F. Die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland

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Wiss. Mitarbeiterin Bärbel Junk
Wintersemester 2008/2009
F. Die Staatsorgane der Bundesrepublik Deutschland
I. Der Bundestag
3. Geschäftsordnung des Bundestages
Art. 40 I S. 2 GG „Der Bundestag gibt sich eine Geschäftsordnung.“
Welchen Inhalt kann die Geschäftsordnung haben?
h. M.: Gesetzgeber hat weites Ermessen hinsichtlich des Erlasses der Geschäftsordnung, Grund: Die Verfassung selbst erlaubt den Erlass einer Geschäftsordnung
um die in Art. 38 ff. enthaltenen Grundsätze zu konkretisieren.
Aber: Grenzen der Befugnis zum Erlass einer Geschäftsordnung
•
Die Geschäftsordnung darf nicht gegen Normen des GG verstoßen
•
heute h. M.: Die Geschäftsordnung muss Regelungen zum Schutze der politischen Minderheiten enthalten, sie dient gerade auch deren Interessen.
4. Rechtsstellung der Abgeordneten im Bundestag
a) Konfliktsituation
Art. 38 I S. 2 GG „Freies Mandat“ „Mitgliedschaft in einer Partei“
Nach Art. 38 I S. 2 GG: „Die Abgeordneten sind frei und an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
sog. „Freies Mandat“
Das bedeutet:
•
Recht auf hinreichende Information durch den Bundestag und die Bundesregierung über alle für die Arbeit relevanten Gegenstände der politischen Willensbildung.
•
Rede- und Stimmrecht innerhalb des Bundestages.
•
Recht auf parlamentarische Initiativen.
•
Recht, sich in einer Fraktion zu organisieren.
•
Recht auf Beteiligung in den Ausschüssen.
•
Fragerecht gegenüber der Regierung.
Ein Abgeordneter gehört in der Regel einer politischen Partei an, und die politischen
Parteien bilden im Bundestag Fraktionen.
Fraktion = § 10 GOBT – „Die Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens fünf
vom Hundert der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen
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Parteien angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land
miteinander im Wettbewerb stehen.“
Gründe für Fraktionen:
(1) Effektivere Interessendurchsetzung durch Fraktionsstruktur
(2) Stabilität des parlamentarischen Systems durch gemeinsame Willensbildung und
einheitliche Abstimmungsverhalten.
(3) Arbeitsteilung führt zu Arbeitserleichterung für den einzelnen Abgeordneten und
zu umfassenderer Information.
Aber: Es besteht ein Spannungsfeld: Einheitliche Willensbildung führt dazu, dass
der einzelne Abgeordnete sich unter Umständen dem Willen der Fraktion beugen
muss, obwohl er selbst eine andere Meinung vertritt.
vgl. Fall 11
b) Gleichheit der Abgeordneten
Art. 38 I S. 2 „Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes.“
Jeder Abgeordnete ist gleichermaßen Vertreter des gesamten Volkes, d.h. die
Abgeordneten sind grundsätzlich gleich zu behandeln.
(1) Statusfragen (Gleichstellung innerhalb des Bundestages)
Hierarchien innerhalb des Bundestages die zur Besserstellung einzelner Abgeordneter auch in finanzieller Hinsicht führen sind nur in engen Grenzen möglich
Beispiel: Die CDU / CSU – Fraktion sieht vor, dass neben dem Amt des Fraktionsvorsitzenden auch drei Stellvertreter zu wählen sind. Daneben soll es einen Fraktionsschatzmeister, Fraktionsschriftführer und weitere Ämter geben. Die Ausübung
dieser Ämter ist mit gesonderten Aufwandsentschädigungen versehen. Ist dies zulässig?
BVerfGE 102, 224; Winkler, JA 2001, 288: Die Besser- oder Schlechterstellung eines
Abgeordneten innerhalb des Parlaments darf nur aus Gründen der Funktionsfähigkeit
des Parlaments erfolgen. Das heißt:
•
Die Bennennung stellvertretender Fraktionsvorsitzender ist zulässig-
•
problematisch sind darüber hinaus gehende Ämter.
