ESSENTIAL SLIDE KIT DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Autor: Dr. med. Guido Schwegler, Aarau Supervision: PD Dr. med. Peter Sandor, Baden Zur Verfügung gestellt durch:* Almirall AG Letzte Aktualisierung: 12. August 2011 * Dieses Essential Slide Kit wurde von einem unabhängigen Team von Neurologen erstellt und dient ausschliesslich Informationszwecken. Vorwort Liebe Kolleginnen und Kollegen Insbesondere die „Migränologie“, aber auch die „Kopfschmerzologie“ hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten gravierende Fortschritte im Verständnis der Pathophysiologie und den therapeutischen Möglichkeiten gemacht. Während man bis vor einigen Jahren in der Beurteilung von Kopfschmerzen vorwiegend phänomenologisch vorging, kann man mittlerweile evidenzbasiert therapieren – ganz im Sinne des Namens dieser wertvollen Slide Kit Serie. Diese Fortschritte wurden aufgrund der Ergebnisse moderner bildgebender und elektrophysiologischer Verfahren erreicht, aber auch durch die Untersuchung einer Vielzahl unterschiedlicher Pharmaka und natürlicher Substanzen aus verschiedenen Substanzklassen. So sind heute die therapeutischer Möglichkeiten für die Migräne und andere Kopfschmerzen viel besser als früher. Dies erlaubt es, den gemeinsamen Weg von Ärztin und Patient mit Zuversicht und gutem Vertrauen auf eine bedeutsame Besserung zu gehen. Das vorliegende Slide Kit soll Material für einen Weiterbildungsbeitrag, der auf den neusten Erkenntnissen beruht, zur Verfügung stellen und insbesondere KollegInnen ansprechen, die ihren Schwerpunkt nicht im Bereich der Kopfschmerzen haben…und dies strikt im Geiste der gesamten Diaserie, die den Namen evidentia zu Recht trägt, da sie auf wissenschaftlicher und publizierter Evidenz basiert. Ich hoffe, dass die Slides rege genutzt werden und sowohl den Referenten als auch den Zuhörern Freude bereiten. Mit den besten Wünschen für einen grossen Lehr- und Lernerfolg, PD Dr. med. P. Sandor DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 2 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 3 Gebrauchshinweise Ansichtsoptionen des Slide Kits Folien Bildschirmansicht: Klicken Sie im Menü ‚Ansicht‘ auf ‚Normalansicht‘. Folien und Notizenseiten mit Hintergrundinformationen Bildschirmansicht: Klicken Sie im Menü ‚Ansicht‘ auf ‚Notizenseite‘. DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 4 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 5 1. Definition Migränesyndrom Symptome der Migräne Kopfschmerzsyndrom, charakterisiert durch: Attacken: Dauer 4-72 h Intensität: stark, zunehmend durch körperliche Belastung Charakter: oft hämmernd/ pulsierend, einseitig in 50-60% Begleitsymptome Autonom: Nausea (80%), Emesis (40%) Sonstige: Photophobie (60%), Phonophobie (50%) Funktionelle Einschränkung: Inappetenz, Ruhebedürftigkeit [http://ihs-classification.org/de] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 6 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 7 2. Epidemiologie Epidemiologie Ein-Jahres-Prävalenz 11% Männer: 6% Frauen: 15-18% [Stovner et al., 2007] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 8 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 9 3. Klassifikation Primäre Kopfschmerzen Definition: Kopfschmerzsyndrome, die zwar eine organische Ursache haben, bei denen sich aber in aller Regel keine strukturelle Läsion nachweisen lässt. Häufigkeit: Spannungstypkopfschmerzen > Migräne >>> andere primäre Kopfschmerzsyndrome Globale Häufigkeit von Kopfweh in der erwachsenen Bevölkerung: 46-72% [Stovner, 2007; Die Kopfschmerzen, 2. Auflage 2003] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 