Aktuelle Empfehlungen zur Blutdruckmessung Michael Dreher Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie Aktuelle Empfehlungen zur Blutdruckmessung Blutdruckmessung ist Grundpfeiler für Diagnose, Therapie, Epidemiologie und wissenschaftliche Untersuchungen der arteriellen Hypertonie Alle Entscheidungen, die diese Aspekte der arteriellen Hypertonie betreffen, werden durch die Genauigkeit der Messung positiv oder negativ beeinflusst • Blutdruckmessverfahren – Nicht-invasive Blutdruckmessung (NIBP, Sphygmomanometrie, Oszillometrie =diskontinuierlich) – Invasive Blutdruckmessung (IBP=kontinuierlich) Nicht-Invasive Blutdruckmessung • Nach Riva Rocci und Korotkow mittels Quecksilbersphygmomanometer • durch oszillometrisch messende Vollautomaten Scipione Riva Rocci (1863-1937) Nicht-Invasive Blutdruckmessung • modifizierter Pulsmesser des Physiologen K. Vierordt (18181884) und des Pathologen S. von Basch (1837-1905) • 1890 Entwickelung eines Sphygmomanometer mit Quecksilber durch Riva-Rocci in Turin (sphygmos griechisch = Puls) • 1905 Optimierung des Verfahrens durch Nikolai Sergejewitsch Korotkow durch Einsatz des Stethoskops zwecks Hörens der später nach ihm benannten Korotkow-Geräusche. Damit auch diastolische Druckmessungs möglich • 1968 erstmals Einsatz vollautomatischer Blutdruckmesser als Vorläufer der modernen 24-Stunden-Blutdruckgeräte • 1976 handliche elektronische Selbstmessgeräte • 1992 elektronische Blutdruck-Messgeräte mit Handgelenkmanschette Blutdruckmessverfahren 1. Nicht-Invasive Blutdruckmessung - Prinzip ‚Druck = Gegendruck‘ - Druck auf den Gefäßwandungen wird durch Gegendruck kompensiert, welcher dann die Messgröße darstellt - nur Erfassung von Extremwerten systolischer und diastolischer Blutdrucke - Errechnung des mittleren Blutdrucks (MAP): MAP = RRdia + 1/3 (RRsys – RRdia) - Erfassung von kompletten Blutdruckkurven nicht möglich • • • • Gelegenheitsmessung bzw. Praxismessung Blutdruckselbstmessung 24h-Blutdruckmessung (ABDM) Blutdruckmessung unter ergometrischer Belastung Standardisierte Blutdruckmessung • • • • • • • • Indirekte Blutdruckmessung nach Riva-Rocci mittels Quecksilbersphygmomanometer (Inflations-/Deflationssystem) = Goldstandard 3-4 Minuten Ruhe im Sitzen, Arm in Herzhöhe lagern (~mittleres Sternumdrittel), Beine nebeneinander Blutdruckmanschette anlegen, Unterrand 2,5 cm über der Ellenbeuge, Rechtshänder in der Regel am linken Arm Stethoskopmembran an der Innenseite des Oberarms über der Arteria brachialis plazieren Manschette bis 30 mm Hg über den systolischen Druck aufpumpen (beim systolischen Druck verschwindet der Puls am Handgelenk) Manschettendruck langsam um 2-3 mmHg pro Sekunde ablassen Beobachten, bei welchem Druck der erste Ton erscheint (= systolischer Blutdruck) und bei welchem Druck der letzte Ton (= diastolischer Druck) wahrzunehmen ist Ablesen der Werte auf 2 mmHg genau Wiederholungsmessung frühestens nach einer halben Minute Nicht-Invasive Blutdruckmessung Entstehung der Gefäßgeräusche (Korotkow-Geräusche) bei der Blutdruckmessung in Abhängigkeit von Manschettendruck und Durchgängigkeit der Oberarmarterie Blutdruckmessung durch oszillometrisch messende Vollautomaten Typische Messkurve: Nach schnellem Aufpumpen der Manschette, langsames Ablassen und Aufzeichnung der arteriellen Pulsationen. Durch Registrierung der Pulsationen Bestimmung des systolischen und diastolischen Blutdrucks Blutdruckmessung durch oszillometrisch messende Vollautomaten • Geräte für Messung am Oberarm sind zu bevorzugen • Pulswelle an Handgelenk und Finger sind durch physiologische Änderungen variabel und ändert sich in peripheren Abschnitten (Erhöhung des systolischen, Erniedrigung des diastolischen Drucks bei annähernd gleichem Mitteldruck) • Bei Handgelenks- und Fingergeräten