Fertigarzneimittel, Zulassung, Erstattung, Beihilfe

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VGH München, Beschluss v. 06.08.2015 – 14 ZB 15.210
Titel:
Fertigarzneimittel, Zulassung, Erstattung, Beihilfe, Berufungszulassungsantrag,
Zulassungsverfahren, Antragsbegründung, Verschreibungspflicht, Melatonin,
Beihilfefähigkeit, Beihilferecht, Erstattungsfähigkeit, Verpflichtungsklage, Zulässigkeit,
Arzneimittel, Funktionsarzneimittel, Arzneimittelbegriff
Normenkette:
BhV Bay § 22 I Nr. 1
Leitsatz:
1. Gem. § 22 I Nr. 1 BBhV (aF) sind beihilfefähig Aufwendungen für ärztlich verordnete Arzneimittel
nach § 2 des AMG, die apothekenpflichtig sind. Bei dem Präparat "Melatonin 5 mg Junek Kapseln"
handelt es sich nach Herstellerangaben um ein diätisches Lebensmittel, das als solches gem. § 22 V
3 BBhV nicht beihilfefähig ist, und nicht um ein Arzneimittel oder Medizinprodukt iSv § 22 I BBhV. Es
muss differenziert werden zwischen Melatonin in der Verwendung als verschreibungspflichtiger
Arzneistoff und dessen Verwendung in diätischen Lebensmitteln, für die unter bestimmten
Voraussetzungen eine Verschreibungspflicht nicht besteht. (Leitsatz aus Beckzeitschrift)
Schlagworte:
Fertigarzneimittel, Zulassung, Erstattung, Beihilfe, Berufungszulassungsantrag, Zulassungsverfahren,
Antragsbegründung, Verschreibungspflicht, Melatonin, Beihilfefähigkeit, Beihilferecht, Erstattungsfähigkeit,
Verpflichtungsklage, Zulässigkeit, Arzneimittel, Funktionsarzneimittel, Arzneimittelbegriff
Fundstellen:
PharmR 2015, 468
LSK 2015, 400661
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.117,38 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten
Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO sind nicht in einer den Anforderungen des § 124a
Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Art und Weise dargelegt bzw. liegen jedenfalls nicht vor.
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I. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.
3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils sind anzunehmen, wenn in der
Antragsbegründung ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit
schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. etwa BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis
durchschlagen (BVerwG, B. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente
in diesem Sinn liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche
Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche
Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 - NVwZ 2011,
546/548).
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Das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtungsklagen des für seine Tochter zu 80% beihilfeberechtigten
Klägers abgewiesen. Soweit der Kläger getätigte Aufwendungen für das streitgegenständliche Präparat
„Melatonin 5 mg Junek Kapseln“ geltend mache und insoweit eine Beihilfe in Höhe von 117,38 Euro fordere,
sei die Klage unbegründet. Bei dem Präparat handele es sich nach Herstellerangaben um ein diätetisches
Lebensmittel, das als solches gemäß § 22 Abs. 5 Satz 3 BBhV nicht beihilfefähig sei, und nicht um ein
Arzneimittel oder Medizinprodukt i. S. v. § 22 Abs. 1 BBhV. Auf die Gründe des Widerspruchsbescheids
werde verwiesen. Es müsse differenziert werden zwischen Melatonin in der Verwendung als
verschreibungspflichtiger Arzneistoff und dessen Verwendung in diätetischen Lebensmitteln, für die unter
bestimmten Voraussetzungen eine Verschreibungspflicht nicht bestehe. Hier sei auch nicht ausdrücklich
das streitgegenständliche Präparat, sondern nur „Melatonin 5 mg“ verordnet worden. Soweit der Kläger in
weiteren Anträgen eine Verurteilung zu künftigen Beihilfeleistungen für das streitgegenständliche Präparat
oder ein anderes Präparat mit dem Wirkstoff Melatonin erstrebe, seien die Klagen mangels
anerkennungswerten Rechtsschutzinteresses unzulässig.
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Durch das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren werden diese Erwägungen des
Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in Frage gestellt und keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die weiterer
Klärung in einem Berufungsverfahren bedürften.
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1. Gegen die Abweisung der Klagen auf künftige Beihilfeleistungen als unzulässig wendet der Kläger ein,
diese Klagen auf wiederkehrende Leistungen seien gemäß § 173 VwGO, § 257 ZPO statthaft. Ein
begründetes Rechtsschutzinteresse des Klägers bestehe, da seine Tochter auch weiterhin auf den Wirkstoff
Melatonin angewiesen sei. Erneute Rechtsstreitigkeiten seien dem Kläger nicht zuzumuten und
widersprächen im Übrigen der Prozessökonomie. Damit kann er nicht durchdringen.
