Stephen Stich: Haben Tiere Überzeugungen?

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Stephen Stich: Haben Tiere
Überzeugungen?
- Stich: die Frage: „Haben Tiere
Überzeugungen“ – unabhängig davon, ob
mit „ja“ oder mit „nein“ beantwortet, ist
selbst problematisch
- philosophische Reflexion hat die Aufgabe,
verschiedene Merkmale des Begriffs von
Überzeugung auseinander zu nehmen, um
zu sehen, wo das Problem der Frage nach
Überzeugungen bei Tieren liegt.
Stephen Stich: Haben Tiere
Überzeugungen?
Tiere haben Überzeugungen
=> welche Argumente können diese
Position begründen?
1. Überzeugungen sind etwas, womit wir innerhalb einer
2.
funktionalen Alltagstheorie Verhalten beschreiben
können, sowohl beim Menschen als auch beim Tier
Überzeugungen in diesem Sinne sind Zustände, die mit
Bezug auf Verhalten und Wahrnehmung, sowie mit
Bezug auf andere Überzeugungszustände
charakterisiert werden können.
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Überzeugungen?
Ein Beispiel dazu:
Wir sagen etwa (weil wir Lisa mit dem Fahrrad vorbeifahren sehen):
„Lisa will noch schnell zum Supermarkt. Sie glaubt/meint/denkt, dass der
Supermarkt nur noch bis 17 Uhr geöffnet hat“
 Eine solche Aussage hat einige Voraussetzungen, die sie möglich machen:
z.B. müssen wir viell. wissen, dass Lisa des Öfteren alles auf den letzten
Drücker erledigt, dass sie meistens nur diesen Weg, auf dem wir sie gerade
mit dem Rad fahren sehen, zum Supermarkt nimmt, dass der Supermarkt
bis 17 Uhr geöffnet hat usw.
 Wir erklären das Verhalten Lisas, indem wir ihr einen Überzeugungszustand
zuschreiben (sie glaubt/meint/denkt, dass der Supermarkt nur noch bis 17
Uhr geöffnet hat), der dann seinerseits in Lisa einen Wunsch erweckt
(nämlich: sie will zum Supermarkt fahren)
 bei Tieren beschreiben wir das Verhalten in ähnlicher Weise: wir sagen
etwa: „Der Hund glaubt, dass die Nachbarskatze die Eiche im Garten
hochgeklettert ist“ => z.B. weil er daran hochbellt, daran hochspringt, oder
vor dem Baum steht und ganz aufgeregt mit dem Schwanz wedelt => das
heißt, wir sagen, der Hund habe eine bestimmte Überzeugung aufgrund
eines gewissen Verhaltens, dass er zeigt, oder aufgrund einer bestimmten
Wahrnehmung (er könnte die Katze hochklettern gesehen haben)
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- Erklären wir das Verhalten, im Bsp. des
Hundes, auf die beschriebene Weise, dann
ist natürlich die Frage, wie wir wissen
können, dass diese Erklärungsweise
korrekt (oder annähernd korrekt) ist
- Dass sie von uns als korrekt vorausgesetzt
wird, ist nämlich eine empirische These
(d.h. eine, ganz allgemein gesagt, auf
Erfahrung beruhende), die falsch sein
könnte
- Welche Gründe sprechen für ihre
Richtigkeit?
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Stich skizziert unsere psychologische
Alltagstheorie in ihren Grundzügen:
 zwei funktionale Zustände werden von ihm
unterschieden: Wünsche und Überzeugungen (S.
96 Mitte - S. 98 Mitte)
 Stich dann: dieses „Skelett“ unserer intuitiven
Überzeugungs-Wunsch-Theorie ist ausreichend,
um die Behauptung zu stützen, dass Tiere
Überzeugungen haben.