10 3. Klassifikation Migräne Migräne ohne Aura Migräne mit Aura Periodische Syndrome in der Kindheit Retinale Migräne MigräneKomplikationen • Chronische Migräne • Typische Aura mit Migränekopfschmerz • Status migrainosus • Typische Aura mit Kopfschmerzen, die nicht einer Migräne entsprechen • Typische Aura ohne Kopfschmerz • Familiäre hemiplegische Migräne • Sporadische hemiplegische Migräne • Migräne vom Basilaristyp [http://ihs-classification.org/de] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 11 3. Klassifikation Migräne ohne Aura 5 Attacken, Dauer 4 – 72 Stunden 2 folgender Merkmale: Einseitig Pulsierend mittelmässige/ starke Intensität Verstärkung bei körperlicher Aktivität [http://ihs-classification.org/de] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 12 3. Klassifikation Migräne ohne Aura 1 folgender Begleitsymptome: Übelkeit / Erbrechen Photo-/Phono-/Osmophobie [http://ihs-classification.org/de] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 13 3. Klassifikation Migräne mit Aura ≥ 2 Attacken, die folgende Kriterien erfüllen Die Aura besteht aus mindestens 1 der folgenden Symptome, nicht aber aus einer motorischen Schwäche: Vollständig reversible • visuelle Symptome mit positiven und/oder negativen Merkmalen (d.h. Sehverlust) • sensible Symptome mit positiven (z.B. Kribbelparästhesien) und oder negativen Merkmalen (“Taubheit“) • dysphasische Sprachstörung [ICHD-II classification, 2. Auflage, Cephalalgia 2004] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 14 3. Klassifikation Migräne mit Aura ≥ 2 Attacken, die folgende Kriterien erfüllen: • Mindestens 2 der folgenden Punkte sind erfüllt: 1. homonyme visuelle Symptome und/oder einseitige sensible Symptome 2. wenigstens 1 Aurasymptom entwickelt sich allmählich ≥ 5 Min. hinweg und/oder verschiedene Aurasymptome treten nacheinander in Abständen von ≥ 5 Min. auf 3. Jedes Symptom hält ≥ 5 Min. und ≤ 60 Min. an • Migränetypische Kopfschmerzen beginnen noch während der Aura oder folgen der Aura innerhalb von 60 Minuten • Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen [IHS classification, 2. Auflage, Cephalalgia 2004 ] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 15 3. Klassifikation Migräne bei Kindern • Attacken kürzer (<4h) • Migräneschmerz weniger typisch meist bilateral, nicht pulsierend • Photo- und Phonophobie seltener • Vegetative Symptome manchmal im Vordergrund Sonderformen • zyklisches Erbrechen • periodischer Schwindel ohne Kopfweh [Lipton et al., 2004; Kopf- und Gesichtsschmerzen, 2. Auflage 2002] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 16 3. Klassifikation Menstruelle Migräne • 7–10 % der Frauen haben Migräne nur perimenstruell • 50% der Frauen haben gehäuft Migräneattacken perimenstruell • Genauer Zusammenhang mit den Hormonspiegel unklar: Korrelation mit fallendem Östrogenspiegel (nicht Progesteron) • Östrogenhaltige Antibabypille meist ohne Effekt auf Migränehäufigkeit bei einigen Frauen jedoch Verschlechterung der Migräne Während der reproduktiven Jahre ist die Migräne bei Frauen 3 mal häufiger als bei Männern. Weibliche Hormone sind Triggerfaktoren für Migräne. [The headaches, 3rd edition 2006] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 17 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 18 4. Pathophysiologie Migräneaura Cortical spreading depression [Leao, 1944] • Initial Depolaristion, dann Hyperpolarisation gefolgt von neuronaler Stille. • Sekundäre Veränderung des Blutflusses als Folge der wechselnden neuronalen Aktivität • Temporale und spatiale Ausbreitung der spreading Depression mit 3-5 