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In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Klagen auf künftige Beihilfeleistungen unzulässig sind, weil eine
Feststellung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die (hier im Übrigen im Antrag nicht näher
eingegrenzte) Zukunft ausgehend vom materiellen Beihilferecht nicht möglich ist. Das folgt daraus, dass die
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen sich nach der Sach- und Rechtslage richtet, die im Zeitpunkt der
Entstehung der Aufwendungen besteht. Diese Lage kann sich, was künftige Aufwendungen betrifft, ohne
weiteres ändern, ohne dass zum Zeitpunkt der Entscheidung schon hinreichend vorausgesehen werden
kann, ob bzw. wann eine solche Änderung eintritt und in welche Richtung sie gegebenenfalls gehen wird
(vgl. BayVGH, B. v. 18.2.2014 - 14 C 13.900 - juris Rn. 11; OVG NW, B. v. 12.6.2013 - 1 A 2291/11 - juris
Rn. 29). Abgesehen davon widerspricht das im Beihilferecht formalisierte Antrags- und
Bewilligungsverfahren (vgl. §§ 51, 54 BBhV) einer - pauschalen - Anerkennung der Erstattungsfähigkeit
zukünftiger Aufwendungen. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Kläger aufgrund der Verweisung auf die
Erhebung einer Verpflichtungsklage im jeweiligen Einzelfall nicht in gleich effektiver Form Rechtsschutz
erlangen kann wie durch die Erhebung der Klage auf künftige Leistungen. Dies wäre nur dann der Fall,
wenn es dem Kläger aus gewichtigen Gründen nicht zumutbar wäre, eine Verpflichtungsklage zu erheben,
so etwa, wenn ein Interesse an der Feststellung eines zukünftig bestehenden Beihilfebemessungssatzes
gegeben ist, um eine „angepasste“ private Krankheitskostenrestversicherung abschließen zu können (vgl.
BayVGH, U. v. 22.6.2015 - 14 BV 14.2067 - juris Rn. 12). Darum geht es hier nicht.
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2. Gegen die Abweisung der Verpflichtungsklage in Bezug auf getätigte Aufwendungen für das
streitgegenständliche Präparat „Melatonin 5 mg Junek Kapseln“ als unbegründet wendet der Kläger ein, das
Präparat sei beihilfefähig, da der Wirkstoff der Kapseln Melatonin nach dem Arzneimittelgesetz als
Arzneimittel einzuordnen sei. Dies ergebe sich aus Entscheidungen des Landgerichts Stuttgart vom 17.
November 2014 - 36 O 23/14 KfH - (juris) und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10.
Dezember 2014 - 13 A 1202/14 - (juris). Beiden Entscheidungen sei zu entnehmen, dass Kapseln mit dem
Wirkstoff Melatonin als Funktionsarzneimittel i. S. v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG einzustufen seien und
ohne Zulassung als Arzneimittel nicht vertrieben werden dürften. Vorliegend werde das
streitgegenständliche Präparat als Arzneimittel für die Tochter eingesetzt, deren Einschlafphase sehr lang
gewesen und die nachts immer wieder aufgewacht sei. Durch die Behandlung mit dem Präparat sei ein sehr
positiver Erfolg zu verzeichnen gewesen. Das Präparat wirke daher als Arzneimittel und nicht als
Nahrungsergänzungsmittel und sei demgemäß als Arzneimittel einzustufen.
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Durch dieses Vorbringen des Klägers werden die Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht ernstlich in
Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung von Beihilfe für das
streitgegenständliche Präparat zutreffend gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 3 BBhV (in der bis
25.7.2014 und im maßgeblichen Teil auch heute geltenden Fassung) verneint.
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Gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 BBhV (a. F.) sind beihilfefähig Aufwendungen für ärztlich verordnete Arzneimittel
nach § 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG), die apothekenpflichtig sind. Unter den Beteiligten ist unstreitig,
dass es sich bei dem streitgegenständlichen Präparat um ein sog. Funktionsarzneimittel i. S. d. § 2 Abs. 1
Nr. 2 Buchst. a AMG handelt (vgl. insbesondere OVG NW, B. v. 10.12.2014 - 13 A 1202/14 - juris zur
Einordnung von Melatoninkapseln als Arzneimittel). Damit ein derartiges Fertigarzneimittel verkehrsfähig ist,
d. h. im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes in den Verkehr gebracht werden darf, ist erforderlich,
dass es eine arzneimittelrechtliche deutsche oder europäische Zulassung hat (vgl. § 21 Abs. 1 AMG). Dies
ist bei dem streitgegenständlichen Präparat nicht der Fall. Vielmehr hat der Kläger das Präparat durch eine
Apotheke in Österreich bezogen, wo es durch eine österreichische Firma als diätetisches Lebensmittel für
besondere medizinische Zwecke zur Behandlung von Jetlag vertrieben wird. In der Beschreibung zu diesem
Mittel heißt es u. a.: „Nur unter ärztlicher Aufsicht. Melatonin 5 g Junek Kapseln sind eine ergänzende
bilanzierte Diät und sollten nicht über einen Zeitraum von drei Monaten hinweg eingenommen werden.
