10.Sitzung

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III. Themen der Sozialpsychologie
(5): Interpersonale Anziehung; enge Beziehungen
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Fragestellungen
Affiliation
Zwischenmenschliche Anziehung
Freundschaft
Liebesbeziehungen
Bezug zu Grundprinzipien der SP
© Gerd Bohner 2001
1. Fragestellungen
Zur Bedeutung von Anziehung und engen Beziehungen:
• Zimmergenossen in Wohnheimen leiden seltener an Erkältungskrankheiten, je mehr sie einander mögen (Goleman, 1992).
• Glücklich Verheiratete verfügen über ein stärkeres Immunsystem
als Personen mit Eheproblemen (Kiecolt-Glaser et al., 1987)
• Die Überlebensrate älterer Menschen 1 Jahr nach einem Herzinfarkt verdoppelt sich durch soziale Unterstützung von 2 oder
mehr Personen (Berkman et al., 1992).
• Zufriedenheit mit Beziehung wichtiger für allg. Wohlbefinden als
Arbeit, Einkommen oder Gesundheit (Campbell et al., 1976).
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Empirische Fragestellungen:
• Warum suchen Menschen die Gesellschaft anderer?
• Was sind die Bestimmungsfaktoren zwischenmenschlicher
Anziehung?
• Wie entstehen Freundschaften?
• Gibt es bestimmte Phasen im Verlauf einer
Liebesbeziehung?
• Welche Faktoren bestimmen die Beziehungszufriedenheit?
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2. Affiliation
Definition:
Affiliation = Tendenz, die Gesellschaft anderer zu suchen.
• Personen verbringen etwa 50% ihrer Zeit in Gesellschaft (O'Connor
& Rosenblood, 1996) - Homöostase?
• Ursachen?
– biologische Anpassung
– Furcht, Stress (Schachter, 1959; Buunk, 1995)
• Welchen Zielen dient Affiliationsverhalten unter Stress?
– Sozialer Vergleich ("Misery seeks miserable company")
(Bindungsstil als Moderatorvariable)
– Furchtreduktion
– Informationssuche (Präferenz für "informierte" Gesellschaft)
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Effekte von Affiliation und sozialer Unterstützung
• Wird durch Affiliation wirklich Furcht reduziert?
– Amoroso & Walters (1969): Gemeinsames Warten (ohne
verbale Kommunikation) reduziert Furcht vor Elektroschocks.
– Gump & Kulik (1997): Hängt von Verhalten des anderen ab;
emotionale Ansteckung kann zu erhöhter Furcht führen.
• Soziale Unterstützung (= Gefühl, von anderen unterstützt zu
werden; 4 Komponenten: emotionale, Einschätzungs-,
informative und instrumentelle Unterstützung)
– fördert Bewältigung kritischer Lebensereignisse
– Pufferfunktion
– Bindungsstil als Moderatorvariable
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Mangel an Affiliation  Einsamkeit, Gesundheitsprobleme
• Zwei Formen der Einsamkeit
– Emotionale Einsamkeit = Fehlen eines intimen Partners
– Soziale Einsamkeit = Mangel an sozialer Unterstützung
– Shaver & Rubinstein (1980): Einsamkeit als komplexe
emotionale Reaktion
•
•
•
•
Verzweiflung
Depression
Langeweile
Selbstherabsetzung
• Gesundheitsprobleme als Folge mangelnder sozialer Einbettung
– zahlreiche epidemiologische Studien (s.o. Folie 2)
– Personen mit mehr Sozialkontakten haben längere Lebenserwartung (Längsschnittstudie von Berkman & Syme, 1979)
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3. Zwischenmenschliche Anziehung
Welche Faktoren bestimmen zwischenmenschliche Anziehung?
Physische Attraktivität: Wir mögen Personen, die gut aussehen.
© Gerd Bohner 2001
3. Zwischenmenschliche Anziehung
Welche Faktoren bestimmen zwischenmenschliche Anziehung?