befindet sich Messpunkt häufig nicht auf Herzhöhe • Nur wenige Handgelenksgeräte entsprechen klinischen Genauigkeitsrichtlinien • Von Fingergeräten ist prinzipiell abzuraten Fehlerquellen der arteriellen Blutdruckmessung • Falsche Manschettengröße (insbesondere bei Adipositas sind größere Manschette notwendig [„Overcuffing“] ) • Fehlende Ruhephase vor Messung • Zu schnelles Druckablassen der Manschette • Messung nur an einem Arm • Unterlassen der Palpation des maximalen systolischen Blutdrucks vor Auskultation • Verwendung von Geräten ohne Genauigkeitskriterien eines etablierten Validierungsprotokolls (AAMI, BHS, International Validation Protocol, Prüfsiegel der Hochdruckliga) Fehlerquellen der arteriellen Blutdruckmessung – Technische Einflussfaktoren Einflussfaktor Effekt (gemessener Blutdruck vs aktueller Wert) Systolisch Effekt (gemessener Blutdruck vs aktueller Wert) Diastolisch Liegend versus Sitzend kein Effekt bis + 3mm Hg im Liegen - 2-5mm Hg im Liegen Armposition +/- 8 mm Hg für jede 10 cm ober- oder unterhalb Herzhöhe +/- 8 mm Hg für jede 10 cm ober- oder unterhalb Herzhöhe Manschette zu schmal - 8 mmHg + 8 mmHg Manschette zu groß - bis zu 3 mm Hg - bis zu 5 mm Hg Manschette oberhalb der Kleidung + bis zu 50 mm Hg + bis zu 50 mm Hg wiederholtes Aufpumpen der Manschette große Varianz (von + 30 bis - 14 mm Hg) große Varianz (von + 20 mm Hg bis 10 mm Hg) Fehlerquellen der arteriellen Blutdruckmessung – Einflussfaktoren durch Patienten Einflussfaktor Effekt (gemessener Blutdruck vs aktueller Wert) Systolisch Effekt (gemessener Blutdruck vs aktueller Wert) Diastolisch Sprechen + 17 mm Hg + 13 mm Hg Kälteexposition + 11 mm Hg + 8 mm Hg Nahrungsaufnahme direkt vor Messung - 1 mm Hg bis keine Veränderung - 4 mm Hg bis keine Veränderung Rauchen + 10 mm Hg für >= 30 min + 8 mm Hg für >= 30 min Kaffeetrinken + 10 mm Hg für <= 2 h + 7 mm Hg für <= 2 h Messung an paretischem Arm + 2 mm Hg + 5 mm Hg Empfohlene Manschettengröße Oberarmumfang Manschettenbreite Manschettenlänge < 24 cm 10 cm 18 cm 24-33 cm (Standardmanschette) 12-13 cm 24 cm 33-41 cm 15-17 cm 30 cm > 41 cm 18 cm 36 cm Blutdruckselbstmessung • Ausführliche Einweisung in die Messtechnik (HypertonieSchulungsprogramms) • Festlegung eines einheitlichen Messprotokolls • Erfolgskontrolle nach 2-3 Wochen, sowie nach 6-12 Monaten • regelmäßige Überprüfung von Gerät und Messtechnik • Messung vor den Mahlzeiten und vor Einnahme blutdrucksenkender Medikamente • Beurteilung des Schweregrades durch Mittelwert von mindestens 12 Messungen in Zeitraum von mindestens einer Woche • Keine Selbstmessung bei ängstlichen und hypochondrischen Patienten Ambulante 24h-Blutdruckmessung • Informationen über Blutdruck während Tagesaktivitäten und Schlaf • Aufdeckung einer Praxishypertonie (falsch positive hypertensive Blutdruckwerte) • In der Regel Lieferung niedrigerer Daten und bessere Korrelation mit eingetretenen Organveränderungen • Exaktere Klassifizierung des Hochdruckkranken. Zeigt die Prozentzahl sämtlicher hypertensiver Blutdruckwerte • Dokumentiert die Blutdruckreduktion während des Schlafes (in der Regel Abfall der systolischen Mittelwerte um 10 bis 15 %, der diastolischen um 15 bis 20 %) Indikation für 24h-Blutdruckmessung • Missverhältnisses zwischen Höhe des Gelegenheitsblutdruckes und dem Ausmaß der Organschäden • Verdacht auf eine Praxis-Hypertonie • Unterschiede (> 20/10 mm Hg) zwischen den Blutdruckwerten bei der Selbstmessung und bei der Arztmessung • erhöhte Blutdruckwerten in der Nacht („non-dipper“) bzw. aufgehobener zirkadianer Rhythmus (i. d. R. höchster RRWert am Vormittag, 2. Gipfel am späten Nachmittag) • Fahndung nach krisenhaften Blutdrucksteigerungen • Bei Nierenerkrankungen, da bei renoparenchymaler Hypertonie häufig die nächtliche