John Dupré: Gespräche mit Affen John Dupré: Gespräche mit Affen. Reflexionen über die wissenschaftliche Erforschung der Sprache Dupré: die unternommenen Versuche, Menschenaffen (Gorillas, Orang-Utans, Schimpansen, Bonobos und Gibbons) eine Form von Sprache beizubringen (S. 295/296), werfen zahlreiche interessante Fragen auf. Dupré will die Diskussion um sprachliche Fähigkeiten bei Tieren (speziell Menschenaffen) in drei Hauptkategorien unterteilen: 1. 2. 3. Was haben die Versuchs-Affen wirklich gelernt? Untersuchung der Einwände gegen die Behauptung, die Affen hätten genuin sprachliche Fähigkeiten erworben (in welcher Weise wirft die Forschung wichtige methodologische Fragen zur wissenschaftlichen Untersuchung der Sprache auf ?). Ziele und Interessen, die diesem Forschungsprogramm und der Kritik daran zugrunde liegen Zu Punkt 1: Was haben die Versuchs-Affen wirklich gelernt? => syntaktische Fähigkeiten? - unter Einfluss der Thesen N. Chomskys: Äußerungen der Affen nicht wirklich sprachlich! Aber: was ist für die syntaktische Kompetenz eigentlich erforderlich? => was klar ist: Affen können ein Repertoire von Symbolen beherrschen und verwenden lernen; können gewisse Sprechakte vollziehen => die Affen können etwas unter Verwendung von Symbolen verlangen! (siehe S. 297 Mitte unten) möglicher Einwand dagegen: nur Konditionierung (S. 297 unten/298 oben) Weiß das Tier, dass das verwendete Zeichen X bedeutet? Oder zeigt das Tier nur eine Kompetenz zur Erfassung einer Assoziationsgesetzlichkeit? Wie könnte dieser Einwand entkräftet werden? => Dupré, S. 298 Mitte: „Es wäre viel vernünftiger zu fordern, dass man fähig sein muss, mit X mehr zu tun, als lediglich ein Verhalten zu äußern, damit das Verwenden von X als Symbol gilt“ Und Dupré ergänzt: „Diese Forderung scheint in der neueren Affensprachen-Forschung ziemlich weitgehend berücksichtigt worden zu sein“ (S. 298 unten, S. 299 oben) Beispiel Koko, der Gorilla (S. 299 Mitte, „Gespräch“) => Dupré: „Ohne dass solche Aufzeichnungen von Unterhaltungen gleich brillante Dialoge oder Philosophie darstellen, legen sie doch sicher mehr als konditionierte Reflexe nahe.“ => Es gab jedoch Einwände gegen die einem solchen Verhalten, wie es Koko zeigt, offenbar naheliegende Folgerung, Affen besäßen eine echte Sprachfähigkeit. Zu Punkt 2. Kritik an der Affensprachen-Forschung Dupré unterscheidet zunächst Zeichensprachprojekte und Projekte mit künstlichen Sprachen 1. Die Zeichensprachprojekte: motiviert durch das Ziel, die Ebene der Kommunikation mit den Probanden so hoch wie möglich anzusetzen. 2. Projekte künstlicher Sprachen: der Möglichkeit, saubere, unzweideutige und gut kontrollierbare Daten zu gewinnen, wird größere Bedeutung beigemessen. Projekte 1 (Zeichensprachprojekte): => Herstellung einer Beziehung zwischen dem Probanden und dem Forscher über eine längere Zeit hinweg: „Patterson betont bspw. die Art, wie die kommunikative Absicht ihrer Probanden zumindest für den erfahrenen Beobachter deutlich gemacht werden kann, als eine Art, die eine „wörtliche“ Interpretation von Zeichenketten übersteigt; neuen und unerwarteten Produktionen wird besonderer Nachdruck verliehen“ Projekte 2 (künstliche Sprachen) als anderes Extrem: das mögliche Verhalten der Probanden wird vom Experimentierenden stark begrenzt => Affe erhält Zugang nur zu einer sehr begrenzten Anzahl von Zeichen => dadurch werden quantitativ auswertbare Voraussagen und eine Analyse der Antwort erleichtert, die der Affe auf besondere Anregungen gibt. Dupré räumt ein, dass „in gewisser Weise“ „diese scharfe Dichotomie natürlich eine Karrikatur“ sei, meint aber: „Ich denke jedoch, dass diese Gegenüberstellung den Schwerpunkt der verschiedenen Experimente recht gut aufzeigt und dass sie auch dazu dient, die Hauptlinien der Kritik an diesen Experimenten voneinander zu unterscheiden.“ (S. 300f.) J. Umiker-Sebeok und T.A. Sebeok, zwei bekannte Kritiker der Affensprachenforschung, unterscheiden 3 Hauptlinien einer solchen Kritik! 