Willkommen ! Thomas Auinger Vom Pragmatismus zum Neopragmatismus Die Philosophie des 20. Jahrhunderts im Überblick LV-Nr.: 180404 Gast der heutigen Vorlesung: Klaus Ganglbauer weitere Infos unter: http://auinger.philo.at EINLADUNG 6. Juni 2007, 18 Uhr c.t., Festsaal der Gesellschaft der Ärzte, Billrothhaus, Frankgasse 8, 1090 Wien Buchpräsentation: Wissen und Bildung. Zur Aktualität von Hegels Phänomenologie des Geistes anlässlich ihres 200jährigen Jubiläums Podiumsdiskussion zum Thema: „Wie aktuell ist Hegels Philosophie heute?“ Es diskutieren: Moderation: Univ.-Lektor Dr. Thomas Auinger Ao. Univ.-Prof. Dr. Friedrich Grimmlinger Ao. Univ.-Prof. Dr. Herbert Hrachovec Ao. Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann Univ.-Assistentin Dr. Violetta L. Waibel Dr. Thomas Posch Eine Veranstaltung in Kooperation mit der „Philosophischen Gesellschaft Wien“, den Wiener Vorlesungen und der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft der Universität Wien. - Gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung. Ferdinand de Saussure Biographisches 26.11.1857 geboren in Genf als Sohn eines Naturwissenschaftlers und Enkel des Naturforschers Horace Bénédict de Saussure. 1869/70 Begegnung mit dem Sprachhistoriker Adolphe Pictet, der das linguistische Interesse des 12jährigen, der schon von einem generellen System der Sprache spricht, erkennt und fördert. 1870/72 Saussure, der bereits Deutsch, Englisch und Latein beherrscht, besucht das Institut Martine und lernt Griechisch. 1872 Aufsatz: "Essai sur les langues"; Widmung an Pictet, der ihm jedoch von einem weiteren Versuch, "tout système universel du langage" entwickeln zu wollen, abrät. 1873-1875 Gymnasium in Genf. Studium des Sanskrit. 1875 Einschreibung an der Genfer Universität für die Fächer Chemie und Physik; Saussure besucht jedoch gleichzeitig Veranstaltungen an der Philosophischen Fakultät und setzt sein Studium der griechischen und lateinischen Grammatik fort. 1876 Saussure wird Mitglied der "Société linguistique de Paris" und verfasst für diese seine ersten linguistischen Arbeiten. Im Oktober: Immatrikulation an der Universität Leipzig, einer damaligen Hochburg der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, für das Studium der Philologie. 1879 Publikation: "Mémoire sur le système primitif des voyelles dans les langues indo-européennes". Ferdinand de Saussure Biographisches 1880 Promotion summa cum laude in Leipzig mit der Arbeit "De l’emploi du génitif absolu en sanscrit". Herbst: Niederlassung in Paris und Studium an der »Ecole pratique des Hautes Etudes« (Sorbonne). 1881-1889 Ernennung zum "Maître de conférences de gothique et de vieux-haut allemand" an der "Ecole pratique des Hautes Etudes". Saussure lehrt Gotisch, Althochdeutsch, Altnordisch, Litauisch, vergleichende Grammatik des Griechischen und Lateinischen. Außerdem nimmt er aktiv an den Sitzungen der "Société linguistique de Paris" teil und verfasst für diese linguistische Arbeiten. 1891 Saussure wird zum "Chevalier de la légion d’honneur, à titre étranger" ernannt. 1891/92 Ab dem WS lehrt Saussure als "professeur extraordinaire d'histoire et de comparaison des langues indoeuropéennes" an der Universität Genf. 1896-1906 Saussure wird zum "professeur ordinaire d'histoire et de comparaison de langues indoeuropéennes" ernannt (1896). Er lehrt Gotisch, Althochdeutsch, Altsächsisch, Mittelhochdeutsch und Altnordisch. Saussure beginnt mit Arbeiten zu Anagrammen, beschäftigt sich mit dem Nibelungenlied, der Tristansage und mit Parapsychologie. Er hält Lehrveranstaltungen über französische Verslehre und Phonologie des Gegenwartsfranzösischen sowie über Litauisch (1901/1902) und Sprachgeographie (1902/03). In der Genfer Zeit werden die Publikationen Saussures immer seltener. In Briefen spricht er von einer Art Graphophobie. Ferdinand de Saussure Biographisches 1906 Saussure wird - als Nachfolger Joseph Wertheimers - Ordinarius für "linguistique générale et histoire et comparaison des langues indoeuropéennes". Arbeiten zur Metrik und Phonetik des homerischen, germanischen und lateinischen Verses. Jan.-Juli 1907 - I Cours de linguistique générale (Erste Vorlesung zur allgemeinen Sprachwissenschaft). Nov.-Juni 1908/09 - II Cours de linguistique générale (Zweite Vorlesung zur allgemeinen Sprachwissenschaft). Oktober 1910 - Juli 1911 - III Cours de linguistique générale (Dritte Vorlesung zur allgemeinen Sprachwissenschaft). 1912 Wegen einer schweren Krankheit stellt Saussure seine Lehrtätigkeit ein. 22.2.1913 stirbt im Schloss Vufflens. 1916 - Charles Bally und Albert Sechehaye publizieren den "Cours de linguistique générale", den sie - teilweise unter erheblichen redaktionellen Eingriffen - auf der Grundlage studentischer Mitschriften redigiert haben. Ferdinand de Saussure GRUNDTHESEN: 1.) Kritik des bloß nominalistischen Sprachverständnisses von einem empirischen Standpunkt, der dennoch ein strukturales A-priori impliziert. 2.) die (transzendentale) Einheit des Zeichens ist eine Synthese von Lautbild und Vorstellung 3.) die Artikulation wird nicht als Ausdruck fertiger Vorstellungen oder unmittelbar vorausgesetzter Anschauungsinhalte, sondern als formale Möglichkeitsbedingung von Noesis überhaupt entwickelt: „Für manche Leute ist die Sprache im Grunde eine Nomenklatur, d. h. eine Liste von Ausdrücken, die ebenso vielen Sachen entsprechen. [...] Diese Ansicht gibt in vieler Beziehung Anlaß zur Kritik. Sie setzt fertige Vorstellungen voraus, die schon vor den Worten vorhanden waren. [...]; endlich lässt sie die Annahme zu, dass die Verbindung, welche den Namen mit der Sache verknüpft, eine ganz einfache Operation sei, was nicht im mindesten richtig ist.“ Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 77 „Psychologisch betrachtet ist unser Denken, wenn wir von seinem Ausdruck durch die Worte absehen, nur eine gestaltlose und unbestimmte Masse. Philosophen und Sprachforscher waren immer darüber einig, daß ohne die Hilfe der Zeichen wir außerstande wären, zwei Vorstellungen dauernd und klar auseinanderzuhalten. Das Denken, für sich allein genommen, ist wie eine Nebelwolke in der nichts notwendigerweise begrenzt ist. Es gibt keine von vornherein feststehenden Vorstellungen und nichts ist bestimmt, ehe die Sprache in Erscheinung tritt. Gegenüber diesem verschwommenen Gebiet würden nun die Laute für sich selbst gleichfalls keine fest umschriebenen Gegenstände darbieten. Die lautliche Masse ist ebensowenig etwas fest Abgegrenztes und klar Bestimmtes; sie ist nicht eine Hohlform in die sich das Denken einschmiegt, sondern ein plastischer Stoff, der seinerseits in gesonderte Teile zerlegt wird, um Bezeichnungen zu liefern, welche das Denken nötig hat.“ Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 133 „Das Denken, das seiner Natur nach chaotisch ist, wird gezwungen, durch Gliederung sich zu präzisieren; es findet also weder eine Verstofflichung der Gedanken noch eine Vergeistigung der Laute statt, sondern es handelt sich um die einigermaßen mysteriöse Tatsache, daß der „Laut-Gedanke" Einteilungen mit sich bringt, und die Sprache ihre Einheiten herausarbeitet, indem sie sich zwischen zwei gestaltlosen Massen bildet.“ Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 134 Saussure BEGRIFF DER ARTIKULATION: nicht sekundärer Ausdruck von Inhalten, sondern das formale Vermögen der Einteilung, ein System absolut-differenter Relationen zu schaffen „Im Lateinischen bedeutet articulus „Glied, Teil, Unterabteilung einer Folge von Dingen“; bei der menschlichen Rede kann die Artikulation bezeichnen entweder die Einteilung der gesprochenen Reihe der Silben oder der Vorstellungsreihe in Vorstellungseinheiten; das ist es, was man auf deutsch gegliederte Sprache nennt. Indem man sich an diese zweite Definition hält, könnte man sagen, daß es nicht die gesprochene Rede ist, was dem Menschen natürlich ist, sondern die Fähigkeit, eine Sprache zu schaffen, d. h. ein System unterschiedlicher Zeichen, die unterschiedenen Vorstellungen entsprechen. „ Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 13 „Jeder Bestandteil der Sprache ist ein kleines Glied, ein articulus, wo ein Gedanke sich in dem Laut festsetzt, und wo ein Laut das Zeichen eines Gedankens wird.“ Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 133 - 134 Saussure Unterscheidung von Sprechen und Sprache Indem man die Sprache vom Sprechen scheidet, scheidet man zugleich: 1. das Soziale vom Individuellen; 2. das Wesentliche vom Akzessorischen und mehr oder weniger Zufälligen. Die Sprache ist nicht eine Funktion der sprechenden Person; sie ist das Produkt, welches das Individuum in passiver Weise einregistriert; [...] Das Sprechen ist im Gegensatz dazu ein individueller Akt des Willens und der Intelligenz [...]. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft , S. 16 Die Sprache, vom Sprechen unterschieden, ist ein Objekt, das man gesondert erforschen kann. [...] Die Wissenschaft von der Sprache kann nicht nur der anderen Elemente der Rede entraten, sondern sie ist überhaupt nur möglich wenn dieser anderen Elemente nicht damit verquickt werden. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 17 Saussure Synchronische und diachronische Sprachwissenschaft Hier steht also die Sprachwissenschaft vor ihrer zweiten Gabelung. Zunächst mußten wir uns entweder für die Sprache oder für das Sprechen entscheiden; jetzt sind wir an der Gabelung der Wege, von denen der eine zu Diachronie, der andere zur Synchronie führt. [...] Folgendes Schema zeigt die rationale Form [!] an, welche das Studium der Sprachwissenschaft anzunehmen hat: Synchronie Sprache Menschliche Rede Sprechen Diachronie Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 116 - 117 Saussure Saussure hat selbst auf die Schwierigkeit der Übersetzung der von ihm in der französischen Sprache vollzogenen Begriffsbestimmungen ins Deutsche verwiesen: So bedeutet deutsch Sprache sowohl »langue« (Sprache) als »langage« (menschliche Rede); Rede entspricht einigermaßen dem »parole« (Sprechen), fügt dem aber noch den speziellen Sinn von »discours« hinzu. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 17 Saussure Differenzparadigma Alles Vorausgehende läuft darauf hinaus, dass es in der Sprache nur Verschiedenheiten gibt. Mehr noch: eine Verschiedenheit setzt im allgemeinen positive Einzelglieder voraus, zwischen denen sie besteht; in der Sprache aber gibt es nur Verschiedenheiten ohne positive Einzelglieder. Ob man Bezeichnetes oder Bezeichnendes nimmt, die Sprache enthält weder Vorstellungen noch Laute, die gegenüber dem sprachlichen System präexistent wären, sondern nur begriffliche und lautliche Verschiedenheiten, die sich aus dem System ergeben. Was ein Zeichen an Vorstellung oder Lautmaterial enthält ist weniger wichtig als das, was in Gestalt der anderen Zeichen um dieses herum gelagert ist. Grundfrage der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 143 – 144 Saussure Zwei Grundsätze 1.) „Das Band, welches das Bezeichnete mit der Bezeichnung [Zeichen im herkömmlichen Sinn] verknüpft, ist beliebig; und da wir unter Zeichen das durch die assoziative Verbindung einer Bezeichnung mit einem Bezeichneten erzeugte Ganze verstehen, so können wir dafür auch einfacher sagen: das sprachliche Zeichen ist beliebig.“ Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 79 2.) Das Bezeichnende als Hörbares, verläuft ausschließlich in der Zeit und hat Eigenschaften, die von der Zeit bestimmt sind: a) es stellt eine Ausdehnung dar, und b) diese Ausdehnung ist messbar in einer einzigen Dimension: es ist eine Linie. Dieser Grundsatz leuchtet von selbst ein, aber es scheint, dass man bisher versäumt hat, ihn auszusprechen, sicherlich, weil er als gar zu einfach erschien; er ist jedoch grundlegender Art und seine Konsequenzen unabsehbar; er ist ebenso wichtig wie das erste Gesetz. Der ganze Mechanismus der Sprache [!] hängt davon ab. Im Gegensatz zu den Bezeichnungen die sichtbar sind, [...] gibt es für die akustischen Bezeichnungen nur die Linie der Zeit; ihre Elemente treten nacheinander auf; sie bilden eine Kette. Diese Besonderheit stellt sich unmittelbar dar, sowie man sie durch die Schrift vergegenwärtigt und die räumliche Linie der graphischen Zeichen an Stelle der zeitlichen Aufeinanderfolge setzt. Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 82 Saussure Der Mechanismus der Sprache Bemerkenswert ist die Tatsache, dass dieser auf einer einzigen Dimension verortet wird, was dem zweiten Grundsatz der Linearität des Zeichens wiederholt Bei dieser Organisation fallen uns zunächst syntagmatische Abhängigkeitsverhältnisse auf: fast alle Einheiten der Sprache hängen ab entweder von dem, was sie in der gesprochenen Reihe umgibt, oder von den aufeinanderfolgenden Teilen, aus denen sie selbst zusammengesetzt sind. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft , S. 152 Dieser Mechanismus, der in einem Zusammenspiel aufeinander folgender Glieder beruht, ist dem Gang einer Maschine vergleichbar, deren Teile ineinandergreifen, obwohl sie in einer einzigen Dimension angeordnet sind. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft , S. 153 Saussure Syntagmatische und assoziative Bezhiehungen (antizipieren die poetische Funktion bei Roman Jakobson) Bei den syntagmatischen Gruppierungen, […] besteht gegenseitige Abhängigkeit; jeder Teil bedingt die andern. Denn die Zusammenordnung im Raum wirkt an der Schaffung assoziativer Zuordnungen mit, und diese ihrerseits sind nötig für die Analyse der Teile der Anreihung. Nehmen wir das Kompositum ab-reißen. Wir können es darstellen auf einem horizontalen Band, das der gesprochenen Reihe entspricht: ------------------------------------------------------------------ab - reißen ------------------------------------------------------------------Aber gleichzeitig und auf einer anderen Achse existiert im Unterbewußtsein eine oder mehrere assoziative Reihen, deren Einheiten ein Element mit der Anreihung gemeinsam haben, z.B.: ------------------------------------------------------------------ab - reißen ------------------------------------------------------------------abrechnen reißen abschneiden zerreißen abnehmen entreißen usw. durchreißen usw. [...] Somit versteht man das Ineinanderspielen dieses doppelten Systems im gesprochenen Satz. Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 153 – 154 Saussure Mannigfaltige Arten der Assoziation: Nach Form (Laut) und Inhalt (Bedeutung), jedes Glied oder jeder Signifikant ist ein Bündel von differenziellen Beziehungen oder Signifikanten die Assoziation kann auch auf der bloßen Analogie des Bezeichneten beruhen (vgl. enseignement, instruction, education, apprentisage, Belehrung Unterricht, Erziehung, Ausbildung usw.) oder sogar auf der bloßen Gemeinsamkeit der Lautbilder (z.B.: enseignement und justement, Unterricht und Kehricht). Es gibt also bald die doppelte Gemeinsamkeit von Sinn und Form, bald die Gemeinsamkeit bloß in der Form oder bloß im Sinn. Jedes beliebige Wort kann jederzeit alles, was ihm auf die eine oder andere Weise assoziierbar ist, anklingen lassen. [...] Ein gegebenes Glied ist wie der Mittelpunkt einer Zusammenstellung, der Punkt an dem andere, damit zusammengeordnete Glieder zusammentreffen, deren Summe unbestimmbar ist. [...] Wenn man [...] assoziiert, so kann man nicht von vorneherein sagen, wie groß die Anzahl der Wörter sein wird, die das Gedächtnis darbietet, noch, in welcher Ordnung sie auftreten. Belehren er belehrt Erziehung lehren usw. BELEHRUNG Erklärung Bekehrung Unterricht Ausbildung usw. Beschreibung Bescherung Vertreibung Bewährung usw. usw. Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 151 Saussure Soziale oder allgemeine Struktur der Sprache: Es [das soziale Band der Sprache] ist ein Schatz, den die Praxis des Sprechens in den Personen, die der gleichen Sprachgemeinschaft angehören, niedergelegt hat, ein grammatikalisches System, das virtuell in jedem Gehirn existiert, oder vielmehr in den Gehirnen einer Gesamtheit von Individuen; denn die Sprache ist in keinem derselben vollständig, vollkommen existiert sie nur in der Masse. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 16 Niemals - und dem Anscheine zum Trotz - besteht sie [die Sprache] außerhalb der sozialen Verhältnisse, weil sie eine semiologische Erscheinung ist. Ihre soziale Natur gehört zu ihrem inneren Wesen. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 91 Saussure Anspruch einer transzendentalen Semeologie, die, was von philosophischer Seite massiv kritisiert worden ist, der Psychologie untergeordnet wird: Die Sprache ist ein System von Zeichen, die Ideen ausdrücken und insofern der Schrift, dem Taubstummenalphabet, symbolischen Riten [...] usw. usw. vergleichbar. Nur ist sie das wichtigste dieser Systeme. Man kann sich also vorstellen eine Wissenschaft, welche das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht; diese würde einen Teil der Sozialpsychologie bilden und infolgedessen einen Teil der allgemeinen Psychologie; wir werden sie Semeologie (von griechisch semeion, „Zeichen“) nennen. Sie würde uns lehren, worin die Zeichen bestehen und welche Gesetze sie regieren. Da sie [die Semeologie] nicht existiert kann man nicht sagen, was sie sein wird. Aber sie hat Anspruch darauf, zu bestehen; ihre Stellung ist von vorneherein vorbestimmt. Grundfragen der allgemeinen Srachwissenschaft, S. 19 Deleuze: Der Strukturalismus ist nicht von einer neuen Transzendentalphilosophie zu trennen, in der die Orte wichtiger sind, als das was sie ausfüllt. Gilles Deleuze, Woran erkennt man den Strukturalismus, S. 17 Saussure Zeit, Ereignis und Veränderungs-Problematik: Gründet in mangelhaft ausgeführten Zusammenhang zwischen subjektivem Sprech-Akt und objektivem Sprach-System Was auch immer die Faktoren der Umgestaltung sein mögen, sie laufen immer hinaus auf eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen dem Bezeichnetem und der Bezeichnung. [...] Keine Sprache kann sich der Einflüsse erwehren, welche auf Schritt und Tritt das Verhältnis von Bezeichnetem und Bezeichnendem verrücken. Das ist eine Folge der Beliebigkeit des Zeichens. Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, S. 88 – 89 Derrida Wenn wir als Hypothese den Gegensatz zwischen Sprechen und Sprache für absolut streng halten, ist die diffèrance nicht nur das Spiel von Verschiedenheiten in der Sprache, sondern die Beziehung des Sprechens zur Sprache, der Umweg, den ich gehen muß, um zu sprechen, das schweigende Unterpfand, das ich geben muß, und das auch für die allgemeine Semiologie gilt, indem es alle Beziehungen des Gebrauchs zum Schema der Botschaft zum Code regelt. Jacques Derrida, Randgänge der Philosophie, Die diffèrance, S. 41 Roman Jakobson Biographisches 11.10.1896 geboren in Moskau. 1915-20 Präsident des Moskauer Linguistischen Kreises. 1920 Emigration in die Tschechoslowakei. 1926 Mitbegründer des Prager Linguistischen Zirkels. 1927-39 Vize-Präsident des Prager Linguistischen Kreises. 1930 Doctor Philosophiae an der Karls-Universität in Prag. 1933-34 Assistenzprofessor an der Masaryk-Universität in Brünn. 1934-37 Gastprofessor in Brünn. 1937-39 Außerordentlicher Professor für Russische Philologie und alttschechische Literatur in Brünn. 1939 floh der jüdische Roman Jakobson vor dem Einmarsch der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach Dänemark, dann nach Schweden. 1939-41 Gastdozent an den Universitäten Kopenhagen, Oslo, Uppsala. 1942-46 Professor of Linguistics, College of Advanced Studies, in New York. 1943-46 Visiting Professor of Linguistics an der Columbia University in New York. 1943-49 T.G. Masaryk Professor of Czechoslovak Studies, Institute of Oriental and Slavic Philology and History, in New York. Roman Jakobson Biographisches 1948-61 President of the International Council of Phonetic Sciences. 1949 Samuel Hazzard Cross Professor of Slavic Languages, Literatures, and of General Linguistics an der Harvard University. 1956 President of the Linguistic Society of America. 1957 Institute Professor am MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Cambridge. 1967 Emeritierung. 1980 Internationaler Antonio-Feltrinelli-Preis für Philologie und Linguistik, Accademia Nazionale dei Lincei. 1982 Hegel-Preis der Internationalen Hegel-Gesellschaft. 18.7.1982 gestorben in Boston. Ausgewählte Literatur: Poetik, Ausgewählte Aufsätze 1921-1971, Frankfurt am Main 1979. Semiotik, Ausgewählte Texte 1919-1982, Frankfurt am Main 1992. Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze, Frankfurt am Main 1992. Meine futuristischen Jahre, Berlin 1999. Jakobson Dialektische Interdependenz von Synchronie und Diachronie, von System und Evolution Die entschiedene Gegenüberstellung von synchronischem (statischem) und diachronischem Schnitt war noch unlängst für die Linguistik wie für die Literaturgeschichte eine fruchtbare Arbeitshypothese, da sie den Systemcharakter der Sprache (bzw. der Literatur) für jeden einzelnen historischen Moment aufzeigte. [...] Die Geschichte eines Systems ist ihrerseits ein System. Der reine Synchronismus erweist sich als Illusion: jedes synchronische System hat seine Vergangenheit und seine Zukunft, die beide unablösliche Strukturelemente dieses Systems sind […]. Die Gegenüberstellung von Synchronie und Diachronie war eine Gegenüberstellung von Systembegriff und Evolutionsbegriff. Sie verliert ihr prinzipielles Gewicht, sofern wir anerkennen, daß jedes System notwendig als Evolution vorliegt und andererseits die Evolution zwangsläufig Systemcharakter besitzt. Roman Jakobson, Poetik, Probleme der Literatur und Sprachforschung, S. 64 Jakobson Synchronie und Diachronie Mit andern Worten, die beiden Oppositionen Synchronie/Diachronie und Statik/Dynamik sind durchaus relevant, fallen aber in der Realität nicht zusammen. Die Synchronie enthält mancherlei dynamische Elemente, die bei synchronischem Vorgehen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. […] Saussure stellt – und das ist sein großes Verdienst – das Studium der Sprache als System in den Vordergrund, das heißt als Ganzes im Verhältnis zu seinen Teilen. Auf der anderen Seite versuchte er jedoch das Band zwischen dem System er Sprache und seinem Wandel zu zerschneiden; er betrachtete – und insofern war es notwendig, seine Theorie zu überwinden – Systematizität ausschließlich als Eigenschaft der Synchronie und ordnete den Sprachwandel ausschließlich der Sphäre der Diachronie zu. Roman Jakobson, Krystyna Pomorska, Poesie und Grammatik, S. 54 Jakobson Universelle Bedeutung der poetischen Funktion: Die Einstellung auf die Botschaft als solche, die Ausrichtung auf die BOTSCHAFT um ihrer selbst willen, stellt die POETISCHE Funktion der Sprache dar. Diese