 Auf S. 99 oben kommt Stich auf die Frage
zurück, die ihn (S. 96 oben) zu einer näheren
Skizzierung unserer Alltagstheorie führte:
„Warum sollten wir jetzt denken, dass unsere
intuitive Theorie eine erste Annäherung
darstellt?“
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Antwort, die Stich liefert (S. 99 oben):
 „Wir verfügen über einen geradezu endlosen Bestand an Beispielen
von menschlichem Verhalten, bei denen die einzige plausible
Erklärung, die wir anbieten können, sich auf die Überzeugungen und
Wünsche eines Subjekts bezieht [...] Im Hinblick auf Tiere
(zumindest auf höhere Tiere) verhält sich die Situation ziemlich
parallel.“
 „Es wäre jedoch in der Tat bemerkenswert – und das ist der
entscheidende Punkt -, wenn man eine Theorie entwickeln könnte,
die das Verhalten von höheren Tieren erklärt, ohne auf
Überzeugungen und Wünsche Bezug zu nehmen, und wenn diese
Theorie nicht adaptiert werden könnte, um auch menschliches
Verhalten zu erklären. Angesichts der evolutionären Verknüpfungen
und Verhaltensähnlichkeiten zwischen Menschen und höheren
Tieren fällt es schwer zu glauben, dass eine Überzeugung-WunschPsychologie zwar menschliches Verhalten, aber nicht Tierverhalten
erklären könnte.“ (S. 99f.)
 Also: Wenn Menschen Überzeugungen haben, dann auch Tiere.
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Tiere haben keine Überzeugungen
=> welche Argumente können diese
Position begründen?
„Wenn wir annähmen, dass Tiere
Überzeugungen haben, würden wir feststellen,
dass wir überhaupt nicht sagen können, welche
Überzeugungen sie haben. Es ist aber absurd,
wenn wir vorschlagen, dass wir das Verhalten
eines Tiers in Bezug auf Wünsche und
Überzeugungen erklären können, dann aber
nicht sagen können, welches denn die
Überzeugungen dieses Tiers sind.“ (S. 100)
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Bsp. des Hundes Fido, der sieht, wie sein
Herrchen einen Knochen im Garten vergräbt,
dann hinausläuft und anfängt zu graben
Wir würden etwa sagen (dem ÜberzeugungsWunsch-Modell unserer Alltagstheorie zufolge):
„Fido glaubt, dass es einen Knochen gibt, der im
Garten vergraben ist, und er will ihn haben“
Das Problem nun aber (S. 101 oben):
 „Angesichts Fidos begrifflicher und kognitiver Armut
in jenen Dingen, die Knochen betreffen, ist es aber
sicherlich falsch, ihm irgendeine Überzeugung
bezüglich eines Knochens zuzuschreiben.“
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S. 101 unten: „Wenn Fido aber die Begriffe von
Fleisch, Knochen, Vergraben und Garten fehlen,
glaubt er offenkundig nicht, dass es einen
Knochen mit Fleisch gibt, der im Garten
vergraben ist“
„Wenn es sich so verhält, ist der Vorschlag, dass
Hunde Überzeugungen haben, reichlich absurd;
denn wenn ein Hund eine Überzeugung hat,
können wir nicht sagen, welche Überzeugung er
hat. Wir können das Verhalten eines Hundes
nicht in Bezug auf seine Überzeugungen
erklären, da wir nicht sagen können, was die
Überzeugungen eines Hundes sind.“
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D. Armstrongs Lösung des Dilemmas (von Stich
abgelehnt)
Zitat Armstrong (S. 102): „Wir möchten sagen, dass
der Hund etwas glaubt, aber wir können anscheinend
nicht sagen, was er glaubt! Dass wir dem Hund
Überzeugungen zuschreiben – ist das dann wirklich
verständlich?“
Zur Lösung des Dilemmas: Armstrong unterscheidet
zwischen referentiell undurchsichtigen und referentiell
durchsichtigen Propositionen über Überzeugungen
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Hinter dieser Unterscheidung steckt das
Folgende:
Referentiell undurchsichtige Propositionen
(TYP 1) erlauben KEINE Substitution von
koreferentiellen Ausdrücken ohne
Wahrheitsverlust
Referentiell durchsichtige Propositionen
(TYP 2) erlauben die Substitution von
koreferentiellen Ausdrücken ohne
Wahrheitsverlust.
