Wie gewinnt man soziale Information? Soziale Vergleiche Vorlesung Winter, 2011/12 Thomas Kessler 1 Überblick • Wissen über das Selbst • Theorie sozialer Vergleiche (Festinger, 1954) – Ähnlichkeitshypothese und Paradox – Motive für sozialen Vergleich • Temporale Vergleiche (Albert, 1977) 2 Leitfragen • Welche Quellen für Selbstkonzept-Wissen und Selbstwert kann man unterscheiden? • Wie kann man sich typischerweise mit ähnlichen Personen vergleichen? • Welche Motive können hinter sozialen Vergleichen stehen? 3 Das Selbst • Es gibt keinen Menschen, über den wir so viel wissen, wie über uns selbst. • Wissen über das Selbst nennt man das Selbstkonzept. • Die Beschäftigung mit dem Selbst nennt man Selbstaufmerksamkeit. • Der Wert den man (selbst oder andere) dem eigenen Selbst zuordnen ist der Selbstwert. • Das Selbst oder die Identität besteht aus dem Selbstkonzept, der Selbstaufmerksamkeit, und dem Selbstwert. 4 Das Selbst • Funktionen des Selbstkonzepts: – Strukturierung (das Selbst als Schema) – Basis für Emotionen (Vergleich zwischen Actual-Self, Ideal-Self und Ought-Self) (Higgins, 1987) – Exekutive mit begrenzten Ressourcen (Muskelmetapher; Ego-Depletion) (Baumeister, Muraven & Tice, 2000) 5 Wie kommen wir zu einem Verständnis von uns Selbst? • Introspektion (z.B. Emotionen) • Beobachtung des eigenen Verhaltens • Vergleiche mit anderen Menschen 6 Introspektion und Selbstaufmerksamkeit Introspektion … ist das gezielte Erkunden des Selbst. … ist nicht so dominant wie man annehmen könnte (ca. 8% der Zeit). … liefert oft nicht Zugang zu den wahren Ursachen des Verhaltens, der eigenen Gefühle etc. (d.h. subjektive Theorien stimmen oft nicht). … führt oft zu vorübergehenden Veränderungen der Einstellung. Selbstaufmerksamkeit (SA) … wird getrennt in private SA (Bewertung des Verhaltens anhand eigener Standards) und öffentliche SA (Bewertung des Verhaltens anhand der Standards von Beobachtern) (Carver & Scheier, 1981) … auf die eigenen Ideale und Verpflichtungen (private SA) führt zu mehr Unruhe und Ärger (d.h. ist besonders bei Misserfolg aversiv). … kann durch Problemverhalten (Alkoholmissbrauch, Fressattacken, Selbstschädigung) oder religiöse Aktivitäten verringert werden. 7 Selbstbeobachtung als Quelle der Selbsterkenntnis • Selbstwahrnehmungstheorie (Bem, 1972) – Wir schließen nur vom eigenen Verhalten auf Gefühlszustände, wenn wir uns nicht sicher sind, wie wir zu etwas stehen. – Das Verhalten wird nur aussagekräftig für das eigene Gefühl angesehen, wenn es nicht auf die Situation zurückgeführt wird. 8 Theorie sozialer Vergleiche • Festinger, 1954 • Grundannahmen: – Bedürfnis die eigenen Fähigkeiten und Meinungen zu bewerten – Vergleich mit ähnlichen – Gibt es keinen objektiven Maßstab, dann werden soziale Standards gewählt – Negative oder diskrepante Vergleichsergebnisse lösen Bestrebungen aus, diese Situation zu verändern. 9 Urteile sind „relativ“? • Alle Urteile sind relativ zu Referenzpunkten (Frage: Kann es auch absolute Urteile geben?) • Wo haben wir bisher von Vergleichen und ihrem Einfluss gehört? Z.B. Ankereffekte: Urteile werden in Richtung eines vorgegeben Wertes verändert Simulationsheuristik: Durch die Simulation von Alternativen werden Referenzstandards erzeugt. 10 Parameter des sozialen Vergleich • Vergleichssubjekt • Vergleichsobjekte • Zeitdimension • Vergleichsdimensionen 11 Parameter des sozialen Vergleich Person Subjekt Gruppenmitglied Vergangenheit Gruppe Gegenwart Zukunft Selbst Person Gruppen- Gruppe mitglied Objekt Zeit Standard 12 Objektive vs. soziale Vergleiche • Je attraktiver und wichtiger eine Referenzgruppe ist, desto eher wird sie als Bewertungskriterium gewählt (Miller, 1977). • Entstehung von Gruppennormen (Sherif) – autokinetischer Effekt • Konformität nach Asch – Linienvergleich 13 Präferenz für soziale Vergleiche Fähigkeitslevel Hoch Oberes Mittel Unteres Mittel Schlecht Mittel Männer 3.4 3.5 3.1 0.9 1.0 Frauen 2.7 2.4 2.1 0.3 0.5 Männer 2.5 1.9 1.7 0.4 0.5 Frauen 2.8 3.0 2.6 1.1 1.0 Männer Frauen 14 Ähnlichkeitshypothese • Man bevorzugt soziale Vergleiche mit ähnlichen Personen / mit Personen, die auf relevanten Dimensionen ähnlich sind. • Paradox: Woher soll man denn wissen, welche Personen einem in relevanten Dimensionen ähnlich sind, ohne sich mit ihnen zu vergleichen? • Macht man also doch mit allen / vielen Personen Vergleiche? 