Funktion kann nur nutzbringend untersucht werden, wenn sie einerseits zusammen mit den allgemeinen, sprachlichen Problemen behandelt wird. Andererseits verlangt die Erforschung der Sprache eine gründlichere Berücksichtigung der poetischen Funktion. Jeder Versuch, die Sphäre der poetischen Funktion auf Dichtung zu reduzieren oder Dichtung auf die poetische Funktion einzuschränken, wäre eine trügerische Vereinfachung. Roman Jakobson, Poetik, S.92 Jakobson Bezug auf „transzendentale“ Semeologie Saussures, die Jakobson als allgemeine Semiotik bezeichnet Einziger Ausschluss: die Wahrheitswerte der Logiker Viele Eigenschaften der Dichtung gehören nicht nur zur Sprachwissenschaft, sondern zu einer umfassenden Theorie der Zeichen, also zur allgemeinen Semiotik. Diese Aussage gilt freilich nicht nur für die Wortkunst, sondern auch für alle Formen der Sprache, da sie viele Eigenschaften mit anderen Zeichensystemen, wenn nicht gar mit allen teilt (pansemiotische Eigenschaften). […] die Frage nach den Beziehungen zwischen Wort und Welt geht nicht nur die Wortkunst an, sondern alle Arten des Diskurses. Der Linguistik obliegt vorab die Untersuchung aller möglichen Probleme der Relation zwischen dem Diskurs und dem >Universum des Diskurses<: was von diesem Universum von einem gegebenen Diskurs verbalisiert wird und wie es verbalisiert wird. Doch Wahrheitswerte, solange sie - nach den Worten der Logiker - außersprachliche Größen sind, überschreiten offensichtlich die Grenzen der Poetik im besonderen und die der Linguistik im allgemeinen. Roman Jakobson, Poetik, S. 85 Jakobson Poetische Funktion Was ist das empirische linguistische Kriterium der poetischen Funktion? [...] Um diese Frage zu beantworten müssen wir uns die beiden grundlegenden Operationen vergegenwärtigen, die jedem verbalen Verhalten zugrundeliegen, nämlich Selektion und Kombination. Die poetische Funktion projiziert das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination. Die Äquivalenz wird zum konstitutiven Verfahren der Sequenz erhoben. Roman Jakobson, Poetik, S. 94 JAKOBSON - VERSUS SAUSSURE Jakobson Die poetische Funktion ist auch im referentiellen Sprachgebrauch am Werk: In der referentiellen Sprache basiert die Verbindung zwischen signans und signatum vorab auf einer kodifizierten Kontiguität, die oft irreführend „Willkürlichkeit des sprachlichen Zeichens“ genannt wird. Die Relevanz des Laut-Bedeutungs-Nexus ist eine einfache Folge der Überlagerung der Ähnlichkeit auf die Kontiguität. Roman Jakobson, Poetik,.S. 113 Der Vorrang der poetischen Funktion vor der referentiellen löscht den Gegenstandsbezug nicht aus, sondern macht ihn mehrdeutig. Roman Jakobson, Poetik, S. 111 Jakobson - Peirce Die Poetische Funktion verhält sich im objektiven Sprachgebrauch wie ein unsichtbares Kleid, das gilt auch für die transzendentale Logik: Literaturtheorien des Altindischen und des mittelalterlichen Latein unterscheiden deutlich zwischen zwei Polen der Wortkunst. Im Sanskrit heißen sie Pancali und Vaidarbhi und im Lateinischen entsprechend ornatus difficilis und ornatus facilis, wobei der letztere Stil der linguistischen Analyse viel mehr Mühe bereitet, da in solchen Formen die sprachlichen Mittel unauffällig eingesetzt werden und die Sprache selbst ein fast transparentes Kleid zu sein scheint. Doch müssen wir uns den Worten von Charles Sanders Peirce anschließen: »Man kann sich nie ganz dieser Kleider entledigen, sie werden lediglich durch etwas Durchsichtigeres ersetzt«. Roman Jakobson, Poetik, S. 115 Jakobson Poesie im engeren Sinn Dichtung ist nicht das einzige Gebiet, wo Lautsymbolik verwendet wird; doch handelt es sich hier um einen Bereich, in dem der interne Nexus zwischen Laut und Bedeutung von einem latenten in einen patenten Zustand übergeht und sich besonders spürbar und intensiv manifestiert [...]. Die überdurchschnittliche Häufung einer bestimmten Phonemklasse oder einer kontrastierenden Montage zweier gegensätzlicher Klassen in der Lauttextur eines Verses, einer Strophe oder eines Gedichts wirkt - in der bildhaften Sprache Poes ausgedrückt - wie eine „Unterströmung der Bedeutung“. Roman Jakobson, Poetik, S. 113 Jakobson Metapher und Metonymie: Assoziation nach Ähnlichkeit (Äquivalenz) und Berührung (Kontiguität) Der Vers stützt sich auf die Ähnlichkeitsassoziation, die rhythmische Ähnlichkeit der Verse ist eine unumgängliche Voraussetzung ihrer Aufnahme, der rhythmische Parallelismus wird am stärksten empfunden, wenn er von einer Ähnlichkeit (oder einem Gegensatz) der Bilder begleitet wird. Eine gewollt auffallende Gliederung in ähnliche Abschnitte ist der Prosa fremd, der Grundantrieb der erzählenden Prosa ist die Berührungsassoziation; die Erzählung bewegt sich von Gegenstand zu seinem Nachbar auf raum, zeitlichen und Kausalitätswegen; der Weg vom Ganzen zu den Teilen und umgekehrt ist nur ein besonderer Fall dieses Prozesses. Je weniger Prosa stofflich ist, eine desto größere Selbständigkeit erlangen die Berührungsassoziationen. Für die Metapher ist der Vers und für die Metonymie ist die Prosa mit gedämpftem oder ausgeschaltetem Sujet […] die Linie des geringsten Widerstandes. Roman Jakobson, Poetik S.202 Jakobson Der lyrische Antrieb bleibt, wie gesagt, des Dichters Ich. Die Bilder der äußeren Welt sind zum Gleichklang mit diesem Impuls berufen, zu seiner Übertragung in andere Pläne, zur Herstellung eines Netzes von Entsprechungen und gebieterischen Angleichungen in der Vielheit der kosmischen Pläne, zur Auflösung des lyrischen Helden in der Vielplanigkeit des Seins und zur Verschmelzung der mannigfaltigen Pläne des Seins im lyrischen Helden. Die erste Person ist da [...] in den Hintergrund geschoben. Aber