Unterwegs zum “absoluten Bewusstsein” (Mit Bilder eingeschlossen) Cristóbal Holzapfel Der Mensch ist stets auf der Suche nach der der Möglichkeit gewesen, eine Art von Bewußtsein zu erreichen, worin sich unser Sein, das Sein des Universums oder der Gottheit offenbaren kann. Diese Suche hat sich auch innerhalb der Philosophie vollzogen. Jedoch ist immer wieder ein großes Hindernis aufgetreten, daß eben das Sein von Jeglichem in der Subjekt-Objekt Spaltung und in unseren begrenzten Vorstellungen gefangen bleibt. Jaspers greift dies wieder auf und benennt jene gesuchte Möglichkeit als die eines absoluten Bewußtseins. Das Bewußtsein ist aber von anderen Möglichkeiten gekennzeichnet, die gewissermaßen notwendig sind, um uns in der Welt zu bewegen und eine Beziehung zu den verschiedensten Dingen und Erscheinungen zu haben. In diesen anderen Möglichkeiten zeigt sich alles was wir begegnen in der genannten Subjekt-Objekt Spaltung, und zwar als Vorstellung. Wenn wir also von der Möglichkeit des absoluten Bewußtseins sprechen, geht es hier um eine der drei verschiedenen Modi des Bewußtseins: 1. Das Bewußtsein als Erlebnis, als die regelmäßge Form seines Auftritts. Ich bin mir dieses oder jenes bewußt, ich bin mir u.a. bewußt, daß ich wach bin, wo ich mich befinde, welches Datum heute ist, was ich morgen tun werde. 2. Das Bewußtsein überhaupt worunter “die universale Bedingung allen Gegenstandseins für allen Gegenstandseins für wissende Subjekte” zu verstehen ist. 3. Das absolute Bewußtsein, daß Seinsgewißheit bedeutet; d.h., dadurch besteht die Möglichkeit des Transzendierens, und zwar jenseits dessen, was unvermeidlich innerhalb der Subjekt-Objetkt Spaltung gefangen bleibt. Gewissermaßen ist aber das absolute Bewußtsein als Seinsgewißheit ungreifbar - das Sein - und war, wie bereits gesagt, schon immer so. Im frühen Denken Jaspers’ wird das Sein als Transzendenz und in seinem späteren Denken als das Umgreifende aufgefaßt. Die Erhellung des absoluten Bewußtseins aber erweckt die unausweichliche Erwartung, es „(...) in 1 allgemeinen und darum wißbaren Formen zu fassen”, aber diese Erwartung muß immer wieder scheitern. Das absolute Bewußtsein bleibt somit unerkennbar. Diese Unerkennbarkeit hängt damit zusammen, daß das absolute Bewußtsein sich dem Ursprünglichsten, dem Grund, oder Ab-grund des Seins, der Existenz und der Transzendenz eröffnet. Was sich in dieser Dimension offenbart ist ja: „Ich entspringe, aber kann mich nicht umwenden; ich komme her, aber kann den Grund nicht betreten“ (a.a.O.). Und doch bleibt das absolute Bewußtsein nicht eingekapselt in einem Versteck unserer Innerlichkeit, sondern drückt sich aus in der Weise einer existentiellen Haltung, 1 Jaspers, Philosophie, München, 1994, II Teil, „Existenzerhellung“, S. 258. 1 die zumindest ermöglicht, daß das Sein sich offenbaren könnte. Diese Haltung wird gegenüber anderen Bestimmungen unseres Daseins kontrastiert, wie: 1. Unsere Lebensform, als „die objektive Regel des Sichverhaltens als Sitte, bewußte Disziplin“ 2. Einstellung, die sich auf unsere Art und Weise bezieht, jedem Ding in einem Subjekt-Objekt Verhältnis gegenüberzutreten, d.h. der Standpunkt 3. Geisteshaltung, als „die aktiv werdende Betroffenheit von Ideen“ (vgl. a.a.O.). Jaspers nimmt jenes absolute Bewußtsein als eine zu verwirklichende Möglichkeit wahr, die uns wesentlich bestimmt, die sich aber nicht in unserer Innerlichkeit irgendwie ansiedelt als ein tiefer