Sitzung 28.11.2004--

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Sozialer Einfluss durch Minderheiten und
Mehrheiten
1.
2.
3.
4.
Eingrenzung des Themas
Konformität / Mehrheitseinfluss
Minderheitseinfluss
Hinweise zu Referaten und Feedback
© Gerd Bohner 2002/2004
1. Eingrenzung des Themas
• Was ist sozialer Einfluss, und warum ist das Thema wichtig?
Unsere psychische Realität ist durch die Anwesenheit Anderer geprägt:
Wie wir uns kleiden, wie wir sprechen, was wir tun (und nicht tun), was
wir mögen bzw. nicht mögen – alles das Ergebnis von sozialem Einfluss.
• Sozialer Einfluss – sehr weiter Begriff
Definition: Veränderung der Urteile, Meinungen, Einstellungen oder
des Verhaltens einer Person durch Kontakt mit den Auffassungen
einer oder mehrerer anderer Personen.
• Unsere Themenschwerpunkte:
– Konformität und Mehrheitseinfluss
– Minderheitseinfluss und Innovation
– Theoretische Perspektiven zu den o.a. Punkten in ihrer
historischen Entwicklung
© Gerd Bohner 2002/2004
2. Konformität / Mehrheitseinfluss
• "Konformität" weitgehend synonym mit
Mehrheitseinfluss; aber auch allgemeiner:
Anpassung an die Position Anderer
• Ein alltägliches Phänomen:
– Mehrheitsprinzip als formale Norm in demokratischen
Institutionen
– Meinungen, Vorlieben, Mode …
© Gerd Bohner 2002/2004
• Sogar bei der Beurteilung der physikalischen Welt: Schätzung
der scheinbaren Bewegung eines Lichtpunkts (Sherif, 1935)
– Bedingung 1: zuerst
allein, dann in der Gruppe
=> Persönl. Normen
konvergieren auf
Gruppennorm hin.
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
– Bedingung 2: zuerst in
der Gruppe, dann allein
=> Einmal etablierte
Gruppennorm bleibt
bestehen
10
9
8
7
6
5
4
3
2
1
0
Person 1
Person 2
Person 3
alone
in group
alone
Person 1
Person 2
Person 3
in group
alone
alone
– Interpretation: Bei mehrdeutiger Reizsituation werden die
Urteile der anderen als Bezugsrahmen verwendet.
© Gerd Bohner 2002/2004
• Frühe Theorie zum "Konformitätsdruck" in Gruppen:
Festinger (1950), "Informal Social Communication"
Grundthese: Ein wesentliches Motiv für die Kommunikation
zwischen Gruppenmitgliedern ist Streben nach Konformität in
Bezug auf Inhalte, die für die Ziele der Gruppe bedeutsam sind.
Die Theorie erklärt die Bedingungen für Kommunikation in
Richtung auf Konformität und – wenn Konformität nicht
hergestellt werden kann – für den Ausschluss von Mitgliedern.
Referat zu diesem Thema am 4.11.2004 (Gerhard Meitz).
Diskussionsfragen zur Vorbereitung stehen im Internet.
• Ist sozialer Einfluss auch dann zu beobachten, wenn die
Reizsituation eindeutig ist? => Experimente von Asch
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• Versuchsaufbau bei Asch:
– Angebliches Wahrnehmungsexperiment
Aufgabe: Welche der drei Vergleichslinien (B1, B2 oder B3)
hat dieselbe Länge wie die Referenzlinie A?
1
A
2
B
3
– Konformitätsbedingung: Mehrere Personen antworten nacheinander mündlich; nur eine echte Vp, alle anderen Vertraute
des Vl, die in 12 (von 18) Durchgängen einmütig falsch
antworten
– Kontrollbedingung: Vpn urteilen allein
© Gerd Bohner 2002/2004
• Ergebnisse bei Asch (1956):
– 75% der Vpn in der Experimentalbedingung geben
mindestens einmal eine falsche Antwort (gegenüber 5%
in der Kontrollbedingung).
– Die mittlere Fehlerquote beträgt 37% (gegenüber 0.7%).
