43 VERSUCH 6: KONDENSATOR UND INDUKTIVITÄT - WECHSELSTROM 6A Ein- und Ausschaltvorgänge Wird ein Kondensator der Kapazität C über einen Widerstand R mit einer konstanten Spannung Uo verbunden, so lädt er sich auf. Gemäß Maschenregel gilt: R·I + Q/C = Uo oder nach Differentiation nach t und Division durch R: dI I + dt RC = 0 Diese einfache Differntialgleichung wird durch eine exponentiell abfallende Zeitfunktion gelöst, wie sich leicht durch Einsetzen bestätigen läßt: t I(t) = Io·e - RC Io := Uo/R Io ergibt sich aus der Anfangsbedingung Q(t=0) = 0. Der Spannungsabfall am Kondensator ist anfangs 0 und die Gesamtspannung fällt am Widerstand ab. Dies verursacht aber genau den durch Io gegebenen Anfangsstrom. Die Spannung UR am Widerstand ergibt sich beim Einschalten ganz einfach aus dem Strom I. Zusammen mit UC muss sie sich zu Uo addieren: t UR = I(t)·R = Uo·e - RC t UC = Uo-UR = Uo·(1 - e - RC ) Nach Umschalten des im Bild gezeigten Schalters entlädt sich der Kondensator. Obige Differentialgleichung gilt nach wie vor, nur muss jetzt als Anfangsbedingung I(0) = -Io gesetzt werden, da sofort nach dem Umschalten der Kondensator die volle Spannung Uo besitzt (sofern man mit dem Aufladen lange genug gewartet hat). Entsprechend ergibt sich beim Ausschalten: t I = - Io·e - RC t UR = I·R UC = -UR = Uo·e - RC 44 Ersetzt man in obiger Schaltung den Kondensator durch eine Induktivität L, so zeigt sich ein ganz anderes Schaltverhalten, da die Induktivität auf große Stromänderungen mit großen induzierten Spannungen reagiert: dI UL = L· dt Zusammen mit UR muss sich beim Einschalten wieder Uo ergeben, oder nach Division durch R: L dI R · dt + I = Io Diese einfache inhomogene Differentialgleichung wird gelöst durch: R I = Io·(1 - e - L t ) Damit ergeben sich beim Einschalten die Spannungen: R UR = Uo·(1 - e - L t R ) U L = Uo - UR = Uo e - L t Beim Ausschalten der Spule fließt zunächst der Strom Io. In obiger Differentialgleichung wird jetzt die rechte Seite durch 0 ersetzt und es folgt: R I = Io e - L t R U L = - Uo e - L t Eine in der Zeit exponentiell abfallende Funktion kann allgemein ~e-t/τ geschrieben werden. τ wird Zeitkonstante genannt. Der Vergleich ergibt: im RC-Kreis τC = RC im RL-Kreis τL = L/R Nach der Zeit τ ist die jeweilige Größe U oder I auf e-1 = 37% des Ausgangswertes abgesunken. 45 ———> Die Ein- und Ausschaltvorgänge in einem RC- und einem RLKreis sollen mit dem Oszillographen untersucht werden. Die Oszillogramme werden mit Hilfe eines Druckers kopiert. Aus ihnen lassen sich die jeweiligen Zeitkonstanten bestimmen und mit den theoretischen Werten vergleichen. Anstelle eines Wechselschalters wird im Versuch eine Rechteckspannung mit 200 Hz zur Simulation des Ein- und Ausschaltvorganges verwendet. Verdrahten Sie den Aufbau gemäß Schaltbild und verwenden Sie für den Oszillographen folgende Einstellungen: Channel I + II : 1 V/cm oder 0,5V/cm Timebase: 0.2 ms/cm calibriert (eingerastet) X-Mag : x1 Trigger: AT Norm YB : + ALT