Vorlesung Finanzmathematik und Risikomanagement Jörg Lemm WS 2008/9 Themen der Vorlesung • Finanzmathematische Themen Marktrisiko: Marktrisikomessung, Portfoliooptimierung, Derivate Kreditrisiko: Kreditrisikomessung, Kreditportfoliooptimierung, Kreditderivate • Statistische Methoden Statistik / Statistische Mechanik Aktienkurse / Diffusion Parametrisierung von Modellen / inverse Probleme Basel, die Banken und die Physiker Basler Ausschuss der G10 Länder zur Bankenaufsicht erarbeitet Richtlinien zur Eigenkapitalunterlegung von Bankrisiken 1988 Basel I, Vorschriften zur (pauschalen) Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken 1996 Erweiterung auf Marktrisiko (Physiker als Entwickler interner Marktrisikomodelle) 1999 Basel II, erstes Konsultationspapier zum Kreditrisiko (Physiker als Entwickler von Methoden der Kreditrisikomessung – und -steuerung) 2007 Finanzmarktkrise 2008 Inkrafttreten Solvabilitätsverordnung (Basel II) Stichworte zur Finanzmarktkrise • Volkswirtschaftliche Gründe: Niedrigzinspolitik (Wirtschaftswachstum, Leistungsbilanz, Vermögensinflation: Aktien, Immobilien, Kreditkartenforderungen) • Finanzmathematische Innovationen: Kreditderivate und Verbriefungen (teils schwer verstehbar, falsche Anreizstrukturen) • Aufsicht (unzureichende Kontrolle der Banken und Ratingagenturen) Risikomanagement 1. Bestimmen/Messen/Modellieren von Gewinn/Verlust-Verteilungen ? 2. Reduzieren von Risiko / Gestalten von Risikoprofilen ? Marktrisiko • Einzelkurse: Probabilistische Modelle • Portfolio: Risikominimierung • Hedging: Geht es ohne Risiko? DAX 9.000,00 8.000,00 7.000,00 6.000,00 5.000,00 DAX 5% 4.000,00 3.000,00 2.000,00 1.000,00 0,00 27.11.1993 23.08.1996 20.05.1999 13.02.2002 Royal Dutch Petroleum Company 70 60 50 40 Royal Dutch 30 10% 20 10 0 20.03.1980 15.12.1982 10.09.1985 06.06.1988 03.03.1991 27.11.1993 23.08.1996 20.05.1999 13.02.2002 Brown´sche Bewegung 2 Unabhängige, normalverteilte Zuwächse t mit Varianz t mit (bei kleinen Zeiten) Mittelwert 0 yt yt 1 t also yt yt 1 t (Bachelier 1900, Einstein 1905) Markteffizienz (Fama 1970, U. of Chicago) Beispiel Brown‘sche Bewegung Autokorrelation S&P 500 Normierte Autokorrelation Minuten Aus Bouchaud, Potters, Theory of Financial Risks Geometrische Brown´sche Bewegung ist eine Brown´sche Bewegung bezogen auf logarithmische Preise, mit normalverteilten Renditen (relative Preisänderungen) rt ln yt ln yt 1 yt yt yt 1 ln yt 1 yt 1 mit rt t also yt yt 1e rt Beispiel geometrische Brown‘sche Bewegung ARCH-Prozesse A(uto)R(egressive) C(onditional) H(eteroscedasticity) Wie eine (geometrische) Brown´sche Bewegung, aber mit einer veränderlichen Varianz, abhängig von (einem `moving average´ der) vergangenen quadrierten Änderungen. ARCH(p) : t2 a0 a1 t21 a p t2 p Beispiel ARCH-Prozess Kursvorhersage: Probleme • Schwankungen sind besser vorhersagbar als Renditen • Langfristige systematische Vorhersagemöglichkeiten erlauben Arbitrage (risikolose Gewinne) und sind daher in