Brunnen, der in der Stille seiner Gewässer ausruht, sondern ganz im Gegenteil, sie ist besonders dynamisch. Um es nachdrücklicher zu formulieren: Jene Möglichkeit des absoluten Bewußtseins ist ein Motor, der uns bewegt, eben als eine Bewegung im Ursprung, die durch verschiedene Stufen fortschreitet, und zwar als nichtWissen, Schwindel, Angst und Gewissen. Aber dies endet hier nicht, sondern setzt sich fernerhin fort zu einer möglichen Erfüllung durch Liebe, Glaube und Phantasie. Zuletzt, in einem dritten Schritt, achtet Jaspers auf jenen nie zu vergessenden Punkt, und zwar, daß wir als mögliche Existenz zugleich Dasein sind (bestimmt eben als bloß da zu sein), d.h., wir leben in einer Welt und müssen verschiedene Bedürfnisse befriedigen. Dies tritt hier auf im Sinne der Sicherung absoluten Bewußtseins im Dasein, als Ironie, Spiel, Scham und Gelassenheit. Im Folgenden analysieren wir diese Strecken der Bewegung im Ursprung, mit jedem ihrer Momente für sich, die wir zugleich als zeitliche Schritte ansehen dürfen. Uns interessiert dies hier besonders, da wir deutlich erkennen können, was die genannte Bewegung im Ursprung, die wir als philosophische Erfahrung bezeichen dürfen, zum Ausdruck bringt. Gewissermaßen handelt es sich hiebei um einen Bruch mit der gegebenen Welt und mit unserem Dasein (unser bloßes da zu sein). Vielleicht muß man auch hier hinzufügen, daß die philosophische Erfahrung in dieser Bewegung im Ursprung stecken bleibt und daß keine Wege sich öffnen, um zum nächsten Schritt der Erfüllung fortzuschreiten. Oder ist dies zugleich zeitlich veranlagt? Manchmal macht sich ein Weg breit, der uns zur Erfüllung durch Liebe, Glaube und Phantasie bringt, wobei es danach um die philosophische Erfahrung ginge, die Möglichkeit des absoluten Bewußtseins in unserem alltäglichen Dasein zu sichern. 1. Bewegung im Ursprung 1.1. Nicht-Wissen: Zweifellos ist dieser Punkt entscheidend im Denken Jaspers’. Er bezieht sich auf eine deutliche Anerkennung der Grenzen von allem Wissen und die nicht-Objektivierung und nicht-Schematisierung der Existenz, der Transzendenz und des Umgreifenden. Es hat auch mit der grundphilosophischen Operation zu tun, in dem wir durch einen Akt des Transzendierens, zu jener Stufe des nicht-Objektivierbaren gelangen. Hierin zeigt sich wiederum eine gewisse Ähnlichkeit mit der von Heidegger genannten ontologischen Differenz („Das Sein ist nicht ein Seiendes“). Das nichtWissen, und genauer gesagt, „das Wissen des nicht-Wissens“, die docta ignorantia, ist ja eine alte Lehre die bis zu Sokrates und noch früher reicht, bis zum Tao te king des 2 Lao-Tsi. Sie entwickelt sich zugleich entlang der negativen Theologie, beginnend mit dem Dionysios Areopagita. Die Weise solche Überlieferung seitens Jaspers’ zu empfangen und ihnen einen eigenen Siegel zu verleihen, vollzieht sich durch die Anerkennung des nicht-Wissens als ein Moment, und damit, als Übergang, insofern es allein nicht zureichend ist, d.h., es spielt die Rolle eines Stachels des Wissens. Mehr noch, das nicht-Wissen versteift sich, wenn es nicht an einem Wissen gekoppelt ist. „Dieses nicht-Wissen bliebe ohne Beziehung zum Wissen, unbewegt und nicht bewegend. Es kann mit sich nichts anfangen, weil es nur Aufhören ist. Es kommt darauf an, auch wirklich zu wissen (...)