DIE REZEPTION DES BUCHES L DER METAPHYSIK DES ARISTOTELES UND DESSEN PRINZIPIENLEHRE Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor philosophiæ (Dr. phil.) eingereicht an der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin und verteidigt am 3. Juni 2011 von Mag. phil. Enrique José García de la Garza Der Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin Der Dekan der Philosophischen Fakultät I Gutachter 1. Prof. Dr. Christoph Helmig 2. Prof. Dr. Christof Rapp Para Carlos mi hermano in memoriam to\ de\ tou=to zhtei=n e)sti\ to\ th\n e(te/ran a)rxh\n zhtei=n, w(j a)\n h(mei=j fai/hmen, o(/qen h( a)rxh\ th=j kinh/sewj Metaphysica A3 984a25-27 INHALTSVERZEICHNIS VORWORT | 1 EINLEITUNG | 5 1. Das vorsokratische Denken über das Göttliche | 10 2. Ursprung und Gebrauch der Begriffe „Theologie“ und „natürliche Theologie“ | 14 3. Skizzierte Rekonstruktion der Gotteslehre Platons | 16 4. Die aristotelische qeologikh/ | 19 5. Die Untersuchung der Prinzipien: sofi/a, prw/th filosofi/a und qeologikh/ | 22 1. KAPITEL: L IST THEOLOGIE | 30 1. Die Überlieferung von L unter den peripatetischen Denkern | 30 2. Themistius’ Paraphrase | 35 3. Wandlungen in der Interpretation von L unter den Neoplatonikern | 39 4. Die syrische Schule und die Araber | 42 5. Moderne Kommentatoren | 43 5.1 Philologische und philosophische Kommentare des XIX. Jahrhunderts in Deutschland | 44 5.2 Sir William David Ross | 51 5.3 Weitere Kommentatoren des XX. Jahrhunderts | 53 2. KAPITEL: L IST OUSIOLOGIE | 60 1. Ursprung dieser Interpretation | 60 2. Michael Fredes Interpretation | 64 3. Kritik an Fredes Position | 80 3. KAPITEL: L IST ERSTE PHILOSOPHIE | 89 1. Lindsay Judson: ein Kompromiss zwischen Theologie, Archäologie und Ousiologie | 89 2. Kritik an Judsons Position | 95 4. KAPITEL: L IST ARCHÄOLOGIE | 99 1. Stephen Menn: L ist Archäologie – die letzte Phase der Suche der sofi/a | 100 2. Kritik an Menns Position | 111 5. KAPITEL: L IST SOPHIA | 117 1. Die Architektur von L | 119 1.1 Das strategische Programm von L | 119 1.2 A map of Metaphysics L (nach dem Beispiel von M. Burnyeat) | 126 1.3 Entscheidende Begriffe in L | 135 2. Ist L abhängig oder unabhängig von der Metaphysik? | 136 2.1 Gemeinsamkeit eines Projektes: A und L | 139 2.2 Auf der Suche nach der archäologischen Rolle von L innerhalb der Metaphysik | 143 3. Wortuntersuchung | 146 4. Meine eigene Position: L ist sofi/a | 148 4.1 Eine schwache ousiologische Lesart von L | 149 4.2 Meine Position Menns archäologischer Lesart gegenüber| 157 4.3 Ein Einwand | 162 SCHLUSSWORT | 165 ANHÄNGE 1. Ein Reiseführer für L | 171 2. Tabelle: Begriffe in L | 195 BIBLIOGRAPHIE | 197 1. Aristoteles Literatur: kritischer Text, kommentierte Übersetzungen | 197 2. Antike Kommentare zu Aristoteles | 199 3. Weitere Kommentare zu Aristoteles | 200 4. Spezialliteratur zur Metaphysik L | 201 5. Spezialliteratur zu Aristoteles | 205 6. Klassische Autoren | 212 7. Weitere Fachliteratur | 213 8. Verschiedenes | 218 VORWORT Gegenstand dieser Arbeit ist das zwölfte Buch der Metaphysik des Aristoteles. Es liegen zwar bereits zahlreiche Studien über das Buch L vor, aber bis jetzt hat noch niemand die verschiedenen Interpretationen, die im Laufe der Geschichte über diesen Text entstanden sind, zu analysieren versucht1. Aufgrund der Tatsache, dass L ein wesentlicher Text nicht nur für das Verständnis des komplexen Denkens des Aristoteles ist, sondern auch für eine bessere Verständigung der westlichen Zivilisation, ist eine Untersuchung dieses wichtigen Buches erstrebenswert. Viele Autoren haben sich schon mit der Metaphysik befasst, wie zum Beispiel Alexander von