nicht gedrückt Speichermodus : abgeschaltet später mit „store“ und „hold“ einschalten Stellen Sie mit der X- und Y- Verschiebung und mit der Amplitude der Eingangsspannung das Signal so ein, dass Sie bei der Auswertung das Gitternetz optimal einsetzen können. Sie können außerdem mit der variablen Eingangsempfindlichkeit der Y-Verstärker die Signale so vertikal dehnen oder stauchen, dass sie die 8 Kästchen vertikal voll ausfüllen. Für die spätere Auswertung ist die Kalibrierung in Y- Richtung ohne Bedeutung. Melden Sie sich beim Betreuer, nachdem Ihnen die Einstellung gelungen erscheint. Er unterweist Sie in der Bedienung des Drucker- Einschubes. Sie müssen für UC und UL je ein Oszillogramm aufnehmen. Damit Sie jeweils abklingende 46 e- Funktionen bekommen, muss beim Kondensator auf den Ausschalt- und bei der Spule auf den Einschaltzeitpunkt getriggert werden. (Wenn diese sogenannte Triggerung des Signals Probleme bereitet, so erklärt Ihnen dies Ihr Betreuer am besten während des Versuches.) (Ausdrucken mit „store“ und „hold“ und „print“) __/ \/ <=>? Logarithmiert man eine exponentiell abfallende Funktion, so erhält man z.B.: U = Uoe-t/τ ⇒ ln U = ln Uo - t/τ Eine Auftragung von ln U über t führt also auf eine abfallende Gerade, deren reziproke Steigung die Zeitkonstante τ ergibt. In der Praxis verwendet man sog. halblogarithmisches Papier, dessen logarithmische y-Achse so konstruiert ist, dass sich im Prinzip eine lineare Auftragung von ln y ergibt (siehe Bild). Übertragen Sie die Spannungen beider Oszillogramme auf halblogarithmisches Papier und bestimmen Sie die Zeitkonstante gemäß: t -t1 τ = ln U 2- ln U2 1 47 Vergleichen Sie τC mit dem theoretischen Wert. Berechnen Sie aus τL die Induktivität L, wobei zum Vorwiderstand zusätzlich der ohmsche Spulenwiderstand von berücksichtigt werden muss. RL = 1.65kΩ 6 B Wechselstrom-Widerstände Neben den Ein- und Ausschaltvorgängen spielen in der Technik sinusförminge Strom- und Spannungsverläufe eine große Rolle. Sie werden allgemein Wechselströme und -spannungen genannt und mit Kleinbuchstaben i(t) bzw. u(t) bezeichnet: ^ sin(ωt+ϕ) i(t) = i ^ sin(ωt+ϕ) u(t) = u ^ i bzw. ^ u kennzeichen dabei die jeweiligen Scheitelwerte, ω die Kreisfrequenz 2πf und ϕ einen evtl. auftretenden Phasenwinkel. ^C Liegt an einem Kondensator eine Wechselspannung uC = u sin ωt , so beträgt die gespeicherte Ladung in jedem Moment q(t) = C·uC(t), aus der sich durch Differentiation der Strom iC ergibt: du d iC(t) = C · dtC = C · u^C dt sin ωt = ωC·u^C cos ωt Der Strom eilt damit am Kondensator der Spannung um 90° voraus, sein Scheitelwert beträgt ^i C = ωC·u^C. Das Verhältnis ^C wird als kapazitiver Widerstand XC bezeichnet: ^ uC / i 1 XC = ωC ^L sin ωt , Fließt durch eine Induktivität der Strom iL = i so muss an ihr die Spannung uL = L·diL/dt anliegen oder: di d uL(t) = L · dtL = L · ^i L dt sin ωt = ωL·^i L cos ωt Die Spannung eilt damit an der Induktivität dem Strom um 90° voraus, ihr Scheitelwert beträgt