Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil Leopold-Franzens-Universität Innsbruck Christoph-Probst-Platz, Innrain 52 6020 Innsbruck Das neue finanzstrafrechtliche Sanktionensystem Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil Empirische Daten – gerichtliches FinStrR 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 Summe Prozent Verurteilte 222 225 231 198 187 173 164 172 155 179 193 2099 100 nur Geldstrafe 205 205 197 163 163 152 149 161 131 165 162 1853 88 17 20 34 35 24 18 14 11 24 13 31 241 12 Geldstrafe 205 205 197 163 163 152 149 161 131 165 162 1853 88 ~ un-/teilbedingt 195 185 183 153 154 147 140 157 124 133 154 1725 82 ~ bedingt 10 20 14 10 9 5 9 4 7 12 8 108 5 Freiheitsstrafe 17 20 34 35 24 18 14 11 24 13 31 241 12 ~ unbedingt 10 6 8 15 7 8 6 5 12 7 15 99 5 ~ teilbedingt 0 1 15 1 1 0 1 1 1 2 1 24 1 ~ vollständig bedingt 7 13 11 19 16 10 7 4 11 3 15 116 6 ~ unbed. > 1 J 2 0 1 0 0 0 0 0 0 2 3 8 0,14 ~ bed. 0 0 0 0 1 2 0 1 0 0 0 4 0,19 auch Freiheitsstrafe > 1J Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 2 Empirische Daten – gerichtliches FinStrR 2009 193 Verurteilte 162 Geldstrafen 8 davon bedingt nachgesehen 154 un-/teilbedingte Geldstrafen 1 bis 1.000 € 1 1.001 bis 5.000 € 1 25.001 bis 50.000 € 151 über 50.001 € oder 98 % aller un-/teilbedingten Geldstrafen = mind. 7,55 Mio € 30.084 verurteilte Erwachsene nach dem StGB 10.991 Geldstrafe (37 %) 8.503 unbedingte Geldstrafe (26 % aller Strafen, 72 % der Geldstrafen) 127 über 50.001 € oder 1,6 % aller unbedingten Geldstrafen Einnahmen aus „Strafgeldern“ 2008: 19,97 Mio € (+ 8,38 Diversion) (+50 Mio € „Aufzugskartell“); 2007: 23,55 (+ 9 Diversion); 2006: 17,38 (+ 8,77 Diversion), 2007: 23,55 (+ 9 Diversion); 2005: 18,53 (+ 9,72 Diversion) Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 3 Empirische Daten – Ersatzfreiheitsstrafe FinStrG 2006 Ersatzfreiheitsstrafe 2007 2008 2009 471 516 522 502 11.122 11.748 10.859 8.922 1.112.200 1.174.800 1.085.900 892.200 402 450 480 467 6057 7318 7535 6671 durchschnittl. Dauer EFS 15 16 16 14 gerichtliches FinStrR 69 66 42 35 5065 4430 3324 2251 73 67 79 64 statt EFS / Personen 93 109 Dauer der EFS (Median) / Tage 62 87 5.956 5.847 595.600 584.700 550 5566 Hafttage insgesamt Kosten 100 € / Tag verwaltungsbeh. FinStrR Hafttage Hafttage durchschnittl. Dauer EFS Gemeinnützige Leistungen Vermiedene Hafttage vermiedene Haftkosten € noch offen Tage Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 4 I. Sanktionen: Finanzverbrechen (§§ 38a, 39) A. Begehung als Mitglied einer Bande oder unter Gewaltanwendung („mit Waffen“) bei Gerichtszuständigkeit (§ 38a Abs 2 lit a) Hauptstrafe: Nebenstrafe: VerbandsGB: FS bis 5 J GS bis 1,5 Mio €, wenn verhängte FS nicht > 4 J bis 3 X stbWB Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 5 I. Sanktionen: Finanzverbrechen (§§ 38a, 39) B. Abgabenbetrug (§ 39 Abs 3 lit a bis c) Hauptstrafe: FS bis 3 J (> 100.000 bis 250.000 €) FS 6 Monate bis 5 J (> 250.000 bis 500.000 €) FS 1 J bis 10 J (> 500.000 €) Nebenstrafe: GS bis 1 Mio € (> 100.000 bis 250.000 €) GS bis 1,5 Mio €, wenn verhängte FS nicht > 4 J (> 250.000 bis 500.000 €) GS bis 2,5 Mio €, wenn verhängte FS nicht > 8 J (> 500.000 €) Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 6 I. Sanktionen: Finanzverbrechen (§§ 38a, 39) VerbandsGB: bis 2,5 Mio € (> 100.000 bis 250.000 €) bis 5 Mio € (> 250.000 bis 500.000 €) bis bis 4 X stbWB (> 500.000 €) Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 7 I. Sanktionen: Finanzverbrechen (§§ 38a, 39) ~ Welche Zwecke verfolgt die Geld(neben)strafe hier? ~ Können uns die §§ 154 f StGB (Geld- und Sachwucher) oder § 1 PornoG Antworten liefern? ~ Was sind die Kriterien für die Verhängung der Geld(neben)strafe, wenn die Freiheitsstrafdrohungen (bis 5 bzw bis 10 J) ab einem stbWB > 250.000 € bzw > 500.000 € nicht zu mehr als 4/5 ausgeschöpft werden? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 8 I. Sanktionen: Finanzverbrechen (§§ 38a, 39) ~ Warum richten sich die Geld(neben)straf- und die Verbandsgeldbußdrohungen hier nicht nach dem strafbestimmenden Wertbetrag, sondern sind mit absoluten Beträgen limitiert und warum hängt die Verbandsgeldbuße nach § 39 Abs 3 lit c doch vom strafbestimmenden Wertbetrag ab (Vierfache)? ~ Sind die Verbandsgeldbußdrohungen sachgerecht oder völlig überzogen? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 9 I. Sanktionen: Finanzvergehen ieS A. Finanzvergehen ieS mit Geldsummenstrafdrohungen 1. Abgabenhinterziehung, Schmuggel (§§ 33 Abs 5, 35 Abs 4) Hauptstrafe: Nebenstrafe: VerbandsGB: GS bis 2 X stbWB FS bis 2 J (aus general-/spezialpräventiven Gründen – § 15 Abs 2) bis 2 X stbWB Gewerbsmäßigkeit (§ 38 Abs 1): GS und VerbandsGB bis 3 X stBW, FS bis 3 J (> 100.000 bis 500.000 €) bzw 5 J (> 500.000 €) Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 10 I. Sanktionen: Finanzvergehen ieS 2. Fahrlässige Abgabenverkürzung (§ 34 Abs 4) Hauptstrafe: VerbandsGB: GS bis 1 X stbWB bis 1 X stbWB Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 11 I. Sanktionen: Finanzvergehen ieS B. Finanzvergehen ieS mit absoluten Geldstrafdrohungen § 43 Abs 3, 4 § 48b Abs 2 § 48a Abs 2 § 48 Abs 2 Vorsatz Fahrlässigkeit Faktor GS bis 100.000 € GS bis 50.000 € GS bis 40.000 € GS bis 20.000 € 50.000 € 5.000 € 4.000 € 5.000 € 2 10 10 4 ~ Warum sind Geldstrafdrohungen und die Faktoren zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit unterschiedlich hoch? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 12 I. Sanktionen: Finanzordnungswidrigkeiten A. Finanzordnungswidrigkeiten mit Geldsummenstrafdrohungen § 49 Abs 2 GS bis ½ stbWB § 49a Abs 1 GS bis 10 % stbWB § 49a Abs 3 GS bis 10 % stbWB, maximal 20.000 € ~ Warum limitiert § 49a Abs 3 die Geldstrafe? B. Finanzordnungswidrigkeiten mit absoluten Geldstrafdrohungen §§ 50, 51 GS bis 5.000 € Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 13 II. Umwandlung der FS in eine GS (§ 37 StGB) Bei den Finanzverbrechen mit ihren zwingend zu verhängenden FS ist § 37 StGB „sinngemäß“ anzuwenden (§ 15 Abs 4). ~ Was sind die Kriterien für die Umwandlung einer FS in eine Geldstrafe? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 14 III. Die ao Strafmilderung (§ 41 StGB) Bei den Finanzverbrechen mit ihren zwingend zu verhängenden FS ist § 41 StGB „sinngemäß“ anzuwenden (§ 15 Abs 4). ~ Was sind die Kriterien für ao Strafmilderung der FS? Nur mehr im verwaltungsbehördlichen Finanzstrafrecht darf die Mindestgeldstrafdrohung (10 % der Höchstgeldstrafdrohung) „aus besonderen Gründen“ unterschritten werden (§ 23 Abs 4). ~ Ist dieser Ausschluss der „ao Strafmilderung“ bei der GS im gerichtlichen Finanzstrafrecht sachgerecht und mit dem Schuldgrundsatz vereinbar? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 15 IV. Die bedingte Nachsicht der Geldstrafe Die Geldstrafe darf im gerichtlichen Finanzstrafrecht nur noch bis zur Hälfte bedingt nachgesehen werden (§ 26 Abs 1). ~ Was sind die Gründe für diese Einschränkung? Kann uns der Entwurf „Budgetbegleitgesetz-Justiz 2011 – 2013“Antworten liefern, der dasselbe für das StGB „nach dem Vorbild des FinStrG“ vorschlägt? Der nicht bedingt nachgesehene Teil muss mindestens 10 % des stbWB betragen. ~ Ist diese Einschränkung mit dem Schuldgrundsatz vereinbar? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 16 V. Die Erhöhung der VerbandsGB bei einer FS Die Verbandsgeldbußdrohung erhöht sich auf das 1,5-fache, wenn über den Entscheidungsträger oder Mitarbeiter aus general- oder spezialpräventiven Gründen (§ 15 Abs 2) eine Freiheits(neben)strafe verhängt wird (§ 28a Abs 1). ~ Was sind die Gründe für diese Sanktionsverschärfung? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 17 VI. Sanktionsdisparitäten bei Zollvergehen Die vorsätzliche Verkürzung von Zöllen, Eingangs- und Ausgangsausgaben und Verbrauchssteuern wird nicht gleich sanktioniert wie die anderer Abgaben. Gerichtliche Zuständigkeit und FS bis 2 J (§ 35 Abs 4) bzw bis 3 J (§ 38 Abs 1) bereits bei einem stbWB 50.000 € (statt sonst > 100.000 €). FS bis 3 J und GS bis 1 Mio € (§ 39 Abs 3 lit a) bei stbWB > 50.000 € (statt sonst > 100.000 €). Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 18 VI. Sanktionsdisparitäten bei Zollvergehen Andererseits Gleichbehandlung: FS bis 5 J (§ 38 Abs 1) bei stbWB > 500.000, FS 6 Mon bis 5 J (§ 39 Abs 3 lit b) und FS 1 J bis 10 J (§ 39 Abs 3 lit c) bei stbWB > 250.000 bzw > 500.000 €. ~ Gibt es sachliche Gründe für diese (teilweise) Ungleichbehandlung? Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 19 VIII. Einführung des Tagessatzsystems Die Aufgabe der antiquierten und systemimmanent ungerechten Geldsummenstrafe samt dem damit einhergehenden „Taxenunwesen“ und die Einführung des seit 1975 bewährten Tagessatzsystems bei der Geldstrafe in das Finanzstrafrecht ist das Gebot der Stunde. Auch um die transparente Festsetzung der Ersatzfreiheitsstrafe zu ermöglichen. Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 20 Resümee Univ. Prof. Dr. Andreas Scheil, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 21