Chancen und Risiken biomedizinischer Forschung Dr.med. Michael Herschel Leiter Klinische Forschung GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG Übersicht Chancen und Risiken: wie messen? wie bewerten? Philosophie des Risikos Fünf Geschichten Schlußfolgerungen Phasen der “natürlichen” Innovation Information Versuch Dr.med. Michael Herschel Lernen Nutzen-gesteuerte Innovation Information Versuch Dr.med. Michael Herschel Lernen Messung von Chancen Expertenprognosen Aktienkurse Arzneimittel: Phase II - Ergebnisse Messung von Risiken Biomarker (Präklinik, Klinik) Biohazard, Umweltprüfung Menschenwürde > Freiheit der Forschung > Wirtschaftlicher Nutzen Vergleichsstudien (randomisiert) Philosphie des Risikos Philosophien Jonas Popper Luhmann Beck Geschichte Eins Eins: Geschichte und Personalised Medicine Die Gene machen den Unterschied 99,9 % unserer DNA ist bei allen Menschen identisch Die 0,1 % Unterschiede tragen zu unserer Individualität bei: Körperliche Merkmale Persönlichkeit Anfälligkeit für Krankheiten Ansprechen auf Arzneimittel Was kann Genomik leisten? Genetische Marker identifizieren, um Krankheiten voraussagen zu können → z.B. Trisomie 21 bei Down-Syndrom Verständnis der Anfälligkeit für eine Krankheit, ihrer biochemischen Zusammenhänge und ihres Verlaufs → z.B. HbS bei Sichelzellanämie & geringere Anfälligkeit für Malaria Neue Zielorte für Arzneimittel identifizieren →… Identifikation von Patientengruppen, die mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Behandlung ansprechen oder bei denen bestimmte Nebenwirkungen nicht auftreten → z.B. HLA-B*5701 & Abacavir Hypersensitivität Gen – Funktion – Wirkort Empfänglichkeits-Gene und Allele identifizieren Gen Funktion Neue Wirkorte für Substanzen finden, die Krankheiten zum Stillstand bringen oder verhindern Wirkort Funktion der Proteine und ihre Rolle bei der Krankheitsentwicklung erforschen Therapie Interaktion zwischen Erbe und Umwelt Kein Asthma in der Familiengeschichte Asthma in der Familiengeschichte 10% 1 Elternteil 2 Elternteile 20 % 60 % Genetische Prädisposition Interaktion Unspezifisch beitragende Faktoren Allergene Quelle: B. Bjorksten, 1994 Vorhersage von unerw. Arzneimittelwirkungen Patienten ohne Nebenwirkungen Patienten mit Nebenwirkungen Vorhersage: Keine Nebenwirkung Vorhersage: Nebenwirkung Ausschnitt des SNP-Profils Unerw. Arzneimittelwirkungen Häufigkeit und Kosten 1979 Bei 17 % der Kinder im Krankenhaus gab es Arzneimittelnebenwirkungen Mitchell AA et al Am J Epid 110: 196-204 1994 2 216 000 ernsthafte UAWs bei Krankenhauspatienten Lazarou et al 1998; 279: 1200-1205 1973 28 % der Krankenhauspatienten wiesen UAWs auf Miller Am J Hosp Pharm 30:584-592 1995 Mit Arzneimitteln zusammenhängende Morbidität und Mortalität kosten schätzungsweise 76,6 Mrd. USD Johnson & Bootman Arch Intern Med 1995; 155: 1949-56 Chancen der Genomik für die klinische Medizin Individuelle Verschreibung: Das richtige Medikament für den richtigen Patienten Bessere Nutzung knapper Ressourcen im Gesundheitswesen Genetische Diagnose ergänzt / ersetzt klinische Diagnose Vermeidung bestimmter Nebenwirkungen und unwirksamer Therapien Verbesserte Diagnostik von Untergruppen Frühere Erkennung und Prophylaxe Pharmakogenomik Beispiel HIV: Hypersensitivitätsreaktion auf Abacavir Abacavir hochwirksames und sehr gut langzeitverträgliches HIV-Medikament europ. Zulassung seit 1999 Hypersensitivitätsreaktion (HSR) systemische, allergieähnliche Reaktion meist innerhalb der