Inwiefern ist Jaspers einer der grössten Denker

Werbung
„Inwiefern ist Jaspers
einer der grössten Denker der Freiheit?“
(Bilder eingeschlossen)
Cristóbal Holzapfel
Die Frage nach der Freiheit geht uns besonders an. Was ist Freiheit? Sind wir
frei? Seit einigen Jahrzehnten gibt es die Neigung die Freiheit eher zu
verneinen als zu bejahen. Jeh mehr Art und Weisen des Determinismus
entdeckt werden, desto mehr führt dieses zu einer Verneinung der Freiheit.
Dieses hat nicht nur mit den Naturwissenschaften zu tun, sondern auch mit den
Geisteswissenschaften. Mit den Naturwissenschaften hat es dann zu tun wenn
durchaus die Möglichkeit besteht, dass es in der Natur so etwas wie Freiheit im
Sinne einer absoluten Spontaneität geben würde, aber man neigt eben dieses
zu verneinen. Mit den Geisteswissenschaften ist die Sache mehr problematisch,
weil hier das Zentrum nicht die Natur, sondern der Mensch ist. Und wenn die
Freiheit des Menschen negiert wird, was ist dann mit der Moral, den Normen,
den Gesetzen und besonders mit der Verantwortung? Durch die Verneinung
der Freiheit fällt dieses ganze Gebäude zusammen. Aber selbstverständlich
kann es nicht einfach darum gehen, um jenen Zusammenbruch zu vermeiden,
die Freiheit dann bloss vorauszusetzen.
Eigentlich ist doch sehr verständlich, dass in den Naturwissenschaften wie auch
in den Geisteswisschaften die Tendenz sich aufweist, die Freiheit zu verneinen.
Dieses ist auf die Erkenntnis zurückzuführen. Es ist offensichtlich, dass indem
die Erkenntnis fortschreitet, durch neue Entdeckungen über das Verhalten von
verschiedenen Phänomenen, desto mehr schreitet auch der Determinismus
fort. Dieses erklärt sich von selbst, da es eigentlich in diesem Zusammenhang
keine „Entdeckungen“ gibt, sondern vielmehr die Anerkennung von
Regularitäten im Verhalten verschiedener Phänomenen. Beispielsweise, im
Bereich der Naturwissenschaften, indem eine Regularität in der
Anziehungskraft der Körper anerkannt wird, mündet dies in der Formulierung
eines
Gesetzes,
dass
Determinismus
miteinbezieht.
In
den
Geisteswissenschaften ist dieses - die Regularitäten zum Vorschein zu bringen
- wiederum problematisch, da es hier, wie etwa in der Soziologie, um Statistiken
geht. Unter gewissen sozial-ökonomisch-kulturellen Bedingungen, ein
Individuum kann ein Verbrecher sein, aber, wie wir wohl wissen, da davon keine
Regularität zu schliessen ist, dann auch kein Gesetz und damit auch, keine
bestimmte Form des Determinismus. Zusammenfassend könnte man sagen:
Erkenntnis impliziert Determinismus. Aber wird damit alle mögliche Form der
Erkenntnis gemeint? Zunächst lassen wir diese Frage offen.
Die Möglichkeit der Verneinung ist besonders auf Kant’s dritte Antinomie
zurückzuführen. Die Art und Weise wie Kant die Frage nach der Freiheit in Griff
nimmt, ist mit unserer eingenen oben dargestellten Fragestellung zu verbinden.
Da eine Antinomie aus These und Antithese besteht, von Seiten der These und
1
auf dem Grunde der Erfahrung, erkennen wir nur Formen des Determinismus,
und niemals eine Art Spontaneität in der Natur, die erste Ursache einer Reihe,
und dieses betrifft auch den Menschen. Von Seiten der Antithese aber, darf
man, zumindest im menschlichen Bereich, davon ausgehen dass es doch die
erste Ursache einer Reihe, und damit auch Spontaneität, in unseren
Handlungen gibt. Und zugleich stellt sich heraus, dass die Bedingtheit von allen
in sich selbst nicht ausreichend ist. Diese Infragestellung der Freiheit bringt die
III. Antinomie der IV. Antinomie über Gott näher. Eine vollkommen bedingte
Welt ist eben nicht in sich selbst zureichend. Wenn dieses Ding hier, z.B. das
Fenster bedingt ist, dann führt dieses zu anderen ihm ermöglichenden
Bedingungen, die wieder bedingt sein werden. Am Ende dieser Reihe, die in
diesem Falle, die ganze Welt umfasst, muss ein absolut Unbedingtes
vorausgesetzt werden (These der IV. Antinomie).