mm/min. • Typischer Start vom Occipitallappen aus gegen rostral. Flimmerskotome von Dr. Lashley [Lashley, 1941] Das Kreuz markiert den Fixationspunkt, die Zahlen entsprechen Minuten. [Die Kopfschmerzen, 2. Auflage 2003] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 19 4. Pathophysiologie Migräneschmerz [In Anlehnung an Goadsby et al., 2002] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 20 4. Pathophysiologie Migräneschmerz CGRP (Calcitonin gene related peptide): • Schlüsselfunktion in der Entstehung von Migräneschmerz • Blockade der CGRPRezeptoren ist hochwirksam beim Migräneschmerz [Olesen et al., 2004; Ho et al., 2008] [In Anlehnung an Durham, 2004] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 21 4. Pathophysiologie Migräneschmerz Triptane • Serotonin 5-HT1B/1DRezeptor Agonisten • Verschiedene Mechanismen der Migräneschmerzhemmung [In Anlehnung an Goadsby et al., 2002] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 22 4. Pathophysiologie Pathophysiologie • Die Migräne kann als episodische Dysfunktion der sensiblen Signalverarbeitung angesehen werden. • Eine Dysfunktion von Strukturen im Hirnstamm hat sich in verschiedenen Arbeiten in der MigräneAttacke gezeigt. Deren genaue Rolle im Anfallsverlauf ist noch unklar. PET Untersuchungen bei verschiedenen Kopfwehattacken: a) Migräneattacke b) Cluster headache c) Experimentell induzierter Kopfschmerz Typisches Aktivierungspattern bei Migräne und Cluster. a) b) c) [Goadsby, 2006] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 23 4. Pathophysiologie Genetik Familiäre hemiplegische Migräne Bislang 3 bekannte Genloci • FHM 1: Missense Mutation in einem spannungsabhängigen Ca-Kanal (19p13) [Ophoff et al., 1996] • FHM 2: Mutation im ATP1A2Gen auf Chromosom 1q23 [De Fusco et al., 2003] • Mutation im SCN1A Gen (spannungsabhängiger Na-Kanal) auf Chromosom 2q24 [Dichgans et al., 2005] Suszeptilitätsgene für Migräne ohne Aura sowie Migräne mit Aura werden vermutet. DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 24 P/Q Typ Calcium Kanal: Mehrere Mutationen in der α1 subunit verursachen die familiäre hemiplegische Migräne Typ 1. 4. Pathophysiologie Pathophysiologie Offenes Foramen ovale • Offenes F. ovale ist häufig: 25% • Migräne ist häufig:1-Jahres-Prävalenz 11% • Hypothese: Mikroemboli (Re-Li-Shunt) können eine Migräne auslösen, z.B. durch Induktion einer CSD (cortical spreading depression). • Bisher eine kontrollierte Studie, die negativ war [MIST Study: Dowsen, 2008] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 25 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 26 5. Klinik Anamnese Befunde und Zusatzuntersuchungen Der Migränekopfschmerz ist das Kardinalsymptom Zusatzsymptome Kopfwehcharakter Vorbotensymptome: Appetit? Stimmung? Gähnen? Dauer Aura Lokalisation Nausea, Emesis Verschlechterung durch Licht, Lärm, körperliche Betätigung Photo-, Phonophobie Ansprechen auf Medikamente: Menge Analgetika pro Monat Allodynie Müdigkeit [Die Kopfschmerzen, 2. Auflage 2003] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 27 5. Klinik Anamnese Befunde und Zusatzuntersuchungen Hinweise für sekundäre Kopfschmerzen Soziale und berufliche Auswirkungen Persönliche Anamnese Wie viele Migränetage pro Monat? Systemische Anamnese Wie viele heftige Attacken? Medikamente Arbeitsausfälle Noxen Störung des Soziallebens sowie der Partnerschaft Triggerfaktoren? Stress, Änderung des Lebensrhythmus, Bezug zur Periode, Essgewohnheiten [Kopf- und Gesichtsschmerzen, 2. Auflage 2002] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 28 5. Klinik Anamnese Befunde und Zusatzuntersuchungen • Neurologischer