Vortrag Liebe bei Jaspers

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Die Liebe bei Karl Jaspers im
Kontext der Weltanschauungen
Cristóbal Holzapfel
Was ist eine Weltanschauung?
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Sie ist ein Ganzes zusammengefügt von subjetiver Einstellung und objektives
Weltbild das uns bestimmt und zugleich orientiert in dem was für wir fühlen, denken
oder glauben
Weltanschauungen sind nebenher “Gehäuse”, wie Jaspers selbst sagt, die wir
brauchen als Schutz in unserem Leben
Aber indem wir bloss innerhalb des Gehäuses uns einleben, sind wir bloss von
“Allgemeinheiten” bestimmt, wie Sitte, Gesetz, Institutionen
Deshalb gibt zwei Möglichkeiten: dass wir uns bequem im Gehäuse arrangieren oder
dass wir uns öffnen für Gehäuse von anderen Menschen und Kulturen
Das Erstere besagt einen “Halt im Endlichen” und das Zweitere die Herausforderung
eines “Halt im Unendlichen”
Andererseits geht es bei Jaspers um eine innere Betrachtung der Weltanschauung
Zwischen Einstellung und Weltbild das Entscheidende ist die Einstellung
Sowohl die Einstellung als auch das Weltbild haben als Grund die Subjekt-Objekt
Beziehung
Subjekt-Objekt Beziehung und ihr Wechselverhältnis
Fusion, Spaltung und Überwindung der Subjekt-Objekt Beziehung
Gegenständliche Einstellungen - aktive und kontemplative Einstellungen
Weltanschauung und Subjekt-Objekt Beziehung
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Die Absicht der Psychologie der Weltanschauugen (PdW), veröffentlicht in
1919.
Wie kann man eine Weltanschauung vom innen verstehen?
Welche sind ihre Komponente?
Dieses ist ein Vorhaben, dass anders ist als derjenige von Wilhelm Dilthey,
der, sozusagen, die Weltanschauungen im Hinsicht auf ihre geschichtliche
Wirkung betrachtet.
Eine Weltanschauung ist von einer subjektiven (die Einstellung) und einer
objektiven (das Weltbild) Seite bestimmt. Massgebend in diesem Verhältnis
sind die Einstellungen, weil gemäss einer gewissen Einstellung die wir
haben, z.B. eine gegenständliche, aktive Einstellung, schaffen wir uns an,
sozusagen, ein entsprechendes Weltbild, von einer, beispeilsweise,
„sinnlich-räumlichen“ Art. Oder wenn wir auch von einer gegenständlichen
Einstellung, bzw. einer kontemplativ-ästhetischen Einstellung bestimmt sind,
dann eignen wir uns ein sinnlich-kulturelles oder sogar ein metaphysisches
Weltbild an.
Dadurch zeigt sich zugleich, dass die Subjekt-Objekt Beziehung, nicht mehr
von unserem Denker in einem bloss kognitiven Rahmen aufgefasst wird,
sondern innerhalb eines vielseitigen Spannungsverhältnisses.
Verschiedene Einstellungen
• Die gegenständliche Einstellungen können
intuitiv, ästhetisch oder rational sein
• Wie verhält sich in jedem Fall die SubjektObjekt Beziehung?
• Die selbstreflektierte Einstellungen.
Warum sie nicht “subjetive Einstellungen
genannt werden?
• Askese, Genuss und Selbstgestaltung
Die Askese: Giotto, Der Heilige Franziskus verzichtet auf
alle irdischen Güter
Jan Brueghel de Velours, Genuss
Jan Brueghel, Genuss, Gehörsinn, Tastsinn
Jan Brueghel, Gehörsinn
Jan Brueghel, Genusssinn
Jan Brueghel, Tastsinn
Gegenständliche und selbstreflektierte Einstellungen
• Wenn die Liebe einer Form der enthusiastischen Einstellung (eE)
angehört, müssen wir uns zunächst davon bewusst werden, in
welcher Art von Einstellungen die eE einzuordnen ist.
• Zunächst gibt es gegenstänliche (objektive) und selbstreflektierte
Einstellungen (und wir weisen darauf hin, dass die Letzteren nicht
„subjetive E“ genannt werden, sondern Jaspers möchte vor allem
betonen, dass es nicht darum geht, dass es eine krasse
Unterscheidung zwischen dem Subjektiven und dem Objetiven gibt.
Prinzipiell sind wir der Welt zugewandt, also den Gegenständen,
aber diese Gewandtheit zur Welt hin kann durch die Selbstreflektion
vermittelt werden, u.z. hauptsächlich durch eine „geniessende“, eine
„asketische Einstellung“ oder durch die Selbstgestaltung. Wobei
hierin hinzuzufügen ist, dass die Selbstgestaltung determiniert wird
durch unsere Beziehung mit der Welt, mit Dingen und Personen, wie
wir mit ihnen umgehen, d.h. in Sinne des Genusses oder der
Askese.
Das Objekt als Widerstand oder dass man
es sein lässt
• Abstand gegenüber dem Objekt bei den
selbstreflektierten Einstellungen
• Wechselhafter Abstand vor dem Objekt
• Gegenständliche Einstellungen können
aktiv, kontemplativ oder mystisch sein
• Aber, warum sind sowohl die aktive als
auch die kontemplative und die mystische
Einstellungen gegenständlich?
Peter Brueghel: Handeln kann sogar widersinnig sein. Man baut weiter
aber die Gründe des Babelturm sind nicht mehr fest. Jaspers erinnert
an Goethes’ Wort: Der Mensch handelt gewissenlos, wobei der Denker
interpretiert dies im Sinne von unserer wesenhaften Endlichkeit
Kontemplative Einstellung
Mystische Einstellung, Bernini, Die heilige Theresa
Inwiefern können Genuss und Askese übereinstimmen?