Also Kant ist derjenige der die Verbindung zwischen Erkenntnis, Erfahrung und
Determinismus erkannte und insofern dank der Antithese der III. Antinomie
kann man durchaus verstehen, dass je mehr die Wissenschaft sich entwickelt,
von welcher Art auch immer, desto mehr Determinismus ins Spiel kommt.
Nun, um Jaspers’ Begriff der Freiheit aufzugreifen, wie wesentlich dieser Begriff
ist, und was für ein ontologisches Status er beinhaltet, erweist sich schon darin,
dass die Freiheit nicht zu leugnen ist; wer dieses tut, tut es aus Freiheit. Wer
nach der Freiheit fragt oder sie in Frage stellt, tut es aus Freiheit, und daran
kommen wir nicht vorbei. Dieses geht so weit, dass die Freiheit mit dem
Menschen selbst, mit dem Subjekt zu denken ist. Freiheit beinhaltet die
Möglichkeit den Menschen selbst als freies Wesen aufzufassen und dieses
innerhalb der Philosophischen Anthropologie. In dieser Hinsicht ist Freiheit nicht
nur im Sinne der griechischen Bedeutung des eleutherios oder der autarkie
aufzufassen. Es handelt sich nicht nur darum dass der Mensch frei ist im Sinne
des polites und demnach gegenüber dem Sklaven. Aus der Perspektive der
Bedeutung des Subjekts, Jaspers:
Und später:
2
Freiheit ist somit einer der gründlichsten Begriffen überhaupt; sie ist mit der
Wahrheit zu vergleichen. Wenn Nietzsche in seinen Unzeitgemässe
Batrachtungen die Wahrheit leugnet, der ausgesprochene Satz der das
behauptet, beansprucht selbst wahr zu sein. Dieses wird Nietzsche von
Jaspers, 1934, kritisiert, eben in seinem Nietzsche wie das auch Heidegger
ungefähr zur gleichen Zeit tut.
Übrigens, wir haben das gleiche Verhältnis bei Aristoteles. Im Buch der
Metaphysik behauptet der Philosoph dass der Satz des Widerspruchs
unwiderlegbar ist, da derjenige der ihn verneinen beabsichtigt sich nahm ihm
richten muss, nämlich er darf bei seiner Verneinung sich selbst nicht
widersprechen. Und eine andere Bemerkung des Stagirit ist in diesem
Zusammenhang auch zu beachten, u.z. dass wir uns nicht nur in der Theorie,
also gemäss dem nous theoretikós, nach dem Satz des Widerspruchs richten,
sondern auch in der Praxis, gemäss dem nous praktikós uns richten müssen; in
der Praxis gehen wir davon aus, dass wir die Schuhe an haben, dass sie
geschnürt sind, und dass unsere Schuhe eben unsere Schuhe sind.
Unabhängig von Jaspers kann man sagen, dass Freiheit paradox ist: sie
verlangt sowohl Determinismus wie Indeterminismus. Dieses hängt zugleich
von der Wahl ab. Freiheit äussert sich im Wählen, aber sobald ich eine Wahl
getroffen habe, bin ich schon bestimmt (determiniert), wenn eine Richtung nie
ganz nachzuvollziehen ist, mich also für oder gegen etwas zu entscheiden.
Aber dieses ist nur möglich aus der Unbestimmtheit der Indeterminiertheit. Hier
kommt wieder die Tragweite der Freiheit ans Licht: Freiheit meint sowohl
Bestimmung als auch Unbestimmung.Und die Philosophie selbst wird in dieser
Hinsicht verstanden als Paradoxie, die eben ermöglicht, dass Gegenteiliges
miteinanderkommt (coincidentia oppositorum?). So versteht insbesondere
Gilles Deleuze die Philosophie.
Aus der Sicht Jaspers, und was die Verbindung zwischen Freiheit, Möglichkeit
und Philosophie angeht:
So wie bei der Auffassung des Ich, auch bei der Auffassung der Freiheit
müssen wir von der Unterscheidung zwischen Dasein und Existenz ausgehen
und somit auch von der Unterscheidung zwischen Schemen der Freiheit, die
3
sich auf der Ebene des blossen Daseins bewegen (nämlich Dasein als „bloss
da zu sein“) und der Freiheit-selbst. Sowohl die Frage nach dem Ich-selbst wie
nach der Freiheit-selbst sind Schritte auf dem Wege der Existenzerhellung, II.
