Zwischenkriegszeit

Werbung
Die Goldenen Zwanziger oder
Das Ende des Laissez faire
Europa zwischen Inflation und
Weltwirtschaftskrise
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
1
Literatur
• Stephen N. Broadberry/ Albrecht O. Ritschl: The Iron
Twenties: Real Wages, Productivity and the lack of
Prosperity in Britain and Germany before the Great
Depression, in: Christoph Buchheim/ Michael Hutter/
Harold James (Hrsg.): Zerrissene Zwischenkriegszeit.
Wirtschaftshistorische Beiträge Knut Borchardt zum 65.
Geburtstag, Baden-Baden. Nomos, 1984, S. 15-43.
• E. A. Radice: General Characteristics of the region
between the Wars, in: M. C. Kaser/ E. A. Radice (eds.):
The Economic History of Eastern Europe 1919-1975,
Vol. 1: Economic Structure and Performance between
the two Wars, Oxford: Clarendon Press, 1985, S. 23-65.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
2
Gliederung
1.
2.
3.
4.
Die Rückkehr zur Normalität
Das Elend der Peripherie
Sozialpolitik
Modernisierung - Neue Industrien
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
3
1. Rückkehr zur Normalität
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
4
Laissez faire
• Die Glaubensregeln der klassischen und
neoklassischen Wirtschaftspolitik werden
in den zwanziger Jahren Staatspolitik:
– Keine Eingriffe des Staates in die Wirtschaft,
Abbau der kriegswirtschaftlichen Regulierung;
– ausgeglichener Staatshaushalt;
– niedrige Steuern.
– Geldwertstabilität.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
5
Goldstandard
• Der Goldstandard war das Siegel der
Wiederherstellung von Sicherheit, Stabilität
und Wohlstand der Vorkriegszeit.
• Dieses Ziel sollte durch eine harte
deflationistische Politik erreicht werden.
Schädigt Export und Arbeitsmarkt.
• Vor allem Großbritannien wollte auf diesem
Wege das Pfund Sterling als internationale
Leitwährung und London als Finanzplatz
der Welt restaurieren.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
6
Wiederaufbau in den alten Formen
• Die verfehlte „Rückkehr zur Normalität“ bedeutete
auch eine Konzentration auf die alten Industrien
von Kohle und Stahl.
• Die wissensintensive Chemie- und
Elektroindustrie steht dagegen zurück.
• Die Beschneidung der deutschen Kohle- und
Stahlressourcen durch den Friedensvertrag
erzwingt eine andere, zukunftsträchtigere
Gewichtung.
• Europa fällt in seiner Innovationskraft und in der
Produktivität hinter die USA zurück.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
7
Jährliches Wachstum 1913-1929
(Broadberry/ Ritschl 1985, S. 29)
Großbritannien Deutschland
USA
Arbeitsproduktivität
1,4
1,3
2,2
Kapital pro Arbeiter
0,9
0,9
3,0
TotalFaktorproduktivität
1,1
1,0
1,7
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
8
Langsames Wachstum
• Die Normalisierungspolitik im Zeichen des
Laissez faire hat negative Folgen für Wachstum
und Wohlstand.
– Die Politik des harten Geldes beschränkt den Export
und die Staatsinvestitionen.
– Die Wirtschaft verliert an Dynamik und die
Arbeitslosigkeit wächst.
– Der Binnenmarkt wird weiter eingeengt.
• John Maynard Keynes fordert deshalb schon
1926 das Ende des Laissez faire zugunsten einer
staatlich moderierten Gemeinwirtschaft.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
9
Wachstum oder Stagnation
(Quelle: Maddison, 1995, 180-183.)
Land
Wachstum BIP 1913-1929 Im Weltkrieg
Österreich
0,3
Verlierer
Großbritannien
0,7
Sieger
Deutschland
1,2
Verlierer
Belgien
1,4
Sieger
Italien
1,7
Sieger
Frankreich
1,9
Sieger
Finnland
2,4
Neutral
Dänemark
2,7
Neutral
Schweiz
2,8
Neutral
Norwegen
2,9
Neutral
Niederlande
3,6
Neutral
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
10
2. Das Elend der Peripherie
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
11
Zerrissenes Ostmitteleuropa
• Die Wirtschaftsräume der neuen Staaten
Ostmitteleuropas waren neu zu formieren, weg
von der bisherigen Ausrichtung auf Zentren der
Reiche, hin zu den eigenen Zentren in neuen
Grenzen.
