Regionalkultur ZO/Av U Montag, 22. November 2010 25 Uster Das von Lucas Niggli initiierte Piano-Festival überzeugte dank einer hochkarätigen Programmgestaltung Ein Klavierfestival überschreitet Grenzen Profilierte Musiker feierten am Wochenende im Qbus Uster ein Piano-Festival mit Avantgarde-Musik, Jazz und Improvisation – ein Ereignis, dem die Jazzlegende Irène Schweizer die Krone aufsetzte. Sibylle Ehrismann Allein schon das Instrument war eine Wucht. Der grosse D-SteinwayFlügel, tief schwarz und glänzend, dominierte für einmal den alternativen Ustermer Kultur- und Kinoraum Qbus. Ein grandioses Konzertinstrument, welches das Pianohaus der Gebrüder Bachmann in Wetzikon zu besonders günstigen Bedingungen zur Verfügung stellte und während des Festivals auch mehrmals stimmte. Die Qualitäten eines solchen Instruments muss man natürlich auch umsetzen können, und das taten alle mitwirkenden Pianistinnen und Pianisten auf hohem technischem und musikalischem Niveau. So konnte man in Uster für einmal ein Stelldichein der beiden Jazzgrössen Aki Takase (im Duo mit Schlagzeuger Lucas Niggli) und Irène Schweizer erleben. Ausserdem spielte Tamriko Kordzaia, eine der besten und gefragtesten Pianistinnen für zeitgenössische Musik in der Schweiz, mit dem Mondrian Ensemble. Zugegen war auch Dominik Blum, der komplexeste musikalische Strukturen mit fulminanter technischer Kraft zum Glühen zu bringen vermag. Durchdachtes Programm Was das Klavierfestival im Rahmen der Reihe «Pam! – Platz für andere Musik» besonders auszeichnete, war die hochkarätige Programmgestaltung. Was sonst unter Neuer Musik gerne etwas willkürlich zusammengewürfelt daher- Bald 70-jährig und noch kein bisschen müde: Die Jazzpionierin Irène Schweizer begeisterte mit ihrem virtuosen und raffinierten Spiel die Ustermer Zuhörer. (dku) kommt, wurde hier mit erhellender und musikalisch sinnvoller Konsequenz durchdacht dargeboten – zum Beispiel vom Mondrian Ensemble aus Basel. Tamriko Kordzaia spielte vier kurze Klavierstücke von Henry Cowell (1897– 1965), verteilt durch das ganze Programm. Cowell gehört, wie Charles Ives, zu den amerikanischen Urgesteinen der modernen Musik, die unbeschwert von der Musiktradition Europas mit genialer Eigendynamik experimentierten. Er komponierte schon früh mit Clustern (das heisst Tontrauben) und dem «string piano», bei welchem die Saiten des Flügels vom Pianisten direkt gezupft und gestrichen werden. Kordzaia spielte diese klanglich faszinierenden Stücke mit rhythmischer Verve und sensiblem Anschlag, man folgte ihr gebannt. Cowells Stücke um- rahmten das auf einen irisierenden Ton fokussierte «Fideliotrio» (1987) von Alvin Lucier und das Streichtrio «Harmonium Nr. 5» (1978) von James Tenny. Das 23-minütige Klaviertrio (1904–1911) von Charles Ives, ein geniales Meisterwerk der Moderne, setzte den fulminanten Schluss. Das Trio, das mit Zitat-Collagen und bis an die Atonalität reichender Harmonik Grenzen auslotet, spielte an diesem Abend besonders innig und dynamisch. Stücke aus dem Skandalwerk Von einer derartigen programmtechnischen Stringenz war auch das Klavierrezital von Dominik Blum. Er stellte Klassiker der Moderne wie Alexander Scrjabin und Arnold Schönberg in einem spannenden Programmbogen neueren Schweizer Werken von Mi- Bäretswil Das Trio Artemis spielte in der Aula des Schulhauses Letten chael Wertmüller (* 1967) und Hermann Meier (1906–2002) gegenüber. Wertmüllers «Zeitkugel für Klavier und Orchester» (2010) hatte als Auftragswerk von Lucerne Festival diesen Herbst für einen veritablen Skandal gesorgt: Die Basel Sinfonietta weigerte sich, das laute und hochvirtuose Stück nach der Uraufführung in Luzern nochmals aufzuführen. Dominik Blum spielte