(2) Mitarbeit der Abgeordneten in Ausschüssen
Beispiel: Abgeordneter P ist inzwischen fraktionsloses Mitglied des Bundestages. Bei
der Verteilung der Sitze in den Ausschüssen geht P dabei leer aus. Erst dank der
Benennung durch den Bundestagspräsidenten (§ 57 II S. 2 GOBT) gelangt P in den
„Sportausschuss“. P, der sich zu Höherem berufen fühlt, empfindet das Verfahren
der Ausschussbesetzung als „Farce“, zumal er im Sportausschuss nur als „nicht
stimmberechtigtes Mitglied“ vertreten sein soll.
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Muss jeder Abgeordnete in Ausschüssen mitwirken können?
Muss er dabei ein Stimmrecht haben, also aktiv mitwirken können?
Aus Art. 38 I S. 2 GG folgt, dass den Abgeordneten die Möglichkeiten zu eröffnen
sind, die für die Ausübung eines freien Mandates erforderlich sind. Dies sieht auch §
57 I S. 2 GOBT vor: jedes Mitglied des Bundestages soll einem Ausschuss angehören.
•
§ 57 II S. 1 GOBT – Benennung der Mitglieder erfolgt grundsätzlich durch die
Fraktionen.
•
§ 57 II S. 2 GOBT – Abgeordnete, die nicht Fraktionsangehörige sind, werden
durch den Bundestagspräsidenten berufen.
(P) Stimmrecht im Ausschuss
BVerfG NJW 1990, 373 ff.:
Die Ausschüsse sind durch ihre Aufgabenstellung in die Repräsentation des Volkes durch das
Parlament einbezogen. Deshalb muß grundsätzlich jeder Ausschuß ein verkleinertes Abbild
des Plenums sein. Eine prinzipielle Mitwirkungsmöglichkeit hat für den einzelnen Abgeordneten angesichts des Umstandes, daß ein Großteil der eigentlichen Sacharbeit des Bundestages von den Ausschüssen bewältigt wird, eine der Mitwirkung im Plenum vergleichbare Bedeutung. Von daher darf
ein Abgeordneter nicht ohne gewichtige, an der Funktionstüchtigkeit des Parlaments orientierte Gründe von jeder Mitarbeit in den Ausschüssen ausgeschlossen werden. Wenn - wie derzeit der Zahl der Abgeordneten eine entsprechend große Zahl von Ausschußsitzen gegenübersteht, hat
jeder einzelne Abgeordnete Anspruch darauf, in einem Ausschuß mit Rede- und Antragsrecht mitzuwirken; hingegen ist es verfassungsrechtlich nicht geboten, dem fraktionslosen Abgeordneten
im Ausschuß ein - notwendigerweise überproportional wirkendes - Stimmrecht zu geben.
Wie ersichtlich, entspringt aus dem freien Mandat das Recht des Abgeordneten zur
Beteiligung an den Ausschusssitzungen. Das BVerfG hat aber auch klargestellt, dass
daraus ein Stimmrecht des Abgeordneten in dem Ausschuss nicht zwingend folgt.
Begründet wird dies damit, der Abgeordnete sei dann im Ausschuss „überrepräsentiert“, ein Vertreter der Fraktion vertrete regelmäßig die anderen Fraktionsmitglieder und damit eine Gruppe von Personen. Der einzelne Abgeordnete im
Ausschuss vertrete aber nur sich selbst und seine eigene Auffassung.
Kritik: Soweit man die Beteiligung des Abgeordneten im Ausschuss nur als Teil des
„Informationsrechtes“ des Abgeordneten betrachtet, wäre ein Stimmrecht nicht zwingend erforderlich. Information kann auch ohne Stimmrecht erlangt werden.
Das BVerfG sieht die Arbeit im Ausschuss aber explizit nicht als Teil des Informationsrechtes, sondern stuft sie ausdrücklich als „Repräsentation des Volkes“ und Teil
der „Sacharbeit“ ein. Zur Sacharbeit würde aber auch gehören, dass der Abgeordnete dann mit seiner Stimme zum Verfahren beiträgt und somit auch die Verantwortung
für die gefundenen Beschlüsse mit trägt. Sacharbeit ohne Stimmrecht ist als Beteiligung an der Entscheidungsfindung nämlich kaum möglich. Ein Rederecht alleine eröffnet kaum die Möglichkeit effektiver Entscheidungsfindung.
