Die Weltwirtschaftskrise Ursachen und Auswirkungen Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 1 Gliederung • Ursachen: – Wirtschaftsschwäche – Bevölkerungsentwicklung – Internationale Finanzverflechtung • Die Krise: – Bankenkrise – Produktionskrise – Soziale Krise • Folgen: – Wirtschaftsnationalismus – Übergang zu autoritären Regimes Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 2 Literatur • Charles H. Feinstein/Peter Temin/Gianni Toniolo: The European Economy between the Wars, Oxford: University Press 1997, 103-145. • Richard Tilly/Norbert Huck: Die deutsche Wirtschaft in der Krise 1925 bis 1934. Ein makroökonomischer Ansatz, in: Christoph Buchheim/Michael Hutter/Harold James (Hg.): Zerrissene Zwischenkriegszeit. Wirtschaftshistorische Beiträge Knut Borchardt zum 65. Geburtstag, Baden-Baden: Nomos 1994, 45-96. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 3 1. Ursachen Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 4 Historisches Umfeld • Eine große Depression erstmals nach dem Übergang von Agrar- zu Industriegesellschaften in den Kernländern Europas und Amerikas. • Besonders schwer unter den Bedingungen – – – – Wirtschaftlicher Stagnation, Bevölkerungswachstums, unentwickelter sozialer Sicherungssysteme. Starker internationaler Kapitalverflechtung. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 5 Ursache Wirtschaftsschwäche • In den meisten am Krieg beteiligten Ländern hatte sich die Wirtschaft nur langsam erholt. In den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie – außer der Tschechoslowakei – ging die Nachkriegskrise faktisch in die Weltwirtschaftskrise über. • Der europäische Export erlangte seine Vorkriegsbedeutung nicht zurück, der Anteil am Welthandel sank. • Der Weltwirtschaftskrise ging eine Agrarkrise voraus, die im östlichen Europa zu einer Verelendung der Landbevölkerung führte. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 6 Schrumpfender Anteil am Welthandel 60 50 47,9 40,9 40 30 25,3 21,8 20 8,3 10 4,6 0 West- u. Mitteleuropa Großbritannien u. Irland 1913 Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 1928 Süd- u. Osteuropa Quelle: Wirtsch. u. Sozialgesch. Europas, 6/152 7 Bevölkerungswachstum • In den zwanziger Jahren glich das Bevölkerungswachstum nicht nur die Kriegsverluste aus, sondern nahm um rund 40 Millionen zu. • Besonders rasch wuchs die Bevölkerung der ost- und südosteuropäischen Agrarländer. • Infolge der Stagnation in den westeuropäischen Industrieländern und der Einwanderungsbeschränkungen in den USA bot die Auswanderung kaum ein Ventil. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 8 Bevölkerung in Millionen 250 207 200 150 145 147 222 198 161 116 115 121 100 50 0 Nord- u. Westeuropa Mittel- u. Südeuropa 1914 Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 1919 Ost- u. Südosteuropa 1929 9 Soziale Sicherungssysteme • Die sozialen Sicherungssysteme waren vor allem in den Agrarländern noch unentwickelt. • Um 1930 waren selbst in West- und Mitteleuropa nur die Hälfte der Erwerbstätigen durch Unfall-, Kranken- und Rentenversicherung erfasst. • Die erst in den zwanziger Jahren aufgebaute Arbeitslosenversicherung erfasste nur in Großbritannien, Deutschland und Österreich mehr als ein Drittel der Erwerbstätigen. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 10 Finanzverflechtung Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 11 2. Die Krise Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 12 Boom und Crash in den USA • Das Spekulationsfieber in den USA, wo in den Roaring Twenties Aktien massenhaft auf Kredit gekauft wurden, bricht im Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse am 25. Oktober 1929 zusammen. • Das löst den Rückstrom des Kapitals aus den europäischen Schuldnerländern aus und verringert die USA-Importe aus Europa drastisch. • Der Schwarze Freitag trifft in Europa auf bereits sinkende Börsenkurse. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 13 Börsenkurse (Jahresdurchschnitt) 250 200 150 Berlin New York 100 50 0 1927 1928 1929 1930 Quelle: Hagen Schulze: Weimar, S. 43. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 1931 14 Bankenkrise • Die Bankenkrise 1931(Österreich - Deutschland England) führt zur internationalen Finanzkrise. • Betroffen sind außer Österreich und Deutschland vor allem die Nachfolgestaaten, während die französischen und die skandinavischen Banken ihre Geschäftstätigkeit fortführen. • Nur verordnete Bankfeiertage, die staatliche Übernahme von Kreditinstituten, Devisenbewirtschaftung und Reglementierung des Außenhandels verhindern den Zusammenbruch des Kreditsystems. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 15 Produktionskrise • Die Krise des Kreditsystems führt zu einer anschwellenden Welle von Bankrotten und bringt die Investitionen zum Erliegen. • Die Produktionskrise ist eine Industriekrise und betrifft vor allem das industrielle Kontinentaleuropa. • Der Produktionsrückgang wird für ganz Europa auf zehn Prozent geschätzt. Die Produktivität von 1929 wird erst 1935 wieder erreicht. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 16 Größter Rückgang in der Weltwirtschaftskrise 0 Italien -22,2 -22,7 Schweden Dänemark Frankreich Belgien -15 Großbritannien -10 Deutschland -5 -20 -25 -27,1 -30 -21,4 -25,6 -32,4 -35 -40 -45 -40,8 BIP Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise Industrieproduktion 17 3. Folgen Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 18 Soziale Folgen • Die Produktionskrise führt zur massenhaften Arbeitslosigkeit im industriellen Europa von einem Fünftel bis zu einem Drittel der Beschäftigten. • Die Massenarbeitslosigkeit und das Massenelend erreichten bisher unbekannte Ausmaße. • Betroffen sind neben Industriearbeitern auch die Angestellten in Handel und Privatwirtschaft und das Handwerk. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 19 Arbeitslose in Hannover 1930 Fotograf: Walter Ballhause (DHM, Inventar-Nr.: Negativ 92/2700-41) Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 20 Die Marienthalstudie • Wiener Sozialforscher (M. Jahoda, P. F. Lazarsfeld, H. Zeisel) unternahmen 1932 eine klassisch gewordene Studie über das Textilarbeiterdorf Marienthal, das zum Arbeitslosendorf geworden war. • Dreizehn Ausgaben in zehn Ländern in sieben Sprachen. Marie Jahoda-Lazarsfeld 1907-2001 Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise •http://www.sozpsy.uni-hannover.de/marienthal/index.html (http://www.sozpsy.unihannover.de/marienthal/ton/sondergeld.asf) 21 Lethargie 1. Mai 1922 in Marienthal Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise Endlose Tage 1932 22 Gegensteuerung • Die Regierungen beginnen auf dem Höhepunkt der Krise Konjunkturmaßnahmen (Zinssenkungen, Subventionen, Arbeitsmarktpolitik) einzusetzen. • In Deutschland verbaut das Trauma der Inflation und die politische Instabilität solchen Weg. Die Regierung Brüning betreibt viel zu lange eine harte deflationistische Politik. • Historiker machten diese Politik für die Verschärfung der Krise und damit für die Machtergreifung der Hitlers verantwortlich. • Knut Borchardt kritisiert dies als rückwärts gewandten Problemlösungsoptimismus. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 23 Wirtschaftsnationalismus • Die europäischen Staaten reagierten auf den Rückgang von Handel und Produktion mit Nationalismus. • Hochzollpolitik bis 60% des Warenwertes auf die Einfuhren. • Kontingentierung der Einfuhren und Exportsubventionierung. • Das Prinzip beggar your neighbour schädigt den innereuropäischen Handel schwer: Der Wert der Ausfuhren war im Ergebnis der Krise in nahezu allen Ländern mindestens halbiert. • Im Innern entlädt sich aggressiver Antisemitismus. Die Juden dienen als Sündenböcke für die große Weltwirtschaftskrise. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 24 Politische Destabilisierung • Die soziale Krise zieht die politische Destabilisierung nach sich. • In Deutschland bekommt die bis dahin unbedeutende NSDAP in den Reichstagswahlen 18% (Sept. 1930) und schließlich 37% (Juli 1932). Das löst eine Flucht ausländischen Kapitals aus. • Nur noch in 11 von 29 Staaten behaupten sich parlamentarische Demokratien. Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 25 Zerfall der Demokratien Demokratien Sozial. Diktatur Autoritäre Regimes Faschistische Regimes Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 26 Republik zwischen rechts und links Helga Schultz: Weltwirtschaftskrise 27