Zwang – Dissoziative Störungen 20.05.2014 Henning Ide-Schwarz (Dipl. Päd.) 1. Zwangsstörungen Fallbeispiel Zwangsstörung Beitrag Stern-TV „Kämpfen von Klein an! Wenn Kinder unter Zwängen leiden“ H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Weitere Aspekte der Zwangsstörung • Kindliche Zwangshandlungen: z.B. nicht auf Fugen zwischen Wegplatten treten, abends unters Bett schauen, oft von nur wenigen Wochen Dauer -> normal! • Häufig (ca. 80%) Kontaminationsängste: führen zu Waschzwang, Wischen, Putzen oder Vermeiden von Berührung • Am zweithäufigsten Kontrollzwänge: Herd, Türschloss, Hausaufgaben • Zwänge werden meist „Ich-dyston“ erlebt, d.h. ich-fremd, störend, nicht zur eigenen Persönlichkeit gehörend • Einbindung Dritter in Zwänge (meist Eltern) • Formbarkeit und Modifikation der Zwänge bei Persistenz der Grundproblematik H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Weitere Aspekte der Zwangsstörung • Raptusartige Erregungsspitzen • Starke Zwangsimpulse können wie imperative Stimmen erlebt werden (CAVE: Abgrenzung zu akustischen Halluzinationen) • Zwangstendenzen bei – – – – Autistischen Syndromen Anorexie (!) Tic-Störungen, Tourette-Syndrom Abwehr einer psychotischen Krise H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP „Zwang“ zwischen Komplexität und Ordnung H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Therapie der Zwangsstörungen • • • • Zwänge unterbrechen, Mitwirkung verweigern Konfrontation und Exposition Zugrundeliegende Konflikte eruieren Einengende oder/und symbiotische Beziehungsmuster in der Herkunftsfamilie durchbrechen • Psychopharmaka: – Mittel der Wahl: Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) – Wirkungseintritt erst nach 4-6 Wochen – CAVE: Erhöhte Suizidalität wg. Antriebssteigerung H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP 4. Dissoziative Störungen Fallbeispiel Dissoziative Störung • Flüchtlingsfamilie aus Kosovo, Tochter 15 J., 4 jüngere Geschwister • Nach Schullandheim plötzlich Lähmungserscheinungen an den Beinen, sitzt nur noch im Rollstuhl • Somatische Abklärung ohne jeden path. Befund • Familie kümmert sich rührend, alles dreht sich um die Tochter H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Fallbeispiel Dissoziative Störung • Wichtig: Räumliche Trennung, um eingefahrene Beziehungsmuster zu überwinden • Wechselwirkungen sind – funktional mit Blick auf innerfamiliäre Abläufe – dysfunktional mit Blick auf Autonomie und gesellschaftliche Integration der betreffenden Person • Stationäre Psychotherapie bietet neutralen Erlebens- und Erprobungsraum H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Definition • Der Begriff Dissoziation beschreibt die Trennung von Wahrnehmungs- und Gedächtnisinhalten, welche normalerweise assoziiert sind. Hierdurch kann die integrative Funktion des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Wahrnehmung und der Identität beeinträchtigt werden. • Früher: „Hysterie“ H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Spektrum dissoziativer Phänomene Dissoziative Alltagsphänomene: • Extremsportler blenden in einer Art von Trance Schmerzen aus • Computerspieler während des Spiels so tief versunken, dass er zeitweilig das Gefühl für die verstrichene Zeit verliert • Autofahrer ertappt sich bei abschweifenden Gedanken, hat aber sein Fahrzeug über Minuten unfallfrei gelenkt Dissoziative Störungen: • Ein Mensch hat während eines traumatischen Ereignisses das Gefühl, sich in eine „agierende“ und „beobachtende“ Person zu spalten • Ein Vergewaltigungsopfer hat noch nach Jahren psychogene Schmerzen im Unterleib, obwohl das auslösende Ereignis aufgrund einer traumatisch bedingten Amnesie nicht erinnerbar ist H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Dissoziative Störungen nach ICD 10 F44.0 F44.1 F44.2 F44.3 F44.4 F44.5 F44.6 F44.7 F44.8 F44.80 F44.81 F44.82 Dissoziative Amnesie Dissoziative Fugue Dissoziativer Stupor Trance- und Besessenheitszustände Dissoziative Bewegungsstörungen Dissoziative Krampfanfälle Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen Dissoziative Störungen [Konversionsstörungen], gemischt Sonstige dissoziative Störungen [Konversionsstörungen] Ganser-Syndrom Multiple Persönlichkeit(sstörung) Transitorische dissoziative Störungen [Konversionsstörungen] in Kindheit und Jugend H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Exkurs: Dissoziative Identitätsstörung (auch: „multiple Persönlichkeitsstörung“) • • • • Starke Faszination des Störungsbildes Hohe Verbreitung in Selbsthilfeszene Verherrlichung, autosuggestive Kraft des Konzeptes Auch Fehlentwicklungen unter der Ägide charismatischer Therapeuten • Auffällig oft wird ein „ritueller sex. Missbrauch durch Sekten“ beklagt (vgl. Epoche der „Entführung durch Alien“ in den USA) • Fragwürdige Informations- und Aufklärungspolititk (z.B: folgende Webseiten…) H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Therapie • Anfänglich Distanzierung zur Herkunftsfamilie wegen häufig überenger Bindungen • Annehmen des Symptoms als bedeutsamer Lösungsversuch des Patienten • Unterstützung bei der Aufgabe eines Symptoms unter Wahrung des Gesichts des Patienten (z.B. mittels schrittweise auszuschleichender Physiotherapie • „Einschleichende“ Deutungsangebote • Entlastung von Überforderungen (Fehlbeschulung!) • Training alltagspraktischer und sozialer Fertigkeiten Therapie • Elternberatung, Elterntraining und Familientherapie: – Aufklärung – Nutzung familiärer erzieherischer Ressourcen – Schulung in der Zuwendung symptominkompatibler Reaktionsweisen – Vermeidung des „sekundären Krankheitsgewinns“ – Ignorieren appellativ dargebotener Symptome • CAVE: Ausschluss weiterhin wirksamer Traumatisierungsrisiken! Diskussion • • • • Traumafolgen sind über weite Strecken als dissoziative Schutzmechanismen zu begreifen Rolle der Angst und Aggression bzw. Aggressionshemmung? Zwang zur Kontrolle und Vermeidung von Konflikten, starken Gefühlen, Sexualität…? Familien- und Konfliktdynamik? Literatur Dt.Ges.f. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie u.a. (Hrsg.): Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Deutscher Ärzte Verlag, 3. überarbeitete Auflage 2007, S. 99 - 108 Stern TV-Reportage: „Kämpfen von Klein an! Wenn Kinder unter Zwängen leiden“ http://de.wikipedia.org/wiki/Dissoziation_%28Psychologie%29 vom 20.01.2014 H. Ide-Schwarz (Dipl. Päd.), Zentrum für seelische Gesundheit - Klinik für KJPP Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!