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c) Indemnität und Immunität der Abgeordneten, Art. 46 GG
(1) Indemnität - Art. 46 I GG: "Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner
Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner
Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des
Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische
Beleidigungen
Ziel: Freiheit der Arbeit im Parlament, der Abgeordnete soll keine Angst vor den
Folgen seiner Aussagen haben müssen.
Beispiel: Der Abgeordnete P rügt in einer Bundestagsdebatte den Verlust seines
Platzes innerhalb der Fraktion. Er betont, dass der Fraktionsvorsitzende M ihn schon
immer aus der Fraktion habe „herauswerfen“ wollen, da er stets gegen die „dubiosen“
Finanzpraktiken eines von M betriebenen Unternehmens vorgegangen sei. Aus gegebenem Anlass wolle er nun Publik machen, mit welchen Methoden die Firma des
M arbeite. Nach der Rede des Abgeordneten P sinkt der Umsatz der Firma des M um
25 %. M möchte von P Schadensersatz hierfür erlangen. Zu Recht?
Lösung: Art. 46 I GG verbietet eine Verfolgung des Abgeordneten wegen der im
Parlament vorgetragenen Äußerungen. P ist daher zur Zahlung von Schadensersatz
nicht verpflichtet
Abwandlung: P äußert sich während des Wahlkampfes in einer Rede vor den Wählern seines Wahlkreises einer abfällig über die Firma des M. Kann M jetzt Schadensersatz verlangen?
Lösung: Die Äußerung im Wahlkampf ist keine Äußerung im Bundestag oder in einem seiner Ausschüsse. Daher greift Art. 46 I GG nicht ein. M kann daher gegen P
vorgehen.
(2) Immunität – Art. 46 II, III GG: „Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf
ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn, dass er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden
Tages festgenommen wird.“
Prozesshinderungsgrund für die Dauer des Mandats. Nach Ablauf des Mandates
kann der Abgeordnete für die Tat zur Verantwortung gezogen werden.
5. Die Fraktionen und ihre Rechte
a) Verankerung in der Verfassung
Grundregel: Die Ausübung des freien Mandates (Art. 38 I S. 2 GG) durch den Abgeordneten erfolgt in der Regel innerhalb der Fraktion.
(1) Was ist eine Fraktion? (s.o.)
§ 10 I GOBT: „Die Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens fünf vom Hundert der Mitglieder des Bundestages, die derselben Partei oder solchen Parteien
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angehören, die auf Grund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Land miteinander im Wettbewerb stehen.“
(2) Regelungen, die die Fraktionen betreffen
(a) Wortlaut von Art. 53a I S. 2 GG
„Der Gemeinsame Ausschuss (von Bundestag und Bundesrat) besteht zu zwei Dritteln aus Abgeordneten des Bundestages, zu einem Drittel aus Mitgliedern des Bundesrates. Die Abgeordneten werden vom Bundestage entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen bestimmt; sie dürfen nicht der Bundesregierung angehören“
(b) Art. 21 GG und Art. 38 I S. 2 GG
Art. 21 GG: Politische Willensbildung des Volkes erfolgt durch Parteien Parteien
bilden auch im Parlament „Interessengruppen“, d.h. Fraktionen!
Art. 38 I S. 2 GG: „Freies Mandat“ Der einzelne Abgeordnete kann seine Rechte
im Bundestag in der Gruppe, d.h. in der Fraktion besser ausüben. Dies wird durch
die „Arbeitsteilung“ innerhalb der Fraktion möglich.
b) Tatsächliche Rolle der Fraktionen im Verfassungsleben:
Fraktionen sind „Verfassungsorgane“, d.h. im GG und in der GOBT mit besonderen
Rechten ausgestattet. Sie nehmen in besonderem Maße an der demokratischen Willensbildung teil, daher:
(1) Anspruch auf streng formale Gleichbehandlung (Art. 21 GG, 38 I S. 2 GG) im
Parlament, d.h.