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Dieses ist sehr interessant, weil es bedeutet nämlich, dass wir von einem
gewissen Abstand mit Dingen und Personen zugleich bestimmt sind, und
nicht nur aufgrund der Askese, sondern zugleich des Genusses. Jaspers
behauptet nämlich dass die geniessende Einstellung zugleich asketisch ist,
weil anders als die blosse Lust, im Genuss ein Abstand dem geniessenden
Gegenstand beheimatet ist.
Also zunächst die Hauptunterscheidung ist zwischen gegeständlicher und
selbsreflektierter Einstellung. Bezüglich der Ersteren: die gegenständliche
Einstellung kann entweder aktiv, kontemplativ oder mystisch sein. Der
Politiker, der Techniker, der Unternehmer, der Arbeiter können von einer
aktiven Einstellung bestimmt werden. Es geht darum, den Gegenstand zu
verändern nach verschiedenen nachzuvollziehenden Absichten. Dieser
„Gegenstand“ kann durch die Mitbürger vertreten sein, wie für den Politiker,
oder die Umwelt, wie für den Unternehmer oder den Arbeiter.
Bei der kontemplativen Einstellung ist es anders, auch wenn sie zugleich
eine „gegenständliche Einstellung“ ist. Das Hauptmerkmal ist hier nämlich,
dass sie den Gegenstand „sein lässt“. Es geht hier darum, dass man die
Welt und die andere Mitmenschen sein lässt wie sie sind. Das Schisalhafte
spielt hier eine Rolle.
Vita contemplativa u. activa
• Geschichtlich betrachtet, im 19. Jahrh.
Übergang von der Musse zur Handlung
• Fichte und Marx: Vorläufer des Übergangs
• “Vita activa” von Hannah Arendt: arbeiten,
herstellen und handeln
• Die Unterscheidung von Jaspers zwischen
äusserer und innerer Handlung
• Die Frage nach der eigentlichen Handlung
bei Jaspers und Heidegger
Aus welcher Sicht kann man auch die Weltgeschichte lesen?
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Dieses entspricht zugleich der milleranischen Weltanschauung von unseren Urahnen,
von der Antike und dem Mittelalter: es bezieht sich auf die „vita contemplativa“, die
von der Musse ausgezeichnet wurde, sei es im Sinne der Kunst, der Religion oder
der Philosophie.
Später, innerhalb der Neuzeit, beginnt die grosse Umwandlung, u.z. der Übergang
von einer kontemplativen Haltung oder Einstellung zu einer aktiven Einstellung. Erste
Züge davon treten besonders im Denken von Gottlieb Fichte hervor, besonders in
seiner „Bestimmung des Menschen“ (1800) und dann auch sehr geschichtsprägend
bei Karl Marx. Gleichzeitig im XIX Jahrhundert findet die „industrielle Revolution“
statt. Und diese geschichtlichen und philosophischen Hintergründe bestimmen uns
bis heutzutage, eben als aktive Menschen.
Dieses ist zugleich ein grosses Thema, dass besonders von Hannah Arendt in seiner
„Vita activa“ aufgegriffen wurde.
Aber schon bei Jaspers, in seinem Hauptwerk „Philosophie“ (1931), kommt dieses
Thema in betonter Weise zum Ausdruck, u.z. im Zussammenhang mit der Frage
nach dem möglichen Selbstsein und der damit bezogenen Frage nach einer
möglichen eigentlichen Handlung. In dieser Beziehung macht Jaspers eine sehr
tragende Unterscheidung, nämlich zwischen einer „inneren“ und einer „äusseren
Handlung“. Nur insofern die Handlung sich lange in uns vorbereitet, und nicht
unmittelbar sich einfach veräusserlicht, besteht die Möglichkeit von einer echten
Handlung.
Kontemplative und mystische Einstellungen
• Kontemplative Einstellungen können
intuitiv, ästhetisch oder rational sein
• Intuitive Einstellung: direktes Erfassen des
Wesens. Erretung der Anschauung
• Ästhetische E.: das Ganze in etwas
• Rationale E.: die Abstraktion
• Und die mystische E. auch
gegenständlich?
Mystische Einstellung: Auch gegenständlich?
• Die kontemplative Einstellungen können intuitiv, ästhetisch oder
rational sein. Die intuitive Einstellung hat die Fähigkeit das
Wesentliche vom Gegenstand unmittelbar und unvermittelt
aufzugreifen. Die ästhetische Einstellung ist dadurch ausgezeichnet,
dass bei ihr eine Umgestaltung stattfindet: ein Ganzes offenbart sich
in einem Einzelnen (wie im Kunstwerk). Die rationale Einstellung hat
mit der Abstraktion zu tun. Hier werden gewisse Charakeristika
isoliert, die ermöglichen, dass man manche Schlüssen daraus zieht,
wobei dies sehr stark mit den Naturwissenschaften zu tun hat.
• Merkwürdig ist, dass die mystische Einstellung zugleich eine
gegenständliche Einstellung ist. Dieses kann man nur dann
verstehen wenn anerkannt wird, dass hier das Gegenständliche
göttlich ist. In dieser Hinsicht wäre hinzuzufügen, dass die
Auszeichnung des „Seinlassens“, die die gegenständliche
Einstellung charakterisiert, hier am stärksten zum Vorschein kommt.
Gott oder das Göttliche muss man eben „sein lassen“ und nur so
können wir damit in einer echten Art und Weise umgehen.
Mystik und Enthusiasmus
• Die höchste Möglichkeit der Überwindung der SO Beziehung liegt in der mystischen Einstellung
(mE)
• Bei der eE das Objekt ist zugleich Subjekt und
zwischen beiden gibt es ein gleichberechtigtes
Verhältnis
• Was für eine Rolle spielen hier Bewegung und
Ruhe?
• Wie verhält sich Bewegung und Ruhe mit der
Zeit?
