Sprache, Logik, Mathematik - Nortmann, ReadingSample - Beck-Shop

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Sprache, Logik, Mathematik
von
Ulrich Nortmann
1. Auflage
Sprache, Logik, Mathematik – Nortmann
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
Thematische Gliederung:
Grundlagen der Mathematik
mentis 2003
Verlag C.H. Beck im Internet:
www.beck.de
ISBN 978 3 89785 378 2
Inhaltsverzeichnis: Sprache, Logik, Mathematik – Nortmann
Kapitel I
Einleitung und Übersicht
An einführenden Logik-Lehrbüchern, die sich besonders an Studierende der Philosophie in
den Anfangssemestern wenden, ist kein Mangel. Oft befriedigen diese Bücher allerdings die
Interessen von ambitionierteren Studentinnen und Studenten nicht im wünschenswerten
Maße. Das liegt sicherlich zum guten Teil an der Stoffauswahl, zum Teil wohl auch an
der Darstellungsweise. Gelegentlich, vielleicht auch sehr viel häufiger als nur gelegentlich,
kommen dann Fragen auf wie: „Weshalb ist dieser Stoff wichtig, was hat er mit Philosophie
im eigentlichen Sinne zu tun, hat er damit überhaupt etwas zu tun?“
Oft wird viel Platz darauf verwendet, Lesern anhand ausgedehnter Übungen den
Umgang mit sogenannten Kalkülen des „natürlichen Schließens“ nahezubringen. Mir
erscheint das wenig sinnvoll. Deshalb soll hier auch gar nicht näher erklärt werden, was es
mit solchen „Kalkülen“ auf sich hat. Nur soviel sei an dieser Stelle gesagt: Es handelt sich
um quasi-axiomatische Beweissysteme, in denen man nach bestimmten Verfahrensregeln
gültige prädikatenlogische Formeln herleiten kann. Der Begriff der gültigen prädikatenlogischen Formel wird uns über eine weite Strecke beschäftigen. Er ist in der Tat zentral.
Gültige prädikatenlogische Formeln sind, in erster Näherung gesagt, symbolische Zeichenverbindungen, die logische Gesetze zum Ausdruck bringen, darunter solche, die man
prädikatenlogische Schlußgesetze nennen kann.
Daß Logik, zumindest am Beginn, es mit schließendem Argumentieren und dessen
Analyse und Systematisierung zu tun haben wird, entspricht sicherlich der allgemeinen Erwartung. Sie stimmt mit der Tatsache zusammen, daß die Bezeichnung „Logik“
vom griechischen logos hergenommen ist – einem Wort, das neben anderem soviel wie
„Rechenschaft“ bedeutet. Rechenschaft kann man durch das Vorbringen von Argumenten
ablegen. Wenn die Argumente gut sind (und wenn sie überdies nicht lediglich Plausibilitätsbetrachtungen oder empirische Induktionen darstellen, sondern der „deduktiven“
Spezies angehören), dann entsprechen sie logischen Gesetzen.
Wo man es mit einem umfänglichen, womöglich unendlichen, Bestand von Gesetzen
zu tun hat – und es ist so im Bereich der Logik –, da stellt sich durchaus über kurz oder
lang die Frage: Könnte dieser Gesetzesbestand nicht in einem überschaubaren axiomatischen oder quasi-axiomatischen Rahmen untergebracht werden? Dies ist die Frage nach
der Existenz eines entsprechenden Beweissystems. Sie wird auch in diesem Buch eine
Rolle spielen. Sie wird durch die Formulierung eines logischen Axiomensystems und eine
Reihe von darauf bezogenen Beweisführungen positiv beantwortet werden. Über die Tatsache der Existenz eines vollständigen Axiomensystems (für die prädikatenlogisch gültigen
Formeln) hinaus wird uns der Umgang mit einem solchen System aber nicht interessieren. Es kann nicht im Ernst darum gehen, für den Zweck der Überprüfung einer etwa
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Kapitel I
in einem philosophischen Text vorgefundenen deduktiven Argumentation den Versuch
zu empfehlen, eine dieser Argumentation korrespondierende prädikatenlogische Formel
in einem für prädikatenlogische Zwecke konzipierten Kalkül des natürlichen Schließens
oder irgendeinem sonstigen Beweissystem abzuleiten. Für solche praktischen Zwecke
kommen – jedenfalls im Bereich dessen, was man klassische Aussagen- und Prädikatenlogik nennt – vernünftigerweise an erster Stelle inhaltlich-semantische Erwägungen über
die Gültigkeit der betreffenden Formeln bzw. über Implikationsbeziehungen zwischen
Teilformeln in Betracht. Damit sind Erwägungen gemeint, wie sie etwa zur Begründung
von Behauptung 1 und Behauptung 2 in Kapitel III angestellt werden.
