisch und Bett) gestattet:
Can. 1141: Die gültige und vollzogene Ehe kann durch keine menschliche Gewalt und aus
keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden.
Can. 1152 § 1: Mag es auch nachdrücklich empfohlen sein, daß ein Ehegatte, bewogen von
christlicher Nächstenliebe und aus Sorge um das Wohl der Familie, dem ehebrecherischen
Partner Verzeihung nicht verweigert und das eheliche Zusammenleben nicht abbricht, so
hat er doch das Recht, wenn er dessen Schuld nicht ausdrücklich oder stillschweigend
verziehen hat, das eheliche Zusammenleben aufzuheben, außer er hat dem Ehebruch
zugestimmt oder dazu Anlaß gegeben oder auch selbst Ehebruch begangen.
… ist nach den Lebensordnungen der evangelischen Kirche kein Sakrament, sondern nur
Segnung einer weltlichen Gemeinschaft, die auch bei der erneuten Heirat nach
Scheidung möglich ist.
Das römische Darlehensrecht …
… ist auf zwei Vertragsarten verteilt:
- Das entgeltliche Darlehen wurde seit jeher durch
abstraktes Schuldversprechen (stipulatio) abgeschlossen.
- Das unentgeltliche Darlehen (mutuum) wird als
Realvertrag durch Auszahlung begründet und löst nur einen
Rückgewähranspruch aus.
… kennt als Schranke für die Vertragsfreiheit einen
Höchstzinssatz von 12 % pro Jahr (centesimae usurae), der
weniger dem Schuldnerschutz, vielmehr vor allem der
Inflationsbekämpfung dient.
Das Zinsverbot in der Bibel …
… findet sich im Alten Testament und gilt nur für Geschäfte von
Juden untereinander:
Dtn 23.20 f.
(20) Du darfst von deinem Bruder keine Zinsen nehmen:
weder Zinsen für Geld noch Zinsen für Getreide noch Zinsen
für sonst etwas, wofür man Zinsen nimmt.
(21) Von einem Ausländer darfst du Zinsen nehmen, von
deinem Bruder darfst du keine Zinsen nehmen, damit der
Herr, dein Gott, dich segnet in allem, was deine Hände
schaffen, in dem Land, in das du hineinziehst, um es in
Besitz zu nehmen.
… steht also im Dienste des Schuldnerschutzes, der beim
Darlehen deshalb große Bedeutung hat, weil sich die
Verpflichtung, die der Darlehensnehmer auf sich nimmt, für
diesen bei Vertragsschluss nur schwer übersehen lässt.
Das Zinsverbot im Mittelalter …
… findet auch Eingang in das Gemeine Recht:
Gl. Petrum apostolum zu CJ 1.1.1pr.
ex hoc quod hic legitur, sume argumentum quod usurae hodie non peti possunt secundum ius civile. nam
dicit Imperator quod vult, quod subditi sibi, sequatur fidem sive religionem quam Petrus Apostulus tradidit
Romanis. sed iure divino prohibitae sunt usurae …
Aus dem hier zu Lesenden ist zu entnehmen, dass Zinsen heute nach Zivilrecht nicht gefordert werden
können. Denn der Kaiser will, dass die ihm Unterworfenen der Religion folgen, die der Apostel Petrus
den Römern gebracht hat. Nach göttlichem Recht sind Zinsen aber verboten.