• Zollkriege (Polen-Deutschland) und der Abbruch
des Handels mit Sowjetrussland schwächen
jedoch die neuen Volkswirtschaften.
• Eine Integration des mitteleuropäischen
Raumes in Zollunion und Handelsabkommen
gelingt nicht.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
12
Nationalisierung
• Die Pariser Friedensverträge forderten die
Überführung des Eigentums der besiegten
Mittelmächte Deutschland, Österreich und
Ungarn und ihrer Bürger.
• Das staatliche Eigentum einschließlich des
Eigentums von Kommunen und öffentlichen
Körperschaften außerhalb der neuen Grenzen
wird Eigentum der neuen Staaten
Ostmitteleuropas.
• Begrenzte Nationalisierungen erfolgen im Zuge
der Landreform und des Abzugs der Optanten.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
13
Nostrifizierung
• Eigentumsumschichtung erfolgt auch durch die
Nostrifizierung der privaten Unternehmen:
– Verlegung des Hauptsitzes in die neuen Staaten
– Besetzung der Vorstände und Aufsichtsräte mit
eigenen Staatsangehörigen.
• Die Bestimmungen werden vielfach durch den
einfachen Wechsel der Staatsbürgerschaft und
die formelle Aufnahme Einheimischer
(Frühstücksdirektoren) umgangen.
• Die Konzentration des Eigentums in nationaler
Hand bleibt ungenügend.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
14
Ausnahme Tschechoslowakei
• In der Tschechoslowakei stärkte die
Nostrifizierung von Banken und
Industrieunternehmen das tschechische
Unternehmertum.
• Unternehmen wie die Bata-Schuhfabriken
und die Škoda-Automobilwerke
expandierten international über
Ostmitteleuropa hinaus.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
15
Beispiel Polen
• Das Fehlen eines ökonomisch potenten
einheimischen Unternehmertums blieb das
Hauptproblem Polens.
• Der wichtigste Investor blieb der Staat:
– Der Hafen Gdingen gebaut seit 1922 gegen Danzig,
nimmt bald fast den gesamten polnische See-Export
auf.
– Die Kohlenmagistrale (Eisenbahnlinie) von
Oberschlesien nach Gdingen.
– Seit 1934 Bau des Zentralen Industriereviers (COP)
zwischen Weichsel, San und Bug.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
16
Landreform
• Die Landreform ist in Osteuropa ein
erstrangiges Mittel zur Abwehr der Revolution
und zur Entmachtung fremdethnischer Eliten.
• Sie schafft Zwergwirtschaften mit geringer
Ausstattung und Produktivität – außer im
Baltikum, wo die Relation von Land und
Menschen zu mittelbäuerliche Strukturen führt.
• Die Subsistenzwirtschaft schwächt traditionellen
Agrarexport und Binnenmarkt und so Wirtschaft
und Staat als Ganzes.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
17
Urbanisierung und
Alphabetisierung
• Der starke Bevölkerungszuwachs wird
mangels Alternativen auf dem Lande
festgehalten und verstärkt die Überfüllung
und Verarmung des Dorfes.
• Die Alphabetisierung bleibt angesichts der
ländlichen Siedlungsstruktur und der
beschränkten Mittel des Staates hinter
den Erwartungen zurück.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
18
Der Rückstand bleibt
• Die nachholende Modernisierung der
europäischen Peripherie macht nur
geringe Fortschritte, da
außenwirtschaftliche Integration und
Massenwohlstand stagnieren.
• Einzig die Tschechoslowakei kann den
historischen Industrialisierungsvorsprung
Böhmens zu einem begrenzten
Wirtschaftsaufschwung nutzen.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
19
3. Sozialpolitik
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
20
Soziale Instabilität
• Soziale Kämpfe werden durch
bewaffneten Einsatz der Staatsgewalt
niedergeschlagen.