Aphrodisias, Themistius, Symplikios, Philoponos, dann Thomas von Aquin oder Averroës, und später Bekker, Bonitz, Schwegler, Ross, Guthrie, Merlan, Gadamer, Jaeger, Tricot. Sie alle schrieben Kommentare dazu. Von besonderer Bedeutsamkeit sind Leo Elders2, Giovanni Reale3, Michael Bordt4 und Erwin Sonderegger5, da es sich bei ihren Kommentaren zum Buch L um die wenigen aktuellen unserer Zeit handelt. Jedoch liegt das Problem darin, dass Elders und Reale von einer völlig veralteten Auslegung – die L für ein theologisches Werk hält – ausgehen. Bordt und Sonderegger verlassen allerdings die alte Interpretation. In dieser Hinsicht hat auch das XIV. Symposium Aristotelicum kürzlich den Untersuchungen zum Buch L einen neuen Impuls gegeben6. Eine besondere Rolle in dieser Arbeit spielen Joseph Owens7, Richard Sorabji8, Michael Frede9 und Stephen Menn10. Owens äußerte hier zum 1 Als die erste Version dieser Arbeit bereits vorlag, ist ein Kommentar zu L samt historischem Überblick über die verschiedenen Interpretationen erschienen. Vgl. Sonderegger (2008). 2 Vgl. Elders (1972). 3 Vgl. Reale (1993). 4 Vgl. Bordt (2006). 5 Vgl. Sonderegger (2008). 6 Vgl. Frede & Charles, Hgg. (2000). 7 Vgl. Owens (1979). 8 Vgl. Sorabji (1990a). 9 Vgl. Frede (2000a) und (2000b). 10 Vgl. (masch. Manuskript), The aim and the argument of Aristotle’s Metaphysics, vor allem den dritten Teil „The true path“. Da betrachtet Menn Bücher Q und L als eine thematische Einheit. Menn (masch. Manuskript), § „Q and the ongoing investigation peri\ a)rxw=n“, 1: „I think that L is, as it appears to be, the intended culmination of the Metaphysics, and that the main purpose of Q is to provide the premises and the conceptual apparatus that Aristotle will need for L’s determinations peri\ a)rxw=n“. Vgl. auch Menn (2009), 211-221 und 253-265. Nota bene: Da ich nur über ein unvollendetes Manuskript – erstmals aus Anlass eines Seminars in Berlin, später online zugänglich – mit verschiedenen Seitenbezeichnungen verfüge, muss ich in Menns Fall auf ganze Abschnitte (§) hinweisen. Das Manuskript ist auch unter |1| ersten Mal die Vermutung, dass L keine theologische Untersuchung war. Sorabji hat einige erste Hinweise gegeben, um der Interpretation eines „transformierten“ Aristoteles nachzuforschen. Frede steht für das Aufbrechen der alten, theologischen Hermeneutik des L-Textes. Das ist der heutige Ausgangspunkt. Darauf basierend schreibt Menn einen erleuchtenden, bisher noch unveröffentlichten Kommentar. Trotz dieser Mühe gibt es noch immer zwei Lücken: Bisher ist die Geschichte der verschiedenen Interpretationen von L kaum geforscht worden11. Aus welchem Grund? Die Kommentatoren haben sich zuerst auf den Inhalt des Buches konzentriert. Dass es sich um ein theologisches Buch handeln sollte, war selbstverständlich. Doch die Frage nach der Absicht des Autors blieb aus, und damit auch die entsprechende Untersuchung, die die Interpretation des Buches hätten verändern können12. Bereits dies ist eine Meta-Ebene. Die erste Stufe müsste also eine historische Revision der verschiedenen Meinungen sein. Die zweite Lücke besteht darin, dass bis jetzt eine „Karte“ von L –der Name geht zurück auf Burnyeats Map zu Metaphysik Z13– fehlte, die dem Leser die Meilensteine und die verschiedenen Wege aufzeigt. Ich versuche, beiderlei Lücken zu füllen, um eine neue Lesart des Textes anzubieten. Die vorliegende Arbeit soll also die Entstehung verschiedener Interpretationen des Buches L der Metaphysik verdeutlichen. In meiner Arbeit stelle ich eine Doppel-Perspektive vor: eine historische –die ich keineswegs „doxographisch“ nennen würde– und eine philosophische. Zunächst untersuche ich die verschiedenen Hermeneutiken, die L im Laufe der Jahrhunderte erhielt. Diese Transformation der antiken Autoren ist den www.philosophie.hu-berlin.de/institut/lehrbereiche/antike/mitarbeiter/menn/contents zu finden (aufgerufen am 2. Oktober 2013). Eine kurze Fassung seiner Interpretation hat er bereits in seinem Beitrag zum XVI. Symposium Aristotelicum veröffentlicht. 