•
Ausschüsse des Bundestages oder sonstige Kommissionen dürfen nicht
durch Mehrheitsentscheidung besetzt werden, sondern müssen die einzelnen Fraktionen im Bundestag widerspiegeln.
•
Grund: Würden Ausschüsse nur durch Mehrheitsentscheidung besetzt, hätte
die Opposition kaum eine Möglichkeit, in die Arbeit der Regierungsparteien
Einblick zu gewinnen. Im Zweifel würden dann immer ausschließlich Mitglieder
der Regierungsparteien in der parlamentarischen Arbeit aktiv sein.
(2) Parteifähigkeit im Organstreitverfahren:
Die Fraktionen sind im GG und in der GOBT mit eigenen Rechten ausgestattet. Sie sind „Verfassungsorgane“, Art. 93 I Nr. 1 GG ist anwendbar:
„Das Bundesverfassungsgericht entscheidet...über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundge-
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setz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen
Rechten ausgestattet sind.“
6. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, Art. 44 GG
(Sog. „Enquêterecht“ des Bundestages)
Art. 44 GG
(1) Der Bundestag hat das Recht und auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder
die Pflicht, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt. Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen
werden
(2) Auf Beweiserhebungen finden die Vorschriften über den Strafprozess sinngemäß Anwendung....
(4) Die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse sind der richterlichen Erörterung entzogen.
Seit 2001 existiert das sog. PUAG (Gesetz zur Regelung des Rechts der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse)
a) Arten von Untersuchungsausschüssen
Nach Art. 44 I GG bestehen zwei Varianten von Untersuchungsausschüssen:
(1) Mehrheitsenquête auf Beschluss der Mehrheit des Bundestages hin.
(2) Minderheitsenquête auf Beschluss einer Minderheit von ¼ der Mitglieder des
Bundestages hin.
Die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen ist vor allem ein Recht der
Minderheit (Opposition) im Parlament, um die Regierung und den Bundestag zu kontrollieren.
Daher darf der Untersuchungsgegenstand, der durch die Minderheit bestimmt
wurde, nicht durch Beschluss der Mehrheit verändert werden.
b) zulässige Untersuchungsgegenstände
Merke: Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages kann nur Gegenstände untersuchen, die auch zur Zuständigkeit des Bundestages gehören (§ 1 III PUAG)
Bsp.: Ein U-Ausschuss betreffend das Thema „Bildungsnotstand in Deutschland
– die Pisa Studie und das Fehlverhalten der Landesregierungen“ wäre unzulässig.
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(P) Minderheitsenquête mit unzulässigem Inhalt - § 2 III PUAG
Immer wieder wird es – vor allem bei Minderheitsenquêten zu Diskussionen darüber
kommen, ob der Untersuchungsgegenstand zulässig ist. § 2 III PUAG regelt daher
ein Verfahren bei Zweifeln an der Zulässigkeit des Untersuchungsgegenstandes:
„Hält der Bundestag den Einsetzungsantrag für teilweise verfassungswidrig, so ist
der Untersuchungsausschuss mit der Maßgabe einzusetzen, dass dessen Untersuchungen auf diejenigen Teile des Untersuchungsgegenstandes zu beschränken sind, die der Bundestag für nicht verfassungswidrig hält.“
Damit dadurch nicht der Minderheitenschutz völlig vernachlässigt wird, regelt § 2 III
S. 2 die Rechte der Minderheit in diesem Falle:
„Das Recht der Antragstellenden, wegen der teilweisen Ablehnung des Einsetzungsantrages das Bundesverfassungsgericht anzurufen, bleibt unberührt.“
c) Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses (§ 3 PUAG)
Die Zusammensetzung spiegelt die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag wieder (daher keine Mehrheit der Minderheit). Jede Fraktion muss vertreten sein.
WICHTIG: Anträge im Untersuchungsausschuss bedürfen regelmäßig nur der
Zustimmung von 25 % der Mitglieder des Ausschusses, sonst wäre das Kontrollrecht weitgehend wirkungslos.
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