Ohrwürmer

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Rote Liste
der Ohrwürmer (Insecta: Dermaptera) Thüringens
Kleiner Ohrwurm, Labia minor, Männchen. Aus Thüringen
ist die thermophile Tieflandart seit jeher verstreut und
lokal selten belegt. Sie überwintert als späte Nymphe
oder Imago und ist deshalb schon ab Mai zu finden.
(Aufn. D. Matzke)
Rote Liste der Ohrwürmer
(Insecta: Dermaptera) Thüringens
2. Fassung, Stand: 11/2010
Günter Köhler
mit Hinweisen von Dietmar Klaus (Rötha), Danilo Matzke (Leipzig),
Heiko Sparmberg (Erfurt), Michael Wallaschek (Halle) und Kathrin Worschech (Altenburg)
Einleitung
Ohrwürmer sind langgestreckte, etwas abgeflachte Insekten von zumeist glänzend-bräunlicher Färbung. Unter den schuppenartigen,
derben Vorderflügeln liegen weichhäutige,
dreifach gefaltete Hinterflügel, die als kurze
Zipfel unter den Deckflügeln hervorragen. Nur
beim Wald-Ohrwurm sind beide Flügelpaare bis zur Unkenntlichkeit zurückgebildet. Die
Hinterleibstaster bilden in beiden Geschlechtern eine kräftige Zange oder Pinzette, die als
Abwehrwaffe, zum Beutegreifen und (beim
Männchen) zum Hochwuchten des Weibchens
während der Paarung dient, zudem werden mit
ihr bei hochgestellten Flügeldecken die Hinterflügel entfaltet. Ohrwürmer ernähren sich
von tierischer wie pflanzlicher Kost, sie vertilgen Blattläuse, benagen Blüten, Früchte, Jungpflanzen und Blattgemüse, und der Gemeine
Ohrwurm kann bei starker Vermehrung zum
Gartenschädling werden. Die dämmerungsund nachtaktiven Insekten halten sich bevorzugt unter Steinen und Rinde sowie in Spalten
auf, klettern aber auch auf Gehölze und fliegen
ans Licht. In der Regel überwintern die erwachsenen Tiere entweder im Freiland in selbstgegrabenen Erdröhren oder in Gebäuden in
Mauer- und Holzritzen, wobei es an klimatisch
geeigneten Stellen auch zu Massenansammlungen kommen kann.
An sonnigen Tagen schwärmen Kleine Ohrwürmer, Labia minor, über ihrer wichtigsten Lebensstätte, dem „vom Aussterben bedrohten“ Misthaufen, Altenburger Land, 2010. (Aufn. K. Worschech)
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Datengrundlage
Die in zahlreichen orthopterologischen Schriften verstreuten Angaben zu Ohrwürmern sowie deren unveröffentlichte Nachweise für
Thüringen wurden erstmals von Köhler & Renker (2001, 2006) zusammengefasst, die Arten
in einer Checkliste dokumentiert und erstmals
ihre Gefährdungsgrade eingeschätzt. Seitdem sind weitere Streudaten aus mehreren
thüringischen Regionen veröffentlicht oder
in Urlisten dokumentiert worden, woraus sich
die Notwendigkeit einer Fortschreibung der
Checkliste (Köhler 2009) und der vorliegenden
Roten Liste als Experteneinschätzung ergab.
Erwartungsgemäß veränderte sich das Artenspektrum in Thüringen durch die hinzugekommenen Daten nicht; von den acht aus Deutschland bekannten Ohrwurm-Arten (Matzke 2001;
Matzke & Köhler, 2011, i. Dr.) sind sechs Arten in
drei Familien für Thüringen dokumentiert, von
denen wiederum drei (50 %) in der Roten Liste
geführt und nachfolgend kurz begründet werden. Einzige Abweichung zur ersten Einstufung
(Köhler & Renker 2006) ist die Herausnahme des
Gebüsch-Ohrwurms, Apterygida media, der aufgrund seiner Streuverbreitung und immer wieder neuer Fundorte doch nicht als gefährdet
angesehen wird.