11 Erwin Sonderegger ist eine eher unbekannte Ausnahme. Er übt Kritik gegen die theologische Interpretation von L: „Es ist erstaunlich, mit welcher Energie die Standardinterpretation immer wieder, leicht verändert, frischgehalten wird. Gewiss, ein Teil der Energie erklärt sich durch bestimmte religiös-vitale Interessen. Die dauernde Neuaufbereitung des mittalterlichen Aristotelismus erfüllt in verschiedenen Ausprägungen des Christentums einen Zweck im Aufbau der Lehre und behält dadurch einen Sitz im Leben, der einen Teil des Interesses erklärt. Doch reicht das Interesse an der Standartinterpretation, dass Met. L tatsächlich eine Theologie enthalte, über (neu)scholastische und christliche Grenzen hinaus. Was hängt denn überhaupt daran, dass die Metaphysik von Aristoteles wirklich eine Metaphysik enthalte, und dass Aristoteles in Met. L wirklich eine Theologie in irgendeiner Form behaupte? All das wäre weniger erstaunlich, wenn – abgesehen für die genannten Bereiche – irgendeine Form der je rekonstruierten Theologie für irgendjemanden relevant wäre. Das ist aber nicht der Fall“; Sonderegger (2008), 163. 12 Sonderegger (2008), xxiii „Es ist heute dringender als je, erneut zu fragen, wovon Aristoteles in Met. L überhaupt spricht“. 13 Vgl. Burnyeat (2001). |2| Experten durchaus bekannt. Die historische Perspektive beginnt mit den Peripatetikern. Darauf folgen die Diskussionen der ersten syrischen Übersetzer, abschließend wird die verfälschte Interpretation der Neoplatoniker untersucht. Absichtlich vermeide ich den Dialog mit den Scholastikern und den Kommentatoren der Renaissance, da sie das bestehende Missverständnis nur vergrößern, und so mache ich einen Sprung bis zum deutschen XIX. Jahrhundert, als sich die philosophische Hermeneutik die Kenntnisse der Philologie –vor allem in Deutschland– zu Nutzen machte. Später untersuche ich die Autoren des XX. Jahrhundertes und die von heute. Frede hat gefragt14, was Aristoteles tatsächlich untersuchen wollte, als er L schrieb. Meinen Standpunkt zu den Absichten des Stagiriten erkläre ich im zweiten Stadium dieser Arbeit. Ich bin der festen Überzeugung, dass Aristoteles eine Diskussion über die ersten Prinzipien in L darlegen wollte. Diese Interpretation versuche ich in meiner Arbeit zu prüfen. Doch als ich die erste Version dieses Textes schon fertig hatte, wies Christof Rapp mich darauf hin, dass Stephen Menn (damals bei McGill University, Kanada, mittlerweile bei der Humboldt-Universität zu Berlin) gerade an einem Kommentar zur vollständigen Metaphysik arbeitete. Da seine Worte zum zwölften Buch meiner Interpretation sehr ähnlich sind, versuche ich mich auf den letzten Seiten von Menn abzugrenzen. *** Im technischen Ablauf folge ich dem griechischen Text der Metaphysik, den Werner Jaeger fixierte15. Wenn ich die Werke des Aristoteles im Hauptteil nenne, dann verwende ich tendenziell ihren deutschen Namen. Wenn es allerdings um ein Zitat geht, dann nenne ich den Titel in den Fußnoten bei dem lateinischen Namen. Die Abkürzungen der aristotelischen Werke versuche ich zu vermeiden. Wenn es um die Metaphysik geht, dann zitiere ich das Buch und das Kapitel zusammen mit den bekkerischen Zeilen, ansonsten gebe ich nur das Buch und die bekkerische Zeile an. Meine Bemühungen gehen dahin, einen angemessenen