… kämpft aber vergeblich gegen eine verbreitete Praxis:
X 5.19.3 (Alexander III., Beschluss des III. Laterankonzils 1179)
Quia in omnibus fere locis ita crimen usurarum invaluit, ut multi … quasi licite usuras exerceant, et
qualiter utriusque testamenti pagina condemnentur, nequaquam attendant: ideo constituimus, quod
usurarii manifesti nec ad communionem admittantur altaris, nec Christianam, si in hoc peccato
decesserint, accipiant sepulturam …
Da fast überall das Zinsverbrechen aufkommt, so dass viele gleichsam rechtmäßig Zinsen eintreiben
und, obwohl es sowohl vom Alten als auch vom Neuen Testament verboten ist, keineswegs gehorchen,
setzen wir fest, dass die Zinssünder weder zur heiligen Kommunion zugelassen werden noch, wenn sie
in der Sünde sterben, ein christliches Begräbnis erfahren …
Die Kritik der Naturrechtslehre
Grotius JBP 2.12.20, 22
Circa mutuum quaeri solet, quo iure vetitae sint usurae: et quanquam jure naturali vetitas esse
receptior est sententia, contrarium tamen sentit Abulensis. Neque vero videntur argumenta
quae in alteram adferuntur partem talia esse ut assensum extorqueant. Nam quod de mutuo
dicitur gratuitum esse, tantundem et de commodato dici potest: cum tamen pro usu rei pretium
exigere illicitum non sit, sed efficiat ut contractus in aliud nomen transeat. Nec magis urget
quod sua natura sterilis est pecunia. Nam et domos et res alias natura infoecundas hominum
industria fructuosas fecit. ... (22) ... Leges vero humanae quae concedunt aliquid stipulari pro
usu pecuniae, aut rei alterius ... siquidem vere stant intra compensationem ejus quod abest,
aut abesse potest, non pugnant cum naturali aut divino jure: sin eum modum excedunt,
impunitatem praestare possunt, jus dare non possunt.
Bei Darlehen fragt man gewöhnlich, nach welchem Recht Zinsen verboten seien; und obwohl
die Ansicht überwiegt, sie seien nach natürlichem Recht verboten, glaubt Abulensis das
Gegenteil. Und in der Tat sind die Argumente für die Gegenansicht nicht derart, dass sie
Zustimmung erzwingen. Denn wenn gesagt wird, das Darlehen sei unentgeltlich, so kann man
dasselbe von der Leihe sagen, während die Forderung eines Preises für den Gebrauch der
Sache nicht verboten ist, sondern nur bewirkt, dass der Vertrag zu einer anderen Gattung
[nämlich zur Miete oder Pacht] gehört. Und von keiner größeren Überzeugungskraft ist das
Argument, dass Geld seiner Natur nach keine Früchte trägt. Denn auch Häuser oder andere
unfruchtbare Sachen können durch den Fleiß der Menschen fruchtbar gemacht werden. … (22)
… Die menschlichen Gesetze gestatten dagegen, dass etwas im Gegenzug für den Gebrauch
von Geld oder der Sache eines anderen versprochen wird, … . Wenn sie sich dabei in dem
Rahmen halten, dass ein Ausgleich für das gewährt wird, wessen der Darlehensgeber entbehrt
oder entbehren könnte, verstößt dies nicht gegen das natürliche oder göttliche Recht;
überschreiten sie aber dieses Maß, kann die Vereinbarung missachtet und dem anderen Teil
kein Recht gegeben werden.
Eine Lockerung des katholischen Zinsverbots?
Enzyklika Vix pervenit (Benedikt XIV. 1745)
Peccati genus illud, quod usura vocatur, quodque in contractu mutui propriam suam sedem et locum habet,
in eo est repositum, quod quis ex ipsomet mutuo, quod suapte natura tantundem dumtaxat reddi postulat,
quantum receptum est, plus sibi reddi velit, quam est receptum; ideoque ultra sortem, lucrum aliquod,
ipsius ratione mutui, sibi deberi contendat. Omne propterea hujusmodi lucrum, quod sortem superet,
illicitum, et usurarium est. … Per hæc autem nequaquam negatur, posse quandoque una cum mutui
contractu quosdam alios, ut ajunt, titulos, eosdemque ipsimet universim naturæ mutui minime innatos
et intrinsecos, forte concurrere, ex quibus justa omnino legitimaque causa consurgat quiddam amplius
supra sortem ex mutuo debitam rite exigendi. Neque item negatur, posse multoties pecuniam ab
unoquoque suam, per alios diversæ prorsus naturæ a mutui natura contractus, recte collocari et impendi,
sive ad proventus sibi annuos conquirendos, sive etiam ad licitam mercaturam, et negociationem
exercendam, honestaque indidem lucra percipienda.