Teil des Werks „Philosophie“, 1931.
Erstes Schema ist das Wissen, d.h. Freiheit als Wissen. Wir wissen wohl dass
wir sterben müssen und gerade deshalb können wir uns auf dem Tod
vorbereiten. Verschiedene überlieferte Formen des memento mori geben davon
Kunde. Oder wir wissen, dass wir essen müssen, doch innerhalb gewisser
Grenzen können wir uns davon enthalten, wie in der Nüchternheit, oder zuviel
essen, wie in der Völlerei.
Als blosses Dasein gehören wir der Welt und den Phänomenen an. Wir sind
dann von einem biologischen Determinismus bestimmt. Wir müssen nicht nur
essen und schlafen, sondern auch und ganz besonders, sterben. Durch unser
Wissen verschwindet keine von diesen Bestimmungen– Essen, Schlaf oder Tod
– aber unsere Freiheit gewinnt in dieser Hinsicht einen gewissen Spielraum.
Nach Jaspers gibt es zwei Formen des Determinismus: der erste ist von der
Natur bestimmt und er wirkt auf uns eben in dieser Zwangsläufigkeit, dass wir
essen, schlafen oder sterben müssen.
Die zweite Form hat mit den Normen zu tun. In diesem Sinne lassen wir uns
von diesen bestimmen, sei es dass sie sie moralisch- oder politische Züge
beinhalten.
Beide Fälle berücksichtigend, bedeutet Freiheit unabhängig zu sein von diesen
Formen des Determinismus, und was dies ermöglicht, ist an erster Stelle das
Wissen. Wenn der Mensch ein vernünftiges Wesen ist, ein zoón lógon éjon,
animal rationale, nach Aristoteles, sind wir zugleich vom Wissen bestimmt.
Aufgabe der Vernunft ist nämlich zu wissen.
Das Merkwürdige was Jaspers macht in dieser Hinsicht ist zu erkennen dass
Freiheit und Wissen zusammenhängen, dass es sogar Freiheit ohne Wissen
nicht geben kann.
Hierin müssen wir auch beachten dass die Freiheit sich vor allem als Handlung
bewahrheitet, dass sie deshalb dynamisch ist, und diese Dynamik, die
Umsetzung, dieses sich in Gang setzen der Freiheit, ist das Befreien.
Wenn wir dieses so betrachten, dann wird es deutlich was für eine Aufgabe das
Wissen hat, nämlich dass es uns frei macht, uns befreit.
Es ist offensichtlich dass dieses auch auf die Bedeutung der Kultur hinweist.
Aber nicht nur das, sondern auch, dass es in der Menschheitsgeschichte eine
Aufklärung gegeben hat, und dass durch sie, nach Kant, der Mensch mündig
wurde, wobei das nur auf der Grundlage des Wissens zu verstehen ist.
Kommen wir jetzt zum zweiten Schema der Freiheit: die Willkür. Dieses
Schema der Freiheit ist so weitreichend dass es sogar zu einer bestimmten
Auffassung der Freiheit führt., nämlich das liberum arbitrium denn sie war im
späten Mittelalter aber auch teilweise in der Neuzeit besonders entscheidend.
Wahrscheinlich erklärt sich dieses vor allem aufgrund der Verbundenheit, die zu
erwarten ist, zwischen Moral und Freiheit: die Sache ist eben, dass wir immer
zwischen Gut und Böse zu entscheiden haben.
Bei der Willkür ist das Ausschlaggebende also die Wahl. Freiheit offenbart sich
als Wahl. Ich bin frei nur insofern ich wählen darf. Und wiederum zeigt sich hier
eine Verbindung mit dem Wissen. Die Wahl die ich treffe kann sich nur
rechtfertigen indem sie sich auf einem genügenden Wissen stützt.