Physische Attraktivität: Wir mögen Personen, die gut aussehen.
• Wie wirkt physische Attraktivität?
– Das Attraktivitäts-Stereotyp: Attraktiven Menschen werden
positive Eigenschaften zugeschrieben: freundlich, herzlich,
selbstbewusst, sozial kompetent …
– Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Telefongespräch mit
"attraktiver" oder "unattraktiver" Partnerin beeinflusst deren
Verhalten (Snyder, Tanke & Berscheid, 1977).
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• Wer legt besonderen Wert auf physische Attraktivität; welche
Merkmale sind wichtig?
– Personen mit hoher (vs. niedriger) Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals "self-monitoring" legen mehr Wert auf gutes
Aussehen (Snyder et al., 1988)
– Geschlechtsunterschiede:
Bei der Partnerwahl legen Männer generell mehr Wert auf
physische Attraktivität als Frauen - evolutionspsychologische
Erklärung: Attraktivität als Hinweis auf Jugend, Gesundheit und
damit Fortpflanzungsfähigkeit (Buss, 1989).
Frauen gewichten Status höher als Schönheit; physische
Merkmale, die als Hinweis auf Status gedeutet werden können,
sind z.B. Körpergröße, athletischer Körperbau.
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Nähe: Wir mögen die, mit denen wir zusammen sind.
• Festinger, Schachter & Back (1950): Freundschaften im
Wohnheim wahrscheinlicher, je näher die Zimmer.
• Wie wirkt Nähe auf Anziehung?
– Häufigkeit der Interaktion
Insko & Wilson (1977): Drei Personen A, B und C anwesend;
A interagiert mit B, dann B mit C, danach Sympathiebeurteilung.
Ergebnis: A und C mögen einander weniger als die anderen Paare.
– "Mere exposure" (Zajonc)
Bloße Anzahl der Kontakte (ohne Interaktion) beeinflusst Sympathie
(Saegert, Swap & Zajonc, 1973).
• Auch gegenläufige Befunde:
– Bei geringer Ähnlichkeit kann Nähe negative Gefühle verstärken
(Ebbesen et al., 1976).
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Ähnlichkeit: Wir mögen Personen, die uns ähnlich sind.
• Freunde sind einander ähnlicher als Nichtfreunde hinsichtlich
Alter, Familienstand, Intelligenz usw. (Hays, 1988).
• Einstellungsähnlichkeit ist besonders wichtig (Byrne, 1971).
• Wie wirkt Ähnlichkeit auf Anziehung?
– Byrne: klassische Konditionierung - ähnliche Einstellung ruft
positive Gefühle hervor, die auf den Träger der Einstellung
übertragen werden.
– Sozialer Vergleich (Richtigkeit der Einstellung bestätigt)
– Ähnlichkeit der Einstellungen fördert Interaktion; wir meiden
die Interaktion mit unähnlichen Anderen (Rosenbaum, 1986).
• Auch gegenläufige Befunde:
– Komplementärer Verhaltensstil (dominant vs. submissiv) führt
zu mehr Sympathie als ähnlicher Stil (Dryer & Horowitz, 1997).
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• Suchen Menschen gezielt nach ähnlichen Partnern für
Freundschaften und Beziehungen?
– "Ja" sagen Vertreter des "matching principle". Positive Evidenz
bei Berscheid et al. (1971): Weniger attraktive Vpn wählen
weniger attraktive PartnerInnen für einen Tanzabend mit
"Computer-Dating" sogar dann, wenn keine Möglichkeit der
Zurückweisung besteht.
– "Nein" sagen Kritiker. Gegenhypothese: Personen suchen i.a.
möglichst attraktive PartnerInnen; "matching" ergibt sich
automatisch, da weniger attraktive Personen von attraktiveren
Zielpersonen eher zurückgewiesen werden. Computersimulation
stützt diese Annahme: Hohe Attraktivitätskorrelation selbst
dann, wenn die Akteure nach Maximierung der Attraktivität der
Partnerin streben und ihre eigene Attraktivität nicht kennen
(Kalick & Hamilton, 1986).
