3.Sitzung (6.11.02)

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II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder
(2): Der Mensch als "intuitiver Wissenschaftler":
Attributionstheorien
1. Attribution: Mensch als Wissenschaftler
2. Drei klassische Ansätze
• Heider
• Jones & Davis
• Kelley
3. Kritik und Weiterentwicklungen
4. Anwendungen
© Gerd Bohner 2001
1. Attribution: Mensch als Wissenschaftler
• Leitbild: Mensch als rationales Wesen; Denken
dient der Erkenntnis der Wahrheit -- bezogen auf
das Selbst und die externe (soziale) Realität
• Wie?
• Durch Finden der Ursachen von Ereignissen und
Verhalten
--- Mensch als "intuitiver Wissenschaftler"
© Gerd Bohner 2001
• Wie schließt man vom beobachteten Verhalten auf
die dahinter liegenden Ursachen?
Aussagen hierüber machen die Attributionstheorien
Definition: Attribution = Ursachenzuschreibung
Funktionen: verstehen, vorhersagen, kontrollieren
Auftreten: bei wichtigen (z.B. emotionsauslösenden),
negativen bzw. unvorhergesehenen Ereignissen und
Verhaltensweisen
© Gerd Bohner 2001
2. Drei klassische Ansätze
Heider (1958): The psychology of interpersonal relations
• "naive Psychologie": Einsichten des Laien, Psychologie
des "gesunden Menschenverstandes"
• bevorzugte Ursachen: stabil und überdauernd;
Rückführung von Verhalten auf "dispositional properties"
• V = f (P, U)
• Heiders Theorie v.a. von programmatischer Bedeutung,
nie systematisiert
© Gerd Bohner 2001
Jones & Davis (1965):
Theorie der korrespondierenden Schlussfolgerungen
•
Zwei Stufen:
1. Zuschreibung von Intention (Wissen, Fähigkeit,
Wahlfreiheit)
2. Zuschreibung einer Disposition (eigtl. Gegenstand der
Theorie).
•
Im 2. Schritt sind 2 Faktoren bestimmend:
a) Anzahl der distinktiven Merkmale ("noncommon
effects")
b) Soziale Erwünschtheit "social desirability"
© Gerd Bohner 2001
• Beispiel: Warum wählt O den Studienort B?
Kriterium der distinktiven Merkmale:
Fall I:
Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität
Studienort B: nah, Großstadt, alte Universität
Fall II:
Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität
Studienort B: weit, Kleinstadt, moderne Uni
Fall III:
Studienort A: nah, Großstadt, alte Universität
Studienort B: nah, Großstadt, moderne Uni
© Gerd Bohner 2001
Kriterium der sozialen Erwünschtheit:
Fall I:
O's Eltern, Freunde und Bekannte empfehlen
Studienort B.
Fall II:
O's Eltern, Freunde und Bekannte empfehlen
Studienort A.
• Fazit:
– Nichtübereinstimmende Konsequenzen (je weniger,
desto besser) erlauben dispositionale Attribution.
– Sozial unerwünschte Handlungen erlauben
dispositionale Attribution.
© Gerd Bohner 2001
• Empirische Befunde stützen die Theorie (z.B. Jones,
Davis & Gergen, 1961; Jones & Harris, 1967)
• Aber: Selbst wenn keine Entscheidungsfreiheit vorliegt,
wird von Verhalten auf Dispositionen geschlossen
(L.Ross: "fundamental attribution error"; Ross, Amabile
& Steinmetz, 1977)
pro
70
Verfasser hat keine Wahl
Verfasser hat freie Entscheidung
60
50
Erschlossene 40
Einstellung 30
20
anti
Daten aus Jones &
Harris (1967)
10
0
Pro-Castro
Anti-Castro
© Gerd Bohner 2001
Kelley (1973): Kovariationsmodell
• Kovariation als notwendige Bedingung für Kausalität:
Ursache und Wirkung müssen zusammen auftreten.
• Wenn Experiment unmöglich, verwendet auch die
Wissenschaft beobachtete Kovariation als Grundlage
für Urteile über Kausalbeziehungen.
• Kelley: Individuum als "naiver Wissenschaftler"
verhält sich ebenso.