“ (S. 262). Das nicht-Wissen als Stachel wird stets vom Wissenwollen belebt. Auch wenn es sich um ein endgültiges nicht-Wissen handelt, zu dem wir gelangen, das Wissenwollen wird doch weiter wirken. „Das Wissenwollen überhaupt, hat keine Grenzen; es überschreitet jede Grenze; es will nicht scheitern, sondern muß scheitern“ (a.a.O.) 1.2. Schwindel: In „Metaphysik“, III Teil der Philosophie, zeigt Jaspers, daß das Transzendieren der Metaphysik immer in Formeln endet, wie die coincidentia oppositorum, oder auch der Widerspruch. Wenn wir zum Beispiel nach dem Sinn fragen, kommen wir zum Schluß, daß wir zuletzt sagen, alles hätte einen Sinn, mit der gleichen Berechtigung wie die Verneinung dessen; das Gleiche erfolgt, wenn wir von der Frage nach dem Grund ausgehen, zuletzt erreichen wir den Schluß, daß es einen ersten Grund gebe, causa sui, aber dieser Grund selbst ist ohne Grund, ist Ab-grund. In der Metaphysik kommt man ebenso zu Identitäten, wie diejenigen zwischen Sein und Nichts, so daß es hier eine doppelte Möglichkeit gibt: Zu steigen, dank der Verneinung und der Vernichtung von allem, wobei wir am Ende die Fülle des Seins erreichen; oder wir verirren uns im absoluten Nichts, in der bloßen Verneinung. Wie wir bei diesen verschiedenen Modi des Transzendierens sehen, die die ganze Geschichte der Philosophie durchdringen, enden wir immer entweder in der coincidentia oppositorum, indem wir behaupten, daß der Sinn das Sinn-lose sei, der Grund Abgrund, das Sein das Nichts; oder in der Tautologie, indem wir beispielsweise behaupten, „das Sein ist das Sein“. Das Interessante aber an dieser Analyse und der jasperschen Wendung dieser Operation der traditionellen Metaphysik besteht darin, daß wir vom Denkbaren zum Undenkbaren übergehen. Wenn wir behaupten, „das Sein ist das Nichts“, muß man gleich sagen, daß wir uns offensichtlich widersprechen; an zweiter Stelle, haben wir dadurch das Denken verlassen, zumindest das Denken das wir als logisch beschreiben können, oder, wenn man will, das Denken in Vorstellungen, da es durchaus klar ist, daß wir in einer solchen Situation an gar nichts Bestimmtes denken, nichts, daß wir vorstellen oder objektivieren können.2 Es ist einleuchtend, daß aufgrund des Gesagten, wir sehr wohl verstehen, was man mit diesem Ausdruck des Schwindels meint, da es in einem Bewußtsein vorkommt, das es gewagt hat, sich als absolutes Bewußtsein zu setzen. Daß der erste und letzte Grund ohne Grund ist, daß das Sein selbst Nichts sei, versetzt mich in Schwindel. Dieser Schwindel ist aber nichts Negatives, da er ermöglicht, alle Objektivität zu verlassen. Auf diese Weise verschafft uns der Schwindel die Möglichkeit, dem Sein näher zu kommen, wenn wir es - trotz seiner kreisenhaften Bewegung - ohne zu fallen aushalten können. 2 Vid. Jaspers, Philosophie, op. cit., III Teil, Metaphysik, Kap. "Das formale Transzendieren". 3 (Ph., II, S. 264). 1.3. Angst: Sie erhält zwei Bedeutungen in der jasperschen Analyse. Auf der Stufe des Daseins teilen wir die Angst mit den Tieren, das Bestimmende ist hier die Selbsterhaltung. Darin zeigt sich eine Beziehung zum Tod. Deshalb gibt es eine Daseinsangst und eine existentielle Angst. „Der Daseinsangst ist wesensverschieden die existentielle Angst vor der Möglichkeit des Nichts“ (S. 266). Wir werden gepackt von einer Daseinsangst oder Furcht angesichts verschiedener bedrohlicher Situationen, worin schon die Möglichkeit des Todes zum Vorschein kommt, aber wir werden auch von einer existentiellen Angst eingenommen, die mit etwas Ungreifbarem zu tun hat:, das Nichts, das sich zunächts u.a. auf die