11.Sitzung(15.01.02)

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III. Themen der Sozialpsychologie
Sozialer Einfluss
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Eingrenzung des Themas
Konformität / Mehrheitseinfluss
Minderheitseinfluss
Gruppenpolarisierung
Gehorsam gegenüber Autoritäten
Bezug zu Grundprinzipien der SP
© Gerd Bohner 2001
1. Eingrenzung des Themas
• Sozialer Einfluss – sehr weiter Begriff
Definition: Veränderung der Urteile, Meinungen, Einstellungen oder
des Verhaltens einer Person durch Kontakt mit den Auffassungen einer
oder mehrerer anderer Personen.
Schließt im Prinzip die gesamte SP ein, mindestens aber die Themen
Einstellungsänderung (vgl. 6. Sitzung) und die heute behandelten
Punkte.
• Heutiger Schwerpunkt: Einflussprozesse in Gruppen
– Mehrheitseinfluss (Konformität)
– Minderheitseinfluss (Innovation)
© Gerd Bohner 2001
2. Konformität / Mehrheitseinfluss
• "Konformität" weitgehend synonym mit Mehrheitseinfluss;
aber auch allgemeiner: Anpassung an die Position anderer
• Experimente zum "autokinetischen Effekt" (Sherif, 1935):
Schätzung der scheinbaren Bewegung eines Lichtpunkts
– Bedingung 1, erst allein, dann in Gruppe: Verschiedene
persönliche Normen konvergieren schnell auf gemeinsame
Gruppennorm hin
– Bedingung 2, erst in Gruppe, dann allein: Früh herausgebildete
Gruppennorm bleibt auch in den Einzelsitzungen erhalten
– Interpretation: Bei mehrdeutiger Reizsituation werden die
Urteile der anderen als Bezugsrahmen verwendet.
• Ist sozialer Einfluss auch dann zu beobachten, wenn die
Reizsituation eindeutig ist?  Experimente von Asch (z.B. 1956)
© Gerd Bohner 2001
• Versuchsaufbau bei Asch:
– Angebliches Wahrnehmungsexperiment
Aufgabe: Welche der drei Vergleichslinien (B1, B2 oder B3) hat
dieselbe Länge wie die Referenzlinie A?
1
A
2
B
3
– Konformitätsbedingung: Mehrere Personen antworten nacheinander mündlich; nur eine echte Vp, alle anderen Vertraute des
Vl, die in 12 (von 18) Durchgängen einmütig falsch antworten
– Kontrollbedingung: Vpn urteilen allein
© Gerd Bohner 2001
Quelle: Smith & Mackie (2000)
• Ergebnisse bei Asch (1956):
% Vpn, die
Mittlere FehlerFehler machten
quote in %
Experimentalbedingung
75
Kontrollbedingung
5
37
0.7
• Fragestellungen in Folgestudien:
– normativer Einfluss (beruhend auf Wunsch nach Akzeptanz)
oder informativer Einfluss (Glaube an Richtigkeit der
Mehrheitsantworten; Deutsch & Gerard, 1955)?
– welche Rolle spielt die Größe der Gruppe?
– reduziert soziale Unterstützung die Konformität?
© Gerd Bohner 2001
• Ergebnisse im Überblick:
– informativer Einfluss spielt eine Rolle:
• Effekt stärker, je mehr neutrale Durchgänge zuvor (DiVesta, 1959)
– aber normativer Einfluss ist bedeutsamer:
• Effekt stärker bei öffentlicher als bei privater Urteilsabgabe (Allen,
1965)
• Effekt stärker in kollektivistischen als in individualistischen Kulturen;
in USA kleinere Effekte in jüngerer Zeit (Bond & Smith, 1996)
– Konformität wächst (in Grenzen) mit Größe der Mehrheit
• Asch (1951): gebremster Zuwachs, Max. ab etwa 3 Personen
• Unabhängigkeit der Urteile als separate Einflussgröße, z.B.
3 Zweiergruppen > 2 Dreiergruppen (Wilder, 1977)
– Soziale Unterstützung durch eine nichtkonforme Person kann
Effekt drastisch reduzieren (Allen, 1975)
© Gerd Bohner 2001
Einfluss sozialer Unterstützung
• Fehlerrate sinkt auf 5.5%
• Auch wenn Konfident noch falschere
Antworten gibt
• Auch wenn dessen Gerät ausfällt
• Auch wenn er sehbehindert ist
• Nicht wenn er zur Mehrheit überläuft
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3. Minderheitseinfluss
• Ergebnisse zur sozialen Unterstützung zeigen, dass Widerstand
gegen Mehrheitseinfluss möglich ist.
• Kann die Richtung des Einflusses auch umgekehrt werden?