das ist nur eine scheinbare Geringschätzung - der ewige Held der Lyrik ist auch hier gegenwärtig. Es handelt sich nur darum, daß der Held metonymisch hingestellt ist […]. Roman Jakobson, Poetik, S. 198 - 200 Jakobson Metonymie Die Unterstellung des benachbarten Gegenstandes ist die einfachste Form der Berührungsassoziation. Der Dichter kennt auch andere metonymische Wege - vom Ganzen zum Teil und umgekehrt, von räumlichen Beziehungen zu zeitlichen und umgekehrt usw., usw. Am kennzeichnendsten ist wohl aber für Pasternak die Unterstellung des Zustandes, der Äußerung, der Eigenschaft statt deren Besitzer und die entsprechende Absonderung und Vergegenständlichung dieser Abstraktion. [..] statt der Helden geraten hier immer öfters die umgebenden Dinge in Aufruhr, die unbeweglichen Umrisse der Dächer werden neugierig, die Tür fällt mit stillem Vorwurf ins Schloß, [....] Pasternaks Gedichte sind ein Reich zu selbstständigen Leben erweckter Metonymien. [...] Handlung und Handelnder sind in gleichem Maße gegenständlich. […] Die Abstraktion wird zu selbstständigen Handlung befähigt, und diese Handlungen werden wiederum vergegenständlicht: „die lakkierten Kichertöne der aus den Fugen gehenden Lebensordnungen zwinkerten einander im stillen zu“. Roman Jakobson, Poetik, S. 201 - S. 202 Jakobson Hört doch die Sonne überließ die ersten Strahlen, noch nicht wissend, wohin nach verrichtetem Werk zu gehen, das bin ich, Majakovskij, zum Sockel eines Idols trug er das enthauptete kleine Kind. Majakovskij, nach Roman Jakobson, Poetik, S. 177 Jakobson Similaritäts- (und – Kontiguitäts-)Störung „»Ich bin doch hier unten, na wenn ich gewesen bin ich wees nicht, we das, nu wenn ich, ob das nun doch, noch, ja. Was Sie her, wenn och ich weess nicht, we das hier war ja . . .«“ ich, Sogar eine einfache Wortwiederholung eines vom Prüfenden vorgesprochenen Wortes erscheint dem Patienten als unnötige Redundanz. Trotz genauer Anweisungen ist er außerstande, das Wort zu wiederholen. Auf die Aufforderung, das Wort »nein« zu wiederholen, antwortete ein Patient Heads »Nein, ich weiß nicht, wie man das macht!« Während dieser Patient also spontan das Wort »nein« im Kontext seiner Antwort benutzte, konnte er die einfachste Form der Identitätsaussage, die Tautologie a = a: »nein« = »nein« nicht hervorbringen. Eine Patientin dieses Aphasietyps [der Similaritätsstörung] zählte auf die Aufforderung hin, einige Tiernamen zu nennen, dieselben in der gleichen Reihenfolge auf, in der sie diese Tiere im Zoo gesehen hatte; in derselben Weise klassifizierte sie trotz des ausdrücklichen Hinweises, gewisse Gegenstände nach Farbe, Größe und Gestalt zu ordnen, diese Gegenstände nach ihren räumlichen Beziehungen wie Haushaltsgeräte, Büromaterialien usw. und rechtfertigte diese Gruppierung mit dem Hinweis auf ein Schaufenster, in dem »es gleichgültig ist, was die Dinge sind« Roman Jakobson, Aufsätze zur Linguistik und Poetik, S. Robert Jakobson, Aufsätze zur Linguistik und Poetik, S. 124 – 128 Jakobson Eine gewisse Rivalität zwischen den metonymischen und metaphorischen Darstellungsweisen kommt bei jedem symbolischen Prozeß, gleichgültig, ob es sich um einen intrapersonellen oder um einen sozialen handelt, zum Vorschein. So ist es auch bei der Untersuchung von Traumstrukturen eine entscheidende Frage, ob die Symbole und die zeitliche Reihenfolge auf Kontiguität (Freuds metonymische »Verdrängung« und synekdocheische »Verdichtung«) oder auf Similarität (Freuds »Identifizierung« und »Symbolismus«) beruhen. Roman Jakobson, Aufsätze zur Linguistik und Poetik, S. 137 - 138 Jakobson Analogie zwischen genetischem Code und Diskurs Da unsere Buchstaben nur ein Ersatz für die phonematische Struktur der Sprache sind und das Morsealphabet nur ein sekundärer Ersatz für Buchstaben ist, muß man die Untereinheiten des genetischen Kodes direkt mit den Phonemen vergleichen. Wir können feststellen, daß von allen informationstragenden Systemen der genetische und der sprachliche Kode die einzigen sind, die auf dem Gebrauch diskreter Komponenten beruhen, die von sich aus keine inhärente Bedeutung besitzen, sondern dazu dienen, die kleinsten sinnvollen Einheiten zu bilden, d. h. Einheiten, die in dem gegebenen Kode ihre eigene innere Bedeutung haben. Jacob vergleicht die Erfahrung der Linguisten und der Genetiker und bemerkt treffend: »In beiden Fällen handelt es sich um Einheiten, die, für sich genommen, keinerlei Bedeutung besitzen, die aber in bestimmten Anordnungen eine Bedeutung annehmen, sei es die Wortbedeutung in der Sprache, sei es eine Bedeutung in biologischem Sinne, nämlich eine solche, in der sich die Funktionen ausdrücken, die in der chemischen, der genetischen Nachricht enthalten, >geschrieben< sind« […]. Roman Jakobson, Linguistik und Poetik, Die Linguistik und ihr Verhältnis zu anderen Wissenschaften, S. 197 Jakobson Die genannten Merkmale, die dem System der sprachlichen und dem der genetischen Information gemeinsam sind, sichern sowohl die Bildung von Gattungen als auch die unbeschränkte Individualisierung. Wenn die Biologen behaupten, daß die Gattung »der Grundstein der Evolution ist« und daß es ohne die Bildung von Gattungen nicht die Mannigfaltigkeit der organischen Welt und nicht die adaptive Ausstrahlung gäbe[…], so kann man ebenso sagen, daß die Sprachen mit der Regelmäßigkeit ihrer Strukturen, ihrem dynamischen Gleichgewicht und der Kraft der Kohäsion als notwendige Folge der universellen Gesetze erscheinen, die jeder sprachlichen Strukturierung zugrunde liegen. Wenn darüber hinaus die Biologen sehen, daß die unerläßliche Vielfalt aller individuellen Organismen keineswegs zufällig ist, sondern »eine für Lebewesen universelle