Artgefährdung
Anechura bipunctata: Weit abseits der (sub)alpinen Hauptverbreitungsgebiete des Zweipunkt-Ohrwurms deuten publizierte Hinweise
aus Mitteldeutschland auf vormalige Exklaven
(sowie gelegentliche Einschleppung) hin, wobei die letztlich unsichere Bewertung solcher
historischer Meldungen ebenfalls anerkannt
werden muss (Matzke 2009, Klaus 2010). So verbleibt die Art allein aufgrund der Angaben
von Schreck (1869, selten um Zeulenroda) und
Rudow (1873, nicht selten in Thüringen) in der
Checkliste Thüringens (Köhler 2009). Hingegen ließ sich das nicht belegte Männchen vom
Kernbergplateau bei Jena-Ziegenhain (Prenzel
1976) im Nachhinein durch die damals Beteiligten nicht mehr verifizieren, und eine aktuelle
Nachsuche unter Steinen im Fundgebiet blieb
erfolglos (Köhler, in lit. 2010).
Sandohrwurm, Labidura riparia, Männchen. Die in Größe und Färbung recht variablen Tiere graben umfangreiche Gangsysteme (mit
Bruthöhlen) in lockeren Böden und überwintern dort als Imagines.
(Aufn. D. Klaus)
Sandohrwurm, Labidura riparia, Weibchen. (Aufn. D. Klaus)
Zahlreiche Sandohrwürmer leben einzeln oder in Kleingruppen
unter Salzgesteinsbrocken am Fuße nordthüringischer Kalihalden,
Menteroda, Sommer 2005. (Aufn. H. Sparmberg)
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In den nordostthüringischen Tagebaurestlöchern dürfte die rasche Sukzession langfristig
zum Rückgang und Verschwinden geeigneter
Habitate führen (Mitt. Worschech), ein Prozess,
der so auch aus Sachsen-Anhalt (Wallaschek
2004 – hier RL 2) und Sachsen (Mitt. Klaus) bekannt ist. Dagegen scheint sich die Art an den
größeren und jüngeren nordthüringischen Kalihalden nach wie vor als stabil zu behaupten,
solange sich an den Unterhängen feuchte Salzstellen bilden können und die Halden nicht
zuwachsen (Sparmberg & Güth, in lit. 2005; Güth
2008).
Forficula auricularia, eine häufige und nicht gefährdete Art, Jena,
1994. (Aufn. F. Julich)
Labidura riparia: Der Sand-Ohrwurm ist nur von
Bergbaufolgelandschaften nördlich Altenburg
(Matzke & Klaus 1996) und um Sondershausen
(Kalihalden: Sparmberg 1997, Güth 2008) bekannt.
Labia minor: Vom Kleinen Ohrwurm sind aus
den letzten Jahren nur wenige Streufunde bekannt geworden, so von der Fahner Höhe (hier
schon früher – Bellstedt & Schuster 2007), aus
der Umgebung von Altenburg (hier 2004 an einer Stelle Massenflug – Mitt. Worschech) sowie
von Ohrdruf und Jena (Mitt. Matzke). Er muss zumindest in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wohl vor allem aufgrund der zahlreichen
Misthaufen aus traditioneller kleinbäuerlicher
Viehhaltung regional viel häufiger gewesen
sein, verlor aber durch die Umgestaltungen in
der Viehwirtschaft zunehmend an Lebensraum
(zusf. Köhler & Renker 2001). Dagegen steht die
Art in Sachsen auf der Vorwarnliste (Klaus &
matzke, 2010) und in Sachsen-Anhalt wird sie
als ungefährdet angesehen (Wallaschek 2004,
2008).
Lebensraum von Sandohrwürmern: Gestein, Betonteile und Müll am Fuß einer Kalihalde bei Sondershausen, Sommer 2005. (Aufn. H. Sparmberg)
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Ohrwurm-Lebensraum am „Pfarrholz“ bei Closewitz/Jena, 08.03.1992. (Aufn. A. Nöllert)
Rote Liste
Art
Anechura bipunctata
Labia minor
Labidura riparia
Zweipunkt-Ohrwurm
Kleiner Ohrwurm
Sand-Ohrwurm
Gefährdung
Bemerkungen
0
2
2
A um 1870
Gefährdungskategorien sowie weitere Abkürzungen siehe 2. Umschlagseite;
A = Arealrand verläuft durch Thüringen
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Literatur
Bellstedt, R., & C. Schuster (2007): Zur Fauna der „Armen Jacke“ – eines Halbtrockenrasens an der
Nordabdachung der Fahner Höhe (Landkreis Gotha, Thüringen). – Thür. Faun. Abh. XII: 53-67
Güth, M. (2008): Vergleichende populationsgenetische Untersuchungen an Arthropoden in gestörten Offenlandschaften. – VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken, 148 S.