größerem Umfang nicht zu erwarten • Es gibt keine notwendige kurzfristige Kopplung an den Fundamentalwert. Positive Rückkopplungen führen zu Spekulationsblasen (Bsp.: Stop loss orders, Behavioral Finance, Kahnemann & Tversky) • Nutzen von Expertenwissen ( Bayes‘sche Methoden) empirisch schwer überprüfbar 90 80 70 Shell 60 Royal Dutch 50 40 30 09.07.1997 21.11.1998 04.04.2000 17.08.2001 30.12.2002 70 65 60 55 Shell 50 Royal Dutch 45 40 35 30 09.07.1997 21.11.1998 04.04.2000 17.08.2001 30.12.2002 Bsp.: LTCM (Long-Term Capital Management; Merton, Scholes) 1998 Marktrisiko • Einzelkurse: Probabilistische Modelle • Portfolio: Risikominimierung • Hedging: Geht es ohne Risiko? Grundlagen Portfolio-Optimierung 1 1 0,5 0 -1 0 Eine Münze 2 Münzen 0 2 Münzen 1 2 Münzen 1 Problemstellung Portfolio-Optimierung Portfoliozusammensetzung: w1 (relativer) Anteil von Aktie 1 w2 (relativer) Anteil von Aktie 2 w3 (relativer) Anteil von Aktie 3 ... Problemstellung: Finde für vorgegebene Gewinnerwartung die Portfoliozusammensetzung mit minimalem Risiko (Varianz) (Physiker als Fonds- bzw. Portfoliomanager) Markowitz 1952, Nobelpreis 1990 Portfolio-Optimierung Ein Portfolio aus Aktien mit erwartetem Gewinn mi Varianz-Kovarianzmatrix Cij , und (relativen) Anteil wi hat die Portfoliovarianz P2 wi Cij w j ij Bei fixiertem Gesamterwartungswert (und fixierten auf 1 normierten Einstandspreis) soll die Unsicherheit (hier: Varianz) minimiert werden Arg min w wi Cij w j wi mi wi i i ij unter den Nebenbedingungen w i i Korrelierte Wertpapiere 1 und w m i i mP i Portfolio-Optimierung Portfolio-Optimierung: Probleme • Die Zahl der Einträge in einer Korrelationsmatrix wächst quadratisch mit der Zahl der Komponenten • historische Daten zeigen starkes Rauschen (Filtern mit Random Matrix Methoden) • historische Werte sind nur von bedingtem Nutzen A-Priori Informationen müssen mit einfließen (Bayes‘sche Methoden) • Andere Risikomaße (z.B. VaR) und Nicht-Gauß‘sche Verteilungen (Monte Carlo) • Viele verschiedene Nebenbedingungen möglich (teilweise Zusammenhang mit Spingläsern, dann viele Minima) • Optimale Portfolios sind nicht sehr stabil • Transaktionskosten und fehlende Liquidität Marktrisiko • Einzelkurse: Probabilistische Modelle • Portfolio: Risikominimierung • Hedging: Geht es ohne Risiko? Optionspreisformeln, Black, Scholes, Merton 1973, Merton u. Scholes Nobelpreis 1997 „No-Arbitrage“-Prinzip Perfekt negativ korrelierte Finanzprodukte erlauben die Konstruktion risikoloser Portfolios Beispiel: Komplexe Finanzinstrumente (wie z.B. Optionen) können manchmal durch eine Mischung von (der der Option zugrundeliegenden) Aktien und einer risikolosen Geldanlage nachgebildet werden: Option = a*Aktie + b*Geldkonto (Physiker als Finanzingenieure) Binomialmodell Aktie Binomialmodell 1stufig Binomialmodell Derivate Binomialmodell 2stufig No-Arbitrage Prinzip: Probleme • Kontinuierliches Handeln ohne Transaktionskosten • Restriktive Verteilungsannahmen (log-normale