und notwendige Erscheinung darstellt« […], so erkennen die Linguisten ihrerseits die schöpferische Kraft der Sprache in den unbeschränkten Möglichkeiten, die individuelle Rede zu variieren, und in der unendlichen Vielfalt sprachlicher Nachrichten. Die Linguistik teilt mit der Biologie die Ansicht, daß »Stabilität und Variabilität derselben Struktur innewohnen« {173, S. 99) und einander bedingen. Roman Jakobson, Linguistik und Poetik, Die Linguistik und ihr Verhältnis zu anderen Wissenschaften, S. 200 Jakobson Da nun »die Vererbung ihrem Wesen nach selbst eine Form der Kommunikation ist« […] und da die universelle Architektonik des Sprachkodes zweifellos in jedem Homo sapiens als molekular vermittelte Begabung angelegt ist, könnte man mit Recht fragen, ob sich die Isomorphie der beiden verschiedenen Kodes, des genetischen und des sprachlichen, aus einer bloßen Konvergenz ergibt, die auf ähnlichen Bedürfnissen beruht, oder ob vielleicht die Grundlagen der offen zutageliegenden Sprachstrukturen, die als Schicht über der molekularen Kommunikation liegen, deren Strukturprinzipien unmittelbar nachgebildet sind. Roman Jakobson, Linguistik und Poetik, Die Linguistik und ihr Verhältnis zu anderen Wissenschaften, S. 200 Lacan Bei uns als Praktikern der Symbolfunktion ist es erstaunlich, daß wir uns davon abwenden, sie genauer zu ergründen, ja daß wir sogar verkennen, daß sie es ist, die uns ins Zentrum einer Bewegung versetzt, die eine neue Ordnung der Wissenschaften mit einer erneuten Infragestellung der Anthropologie hervorbringt. Diese neue Ordnung bedeutet nichts anderes als eine Rückkehr zum Begriff der wahrhaftigen Wissenschaft […] Es bleibt uns überlassen, uns dieser Auffassung anzuschließen […]. Ist es nicht unmittelbar evident, daß Levi-Strauss mit dem Hinweis auf das Implikationsverhältnis von Sprachstrukturen und dem Teil der sozialen Gesetze, der Verwandtschaft und Verschwägerung regelt, bereits gerade das Terrain erobert, auf dem Freud das Unbewußte ansiedelt?“ Jacques Lacan, Schriften I, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse S 126 - 127. Lacan Diese Prinzipien sind keine anderen als die der Dialektik des Selbstbewußtseins, wie sie sich von Sokrates bis Hegel entfaltet. Ihren Ausgang nimmt sie von der ironischen Annahme, alles Vernünftige sei wirklich, und schließlich stürzt sie sich in das wissenschaftliche Urteil, alles Wirkliche sei vernünftig […]. Doch Freuds Entdeckung besteht in dem Beweis, daß ein solcher Verifikationsprozeß sich zwar am Subjekt vollzieht, aber authentisch nur zu durchlaufen ist um den Preis seiner Entfernung aus dem Zentrum des Selbstbewußtseins, auf dessen Achse die Hegelsche Rekonstruktion der Phänomenologie des Geistes es noch hielt. Freuds Entdeckung macht also jenes Streben nach «Bewußtwerdung» noch hinfälliger […]. Jacques Lacan, Schriften I, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, S. 134 - 135 Das Unbewußte ist der Teil des konkreten Diskurses als eines überindividuellen, der dem Subjekt bei der Wiederherstellung der Kontinuität seines bewußten Diskurses nicht zur Verfügung steht. Damit verschwindet das Paradox, das der Begriff des Unbewußten darstellt, solange man ihn auf eine individuelle Realität bezieht. Reduzierte man ihn nämlich auf eine unbewußte Tendenz, hieße das nur, dies Paradox aufzulösen, indem man der Erfahrung auswiche, die deutlich zeigt, daß das Unbewußte an den Funktionen des Vorstellens, ja des Denkens teilhat. […] Dieser Sinn macht aus den Handlungen des Subjekts Akte der eigenen Geschichte und gibt ihnen ihre Wahrheit. Jacques Lacan, Schriften I, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, S. 98 Lacan Damit wir das Auftreten der Disziplin der Linguistik an einem Punkt festmachen können, sagen wir, daß diese wie jede Wissenschaft im modernen Sinne besteht in dem konstituierenden Moment eines Algorithmus. Dieser Algorithmus ist: S/s zu lesen als: Signifikant über Signifikat, wobei das « über » dem Balken entspricht, der beide Teile trennt. Jacques Lacan, Schriften II, Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud, S. 21 Lacan Am Ende wäre also der Algorithmus S / s, wenn wir von ihm nur noch den Parallelismus von Ober- und Unterglied, beide nur ganz global verstanden, übriglassen können, nur noch das rätselhafte Zeichen eines totalen Mysteriums. Das aber ist wohlgemerkt nicht der Fall. Um seine Funktion zu erfassen, beginne ich mit jener fehlerhaften Illustration, mit der man klassischerweise seine Verwendung einführt. Hier ist sie: [Baum] Man sieht, wie sehr sie jene Richtung favorisiert, die wir eben als irrig bezeichnet haben. Ich habe sie für meine Zuhörer durch eine andere ersetzt, die man nur deswegen für zutreffender halten konnte, weil sie in jener ungehörigen Dimension ihr Wesen treibt, auf die der Psychoanalytiker noch nicht ganz verzichtet hat in dem richtigen Gefühl, daß sein Konformismus nur von ihr her etwas wert ist. Hier ist sie, die andere Illustration: [zwei identische Türen und Hommes / Dames] an der man sieht - ohne daß man den Geltungsbereich des Signifikanten, um das es bei diesem Versuch geht, groß auszudehnen braucht, das heißt, indem man lediglich auf der Seite der Namen eine Verdoppelung vornimmt durch die einfache Aneinanderfügung zweier sich dadurch in ihrer Komplementärbedeutung anscheinend befestigender Begriffe -, wie der Überraschungseffekt aus dem plötzlichen unerwarteten Niederschlag des Sinns entsteht: im Bild nämlich von zwei identischen Türen […]. Das haut nicht nur mit einem Tiefschlag die Nominalismusdebatte um, sondern zeigt auch, wie das Signifikante tatsächlich ins Signifizierte eingeht, in einer Form nämlich, die, da sie