– Historische Ereignisse sprechen dafür (z.B. Ökobewegung)
– Innovation sonst kaum möglich
 Forschungsprogramm zum Minderheitseinfluss (Serge Moscovici)
• Grundthese: Da Minderheiten wenig Macht besitzen und kaum
normativen Druck ausüben können, müssen sie die Mitglieder der
Mehrheit zur inhaltlichen Auseinandersetzung anregen.
• Entscheidende Variable: Verhaltensstil
– synchrone Konsistenz (über Personen)
– diachrone Konsistenz (über die Zeit)
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• Schlüsseluntersuchung: "Umkehrung" des Asch-Paradigmas
(Moscovici, Lage & Naffrechoux, 1969)
– Cover Story: Studie zur "Farbwahrnehmung"; Beurteilung der
Farbe und Helligkeit von 36 Dias; alle Dias sind blau
– Jeweils 4 echte Vpn und 2 Vertraute des Vl (die Minderheit);
Kontrollbedingung ohne Einfluss
– Die Minderheit bezeichnet die Farbe der Dias als "grün"
– Variation im Verhaltensstil:
• konsistent: "Grün" bei allen 36 Dias (Exp. 1 und 2)
• inkonsistent: "Grün" bei 24 Dias, sonst "blau" (Exp. 3)
– 2 abhängige Variablen:
• öffentliche Urteile über die Farbe der Dias (Exp. 1 und 3)
• privater Test der Farbdiskrimination bei neuen Stimuli im
Grenzbereich zwischen Grün und Blau (nur Exp. 2)
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• Ergebnisse von Moscovici, Lage & Naffrechoux (1969)
% Vpn mit
Mittlere
mindestens 1
“Grün”-Quote
“Grün”-Antwort
in %
 Direktes Urteil
Konsistente Minderheit
(Exp. 1 + 2)
32
Inkonsistente Minderheit (nicht berichtet)
(Exp. 3)
Kontrollbedingung
4.5
8.4
1.3
0.3
– Indirektes Urteil: Verschiebung der Diskriminationsschwelle
zugunsten "grün" ist signifikant
– Tendenziell ist der indirekte Effekt größer in den Gruppen, die
keinen direkten Einfluss zeigen
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• Weitere Ergebnisse aus postexperimentellem Fragebogen
– Kognitive Aktivität: Vpn versuchen aktiv, die Sichtweise der
Minderheit zu übernehmen; Suche nach grünen Farbnuancen;
kein bloßes Nachgeben auf der öffentlichen Urteilsebene
– Wahrnehmung der Mitglieder der Minderheit als
• weniger kompetent hinsichtlich Farbwahrnehmung
• ihrer Sache sicherer
• keine Unterschiede hinsichtlich Sympathie
• Moscovicis Interpretation
– Konsistenz als entscheidende Variable bestätigt
– Minderheitseinfluss nicht nur auf der öffentlichen Verhaltensebene, sondern private "Änderung der Norm"
– Reinterpretation von Befunden im Asch-Paradigma zur sozialen
Unterstützung: auch dort scheint Konsistenz bedeutsamer als
numerische Stärke
© Gerd Bohner 2001
• Folgestudien zum Verhaltensstil der Minderheit
– Nemeth et al. (1974): Gezieltere Variation der Konsistenz
•
•
•
•
Kontrollbedingung ohne Minderheit
Minderheit sagt immer "grün"
Minderheit sagt nach Zufall zu 50% "grün" / zu 50% "grün-blau"
Minderheit sagt konsistent zu den 50% helleren Dias "grün" / zu
den 50% dunkleren "grün-blau"
Ergebnis: Signifikanter Einfluss nur bei der letzten Gruppe (vgl.
Kelleys Attributionskriterium der Distinktheit)
– Mugny (1982): Studie zur Einstellungsänderung nach
Minderheitseinfluss:
• Flexibilität vs. Rigidität im Argumentationsstil
Ergebnis: Bei gleich hoher Konsistenz und identischen
Positionen sind gemäßigt formulierte Minderheitsbotschaften
wirksamer als kompromisslos formulierte.
© Gerd Bohner 2001
• Moscovicis Konversionstheorie (1980)
Grundannahme: Minderheiten und Mehrheiten erzeugen Konflikt
auf verschiedenen Ebenen und lösen dadurch verschiedene
Verarbeitungsprozesse aus.
Einflussgruppe Mehrheit
sozial
Art des
("why do I not see
Konflikts
Minderheit
inhaltlich
("how can they see what
or think like them?")
they see, think what they
think?")