• Fragestellungen in Folgestudien:
–
–
–
–
normativer Einfluss oder informativer Einfluss?
welche Rolle spielt die Größe der Gruppe?
reduziert soziale Unterstützung die Konformität?
welche Rolle spielt die Bedeutsamkeit des Themas?
Referat hierzu am 11.11.2004 (Michelle Christiansen &
Gabi Rafelt)
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• Konformität als Voraussetzung für Innovation:
Hollander (1958, 1964)
Einfluss als dynamische Wechselwirkung zwischen Gruppe
und individuellen Mitgliedern.
Grundthese: Innovation (d.h. Änderung der Gruppennorm)
kann durch individuelle Mitglieder mit hohem Status
angeregt werden.
Status erwirbt sich ein Mitglied (P) (zunächst) durch
Konformität mit den Gruppennormen.
Dadurch entstehen positive Eindrücke bei den anderen und
zukünftige Normabweichungen von P werden weniger
sanktioniert (= "Idiosynkrasiekredit"). P kann diesen Kredit
zur Innovation nutzen.
Referat hierzu am 18.11.2004 (Christa Pötter)
© Gerd Bohner 2002/2004
3. Minderheitseinfluss
• Ergebnisse zur sozialen Unterstützung zeigen, dass
Widerstand gegen Mehrheitseinfluss möglich ist.
• Kann auch die Richtung des Einflusses umgekehrt werden?
– Historische Ereignisse sprechen dafür
– Innovation sonst kaum möglich
=> Forschungsprogramm zum Minderheitseinfluss (Moscovici)
• Grundthese: Da Minderheiten wenig Macht besitzen und
kaum normativen Druck ausüben können, müssen sie die
Mitglieder der Mehrheit zur inhaltlichen Auseinandersetzung
anregen.
• Entscheidende Variable: Verhaltensstil
– synchrone Konsistenz
– diachrone Konsistenz
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• "Umkehrung" des Asch-Paradigmas (Moscovici, Lage &
Naffrechoux, 1969)
– Angebl. Studie zur "Farbwahrnehmung"; Beurteilung der
Farbe und Helligkeit von 36 Dias; alle Dias sind blau
– In der Experimentalgruppe bezeichnet eine Minderheit die
Farbe der Dias als "grün"; Kontrollgruppe ohne Einfluss
– Variation im Verhaltensstil:
• konsistent: "Grün" bei allen 36 Dias (Exp. 1 und 2)
• inkonsistent: "Grün" bei 24 Dias, sonst "blau" (Exp. 3)
– 2 abhängige Variablen:
• öffentliche Urteile über die Farbe der Dias (Exp. 1 und 3)
• privater Test der Farbdiskrimination bei neuen Stimuli im
Grenzbereich zwischen Grün und Blau (nur Exp. 2)
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– Ergebnisse:
Signifikanter Effekt der konsistenten Minderheit beim
öffentlichen Urteil, aber weniger stark als bei Asch;
kein Effekt der inkonsistenten Minderheit;
Tendenz zur Veränderung der Blau-Grün-Schwelle nach
konsistentem Minderheitseinfluss.
• Folgestudie zum Verhaltensstil der Minderheit
– Nemeth et al. (1974): Gezieltere Variation der Konsistenz
• Minderheit sagt nach Zufall zu 50% "grün" / zu 50% "grün-blau"
• Minderheit sagt konsistent zu den 50% helleren Dias "grün" / zu
den 50% dunkleren "grün-blau"
Ergebnis: Signifikanter Einfluss nur bei der letzten Gruppe
(vgl. Kelleys Attributionskriterium der Distinktheit)
Referat zu Moscovicis frühen Arbeiten am 25.11.2004
(Magdalena Rogala & Daniel Wilhelm)
© Gerd Bohner 2002/2004
• Moscovicis Konversionstheorie (1980)
Grundannahme: Minderheiten und Mehrheiten erzeugen
Konflikt auf verschiedenen Ebenen und lösen dadurch
verschiedene Verarbeitungsprozesse aus.