Möglichkeit unseres Verlorenwerdens bezieht. a.a.O. Die Daseinsangst ist prinzipiell zu überwinden durch konkrete Maßnahmen. Beispielsweise, Hunger, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Krankheit wirken als Anlässe zur Daseinsangst und sie können durch Technik, Ökonomie, Rechtsprechung und Medizin bekämpft werden. Trotzdem hat die Menschheit bisher diese Rückstände nicht überwinden können, und nicht einmal einen einzelnen davon. Die existenzielle Angst läßt sich aber überhaupt nicht durch diese technischen Maßnahmen überwinden. Mehr noch, die einzige Möglichkeit sie zu überwinden wäre durch den Mut zur Angst, d.h., indem wir sie in gewisser Weise auf uns nehmen. 1.4. Gewissen: Dadurch kommen wir zum Ende der Bewegung im Ursprung in Richtung auf das absolute Bewußtsein, und deshalb ist das Gewissen das letzte Kettenglied zur nächsten Stufe, zur Erfüllung. Diese Stellung des Gewissens hängt damit zusammen, daß es zum Moment der Entscheidung bringt. Jaspers : 4 (Ph, II, S. 268). Hierzu können wir sagen, wenn nicht-Wissen, Schwindel und Angst uns in unserem ursprünglichen Sein schütteln und diese Bewegung uns zur Überwindung unserer weltlichen Gefangenschaft führt und dies durch das Gewissen geschieht, beginnt unser Selbstsein su sprechen. Und weiter: (a.aO.). Dies zeigt uns, wie wir bereits bei Jaspers die Auffassung einer liason zwischen Gewissen und Selbstsein finden. Genauer gesagt, was durch dieses Sprachrohr des Selbstseins offenbart wird ist Folgendes: (a.a.O.). Wir können uns verleiten durch die Macht unserer Rationalität und unser Sein vorstellen als etwas einfach Gegebenes, eine bio-psycho-soziologische Struktur, die angesichts dieser Bedingungen abgespielt wird, geworfen im Geschick des Gewinnens oder Verlierens. Was in jener Auffassung fehlt ist, daß wir eine Distanz uns selbst gegenüber haben, d.h. wir sind nicht bloß gekettet an das was wir schon sind. Als Selbstsein sind wir ergriffenes Möglichsein. Deshalb geschieht auch, daß Ph,II, S. 271). Außerdem ragt das Gewissen durch seine Intimität hervor und dies geht so weit, daß es nicht nur unerreichbar für die anderen ist, sondern sogar für mich selbst. Und dennoch, so wie die Exitenz, auch wenn sie an sich inkommunikabel ist, kann sie sich nur in gewissen Zügen in der Kommunikation mit dem Anderen offenbaren. Die vermeinte 5 Intimität und Individualität des Gewissens bringt uns endlich zu einer Unabhängigkeit gegenüber zwei in der Tradition verankerten Schematisierungen, die eines guten Gewissens und einer Autorität über das Gewissen. a. Bezüglich der ersten Voraussetzung, distanziert sich Jaspers von der angeblichen Legitimierung eines guten Gewissens, weil es dieses wegen der Schuld nicht geben kann. Das gute Gewissen wäre für Jaspers die trügerische Verwicklung eines selbstzufriedenen Verstandes, da es unmöglich ist, unsere Schuldigkeit zu überwinden: (a.a.O., S. 272). Nach Jaspers sind wir schuldig insofern es Böses in der Welt gibt, und zwar in jeder der stets vorkommenden Formen, wie Hunger, Krieg, Mord, Verrat, u.a., in einer Welt, die sich eben deshalb immer im Ruin befindet. b. Der zweite Punkt, nämlich derjenige einer angeblichen Autorität das Gewissen betreffend, ist noch schwieriger zu klären. Dies hängt mit der Frage zusammen: Wer spricht in jener intimen unveräusserlichen Sphäre des Gewissens? Gott, die Kirche, die Partei oder irgendeine andere auctoritas? Jaspers ist lapidar in seiner Antwort, und offenbart dadurch manche theologisch-negative Züge seines Denkens: (a.a.O.). Und weiter: (Ph., II, S. 274). Und fügen wir noch Folgendes hinzu: (Ph., II, S. 275). Und doch, wie es ersichtlich ist, wird dieser Punkt insofern polemisch, wenn man berücksichtigt, daß die Gläubigen meinem, in ihren religiösen Erlebnissen offenbare sich die Gottheit selbst. Das Beispiel einer historischen Persönlichkeit veranlaßt uns zum Nachdenken: 6 Ph., II, S. 274). Hierauf folgt die Kritik von Jaspers: (a.a.O.). 