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=> Bsp. für TYP 1:
„Susi glaubt, dass Samuel Clemens der Autor von
Huckleberry Finn ist“
In diesem Fall hat „Samuel Clemens“ den
koreferentiellen Ausdruck Mark Twain. Wenn Susi aber
nicht weiß, dass Samuel Clemens sich selbst Mark Twain
genannt hat (z. B. weil sie es bisher noch nicht gelernt
hat), könnte es wahr sein, dass sie glaubt, „Samuel
Clemens ist der Autor von Huckleberry Finn“, und
zugleich falsch sein, dass sie glaubt, „Mark Twain ist der
Autor von Huckleberry Finn“.
Die beiden Namen beziehen sich auf ein und dieselbe
Person, aber das könnte Susi nicht wissen. Insofern, als
dass wir nicht wissen, ob Susi das weiß (wenn wir ihr die
propositionale Einstellung und den propositionalen
Gehalt zuschreiben), ist die Proposition des TYPs 1
undurchsichtig.
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Denn wir können im Bsp. Susis die
koreferentiellen Termini „Mark Twain“ und
„Samuel Clemens“ vielleicht NICHT salva veritate
(unter Bewahrung der Wahrheit) ersetzen
Ein anderes Beispiel:
„Fido glaubt, dass sein Herrchen vor der Tür
steht“
aber glaubt Fido auch,
„dass der Bankdirektor oder Herr Müller vor der
Tür steht“ (Fidos Herrchen ist Herr Müller und
Herr Müller ist Bankdirektor)?
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Wir müssen es Armstrong zufolge schaffen, auf durchsichtige
Art von der Hundeüberzeugung zu sprechen, etwa so (mit
Blick auf das Bsp. „Fido glaubt, dass sein Herrchen vor der
Tür steht“):
 Fido glaubt R(a,b), oder Fido hat die Überzeugung R(a,b) =>
warum wäre dies laut Armstrong eine durchsichtige
Redeweise?
Armstrong:
a = Individualbegriff des Hundes, der genau dasselbe
Individuum herausgreift wie unser Individualbegriff, den wir
mit den Worten >das Herrchen des Hundes< ausdrücken
b = ein Individualbegriff des Hundes, der genau dasselbe
Individuum herausgreift wie unser Individualbegriff, den wir
mit den Worten >die Tür< ausdrücken
R = ein Begriff des Hundes, der auf genau dieselbe Klasse
(oder auf ziemlich genau dieselbe Klasse) von geordneten
Paaren anwendbar ist wie unser Raumbegriff, der durch das
Wort >vor< in Sätzen wie >das Herrchen des Hundes steht
vor der Tür< ausgedrückt wird
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Die Pointe von Armstrongs Gedankengang (Stich):
„Zwar kennen wir die genauen Gehalte der
Überzeugungen des Hundes nicht, aber wir können nach
wie vor über seine Überzeugungen sprechen, indem wir
„die ungenaue oder referentiell durchsichtige [Fido
glaub R(a,b); Thomas Hoffmann] Art des Sprechens“
über Überzeugungen wählen.“
=> Armstrongs vermeintlicher Lösungsansatz des
Dilemmas wirft Stich zufolge ZWEI Probleme auf,
wovon Stich zunächst eines behandelt:
1. Wir reden im Alltag nicht auf diese Weise von
Tierüberzeugungen
 Stich hält folgendes für plausibler: Wenn wir sagen „S
glaubt, dass Fa“ (also etwa: Fido (S) glaubt, dass sein
Herrchen (a) vor der Tür steht (F)),
so kann man dies auf zweifache Weise verstehen/lesen:
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erstens: auf die sogenannte de dicto – Weise
(undurchsichtig): wir beziehen den, der die Überzeugung
hat, auf den propositionalen Gehalt: Bsp.: „Fido glaubt,
dass sein Herrchen vor der Tür steht“ => undurchsichtig
aus schon oben genannten Gründen; würden wir jetzt
„Herrchen“ durch „Herr Müller“ ersetzen, so würde sich
der Wahrheitswert möglicherweise ändern, denn Fido
weiß viell. gar nicht, dass sein Herrchen Herr Müller ist.