Blutdruckabsenkung fehlt • Bei Diabetes mellitus wegen der möglichen autonomen Neuropathie Indikation für 24h-Blutdruckmessung zur Therapiekontrolle • Trotz Therapie unzureichende Senkung von Gelegenheitsblutdruck und selbstgemessenen Blutdruckwerten • Zum Nachweis erfolgreicher Senkung erhöhter Blutdruckwerte in der nächtlichen Schlafphase (fehlende Nachtabsenkung korreliert mit erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Organmanifestationen) • Fehlen der Regression von Organschäden nach 6-12 Monaten trotz normotonen Gelegenheitsblutdruckes • Verdacht auf Nebenwirkungen z.B. Schwindel durch übermäßige Blutdrucksenkungen, die durch Gelegenheitsund Selbstmessungen nicht geklärt werden können Durchführung der ambulanten 24hBlutdruckmessung • Tagsüber Erfassung von mindestens 21 validen systolischen und diastolischen Blutdruckwerten • Nachts Aufzeichnung von mindestens 12 validen Messungen • Normgrenze für den Tagesmittelwert: 135/85 mmHg • Normgrenze des 24h-Mittelwertes: 130/80 mmHg • Nachtmittelwert: 120/75 mmHg • Messung bei representativem Tagesablauf, somit Zuordnung der Messwerte zu Tätigkeiten, Erlebnissen und zur Medikamenteneinnahme möglich Ambulante 24h-Blutdruckmessung Relation des systolischen Blutdruckes zur Inzidenz kardiovaskulärer Ereignisse Vergleich von konventioneller Blutdruckmessung, ambulanter 24 h Messung tagsüber und ambulanter 24 h Messung nachts (Staessen JA, Thijs L, Fagard R, et al: Predicting cardiovascular risk using conventional vs. ambulatory blood pressure in older patients with systolic hypertension. JAMA 282:539, 1999.) Ergometrische Kontrolle des Blutdruckes • Aufdeckung überschießender Belastungsblutdrucke • Verbessertes Einschätzen des individuellen kardiovaskulären Risikos • Einschätzung der Belastbarkeit unter Therapie • erhöhter Belastungsblutdruck bei Normotonie in Ruhe ist Indikator für beginnende Hochdruckentwicklung • normaler Belastungsblutdruck spricht gegen spätere Hochdruckerkrankung • normale Ergometrie bei erhöhtem Ruheblutdruck kann „Praxishypertonie” aufdecken • Korrelation des Belastungshochdrucks zur linksventrikulären Hypertrophie Ergometrische Kontrolle des Blutdruckes Grenzwerte: • Für 20- bis 50jährige Männer und Frauen gilt als oberer normaler Grenzwert bei 100 Watt ein Blutdruck von 200/100 mm Hg • Bei 50- bis 70-jährigen steigt pro Dezenium der obere Grenzwert bei 100 Watt um 10 mm Hg systolisch und 5 mm Hg diastolisch Blutdruckmessverfahren 2. Invasive Blutdruckmessung • Direkte kontinuierliche Messung über einen in die Arterie eingebrachten Katheter (A. radialis, A. femoralis, A. dorsalis pedis) • Dient der Druckmessung bei der Herzkatheteruntersuchung, sowie der Überwachung in Intensivstationen und Operationssälen 1733 direkte Messung des Blutdruckes in der Arteria carotis eines Pferdes durch Stephen Hales Invasive Blutdruckmessung • Exakte Errechnung des MAP durch Integration der Druckkurve • Engmaschige Kontrolle durch Schlag für Schlag Registrierung, somit Vermeidung von Blutdruckschwankungen • Analyse der hämodynamischen Auswirkungen von Herzrhythmusstörungen Invasive Blutdruckmessung • vor arterieller Punktion (A. radialis) Durchführung des Allen-Tests • ausreichender Kollateralkreislauf bei Normalisierung nach < 5-7 Sekunden • Komplikationen: – – – – – Thrombosierung der Arterie Lokale Infektion Hämatom AV-Fistel Periphere Durchblutungsstörung – Intraarterielle Injektion Invasive Blutdruckmessung Bild : Externer Druckwandler - Verbindung eines Katheters mit der Druckkammer Aufsetzen der Druckkammer auf die eigentliche Messeinheit Übertragung des Flüssigkeitsdrucks auf Membran der Messeinheit Wegänderung bewirkt Durchbiegung eines Dehnmessstreifens Mit der Dehnung Änderung des elektrisches Widerstands Über Widerstandsmessbrücke