2.Erfüllung des absoluten Bewusstseins: Wir sahen schon wie im Gewissen das Selbstsein sich anzudeuten begann. Vor Heidegger, Jaspers hat schon das Gewissen im Sinne eines Rufs verstanden, oder besser gesagt, ein „Appel“ an das Selbstsein, an die Existenz. Gleichzeitig geht es es hier darum, dass das Selbstsein ein „Sein vom Ursprung“ ist, wobei dieser Ursprung in uns vergessen liegt und muss erst erwacht werden. Das Appell bedeutet dementsprechend Erwecken des Selbstseins, der Existenz. Auf diese Weise versteht Jaspers zugleich die Existenzphilosophie im Opus Die geistige Situation der Zeit. Hauptaufgabe dieser Philosophie ist eben die Existenz zu erwecken. Wenn wir die Geschichte der Philosophie in grossen Umrissen vor Augen haben, heisst dies nicht nur dass die Existenzphilosophie ein gewisser Wandel im Denken von Japers mit sich bringt, sondern dieser Wandel ist einer der Geschichte der Philosophie insgesamt. Seit Kierkegaard muss Philosophie im Sinne einer Wende zum Selbst hin verstanden werden, u.z. zum Selbst jeglichen Einzelnen. Was Jaspers auf diese Weise vollzieht, ist dieser Kerngedanke noch gründlicher zu fassen, insofern das Selbstsein als ein anzunehmendes und zu bejahendes Möglichsein zu verstehen ist: das entsprechende Wort dafür ist ‚Existenz’. Andererseits, das Appell ermöglicht zugleich einen Sprung in die Existenz, wobei wiederum auch dieses Denken des Sprunges sich auf Kierkegaard stützt. In Furcht und Zittern hat dies mit seinem Verständnis des Glaubens zu tun. Abraham, als „Vater des Glaubens“ erhält den Befehl von Jahve seinen Sohn, Isaac, aufzuopfern und er nimmt sich gleich vor gleich diesen Befehl zu erledigen, aber wird zuletzt vom Engel aufgehalten. Glauben meint hier, nach Kierkegaard, einen Sprung, was schon durch Pascal’s Auffassung des Glaubens als Wette in Bahn gebracht wurde. Bei Jaspers vom blossen Dasein zur Existenz hin gibt keinen Weg oder Brücke, sondern der Sprung, der zugleich Mut und Wagnis einschliesst. So verstanden, man darf nur von einem Weg zum absoluten Bewusstsein sprechen, dass wir unterwegs zum absoluten Bewusstsein uns befinden können, wenn zur gleichen Zeit eingesehen wird, dass zuletzt es dahin nur die Möglichkeit des Sprungs gibt. Erneut ist an dieser Stelle hinzuzufügen, dass dieser Gedanke des Sprungs zum Selbstsein und dieses Selbstsein als 7 Möglichsein zu verstehen ist, eine deutliche Vorwegnahme des Denken Heideggers, u.z. von Sein und Zeit, aufweist. Wenn die Erfüllung des absoluten Bewusstseins das uns Angehende ist, muss man wohl davon ausgehen dass es sich um die Möglichkeit einer Form des Bewusstsein handelt, und nur so kann man verstehen, dass durch eine gewisse existentielle Haltung das erwähnte Bewusstsein möglich ist. Andersrum gesagt, da dieses Bewusstsein als Bewusstsein des Seins selbst zu verstehen ist, was dementsprechend im Spiel steht, ist, dass durch eine existentielle Haltung, u.z. gekennzeichnet als Liebe, Glaube