daraus die beiden Stücke für Klaviersolo – die Ouvertüre und die Solokadenz – mit traumsicherer, sprühender Virtuosität und überzeugender gestalterischer Kraft. Die drei Stücke von Alexander Scrjabin, darunter die Sonate Nr. 7 und Nr. 10, offenbarten dann eine ähnliche, ins Mystische und Ekstatische reichende Denkweise. Dominik Blum liegt diese emphatische Musik, er zog sein pianistisch hoch anspruchsvolles 60-minütiges Nonstop- Rezital mit hoher Intensität durch. Das Publikum ging begeistert mit und forderte noch zwei Dreingaben dazu. «Grande Dame» löste Staunen aus Am späten Samstagabend folgte dann der Auftritt von Irène Schweizer. Die «Grande Dame» und Pionierin des Schweizer Jazz, die kommendes Jahr ihren 70. Geburtstag feiert, setzte sich einfach hin und begann zu spielen: Ein schlichtes Motto wird verdichtet, freie rhythmische Girlanden lösen sich vom strengen akkordischen Grundpuls in der linken Hand, eine neue Idee taucht auf, verwebt sich mit der alten, virtuos und raffiniert ergibt sich das eine aus dem anderen – der Zuhörer staunt. Auch Irène Schweizer wurde begeistert gefeiert und erst nach mehreren Dreingaben entlassen. Mönchaltorf Zehn Passagen vor Heimpublikum Johannes Brahms und leichtere Kost Eine Lesung ohne Buch Die Mönchaltorferin Gabriela Kasperski hat einen Krimi geschrieben, der im Zürcher Oberland spielt. Gestern las sie an ihrem Wohnort. Das Trio Artemis präsentierte in Bäretswil ein Programm mit Kontrasten, spielte technisch perfekt und mit grosser Musikalität. David Huber In der vollbesetzten Aula des Schulhauses Letten in Bäretswil präsentierten die drei Künstlerinnen des Trio Artemis am Sonntagabend eine sehr schwungvolle Interpretation des berühmten HDur-Trios op. 8. von Johannes Brahms. Das erste, sanftmütig-schwelgerische Thema wurde von der Cellistin Bettina Macher sehr innig und doch mit kräftigem Zugriff gespielt. Die Geigerin Katja Hess fügte sich perfekt in das anfangs entworfene Klangbild ein und spann den Faden weiter. Beeindruckend war auch die Leistung der Pianistin Felicitas Strack: Sie vermochte feinste Details ihres Parts differenziert herauszuarbeiten. Das gekonnte kammermusikalische Zusammenspiel wurde besonders bei den Tempoübergängen deutlich: Stets fanden die drei Musikerinnen zu spannungsgeladenen Momenten zusammen. So auch bei der Reprise: Das Hauptthema erschien fast jäh und präsentierte sich danach wie aus einem Guss. Die Coda war schliesslich von starkem Ritardando, dann aber ebenso drängendem Accelerando geprägt, das in einen rasanten Schluss mündete. Das Scherzo wurde in der temperamentvollen Interpretation der drei Musikerinnen mit deutlichem Spiccato in den Streichern gespielt. Das Klavier umspielte die beiden Solistinnen brillant ZO/AvU Seite: 25 Katja Hess, Felicitas Strack und Bettina Macher (v. l.) vom Trio Artemis. (dku) und die sehnsüchtigen Passagen im Trio mit perlend-weichem Anschlag. Im langsamen dritten Satz erzielte Felicitas Strack im einleitenden Choral einen eindrücklichen Effekt, indem sie die Basslinie schön herausarbeitete und somit hervorhob. Im kontrastreichen Finale schliesslich musizierte das Trio hier gefühlvoll, da beschwingt und virtuos, sodass die ganze an und für sich komplizierte Satzstruktur transparent und geschmeidig daherkam. Man erhielt schon fast das Gefühl von einer Leichtigkeit, die man sonst bei Brahms eher vermisst. Leichtere Kost nach der Pause Die vor dem Werk und – etwas gewöhnungsbedürftig – sogar zwischen den Sätzen angebrachten Kommentare des Literaturwissenschafters Iso Camartin verdeutlichten den Werdegang des Stücks und Brahms’ Motivation zu dessen Entstehung. Nach der Pause präsentierte das Trio Ausschnitte aus seiner neuen CD «Simetra». Leichtere Kost, wie Cellistin Bettina Macher betonte. Nicht nur Piazzollas «Tango Nuevo» setzte einen grossen Kontrast, jetzt kam auch der leichtfüssigere Brahms wieder zum Zug: Der fünfte «ungarische Tanz» wurde sehr dynamisch und mit fast schon extremer Agogik gespielt, schwelgerisch und doch hochpräzis. Im berühmten «Alla Turca» von Mozart kam das Cello manchmal fast schrummend zum Einsatz. In Bizets bekanntem «Liebe hat bunte Flügel» aus «Carmen» vollbrachten die Musikerinnen bei den immensen Verzögerungen wahrhaft schauspielerische Leistungen. Den Zuschauern wurde ein sehr abwechslungsreicher, virtuoser Musikabend dargeboten. Das Konzert der Kulturkommission Bäretswil hielt sein im Programm gemachtes Versprechen von «Klassik auf höchstem Niveau». Zwei Morde, Eifersucht, eine Jogging-Frauengruppe und ein heftiger Flirt zwischen dem ermittelnden Kommissar und einer Zeugin: Das sind einige der Zutaten des Krimis «Die gefallene Schneekönigin». Drei Jahre lang hat Gabriela Kasperski am Buch gearbeitet. «Ich wusste, wer der Täter war, den Schluss hatte ich ebenfalls im Kopf, und dann habe ich darauf hingeschrieben», erzählt sie. Die 48-Jährige hat eine Schauspielausbildung und schreibt als Synchronautorin Kinder- und Jugendserien fürs Fernsehen auf Deutsch um. Irgendwann kam der Wunsch, etwas Eigenes zu schreiben. Und für die leidenschaftliche Krimileserin musste es natürlich ein Krimi sein. Figuren, die ans Herz wachsen An diesem Sonntagvormittag ist Gabriela Kasperski nervös. Immer wieder nimmt sie einen Schluck Wasser, setzt sich hin, steht wieder auf, legt sich Halsbonbons bereit. Heute präsentiert sie ihr Buch das erste Mal vor Publikum. Viele Anwesende sind Freunde und Bekannte, auch ihr elfjähriger Sohn und ihr Mann sind da. Der kleine Saal der Bibliothek Mönchaltorf ist voll, zusätzliche Stühle werden herbeigeschafft. Und dann legt Gabriela Kasperski los, liest klar und packend rund zehn Ausschnitte aus ihrem Krimi, der im fiktiven Dorf Waldbach im Zürcher Oberland spielt und die Eigenheiten einer Dorfgemeinschaft mit all ih- ren Abgründen aufzeigt. Immer wieder erntet sie Lacher. Ihr Erstling ist voller süffiger und witziger Dialoge und Figuren, die einem ans Herz wachsen, allen voran der einsame Kommissar Werner Meier, der sich in die Zeugin Zita Schnyder verliebt, welche auf eigene Faust ermittelt. Zudem streut Kasperski viele feine Details ein und schreibt sehr bildhaft. Die dreifache Mutter schreckt auch vor Klischees nicht zurück, etwa wenn sie die lispelnde Wettermoderatorin eines Lokalfernsehsenders beschreibt, welche mehr Ausschnitt als Hirn hat. Verspätung bei Veröffentlichung Doch das Wichtigste fehlt an dieser Lesung: das Buch. Vor vier Jahren hat es Gabriela Kasperski beendet. Als sie es das erste Mal ihrem Mann vorlas, kam der nicht draus. «Ich hatte viel zu viel geschrieben und mich in Details verloren», so die Frau mit den hochgesteckten Haaren und der schwarzen Brille. So kürzte sie es und beschränkte sich aufs Wesentliche. Danach suchte sie einen Herausgeber und fand ihn im Zürcher Kameru-Verlag. Im April dieses Jahres hätte der 450 Seiten lange Krimi erscheinen sollen. Doch laut Verlegerin gab es in der Firma personelle und strukturelle Veränderungen, weshalb das Buch nun erst Ende Dezember erscheint. Was passt: Der Krimi spielt im Winter. Als Wiedergutmachung können sich alle Besucher der Lesung auf einer Liste eintragen und erhalten das Buch vom Verlag gratis. Es soll nicht das letzte von Gabriela Kasperski bleiben. Die Mönchaltorferin plant eine ganze Krimireihe rund um das Ermittlerduo Schnyder & Meyer. Das nächste Buch hat sie bereits zur Hälfte fertig. Es soll spätestens im Frühjahr 2012 erscheinen. (ahu)