Kurse mit bekannter Zinsrate und Volatilität) • Leerverkäufe erlaubt, Aktien beliebig teilbar • Erweiterungen (z.B. Monte Carlo) sind oft aufwendig und führen nicht immer zu kompletter Risikofreiheit Kreditrisiko • Einzelkredit: Erwarteter Verlust • Portfolio: Unerwarteter Verlust • Pricing: Was kostet Risiko? Deterministischer Zahlungsstrom Z a h l u n g e n Z i n s / T i l g u n g i m 1 t e n J a h rZ i n s / T i l g u n g i m 2 t e n J a h rZ i n s / T i l g u n g i m 3 t e n J a h r Z e i t A u s z a h l u n g Z a h l u n g s s t r o m i m V e r t r a g s f a l l Refinanzierung und Barwert Probabilistischer Zahlungsbaum Vertragsfall Ausfall im 3ten Jahr Ausfall im 2ten Jahr Zahlungsbaum unter Berücksichtigung von Ausfallszenarien Ausfall im 1ten Jahr Zu bestimmende Parameter EA D-M odul: Inanspruchnahm e bei Ausfall RATIN G: Ausfallwahrscheinlichkeit im 1ten Jahr PRICING: Benötigte Eingabegrößen LG D-M odul: Erlösquoten von Sicherheiten Inanspruchnahme bei Ausfall Inanspruchnahme Tatsächliche Inanspruchnahme bei Ausfall (EAD) Mittlere Inanspruchnahme bei Ausfall (EAD) Internes Limit Erwartete Inanspruchnahme Zeit Vertragsabschluss Typisches Verhalten Beginnende Probleme Verzugs- EWB verhalten Ausfallwahrscheinlichkeiten durch logistische Regression Die Ausfallwahrscheinlichkeit für gegebenen Scorewert x p( Ausfall | x) p1 ( x) lässt sich analog schreiben als e E1 ( x ) 1 p1 ( x) E0 ( x ) E1 ( x ) 1 e E ( x ) e e Für die „Energiedifferenz“ lassen sich nun verschiedene Ansätze wählen. Ein einfacher linearer Ansatz führt zur logistischen Regression E ( x) a bx Logistische Regression RBF Maximum Likelihood Methode Es werden diejenigen Modellparameter a und b ausgewählt unter denen die Wahrscheinlichkeit der gegebenen Daten p(Daten|Modell) ( = „Likelihood“) maximal wird. Für gegebenen Scorewert x ist die Likelihood für die Ausfallvariable y p( y | x; a, b) p( yi | xi ; a, b) i Für nichtparametrische Verfahren (mit vielen Freiheitsgraden) muss die Maximum Likelihood Methode durch Cross-Validierungstechniken oder Hinzunahme von A-Priori-Informationen (Bayes‘sche Statistik) ergänzt werden. Logistische Regression RBF Kreditrisiko • Einzelkredit: Erwarteter Verlust • Portfolio: Unerwarteter Verlust • Pricing: Was kostet Risiko? Zweistufiges Konjunkturmodell 1 0 0 1 0 1 1 0 Zweistufiges Konjunkturmodell: Ein Kredit 1 90% P Ohne Konjunkturvariable Bei einem Kredit nach Konstruktion kein Unterschied 10% 0 0 1 1 V 90% P Mit Konjunkturvariable 10% 0 0 1 V Zweistufiges Konjunkturmodell: 2 Kredite 1 P Unabhängige Kredite 81% 18% 1% 0 0 kein Ausfall 1 P 81,25% Abhängige Kredite 1 ein Ausfall Doppelausfall Größere Häufigkeit eines Doppelausfalls bei abhängigen Krediten 17,5% 1,25% 0 0 kein Ausfall ein Ausfall 1 Doppelausfall Zweistufiges Konjunkturmodell: 10 Kredite 0,5 P Unabhängige Kredite 5,7% 0 0 0,5 1 Größere Breite der Verteilung bei abhängigen Krediten P Abhängige Kredite 7,0% 0 0 1 Zweistufiges Konjunkturmodell: 100 Kredite 