und Phantasie, das Sein selbst sich offenbaren kann, also Phantasie nicht nur des Seins von allem, sondern auch des eigenen Selbstseins, der Existenz. Das absolute Bewusstsein spielt insofern die Rolle einer offenen Pforte für das Sein selbst. Die Tragweite des vorher erwähnten Sprungs ist ersichtlich in jeder dieser Momenten: in der Liebe, weil sie grundlos ist, weil die echte Liebe ohne Grund ist Wer sozusagen „mit Gründen“ liebt oder Gründen bedarf, um zu lieben, der liebt ja nicht. Und trotz der Grundlosigkeit der Liebe ist ihr eine Hellsichtigkeit eigen. Im Rahmen der Philosophie des Eros, steht Jaspers somit eher auf der Bahn von Platon und Thomas von Aquin als auf der Bahn von Stendhal, José Ortega y Gasset oder Roland Barthes, bei denen, im Gegenteil, eine Blindheit der Liebe zu Tage kommt. Bei Platon nämlich die höchste Stufe des Eros ist der philosophische Eros der nicht mehr Körper oder Seelen liebt, sondern die Ideen, die Archetypen von allem, und achten wir darauf dass selbst die Philosophie, in diesem sokratisch-platonischen Sinne, durch die Liebe definiert wird – durch den philosophischen Eros. Jedenfalls, bei Platon, gemäss des Symposions, kommt auch die gegenteilige Möglichkeit im Spiel – also der Blindheit des Eros – und dies führt er aus durch die Erzählung des Auftritts von Alkibiades und seine Attacke von der Eifersucht wegen Sokrates, wobei dieser mit dem Satyr Marsias verglichen wird, der duch sein hervorragendes Spielen der Flöte seine Mithörer in eine Art Bessesenheit versetzte. Die Liebe verschafft auch die Möglichkeit dessen was seit Parmenides immer wieder in der Philosophie angestrebt wurde, u.z. den Augenblick der ewig wird. Parmenides dachte das Sein als das immer-Seiende, als nunc stans, als stetiges Jetz, das was nicht aufhören kann nämlich zu sein, da die Möglichkeit des Nicht-seins (mé ón) auszuschliessen ist. Bei Kiekegaard geht es ein Paar Jahrtausende später um die Möglichkeit, dass auf einer existentiellen Ebene der Augenblick sich verewigen kann. Kierkegaard bildet hier auch für Jaspers den Hintergrund um der Liebe die Möglichkeit anzuerkennen dass der Augenblick sich verewigen kann. Dieses sich verewigen des Augenblicks in der Liebe ist gleichzeitig mit der Treue verbunden: 8 Die Treue als Wiederholung hat auch bei Jaspers die tiefe Bedeutung im Sinne der Ermöglichung des Selbstseins, der Existenz, u.z. im Zusammenhang mit der Wahl: es geht darum, dass ich dem was ich gewählt habe treue bleibe. Und wie wir schon in den vorigen Vorträgen schon gehört haben, das Erste was zu wählen ist, ist unser Selbst. Nur so, durch diese anfängliche, zutiefst erlebte, „innere Handlung“ darf das spätere Ergebnis der „äusserlichen Handlung“, also die sich verwirklichende, konkretisierende Handlung, den Siegel der Eigentlichkeit haben. Liebe ist zugleich nicht nur was uns mit unserem Partner verbindet, sondern mit den anderen Mitmenschen und zuletzt mit allem Seienden. Das ethos erhält durch diese liebsame Einstellung zu allem seine Rechtfertigung, u.z., gemäss der Psychologie der Weltanschauungen, insofern erst durch die Liebe etwas wertvoll für uns wird. In diesem Zusammenhang ist wieder Thomas in Erinnerung zu bringen, u.z. was der Bedeutung der ratio diligendi angeht, d.h. eine Art liebsamer Vernunft die die Fähigkeit hat das Gute zu erkennen, und sobald sie das getan hat, es gleichzeitig zu lieben. Die ethische Bedeutung der Liebe wird um so deutlicher