Enthusiastische Einstellung. Sufi: Überwindung der
Subjekt-Objekt Spaltung durch Bewegung
Sufi Ikone helfen uns auch
Oder auch durch gewisse Mantras
Oder durch Tai-Chi
Aber eigentlich das Unbewegliche, die völlige Ruhe, ist ein sicherer
Weg zur Überwindung der S-O Spaltung, und darum geht es eben in
der mystischen Einstellung
Bewegung und Ruhe: Fusion und Überwindung der S-O Beziehung
• Und hier kommen wir zu dem Hauptunterschied zwischen der
mystischen und der enthusiastischen Einstellung. Bei der
mystischen Einstellung der „göttliche Gegenstand“ ist so bedeutend,
dass wir sozusagen aufgesaugt werden. Es ist die unio mystica die
dadurch erreicht wird, und wir erleben das als eine vollkommene
Befriedigung, als Ruhe, Gelassenheit und Erfüllung. Besonders
gemäss östlichen Erfahrungen in diesem Zusammenhang der
Schlüssel ist hier nicht nur eine vollkommene Gelassenheit und
Ruhe, sondern gleichzeitig die Unbeweglichkeit. Es ist
hervorzuheben, dass nur indem wir uns in einer vollkommenen
Ruhe und Unbeweglichkeit befinden, die unio mystica erreichen
können.
• Im Gegenteil dazu die eE ist durch Unruhe, Drang, Sehnsucht,
Unbefriedigung gekennzeichnet. Hier sind wir auch auf der Suche
nach dem Einen, aber der Weg dahin schliesst Bewegung ein.
Bezüglich der Subjekt-Objekt Beziehung, entweder Gleichberechtigung
oder Überwindung: Enthusiasmus oder Mystik
• Aber damit sind wir doch zu der Unterscheidung zwischen
mystischer und enthusiastischer Einstellung angelangt: die Erstere
bedeutet die Möglichkeit die Subjekt-Objekt Spaltung zu
überwinden, während die enthusiastische Einstellung in ihrem
Rahmen verfangen verbleibt, bzw. kann, aber nur zeitweilig die
erwähnte Spaltung überwinden. Anders ausgedrückt, und gemäss
der Terminologie von Jaspers, die mystische Einstellung ist von der
Transzendenz bestimmt während die eE innerhalb einer Immanenz
verbleibt, bzw. sie ist immer unterwegs sie zu transzendieren.
Jaspers fügt hinzu, dass in der eE ein Wechselverhältnis zwischen
Subjekt und Objekt stattfindet, da das Objekt wiederum hier das
gleichberechtigte andere Subjekt ist:
• „so ist auch im Enthusiasmus bei aller Subjekt-Objekt Spaltung doch
zugleich eine Einheit beider, ein Wechselverhältnis: im Erlebnis wird
zugleich ein Objektives gefühlt, und alles Objektive ist doch
unzureichend und nur da, sofern es vom Erlebnis und von der Kraft
des Subjekts übergriffen wird“ (PdW, 119).
Die Einheit, ein Schlüssel der Philosophie,
der Theologie und der Mystik
• Bei Plotin Weg von der Einheit her und zu
der Einheit hin. Letzterer, der menschliche
Weg
• Dionysios Areopagita und die “negative
Theologie”
• Was bedeutet die “via negativa”?
• Metaphysischer und Existentieller Sinn der
via negativa
William Turner…das Eine, das Unendliche
Streben nach der Einheit. Was hat das für eine Bedeutung
bei Plotin und in der negativen Theologie?
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Wir widmen uns demnächst den verschiedenen Merkmalen der eE, die Jaspers
aufweist:
1.„Enthusiasmus ist etwas einheitliches und strebt zur Einheit“ (PdW, 119).
Wie wir wohl wissen, die Einheit, besonders im Sinne des Einen, hat eine tragende
Bedeutung in der Philosophie, an erster Stelle, bei Plotin. Und man kann wohl sagen,
dass sowohl Plotin wie Jaspers Züge der „negativen Theologie“ tragen, gegründet
von Dionysios Areopagita im IV Jarh. a.d. Hierin geht es darum, dass wir nur von Gott
sagen können was Er nicht ist; deshalb eine via negativa, ein Weg der Verneinung,
und wenn wir diesem folgen, sind wir zumindest näher an der Gottheit, und nicht
vollkommen abseits von ihr, indem wir affirmative Aussagen über sie machen, die
bloss endlich sind.
In Bezug auf die Einheit, nach der die eE strebt, sagt Jaspers:
„Ohne zureichend bestimmbaren „Zweck“ (nicht ohne erlebten Sinn) opfert sich der
Mensch im Enthusiasmus; er begeht, nach gewohnten Erwägungen beurteilt,
„sinnlose“ Handlungen. Gegenüber dem Leben in der Ruhe traditioneller
Gewohnheiten, ohne die Gegensätze in der Welt zu spüren, gegenüber dem Leben in
der inneren Unberührtheit bei allen öffentlichen Tun in den begrenzten, relativen
Sphären, wird das Leben in der enthusiastischen Einstellung überall im Tiefsten
aufgewühlt und zugleich befestigt, in Liebe und Hass, in Verbindung und Kampf, in
bedingugsloser Hingabe bewáhrt und gesteigert. Gegenüber dem Leben, sei es ohne
feste Substanz, sei es ohne dass diese Substanz je berührt würde, bedeutet die
enthusiastische Einstellung erst ein waches Leben, erst ein Leben im Ganzen und im
Wesen“ (PdW, 119).
Wege zum Einen oder Gott, Plotin und Pseudo-Dionysios
Der Geist eingehaucht von der Existenz
• Gegenstand der eE als Idee?