oder zweitens: auf die de re – Weise (durchsichtig): wir
sagen etwas über die Sache aus. Bsp.: „Fido glaubt von
seinem Herrchen, dass es vor der Tür steht“ (Würden wir
jetzt „Herrchen“ durch dem koreferentiellen Terminus
„Herr Müller“ ersetzen, so würde sich der Wahrheitswert
des Satzes nicht ändern => denn es stimmt, dass Herr
Müller vor der Tür steht => sofern wir nur etwas über
die Sache/res sagen)
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Stich: Armstrongs Lösung verlangt jedoch
eine Konstruktion, die logisch erheblich
biegsamer ist als die Konstruktion einer
durchsichtigen Überzeugung
=> Am Bsp. des Hundes: Armstrong will
ja den Satz „Fido glaubt, dass sein
Herrchen vor der Tür steht“ nicht einfach
auf die de re-Weise (durchsichtig)
verstehen; er will eine Substitution von
koextensiven Prädikaten innerhalb des
Satzinhalts vornehmen: also etwa: S
(Fido) hat die Überzeugung R(a,b).
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Wobei eben:
a = Individualbegriff DES HUNDES, der genau
dasselbe Individuum herausgreift wie unser
Individualbegriff (der also quasi koextensiv
damit ist / gleich weite Ausdehnung hat), den
wir mit den Worten „das Herrchen des Hundes“
ausdrücken.
 So auch bei R und b.
Insofern verlangt Armstrong „jedoch eine
Konstruktion, die logisch erheblich biegsamer ist
als die Konstruktion einer durchsichtigen
Überzeugung“ (Stich, S. 104)
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Stich: Armstrongs Ansatz widerspricht
unseren gewöhnlichen
Überzeugungszuschreibungen gegenüber
Tieren (vgl. S. 105 oben - Mitte)
Armstrong könnte dagegen jedoch
argumentieren: wir könnten, obgleich wir
uns im Falle gewöhnlicher
Überzeugungszuschreibungen an Tiere
nicht auf seinen Ansatz berufen können,
doch einfach beginnen, auf solche Weise
Tieren Überzeugungen zuzuschreiben:
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„Es gibt keinen Grund dafür, weshalb wir im
Deutschen nicht einfach eine Konstruktion einführen
könnten, z.B. glaubt*, und zwar wie folgt: Ein Satz der
Form
 S glaubt*, dass R a1, a2, … , aN
ist genau dann wahr, wenn es denotierende
Ausdrücke a1‘, a2‘, …, aN‘ gibt, deren Denotationen
dieselben sind wie die entsprechenden von a1, a2, …,
aN, und wenn es ein Prädikat R‘ gibt, dessen
Extension dieselbe ist wie die Extension von R (oder
annähernd so) und der Satz
=> S glaubt (im De-dicto-Sinn), dass R‘ a1‘, a2‘, …, aN‘
wahr ist.
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Armstrongs Vorschlag (in Stichs Version) würde
uns zwar einen Weg eröffnen, um über die
Überzeugungen eines Tiers zu reden […] Dieser
Vorschlag setzt aber voraus, es gäbe De-dictoÜberzeugungssätze (oder undurchsichtige Sätze),
die den Tieren korrekt und genau Überzeugungen
zuschreiben. Nach Armstrong wissen wir zwar
nicht, welche Sätze das sind, aber im Sinne eines
Noch-nicht-Wissens: „[…] sieht Armstrong im
Prinzip kein Problem vorher, wenn es darum
gehen soll, genaue De-dicto-Beschreibungen
dessen hervorzubringen, was geglaubt wird […]
Die Tatsache, dass wir nicht präzise sagen
können, was die Gehalte der Überzeugungen
eines Tiers sind, ist kein Indiz dafür, dass Tiere
keine Überzeugungen haben, sondern nur dafür,
dass wir nicht genug über Tiere wissen.“ (S.