1. 2. 3. ungenaue Beobachtungen und/oder Aufzeichnungen des Affenverhaltens Überinterpretation des Affenverhaltens unbeabsichtigte Veränderung des Verhaltens eines Tiers in Richtung der erwünschten Resultate Vorwürfe der Art 1 (ungenaue Beobachtung/Aufzeichnung des Affenverhaltens): gerichtet hauptsächlich gegen Gebärdensprachenprojekte/Zeichensprachenprojekte: vgl. S. 301 Mitte bis 302 oben. Dupré, S. 302 oben: „Zwei besondere Umstände verstärken das berechtigte Anliegen, in diesen Fällen Nachsicht zu üben.“ => S. 302 Vorwürfe der Art 2 (Überinterpretation des Affenverhaltens) S. 302 unten => mit Blick auf die zweite Linie der Kritik: „Die bislang erwähnten Punkte machen nach und nach die Schwierigkeiten deutlich, die sich hinsichtlich der zweiten allgemeinen Linie der Kritik stellen, nämlich dass das Verhalten der Affen im Lichte der Erwartungen des Experimentierenden oft durch ein Wunschdenken überinterpretiert wird.“ Dupré weiter, S. 303 oben: „An dieser Stelle möchte ich [...] betonen, dass es anscheinend fundamentale Konflikte gibt zwischen intrinsischen Merkmalen dieser Art von Forschung und gemeinhin geteilten Idealen der wissenschaftlichen Forschung. Ganz offensichtlich wird weithin angenommen, dass Daten, die vom Forscher eine Interpretation verlangen – gar eine umstrittene Interpretation –, wissenschaftlich inakzeptabel sind.“ Dupré führt noch einige wissenschaftstheoretische Überlegungen zur Frage nach möglicher Objektivität an, und konstatiert dann (S. 303 unten): „Es ist klar, dass keine dieser Überlegungen zugunsten von Objektivitätsansprüchen sogleich auf die Forschung mit Affensprache angewendet werden kann. Die umstrittenen Interpretationen der Gebärdenzeichen von Affen erfordern die Annahme eines theoretischen Hintergrundes, dem zufolge die Affen versuchen, etwas zu kommunizieren, wenn sie Gebärdenzeichen geben.“ => Auch gibt es das Problem der Reproduzierbarkeit mit Blick auf die Affensprachenergebnisse, ein Kriterium, das als wichtiger Objektivitätsnachweis zählt (vgl. S. 304 oben) Außerdem: „Ideale von wissenschaftlicher Objektivität weisen dem unvoreingenommenen und emotionslosen Beobachter typischerweise eine zentrale Rolle zu. Es ist aber klar und wird auch allgemein zugestanden, dass eine Person, die einen beträchtlichen Teil ihres Lebens der Arbeit mit einem hochintelligenten und interessanten Geschöpf gewidmet hat, alles andere als unvoreingenommen und emotionslos ist.“ (S. 304 Mitte) => Gegenüberlegungen S. 304 unten/305 oben. S. 305 Mitte: „Der allgemeine Tenor der bisherigen Diskussion kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Was diese Kritik an der Forschung mit Affensprache wirklich veranschaulicht, ist höchstwahrscheinlich ein sehr grundlegender Konflikt zwischen den Idealen der wissenschaftlichen Forschung und gewissen Formen von Sprachforschung“ Ein Blick auf die Forschung, die künstliche Sprachen verwendet (also keine Zeichen- oder Gebärdensprachen wie „Ameslan“): => sie ist motiviert durch den Versuch, die genannten Abweichungen in der Methodologie der „Ameslan“-Forschung von den geltenden Normen der wissenschaftlichen Forschung zu vermeiden. Dupré zu S. Savage-Rumbaugh: „Offensichtlich zeigt ihre Arbeit, [...] dass Affen lernen können, Symbole zu verwenden und zu verstehen, auf abwesende Objekte Bezug zu nehmen, spontane Kommentare zu machen und ihre beabsichtigten Handlungen anzukündigen.“ (S. 306 Mitte; vgl. auch S. 307) Dupré (S. 307 Mitte): Savage-Rumbaugh arbeitet nach strengen wissenschaftlichen Maßstäben; dennoch gibt es Kritiker: „Diese wissenschaftlichen Tugenden haben indessen nicht genügt, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Dies führt mich zur dritten und vielleicht tiefgreifendsten Kritik an den Studien zur Affensprache, nämlich zum Problem der ungewollten Hinweise oder der Manipulation eines Tiers zur Produktion des erwünschten Resultats.