Erzeugung einer dem Druckverlauf proportionalen elektrischen Spannung Fehlerquellen bei invasiver Blutdruckmessung • Luftblasen beim Füllen der Apparatur, welche die Messeigenschaften verschlechtern • Thrombenbildung in der Katheterspitze durch bei fehlender kontinuierlicher Spülung mit heparinisierter Kochsalzlösung • Falsche oder fehlende Nulleichung • Beeinträchtigte Druckkurve (z. Bsp. durch Abknicken) • Unter- oder Überdämpfung des Systems • Eigenschwingung des Gerätes durch zu niedrige Eigenfrequenz des Systems Druckwandler - Katheter bei hohen Frequenzen der gemessenen Blutdruckkurven Definition und Klassifikation von Blutdruckwerten Einteilung der WHO/IHS-Leitlinie Klassifikation systolisch [mm Hg] diastolisch [mm Hg] optimal < 120 < 80 normal < 130 < 85 'noch'-normal 130 - 139 85 - 89 leichte Hypertonie (Schweregrad 1) 140 - 159 90 - 99 mittelschwere Hypertonie (Schweregrad 2) 160 - 179 100 - 109 schwere Hypertonie (Schweregrad 3) > 180 > 110 isolierte systolische Hypertonie > 140 < 90 Risikostratifizierung Blutdruck (mm Hg) Risikofaktoren / Begleit120-129 syst. erkrankungen oder / 80-84 diast. Endorganschäden keine anderen RF durchschnittl. Risiko Ø Maßnahmen 130-139 syst. oder 85-89 diast. 140-159 syst. oder 90-99 diast. 160-179 syst. oder 100-109 diast. > 180 syst. oder > 110 syst. durchschnittl. Risiko Ø Maßnahmen geringes zusätzl. Risiko Medikamentöse Therapie? mittleres zusätzl. Risiko hohes zusätzl. Risiko Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie mittleres zusätzl. Risiko mittleres zusätzl. Risiko sehr hohes zusätzl. Risiko Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie geringes zusätzl. Risiko Monitoring geringes zusätzl. Risiko Monitoring >3 RF oder Endorganschäden oder Diabetes mittleres zusätzl. Risiko Monitoring hohes zusätzl. Risiko hohes zusätzl. Risiko hohes zusätzl. Risiko sehr hohes zusätzl. Risiko Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie kardiovaskulä re/ renale Begleiterkrankungen hohes zusätzl. Risiko sehr hohes zusätzl. Risiko sehr hohes zusätzl. Risiko sehr hohes zusätzl. Risiko sehr hohes zusätzl. Risiko Medikamentöse Therapie? Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie Medikamentöse Therapie 1-2 Risikofaktoren Empfehlungen zum Therapiebeginn Art des Hypertoniepatienten Empfehlungen in den Zielwerte Leitlinien (ESH/ECS) aufgrund von Studien 1. Hypertoniker allgemein < 140/90 mm Hg* 2. Patienten mit Diabetes < 130/80 mm Hg* 3. Patienten mit Nephropathie < 130/80 mm Hg* < 125/75 mmHg bei Proteinurie >1g 4. Ältere Hypertoniker (> 60 < 140/90 mm Hg* Jahre) < 130/80 mm Hg 5. Isolierte systolische Hypertonie < 140 mm Hg* < 130 mm Hg 6. Hypertoniker mit hohem kardiovask. Risiko < 130/85 mm Hg < 130/80 mm Hg 7. Patienten nach zerebraler Ischämie < 130/80 mm Hg* * Evidenzgrad A; Hypertonie Grad I = 140-159/ 90-99 mm Hg Zusammenfassung • Nicht-Invasive Blutdruckmessverfahren sind diskontinuierlich, durch Praxismessung, Selbstmessung, ABDM und ergometrischer RRMessung wird eine Detektion und Therapiekontrolle einer Hochdruckerkrankung gewährleistet • Invasive Blutdruckmessung liefert kontinuierliche Daten und ist bei intensivmedizinischer Überwachung, großen Operationen und Herzkatheteruntersuchungen indiziert • Zur Hypertoniediagnostik ist eine genaue Risikostratifizierung notwendig, aufgrund hoher Inzidenz für Organmanifestationen sollte eine frühzeitige und regelmäßige Diagnostik erfolgen • Grenzwerte und Behandlungsstrategien unterscheiden sich von der Höhe der initial gemessenen Druckwerte, sowie den bestehenden Risikofaktoren, sind jedoch unabhängig von Alter und Geschlecht • Bei bekannter Hochdruckerkrankung sind regelmäßige Kontrollen der Organmanifestationen insbesondere an Herz, Niere, Gefäßen und ZNS unerlässlich