keine immaterielle ist, die Frage nach seinem Platz in der Realität aufwirft. Jacques Lacan, Schriften II, Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud, S. 23 - 24 Lacan Lacan - Weber Daraus ergibt sich, daß sowohl Metonymie als auch Metapher zwei Funktionen einer einheitlichen Bewegung des Signifikanten sind, sofern dieser einerseits nur in und durch seine Verkettung fungieren kann und andererseits, seiner Form nach, immer auch auf das, worauf er verweist - das von ihm erzeugte Signifikat -, angewiesen ist. Dennoch, sofern der Signifikant erst durch die Verkettung zum Signifikant wird, scheint es gerechtfertigt, von einem Vorrang der Metonymie über die Metapher zu sprechen[…]: Samuel Weber, Rückkehr zu Freud, S. 96 Der schöpferische Funke der Metapher entspringt nicht der Vergegenwärtigung zweier Bilder, das heißt zweier gleicherweise aktualisierter Signifikanten. Er entspringt zwischen zwei Signifikanten, deren einer sich dem andern substituiert hat, indem er dessen Stelle in der signifikanten Kette einnahm, wobei der verdeckte Signifikant gegenwärtig bleibt durch seine (metonymische) Verknüpfung mit dem Rest der Kette. Jacques Lacan, Schriften II, Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud, S. 32 Lacan: Met/Met Lacan Anna Freud - die Dinge sind, Sie sehen es, im Reinzustand - spricht in ihrem Schlaf - Erdbeer, Hochbeer, Eierspeis, Papp. Das ist etwas, das Signifikat im Reinzustand zu sein scheint. Und das ist die schematischste, die fundamentalste Form der Metonymie. Zweifellos begehrt sie […] Jacques Lacan, Das Seminar, Buch III, Die Psychosen, S. 270. f(S1 „Erdbeer“, S2 „Hochbeer“, S3 „Eierspeis“, S4 „Papp“ …. S’) S(-)s Metonymie: „die lakkierten Kichertöne der aus den Fugen gehenden Lebensordnungen zwinkerten einander im stillen zu“ Metapher: „seine Garbe war nicht geizig, noch von Haß erfüllt“ f(S` „Boas“ / S „Garbe“) S(+)s S` ist unterdrückt, nur west nur latent an Lacan Was am Ursprung der Metapher ist, ist nicht die Bedeutung, die von Boas zur Garbe hin transponiert würde. Ich lasse durchaus gelten, daß jemand mir entgegenhält, daß die Garbe von Boas metonymisch und nicht metaphorisch ist, und daß sich im Untergrund dieser prächtigen Poesie, ohne jemals genannt zu werden, der königliche Penis des Boas findet. Aber nicht das erzeugt die metaphorische Kraft dieser Garbe, sondern daß sie in der Aussage in Subjektstellung gebracht wird, an Boas' Stelle. Es handelt sich um ein Signifikantenphänomen. Jacques Lacan, Die Psychosen, S. 267. Lacans Inauguration des Post-Strukturalismus Wiedereinführung des transzendentalen Subjekts in den abstrakt formalen und neo-ontologischen Begriff der Struktur, jedoch nicht als (synthetische) Einheit (der transzendentalen Apperzeption), sondern als absolut differenzielle Zeitigung, als Aus-Ein-Ander-Setzung des Signifikanten „Ein“. (Das „Ein“ im Sinne Lacans: das höchste Eine, als das Negativ-Absolute Hegels). Derrida hat diese Bewegung als Spur der différance be-schrieben. Ohne Zweifel haben die Philosophen hier wichtige Korrekturen angebracht, namentlich daß in dem, was denkt (cogitans), ich mich immer nur als Objekt (cogitatum) konstituiere. Bleibt, daß durch diese extreme Läuterung des transzendentalen Subjekts meine existentielle Bindung an seinen Entwurf unumstößlich scheint, zumindest in der Form seiner Aktualität, und daß «cogito ergo sum» ubi cogito, ibi sum [wo ich denke, dort bin ich] über jeden Einwand erhaben ist. Jacques Lacan, Schriften II, Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud, S. 41 - 42 Lacan: Subjekt des Signifikanten Genealogie der Idee: phänomenologische und existenzialistisch motivierte Kritik an der traditionellen oder akademisch etablierten Hegel-Auslegung: Alexandre Kojeve verstand das Subjekt nicht als Garant einer göttlich verbürgten Konsistenz der Existenz, wie dies noch bei Descartes der Fall gewesen ist, sondern, vom „negativen“ oder „nihilistischen“ Denken Hegels und Heideggers beeinflusst, als Zurückgeworfensein des Subjekts auf einen radikalen Existenz-Mangel oder Zweifel, die er als Wahrheit einer notwendigen Täuschung anerkannte. Von dieser Position aus übersetzte Kojeve die Descartes´sche Formulierung des „Ich denke, also bin ich“ in die eines „Ich denke, also bin ich nicht“. Kojeve-Bezug: Elisabeth Roudinesco, Jacques Lacan, S. 161. Lacan: Cogito als metonymisch-metaphorische Bewegung Lacans Chiasmus geht auf die negativ-dialektisch Auslegung des cogito bei Kojeve zurück: „ich denke, wo ich nicht bin, also bin ich, wo ich nicht denke“, „Ich bin nicht, da wo ich das Spielzeug meines Denkens bin; ich denke an das, was ich bin, dort wo ich nicht denke zu denken“ Jacques Lacan, Schriften II, S. 43. Lacan: 1.) Schrift des Phantasmas: post-strukturales Substanz-Subjekt 2.) Diskursschema: Rückkehr zum Phänomen der Rede (langage) Lacan Die negativ-dialektisch begriffene Wirklichkeit des Diskurses („das Unbewusste“) als Bedingung der Möglichkeit der strukturalen Linguistik als Spezialwissenschaft: Wenn ich daher aussage, daß Freud die Linguistik antizipiere, sage ich weniger als das, was sich aufdrängt und was die Formel ist, die ich jetzt herauslasse: das Unbewußte ist die Bedingung der Linguistik. Ohne den Ausbruch des Unbewußten unmöglich, daß die Linguistik aus dem zweifelhaften Licht heraustrete, womit die Universität, im Namen der Humanwissenschaften, noch die Wissenschaft verfinstert. Jacques Lacan, Radiophonie Television, S. 9 Lacan: Kritik des universitären Diskurses (gemeint ist der Positivismus, gerade nicht der kritische Diskurs der Aufklärung): Danke für ihre Aufmerksamkeit ! Auf Wiedersehen am 14.06.2007 Weitere Informationen unter: http://auinger.philo.at