Status inkl. Fundoskopie zum Auschluss einer intrakraniellen Hypertension (Stichwort: Stauungspapille) • Blutdruck • Schädel-MRI? insbesondere bei erstmaliger Migräne mit Aura zum Ausschluss anderer Ursachen • EEG? Diagnostisch wenig hilfreich DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 29 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 30 6. Diagnose und Differentialdiagnose Abgrenzung von primären Kopfwehformen Spannungskopfweh Migräne • Attackencharakter • Weniger/keine Attacken • Vegetative Begleitsymptome • Ohne typische Begleitsymptome • AZ-Reduktion • Besserung durch Bewegung an frischer Luft • Fast täglich Kopfweh DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 31 6. Diagnose und Differentialdiagnose Abgrenzung von Trigemino-autonomen Kopfschmerzen Unilaterale Kopfschmerzen Migräne Cluster headache Paroxysmale Hemikranie SUNCT Attackendauer 4-24 h 15-180 Min 2-30 Min 5-240 Sekunden Attackenzahl/d 0-1 1-5 >5 3-200 Seitenwechsel Ja Nein Nein Nein Autonome Begleitreaktion Nein Ja Ja Ja Indomethacidsensibel (+) - +++ - http://ihs-classification.org/de/ DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 32 6. Diagnose und Differentialdiagnose Abgrenzung von episodischem Cluster headache Merkmal Ausprägung Schmerzintensität Stark bis unerträglich (VAS10) Schmerzlokalisation Retroorbital-temporal einseitig Seitenwechsel Nie! Attackendauer 15-180 Minuten Attackenbeginn Häufig gleiche Uhrzeit, meist nachts Vegetative Symptome Rhinorrhoe, Ptose, Miosis, Lacrimation, Gesichtsrötung Bewegung Vermindert den Schmerz Periodik 1-3 Episoden pro Jahr, über 2 – 8 Wochen, tägliche einseitige Schmerzen http://ihs-classification.org/de/ DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 33 6. Diagnose und Differentialdiagnose Abgrenzung von sekundären Kopfwehformen Wichtige bedrohliche Krankheitsbilder mit Kopfweh als Leitsymptom • Meningitis • Encephalitis • Vaskulitiden • Subarachnoidalblutung • Dissektionen hirnversorgender Arterien • Sinusvenenthrombose • Pseudotumor cerebri DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Venöse und arterielle Ursachen 34 6. Diagnose und Differentialdiagnose Abgrenzung von sekundären Kopfwehformen red flags Anamnese: Befunde: epileptische Anfälle Wechsel der Kopfwehcharakteristik atypische Aura (zu lange Dauer, schlagartiger Beginn) Papillenödem Hornersyndrom Meningismus Bewusstseinalteration Paresen DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 35 6. Diagnose und Differentialdiagnose Aura, fokal-sensibler epileptischer Anfall oder Schlaganfall? DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 36 6. Diagnose und Differentialdiagnose Migräneaura – Schlaganfall Migräne kann auf andere krankhafte Zustände aufgepfropft sein. Patientin mit mehrmaligen migränetypischen Kopfschmerzepisoden und atypischer Aura. Erstmalige Aura Im MRI Nachweis multipler kleiner embolischer Infarkte, u.a. im crus anterius der Capsula interna (s. Pfeil) Atypische Aura Akuter capsulärer Infarkt (DWI) Quelle: KSA Neuroradiologie PD L. Remonda DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 37 6. Diagnose und Differentialdiagnose Sonderformen der Migräne – migräneassoziierte Symptome Migränöser Schwindel Klinische Charakteristika: • Episodischer, anderweitig nicht erklärbarer Schwindel • Vestibuläre Symptome/Befunde: Nystagmus, Bewegungsillusionen, Gleichgewichtsstörungen • Dauer der Episoden Stunden bis Tage • Meist ohne begleitendes migränetypisches Kopfweh • Migräne in der persönlichen Anamnese, typischerweise viele Jahre bevor isolierte Schwindelepisoden auftreten DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 