Nationalsprachlichkeit und Europäischer Regionalismus

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Europäische Mehrsprachigkeit
Geschichte europäischer National- und
Minderheitensprachen
Schriftlichkeit und Mündlichkeit vor der Nationsbildung
Mittelalter
Lateinisch-volkssprachliche Diglossie
Frühe Neuzeit
Volkssprachen emanzipieren sich gegenüber Latein als
universeller Kultur- u. Schriftsprache
Volkssprachen spielen zentrale Rolle in der Entwicklung
des vormodernen Staates
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Europäische Mehrsprachigkeit
Westeuropäische Entwicklungen in der frühen Neuzeit
– Erste Standardisierungen der Volkssprachen
– Vereinheitlichung von Verwaltung und Rechtsprechung
in der Volkssprache
– Vor-nationale Literaturen in Volkssprachen
– Speicherung volkssprachlich kodierter Wissensstände
durch schreibkundige Eliten
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Europäische Mehrsprachigkeit
Folgen für Gesellschaft und Staatsorganisation
• Strukturen des vormodernen Staates sichtbar
(Rechtssprechung und Verwaltung: Verordnungen)
• vor-nationale innerstaatliche Kohärenz
(Schriftkundige kommunizieren in ein und derselben Sprache)
• erste Assimilationen an dominante Staatsprache
(Alloglotte: domänenspezifischer Zwang zur dominanten Schriftsprache)
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Europäische Mehrsprachigkeit
Schriftsprachen in zentralistischen Gesellschaften
(Frankreich, England, Spanien)
Dynastische oder parlamentarische Kontinuität
• Staat regelt mit Hilfe schriftkundiger Beamter
Sprachgebrauch in Verwaltung und Rechtssprechung
(z.B. Ordonnance de Villers-Cotterêts - 1539)
• Königliche Akademien kodifizieren die Staatssprache mit
Hilfe von Wörterbüchern und Grammatiken
• (Académie Française 1635, Real Academia Española 1713)
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Europäische Mehrsprachigkeit
Schriftsprachen in nicht-zentralistischen Gesellschaften
(Deutschland, Italien - Rumänien, Griechenland)
Seit früher Neuzeit Entwicklung einer
überregionalen Schriftsprache ohne
staatliche Intervention
Intellektuelle Eliten werden Träger der
Kodifikation der Schriftsprachen
(Literaten, Philosophen bzw.
protestantischer Klerus: BibelÜbersetzungen: Martin Luther 1545)
Alphabetisierungseffekte
Teilkodifizierte Schriftsprachen,
im Widerstand gegen fremde
Herrschaft und Kultur, oft erst
im 19. Jh. durchgesetzt
Kodifikation auf Basis literarischer
und journalistischer Betätigung,
Übersetzungstätigkeiten
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Europäische Mehrsprachigkeit
Vor-revolutionäre Nationsbegriffe
 „Geburt, Abstammung“
(Altes Rom)
 „Gruppe von Fremden in der Stadt“ - Studenten,
Kaufleute (Mittelalter)
 „Ständische Vertretung“ - Aristokratie / Klerus (Mittelalter)
 „Gruppen, die in einem Territorium leben“ (bis ins 18. Jh.)
 „Gruppen mit gemeinsamer Abstammung und gemeinsamer
kultureller und sprachlicher Tradition“ (19. Jh., Dte Romantik)
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Europäische Mehrsprachigkeit
Revolutionärer Nationsbegriff
Französische Revolution
 liberté – égalité – fraternité
 la nation – une et indivisible
 une nation – une langue et la même pour tous
 Staat als Ausdruck organisatorisch-politischer Struktur sowie
kollektiver Souveränität
 Schriftsprache wird zur nationalen Einheitssprache (langue
nationale), Kriterium für Staatsbürgerschaft
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Europäische Mehrsprachigkeit
Französische Revolution
 Staatsnation
• Ausdruck des Willens auf
Zusammenleben der Bürger
• Ausdruck des Rechts auf
staatliche Selbstbestimmung
Gemeinsame SPRACHE
als Funktion der
Einheit der Nation
Deutsche Romantik
 Kulturnation
• Volk mit gemeinsamer
Abstammung, Tradition und
Kultur/Sprache, das in einem
gemeinsamen Territorium lebt
Gemeinsame SPRACHE
als Symbol der
Einheit der Nation
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Europäische Mehrsprachigkeit
Sprache und Nation seit dem 19. Jahrhundert
Nation als sprachlich-kulturelle Einheit mit Anspruch auf staatliche
Autonomie (nach 1848)
•
•
•
•
Nationen ohne Staat stellen in der Geschichte nur Übergangsphasen dar
(Hegel)
Vielvölkerstaaten - aus verschiedenen Nationen bestehend - können nicht
überleben (Mancini)
jeder Staat ist eine nationale Einheit
jede Nation hat Recht auf eigene Staatsbildung
Woodrow Wilsons „national self-determination“ (1919)
 alle Nationen haben das Recht, einen Nationalstaat zu begründen
 Europa als Kontinent von souveränen Nationalstaaten
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Europäische Mehrsprachigkeit
Nationalstaatsideologie versus Realität
Ideologie des Nationalstaats
 nationale Einheit beruhend auf Homogenität von Sprache und
Kultur  integrierende Funktion der nationalen Einheitssprache
Nationalstaatliche Realität
 häufige Mehrsprachigkeit und Multikulturalität
 anderssprachige Gesellschaften im Staat konterkarieren
die nationale Einheit
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Mehrsprachigkeit / Nationalsprachen / Sprachminderheiten
Definitionskriterien für Minderheiten
 die nur im Bezug auf Mehrheiten bestehen
 die sich von der Mehrheit durch bestimmte Merkmale unterscheiden
(Sprache, Religion, kulturelle Praktiken) - Differenz
 die sozial, und oft auch numerisch, schwächer sind - Ungleichheit
 die die Legitimität des nationalen Einheitsstaates oft in Frage stellen
und daher Ursache von politischer Mobilisierung sind - Konflikt
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Europäische Mehrsprachigkeit
Minderheit – Konzept im Wandel
Nach dem Ersten Weltkrieg:
• Minderheit als Gruppen, die sich in Religion, Sprache und/oder
Kultur von einer zumeist zahlenstärkeren Mehrheit im Territorium
eines Staates unterschieden
Nach dem Zweiten Weltkrieg:
• Die UNO spricht Minderheitenrechte jenen nationalen, kulturellen
oder ethnischen Gruppen zu, die sich in ihrer Organisation von der
Mehrheitsbevölkerung in einem Staat unterscheiden, dem sie
angehören
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Europäische Mehrsprachigkeit
UNO-Definition von “Minority”:
a) which is compactly or dispersedly settled on the territory of a state;
b) which is smaller in number than the rest of the population of a state;
c) whose members are citizens of that state;
d) which have ethnic, linguistic, or cultural features different from those
of the rest of the population; and
e) whose members are guided by the will to safeguard these features
(Francesco Capotorti 1979)
Schätzung gemäß dieser Definition für Europa:
etwa 300 Minderheiten bei einer Betroffenheit von 100
Millionen Menschen
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Europäische Mehrsprachigkeit
Alte, historische oder regionale Minderheiten in Europa
 Nationale Minderheiten
 Autochthone Minderheiten
 Indigene Ethnien (z.B. Saamen) sowie
(gewesene) Nomaden (z.B. Roma / Sinti)
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Europäische Mehrsprachigkeit
Nationale Minderheiten