Keine Erfahrungswerte bei Kindern und Senioren.“ Der Umstand, dass Melatoninkapseln Arzneimittel sind,
führt entgegen der Ansicht des Klägers nicht zur Erstattungsfähigkeit derselben im Beihilferecht, sondern
dazu, dass diese mangels erforderlicher Zulassung in Deutschland nicht vertrieben werden dürfen (vgl.
OVG NW, B. v. 10.12.2014 a. a. O.; LG Stuttgart, U. v. 17.11.2014 - 36 O 23/14 KfH - juris), deshalb nicht
verordnungsfähig (vgl. BSG, U. v. 16.12.2008 - B 1 KN 3/07 KR R - juris Rn. 13 für das Recht der
gesetzlichen Krankenversicherung) und daher auch keine erstattungsfähigen Arzneimittel i. S. v. § 22 Abs.
1 Nr. 1 BBhV sind. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger nicht
ausreichend differenziert zwischen dem zugelassenen verschreibungspflichtigen Arzneistoff Melatonin und
dem streitgegenständlichen Präparat. Auch der behandelnde Arzt hat nur „Melatonin 5 mg“ verordnet. Wie
in der vom Kläger vorgelegten E-Mail des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und
Lebensmittelsicherheit - Sachgebiet Pharmazie - vom 10. März 2015 ausgeführt, gäbe es bei
entsprechender Verordnung des Wirkstoffs Melatonin die Möglichkeit, eine auf die Bedürfnisse der Tochter
angepasste Rezeptur in der Apotheke herstellen zu lassen, die, da kein Fertigarzneimittel, nicht
zulassungspflichtig und deshalb als Arzneimittel erstattungsfähig sei. Dies hat auch die Beklagte unter
Hinweis auf §§ 1, 2 AMG und Anlage 1 zu § 1 AMG mit Schreiben vom 17. April 2015 so bestätigt.
Demgegenüber ist das über Österreich als diätetisches Lebensmittel bezogene streitgegenständliche
Präparat gemäß § 22 Abs. 5 Satz 3 BBhV nicht beihilfefähig.
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Soweit der Kläger auf Entscheidungen etwa des Verwaltungsgerichts Ansbach hinweist, die noch von einem
anderen beihilferechtlichen Arzneimittelbegriff ausgehen, beziehen sich diese auf das früher maßgebliche
Recht, das noch keine Definition von Arzneimitteln im Sinne des Beihilferechts enthielt.
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II. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass die im Zulassungsantrag dargelegte
Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die
Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen
oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt und über
den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, §
124 Rn. 36). Die dargelegte Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der
Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung zugänglich sein (Klärungsfähigkeit; vgl. Happ, a.
a. O., Rn. 37) und dieser Klärung auch bedürfen (Klärungsbedürftigkeit; vgl. Happ a. a. O., Rn. 38).
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Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob es sich bei einem Produkt mit Melatonin um ein beihilfefähiges
Mittel handelt, ist nicht klärungsbedürftig. Wie bereits unter I.2. ausgeführt, ist geklärt, dass Präparate, die
den Wirkstoff Melatonin enthalten, Arzneimittel sind. Eine andere Frage ist, ob ein solches Produkt, soweit
es als Fertigarzneimittel in Deutschland nicht zugelassen und damit nicht verkehrsfähig ist, als Arzneimittel
gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBhV beihilfefähig sein kann. Durch den Verweis auf § 2 AMG (und damit auf § 21
Abs. 1 AMG) ist nunmehr klargestellt, dass Fertigarzneimittel nur verkehrsfähig und damit verordnungsfähig
und beihilfefähig sein können, wenn sie in Deutschland oder in der Europäischen Gemeinschaft zugelassen
sind. Dies ergibt sich aus den gesetzlichen Bestimmungen und bedarf damit nicht einer Klärung im
Berufungsverfahren.
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Kostenentscheidung: § 154 Abs. 2 VwGO.
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Streitwertfestsetzung: § 39 Abs. 1, §§ 47, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
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