WIE WIRD ERFAHRUNGSWISSEN LERNBAR?

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Die Kunst des erfahrungsgeleiteten
Handelns in der Pflege
Hinweise aus dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Dienstleistung
als Kunst (KunDien)“
Claudia Munz, GAB München
©
Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung - GAB München
Lindwurmstr. 41/43 – 80337 München – Tel. 089 / 24 41 791-0
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16. Mai 2016
Professionelle Arbeit – das “offizielle” Verständnis
Detaillierte Planung – “Erst denken, dann handeln”
Exakte Umsetzung der Planung – “Störungen sind Planungsfehler”
Fachwissen im Mittelpunkt – “Regeln kennen und anwenden”
Objektives Registrieren und Analysieren von Fakten – “Daten statt Vermutungen”
Sachliche Beziehung zum “Arbeitsgegenstand” – “Unpersönlich und rationell”
Zweckrationale Arbeit “an” Gegenständen und Personen
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Seite 2
Professionelle Arbeit – die gelebte Wirklichkeit
… nicht nur in der Pflege
Grundlegende Erfahrung: Planbarkeit und Rationalisierbarkeit haben
Grenzen – gerade im Umgang mit Menschen
 Vorgehen: keine reine Planumsetzung, sondern explorativ-erkundend,
dialogisch-interaktiv
 Einsatz von Gefühl und Gespür für Personen und Situationen
 Verbindung von Fachwissen und Erfahrungswissen
 Persönlich gefärbte Beziehung zum Gegenüber
 Arbeit “mit” Personen und Situationen
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Seite 3
Pflege als Dienstleistungs-”Kunst” – was bedeutet
das?
Wenn ich behaupte, Ihre Arbeit sei eine Kunst – was sagen Sie
dann?
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Was andere sagen: Spontan bejahten ALLE befragten Dienstleister/innen
diese Frage!
Begründungen:
Ich muss mich auf die unterschiedlichsten Kunden einstellen können
Die Qualität der Dienstleistung muss stimmen – egal ob der Kunde oder ich mal
schlechte Laune haben
Viele Kunden wissen nicht, was sie eigentlich wollen – ich helfe ihnen, das
herauszufinden
Ich muss vieles für den Kunden erst „übersetzen“
Ich muss Unternehmensentscheidungen vermitteln, auch wenn ich sie nicht richtig finde
Die Kunden sehen gar nicht, was wir leisten
… und die Vorgesetzten auch nicht
Befragt: Pflegekräfte, Busfahrer, Friseure, Verkäuferinnen, Sachbearbeiterinnen, Gastronomie-Beschäftigte, Dentalassistentinnen….
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Merkmale von Dienstleistungsarbeit
Dienstleistungs-Situationen sind von Offenheit und Unbestimmtheit geprägt, weil
Der Kunde “unberechenbar” ist
Im Prozess mit dem Kunden viele Unwägbarkeiten auftauchen können
Das Ergebnis der Dienstleistung und der Weg dorthin erst gemeinsam gefunden
werden müssen
Dienstleistung und ihr “Gebrauch” zusammenfallen (uno-actu-Prinzip)
Dienstleistende meist mit verschiedenen Loyalitäts-Anforderungen zu tun haben
Dienstleistungsarbeit ist mit typischen Widersprüchlichkeiten
verbunden
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Was Dienstleister/innen leisten müssen
Zu “Sicherheit in der Unsicherheit” fähig sein – und dies vor den Augen
des Kunden
Ein Ergebnis erzielen, ohne dass Ziel und Weg vorab bekannt sind
Den Prozess mit dem Kunden steuern, ohne dass sie die vollständige
Kontrolle darüber haben
Ein Vertrauensklima herstellen trotz u.U. gegensätzlicher Interessen
Widersprüchliche Loyalitäten ausbalancieren
Kunden zum Dialog auf gleicher Augenhöhe befähigen – und dennoch
Experten bleiben
Gefühls- und Emotionsarbeit leisten
Sich Zeit nehmen, ohne Zeit zu haben (Rahmenbedingungen)
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… und wie kann das gelingen?
Ein kleines Experiment…
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Seite 9
Warum wir von Dienstleistungs-Kunst sprechen
Merkmale des Künstlerischen Handlungstyps:
Sich neugierig und unbefangen einlassen, ohne fixierten Plan beginnen
Investigation, experimentell-spielerisches Erkunden
Impulse sowohl setzen wie aufnehmen
Wechsel von Handlung und Wahrnehmung
Dialog mit Gegenüber und Situation
Zulassen und Aushalten von Krisen (als Quelle neuer Anregungen)
Etwas aus dem Prozess entstehen lassen
Aktiv aufgreifen und zunehmend verbindlich machen
( nach Forschungen des Teilprojekts der Alanus-Hochschule im Projekt „Dienstleistung als Kunst“)
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Seite 10
Haltung / handlungsleitende Grundüberzeugungen einer
Dienstleistungskunst
„Der DL-Gestaltungsprozess gelingt nur gemeinsam mit dem
Kunden“
Kund/innen / Klient/innen / Pflegebedürftige sind Experten in eigener
Sache und gleichberechtigte Dialog-Partner
Was genau zu tun ist, wird in einem gemeinsamen offenen
Entdeckungsprozess herausgefunden
„Es kommt nicht in erster Linie darauf an, Lösungen anzubieten,
sondern darauf, das Kundenanliegen optimal zu klären“
Der geäußerte Kundenwunsch ist Ausgangspunkt für die gemeinsame
Erforschung des dahinter liegenden eigentlichen Anliegens
Lösungen werden nicht vorab definiert, sondern zeigen sich im Verlauf
des Klärungsprozesses
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Seite 11
„Ich begegne jeder Person / Situation erfahrungsoffen und betrachte sie,
als wäre sie mir neu und fremd“
• Erschließen umfassender Wahrnehmungsmöglichkeiten – Wahrnehmen mit
allen Sinnen
• Achten auf den „Ausdruck“ von Personen und Situationen – was zeigt sich?
• Erspüren / Gewahrwerden von Atmosphäre
„Ich habe einen eigenen Qualitätsanspruch und bin mir meiner
Grundwerte und Motive bewusst“
• Fachlicher Expertenstatus führt nicht zu Dominanz im Prozess
• Streben nach authentischem Handeln in Übereinstimmung mit eigenen
Grundüberzeugungen
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Seite 12
Gute Dienstleistung – eine Frage guter Rahmenbedingungen
Offenheit muss ermöglicht werden – keine starren Vorgaben
Handlungs- und Entscheidungsspielräume sind nötig
Mitarbeiter/innen brauchen Einblick in Gesamtzusammenhänge
„Dienstleistungsgerechte“ Führung: Vertrauens- statt kontrollbasiert
Fehlerfreundliche Unternehmenskultur
Dienstleistende brauchen Wertschätzung - zufriedene Mitarbeiter/innen bewirken
zufriedene Kunden