Die Sünde, die usura (Zinsnehmen, Wucher) heißt und im Darlehensvertrag ihren eigentlichen Sitz und
Ursprung hat, beruht darin, dass jemand aus dem Darlehen selbst für sich mehr zurückverlangt, als der
andere von ihm empfangen hat und zu diesem Zweck aufgrund des Darlehens selbst irgendeinen Gewinn
über die Stammsumme hinaus als geschuldet beansprucht. Denn der Darlehensvertrag verlangt seiner
Natur nach lediglich die Rückgabe der Summe, die ausgeliehen wurde. Jeder Gewinn, der die geliehene
Summe übersteigt, ist deshalb unerlaubt und wucherisch. … Damit wird nun aber keineswegs verneint,
dass mit dem Darlehensvertrag dann und wann andere sogenannte Titel, die der Natur des Darlehens
selber nicht im geringsten angeboren oder innerlich zugehörig sind, etwa zusammentreffen können,
aus denen dann ein durchaus legitimer und rechtmäßiger Grund entsteht, über die aus dem
Darlehensvertrag geschuldete Summe hinaus mit Recht etwas mehr zu fordern. Ebenso wird nicht
bestritten, dass jeder sein Geld durch andere, ihrem Wesen nach von der Natur des Darlehensvertrags
durchaus verschiedene Verträge auf manche Art sittlich tadellos anlegen und verwenden kann, sei es um
sich Jahreseinkünfte zu sichern, sei es auch, um ein erlaubtes Handels- und sonstiges Geschäft zu
betreiben und daraus ehrliche Gewinne zu ziehen.
Die pacta des römischen Rechts
D 2.14.7 Ulp 4 ed
Iuris gentium conventiones quaedam actiones pariunt,
quaedam exceptiones. (1) Quae pariunt actiones, in suo
nomine non stant, sed transeunt in proprium nomen
contractus: ut emptio venditio, locatio conductio, societas,
commodatum, depositum et ceteri similes contractus. (4)…
igitur nuda pactio obligationem non parit, sed parit
exceptionem.
Die nach Völkergemeinrecht abgeschlossen
Vereinbarungen zeitigen zuweilen Klagen, zuweilen
Einreden. Die Vereinbarungen, die Klagen hervorbringen,
nehmen eine besondere Vertragsbezeichnung an, wie
Kauf, Verdingung, Gesellschaft, Leihe, Verwahrung und so
weiter … Die einfachen pacta bringen keine Verpflichtung,
sondern nur eine Einrede hervor.
Die Regel pacta sunt servanda
Hugguccio (gestorben 1190):
… licet stipulatio non intervenerit obligatur enim nuda promissione
saltem et si non civiliter unde tenetur ad promissum persolvendum.
… peccaret enim quis nisi nudum pactum observaret honestum
tamen, licet nulla sollempnitas intervenerit. Nota quoad
observantiam Deus nullam differentiam vult esse inter simplicem
promissionem et iuramentum vel aliter firmitam promissionem …
… obwohl keine Stipulation abgeschlossen, verpflichtet, wenn auch
nicht nach Zivilrecht, das einfache Versprechen, weshalb auf die
Erfüllung des Versprochenen gehaftet wird. … Jemand versündigt
sich nämlich, wenn er das einfache und doch anständige
Versprechen, obwohl keine Form eingehalten ist, nicht befolgt.
Beachte, dass Gott, was die Befolgung anbelangt, keinen
Unterschied gemacht wissen will zwischen einem einfachen
Versprechen und einem Eid oder einem anderen förmlichen
Versprechen …
Vertragsfreiheit in der weltlichen Rechtswissenschaft
Stryk, Usus modernus pandectarum § 1 zu D 2.14:
Hodie pactorum vis non imminuta, sed aucta potius, dum
moribus pracipue facultas producendi actionem pactis
quaesita, adeo ut quamvis Jure Romono notorium sit, ex
pacto nudo non dari actionem, hodie unonime Dd. sit
conclusum: Ex omni pacto serio et deliberato inito … hodie
validam nasci actionem.