Oft ist der syntaktische Rahmen, innerhalb dessen prädikatenlogische Formeln gebildet
werden können, um etwa die logischen Formen wortsprachlicher Aussagen darzustellen
(soweit diese ihre logische Form ohne weiteres preisgeben) und schließlich die logischen
Formen ganzer Argumentationen zu repräsentieren, zu eng gezogen. Zu eng nämlich, als
daß er den Ausdrucksmöglichkeiten gerecht werden könnte, die man bei der (Re-)Formulierung authentischer wissenschaftlicher Theorien im allgemeinen zur Verfügung haben
muß. Paradigmatische axiomatische Theorien, die den Bereich des aus logischen Gründen
Geltenden überschreiten, wie die sogenannte Peano-Arithmetik oder die Newtonsche
Gravitationstheorie enthalten Aussagen, in denen sozusagen an vorderster Front Funktions- oder Operationszeichen vorkommen, insbesondere in Verbindung mit dem Gleichheitszeichen oder irgendeinem wortsprachlichen Ausdruck der Identität. Wie wenn es
etwa mit einem der Peano-Axiome heißt: „Für je zwei beliebige natürliche Zahlen x und y
gilt, daß im Falle der Gleichheit der respektiven Nachfolger von x und y die Zahlen x und
y selbst miteinander identisch sind.“ Hier tritt der Ausdruck „der Nachfolger von …“ als
Bezeichnung einer Funktion auf, die einer natürlichen Zahl deren unmittelbaren Nachfolger in der Zahlreihe zuordnet. Wenn es in der Logik auch darum geht – und insbesondere
in bestimmten philosophisch relevanten Bereichen der Logik geht es tatsächlich eben
darum –, Aussagen über realistische Fälle von axiomatischen Theorien und über die
Reichweite der in ihnen enthaltenen Beweismöglichkeiten zu gewinnen, dann sollte die
logische Syntax am besten von Beginn an so reich sein, daß sie den Ausdrucksmitteln
solcher Theorien im wesentlichen entspricht.
Es bedarf also eines Begriffes der prädikatenlogischen Formel, der Identitäts- und Funktionszeichen nicht ausspart. Und es bedarf natürlich einer Thematisierung von philosophisch relevanten Teilen der Logik, wie sie soeben gemeint waren – andernfalls wird allzu
leicht der unzutreffende Eindruck vermittelt, Logik für Philosophen sei ein Betätigungsfeld
für Freunde belangloser Spielereien und unnötiger Formalitäten. Eine verbreitete Praxis,
zu Übungszwecken Beispiele der logischen Analyse zu unterwerfen, welche nicht selten
aus Sätzen und Argumentationen bestehen, die ans Alberne grenzen, ist leider geeignet,
solchen Eindrücken zusätzlich Vorschub zu leisten, insbesondere bei ohnehin schon skeptischen Lesern. An sich eignen Beispiele der fraglichen Art sich in den gelungenen Fällen
sehr gut, die logischen Punkte zu verdeutlichen, um die es geht – gerade weil sie nicht
mit aus anderen Quellen herrührenden Schwierigkeiten belastet sind. Es muß aber durch
die Stoffauswahl insgesamt in überzeugender Weise klar werden, daß es letztlich, wenn
einmal sozusagen das kleine Einmaleins der Logik angeeignet ist (und sei es auch unter
Einbeziehung von mitunter kindlich wirkenden Übungen), doch um Angelegenheiten
Einleitung und Übersicht
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von größerem Gewicht geht – beispielsweise um so etwas wie eine Kritik der axiomatisch
verfahrenden Vernunft.