“ (S. 307 unten / 308 oben) Vorwürfe der Art 3 (unbeabsichtigte Veränderung des Verhaltens eines Tiers in Richtung der erwünschten Resultate) schwierig, Experimente zu entwerfen, die das ausschließen könnten. Bei fast allen derartigen Experimenten ist ein Forscher mit dem Affen zusammen. Versuch der Vermeidung durch DoppelblindStrategien => jedoch: Schwierigkeiten siehe S. 309 oben => offenbar muss man schließen: „Selbst wenn die Affen kooperieren, wird der Skeptiker wahrscheinlich nicht überzeugt sein. Je komplexer die experimentelle Situation wird – so scheint es fast –, desto mehr mögliche Kanäle für unbeabsichtigte Kommunikation werden geöffnet.“ S. 309 unten: „Von zentraler Bedeutung für die Verbreitung dieser Zweifel ist ein wichtiges methodologisches Problem: die Verpflichtung zu einer sparsamen Erklärung.“ (Ockhams Rasiermesser) => Aber Dupré auf S. 311 oben: „Sparsamkeit ist kaum ein objektives, theorieunabhängiges Konzept. Warum ist es sparsamer, in einem Doppelblind-Versuch einen komplexen und versteckten Kommunikationskanal anzunehmen, als davon auszugehen, dass der Affe weiß, was er tut?“ => WELCHE INTERPRETATION NATÜRLICHER ODER SPARSAMER IST, HÄNGT [...] SEHR VON DER VORGÄNGIGEN ÜBERZEUGUNG AB. S. 311 bis 312 Mitte: Dupré wendet sich noch einmal dem „Kluger-Hans-Effekt“ und Sebeok zu, teilt dessen Kritik aber nicht. Gemeinsam lesen: S. 312 Mitte – 314 Mitte => wichtige Abschnitte Zu Punkt 3. Die Ziele der AffensprachenForscher und ihrer Kritiker - Dupré nennt auf S. 314 unten bzw. 315 oben einige Motive und Bedenken der AffensprachenForschung, die für sein Anliegen nur am Rande relevant sind => die Frage, die Dupré vornehmlich interessiert, ist folgende: Was kann uns die Affensprachenforschung über Affen sagen? Was kann sie uns über Menschen sagen? Dupré, S. 315 Mitte: „In Hinsicht auf die Frage, ob sich die hier untersuchte Forschung als produktive Methode zur Erforschung von Affen erweisen kann, neige ich zu einem gewissen Skeptizismus. Wie Umiker-Sebeok und Sebeok [...] bemerken, ist der Prozess, dem diese Affen unterworfen werden, ein Vorgang der Domestizierung oder gar der „Vermenschlichung““ => S. 315 unten bis 316 unten Dupré, S. 316 unten: „Oft [...] sind jedoch viel tiefergehende philosophische Interessen mit den positiven oder negativen Interpretationen der Experimente mit Affensprache verknüpft“. Descartes‘ Einfluss auf die Debatte, S. 317/318 Dupré, S. 318 unten: „Im Moment möchte ich mich auf die Beziehung der AffensprachenForschung zu einigen zeitgenössischen philosophischen Ansichten konzentrieren, die damit verknüpft sind. Ich hoffe, dass dies gleichzeitig ein Licht auf die Unangemessenheit der cartesianischen Perspektive werfen wird.“ Dupré spricht Davidson und P. Carruthers an (S. 320/321) => lehnt die Positionen ab Kann die Affensprachen-Forschung uns etwas über uns selbst sagen? (S. 321 oben) „Diese Frage ist weitgehend schlicht das Gegenstück zur vorhergehenden. Das heißt, die offizielle Motivation für die Forschung betrifft zum großen Teil die Frage, ob Menschen in einem radikal diskontinuierlichen Verhältnis zum Rest des Tierreichs stehen oder nicht. Und für die Verteidiger der Diskontinuität besteht die größte verbleibende Bastion in der Auffassung von Sprache als etwas, das von jedem niederen Kommunikationssystem kategorisch verschieden ist.“ Was kann man dagegen tun? => S. 321 Mitte N. Chomsky wird oft für diese Pos. in Anspruch genommen (Sprache als einzigartig menschliches kognitives Organ) => Dupré teilt Auffassung nicht Fazit Duprés, S. 321/322: „So glaube ich zu guter Letzt nicht, dass die Forschung zur Sprachfähigkeit von Affen – bei allem Charme, den sie zweifellos hat – uns über uns selbst oder über Affen viel sagen kann, was wir nicht ebenso gut auf vielen anderen Wegen lernen könnten. Sie bietet uns jedoch die Gelegenheit zu einer Fülle von interessanten Beobachtungen in Bezug auf die Reaktionen und Annahmen derjenigen, die sich in diesem Forschungsgebiet betätigen oder es kritisieren.“