• Drei Arten von Information bestimmen das Urteil:
© Gerd Bohner 2001
• Drei Arten von Information bestimmen das Urteil:
– Konsensus: Reagieren andere Personen in
dieser Situation in gleicher Weise?
– Konsistenz: Reagiert P auf dieses Objekt bei
anderen Gelegenheiten in gleicher Weise?
– Distinktheit: Reagiert P auf andere,
unterschiedliche Objekte in gleicher Weise?
• "ANOVA-Modell"
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Attribution nach Kelley
Konsensus
Person
Entität
+
Umstände -
Distinktheit
+
+
Konsistenz
+
+
-
Kelley (1973): Konfigurationsmodell
•Bei einmaliger Beobachtung
•Kausalschemata
•Schema multipler hinreichender Ursachen:
–Abwertungsprinzip ("discounting principle")
–Aufwertungsprinzip ("augmentation principle")
Vergleich: Kovariationsmodell ist "datengetrieben",
Konfigurationsmodell "theoriegeleitet".
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3. Kritik und Weiterentwicklungen
Einige Annahmen und kritische Einwände dazu:
• Sukzessive Abspeicherung und Entdeckung von
Kovariation. Aber: Kovariationsurteile z.T. von
Augenfälligkeit bestimmt (Hamilton & Gifford, 1976;
Taylor & Fiske, 1975).
• Verschiedene Informationen gehen mit gleichem
Gewicht in das Urteil ein. Aber: Konsensus-information
erhält geringeres Gewicht; dispositionale Ursachen
werden überschätzt (Ross et al., 1977).
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• Kein Unterschied zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung. Aber: Handelnde sehen Ursachen eher in
Situation, Beobachter eher in handelnder Person.
– Schlüsseluntersuchung: Storms (1973)
• Attribution als rationaler Prozess: keine motivationalen
Verzerrungen. Aber: Selbstwertdienliche Verzerrungen,
v.a. bei Attributionen für Erfolg und Misserfolg (z.B.
Miller & Ross, 1975).
• Attribution als datengetriebener Prozess: Die Daten
bestimmen das Ergebnis. Aber: Kommunikationskontext ist bedeutsam. Nur was von der Norm abweicht,
gilt als "gute" Erklärung (Hilton & Slugoski, 1986).
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Gründe für Akteur-Beobachter-Unterschiede
•
•
•
•
Unterschiedliche Informationen
Unterschiedliche Perspektiven
Selbstwertschutz
Kontrollmotivation (bei Erwartung späterer Interaktion)
4. Anwendungen
Attributionale Theorie der Motivation und Emotion
(Weiner, 1986)
–Ereignis (z.B. Prüfungsversagen) ergebnisabhängige Gefühle
Kausalattribution attributionsabhängige Gefühle Verortung auf
Attributionsdimensionen dimensionsabhängige Gefühle, Erwartung und
Verhalten (z.B. Prüferwechsel)
–Anwendung im pädagogischen Bereich
© Gerd Bohner 2001
Attributionsdimensionen und ihre Folgen nach Weiner
• Lokation: selbst (Stolz, Scham),
andere (Dankbarkeit, Ärger),
Zufall (Überraschung)
• Stabilität: Zuversicht, Hoffnungslosigkeit
• Kontrollierbarkeit: Ärger, Mitleid, Sympathie
•Theorie der erlernten Hilflosigkeit (Abramson, Seligman &
Teasdale, 1978)
–individuelle Unterschiede im Attributionsstil
–stabile, internale, globale Attribution negativer selbstrelevanter
Ereignisse als dispositionaler Bedingungsfaktor für Depression
–Anwendung in der kognitiven Therapie
© Gerd Bohner 2001
Fazit
• Mensch als intuitiver Wissenschaftler problematisch,
was das Ergebnis angeht (Verzerrungen, "biases").
• Deshalb jedoch noch keine Abkehr vom rationalen
Menschenbild; Ziel Fähigkeit.
• Entscheidungen oft unter suboptimalen Bedingungen
• Attributionstheorien eher normative Modelle als
Theorien mentaler Prozesse
• Enormer Einfluss auf die Forschung, insbesondere in
Reaktion auf diese Modelle
 Urteilsheuristiken
 Social Cognition
© Gerd Bohner 2001
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