• Idee und Geist
• Unterschied zwischen Existenz und Geist
beim späten Jaspers
• Wie soll man eigentlich den Geist
verstehen? Verbindung zw. Geist und Idee
• Ideen in der Kunst, der Philosophie, der
Wissenschaft
In der PdW die Begriffe in statu nascendi
• Andererseits der Gegestand der eE lässt sich als Idee (eben eine
symbolhafte Idee) vorstellen, sei es in „Dichtung, Kunst,
Philosophie, Wissenschaft, Leben“.
• Es ist hervorzuheben, dass die PdW (1919) mit dem Übergang von
Jaspers von der Psychiatrie zur Philosophie zusammenhängt. Wenn
man beispielsweise die PdW mit dem Hauptwerk Philosophie (1931)
vergleicht, können wir deutlich erkennen, dass die entscheidenden
Begriffe des Jasperschen Denkens in der PdW sich sozusagen in
statu nascendi befinden. Dieses erkennt man u.a. an der Rolle die
die Ideen haben. In Philosophie die Ideen befinden sich auf der
Ebene des Geistes, der wiederum Medium des Selbstseins, der
Existenz, ist, die sich offenbaren können, wie vorhin gesagt wurde,
als Kunst, Philosophie, u.a. In dieser Hinsicht ist es interessant, die
PdW in dem Sinne wahrzunehmen, inwiefern der Begriff der
Existenz sich hierin schon andeutet.
Selbstreflektierte Einstellungen: Genuss, Askese,
Selbstgestaltung; dessen Bezug zum Selbstsein, und die
einhergehende Fragen nach dem möglichen Selbstsein
Wir müssen uns eine gewisse Klarheit darüber verschaffen, dass es
bei den eE (die Liebe eingeschlossen) es auch um unser Selbstsein
geht; in der PdW die selbsreflektierte Einstellungen sind auf das
Selbstsein angewiesen, da unter ihnen auch die Selbstgestaltung
zuzurechnen ist. Dieses offenbart sich zunächst, wie wir oben
gesehen haben, in der Art und Weise wie wir gemäss der Askese
und des Genusses, mit de Welt umgehen, und zweitens, im Sinne
der Selbstaufopferung. Unser Selbst möchte sich bequem festlegen,
bejahen, aber verirrt sich öfters dabei, da es das nur aufgrund des
Gegebenen an ihm tut (als blosses Dasein). Nach dem späteren
Werk der Philosophie, die Selbstaufopferung erweist sich eben als
ein Transzendieren der Bestimmungen und „Allgemeinheiten“ (wie
Jaspers selbst sie nennt) des Körperichs, des Rollenichs, des
Leistungichs, des Erinnerungichs, und sogar des Charakters (ein
sogenanntes „Sosein“).
Die Abgeschiedenheit von Meister Eckhart
angewandt an uns selbst
Hierbei wiederum zeigt sich eine gewisse Annäherung
mit der negativen Theologie; nach einem seiner
Vertreter, u.z. Meister Eckhart, geht es um die
Abgeschiedenheit in seinen Predigten und Traktaten:
„Richte dein Augenmerk auf dich selbst und wo du dich
findest, lass ab von dir. Das ist das Allerbeste“. Nur
durch die Abgeschiedenheit, durch die „loslösende
Abkher“ von Allem, können wir die unio mystica
erreichen. Und was Jaspers angeht, die Auffassung der
Selbstgestaltung, des Selbstseins und der damit
zusammenhängenden Selbstaufopferung offensichtlich
beinhaltet auch Einflüsse der östlichen Philosophie.
Östliche Meister und Philosophen werden häufig zitiert
auch an entscheidenden Stellen schon in der PdW.
Selbstwerden, Selbsthingabe, Selbstaufopferung
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Schliesslich liegt die Selbstaufopferung sehr nahe der folgenden Feststellung:
2.“Enthusiasmus ist Selbstwerden in Selbsthingabe“ (PdW, 120).
Zunächst sagt uns Jaspers:
„Die Selbsthingabe, Aufopferung des Ich, ist so vieldeutig wie das Selbst es ist“
Diese Aufopferung kann vielerlei Gestalten annehmen, aber prinzipiell schliesst
Wagnis ein, u.z. Wagnis oder Risiko sogar des Nichtseins. Deshalb erkennt Jaspers
diese Möglichkeit sogar beim Duell an:
„Eine der Triebfedern des Duells in unserer Zeit ist in dieser Gesinnung zu
suchen, die in all ihrer Primitivität doch etwas Wurzelhaftes ist, ohne welches die
sublimierten Formen des gesitigen selbstbewussten Daseins in der Luft schweben.
Wer sein Leben bewusst wagt, erlebt eine einzigartige Freiheit. Dieses Wagen der
Existenz gibt ein neues Bewusstsein des eigentlichen Selbst, das etwa der Krieger,
der die Wahl hat, zu wagen oder sich zu drücken, enthusiastisch ergreift“ (ib.).
Abgesehen vom Krieger, im Sinne der Aufopferung, Jaspers spricht auch vom
Selbstmord. In Philosophie gesteht er dem Selbstmörder auch die Möglichkeit, dass
nicht nur ein Körperich oder ein Leistungsich den Freitod begehen, sondern sogar
dem Selbstsein. Jedenfalls was den Selbstmörder kennzeichnet ist die Verzweiflung.
Vergewissern wir uns, dass Jaspers den Entschluss gefasst hatte, Selbstmord mit
seiner Frau Gertrud zu begehen im Falle, dass sie von der SS in Heidelberg
gefangengenommen würden.
Jan van Chelminski, Duell an einem Wintermorgen
Im Falle von Werther: Wer begeht Selbstmord? Ein Körperich, ein
Rollenich, ein Leistungsich, ein Erinnerungsich, ein “Sosein” oder ein
“Ich selbst”? Zuletzt, gemäss Jaspers, Schweigen und Respekt
Rumi und Buddha
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Die Aufopferung betrifft auch den „Pflichtmensch“ der sich eben für etwas
„formales“ aufopfert – wie Jaspers sagt. Doch die Aufopferung des Ich ist
besonders für den Heiligen stichhaltig.
