Grundkonzepte und Paradigmen der Geographie 290246 VO © Peter Weichhart 2 Std., 3 ECTS-Punkte Mittwoch 16:30 – 18:15, HS II (NIG), 29.01; 29.02; 29.05; 29.06; (B11-3.4) (B07-1.2) (L2-b1) (D3, nur für Studierende, die diese Lehrveranstaltung nicht schon im Diplomstudium absolviert haben) Modul 03/02 Die „Revolution“ am Kieler Geographentag 1969 SS2014 GKPD/03/02/01 Die „Vorboten“ der Revolution • Hinweise auf eine Krise der „Einheitsgeographie“ „Der Zerfall der geographischen Geamtwissenschaft ist nicht mehr aufzuhalten, überall kracht es in ihrem Gebäude und keine Stützen werden das Zusammenbrechen hindern können.“ A. RÜHL, 1933 (!), S. 32 • Kritik am Landschaftskonzept • Krise der Länderkunde GKPD/03/02/02 Der Kieler Geographentag • Fundamentale öffentliche Kritik an der Gesamtkonzeption der klassischen Geographie; • „Agitatoren“: junge Dozenten mit soliden Kenntnissen der neueren Wissenschaftstheorie und kritische StudentInnen; • Wohlbegründete Vorschläge für eine Neukonzeption des Faches, Kiel als Symbol eines Umbruchs. GKPD/03/02/03 „Schlüsselpublikationen“ der Revolution D. BARTELS, 1968, Zur wissenschaftstheoretischen Grundlegung einer Geographie des Menschen; G. HARD, 1970, Die „Landschaft“ der Sprache und die „Landschaft“ der Geographen. Semantische und forschungslogische Studien zu einigen zentralen Denkfiguren in der deutschen geographischen Literatur. GKPD/03/02/04 Aufgabe 2: Lektüre und Exzerpt (Prüfungsstoff): Bestandsaufnahme zur Situation der deutschen Schul- und Hochschulgeographie. Von den Fachschaften der Geographischen Institute der Bundesrepublik Deutschlands und Berlins (West). – In: R. STEWIG, Hrsg., Probleme der Länderkunde. – Darmstadt, 1979, (= Wege der Forschung, Band 391), S. 157-185. GKPD/03/02/04b Die Logik des Landschaftsbegriffs „Nach dem Anteil des Menschen unterscheidet man allgemein Naturlandschaft und Kulturlandschaft, wobei zu beachten ist, dass zu einer Kulturlandschaft außer den natürlichen Bestandteilen nicht nur die Einrichtungen der wirtschaftlichen Kultur gehören ... sondern auch der Niederschlag und die Einflüsse der geistigen Verfassung ihrer Bewohner...“ C. TROLL, 1950, S. 164 (Hervorhebung P. W.) GKPD/03/02/05 Die Logik des Landschaftsbegriffs „Bei der Zusammenschau natur- und kulturlandschaftlicher Merkmale zu den komplexen Gebilden der Kulturlandschaft ...“ C. TROLL, 1950, S. 174 (Hervorhebung P. W.) GKPD/03/02/06 Die „Logik“ des Landschaftsbegriffs Kulturlandschaft I n t e g r a t i o n ? Naturlandschaft Kulturlandschaft Integration Integration Physische Geofaktoren, „Natur“ Kulturelle Geofaktoren, „Kultur“ „Kulturlandschaft“ = „Kulturlandschaft“ GKPD/03/02/07 Die „Landschaft“ der Alltagssprache „Landschaft1“ = „Gegend“, „Ansicht“, „Panorama“ „Landschaft2“ = „Areal“, „Bezirk“, „Gebiet“ „Landschaft3“ = künstlerisches Abbild der Landschaft1 GKPD/03/02/08 Die „Landschaft“ der Geographen 1Landschaft ~ Systemzusammenhang der Geofaktoren in einem bestimmten Bereich der Geosphäre 2Landschaft ~ Verbreitungsgebiet, Bereich der Dominanz eines bestimmten Phänomens („Hauslandschaft“, „Moränenlandschaft“) GKPD/03/02/09 Funktionen sprachlicher Ausdrücke • lexikalischer Aspekt (Semantik): Denotation, Konnotation • syntaktischer Aspekt: Verknüpfungsregeln • pragmatischer Aspekt: soziale Bedeutsamkeit des Sprechaktes (wer spricht zu welchem Zweck mit wem?) GKPD/03/02/10 „Hypostasierung“ oder „Reifikation“ ... bedeutet wörtlich etwa „Vergegenständlichung“, Verdinglichung eines bloß in Gedanken existierenden Begriffs, Substanzialisierung von Beziehungen. Beziehungen, Interaktionen und Relationen werden „... in ontologisierender Manier für gegenständliche Objekte gehalten.