4
Bereits in der Psychologie der Weltanschauungen richtet Jaspers seine
Aufmerksamkeit auf den Satz Goethes’: „Der Mensch handelt gewissenlos“. In
dem Zusammenhang des Weltanschauungsbuches geht es darum, inwiefern
die „aktive Einstellung“, die auch weltanschauungsbildend ist, da sie handelnd
und wählen muss, ihre Wahlen und Entscheidungen dürgen keine endgültige
Gültigkeit beanspruchen; unser Wissen ist doch endlich, m.a.W., unvermeidlich
müssen wir gewissenlos handeln. Wir können weder von der Ganzheit der
Folgen unserer Entscheidungen und entprechenden Handlungen wissen, noch
von der Ganzheit der Anregungen und Motiven dieser Handlungen.
Wie Jaspers Goethes’ Satz auslegt, kann sehr wohl mit der Auffassung der
„Zunkunftsethik“ von Hans Jonas verknüpft werden, da es bei ihm das gleiche
Problem in das Blickfeld genommen wird: da wir nicht der Ganzheit der
zukünftigen Folgen unserer Handlungen bewusst werden können, bedürfen wir
einer neueren Gründung der Ethik, die sich nicht mehr auf die Gegenwart
beschränkt, sondern sich langfristig eröffnet, soweit es geht, zugunsten des
Zukünftigen. Jonas hat das Problem vor sich, wie irrig unsere Handlungen
werden können, da sie nicht das Zukünftige in Kauf nehmen und dieses vor
allem in einer Zeit wo die menschliche Taten und Handlungen durch die
Ökonomie und Technologie gravierende für spätere Generationen
Konsequenzen haben können.
Zurück zu Jaspers.
Der Mensch handelt gewissenlos. Dieses hat seine Wirkung im Denken
Jaspers’, sowohl auf die Auffassung der Handlung wie auch auf die Auffassung
der „wesenhaften Schuld“. Gerade weil unser Wissen endlich ist, sind wir im
voraus und stets schuldig, aber nicht im Sinne einer partikularen, begangenen
Schuld, sondern in dem ontologisch-existentiellen Sinne der „wesenhaften
Schuld“ oder des Schuldigseins. Nur weil wir davon bestimmt sind, können wir
partikularen Schulden auf uns nehmen.
Aber der Grund, warum die freie Willkür nicht mit der Freiheit gleichzusetzen ist,
erhält dadurch seine Erklärung, dass in dem was wir wählen, wir selbst nicht ins
Spiel kommen. Die Freiheit als blosser Willkür nimmt somit keine Rücksicht auf
uns, woraus zu schliessen ist, dass wir uns in unserem Wählen und
Entscheiden verirren können.
Selbst wenn Gut und Böse im Spiel stehen, schliesst dies nicht unbedingt ein,
dass wir selbst in Betracht gezogen werden, da Gut und Böse durchaus
veräusserlicht werden können und eine Geltung unter der Obhut einer
bestimmten Moral haben. Und vergessen wir nicht, dass die Moral bei Jaspers
auf dem Terrain der von ihm genannten „Allegemeinheiten“ zu Hause ist,
Allegemeinheiten, die unser Dasein eine Richtung in der Welt geben, aber
damit ist nicht die Existenz gemeint.
Nichtsdestoweniger hat Ethik selbsverständlich seine Rechtfertigung im Denken
Jaspers’, aber dann im Sinne der „unbedingten Forderung“, also nicht
irgendeine Forderung die im Rahmen einer gewissen Moral oder Ideologie
5
seine Geltung erhält, sondern die unbedingte Forderung bezieht sich
ursprünglich und prinzipiell auf unser mögliches Selbstsein.
Dadurch kann man auch verstehen, dass bei Jaspers (wobei hier der Einfluss
von Kierkegaard auf ihn deutlich hervortritt) das Erste das gewählt ist, ist eben
unserer Selbst, und alles andere was wir wählen kommt hinterher.
Als drittes Schema kommt das Gesetz in Frage. Bahnbrechend ist hier der
Begriff der Freiheit bei Kant. Freiwillig geben wir uns Gesetzen, denen wir uns
auch freiwillig unterwerfen. Freiheit kann sich nur rechtfertigen wenn sie in
einem Wechselverhältnis mit dem Gesetz übereinkommt. Diese Auffassung der
Freiheit wird in der Kantscher Terminologie als „transzendentale Freiheit“
beschrieben.
Schon im letzteren Satz wird auf das Selbst hingewiesen. Eigentlich hängt es
von mir ab, ob ich mir Gesetze gebe oder mich ihnen unterwerfe.
Da zeigt sich, dass etwas am Verständnis der Freiheit als Gesetz fehlt, u.z., wie
wir schon andeuteten: das Selbst.