Die Verse des Dschelaleddin Rumi, die Jaspers von einem Zitat von Hegel
nimmt, drücken in prägnanter Form die Ichaufopferung:
„Es schauert Leben vor dem Tod.
So schauert vor der Lieb ein Herz.
Als ob es sei vom Tod bedroht.
Denn wo die Liebe erwachet, stirbt
Das Ich, der dunkle Despot“ (PdW, 121).
Die Aufopferung rechtfertigt sich nach Jaspers, insofern die von ihr
einhergehende Verneinung, und damit auch ein Nichtsein der auf sich
genommen wird, bloss Übergang zum Sein und zum Leben ist.
Diesbezügluch zitiert er Buddha, und sagt:
„Charakteristisch hält Buddha, dem das Gegenüberstehen gegenüber dem
Nichts nur eine zu überwindende Stufe auf dem Wege zum Nirvana ist,
diesen Drang zum Nichts, zum Nichtsein, für blosse Begierde zum Leben
mit umgekehrten Vorzeichen und für etwas ihm ganz Fremdes“ (ib.).
Rumi und Buddha
7 Empfehlungen des Rumi (islamisch
persischer Mystiker des 13. Jahrh.)
Sei wie ein Fluss bei taetiger Freigiebigkeit und Hilfe.
Sei wie die Sonne im Verbreiten von Erbarmen und
Guete.
Sei wie die Nacht im Verdecken der Fehler von
anderen.
Sei wie ein Toter hinsichtlich Fanatismus und
Harschem.
Sei wie der Erdboden in Bescheidenheit und
Genuegsamkeit.
Sei wie das Meer in Geduldsamkeit.
Zeig dich entweder so, wie du bist oder sei so, wie
du dich zeigst.
Sogar die Gottheit kann uns in besonderer
Weise Gegenstand des Enthusiasmus sein
• 3.“Der Gegenstand ist dem Enthusiasmus auf spezifische Weise
gegeben“ (ib.).
• Die Bewegung des Enthusiasmus äussert sich als Streben:
• „es ist eine Bewegung, die Erhebung, Aufschwung genannt wird,
eine Bewegung nach oben“ (PdW, 122).
• Wie wir schon im voraus sagten, die eE trägt das Merkmal des
Absoluten, der Einheit, des Ganzen, des Wesen in sich. Aber was
sich im Enthusiasmus offenbart ist immer ein Endliches, oder besser
formuliert: es offenbart sich das Unendliche im Endlichen. Der
Gegenstand der eE kann auch Gott sein:
• „Der Gegenstand wird in Gott gesehen, nicht vereinzelt. Es wird
nicht als Endliches, sondern als eingebettet in das Unendliche
ergriffen“ (ib.).
• Und da dieser Gegenstand, das Absolute selbst, nicht erklärt
werden kan, erkennt Jaspers dass die, übrigens Kantsche,
Auffassung des „als ob“ dem entspricht.
Enthusiasmus muss Wirklichkeitsbezogen
sein, sonst wird er unecht
• 4.“Enthusiasmus und Realität“ (ib.).
• Wenn Enthusiasmus keinen Bezug zur Realität findet, wird es zu
etwas Illusorisches, zum Rausch, zur Schwärmerei (dieses wird
deshalb als „unechter Enthusiasmus“ beschrieben). Während der
„echte Enthusiasmus“ hingegen mutmasslich eine direkte und
fruchtbare Verbindung mit der Realität hat:
• „Der überall eine Enthusiasmus erscheint in vielen Arten je nach
dem konkreten Stoff, in dem er die ideenhafte Durchdringung
erreicht. Solche Typen sind: der Enthusiasmus in der
metaphysischen Beseelheit der aktiven Einstellung, im Kampf in der
Geschlechterliebe, in der wissenschaftlchen Arbeit, im
künstlerischen Schaffen, in der Persönlichkeitsgestaltung, usw.“
(PdW, 123).
Enthusiasmus, Heldentum, und der Held als
“Held des Augenblicks”
• Hervorzuheben ist zugleich dass der Enthusiamus mit
dem Heroismus, dem Heldentum verknüpft ist.
• „Überall wo der Enthusiasmus das schlechthin leitende
Moment bildet, also wo in der Realität und für die
Realität gelebt und doch alles gewagt wird, spricht man
wohl von Heroismus: von heroischer Liebe, heroischem
Kampf, heroischer Arbeit usw.“ (ib.).
• In diesem Zusammenhang muss man sich entsinnen,
dass Jaspers, auf den Spuren von Kiekegaard, der Held
als „Held des Augenblicks“ versteht. Das heisst, der Held
ist eben derjenige der alles auf Spiel, sogar sein eigenes
Leben, in einem Augenblick setzt. Jaspers sieht hierin
auch eine Möglichkeit des „sich verewigenden
Augenblicks“, die vor allem dem Selbstsein innewohnt.
Metaphysische Auffassung der Liebe
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Und so kommen wir auf die fünfte Kennzeichnung der eE, u.z. die Liebe. Es fällt auf,
dass im Text auf die übrigen Kennzeichnungen ungefähr eine Seite gewidmet wird,
auf die Liebe aber sind es dreizehn.
5.“Die enthusiastische Einstellung ist Liebe“ (PdW, 123).
Als Erstes müssen wir unterstreichen, dass all die Kennzeichnungen als eine
Art Tautologien zu verstehen sind. Mit anderen Worten, sie haben nicht einfach den
Status von etwa Qualitäten, Attributen, Charakteristika der eE, sondern entsprechen
seinem Wesen: u.z. als Einheit, Selbsthingabe, Streben, u.a.; und jetzt nun Liebe. Wir
können dann nicht nur sagen: die eE ist Liebe, sondern die eE als Liebe, d.h., dass
wir sie in dieser ihr innewohnenden Bestimmung betrachten.