u^L = ωL·^i L und das Ver^ / i ^L ergibt den induktiven Widerstand XL: hältnis u L XL = ωL Da sowohl beim Kondensator als auch bei der Spule (bei Vernachlässigung des ohmschen Widerstandes) Strom und Spannung eine Phasenverschiebung von 90° aufweisen, wird 48 in diesen Komponenten im Mittel keine Leistung verbraucht. Man spricht daher beim kapazitiven und induktiven Widerstand von Blindwiderständen. Bei einer Reihenschaltung von Blindwiderständen und ohmschen Widerständen fließt durch alle Bauteile in jedem Moment derselbe Strom i. Die Gesamtspannung u ergibt sich aus der Addition der Spannungsabfälle an den Einzelkomponenten. Ist i z.B. eine reine Sinusfunktion i = ^i sin ωt , so muss sich folgendes ergeben: uR = uC = uL = u^R sin ωt -u^C cos ωt u^L cos ωt ^ ^ ) ( uR = R·i ⇒ uR = R·i ( u^C = ^i /ωC , Strom eilt 90° voraus ) ( u^L = ^i ·ωL , Spannung eilt 90°voraus) Die Addition der Teilspannungen ist mathematisch etwas umständlich, da trigonometrische Additionstheoreme benutzt werden müssen. Man macht sich daher die Vorgänge lieber in sogenannten Zeigerdiagrammen anschaulich, in denen die Ströme und Spannungen durch Zeiger dargestellt werden, die mit der ω entsprechenden Geschwindigkeit z.B. gegen den Uhrzeigersinn um den Nullpunkt rotieren (also z.B. bei Netzfrequenz mit 50 Umdrehungen pro Sekunde). Die eigentlichen Größen ergeben sich durch Projektion der Zeiger auf die y-Achse. Mit diesen Vereinbarungen kann obiger Strom i durch einen Zeiger dargestellt werden, ^ der z.Zt. t=0 in x-Richtung zeigt und dessen Länge genau i beträgt (siehe Bild). Schickt man diesen Strom nun durch die Reihenschaltung eines ohmschen Widerstandes und eines Kondensators, so können die Zeiger für die Teilspannungen uR und uC in dasselbe Diagramm mit eingezeichnet werden und zwar für uR in Richtung i und für uC in neg. y- Richtung. All diese Zeiger bilden zusammen ein Gerüst, das mit z.B. 50Hz gegen den Uhrzeigersinn rotiert. Man überlegt sich leicht, dass die Projektionen auf die y-Achse gerade die richtigen, oben angegebenen Zeitfunktionen ergeben. Der Vorteil der Zeigerdiagramme ergibt sich aus folgendem Umstand: die Summe der Projektionen von uR- Zeiger und uCZeiger ist gleich der Projektion eines einzigen Zeigers, 49 der sich aus der Vektoraddition des uR- und uC- Zeigers ergibt. Einen einfachen geometrischen Beweis sieht man im gezeigten Diagramm für t>0. Dieser resultierende Zeiger wird der Gesamtspannung u zugeordnet. Aus der Lage der ^ bestimmen: Zeiger bei t=0 kann man leicht seine Länge u ^ ^R2 + u ^C2 u 2 = u u^ Z := ^i = R2 + 1 (ωC)2 Z² = R² + XC² Das oben definierte Verhältnis Z wird Scheinwiderstand der Reihenschaltung genannt. Der Winkel zwischen u- Zeiger und i- Zeiger ist der Phasenwinkel ϕ, der sich auch ganz einfach aus dem Zeigerdiagramm ergibt und mit dessen Hilfe u(t) als u^ sin(ωt+ϕ) geschrieben werden kann: 1 X u^ = - Rc tan ϕ = - u^C = ωCR R Die Serienschaltung einer Induktivität und eines Widerstandes ergibt eine ähnliche Situation, nur dass der uLZeiger diesmal dem Strom vorauseilt. Das entsprechende Zeigerdiagramm ist im Bild dargestellt. Aus ihm lassen sich folgende Ergebnisse ablesen: Z = R2 + (ωL)2 ωL X tan ϕ = R = RL ———> Der Scheinwiderstand einer RCoder einer RL- Reihenschaltung soll in Abhängigkeit der Frequenz untersucht und die Phasenverschiebungen sollen beobachtet werden. 