Poster.Empirie2 - des Instituts für Psychologie an der Universität

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3+4=8
Rechenschwach aufgrund von Wahrnehmungsdefiziten?
Universität Leipzig
Fakultät für Biowissenschaften,
Pharmazie und Psychologie
Empiriepraktikum II
Sommersemester 2002
Prof. Evelin Witruk
Jeannette Beyer, Susanne Fritsch, Sylvia Henger, Andrea Kobiella, Sylvia Senf, Grit Vierke
Problem
Teilleistungsschwächen werden definiert als umschriebene Ausfälle sehr unterschiedlicher Funktionen, die aus dem übrigen Leistungsniveau oder Entwicklungsstand des
Kindes herausfallen. Im engeren Sinne ist mit Dyskalkulie ein mangelhaftes bis unzureichendes oder grundlegend verkehrtes Verständnis von Mengen und Größen, von
Zahlen u. mathematischen Operationen gemeint.
In unserer Untersuchung gehen wir der Frage nach, ob rechenschwache Kinder eine verlängerte visuelle Persistenz aufweisen. Visuelle Persistenz ist das Fortbestehen visueller
Wahrnehmung nach Offset eines Stimulus. Sie ist Resultat persistierender neuronaler Erregung. Beim störungsfreien Lesen ergänzen sich Magno- und Parvosystem, indem sie die
visuelle Persistenz moderieren. So ist während einer Fixation das Parvosystem dominant, die Aktivität des Magnosystems hingegen bewirkt innerhalb einer Sakkade ein
beschleunigtes Abklingen von Erregungen. Eine defizitäre Funktionsweise des Magnosystems führt bei Legasthenikern zum Ausbleiben einer derartigen Hemmung. Daraus
resultieren verlängerte Persistenzen, die wiederum dysfunktionale visuelle Wahrnehmungen (Nachbilder) zur Folge haben.
Wir haben die aus legasthenischen, hyperaktiven und normallesenden Kindern bestehende Stichprobe um rechenschwache Kinder erweitert und haben diese mit den anderen
Gruppen verglichen. Unsere Überlegung lautete: haben auch rechenschwache Kinder ein Wahrnehmungsdefizit, vergleichbar mit jenem der Legastheniker?
Methoden
Um die visuelle Persistenz zu untersuchen, wurde das
Ternus-Scheinbewegungs-Experiment durchgeführt. Hierbei
werden abwechselnd zwei dreielementige Strukturen in
einer waagerechten Linie präsentiert. Abhängig vom
zeitlichen
Abstand
zwischen
den
Darbietungen
(Interstimulusintervall, ISI) entsteht entweder der Eindruck
einer Gruppenbewegung oder einer Einzelbewegung. In der
ersten Versuchsbedingung wurden der Versuchsperson
weiße Quadrate auf schwarzem Grund präsentiert, d.h. es
gab einen großen Farbkontrast, der die magnozellulären
Strukturen beanspruchte. Unter dieser Versuchsbedingung
sollten sich Unterschiede zwischen den Gruppen finden
lassen. In der anderen Versuchsbedingung wurden der
Versuchsperson blaue Quadrate auf rotem Grund
präsentiert, d.h. dass hier der Farbkontrast minimal war
und die parvozellulären Strukturen beansprucht wurden.
Hier sollten sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen
zeigen.
Zur
Veranschaulichung
wurden
den
Versuchspersonen zuerst in einem Übungsdurchgang
Extrembeispiele gezeigt, d.h. die ISIs waren sehr kurz bzw.
sehr lang, so dass hier die Zuordnung der Scheinbewegung
(relativ) eindeutig war. Die Antworten wurden per
Tastendruck gegeben. Nach den Übungsdurchläufen
folgten dann in jeder der zwei Versuchsbedingungen 20
Blöcke
mit
jeweils
6
Durchgängen.
Mit
allen
Versuchspersonen
wurde
anschließend
noch
der
Intelligenztest CFT 1 durchgeführt, um zu sicherzustellen,
dass niemand einen IQ unter 75 hat. Des weiteren wurde
der Rechentest MT2 durchgeführt, um abzusichern, dass es
sich bei unseren Versuchspersonen tatsächlich um
rechenschwache Kinder handelt.
Design
Material
Das Design hatte folgende unabhängige
Variablen:
Zwischensubjektfaktoren:
• Normallesende (KG) (n=34)
A
B
C
Ternus Display
Element Movement
Group Movement
Fram e
1
• Legastheniker (n=34)
• Hyperaktive (n=23)
• Rechenschwache (n= 14)
Innersubjektfaktoren:
Fram e
2
• Darbietungsmodus (2 Stufen) in
schwarz-weiß und rot-blau
• Interstimulusintervall (6 Stufen):
17, 33, 50, 67, 83, 100 ms
Die abhängige Variable betrifft die Antwort
der Versuchspersonen bezüglich ihrer Wahrnehmung von Element- oder Gruppenbewegung.
Hypothesen
H1: Der Prozentsatz gesehener Gruppenbewegungen erhöht sich für alle Gruppen mit steigendem
Interstimulusintervall.