Gerade deshalb wiederholen sich viele der Kennzeichungen der eE im Sinne
der Liebe, beispielsweise die Erste:
„Die Liebe ist etwas Universales“ (PdW, 123),
und Jaspers fügt hinzu:
„es ist eine Bewegung in uns durch alles Konkrete hindurch /.../ in das Absolute
und das Ganze“ (PdW, 123).
Diese Auffassung der Liebe bei Jaspers schliesst in sich mystische Züge ein:
ähnlich wie bei Dante, nach welchem die Liebe die Sterne bewegt, bei Jaspers
durchdringt die Liebe als Bewegung alles und jeder hat die Möglichkeit sozusagen in
diesen Strom der Bewegung hineinzuspringen und sich von ihm treiben zu lassen.
Liebe und Licht
• Gleichsam hat die Liebe mit dem Licht zu tun. Durch ihre Wirkung
leuchtet alles auf. Nicht nur die Geliebte steht unter einem gewissen
Schimmer, sondern auch unsere Umgebung, die Anderen, die Welt
insgesamt.
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Die Liebe ist andererseits den Trieben entgegengesetz. Mit
den Trieben teilt sie mit, dass sie Bewegung und Streben ist, doch
sie ist ihnen entgegengesetz, weil sie versucht sie zu erheben, dass
sie nicht mehr bloss materiell bestimmt werden.
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„/Die Liebe/ ist allen Trieben entgegengesetzt, insofern sie
allein über das Individuum erlebnismässig hinausgeht, nicht
egozentrisch, nicht altruistisch, überhaupt nichts Einzelnes ist,
keinen bestimmten Bereich empirischer Gegenstände oder
ichbestimmte Funktionen hat“ (PsW, 123).
Goethe an Frau von Stein
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“Warum gabst uns, Schicksal, die Gefühle,
Uns einander in das Herz zu sehen,
Um durch all die seltenen Gewühle
Unser wahr Verhältnis auszuspähen?
...
Sag’, was will das Schicksal uns bereiten?
Sag’, wie band es uns so rein genau?
Ach, du warst in abgelebten Zeiten
Meine Schwester oder meine Frau.
Kanntest jeden Zug in meinem Wesen.
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt,
Könntest mit einem Blick lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug’ durchdringt“.
Charlotte von Stein
Spannungsverhältnis zwischen
Sexualität, Erotik und Liebe
• Es geht darum, dass die Liebe die Triebe formt bzw. gestaltet.
Dieses betrifft zugleich was die Sexualität und die Erotik angeht.
Wenn diese sich isolieren, dann werden sie unecht und die
Sexualität entwürdigt sich bloss als Funktion. Die Erotik, seinerseits,
verweist vor allem, nach Jaspers, auf ein Erwecken von Illusionen
und phantasmata durch Bewegungen, Wörter, Gestik, usw. Diese
Auffassung der Erotik ist mit derjenigen von Octavio Paz zu
vergleichen, u.z. in dem Buch Die doppelte Flamme: Erotik als
„Ritualizierung der Sexualität“.
•
Wenn schon die Erotik die Sexualität teilweise gestaltet, die
höchste Gestaltung kommt von der Liebe, die Jaspers ausdrücklich
„metaphysische Liebe“ benennt. Nur so werden der Sexualität und
der Erotik eine Richtung zum Absoluten und Unendlichen auferteilt.
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„Bemächtigt sich aber die Liebe der Erotik, so bekommt das
Erotische eine Weihe, und wird selbst eine Ursache zur höchsten
Intensivierung der Bewegung der Liebe“ (PdW, 131).
Modigliani (Sexualität?) und Klimt (Erotik?)
Fliessendes Verhältnis zwischen Sexualität und Erotik.
Rodin:
Blinde Liebe und Illussion und dieses
bezogen auf Stendhal
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Jaspers steht somit einleuchtend in der grossen platonischen Tradition der
Philosophie der Liebe.
Vergegenwärtigen wir uns, dass, gemäss dem platonischen Symposion, Eros
drei Stadien in seinem Leben durchläuft, u.z. jedesmal als „Begehren in der
Schönheit zu erzeugen“, zunächst in den Körpern, dann in den Seelen (was auf die
paideia, die Bildung hinweist) und zuletzt in der Schönheit selbst, d.h. in der Idee der
Schönheit und nicht mehr in jeglichen Erscheinungen der Liebe.
Die Deutung der Erotik als illusionshaft greift nach Jaspers direkt auf Stendhal,
Marie-Henri Beyle, zurück, u.z. in kritischer Weise, wie es auch der spanische
Philosoph, José Ortega y Gasset in seinem Buch Studien zur Liebe (1939) tut.
Ähnlich wie bei Ortega y Gasset, die Auffassung der Liebe als ein Phänomen der
Kristallisation, wird von Jaspers radikal umdeutet in sein Gegenteil, da es angeblich
keine Liebe ist. Nach Stendhal deutet die Liebe darauf hin, gemäss seinem Buch Von
der Liebe (1822), dass sie mit dem physischen Phänomen der Kristallisation
verwandt ist: beispielsweise die Kristallisation eines einfachen Paares von
Baumästen die metaphorisch auf ein Menschenliebespaar anspielen. Nach einiger
Zeit, meint Stendhal, wie in den Salzminen von Salzburg, jene Äste glänzen,die von
Kristallen an der Rinde haften: sowie auch bei einen Liebespaar das sich nach kurzer
Zeit einer für den Anderen alles ist.