38 6. Diagnose und Differentialdiagnose Sonderformen der Migräne – migräneassoziierte Symptome Diagnostische Kriterien einer vestibulären Migräne [nach Neuhauser und Lempert, 2009] Definitive vestibuläre Migräne A Episodische vestibuläre Symptome von mindestens mittelstarker Intensität B Aktive oder weiter zurückliegende Migräne nach den IHS Kriterien von 2004 C Eines der folgenden Migränesymptome während ≥ 2 Schwindelattacken: Migränetypische Kopfschmerzen, Photophobie, Phonophobie, visuelle Aura, andere migränetypische Aura D Andere Ursachen des Schwindels ausgeschlossen Mögliche vestibuläre Migräne A Episodische vestibuläre Symptome von mindestens mittelstarker Intensität B Eines der Folgenden:1) Aktive oder weiter zurückliegende Migräne nach den IHS Kriterien von 2004, 2) Migränöse Symptome während vestibulärer Symptome, 3) Migräneauslösende Faktoren triggern die vestibulären Symptome in >50% der Fälle, 4) Ansprechen auf Migränemedikamente in >50% der Attacken D Andere Ursachen des Schwindels ausgeschlossen DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 39 6. Diagnose und Differentialdiagnose Sonderformen der Migräne – migräneassoziierte Symptome Chronische Migräne • Definition: Migräne an ≥ 15 Tagen/Monat während ≥ 3 Monate • Schwierige von Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz abgrenzbar • Entwickelt sich aus episodischer Migräne ohne Aura • Migräne im Verlauf der Chronifizierung weniger attackenartig, weniger schmerzhaft, weniger Begleitsymptome: Stichwort „transformierte Migräne“ Risikofaktor Chronifizierung/MüKS CAVE ≥ 15 Tage/Monat einfache Analgetika ≥ 10 Tage/Monat spezifische Migräneanalgetika und/oder Opioide DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 40 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 41 7. Therapie Therapie der Migräne Attackentherapie Prophylaktische Therapie • < 10 Tage pro Monat • 7 – 10 Migränetage / Monat • < 3 Tage hintereinander • > 3 Migräneattacken/Monat mit schlechtem Ansprechen • Häufig Status migrainosus • Belastende Auren Ziel: Ziel: Schmerzfreiheit bei guter Verträglichkeit 50% Reduktion von Anfallshäufigkeit, -dauer und -intensität http://www.headache.ch/Therapieempfehlungen DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 42 7. Therapie Attackentherapie der Migräne Triptane Attackentherapie der Migräne NSAR Metamizol Paracetamol Metoclopramid Domperidon http://www.headache.ch/Therapieempfehlungen DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 43 7. Therapie Attackentherapie der Migräne Leichte Attacke NSAR oder Paracetamol 1) Triptan Mittelschwere Attacke 2) NSAR Schwere Attacke Triptan (+NSAR/Antiemetikum) http://www.headache.ch/Therapieempfehlungen DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 44 7. Therapie Triptane im Vergleich Pharmakokinetik Almotriptan Sumatriptan Frovatriptan Eletriptan Naratriptan Rizatriptan Zolmitriptan t ½ (h) 3.5 2.0 25 5.0 5.0-6.3 2.0 3.0 Time to peak (h) während Attacke 2.0 – 3.0 2.5 3.0 2.8 2.5-3.0 1.0 4.0 Orale Formulierungen der Triptane: > 80% der Triptanverschreibungen Preis: CHF 5.- bis 10.