0,15 Verteilung nähert sich (in ihrem Zentrum) einer Normalverteilung P Unabhängige Kredite 0 0 V 1 0,15 Die beiden Konjunkturstufen werden sichtbar P Abhängige Kredite 0 0 V 1 Zweistufiges Konjunkturmodell: 1000 Kredite 0,045 Unabhängige Kredite Spezifisches Risiko verschwindet asymptotisch (Wurzel-n-Gesetz) P 0 0,001 V 0,03 Systematisches Risiko (z.B. Konjunkturrisiko) bleibt, auch asymptotisch nicht diversifizierbar P Abhängige Kredite 0 0 V 1 Mehrstufiges Konjunkturmodell Approximation durch Gammaverteilung 0,015 P 0 0 1 Unsystematisches Risiko verschwindet mit 1 / n ( n Zahl der unabh.Komp.) ( mittl. Ausfallkorr.) Systematisches Risiko proportional zu ( mittl. Standardab w.) Portfoliorisiko (vgl. Markowitz) P 1 1 n Prinzip CreditMetrics Restrisiko In der Praxis verschwindet das Risiko auch für sehr große Banken nicht, da 1 Zahl der Kredite noch nicht groß genug 2 Kreditvolumina sehr unterschiedlich groß (dominierende Einzelkredite, „Klumpenrisiken“ ) 3 Einzelkredite korreliert (systematisches Risiko) Aufsichtliche Unterlegungspflicht mit Eigenkapital Kreditrisiko • Einzelkredit: Erwarteter Verlust • Portfolio: Unerwarteter Verlust • Pricing: Was kostet Risiko? Value at Risk 1 WB Eigenkapital Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit hoher Verluste < 1% 0 Verlust EL erwarteter = erwart. Verlust Verlust Value at VaR Risk = Value at Risk (`Wert am Risiko´) ("Wert am Risiko") hier auf 99%-Niveau hier auf 99%-Niveau = Solvenzniveau ( Basel 99,9%) (=Solvenzniveau) EK: Unterlegung des unerwarteten Verlustes (nach VaR) mit Eigenkapital ( Eigenkapitalkosten) WB: Berücksichtigung des erwarteten Verlustes durch Wertberichtigungen (Standardrisikokosten) (sowie, bei Rechnung in Buchwerten, durch die erwartete Marge) Eigenkapitalkosten: Änderung des VaR durch neuen Kredit 1 Verlustverteilung ohne neuen Kredit Verlustverteilung mit neuem Kredit 0 EL VaR = EK+EL Verzinsung des benötigten Eigenkapitals = Eigenkapitalkosten Pricing Barwert(Vertragsfall) - erwarteter Verlust - Eigenkapitalkosten (Risikoprämie) = Nettoerfolg PricingToy Vielen Dank ! GARCH-Prozesse G(eneralized) A(uto)R(egressive) C(onditional) H(eteroscedasticity) Wie eine (geometrische) Brown´sche Bewegung, aber mit einer veränderlichen Varianz, abhängig von (einem `moving average´ der) vergangenen quadrierten Änderungen sowie der vergangenen Varianz selbst (`autoregressive Komponente´) GARCH(1,1) : Beispiel GARCH-Prozess t2 a0 a1 t21 b1 t21 Wahrscheinlichkeit und Energie Jede Wahrscheinlichkeit(sdichte) läßt sich schreiben als e E ( x) p ( x) Z mit „Energie“ E (x ) E ( x) und „Zustandssumme“ Z dx e Vorteile: 1. Normierung und Nichtnegativität automatisch gewährleistet 2. Normierung braucht nicht in jedem Fall berechnet zu werden 3. Multiplikation von Wahrscheinlichkeiten entspricht Addition von Energien(Integrale) Andere mögliche Nebenbedingungen Keine Leerverkäufe : w Mit Marginkonto : w i 0 i 1 1 ( Spingläser) i 2 w Mit Diversifikationsvorgabe : i D i