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Fazit zu den Determinanten zwischenmenschlicher
Anziehung
• Physische Attraktivität, Nähe und Ähnlichkeit weisen jeweils
eine deutliche Korrelation zum Ausmaß der Anziehung auf.
• Die Effekte dieser Variablen lassen sich durch unterschiedliche Theorien und vermittelnde Prozesse erklären: z.B.
Vertrautheit, Informationsgewinn, positive Bekräftigung,
kognitive Konsistenz.
• Es bestehen wechselseitige Zusammenhänge zwischen den
betrachteten Variablen. Die Kausalrichtung ist nicht immer
eindeutig.
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Quelle: Smith & Mackie (2000)
4. Freundschaft
• Relativ wenig Forschung (im Vgl. zu Liebesbeziehungen)
• Definitionskriterien:
– wechselseitige Anziehung als Voraussetzung
– lange Dauer
• Art der Beziehung ändert sich im Verlauf
– zu Beginn: Austauschbeziehung - Ertrag soll proportional zur
Investition sein (Equity-Theorie); bei "Inequity" sind beide
Partner weniger zufrieden als bei Equity (Walster et al., 1978)
– später: Übergang zu prosozialer Beziehung, Hilfe für den Freund
als Ausdruck der Wertschätzung ohne Erwartung von Gegenleistung; intrinsisch motiviert
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• "Self-disclosure" als Merkmal von Freundschaften
– Definition: "self-disclosure" (SD) = Kommunikation über
intime Themen wie eigene Gefühle, Probleme
– Effekte von SD: erhöht Sympathie (solange nicht
überzogen); regt Partner seinerseits zu SD an
– Geschlechtsunterschiede: SD bei Freundschaften zwischen
Frauen und in heterosexuellen Beziehungen stärker
ausgeprägt als bei Freundschaften zwischen Männern
(Reis, 1986).
Ursache: Geschlechtstypische Arbeitsteilung?
Männer legen gleiche Kriterien für Vertrautheit an und sind
auch in der Lage, vertraute Gespräche zu führen. Also:
Männer ziehen Gespräche mit weniger Vertrautheit vor.
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Geschlecht und Intimität der Gesprächsinhalte (Reis, 1986)
Quelle: Smith & Mackie (2000)
5. Liebesbeziehungen
• Was ist Liebe?
– Vielzahl von Taxonomien (z.B. Sternbergs "Dreieckstheorie":
Intimität / Leidenschaft / Verbindlichkeit)
– Im Alltagsverständnis eher breites Konzept (Mutterliebe,
freundschaftliche Liebe, leidenschaftliche Liebe, platonische
Liebe, Geschwisterliebe...)
– In Abgrenzung zu Freundschaften v.a. interessant:
Liebesbeziehungen, die (Wunsch nach) Sexualität beinhalten
(leidenschaftliche Liebe, "romantic love")
– Liebe als Emotion: physiologische Erregung + situative
Hinweise, dass Liebe die angemessene Interpretation (Berscheid
& Walster, 1974, in Anlehnung an Schachter); Befunde zum
Erregungstransfer stützen dieses Zweifaktorenmodell
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• Entstehung von Liebesbeziehungen
– Dieselben Faktoren wie bei der Entstehung von Freundschaft
wichtig, plus emotionales Erleben von Verliebtheit.