Heute ist die Kraft der pacta nicht nur ungeschmälert,
sondern sogar vergrößert, wenn man danach fragt, wie es
nach der Übung um die Möglichkeit steht, dass sie eine
Klage hervorbringen; obwohl nach römischem Recht
bekanntlich gilt, dass aufgrund eines schlichten pactum
keine Klage gewährt wird, wird heute von den Gelehrten
ausnahmslos vertreten, dass aus jedem pactum, das
ernsthaft und überlegt eingegangen ist, heute eine
wirksame Klage entsteht.
Das Römische Recht …
… kannte einen Anspruch auf Rückabwicklung eines Vertrags (Wandlung,
redhibitio) nur bei Marktkäufen von Sklaven und Tieren.
… ließ die Rückabwicklung eines Vertrags im Übrigen nur als Ausprägung des
Schadensersatzrechts zu:
D 19.1.11.5 Ulp 32 ed
Si quis virginem se emere putasset, cum mulier venisset, et sciens errare eum
venditor passus sit, redhibitionem quidem ex hac causa non esse, verum tamen
ex empto competere actionem ad resolvendam emptionem, et pretio restituto
mulier reddatur.
Hat jemand geglaubt, eine Jungfrau zu kaufen, während in Wahrheit eine
gewöhnliche Sklavin zum Verkauf kam, und hat der Verkäufer den Irrtum des
Käufers hingenommen, komme keine Wandlung in Betracht, es sei aber die
Kaufklage auf Aufhebung des Kaufs gegeben, und die Sklavin könne gegen
Rückzahlung des Kaufpreises zurückerstattet werden.
… verfügte damit nicht über ein Mittel, mit dem sich eine Seite außergerichtlich
und ohne Verschuldensnachweis vom Vertrag lösen und so rasch die
Erfüllung der eigenen Verpflichtung vermeiden konnte.
Die Regel fidem frangenti fides frangitur
Liber Sextus, Regulae iuris Nr. 75:
Frustra sibi fidem quis postulat ab eo
servari, cui fidem a se praestitam servare
recusat.
Vergeblich fordert jemand von demjenigen
Treue ein, dem er selbst die Treue zu
halten verweigert.
Die naturrechtliche Bedingungslehre
Heineccius, Elementa juris naturae et gentium, 1.413
Omni enim bilaterali negotio tacita inest conditio, unum
praestiturum, quod promiserit, si et alter ex sua parte pacto
sit satisfacturus … Si ergo hic pacto non satisfecit, deficit
conditio, a qua supensa est obligatio … adeoque et ipsa
alterius obligatio cessat.
Jedem gegenseitigen Vertrag ist die stillschweigende
Bedingung inhärent, dass einer nur leistet, was er
versprochen hat, wenn auch der andere auf seiner Seite
dem Vertrag Genüge tut. … Tut er dem Vertrag nicht
Genüge, fällt die Bedingung aus, unter der die Verpflichtung
steht, und daher fällt auch die Verpflichtung des anderen
weg.
Die Naturrechtsgesetzbücher
Das preußische ALR (1794)
§ 396: Ist der Inhalt des Vertrages klar; der eine Theil aber weigert die Erfüllung
seiner darin übernommenen Verbindlichkeiten, aus dem Grunde, weil der andre
die seinigen nicht gehörig erfüllt habe oder solchergestalt nicht erfüllen könne; so
muß dieser Weigerungsgrund gerichtlich untersucht werden.
§ 397: Wird derselbe rechtskräftig verworfen, so hat derjenige, welcher auf die
Erfüllung antrug, die Wahl, ob er nunmehr ferner darauf bestehn, und mit dem
Ersatz des aus der ungegründeten Weigerung entstandenen Schadens sich
begnügen, oder von dem Vertrage ganz zurücktreten wolle.
Der Code civil (1804)
Art. 1184: La condition résolutoire est toujours sous-entendue dans les contrats
synallagmatiques, pour le cas où l'une des deux parties ne satisfera point à son
engagement. - Dans ce cas, le contrat n’est point résolu de plein droit. La partie
envers laquelle l'engagement n’a point été exécuté, a le choix ou de forcer l’autre
à l’exécution de la convention lorsqu’elle est possible, ou d'en demander la
résolution avec dommages et intérêts. - La résolution doit être demandée en
justice, et il peut être accordé au défendeur un délai selon les circonstances.