Klaus, D. (2010): Anmerkungen zu den sächsischen Altfunden von Anechura bipunctata (Fabricius)
und Korrekturhinweise zu den Checklisten der Schaben und Ohrwürmer Sachsens (Dermaptera, Blattoptera). – Mitteilungen Sächsischer Entomologen, Mittweida, Nr. 90: 3-11
Klaus, D., & D. Matzke (2010): Heuschrecken, Fangschrecken, Schaben und Ohrwürmer. Rote Liste
und Artenliste Sachsen. – Sächs. Landesamt f. Umwelt, Landwirtschaft u. Geologie, 36 S.
Köhler, G. (2009): Checkliste der Ohrwürmer (Insecta: Dermaptera) Thüringens, 2. Fassung, Stand:
November 2009. – In: Thüringer Entomologenverband e. V. (Hrsg.): Check-Listen Thüringer Insekten und Spinnentiere. – Teil 17: 5-8
Köhler, G., & C. Renker (2001): Beitrag zu einer Fauna der Ohrwürmer (Insecta: Dermaptera) Thüringens. – Thür. Faun. Abh. VIII: 63-81
Köhler, G., & C. Renker (2006): Checkliste der Ohrwürmer (Insecta: Dermaptera) Thüringens, Stand: 30.
November 2005. – In: Thüringer Entomologenverband e. V. (Hrsg.): Check-Listen Thüringer Insekten und Spinnentiere. – Teil 14: 9-12
Matzke, D. (2001): Verzeichnis der Ohrwürmer (Dermaptera) Deutschlands. In: B. Klausnitzer (Hrsg.):
Entomofauna Germanica 5. – Ent. Nachr. Ber., Beih. 6: 53-59
Matzke, D. (2009): Verwechslungen von Anechura bipunctata (Fabricius, 1781) mit Forficula auricularia (Linnaeus, 1758) und anderen Arten (Dermaptera: Forficulidae). – Mitteilungen Sächsischer
Entomologen, Mittweida, Nr. 86: 11-12, 4. US (Fotos)
Matzke, D., & D. Klaus (1996): Zum Vorkommen des Sandohrwurms (Labidura riparia Pallas) auf Abgrabungsflächen Nordwest-Sachsens und angrenzender Gebiete (Insecta, Dermaptera, Labiduridae). – Mauritiana, Altenburg 16 (1): 57-70
Matzke, D., & G. Köhler (2011, i. Dr.): Rote Liste und Gesamtartenliste der Ohrwürmer (Dermaptera)
Deutschlands, 3. Fassung, Stand Februar 2011. – In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands. – Naturschutz und Biologische Vielfalt,
70 (3)
Prenzel, W. (1976): Ökofaunistische Untersuchungen an Feldsteinen im Muschelkalkgebiet um Jena.
– Unveröff. Dipl.-Arb. (Lehrer), FSU Jena, WB Ökologie, 45 S.
Rudow, F. (1873): Systematische Uebersicht der Orthopteren Nord- und Mitteldeutschlands. –
Ztschr. Ges. Naturwiss., N. F. 8: 281-317
Schreck, E. (1869): Uebersicht der bei Zeulenroda und Umgegend bis jetzt gesammelten Geradflügler. – 12. Jahresber. d. Ges. v. Freunden d. Naturw. zu Gera, S. 44
Sparmberg, H. (1997): Nachweise von Heuschrecken und Ohrwürmern (Insecta: Orthoptera et Dermaptera) an Rückstandshalden der Kaliindustrie in Nordthüringen. – Thür. Faun. Abh. IV: 83-91
Wallaschek, M. (2004): Rote Liste der Ohrwürmer (Dermaptera) des Landes Sachsen-Anhalt. – Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 39: 220-222
Wallaschek, M. (2008): Ohrwürmer (Dermaptera). – In: M. Trost (Bearb.): Arten- und Biotopschutzprogramm Sachsen-Anhalt. Biologische Vielfalt und FFH-Management im Landschaftsraum SaaleUnstrut-Triasland. – Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Sonderheft
1/2008, Teil 1: 247-249
Prof. Dr. habil. Günter Köhler, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Ökologie,
Dornburger Straße 159, D-07743 Jena
E-Mail: [email protected]
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