Deutlicher Zusammenhang zwischen Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit
empirisch nachgewiesen (Gerpott/Paukert 2010)


Stimmung des Dienstleisters überträgt sich auf Kunden („emotional contagion“)
Gutes „Service-Klima“ wirkt sich positiv auf die gesamte Organisation aus
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Aus der arbeitswissenschaftlichen Untersuchung von Böhle et. al. in der
Altenpflege:
„In der direkten Pflege zweckrational zu handeln, erhöht den Aufwand, weil man
ständig damit zu tun hat, den Eigenwillen des Pflegebedürftigen, der nun zum
‚Widerstand‘ wird, zu unterlaufen oder zu überwinden, und weil das
zielgerichtete Verfolgen eines Plans bedeutet, dass ständig Ereignisse und
Bedürfnisse übergangen werden müssen, die später dafür umso mehr Arbeit
machen. (…)
Das heißt: nicht das zweckrationale, sondern das erfahrungs- bzw.
situationsgeleitete, ‚subjektivierende Arbeiten‘ ist in der Pflege das effektivere,
weniger aufwendige und damit letztlich auch wirtschaftlichere Vorgehen.“
Böhle, Fritz, Brater, Michael, Maurus, Anna: Pflegearbeit als situatives Handeln. In: Pflege,1997,
Heft 10, S. 21
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… und wie sehen Sie das?
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