und entscheidender weil sie Gemeinschaftsbildend ist. Nur durch die Liebe wird der Einzelne als Einzelner, als Person erkannt, und nicht einfach als Mittel, Fall oder Beispiel. Und bedenken wir auch Folgendes: dass auf die Wichtigkeit der Liebe für die Welt hinweist - die Welt sich immer im Ruin sich befindet: Und Liebe ist zugleich der Masstab für die andere Weisen des absoluten Bewusstseins – Glaube und Phantasie, u.z. jeweils im Sinne einer aktiven Einstellung und einer kontemplativen Einstellung. Jaspers: Jaspers ist nicht nur der Denker der Existenz, Grenzsituationen, der Kommunikation, der Chiffern des Seins, des Umgreifenden, sondern auch der Denker des von ihm genannten „philosophischen Glaubens“, was sich in einem gleichbennanten Buch zuletzt übersetzte. Das Wesen der Philosophie ist die Metaphysik und was letztere auszeichnet ist nach dem Sein schlechthin zu fragen. Aber das Sein lässt sich nicht durch unsere 9 Vorstellungen, durch eine Subjekt-Objekt Beziehung einfangen. Nur Seiendes und nur in der Weise wie es sich uns zeigt, kann unserer Vorstellungen eingeordnet werden. Jaspers ist der Denker der „grundphilosophischen Operation“, was bedeutet zwischen Sein und etwas Bestimmtes, also Seiendes, zu unterscheiden. Dies lässt sich durchaus mit der „ontologischen Differenz“ Heideggers’ vergleichen: Sein ist nicht Seiendes. Wenn es in der Philosophie um das Sein geht, ist es einleuchtend, dass das gleichnamige Werk Philosophie mit der grundphilosophischen Operation beginnt. Das Sein selbst ist die Transzedenz und, nach dem späteren Jaspers, das Umgreifende. Es handelt sich nicht mehr, wie bei Hegel, um den Be-griff als eine durch die Negation sich entfaltende Identität, sondern um das Um-greifende, was sich jeder Möglichkeit einer Erklärung entzieht. Davon gibt es nur die Möglichkeit des Lesens und der Interpretation der Chiffern des Sein. Daran beteiligt sich nicht nur die Metaphysik, sondern auch die Kunst und die Theologie. Sie alle lesen die Chiffren des Seins und der Transzendenz in verschiedener Weise. Der philosophische Glaube hat in diesem Rahmen seine Bedeutung.. Und weiter: Und jetzt noch Vertrauen und Hoffnung hinzu: 10 Und so kommen wir auf die Transzendenz: Aber der philosophische Glaube ist zugleich der Schlüssel für die Praxis, die Handlung, und somit auch für Ethik, Politik, Recht, Ökonomie, Technologie: 11 Die Phantasie, der dritte Schritt der Erfüllung des absoluten Bewusstsein, eröffnet uns den Raum der Möglichkeiten. Ohne sie bleiben wir gefangen im blossen Dasein, als bloss da-seienden Individuen. Ohne Phantasie ist die Welt tot. Die Phantasie nimmt am Lesen und Auslegen der Chiffrenschrift des Seins teil. Durch sie wird das Dasein und die Welt durchscheinend. Es gibt, nach Jaspers, anschauliche und gedankliche Phantasie: Die drei Schritte der Erfüllung des absoluten Bewusstseins sind zuletzt eng verbunden und das Verbindende ist die Liebe: Das dritte Stadium, die Sicherung des absoluten Bewusstsein im Dasein bringt den gesamten Weg, den wir durchgelaufen sind, zum Vorschein. Es ist wie im platonischen Höllengleichnis: Zunächst Bewegung im Ursprung – man entfesselt sich von den Ketten die einem als Gefangenen die einzige Möglichkeit erlauben unseren Blick nach vorne zu richten und bloss Schatten von den Dingen vom ausserhalb der Hölle, zu betrachten, wobei man 12 geblendet wird vom Licht des Feuers in der Hölle, und später der Sonne, ausserhalb jener. Danach