Prozess
Ergebnis
sozialer Vergleich
Validierung
Anpassung
("compliance")
Konversion
("conversion")
Urteilsebene
öffentlich, direkt
privat, indirekt
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– Annahme analog zu Zweiprozesstheorien der Persuasion:
Verarbeitung eher oberflächlich (bei Mehrheitseinfluss) oder
eher aufwändig und detailliert (bei Minderheitseinfluss)
– Überprüfung erfordert Erfassung von Effekten auf
verschiedenen Ebenen, z.B.
• öffentlich – privat (vgl. Moscovici, Lage & Naffrechoux, 1969)
• direkt – indirekt (z.B. Einstellung zum Zielthema "Schwule im
Militärdienst" und ideologisch verwandtem Thema "Waffenkontrolle" bei Alvaro & Crano, 1997)
• sofort – zeitversetzt
• in Anwesenheit – in Abwesenheit der Einflussquelle
• verbales Urteil – "Wahrnehmung" (?)
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• Zum letzten Punkt eine Studie von Moscovici & Personnaz
(1980)
– "Farbwahrnehmung" (wieder blaue Dias); Information, dass
82% (Mehrheit) oder 18% (Minderheit) die Dias als "grün"
sähen; Vertraute des Vl antwortet konsistent "grün"
– Zwei abhängige Variablen:
• Urteil über die Farbe der Dias (direkt)
• Urteil über die Farbe des Nachbildes (indirekt)
– 4 Phasen:
1. Urteile (Dias und Nachbild) privat, vor Einfluss
2. Urteile (nur Dias) öffentlich, nach Einfluss durch die Vertraute
3. Urteile (Dias und Nachbild) privat, Vertraute anwesend
4. Urteile privat, Vp allein
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– Hypothese: Konversion zeigt sich in "veränderter
Wahrnehmung", d.h. Minderheit hat stärkeren Einfluss als
Mehrheit auf Nachbildurteile in den Phasen 3 und 4
– Zur Methode: Nachbild von blau ist gelb-orange, Nachbild von
grün ist rot-violett; Vpn beurteilen Nachbild auf einer Skala
von 1 = gelb bis 9 = violett
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Ergebnisse von Moscovici & Personnaz (1980)
Quelle: Stroebe et al. (2002)
• Interpretation und Kritik zu Moscovici & Personnaz
(1980)
– Studie hat heftige Diskussionen ausgelöst und zu mehr
Forschung über Ebenen des Einflusses angeregt
– Trotz hypothesenkonformer Ergebnisse und konzeptueller
Replikationen durch Personnaz mehrere Probleme, u.a.
• Unterschiede in Phase 1 – Randomisierungsproblem
• Alle unabhängigen Replikationsversuche durch andere
Forschungsteams sind gescheitert
• In Replikationen ist der Effekt oft auch bei Mehrheitseinfluss
zu beobachten – evtl. Folge von intensiverer Betrachtung der
Dias (z. Überblick s. Martin, 1998)
– Fazit: "Nachbildeffekt" wahrscheinlich ein Artefakt!
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• Fazit zur Konversionstheorie: Ergebnisse einer MetaAnalyse (Wood et al., 1994)
– Bestätigt Annahmen zu den relativen Effekten von
Minderheiten im Vergleich zu Kontrollbedingungen:
• öffentlich:
d = –.24a
• privat, direkt:
d = –.34a
• privat, indirekt: d = –.58b
(N = 36)
(N = 63)
(N = 23)
– Aber: Beim direkten Vergleich zwischen Minderheits- und
Mehrheitsbedingungen ist der Mehrheitseinfluss größer:
• öffentlich:
d = +.24a
• privat, direkt:
d = +.28a
• privat, indirekt: d = –.05b
© Gerd Bohner 2001
(N = 8)
(N = 18)
(N = 12)
• Andere Ansätze zum Minderheits- und Mehrheitseinfluss
– Mathematische Modelle, die Ausmaß des Einflusses aus wenigen
Parametern vorhersagen. Z.B. Latané & Wolf (1981): Einfluss als
Funktion der Parameter Kraft (z. B. Status, Macht), Nähe (räumlich
und zeitlich) und Anzahl der Gruppenmitglieder
Kritik: sparsam, keine qualitative Differenzierung zwischen Mehrheit
und Minderheit; aber keine Aussagen über psychologische Prozesse
(wie z.B. versch. Einflussebenen)
– Theorie der sozialen Kategorisierung (Turner, 1981): Streben nach
Konsens mit der Mehrheit einer Eigengruppe; die Gruppe vermittelt
sozial geteilte Realität. Auch Minderheiten innerhalb der Eigengruppe
können Einfluss ausüben, sofern sie prinzipiell die Normen der
Gruppe nicht in Frage stellen
Kritik: Empirische Belege, dass Ebene der Selbstkategorisierung eine
Rolle spielt. Im Gegensatz zu Moscovici, da zu starker Konflikt zur
Abwertung der Einflussgruppe führt und Einfluss reduziert.