Einflussgrupp Mehrheit
e
sozial
Art des
("why do I not see
Konflikts
Minderheit
or think like
them?")
inhaltlich
("how can they see
what they see, think
what they
think?")
Prozess
Ergebnis
sozialer Vergleich
Validierung
Anpassung
("compliance")
Konversion
("conversion")
Urteilsebene
öffentlich, direkt
privat, indirekt
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– Annahme analog zu Zweiprozesstheorien der Persuasion:
Verarbeitung eher oberflächlich (bei Mehrheitseinfluss)
oder eher aufwändig und detailliert (bei
Minderheitseinfluss)
– Überprüfung erfordert Erfassung von Effekten auf
verschiedenen Ebenen, z.B.
• öffentlich – privat (vgl. Moscovici, Lage & Naffrechoux,
1969)
• direkt – indirekt (z.B. Einstellung zum Zielthema "Schwule
im Militärdienst" und ideologisch verwandtem Thema
"Waffen-kontrolle" bei Alvaro & Crano, 1997)
• sofort – zeitversetzt
• in Anwesenheit – in Abwesenheit der Einflussquelle
• verbales Urteil – "Wahrnehmung" (?)
© Gerd Bohner 2002/2004
• Experimente zum "Nachbildeffekt" (Moscovici &
Personnaz, 1980)
– "Farbwahrnehmung" (wieder blaue Dias); Information,
dass 82% (Mehrheit) oder 18% (Minderheit) die Dias
als "grün" sähen; Vertraute des Vl antwortet konsistent
"grün"
– Zwei abhängige Variablen:
• Urteil über die Farbe der Dias (direkt)
• Urteil über die Farbe des Nachbildes (indirekt)
– 4 Phasen:
1.Urteile (Dias und Nachbild) privat, vor Einfluss
2.Urteile (nur Dias) öffentlich, nach Einfluss durch die
Vertraute
3.Urteile (Dias und Nachbild) privat, Vertraute anwesend
4. Urteile privat, Vp allein
© Gerd Bohner 2002/2004
© Gerd Bohner 2002/2004
© Gerd Bohner 2002/2004
– Hypothese: Konversion zeigt sich in "veränderter
Wahrnehmung", d.h. Minderheit hat stärkeren Einfluss
als Mehrheit auf Nachbildurteile in den Phasen 3 und 4
– Zur Methode: Nachbild von blau ist gelb-orange,
Nachbild von grün ist rot-violett; Vpn beurteilen Nachbild
auf einer Skala von 1 = gelb bis 9 = violett
© Gerd Bohner 2002/2004
Ergebnisse von Moscovici & Personnaz (1980)
Quelle: Stroebe et al. (2002)
© Gerd Bohner 2002/2004
• Interpretation und Kritik zu Moscovici & Personnaz
(1980)
– Studie hat heftige Diskussionen ausgelöst und zu mehr
Forschung über Ebenen des Einflusses angeregt
– Trotz hypothesenkonformer Ergebnisse und
konzeptueller Replikationen durch Personnaz mehrere
Probleme, u.a.
• Unterschiede in Phase 1 – Randomisierungsproblem
• Unabhängigen Replikationsversuche durch andere
Forschungsteams sind gescheitert (z.B. Doms & Van
Avermaet, 1980; Martin & Hewstone, 2001)
• In Replikationen ist der Effekt z.T. auch bei
Mehrheitseinfluss zu beobachten (Martin, 1998)
Zu diesem Thema noch kein Referat vergeben –
Besprechung am 2.12.2002
© Gerd Bohner 2002/2004
• Neuere Ansätze zum Minderheits- und Mehrheitseinfluss
– Attributionstheoretische Erklärungen
RezipientInnen ziehen Konsens, Distinktheit und Konsistenz
einer Position heran, um deren Validität zu beurteilen (z.B.
Bohner, Erb, Reinhard & Frank, 1996; Moskowitz & Chaiken,
2001).