ersten 6 Wochen Häufigkeit ca. 5 % schwerwiegender Verlauf wie bei einer Allergie möglich bisher kein diagnosesichernder Parameter Studie PREDICT-1 (CNA106030) weltweit erste Studie zur Validierung eines genetischem Markers auf eine Medikamenten-Nebenwirkung Ziel der Studie: Evaluation, ob durch eine Testung auf HLA-B*5701 vor Therapie mit Abacavir die Häufigkeit einer HSR vermindert werden Multizentrische, randomisierte, doppelblinde Studie in 23 europ. Länder + Australien mit 1800 Patienten Abacavir Therapie Kein HLA-Test Vor Abacavir Therapie doppelblinde Randomisierung HLA-B*5701-Test Ausschluss von HLA-B*5701 pos. Abacavir Therapie Nutzen der Pharmakogenomik z. B. Besseres Nutzen-Risiko-Verhältnis für Abacavir 2006 Abacavir ist ein hoch-wirksames HIV-Medikament 2007 Abacavir ist ein hoch-wirksames HIV-Medikament Validierung von HLA-B*5701 als prädiktiver Marker Überempfindlichkeitsreaktionen bei bis zu 5 % der Patienten Überempfindlichkeitsreaktionen bei etwa 0,1- 0,5 % der Patienten Hindernisse für die Pharmakogenomik Genetische Variabilität ist hoch komplex, viele Gene tragen zum Ergebnis bei Es gibt oft wenige Alternativen zu einem Medikament Der Anreiz pharmakogenomisch optimierte Produkte zu entwickeln ist gering (wirklich?) Ärzte verstehen die Möglichkeiten der Pharmakoge-nomik (noch) zu wenig Kosten der zusätzlichen Gendiagnostik Geschichte Zwei Zwei: Helicobacter Die Akteure in verschiedenen Phasen Hausarzt Phase Agonist Antagonist Antazida Hausarzt Chirurg Superselektive Vagotomie Chirurg Psychosomatiker H2-Blocker Internist Chirurg Protonenpumpen hemmer Internist Helicobacter-Freak HelicobacterEradikation Internist Onkologe/ Ökologe Meinungsbildner-Meinungen Meinungsbildner-Meinungen zu Helicobacter (1892, Bizzozero 1962, Lykoudis - 1983, Warren & Marshall) „… unverantwortlich“ „… unbewiesener Kausalzusammenhang“ „… im sauren Magen kann kein Keim leben“ „… eher eine Superinfektion“ „… man wird abwarten müssen“ Dr.med. Michael Herschel Warren und Marshall 1985 Entdeckung 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Nobelpreis Ethische Fragen Geschwindigkeit der Umsetzung neuer Erkenntnisse Qualitätskontrolle der Anwendung (!?) Geschichte Drei Drei: Stammzellenforschung Adulte Stammzellen Isolation von Stammzellen Therapeutisches Klonen Nabelschnur als Quelle Ethische Fragen Forschung in Deutschland – Forscher außerhalb Deutschlands Verfügbarkeit von Stammzellen (für alle?) Langzeitwirkungen: Stammzellen als Vorläufer von Tumoren? Kosten der Stammzelltherapie Geschichte Vier Vier: TeGenero Ethische Fragen Was sagt das Tierexperiment über den Menschen aus? Sind Katastrophen prinzipiell zu verhindern? Kranke oder Gesunde in der Phase I? Was lernt man aus Rückschlägen? Wieviel Tiere für menschliche Sicherheit? Geschichte Fünf Fünf: Herceptin und (Lapatinib) Der Herceptin-Rezeptor Behandlung mit Trastuzumab Lapatinib: eine Ebene tiefer Ethische Fragen Test auf (wahrscheinliche) Wirksamkeit individuell Seltene Gen-Varianten: wer entwickelt für sie? Ab wann darf verordnet werden („off-label“)? Schlußfolgerungen Chancen liegen prinzipiell in der Zukunft, Risiken manifestieren sich – sofort oder sehr spät Technologiebewertung hinkt immer hinterher – ihre Paradigmen sind aus der Vergangenheit abgeleitet Biomedizinische Forschung und medizinisches Handeln: Ethik, Rationierung, und Geld – der Diskurs muß offen geführt werden Eine Gesellschaft muß bereit sein, manches absolut dem Zugriff der Wissenschaft zu entziehen