106f.)
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Stich nun ist der Meinung, Armstrong löse das
Dilemma grundlegend falsch: das Problem der
Gehaltszuschreibung im Falle einer
Tierüberzeugung ist keine empirische
Unwissenheit unsererseits, sondern vielmehr,
dass „wir einem Subjekt nur dann problemlos
eine Überzeugung mit einem spezifischen Gehalt
zuschreiben [können], wenn wir annehmen
können, dass das Subjekt ein weites Netz von
damit verbundenen Überzeugungen hat, das mit
unserem eigenen Netz weitgehend isomorph
[gleichförmig] ist.“ (S. 107 oben)
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Die durch empirische Forschungsarbeit möglicherweise
zu gewinnenden Anwendungskriterien für Fidos
Knochenbegriff helfen uns letztlich nicht weiter (vgl. S.
109/110), weil wir bei Überzeugungszuschreibungen
immer, sofern es den Gehalt der Überzeugung angeht,
mit Begriffen operieren müssen, die unsere sind, ihren
Gehalt also prinzipiell vor dem Hintergrund eines ganzen
Netzes anderer, geteilter Überzeugungen gewinnen: „Im
Verlauf der Diskussion von Armstrongs Thesen haben wir
eine Argumentation entwickelt, um zu zeigen, dass wir
den Überzeugungen von Subjekten, deren
Überzeugungen sich in ihrer Gesamtheit beträchtlich von
unseren eigenen unterscheiden, keinen Gehalt
zuschreiben können. Und da Tiere anscheinend solche
Subjekte sind, verfügen wir damit über ein Argument
dafür, dass wir den Überzeugungen eines Tiers keinen
Gehalt zuschreiben können“ (S. 110)
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Die entscheidende Frage nun: Haben Tiere dann
also keine Überzeugungen (wenn wir ihren
Überzeugungen keinen Gehalt zuschreiben
können)?
=> Ein imaginärer Anwalt von
Tierüberzeugungen könnte nun wie folgt
argumentieren: Es ist noch nicht gezeigt
worden, dass Tiere keine Überzeugungen haben,
sondern nur, dass wir ihren Überzeugungen
keinen Gehalt zuschreiben können. Das Erste
folgt aus dem Zweiten nur dann, wenn wir
annehmen, dass die Möglichkeit, einen Gehalt
zuschreiben zu können, eine notwendige
Bedingung dafür ist, dass ein psychischer
Zustand eine Überzeugung ist. Kein Argument ist
dafür vorgelegt worden. (S. 111)
Stephen Stich: Haben Tiere
Überzeugungen?
Würde man eine Überzeugung nur dann
berechtigterweise zuschreiben, wenn man dies unter
Angabe ihres genauen Gehalts tun könnte (wenn also
eine Überzeugung nur dann eine Überzeugung wäre,
wenn man sagen könnte, was deren Gehalt ist), so
hätte dies auch kontraintuitive Konsequenzen, wenn
wir die Frage nach Überzeugungen etwa bei anderen
Personen oder Kulturen stellen (S. 111 unten/112
oben)
=> wir begreifen „Überzeugungen im Allgemeinen als
etwas [...], das zwei ganz unterschiedliche Arten von
Eigenschaften hat.“
=> einerseits als: funktionale oder psychische
Zustände
andererseits als: Zustände mit einem Gehalt
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Stichs Argumentation auf S. 112 läuft auf
folgendes hinaus: „Es mag Entitäten geben –
Organismen oder Automaten –, für die Modelle
konstruiert werden können, die auf das in
Abschnitt 1 erarbeitete Muster passen, obwohl
sich die interne Organisation des
„Überzeugungsbestandes“ dieses Modells radikal
von der internen Organisation des
Überzeugungsbestandes unterscheidet, das sich
in Modellen für vertraute Menschen findet. Dies
genügt für den Nachweis, dass das zweite
Merkmal von Überzeugungen, nämlich einen
ausdrucksfähigen Gehalt zu haben, nicht von
den ersten – den „strukturellen“ Merkmalen –
impliziert wird.“ (S. 112f.)