6
Aus letzterem Zitat ist auch die Bedeutung der Aussage hervorzuheben, vor
allem die schriftliche Aussage, die das Gesetz erfordert, dass heisst dann, es
festzustellen und zugleich zu fixieren. Doch wenn die Freiheit mit dem Gesetz
wesentlich verbunden wird, bleibt sie dadurch auch fixiert, indem sie von einer
gewissen Aussage des Gesetzes abhängt.
Hier lässt sich auch das Denken über das Gesetz von Paul Ricoeur
miteinzubeziehen, u.z. was er als „Fluch des Gesetzes“ versteht. In seinem
Werk Schuldigkeit und Endlichkeit fragt sich Ricoeur nach den verschiedenen
Strategien dem Bösen gegeüberzustellen, und massgebend für unsere
Zivilisation ist gerade das Gesetz gewesen. Aber sobald ein Gesetz, wie auch
eine Norm festgelegt wird gemäss irgendeiner Codifizierung, wobei dieses
sowohl schriftliche wie auch verbale Ausdrücke einschliesst, die Sitten also
auch eingeschlossen, folgt daraus dass eine Grenze zwischen dem Erlaubten
und dem Verbotenen gezogen wird und damit auch, dass „das Böse“, was nicht
sein dürfte, das Verbotene geschaffen wird, was es früher nicht war. Dieses ist
also der Fluch des Gesetzes. Nehmen wir an ein Beispiel aus älteren Kulturen.
Die Azteken praktizierten menschliches Opfer, aber als Hernán Cortés sie
eroberte, wurden diese Zeremonien verboten, d.h., was früher nicht böse war,
weil es einfach unkritischer Weise praktiziert wurde, jetzt aber als Böses gilt.
Ricoeur findet erste Hinweise zu dieser Anerkennung des Fluchs des Gesetzes
in I. Römer-Brief des Paulus, wo es um die felix culpa geht; dass die Sünde,
und besser, das Wissen von der Sünde, die Erkenntnis der Sünde ihn
menschlicher gemacht hat.
Kommen wir jetzt auf die Freiheit als Idee. Im voraus muss hier etwas
klargemacht werden. Wenn wir genau den Text der Existenzerhellung lesen,
merken wir dass, nach der Numerierung der Taxonomie der Freiheitsweisen,
die Freiheit als Idee auf einer anderen Ebene steht. Bei der Auffassung des Ich
war genau das Gleiche: im Falle des Charakter-Ich, des sogennanten „Sosein“,
erkennt man deutlich, dass im Vergleich mit den anderen Ich-Schemen, er auf
einer anderen Ebene steht.
Dieses erklärt sich, da in Bezug auf die Auffassung des Menschen bei Jaspers
sich nicht nur um die Unterscheidung zwischen Dasein und Existenz handelt,
sondern es dazwischen es ein anderes Seinsmodus gibt, u.z. der Geist. Der
Geist und das Geistige verweist bei dem Denker aus Oldenburg auf
menschliche Werke, nämlich Kunst, Religion, Philosophie, aber auch
Wissenschaft, Ökonomie, Moral, Recht, und sogar Technik. All diese Bereiche
sind eben an und für sich geistig, aber das heisst nicht, dass sie damit
abgesichert sind. Ganz im Gegenteil, sie können am Geistigen verlieren,
können sich, sozusagen, „ent-geistigen“. Jaspers erkennt dieses klar und
7
deutlich an der Technik des 20. Jahrhunderts. Vor allem im Opus Die geistige
Situation der Zeit, 1932, und später im Ursprung und Ziel der Geschichte, 1949,
spricht er vom „Dämon der Technik“. Das Denken Heideggers’ in dieser
Hinsicht, in der Frage nach der Technik, erst 1954 veröffentlich, gilt teilweise als
eine Antwort auf die Schrift von Jaspers, da der Denker aus dem Schwarwald
an der erwähnten Stelle ausdrücklich sagt: es gibt kein Dämon der Technik.
Aber auch die Wissenschaft kann sich „entgeistigen“, was in Geburtsstadt von
Jaspers – Oldenburg – von entscheidender Bedeutung ist, und dann besonders
für die Carl von Ossietzky Universität, da die Stadt als „Stadt der Wissenschaft“
für 2009 ernannt wurde. Schon zu Beginn dieses Jahres hat man an der
erwähnten Universität mit einer Tagung angefangen, die zum Thema ein Satz
und eine Forderung des Carl von Ossietzky hatte, dass die Wissenschaft
menschlicher sein sollte. Dieses hiesse in der Ausdrucksweise Jaspers’: dass
die Wissenschaft wieder vergeistigt werden sollte, wobei das zugleich die
Bedeutung hat, dass sie zu seinem Ursprung im Geist zurückkehre.