Das Siebenzeugentestament des römischen Rechts
IJ 2.10.3
Sed cum paulatim tam ex usu hominum quam ex
constitutionum emendationibus coepit in unam consonantiam
ius civile et praetorium iungi, constitutum est, ut uno
eodemque tempore, quod ius civile quodammodo exigebat,
septem testibus adhibitis et subscriptione testium, quod ex
constitutionibus inventum est, et ex edicto praetoris signacula
testamentis imponerentur: …
Aber als sich allmählich Zivilrecht und Honorarrecht wegen
der Gewohnheiten des Rechtsverkehrs und aufgrund von
Reformkonstitutionen mehr und mehr anglichen, wurde
verordnet, dass den Testamenten nach den Anforderungen
des prätorischen Edikts Siegel aufzudrücken sind, und zwar
von sieben Zeugen zu derselben Zeit, was der Tradition des
Zivilrechts entspricht, und mit Unterschrift, was den
Konstitutionen entspricht.
Das kanonische Zweizeugentestament
X 3.26.11 (Alexander III.)
Relatum est auribus nostris, quod, quum ad vestrum examen aliqua
super testamentis relictis ecclesiae causa deducitur, vos secundum
humanam, et non divinam legem in ea vultis procedere et, nisi septem
vel quinque idonei testes intervenerint, omnino inde postponitis iudicare.
… Mandamus, quatenus, quum aliqua causa talis ad vestrum fuerit
examen deducta, eam non secundum leges, sed secundum decretorum
statuta tractetis, et tribus aut duobus legitimis testibus requisitis sitis
contenti quoniam scriptum est: „In ore duorum vel trium testium stat
omne verbum.“
Es ist uns zu Ohren gekommen, dass Ihr, als zu Eurer Beurteilung eine
Testamentssache gelangt ist, ihr nach menschlichem und nicht nach
göttlichen Recht vorgehen wollt, wenn nicht sieben oder fünf geeignete
Zeugen erscheinen, ihr die Entscheidung nicht verschiebt … so ordnen
wir an, dass, sofern eine solche Sache in Eure Beurteilung gestellt ist,
Ihr diese nicht nach den Gesetzen, sondern nach den Bestimmungen
der Dekrete behandeln und Euch mit dem Verlangen nach drei oder
zwei Zeugen begnügen sollt, weil geschrieben steht: „Im Angesicht
zweier oder dreier Zeugen hat alles Bestand.“
Der Zeugenbeweis in der Bibel
Dtn 19.15
Wenn es um ein Verbrechen oder ein Vergehen geht, darf
ein einzelner Belastungszeuge nicht Recht bekommen,
welches Vergehen auch immer der Angeklagte begangen
hat. Erst auf die Aussage von zwei oder drei Zeugen darf
eine Sache Recht bekommen.
Matth. 18.15 f.
(15) Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise
ihn unter vier Augen zurecht. Hört er auf dich, so hast du
deinen Bruder zurückgewonnen.
(16) Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei
Männer mit, denn jede Sache muss durch die Aussage von
zwei oder drei Zeugen entschieden werden.
Das Zweizeugentestamtent …
… hat sich nicht als solches im Gemeinen Recht durchgesetzt, in dem das
Siebenzeugentestament die Regeltestamentsform blieb.
… hat mit der Anknüpfung an den Zeugenbeweis in der Bibel aber eine Wende in der
Bewertung der Zeugenrolle bewirkt: Die Zeugen sind nicht Teil eines Rituals,
sondern Mittel zum Nachweis der Echtheit des Testaments.
… hat so dazu beigetragen, dass sich das (nur spät in Westrom eingeführte)
eigenhändige Testament durchsetzt, dessen Zweck ebenfalls die Erleichterung
des Authentizitätsnachweises ist:
Art. 970 a. F. des Code civil:
Le testament olographe ne sera point valable s'il n'est écrit en entier, daté et signé
de la main du testateur : il n'est assujetti à aucune autre forme.
§ 578 des ABGB:
Wer schriftlich, und ohne Zeugen testiren will, der muß das Testament oder
Codicill eigenhändig schreiben, und eigenhändig mit seinem Nahmen
unterfertigen.
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