15 Ähnlichkeitshypothese • Untersuchung von Gilbert, et al, 1995 • Hypothesen: In einem ersten intuitiven Verarbeitungsschritt, werden alle angebotenen Vergleichsinformationen aufgenommen. In einen zweiten kognitiv aufwändigeren Verarbeitungsschritt werden alle nicht informativen Vergleichsinformationen zurückgewiesen. 16 Ähnlichkeitshypothese • Zwei Strategien, diese Hypothese zu untersuchen: – Beeinträchtigung der Korrekturprozedur (z.B. durch kognitive Doppeltätigkeit) – Messung einer Reaktion, die nach der Korrektur noch nachklingt (z.B. Emotionen oder Stimmung) 17 Ähnlichkeitshypothese • Studie I • Vpn bearbeiteten eine Aufgabe („Erkennung von Schizophrenie“). Rückmeldung ihrer Leistung und die anderer Vpn (den anderen Vpn wurde aber eine besondere Hilfestellung gegeben – die Vergleichsergebnisse waren also nicht informativ!). • UV1: Mit / ohne kognitiver Doppelbelastung (geringe vs. hohe Korrekturmöglichkeit) • UV2: Gute vs. schlechte Leistung der Konföderierten (hoher vs. niederer Vergleichsstandard) • AV: Einschätzung der eigenen Leistung 18 Ähnlichkeitshypothese • Ergebnisse Leistung des Konföderierten Gut Schlecht Differenz Kog. beschäftigt Eingeschätzte eigene Kompetenz -0.14 1.23 -1.37 * Kog. Nicht beschäftigt Eingeschätzte eigene Kompetenz -0.06 0.35 -0.41 19 Ähnlichkeitshypothese • Studie II • Versuchspersonen bearbeiteten eine Aufgabe. Sie bekamen ihre eigene Leistung rückgemeldet und die Leistung anderer Vpn. • UV1: bessere vs. schlechtere Leistung der anderen Vpn. • UV2: gleiche vs. andere Aufgabe der anderen Vpn • AV1: Einschätzung der eigenen Leistung • AV2: Veränderung der eigenen Stimmung 20 Ähnlichkeitshypothese • Ergebnisse Konföderierter Gut Schlecht Diff. Gleiche Aufgabe Eig. Leistung -1.15 0.93 -2.08* Stimmung -0.62 0.53 -1.15* Andere Aufgabe Eig. Leistung 0.10 0.25 -0.15 Stimmung -0.50 0.91 -1.41* 21 Soziale Vergleiche als Copingstrategien • Was passiert wenn ein Vergleich negativ ausgeht bzw. Diskrepanzen der eigenen Meinung und anderer Meinungen festgestellt wird? • Verbesserung der eigenen Leistungen bzw. Reduktion der Diskrepanz • Sollte das nicht möglich sein … 22 Soziale Vergleiche als Copingstrategien • Abwertung des Vergleichsobjekts • Wahl einer neuen Vergleichsdimension (z.B. Mathe mangelhaft & aber dafür Religion sehr gut) • Wahl eines neuen Vergleichsobjekts • Umbewertung einer Vergleichsdimension (z.B. „Black is beautiful“) 23 Motive für den sozialen Vergleich • Selbstwertschutz • Akkuratheit • Selbstverbesserung 24 Temporale Vergleiche • Albert (1977) • Vergleiche über die Zeit • Bewahrung der Identität des Selbst unter sich verändernden Bedingungen • Gefühl bzw. Sinn für eigene Kontinuität • Man versucht möglichst hohe Konsistenz über die Zeit zu finden. 25 Temporale Vergleiche • Bedingungen unter denen temporale Vergleiche wahrscheinlicher werden: Rasche Veränderungen der Lebensumstände Lebenslage mit negativer affektiver Qualität Suche nach Sinn bzw. Ursache von Veränderung • Aber: In verschiedenen neueren Untersuchungen konnte gezeigt, dass temporale Vergleiche ebenso häufig, wenn nicht häufiger sind als soziale Vergleiche (z.B. Ross & Wilson, 2001) 26 Zusammenfassung Selbstkonzept, Selbstaufmerksamkeit, und Selbstwert Quellen der Selbsterkenntnis: Introspektion, soziale und temporale Vergleiche Ähnlichkeitshypothese: Intuitiv Vergleiche mit allen, bewusst Vergleiche mit ähnlichen. 27 Literatur • Aronson, Wilson & Akert (2004), Kap. 5 • Smith & Mackie (2000), Kap. 4 28 29