- pro Tablette DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 45 7. Therapie Triptane im Vergleich Ferrari, MD, Goadsby PJ, Roon KI, Lipton RB, Cephalalgia 2002; 22:633-658 Methoden: Analyse alle doppelblinden, randomisierten, kontrollierten klinischen Triptan-Studien (n= 53, 24’089 Patienten) Resultate: Vergleich der oralen Triptane im Vergleich zu oralem Sumatriptan 100mg DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 46 7. Therapie Triptane Zu welchem Zeitpunkt der Attacke soll ein Triptan eingenommen werden? Nicht zu früh! Triptan Nicht zu spät! Aura Kopfschmerz t DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 47 7. Therapie Probleme in der Attackentherapie der Migräne Problem Lösungsstrategien „headache recurrence“ = Wiederauftreten des Kopfwehs nach gutem initialen Ansprechen auf die Therapie • Nochmals Triptan nehmen (max. 2/24h) • Triptan kombinieren mit langwirksamen NSAR Triptan nützt nichts nach 2 h • NSAR nehmen (nicht nochmals Triptan) • i.v. Gabe von NSAR und Metoclopramid • i.v. Gabe von Metamizol • 100 mg Prednisonum • Prophylaktische Therapie mit Betablocker, Topiramat, Flunarizin oder Valproat Status migränosus, therapierefraktär auf Triptane Viele Migräneattacken, hoher Triptanverbrauch [The headaches, 3rd edition 2006] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 48 7. Therapie Prophylaktische Therapie Grundsatz Nummer 1: Triggerfaktoren erkennen und vermeiden • «Stress» • Wetterwechsel? • Alkohol? • Hormonelle Faktoren Insbesondere Rotwein Schwangerschaft, Periode • Hunger • Olfaktorische Stimuli? Parfumes, Zigarettenrauch, Diesel…. Unregelmässige Ernährung, Mahlzeiten auslassen • Schlaf • Auditorische Stimuli? Zu viel, zu wenig, zu unregelmässig Krach, Musik • Medikamente • Lokale Schmerzen z.B. Nitrogylzerin Augen, Zähne, Nasennebenhöhlen, Nacken • Nahrungs-/Genussmittel? Schokolade, Zitrusfrüchte, Käse • Physische Anstrengungen Zu exzessiver Sport, Trainingspausen [Wöber und Wöber, 2010] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 49 7. Therapie Prophylaktische Therapie Triggerfaktoren vorhanden? • 7 – 10 Migränetage/Monat • > 3 Migräneattacken/Monat mit schlechtem Ansprechen • Häufig Status migränosus • Belastende Auren Verhaltensmassnahmen ausgeschöpft Attackentherapie optimiert? • Triggerfaktoren meiden • Entspannungstherapie • Attackentherapie optimieren Ohne relevanten Effekt • Propanolol, Metoprolol, Bisoprolol • Topiramat • Flunarizin • Valproinsäure [Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. Auflage 2008] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 50 7. Therapie Prophylaktische Therapie Substanzen erster Wahl Nebenwirkungen • • • Asthma bronchiale, AV-Blockierung Orthostatische Dysregulation, Impotenz, AVBlockierung Ungeeignet für Leistungssportler Topiramat: Zieldosis 50-100mg/d • • Cognitive und neuropsychiatrische Störungen Gewichtsabnahme Flunarizin: Zieldosis 5 -10 mg/d • • • Gewichtszunahme Depression Sedation Valproat: Zieldosis 500-600 mg/d • • • • Gewichtszunahme Sedation,Tremor Hepatotoxisch Teratogen Propanolol: Zieldosis 120-160 mg/d Metoprolol: Zieldosis 100-200 mg/d Bisoprolol: Zieldosis 5-10mg/d [Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. Auflage 2008] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 51 7. Therapie Prophylaktische Therapie Medikamente 2. Wahl Gabapentin • Zieldosis 2400 mg • NW: Sedation Pestwurz • Zieldosis 2x75 mg • NW: gastrointestinal Amitryptilin • 50-150 mg/d • NW: Mundtrockenheit, Müdigkeit, Schwindel Venlafaxin • Zieldosis 2 x 75mg • NW: Nausea, Schwindel, Nervosität, Schlafstörungen Petasites hybridus [Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. Auflage 2008] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 52 7. Therapie Prophylaktische Therapie Grundsätze der medikamentösen Prophylaxe 3 – 6 Monate vor Beginn Kopfwehkalender Beginn Sehr niedrige Anfangsdosis, langsam aufdosieren Therapieziel ≥ 50% Attackenreduktion Therapiewechsel Frühestens nach 3 Monaten oder bei Unverträglichkeit Therapieende Nach 9 – 12 Monaten [Kopf- und Gesichtsschmerzen, 2. Auflage 