Stephen Stich: Haben Tiere
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Was sollen wir von diesen halb ausgegorenen
Zuständen sagen, die zwar die strukturellen Merkmale
von Überzeugungen haben, jedoch über keinen
spezifizierbaren Gehalt verfügen? Sollen wir sie zu den
Überzeugengen zählen?
WENN JA:
 akzeptieren wir Überzeugungen ohne spezifizierbaren
Gehalt
 können wir ihnen nicht einfach einen Wahrheitswert
zuschreiben: indem wir den Überzeugungen den
ausdrucksfähigen Gehalt entzogen haben, haben wir ihnen
auch die Wahrheitswerte entzogen.
 könnte die Überzeuguns-Wunsch-Psychologie wahr sein. Es
wäre also möglich, dass wir Theorien konstruieren können,
die das Verhalten von Organismen (teilweise) erklären,
indem die Theorien auf die Überzeugungen und Wünsche
der Organismen Bezug nehmen.
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WENN NEIN
 dann haben Tiere keine Überzeugungen
 dann ist auch menschliches Verhalten NICHT für
eine Überzeugungs-Wunsch-Erklärung geeignet.
 weil 1) es wahrscheinlich Menschen gegeben hat (oder
geben wird), deren Überzeugungsbestand sich
hinreichend von unserem eigenen unterscheidet, sodass
sie keine Überzeugungen hatten (oder haben werden)
 weil 2): WENN wir annehmen, dass solche „halb
ausgegorenen Zustände“ nicht zu den Überzeugungen zu
zählen sind, ließe auch eine Überzeugungs-WunschTheorie, die auf die Erklärung von Verhalten abzielt,
keinen Platz mehr für das Prädikat „ist eine Überzeugung“
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Stich (S. 115): „Die Linie zwischen
Überzeugungen und überzeugungsartigen
Zuständen, die nicht Überzeugungen sind, wird
nicht durch ein explanatorisch bedeutsames
Merkmal der Systeme gezogen, in denen diese
Zustände eine Rolle spielen, sondern vielmehr
durch die Ähnlichkeit (oder das Fehlen der
Ähnlichkeit) zwischen dem
Überzeugungsbestand eines Subjekts und
unserem eigenen. Und eine solche
Unterscheidung hat keinen Platz in einer
ausgereiften Wissenschaft, die auf die Erklärung
von Verhalten abzielt.“
Stephen Stich: Haben Tiere
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Wie steht es nun um die Frage: „Muss eine Überzeugung
einen spezifizierbaren Gehalt haben, um eine
Überzeugung zu sein?“ selbst?
=> Stich: ES GIBT KEINE ANTWORT
=> weil: unser informeller, vortheoretischer Begriff einer
Überzeugung reicht einfach nicht aus, um die Frage zu
entscheiden.
=> „Die Merkmale, die Überzeugungen durch unseren
informellen Begriff auferlegt werden, tragen nicht die
Vermerke „notwendig“ und „kontingent“. Im besten Fall
kann man von einigen Merkmalen sagen, dass sie –
relativ gesehen – zentraler sind, während andere –
relativ gesehen – weniger zentral sind.“ (S. 115)
=> unser informeller Überzeugungsbegriff betrachtet
den Gehalt sicherlich als relativ zentrales Merkmal einer
Überzeugung, soviel können wir sagen.
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Stich schließt den Aufsatz ab (S. 116 oben):
„Wenn wir unseren vortheoretischen Begriff von
Überzeugung auf rationale Weise erneuern wollen,
damit er den Zielen der wissenschaftlichen Psychologie
besser dienen kann, wird der Gehalt eine der ersten
Eigenschaften sein, die entfernt werden müssen. Doch
angesichts der gegenwärtigen Konturen unseres
Begriffs von Überzeugung ist unsere Frage selbst
problematisch.“
Stichs kleiner Sohn : „Haben Tiere Überzeugungen?
[...] „Ein bisschen schon. Und ein bisschen nicht““
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