H2: Rechenschwache Kinder sehen in Abhängigkeit vom ISI signifikant weniger Gruppenbewegungen als
gleichaltrige normallesende Kinder.
H3: Rechenschwache Kinder gewinnen durch verminderten Kontrast in der Farbbedingung rot/blau einen
Wahrnehmungsvorteil hinsichtlich vermehrter Wahrnehmung von Gruppenbewegungen.
Ergebnisse
Bedingung: schwarz/ weiß
Die Auswertung unserer Daten erfolgte durch eine Varianzanalyse mit Messwertwiederholung. Gruppe (4) x MW
[Modus (2)] x MW [ISI (6)]: Prozentsatz Gruppenbewegung
Wahrgenommene Gruppenbewegung
1,0
,8
GRUPPE
Bedingung:blau/ rot
,4
1,0Kontrollgruppe
Legastheniker
,2
0,0
17
,6
,8Hyperaktive
Rechenschw ache
33
50
67
83
100
,6
GRUPPE
ISI (ms)
,4
FA RBE
,2
Legastheniker
schwarz/ weiß
,4
0,0
Legastheniker
Hyperaktive
0,0
4
5
6
,9
33
50
67
83
ISI (ms)
100
Es konnte im Hinblick auf den Zwischensubjektfaktor Gruppe kein statistisch signifikanter Unterschied festgestellt
werden (p= .066). Trotz sichtbarer Unterschiede in den Profilen muss Hypothese 2 verworfen werden.
,8
,7
Widererwarten der 3. Hypothese verschaffte die Farbbedingung den rechenschwachen Kindern keinen Vorteil für
die vermehrte Wahrnehmung von Gruppenbewegungen (p= .905). Die visuelle Persistenz ist somit unabhängig von
den Kontrasten. Auch bei den legasthenischen Kindern zeigten sich keine signifikanten Mittelwertunterschiede
zwischen den Präsentationsmodi.
,6
,5
Hyperaktive
,4
1,0
FA RBE
,3
,2
,1
1
ISI
,9
schwarz/ weiß
,8
rot/ blau
2
3
4
5
6,7
,6
,5
Rechenschwache
,4
1,0RBE
FA
Der Gruppe der Hyperaktiven hingegen verschafft die Farbbedingung einen signifikanten Vorteil bei ISI 67, der
Kontrollgruppe bei ISI 50, 67 und 100.
,3
,2
,1
1
wahrgenommene Gruppenbewegung
3
wahrgenommene Gruppenbewegung
ISI
2
Rechenschw ache
17
rot/ blau
1
Für alle Versuchsgruppen konnte der Innersubjektfaktor Interstimulusintervall (ISI) als Haupteffekt ausgemacht
werden (p= .000). Somit lässt sich Hypothese 1 bestätigen. Das bedeutet, dass mit zunehmenden ISIs auch der
prozentuale Anteil der gesehenen Gruppenbewegungen signifikant ansteigt.
Kontrollgruppe
,2
1,0
wahrgenommene Gruppenbewegung
wahrgenommene Gruppenbewegung
1,0
,6
Wahrgenommen Gruppenbewegung
Kontrollgruppe
,8
,9
weiß/ schwarz
,8
rot/ blau
2
ISI
3
4
5
6
,7
,6
,5
,4
FA RBE
,3
schwarz/ weiß
,2
,1
rot/ blau
1
2
3
4
5
6
ISI
Diskussion
In der vorliegenden Untersuchung wurde der Frage nachgegangen, ob ein bei Legasthenikern in
verschiedenen Studien nachgewiesenes Defizit im magnozellulären Bereich des visuellen Systems auch bei
rechenschwachen Kindern festgestellt werden kann.
Die Ergebnisse unserer Studie belegen, dass die visuelle Persistenz bei allen Gruppen mit steigenden
Interstimulusintervallen abnimmt. Des weiteren zeigte sich, dass die visuelle Persistenz in der rot/blau
Bedingung über alle Gruppen und ISIs im Vergleich zur schwarz/weiß Bedingung geringer ist.
Literatur
Buschmann, D. (2002). Defizite im magnozellulären
Bereich
–
Ein
legastheniespezifisches
Problem?
Unveröffentlichte Diplomarbeit. Universität Leipzig
Slaghuis, W. L., Twell. A. J. & Kingston, K. R. (1996). Visual
and language processing disorders are concurrent in
dyslexia. Cortex, 32, 413-438.
Im Gegensatz zu den Befunden von Slaghuis et al. (1996) konnten wir anhand unserer Daten keine
Aussagen über eine Störung des magnozellulären Systems, und somit über ein Wahrnehmungsdefizit,
weder bei Legasthenikern, noch bei Rechenschwachen, treffen.
Vidyasagar, T. R. (1999). A neuronal model of attentional
spotlight: parietal guiding the temporal. Brain research
reviews, 30, 66-76.
Bei den Legasthenikern könnte man dies durch das Vorhandensein von Subtypen erklären (Steinhausen,
1996).
Walther-Mueller, P. U. (1995). Is there a Deficit of Early
Vision Dyslexia? Perception, 24, 8, 919-936.
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