Referat(e) hierzu bzw. zu einem Vergleich der Ansätze von
Hollander und Moscovici (Bray et al., 1982) am 9.12.2004
(Sebastian Bednarek, Sandra Hanke & Katrin Vilter)
– Theorie der sozialen Kategorisierung (Turner, 1981):
Streben nach Konsens mit der Mehrheit einer Eigengruppe; die
Gruppe vermittelt sozial geteilte Realität. Auch Minderheiten
innerhalb der Eigengruppe können Einfluss ausüben, sofern sie
prinzipiell die Normen der Gruppe nicht in Frage stellen.
In Konkurrenz zu Moscovici, da Konflikt zur Abwertung der
Einflussgruppe führen und Einfluss reduzieren sollte.
Referat(e) hierzu am 16.12.2004 (Aurice Büker, Marc Türnau
& Marco Wilde)
© Gerd Bohner 2002/2004
– "Leniency Contract Model" (Crano)
Grundidee: Mehrheit und Minderheit schließen einen
impliziten "Vertrag", wonach die Minderheit ihre abweichende
Position ungehindert vortragen kann; die Mehrheit hört zu,
darf aber ihre Meinung beibehalten.
Dies führt auf lange Sicht zu kognitiver Spannung bei den
Mehrheitsmitgliedern, die durch "indirekte Einstellungsänderung" reduziert wird (Beispiel "gun control" vs. "gays in
the military")
Referat hierzu am 6.1.2005 (Johannes Engemann,
André Pittig & Olga Salewski)
© Gerd Bohner 2002/2004
– Minderheitseinfluss aus der Sicht von Zweiprozesstheorien der Persuasion (z.B. Bohner, Moskowitz &
Chaiken, 1995; De Vries et al., 1996; Erb et al., 1998,
2002):
• Minderheits- oder Mehrheitsstatus kann als Heuristik
genutzt werden ("Konsens bedeutet Korrektheit") und
ähnliche Effekte bewirken wie andere Heuristiken.
• Gibt es grundlegende Verarbeitungsunterschiede zwischen
Minderheits- und Mehrheitsbotschaften?
Referat(e) hierzu am 13.1.2005 (Peggy Behrendt,
Mirko Bulla & Elizabeth Schranz)
© Gerd Bohner 2002/2004
– Divergentes / konvergentes Denken als Folge von
Minderheits-/Mehrheitseinfluss (Nemeth)
Grundidee: Minderheiten und Mehrheiten lösen qualitativ
unterschiedliche Denkprozesse aus (in einem weiteren Sinne
als von Moscovici angenommen)
Mehrheit: konvergentes Denken
Minderheit: divergentes Denken
Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes auf die
Bereiche Problemlösen und Kreativität: Minderheitseinfluss
führt zu qualitativ besseren Lösungen.
Beispiel: Bilden Sie möglichst viele Wörter aus den Buchstaben
tDOGe
Referat hierzu am 20.1.2005 (Kerstin Fiebig & Lars
Göppert)
© Gerd Bohner 2002/2004
• Mehrheits- und Minderheitseinfluss in der Gesamtschau:
Ergebnisse einer Meta-Analyse (Wood et al., 1994):
– Bestätigt Moscovicis Annahmen zu den relativen Effekten
von Minderheiten im Vergleich zu Kontrollbedingungen:
• öffentlich:
d = –.24a
• privat, direkt: d = –.34a
• privat, indirekt: d = –.58b
(N = 36)
(N = 63)
(N = 23)
– Aber: Beim direkten Vergleich zwischen Minderheits- und
Mehrheitsbedingungen ist der Mehrheitseinfluss größer:
• öffentlich:
d = +.24a
• privat, direkt: d = +.28a
• privat, indirekt: d = –.05b
(N = 8)
(N = 18)
(N = 12)
Referat hierzu und zu weiteren Befunden am 27.1.2005
(Jutta Hülsken)
© Gerd Bohner 2002/2004
4. Hinweise zu Referaten und
Feedback
• Kurze Feedback-Runde (ca. 5 min) am
Ende jeder Sitzung
• Tips zu Referaten und Feedback im
Internet
• Vorbesprechungen zu Referaten
wahrnehmen!
© Gerd Bohner 2002/2004
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