In dieser Hinsicht reicht es nicht aus, wenn wie in vielen Einführungsbüchern quasi als
abschließender Höhepunkt der logischen Exerzitien ein Gödelscher Vollständigkeitssatz
für ein prädikatenlogisches Beweissystem bewiesen wird. Philosophisch wirklich aufregend wird es erst, sobald von dem damit erreichten Standpunkt aus weitergegangen wird.
Von Darstellungen, die nicht einmal dieses erste anspruchsvollere Zwischenziel anstreben, spreche ich jetzt nicht. Solche Bücher, die dieses Ziel zwar erreichen, doch erst nach
einem schleppenden Beginn mit einem langen Verweilen bei Gegenständen, welche bei
Skeptikern unter Belanglosigkeitsverdacht stehen mögen – sie laufen Gefahr, die ambitionierteren Leserinnen und Leser bereits verloren zu haben, wenn es dann endlich ans
Substantielle geht.
Ausgezeichnete Logikbücher von einführendem Charakter, die hauptsächlich mit
einem Blick auf Studierende der Mathematik und speziell der mathematischen Logik
geschrieben sind, finden sich in erfreulich großer Zahl auf dem Markt. Hat man jedoch
angehende Philosophen im Sinn, so sind diese Bücher in der Regel nur bedingt geeignet.
Denn von der Darstellungsart her pflegen sie solchen Lesern angemessen zu sein, die
bereits in anderen Zusammenhängen, parallel zu ihrer Einarbeitung in die Logik, ein Training in mathematischen Argumentationstechniken erfahren oder es schon erfahren haben.
Ferner zielen diese Bücher im allgemeinen auf die Vermittlung einer repräsentativen Auswahl aus dem Stoff, der im Bereich der mathematischen Logik als einer inzwischen längst
eigenständigen Disziplin mit ihren eigenen Spezialinteressen eine Rolle spielt. Das für Philosophen interessante Material findet sich dabei häufig verstreut unter die Fülle des sonstigen Materials, und Einsteiger vermögen im allgemeinen nicht zuverlässig abzuschätzen,
was sie beiseite lassen können und was philosophisch verwertbar ist.
Die aufgezeigte Angebotslücke soll mit dem vorliegenden Buch gefüllt werden. Im
zweiten und dritten Kapitel werden ohne große Umschweife der Begriff einer Formel
der „erststufigen“ Prädikatenlogik (wie man sagt) mit Identität und Funktionszeichen
eingeführt sowie die zugehörige formale Semantik entwickelt, mitsamt dem durch sie
ermöglichten Begriff von logischer Gültigkeit. Dabei geben in der natürlichen Sprache
vorgefundene syntaktische und semantische Verhältnisse den Leitfaden ab. In diesem
Zusammenhang kommt einiges an sprachphilosophischem Material ins Spiel. Aussagenlogische Formeln und aussagenlogische Gültigkeit werden als Spezialfälle berücksichtigt.
Gelegentlich eingestreute historische Splitter vermitteln einen ersten Eindruck vom geschichtlichen Gang der Dinge von Aristoteles über das lateinische Mittelalter hin zu Frege
und Gödel. 1 Das vierte Kapitel bringt sodann im klassischen Format eine Axiomatisierung
der Menge der gültigen Formeln der Prädikatenlogik mit Identität und Funktoren und
begründet die Korrektheit der Axiomatisierung. Im fünften Kapitel werden Hilfsmittel
für einen Beweis der Vollständigkeit des im vierten Kapitel eingeführten Axiomensystems
zusammengestellt, und im sechsten Kapitel wird für dieses Axiomensystem ein Gödel1 Leser, die an einer systematischen Vertiefung ihrer Kenntnis der geschichtlichen Seite der Logik interessiert
sind, werden sehr gut bedient durch Martha und William Kneales Überblicksdarstellung The Development of
Logic (Oxford 1962 und öfter).