Gleichzeitig ist bei Jaspers der Geist die Vermittlung zwischen der Existenz und
damit des Selbstseins, und dem Dasein. Dieses bedeutet, dass der Geist vom
Selbstsein eingehaucht werden soll.
Und der Geist hat besonders mit Ideen zu tun. Also, mit der Freiheit als Idee
bewegen wir uns auf der Ebene des Geistes. Aber, Achtung!, wie aus dem
Vorigen zu folgern ist, über dem Geist steht noch die Existenz. In diesem Sinne
ist es ersichtlich, dass in dieser Auffassung des Geistes es zugleich
Annäherung und Distanzierung von der Hegelschen Auffassung des Geistes
gibt.
Hauptsächlich, könnte man sagen, was die Welt bewegt ist die Freiheit als Idee.
Wenn wir dieses umkehren, ist hinzuzufügen dass offensichtlich in
verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte, vor allem in der Neuzeit,
die Freiheit selbst als Idee erhoben wurde, und dass um den Willen der Freiheit
Revolutionen entbrannten, dass viele für sie sogar ihr eigenes Leben
aufopferten. Und dieses ist auch offensichtlich so im Falle der Gerechtigkeit
oder des Friedens.
Die Grenze der Freiheit als Idee kommt dann zum Vorschein, wenn es uns klar
wird, dass jede geistige Idee, die im Spiel steht, offen bleiben sollte, wie die
Ideen bei Kant (als eine nicht zu vollendenden Synthese von Vorstellungen),
aber angesichts der Bedürfnisse der Welt in der wir leben, würde dieses
Offenlassen der Idee Untätigkeit, Passivität als Folge haben. Deshalb ist es
auch verständlich (obwohl es nicht gerechtfertigt ist) dass sich in der
Geschichte die Idee in Ideologie verengt.
So kommen wir zuletzt zur existentiellen Freiheit, was mit der Freiheit als Wahl
und als Entschluss zusammenhängt.
Hier wird eigentlich das Selbst geachtet. Nur die Existenz kann uns befreien. Es
ist eben die Freiheit des Selbstseins, des sich Annehmen und Bejahen als
Möglichsein, Seinkönnen, und auch als Ich-selbst. Demgegenüber ist sogar die
Freiheit als Idee eher auf Möglichkeiten gerichtet, die sie versucht in dem Griff
zu bekommen, und dadurch wird das eigentliche Selbstsein nicht genügend
berücksichtigt.
Und was für ein Verhältnis zeigt sich hier zwischen der existentiellen Freiheit
und der Wahl und dem Entschluss? Ja, es geht darum, dass an erster Stelle
8
das Selbst zu wählen ist und sich zugleich dafür zu entschliessen. Nur so ist es
auch möglich, dass unsere Handlung eine eigentliche Handlung wird.
Versuchen wir den Gedankengang von Jaspers nachzuvollziehen, worin der
kurz darstellte Weg durchgangen wird, der uns die existentielle Freiheit
näherbringt. Wir fassen diesen Gedankengang in folgenden Schritten
zusammen:
1.Die Freiheit als Idee ist ungenügend weil auch die Zeit mit im Spiel steht:
2.Dann aber die Freiheit als Wahl, indem als Erstes mein Selbst das zu
Wählende ist:
3.Das Entscheidende der Wahl ist nicht was gewählt wird, sondern dass ich
wähle:
9
4.Entschluss als Geschenk, was mit der Auffassung der Freiheit als Geschenk,
als Gabe der Transzendenz zusammenhängt.
5.“Der Entschluss ist nur im Sprung“, er hat nicht mit irgendwelche
Berechnungen zu tun. Daraus ergibt sich auch, dass er zugleich unbedingt ist
und dass man die Möglichkeit des Scheiterns auf sich zu nehmen hat, nicht die
des Erfolgs.