gemeinsames Leben in determiniertem Territorium seit vielen
Generationen

Entstehung durch territoriale Abtrennung (als Folge neuer
staatlicher Grenzziehungen)


ethnischer Bezug zu anderem Staat (Schutzmacht) mit
gemeinsamer Geschichte (z.B. Südtiroler, Elsässer)

politische Forderungen nach Autonomie und Sezession

Infragestellung des nationalen Einheitsstaates – Folge ist
verstärkter Assimilationsdruck
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Europäische Mehrsprachigkeit
Autochthone Minderheiten
 gemeinsames Leben in determiniertem Territorium seit vielen
Generationen
 ethnischer Status und Identität wurden bereits vor der
Nationalstaatenbildung entwickelt (z.B. Bretonen, Friulaner)
 Kein Bezug auf ein sprachlich-kulturelles Herkunftsland
außerhalb der Staatsgrenzen
 Anstreben einer Autonomie im Staat, kaum Eigenstaatlichkeit
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Europäische Mehrsprachigkeit
Neue Minderheiten in Europa
Migrantinnen und Migranten



Arbeitsmigranten aus EU, Europa und Drittstaaten
Flüchtlinge (politische, religiöse, ethnische Verfolgung)
Asylsuchende (Erreichung eines Aufenthaltsstatus)
Migrantensprachen :
Keinerlei Schutzbestimmungen in der “Europäischen
Charta der Regional- oder Minderheitensprachen”
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