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– Persuasionstheorien, z.B. HSM (Bohner, Moskowitz & Chaiken,
1995; De Vries et al., 1996): Minderheits- oder Mehrheitsstatus kann
als Heuristik genutzt werden ("Konsens bedeutet Korrektheit") und
ähnliche Effekte bewirken wie andere Heuristiken.
Kritik: Im Einklang mit der generellen Überlegenheit von Mehrheiten
in Meta-Analyse. Integrative Betrachtung: Konsens nur eine Heuristik
unter anderen, keine speziellen Prozessannahmen für Minderheiten
und Mehrheiten. Aber: Differenzierung zwischen Einflussebenen nicht
ableitbar.
• Literatur zur Vertiefung des Themas:
Erb, H.-P. & Bohner, G. (in Druck). Theorien zum sozialen Einfluss
durch Minderheiten und Mehrheiten. In D. Frey & M. Irle (Hrsg.),
Theorien der Sozialpsychologie (Band II, 2. Auflage). Bern: Huber.
Link zum Manuskript auf der Website der AE Sozialpsychologie!
© Gerd Bohner 2001
4. Gruppenpolarisierung
• Moscovici et al., 1969
• Urteile privat – in Gruppe – wieder privat:
letztes Urteil extremer als erstes
• Erklärung 1: normativer Einfluss
• nach Festingers Theorie des sozialen Vergleichs (1954):
Bedürfnis, Meinungen zu bewerten, positives Selbstbild
dadurch, dass man sich von anderen abgrenzt – extremeres
Urteil
• Experiment: bloße Kenntnis der Position anderer ohne
Anhörung von anderen reicht aus, Gruppenpolarisierung
hervorzurufen
© Gerd Bohner 2001
• Erklärung 2: informativer Einfluss (stärker als
normativer Einfluss, v.a. bei Sachfragen)
• Kennenlernen neuer Argumente stützt eigene
Position
• Auch das mehrmalige Aussprechen einer Meinung
erhöht Polarisierung (Verstärkung durch andere,
Meinung mit der Zeit weniger elaboriert und
weniger an Bedingungen geknüpft)
© Gerd Bohner 2001
Gruppendenken
• In kohäsiven Gruppen dominiert Streben nach Konsistenz
so, dass Realitätswahrnehmung eingeschränkt ist
• Gruppe ist von alternativen Informationsquellen isoliert
• Anführer favorisiert klar eine Position
• Inkonsistente Information wird ignoriert oder abgewertet
• Vorbehalte werden nicht geäußert
• Empirie: Effekte der Kohäsion nicht nachgewiesen
© Gerd Bohner 2001
5. Gehorsam gegenüber Autoritäten
• Einflussquelle hat höheren Status
• expliziter Druck wird ausgeübt
Milgram, 1974:
• Lehrerrolle „zugelost“ – bei Fehlern des „Schülers“ waren
Stromstöße zwischen 15 und 450 Volt zu erteilen, 62%
gehorsam bis zum Schluss trotz Appellen des Schülers
• Situative Determinanten:
• Entfernung zum Opfer (30%) – Befehl per Telefon (21%) –
Autorität auf Person mit gleichem Status übertragen (20%)
– ungehorsame andere Teilnehmer anwesend (10%)
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Ursachen
• Gehorsam wird verstärkt
• Man erwartet, dass Autoritätspersonen
vertrauenswürdig sind
• Menschen gleiten erst nach und nach in
schlimmere Verhaltensweisen ab
• Abschieben von Verantwortung
© Gerd Bohner 2001
6. Bezug zu Grundprinzipien der SP
• Soziale Konstruktion der Realität: Gruppen konstruieren
sozialen Konsens darüber, was als wahr und gut gilt.
• Universalität sozialer Einflüsse: Konformität selbst bei
scheinbar eindeutigen "physikalischen Urteilen.
• Motive: Streben nach Kontrolle durch soziale Validierung am
Konsens (informativer Einfluss); Verbindung mit anderen durch
Konformität und Beachtung von Gruppennormen; Selbstwert
wird durch Übereinstimmung mit der Eigengruppe (und
Abgrenzung zu Fremdgruppen) geschützt.
[Zum letzten Punkt mehr in der Sitzung über Intergruppenbeziehungen]
© Gerd Bohner 2001
• Verarbeitungsprinzipien:
– Unterschiede in der Verarbeitungstiefe bei
Moscovici als Folge des Konflikts mit
Minderheiten bzw. Mehrheiten; in
Persuasionstheorien prinzipiell anwendbar auf
beide Arten von Einfluss.
© Gerd Bohner 2001
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