Stendhal und Ortega y Gasset
Kritik von Jaspers an Stendhal
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Und die Jaspersche Kritik darauf:
„Was Stendhal in der Liebe die Kristallisation nennt, das Umkleiden
der Geliebten mit allen Werten, ist, sofern damit nicht jener Lichtstrahl vom
Absoluten her gemeint ist, illusionär. Es ist keine Liebe, sondern der
einseitige Prozess der Wertanhäufung, der eines Tages mit dem
Zusammenbruchs dieses Kartenhauses endet“ (Pdw, 129).
Und weiter unten:
„Wer liebend sich so illusionär angesehen fühlt, fühlt sich selbst nicht
geliebt. Die illusionäre Umkleidung ist ein Feind der Liebe“ (ib.).
Damit kommt auch schon die angebliche Blindheit der Liebe im Spiel.
Wenn, nach Stendhal, doch diese imaginäre Umkleidung von dem Anderen
stattfindet, kommt damit auch nicht nur die angesprochene Blindheit,
sondern auch ein erahnter Morbus zum Vorschein. Und noch dazu: Das
Morbide geht auch, nach Stendhal, mit der Liebe einher, oder besser,
negativ ausgedrückt: das Krankhafte, bzw. das Psychopatologische ist nicht
von der Liebe vollkommen auszuschliessen. Immerhin, nach Jaspers aber,
diese krankhafte Erscheinungen sollte man eigentlich von der „echten
Liebe“ ganz und gar trennen; sie würden, wenn überhaupt, unter der
„unechten Liebe“ fallen. Die Liebe ist eben nicht blind: „Diese Blindheit
entspringt aus Bedürfnis, aus Trieben endlicher Art“ (ib.).
Die Liebe ist hellsichtig und durch diese Hellsichtigkeit wird
das Geliebte wertvoller
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Für Jaspers ist eben die Liebe hellsichtig. Dieses steht gleichzeitig im Einklang mit
einer werthaften Bestimmung der Liebe. Demgemäss bietet Jaspers uns eine
unausgesprochene grundlegende axiologische Lehre an, die uns zu einer
genealogischen Frage nach den Werten führt (etwa wie Nietzsche dieses in seiner
Genealogie der Moral aufgegriffen hat). Woher kommen die Werte? Diese ist die
grosse Frage der Axiologie, die auch die Frage nach dem Wesen des Wertes
einschliesst. Gibt es Werte weil wir werten (wie es bei Nietzsche ist) oder das Werten
findet statt aufgrund vorgegebener Werte (wie es bei Platon ist). In diesem Kontext
Jaspers führt eine neue These auf, im Hinblick auf die Liebe:
„In der Liebe leuchtet alles auf, so dass es für den Liebenden der Wert überhaupt
wird. Es sind nicht „Werte“, die entdeckt würden in der Liebe, sondern in der
Bewegung der Liebe wird alles wertvoller. Es wird ein Prozess der Werterhöhung
erlebt. Das Wertvolle ist absolut konkret, nicht allgemein“ (PdW, 124).
Man könnte meinen, dass gerade durch die Hellsichtigkeit wir uns verblenden lassen
können (und so kämen wir zurück zur Stendhals’ Kristallisation), aber die erwähnte
Hellsicht ist zugleich wirklichkeitsbezogen. Wenn die Liebe echt ist, lieben wir den
Anderen sowie er (bzw. Sie) ist, auch in seinen Fehlern, in seinem Mangel, in seinen
Lücken:
„Man liebt den Menschen mit seinen Fehlern, in seiner Wirklichkeit, die im Absoluten
liegend gesehen und als Prozess im Kampfe liebenden Verstehens erfahren wird“.
Liebe anders als das bloss Empirische. Durch die
Liebe konstituiert sich das Individuum
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D.h. da die echte Liebe vom Absoluten, von der Unendlichkeit berührt ist, erhält sie
keine Richtlinie von etwas Endlichen, Empirischen. Das Maassgebende ist immer das
Unendliche im Endlichen, aber nicht das Endliche als ein solches.
Und so kommen wir – meiner Ansicht nach – zu einer der wesentlichsten und
tragendsten Bestimmungen der Liebe. Nur duch sie konstituiert sich das Individuum
als solches.
„Das Geliebte ist immer Individuum. Individuum ist ein anderer Ausdruck für das
absolut Konkrete. Die logische Kategorie des Individuums wird nur in der Bewegung
der Liebe erfüllt (PdW, 124).
Aber nicht nur die Geliebte wird als Individuum konstituiert, sondern –man darf
hinzufügen – auch der Liebende, wobei dies ein sehr entscheidender Punkt ist.
Insofern ich liebe, und dies gerade nach der Liebesauffassung von Jaspers, entdecke
ich an mir diese höchste Möglichkeit und konstituiere mich als Indivuum, als ein
Einzelner. Aber auch indem ich selbst der Geliebte bin, werde ich als Individuum
konstituiert. Nach den Worten des Philosophen: “Wo Liebe Gegenliebe wachruft”.
Die Philosophie der Liebe bei Roland Barthes (Fragmente einer Sprache der Liebe,
1977) und bei Eugenio Trías (Abhandlung über die Leidenschaft, 1978) entwickelt
sich auch in der Richtung einer erotischen (im breiten Sinn) Konstitution des
Individuums durch die Liebe. Im Falle von Trías erfüllt sich diese Konstitution
besonders durch die Leidenschaft. Weil die Letztere auf Leiden, pathos, verweist,
verbindet dieses Trías zugleich mit einer Wunde. Durch diese blutende Wunde
werden wir einzelne Individuen.
Roland Barthes und Eugenio Trías
Kierkegaard, der Vorläufer, und Jaspers der Gründer der
Existenzphilosophie
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Dieses ist zutiefst zu Bedenken: die ausschliessliche Konstitution des Individuums
durch die Liebe. Bei den meisten menschlichen Beziehungen der Mitmensch wird
nicht als ein solches, in seiner unwiederholbaren Individualität, angesehen.