die Erfüllung vom absoluten Bewusstseins lässt sich mit der Betrachtung der Sonne, die Tochter des Guten als oberste Idee, vergleichen, die Sonne die das Sichtbare des Seienden ermöglicht. Das dritte Stadium, die Sicherung des absoluten Bewusstsein bei der Rückkehr zum Dasein, das wir ja immer doch sind, lässt sich sehr wohl vergleichen mit der Frage des Befreiten ob er doch zur Höhle zurückkehren soll und den Gefangenen erzählen, dass was sie sehen blosse Schatten sind und nicht die Dinge selbst, wobei sie entweder ihn für verrückt halten oder ihn töten werden. Die genannte Sicherung wird durch Ironie, Spiel, Scham und Gelassenheit vollzogen. Bei jedem dieser Momente geht es um die Sicherung oder Bewahrung des Erfahrenen und Gewonnenen im absoluten Bewusstsein, auf der Ebene unseres flachen Daseins. Wie soll man damit umgehen? Was für eine Einstellung erlaubt solche Sicherung? Durch eine gewisse sokratisch-kierkegaardschen Ironie etwa, da das Erfahrene in der Erfüllung des absoluten Bewusstseins sich nicht richtig aussprechen lässt? Durch eine spielerische Einstellung demgegenüber? Durch eine Einstellung des Schams der unser Umgang mit Ausdrücken über das Sein und die Transzendenz kennzeichnet? ¿Ist es nicht schamlos dass man einfach Aussagen über das Sein, den Schicksal und den Sinn einfach zu Wort bringt? Und wenn wir einmal eine Erfahrung des Seins im absoluten Bewusstseins hatten, wird diese Erfahrung nicht unvermeidlich flüchtig und deshalb die Einstellung der Gelassenheit demgegenüber? Die Gelassenheit lässt zumindest den Raum offen für eine neue Erfahrung des absoluten Bewusstsein und für das was in ihm sich offenbart. 13 Unterwegs zum “absoluten Bewusstsein” Cristóbal Holzapfel 14 Zunächst der Weg den wir durchlaufen werden: Erstes Stadium: Bewegung im Ursprung: Nicht-Wissen Schwindel Angst Gewissen Zweites Stadium: Erfüllung des absoluten Bewusstseins: Liebe Glaube Phantasie Drittes Stadium: Sicherung des absoluten Bewusstsein im Dasein: Ironie Spiel Scham Gelassenheit 15 Nicht wissen Sokrates, der Denker der docta ignorantia 16 Nicht hören, nicht sehen, nicht reden, nur dass in diesem Falle wäre das mit Absicht. Schwindel 17 18 Angst Schwarzer Goya Existentielle Angst 19 Angst vor dem Tode, aber zugleich: existentielle Angst? Ingmar Bergman, Der siebente Siegel 20 Gewissen: Giotto, 1306, Der Kuss des Judas’ 21 Gewissen und Geduld : Im Gewissen spricht nur ich zu mir; „Niemand ruft mich an“: Gewissen und Distanz: Das Gewissen, unabhängig von Konventionen und Sittegesetze: Im Gewissen schweigt die Gottheit: Das Gewissen: bewegender Ursprung der Wahrheit meines Seins: Oliver Cromwell: 22 1599-1658. De streng puritaner Cromwell gab den Befehl mit anderen Abgeordneten der Hinrichtung des Königs Karl I. aus England. Er wurde 30. Januar, 1649 higerichtet. Kritik von Jaspers an Cromwells’ Art und Weise mit dem Gewissen umzugehen : 23 Erfüllung des absoluten Bewusstseins durch Liebe, Glaube und Phantasie: Liebe 24 Eros und Psique 25 Michelangelo, La pietá, 1498-1499 26 Gian Lorenzo Bernini, Verzükung der Heiligen Theresa, zwischen 1647 und 1651 27 28 Glaube 29 30 Der philosophische Glaube ist anders als der religiöse Glaube 31 Vielleicht dieses Bild drückt den philosophischen Glauben besser aus? Phantasie 32 Paul Klee, 1879-1940 33 Selbstbildnis, De Chirico, 1888-1978 34 Ironie 35 Spiel 36 37 The human condition 38 René Margritte, 1898-1967 39 Scham 40 Gelassenheit 41 . 42 . 43