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Kapitel I
scher Vollständigkeitssatz formuliert sowie dessen Beweis nach der Methode von Henkin
durchgeführt.
Damit ist die Grundlage geschaffen für die Einführung des Begriffs einer axiomatischen Theorie erster Ordnung im siebten Kapitel. An Beweismöglichkeiten soll in einer
solchen Theorie gerade die Gesamtheit der prädikatenlogischen Schlußweisen enthalten
sein. Nachdem man aufgrund des Vollständigkeitssatzes weiß, mit welchen logischen
Axiomen und Beweisregeln man diese Gesamtheit im Griff hat, kann man sagen: Inhaltliche axiomatische Theorien, die in ihren Aussagen über das schon aus logischen Gründen
Geltende hinausgehen, kommen einfach dadurch zustande, daß dem Grundbestand logischer Axiome geeignete inhaltliche Axiome hinzugefügt werden (ohne daß es noch einer
Erweiterung auf der Seite der Beweisregeln bedürfte).
Wie steht es um die Möglichkeiten und Grenzen derartiger Theorien? Hierzu liefert der
Beweis des Vollständigkeitssatzes eine Konsequenz, die ein gewichtiges Indiz darstellt für
die Vermutung, daß axiomatische Theorien vielleicht grundsätzlich „unvollständig“ seien,
daß sie stets gewisse in ihrem Vokabular Ausdruck findende Fragen im Unentschiedenen
belassen könnten. Im Verlauf des siebten Kapitels wird dieser Vermutung nachgegangen
und der Erste Gödelsche Unvollständigkeitssatz formuliert. Einen kompletten Beweis
dieses Satzes zu bringen wäre eine langwierige Angelegenheit. Die Darstellung des siebten Kapitels beschränkt sich – mit der Formulierung und dem dann allerdings kompletten
Beweis eines „Prä-Gödelsatzes“ – auf denjenigen immerhin schon sehr lehrreichen Teil des
Gödelschen Beweises, den man entwickeln kann, ohne in die Details einer sogenannten
Arithmetisierung der Beweisbeziehung und der dafür benötigten technischen Infrastruktur
einzusteigen. Auch der „Prä-Gödelsatz“ (Theorem 7.2) ist nicht ohne eine Menge Vorbereitungen zu haben. Wer sich aber hindurcharbeitet, wird sich schließlich in einen zentralen
Bereich von Erkenntnistheorie und Philosophie der Mathematik eingeführt finden.
Es ist ausgeschlossen, einen Überblick über eine Darstellung so zu geben, daß allein
durch diesen Überblick Leser in die Lage versetzt werden, mit allen angesprochenen
Punkten ein vollkommen klares Verständnis zu verbinden. Ein Überblick, mit dem das
erreicht würde, wäre bereits die Darstellung selbst. Man setze also getrost darauf, daß der
Rest des Buches Antworten auf etwaige offene Fragen bieten wird.
Die hier und da in den Fußnoten gegebenen Hinweise auf ausgewählte Literatur sollten
Interessenten in die Lage versetzen, von der Grundlage des in diesem Buch gebotenen
Materials aus ihren individuellen Weg in das hinein zu finden, was man „logische Philosophie“ nennen kann. Wer sich mit grundlegenden Begriffen und Resultaten einer solchen
Philosophie bekannt machen läßt und dabei Mühe investiert, dem werden die dahinter
stehenden Personen nicht gleichgültig sein; auch könnte ihm die Frage nach dem Umfeld
in den Sinn kommen, in dem diese Personen ihren jeweiligen Beitrag leisteten. Demgemäß
handelt dieses Buch, wenigstens ein Stück weit, auch von Menschen und Institutionen. 2
2 Eine Fundgrube in dieser Hinsicht ist, neben einigen im weiteren Verlauf noch zu nennenden Biographien, das
2002 im Heidelberger Spektrum der Wissenschaft Verlag erschienene Heft „Kurt Gödel: Logische Paradoxien
und mathematische Wahrheit“ (Gianbruno Guerrerio).
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