50 Wert des Widerstandes: Wert des Kondensators: Wert der Induktivität: 10 Ω , 22 Ω, 47 Ω oder 63 Ω 0,10µF, 0,22µF, 0,47µF oder 0,68µF Luftspule 500 Windungen Einstellung des Oszillografen: A-Kanal: 0,5 V/cm B-Kanal: 1 V/cm Die Gesamtspannung u wird mit einem Signalgenerator erzeugt. Seine Frequenz kann variiert und digital abgelesen werden. Neben dieser Spannung beobachtet man am Oszillographen auch die Spannung uR, die ein direktes Maß für den Strom i gemäß uR = R·i ist (Verdrahtung s. Bild). Sie können mit dem Oszillographen am bequemsten die "SpitzeSpitze-Spannung" ablesen, die gleich dem doppelten Schei^ auf einen telwert ist. Stellen Sie am Signalgenerator u ^ = 1V. Wert ein, mit dem Sie leicht rechnen können z.B. u Dieser Wert driftet im Verlauf der Messung und sollte deshalb öfter kontrolliert und eventuell korrigiert werden. Die Verstärkereingänge des Oszillographen müssen bei der Messung unbedingt in Stellung "cal." stehen. Die Empfindlichkeit der Eingänge sollten Sie den auftretenden Signalspannungen so anpassen, daß Sie die Amplitudenwerte optimal ablesen können. Für die Zeitbasis können Sie Ablenkungen zwischen 0.2ms/cm (bei 1.5kHz) und 20 µs/cm (bei 15kHz) wählen. Stellen Sie nun am Signalgenerator die in der Tabelle angegebenen Frequenzen ein und messen Sie mit dem Oszillo^R. Werden graphen die zugehörigen Scheitelspannungen u Spitze- Spitze- Werte abgelesen, so muss durch 2 geteilt werden, um die Scheitelwerte = Amplituden zu erhalten. 51 RC-Reihenschaltung ^ C /µF: u /mV: R / Ω: ^R / mV ^ /mA Z / Ω XC / Ω ϕ/° f /kHz u i C / µF 1/f /10-6s 1.5 2 3 4 5 6 7 8 9 10 12 15 Vervollständigen Sie die kursiv bezeichneten Spalten der Tabellen mit Hilfe der im Theorieteil angegebenen Formeln: î = ûR/R oder: Z = û/î XC,L = Z2-R2 C = 1/ωXC bzw. L = XL/ω RL- Reihenschaltung Notieren Sie in der Tabelle die geometrischen Abmessungen l und r sowie die Windungszahl N der Spule l/cm: r/cm: Windungszahl N: u^/mV: Spule Nr.: R/Ω: ^ ^ f/kHz uR/mV i /mA Z/Ω XL/Ω ϕ/° L/mH 1.5 2 3 4 5 6 7 8 9 10 12 15 Beachten Sie bei der RL- Schaltung, dass neben dem eingesetzten ohmschen Widerstand R auch die Spule einen ohmschen Widerstand RL besitzt, der aber zur Vereinfachung gegenüber R vernachlässigt wird. 52 __/ \/ <=>? Berechnen Sie aus den Tabellen Mittelwerte und Messunsicherheiten für C bzw. L gemäß Kapitel F.7 der Fehlerrechnung. Vergleichen Sie diese Ergebnisse mit dem aufgedruckten Wert des Kondensators bzw. mit dem theoretischen Wert der Induktivität L = µoN2A/l. Stellen Sie XC(1/f) bzw. XL(f) graphisch dar und vergleichen Sie den Frequenzgang mit der Theorie.