• Beispiele:
– Polen: Generalstreik 1923 und Streikwelle
1924 bei mehr als 30% arbeitslosen
Industriearbeitern;
– Großbritannien: großer Streik der
Bergarbeiter und Generalstreik 1926 gegen
Lohnsenkung und Arbeitszeitverlängerung.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
21
Gewerkschaft
• Der Generalstreik in
Großbritannien 1926
scheiterte auch an
der Uneinigkeit von
Gewerkschaften und
Labour Party.
• 1927 wird das
Streikrecht gesetzlich
eingeschränkt.
Sympathiestreiks
werden verboten.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
22
Sozialpolitik
• Streiks und soziale Unruhen erzwingen in vielen
europäischen Ländern Verbesserungen:
–
–
–
–
Achtstundentag
Langsam steigende Reallöhne
Sozialversicherung
Sozialer Wohnungsbau.
• In Deutschland und Österreich etabliert sich der
Staat als Schiedsrichter zwischen
Gewerkschaften und Unternehmerverbänden.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
23
Wohnungsbau im Roten Wien
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
24
Borchardt-Kontroverse
• Knut Borchardt löste 1979 mit seiner These über
die Ursachen des besonders tiefen Sturzes
Deutschlands in der Weltwirtschaftskrise eine
lange und fruchtbare Kontroverse aus.
• Er sah eine Hauptursache in der
Hochlohnpolitik, denn Eliten und Regierung
seien durch den verlorenen Krieg und die
Revolution geschwächt gewesen.
– Da der Unternehmeranteil am BIP zu gering gewesen
sei, blieben die Investitionen schwach.
– Schon die Konjunktur der zwanziger Jahre glich
daher mehr einer Stagnation.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
25
Ging es den deutschen Arbeitern
zu gut?
• Die Forschung sieht heute die
Reallohnentwicklung jener Zeit im Einklang mit
der Produktivitätsentwicklung.
• Die deutschen Sozialausgaben waren allerdings
im europäischen Vergleich hoch.
• Kapitalmangel und Stagnation der Wirtschaft
(gewinnlose Prosperität) sind eher durch die
schwache Binnennachfrage und die
Reparationen (Ritschl 2002) erklärt.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
26
Sozialausgaben
(Quelle: Handbuch Wirtsch. u. Sozialgesch. Europas 6, 217.)
9
8
7,8
7
Prozent vom BIP
6
4,6
5
4,4
4
2,6
3
1,5
2
1,1
1
0
D
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
GB
AU
DK
NL
S
27
4. Modernisierung
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
28
Elektrifizierung
• Elektrifizierung von Industrie, Landwirtschaft und
Haushalten.
• Die Elektrifizierung wird auch in Osteuropa zum
Motor nachholender Industrialisierung. Lenin:
Kommunismus, das ist Sowjetmacht plus
Elektrifizierung.
• Aber gerade in Sowjetrussland vereiteln die
hohen sozialen und kulturellen Kosten der
Revolution (Bürgerkrieg und Intervention) den
Erfolg.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
29
G
ec
ro D
ho
Sc
Fr ßb eu
ie
d
an rit ts
U er Sp slow P Ud hw
kr an ch
I
ng la an
t
e
S
a
o
a
ar nd ie ke le SR de lie eic nie lan
n
h
n
n e n
n d
i n
N
Ts
ch
• Handbuch
Europ.
Wirtsch. u.
Sozialgesch.
, 6/120
Mrd. kWh
ElektrizitätsErzeugung Jährlich
()
0
5
10
1915/19
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
15
20
25
1920/29
30
Modernisierung trotz Stagnation
• Mobilität und Kommunikation als
Merkmale neuer Massenkultur:
– Auto,
– Film,
– Radio.
• Diese Neuerungen sind die Zeichen einer
neuen, nun positiv besetzten
großstädtischen Lebensweise und
prägen die Wahrnehmung der „Roaring
Twenties“.
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
31
Kraftfahrzeugproduktion 1925-29
(in Tausend jährlich)
250
207
206
200
150
100
90
58
50
9
0
F
GB
D
I
CZ
Zum Vergleich: USA 2.000.000 (Cipolla/Borchardt, 466.)
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
32
Roaring Twenties im Plakat
Quelle: DHM
Helga Schultz:
Zwischenkriegszeit
33
Herunterladen