Zuletzt ist hinzuzufügen, dass Jaspers als Denker der Freiheit sich in der
grossen Tradition bewegt wo die Freiheit mit der ihr widersprechenden
Notwendigkeit ineins gebracht wurde: bei den Stoikern, Spinoza, Leibniz,
Hegel. Nur, anders als dieser metaphysischer Hintergrung, bei Jaspers geht es
eher um eine existenzphilosophische Auffassung der Freiheit – die existentielle
Freiheit – aber diese wiederum als Notwendigkeit.
Aber, wieso denn?
Nun, es geht darum, dass die tragensten Entscheidungen, auf einer
existentiellen Ebene, die Notwendigkeit nicht nur beanspruchen sondern
erreichen. Das Beispiel, dass Jaspers dafür gibt, ist – meines Erachtens nach –
genügend übergezeugend und geschichtlich beeindruckend: Luther vor dem
Wormser Reichstag, am 18. April, 1521, und zwar vor dem habsburgischen-
10
spanischen Kaiser, Karl V.: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe
mir! Amen“.
.
„Inwiefern ist Jaspers
einer der grössten Denker der Freiheit?“
Cristóbal Holzapfel
11
12
Der Bereich der Genetik und sein eigener Determinismus ist so weit gewachsen seit der
Beschreibung der doppel Helix des DNA, 1953, von den Nobelpreisträgern Crick und
Watson, dass dieses sozusagen eine Verminderung der Reichweite unserer Freiheit
bedeutet.
13
Die Milchstrasse. Gibt es hier, in diesem Bereich von etwa 100.000.000.000 Sternen
einen einzigen Punkt der eine völlige Spontaneität aufzeigen würde?
14
Wenn man das Bild „Das Floss der Medusa“ (1816) von Theodore Gericault betrachtet,
ein Bild dass sich auf die echte Geschichte eines Schiffsbruchs stützt, aus dem ein
Skandal wurde, merkt man wie sehr die sozialen Verhältnisse unser angebliche Freiheit
unter enge Grenzen setzt.
Wieder die Genetik...aber auch soziale und familiäre Verhältnisse führen zu einer
krintischen Einstellung gegenüber der Freiheit.
15
Aber die Freiheit, wie wir sie verstehen, hat nicht die gleiche Bedeutung wie die
eleutheria oder autarkeia, wie bei den Griechen. Autark ist ein polites, en Bürger, weil
er sich von den Sklaven unterscheidet.
16
Jean-Gerome Léon, Sklakenmarkt, 1867
17
Das Paradoxon nicht nur der Freiheit, sondern der Philosophie selbst,
wie bei Gilles Deleuze
18
Freiheit und Wissen. Und diese Allianz geht so weit, dass “ohne Wissen keine Freiheit”
ist.
19
Hans Bandung Grien,
Lebenszeitalter, 1539. Als memento mori (Gedenke des Todes) können, wir, binnen
gewisser sehr enger Grenzen, vom Tod freisein.
20
Jacques-Louis David, Der Tod des Sócrates, 1787. Man kann sagen, dass Sokrates der
Gründer des memento mori in der westlichen Welt ist.
Unsere Freiheit ist im Spiel in der Wahl zwischen Gut und Böse.
21
Albrecht Dürer, 1509. Die Bedeutung der Wahl und damit auch, des liberum arbitrium,
schon im Paradies.
22
Hans Jonas schrieb eine “Zukunftsethik”
Freiheit und Gesetz (die Gerechtigkeit) können auch gut miteinander auskommen und
sich wechselseitig bereichern, wie es eben bei Kant ist.
23
Bei Kant meint Freiheit freiwillige Unterwerfung vor dem Gesetz
Lex romana visigothorum, unter Alaric I.
24
Ricoeur hat über den „Fluch des Gesetzes” zutiefst nachgedacht.
25
El Greco, San Pablo (Detail), 1610-1614
26
Fragment in griechischer Sprache der Römer-Briefe. Paulus erkennt den Fluch des
Gesetezes.
27
Eugene Delacroix, La liberté guidant le peuple. Wie selbst die Freiheit eine führende
und kämpferische Idee sein kann! Auch die Gerechtigkeit, der Frieden, u.a.
28
Maipú Schlacht, 1818, ein gelungener Schritt mit dem Ziel der
Unabhängigkeit Chile’s von Spanien, Bild von Pedro Subercaseaux,
1904.
29
¿Die existentielle Freiheit?
1.
30
2.
3.
4.
5.
31
Luther im Reichstag zu Worms, 18. April, 1521
32
Herunterladen