• Merkmale von Liebesbeziehungen
– Interdependenz
• kognitiv: Partner wird "Teil des Selbst"; Perspektivenübernahme; positive Attributionsverzerrung schließt Partner ein
• verhaltensbezogen: Transformation der Austauschbeziehung
• affektiv: Gefühle der Vertrautheit ("intimacy")
– Die o.a. Aspekte beeinflussen die Zufriedenheit mit der
Beziehung
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Investitionsmodell (Rusbult, 1983)
Quelle: Smith & Mackie (2000)
• Bindungsstil als Beziehungsdeterminante
– Grundlage: Bindungstheorie (Bowlby; Ainsworth)
– Annahme: Frühkindliche Bindungsmuster sind stabil über
die Lebensspanne und beeinflussen Beziehungen zwischen
Erwachsenen (Bowlby: "from the cradle to the grave")
– 3 Bindungsstile:
• sicher
• vermeidend
• ängstlich-ambivalent
– Bindungsstil beinhaltet kognitive Schemata (= "internal
working models") über Selbst, Partner und Beziehung
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Quelle:
Smith & Mackie (2000)
• Schlüsseluntersuchung von Hazan & Shaver (1987):
Korrelative Studie zum Bindungsstil bei Erwachsenen
– Verblüffend einfache Erfassung des Bindungsstils: Beschreibung
der drei Bindungsstile nach Ainsworth; Vp gibt an, welche am
besten zutrifft
– Erhebung weiterer Variablen durch Fragebogen
Hypothesen:
– Verteilung der Bindungsstile entspricht der bei Kindern.
– Folgende Variablen kovariieren mit dem Bindungsstil:
•
•
•
•
Beziehungserfahrungen
Kognitive Schemata über Selbst und Beziehungen
"Bindungsgeschichte" (Beziehung der Eltern / zu den Eltern)
Erfahrungen von Einsamkeit
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Ergebnisse
– Verteilung der Bindungsstile:
Studie 1 (Zeitung): 56% sicher, 25% vermeidend, 19% ängstlich
Studie 2 (Uni):
56% sicher, 23% vermeidend, 20% ängstlich
Zum Vergleich Daten aus Studien mit Kindern:
62% sicher, 23% vermeidend, 15% ängstlich
(Campos et al., 1983)
– Weitere Vorhersagen ebenfalls weitgehend bestätigt; z.B.
charakteristische Beziehungserfahrungen
sicherer BS:
Freundschaft, Glück, Vertrauen
vermeidender BS: Furcht vor Nähe
ängstl. BS:
Eifersucht, emotionale Schwankungen
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Fazit
– Erfassung des Bindungsstils durch eine einzige Auswahlfrage
offenbar beeindruckend valide.
– Interessante Übereinstimmung zwischen BS-Verteilung bei
Kindern und Erwachsenen. Inzwischen auch Längsschnittstudien,
die Stabilität des Bindungsstils belegen (Berscheid & Reis, 1998).
– Korrelationen plausibel, aber z.T. wenig überraschend.
– Theoretisches Problem: Annahme, dass Bindungsschemata
unbewusst wirken – dennoch Erfassung des BS weitgehend über
Selbstbericht.
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6. Bezug zu Grundprinzipien der SP
• Soziale Konstruktion der Realität: Verzerrte Attributionen,
Idealisierung bei der Repräsentation der Beziehung / der
Partnerin; kognitive Beziehungsschemata vom BS abhängig.
• Universalität sozialer Einflüsse: Partner wird "Teil des Selbst",
beeinflusst Gedanken, Gefühle und Verhalten.
• Motive: Verbindung mit anderen als primäres Motiv bei der
Entstehung von Beziehungen; Austausch-Aspekt von
Beziehungen betont Motiv der Kontrolle; Selbstwert wird durch
Identifikation mit dem Partner erhöht und durch Zuwendung
innerhalb der Beziehung gestützt)
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• Verarbeitungsprinzipien:
– Variationen der Verarbeitungstiefe sind in den meisten
Forschungsansätzen zu Beziehungen theoretisch weniger
relevant.
– Beziehungsschemata (Bindungstheorie) könnten als chronisch
zugängliche Informationen konzipiert werden, welche das
Denken, Fühlen und Verhalten in Beziehungen beeinflussen.
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