„Sonst immer gleichgültig ist das Individuum nur für den Liebenden als Individuum
und für alle anderen nur als zufällige Einzelheit, als ein Individuum unter vielen. Für
den Erkennenden ist es Fall, für den Handelnden Mittel, für den Historiker
wertbezogen und konstruiert, für den Logiker endlos und darum unfassbar“ (ib.).
In der Geschichte der Philosophie ist das Denken von Kierkegaard besonders
dadurch ausgezeichnet, dass er eigentlich der Schöpfer des Einzelnen, des
Individuums ist. Im Vergleich mit vorigen anthropologischen Auffassungen, dank des
dänischen Philosophen, der Mensch wendet sich jetzt nach innen und wird in seiner
unwiederholbaren und ausschliesslichen Einzelheit entdeckt. Jaspers steht nicht nur
unter dem Einfluss von dieser philosophischen Wende, sondern auch (und nochmals
dank Kierkegaard) unter dem Einfluss der Bedeutung der Existenz als Seinkönnen
und Möglichsein. Bezüglich des Letzteren Kierkergaard hat Wesentliches dazu
beigetragen.
Was durch diese Begriffe entstand ist zuletzt die Existenzphilosophie, wobei die
Tragweite der Letzteren so zu betrachten ist, dass sie nicht einfach einer
philosophischen Richtung entspricht, sondern in dem Sinne, dass die
Philosophiegeschichte selbst – hauptsächlich durch die Existenzphilophie und damit
auch durch ihren Vorläufer (Kierkegaard) und Gründer (Jaspers) die besprochene
Umkehrung vollzog.
Jaspers: der Denker der Situationen und der
Grenzsituationen
Im Vorigen kam beiläufig ein verstehender liebender Kampf zu Wort.
Damit kommen wir zu einer entscheidenden Auszeichnung der
Liebe bei Jaspers. Er ist nicht nur der Denker des Seins als des
Umgreifenden, der Seinschiffren, sondern auch der Denker der
Grundsituationen. Unabhängig von dem Unterschied in der
Klassifizierung dieser Grenzsituationen die in seinem Werk
aufzuzeichen ist, sie sind letztendlich vier: Kampf, Leiden, Schuld,
Tod. Zunächst ist hervorzuheben, dass Jaspers auch der Denker der
Situationen ist, u.z. dass der Mensch sich immer in beliebigen
Situationen befindet die ihm bestimmen, aber im Allgemeinen sind
sie bedingt und zufällig. Demgegenüber gibt es Grenzsituationen,
wie die Erwähnten von der wir nicht herauskommen und die wir
einfach übernehmen müssen, weil sie vor allem unbedingt sind:
dass wir kämpfen, leiden, sterben müssen, und auch dass wir
schuldig sind.
Und Jaspers ist auch der Denker der “wesenhaften Schuld”
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Jaspers spricht von der „wesenhaften Schuld“ und unterscheidet sie von
bestimmten Schulden die wir begehen können. Wir sind wesentlich schuldig
weil wir endlich sind. Diesbezüglich zitiert Jaspers Goethes’ Wort: „Der
Mensch handelt gewissenlos“ und er interpretiert dieses in dem Sinne, dass
(aufgrund unserer Endlichkeit) wir nicht von der Ganzheit der Motiven oder
von der Ganzheit der Folgen unserer Entscheidungen wissen können. Also
wir sind und bleiben immer schuldig, im Sinne der „wesenhaften Schuld“.
Übrigens, in dieser Auffassung erkennt man, u.a., wieviel Heidegger vom
Denken Jaspers’ beeinflusst wurde, was er selbst nicht anerkennt.
Fügen wir noch hinzu dass, gemäss dem Oldenburger Philosophen, die
Welt immer im Trümmern liegt, u.z. weil es das Böse gibt, das sich als
Krieg, Gewalt oder Hungersnot äussert. Auch vor diesem Hintergrund sind
wir schuldig. Dementsprechend auch das angebliche „gute Gewissen“ hat
bei Jaspers keine Rechtfertigung.
In dem wir sind, befinden wir uns also im Kampf. Dieser Kampf vollzieht
sich vordergründig als Daseinskampf. Hier wird hart gekämpft und das
grosse Beispiel dafür ist offensichtlich die Geschichte der Menschheit und
unser Alltag. Es geht hier, nach Jaspers, um Auslese und Gewinnung, um
Erhaltung oder Begrenzung Anderer, um Kampf, um Ausbreitung des
eigenen Daseins.
Liebendes Verstehen und liebender Kampf
• Aber es gibt, auf der Ebene der Existenz, die Möglichkeit eines
„liebenden Kampfes“. Als allererstes geht es hier um „Selbstwerden“
und wiederum um ein liebendes Verstehen. Beides kennzeichnet
nebenher die Bedeutung de Kommunikation. Jaspers ist ja auch der
Denker der Kommunikation.
• „Zwischen Menschen ist Liebe zugleich das, was vieldeutig das
vollkommene Verstehen heisst. An der Erfahrung ist kein Zweifel. Es
ist, als ob ein Weg zur absoluten individuellen Substanz gefunden
sei, aber nicht zu ihr als zu einer absoluten Monade, sondern
eingebettet in das Absolute überhaupt“ (PdW, 124).
• Und von diesem Verstehen fügt Jaspers hinzu:
• „Zwischen Menschen in der Zeit manifestiert es sich als ein
liebendes Kämpfen der Seelen miteinander. Jede Gefahr wird
gewagt, keine Grenze der Form, der Gewohnheit, der Rechte, der
Grundsätze ist für immer respektiert, jede Distanz, so sehr jedes
menschliche Leben miteinander überall Distanzen errichtet und
fordert, wird irgendwahn aufgehoben“ (PdW, 125).
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