2002; Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. Auflage 2008] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 53 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 54 8. Prognose Prognose der Migräne • Bleibt meist eine Attackenkrankheit • Attackenfrequenz abnehmend ab 40-50 Jahren • Einige Patienten mit Transformation der Migräne in „chronic daily headache“ • Risikofaktoren: Medikamentenübergebrauch! Analgetika, Triptane, Ergotamine ↑↑ Quelle: Dr. G. Schwegler DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 55 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 60 56 9. Ausblick Attackentherapie CGRP-Rezeptor-Antagonisten 5-HT1F Rezeptor Agonisten • • Eine positive Phase 2 Studie mit COL-144 • Nebenwirkungen: Der 5-HT1F Rezeptor besitzt keine vasokonstriktive Eigenschaften, deshalb keine Triptan-typischen Nebenwirkungen • Entwicklung dieser Substanzklasse noch weit vorangeschritten Mehrere positive Phase 3 Studien mit Telcagepant • Wirksamkeit gleich wie Triptane • Nebenwirkungsprofil gleich wie Placebo • Ist wahrscheinlich sicherer als Triptane, weil Vasokonstriktion wegfällt • Zulassung wird beantragt (2010/2011) [Goadsby et al., 2010] DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 57 9. Ausblick Prophylaktische Therapie Stimulation des N. occipitalis major (Implantierbarer Stimulator) • Indikation: Therapierefraktäre chronische Migräne • Präliminäre Resultate: kontrollierte Studien laufend Botulinumtoxin an cephalen Schmerztriggerpunkten • Episodische Migräne: unwirksam • Chronische Migräne: Vermindert die Zahl der Kopfwehtage gegenüber Placebo-Injektionen. In einer Subgruppe mit zusätzlichem Medikamentenübergebrauchskopfweh ebenfalls wirksam [PREEMPT2 Studie, Diener et al., 2010]. • Konfirmatorische Studie nötig? [Goadsby, 2010] CGRP-Rezeptor-Antagonisten • Sinnvolle Prophylaxe? • Langzeitverträglichkeit? DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE 58 Inhalt 1. Definition 2. Epidemiologie 08 3. Klassifikation 10 4. Pathophysiologie 19 5. Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 27 6. Diagnose und Differentialdiagnose 31 7. Therapie 42 8. Prognose 55 9. Ausblick 57 10. Referenzen 60 DIAGNOSE UND THERAPIE DER MIGRÄNE Seite 06 59 10. Referenzen Referenzen/1 Afridi SK et al. Arch Neurol 2005;62(8):1270-5 Ferrari MD, Goadsby PJ, Roon KI, Lipton RB. Cephalalgia 2002; 22: Arzneimittelkompendium der Schweiz 2010 633-658 Bahra A et al. Lancet 2001;357:1016-7 Goadsby PJ et al. N Engl J Med 2002;346:257-270. Cephalalgia 2004; 24 (Suppl 1):1-160 Goadsby PJ. BMJ 2006; 332:25-29 Cha Y-H. Seminars of Neurology 2010; 30(2);167-174 Goadsby PJ et al. Cephalalgia 2008;28:383-9 1 Charles A. Ann Neurol 2009;65:491-98 Goadsby PJ and Sprenger T. Lancet Neurol 2010;9:285-98 De Fusco M et al. Nat Genet 2003;33(2):192-6 Hauge AW et al. Lancet Neurol 2009;8:718-23 Diamond M et al. Headache 2004;44:209-16 Ho TW et al. Lancet 2008;372:2115-23 Dichgans M et al. Lancet 2005;366(9483):371-7 Kopf- und Gesichtsschmerzen, 2. Auflage 2002, Thieme Verlag Diener HC et al. J Neurol 2004;251:943-950 Stuttgart, Hans Christoph Diener Diener HC, et al. Headache 2005; 45:874-882. Lashley KS. Arch Neurol Psychiatry 1941;46:259-264 Diener HC et al. Cephalalgia 2010;30(7):804-14 [PREEMPT2] Leao AAP. J Neurophysiol1944;7:359-90 Die Kopfschmerzen, 2. Auflage 2003, Springer Verlag; Herausgeber Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. Auflage 2008, Harmut Göbel Thieme Verlag Stuttgart, H.C. Diener, N. Putzki Dowson A et al. Circulation 2008;117:1397-1404 Lipton RB et al. Neurology 2004;63:427-435 Durham PL. 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