“ B. WERLEN, 1993, S. 42 GKPD/03/02/11 Der Reifikationsprozess ONTOLOGISIERUNG Reflexionen über „Landschaft“ „Landschaft“ als Begriff der Umgangssprache zur „abgeauf der Ebene der Metasprache kürzten“ Benennung der Relationen Beschreibbar auf der Ebene der Objektsprache Von der „Idee“ der Landschaft zum „Ding“ Relationen zwischen Phänomenen der Erdoberfläche LANDSCHAFT GKPD/03/02/12 Konsequenzen und Grundlagen der Hypostasierung • „Allanspruch“ der Landschaftsmethodologie („Totalcharakter“, „Totalbetrachtung“) • Holismus und Organismus-Metaphern • Affinität der klassischen Geographie zum Idealismus GKPD/03/02/13 Auf dem Weg zur Dekonstruktion der Realobjekte I „Es kommt aber für eine Wissenschaft gar nicht so sehr darauf an, dass sie ein ihr allein eigenes Gegenstandsgebiet hat, als dass sie ihr eigenes Forschungsziel hat, ihren besonderen Gesichtspunkt, unter dem sie die Objekte betrachtet, auch wenn sie ihr mit anderen Wissenschaften gemeinsam sind.“ V. KRAFT, 1929, S. 7 GKPD/03/02/14 Auf dem Weg zur Dekonstruktion der Realobjekte II „Als ein wesentliches Erkenntnisziel der Geographie kann man die jeweils örtliche, regionale und kontinentale Ausprägung des Bedeutungs- und Wirkungszusammenhangs der Geofaktoren ansehen.“ W. GERLING, 1965, S. 20 GKPD/03/02/15 Auf dem Weg zur Dekonstruktion der Realobjekte III „Keine Wissenschaft wird also durch einen monopolistischen Anspruch auf bestimmte ,Objekte‘, ,Objektbereiche‘ oder durch ,eigene Methoden‘ ,gerechtfertigt‘, sondern durch das Vorhandensein einer Klasse von logisch und arbeitsökonomisch mehr oder weniger zusammengehöriger Fragestellungen und entsprechender Lösungsansätze.“ G. HARD, 1970, S. 178 GKPD/03/02/16 Wie lassen sich Erkenntnisobjekte begründen? Das anthropologische (pragmatische) Obligat der Erkenntnis: „Erkenntnis ist für den Menschen und er selbst ist ihr Schöpfer, sowie der ihrer Methoden. Die sich dadurch ergebende Abhängigkeit der Erkenntnis, ihrer Methoden und Voraussetzungen vom Menschen selbst soll ... als pragmatische Abhängigkeit verstanden werden.“ W. LEINFELLNER, 1967, S. 14 GKPD/03/02/17 Folgerung aus dem pragmatischen Obligat Die Erkenntnisobjekte von Wissenschaften sind pragmatische Festsetzungen. Sie können nicht durch den Verweis auf Gegebenheiten der Realität begründet werden. GKPD/03/02/18 Die wichtigsten Konstitutionsbedingungen von Erkenntnisobjekten • subjektive Erkenntnisinteressen von Forscherpersönlichkeiten; • der „Konsens der Fachgelehrten“; • allgemeine gesellschaftliche Interessenlagen. GKPD/03/02/19 Das Obligat der sprachlichbegrifflichen Repräsentation „Erst wenn das Ergebnis des Erkenntnisprozesses in zusammenhängender begrifflichsprachlicher Form (,Sprache‘ ... im weitesten Sinn verstanden) vorliegt, kann man es sinnvoll an Hand operativer und operationaler Kriterien überprüfen.“ W. LEINFELLNER, 1967, S. 15 GKPD/03/02/20 Das Prozessobligat der wissenschaftlichen Erkenntnis Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht in einem fortwährenden Prozess von Wahrnehmung, begrifflicher Darstellung und theoretischer Deutung. Die Theorie wird an der Empirie erprobt, was zu neuen Wahrnehmungen und Begriffen führt. Dies gibt Anlass für neue theoretische Ansätze etc. GKPD/03/02/21 Das spieltheoretische Obligat der Erkenntnis Es kann kein für alle Zeiten gültiges und absolut sicheres Wissen geben. „Das im Spiel um die Erkenntnis errungene Wissen ist ... nur ein jeweils Optimales, und dasselbe gilt für die Methoden und Kriterien des theoretischen Wissens.“ W. LEINFELLNER, 1967, S. 17 GKPD/03/02/22 Die Kieler Wende: Von den Landschaften und Ländern zur „raumanalytischen“ Geographie des „spatial approach“ Grundlage: die „Philosophy of Science“ Ziel: Modernisierung des Faches, Umbau zu einer quantitativ ausgerichteten raumanalytischen Disziplin. GKPD/03/02/23 Die „quantitative“ Revolution Quelle: L. CURRY, 1967, S. 266. GKPD/03/02/24