Stil zu finden, in dem die Argumente punktuell präsentiert und verfolgt werden, um dem Leser 14 15 Frede (2000b), 55: „The question is, though, which enquiry it is that Aristotle has in mind“. Vgl. Jaeger, Hg. (1957). |3| einen leicht verständlichen Text bieten zu können. In einigen Passagen –wie in der „Karte“ selbst oder im „Reiseführer“ zu L– verwende ich absichtlich eine abgekürzte Darstellungsweise. *** Die kurzen, präzisen und hilfreichen Hinweise von Christof Rapp, seine Kolloquien und ein Wochenendeseminar über L haben mir geholfen, mich Aristoteles anzunähern. Eine entscheidende Hilfe war die Unterstützung von Christoph Helmig, der im Rahmen der Graduate School of Ancient Philosophy Anfang 2008 nach Berlin kam. Später übernahm er die Betreuung meiner Arbeit. Seine studentische Hilfskraft, Sabrina M., hat die sprachliche Qualität des Textes verbessert. Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung möchte ich mich für die finanzielle Unterstützung bedanken. Dies gilt insbesondere Herrn Berthold Gees und Professor Wolfram Sterry. Dank der vertrauensvollen und engen Freundschaft zu Renée H., Fernando B., Luis G., Jesús M., Daniel S., Mario G. und Wolfgang D. konnte ich mich bei meinem ersten Aufenthalt in Berlin kulturell integrieren. Ein besonderes Dankeschön erhalten mein Freund Stefan M. und Professor Alejandro Vigo. Während meines zweiten Aufenthalts in Berlin habe ich mich oft an Renée und Jesús gewandt. Marcela, Tamara und Sophie waren auch immer bereit, mich zu bestärken, sowie mein guter, alter Freund Fernando G. Ohne die rettende Hilfe von Marion S. und Elke H. hätte ich diese Arbeit nicht vollenden können. Die erste Person, die ich in Berlin kennen gelernt habe und die ich leider nie wieder sah, war Tanja W. Sie hat mir einen ganz besonderen und wertvollen Rat erteilt: „Lass dich überraschen!“ – eine für mich noch unbekannte deutsche Redewendung. Diese hat meine Promotion und mein bisheriges Leben tief geprägt. Prenzlauer Berg, November 2010 Polanco, März 2015 |4| EINLEITUNG Das Buch L der Metaphysik ist dafür bekannt, ein sehr komplizierter Text des aristotelischen Corpus zu sein. Trotz Unstimmigkeiten hat diese Schrift die abendländische Philosophie und Theologie tief geprägt, denn Aristoteles bietet dort als erster Philosoph einen Beweis für einen einzigen Gott an. Aus diesem Grund halten viele diesen kurzen Text für einen der Grundsteine des philosophischen Monotheismus. In den Kommentaren zur Metaphysik aus dem XIX. und XX. Jahrhundert wird häufig behauptet, L sei der Gipfel des Corpus16, da es die philosophische Gotteslehre des Stagiriten darstellen sollte. Schon seit langem ist dieses Buch als die „theologische Abhandlung des Aristoteles“ bekannt. In unserer Zeit zeigen die Kommentatoren ein erneutes Interesse für das Verständnis dieses Textes. Erst vor kurzem wurde die Frage nach dem zwölften Buch der Metaphysik erneut gestellt. Diese Frage ist sehr wichtig, da das Verständnis des Buches und die richtige Interpretation vollständig von den entsprechenden Antworten abhängen. In den 1980er Jahren hatte Richard Sorabji schon darauf hingewiesen, dass die theologische Lesart des L-Buches eine Fehldeutung oder Transformation neoplatonischen Ursprungs sei. Sorabji konzentrierte seine Kritik vor allem auf Ammonios. Im Jahre 2000 erklärt Michael Frede die Behauptung, L sei ein theologisches Buch, für falsch. Seiner Meinung nach sei L eher ein Aufsatz über die Substanz. Fredes Begründungen setzen sich aus einer präzisen Exegese eines kurzen Passus zusammen (1069a34-b2). Sein Verständnis dieses Textes spielt eine entscheidende Rolle in der jüngsten Hermeneutik zu L. Positiv ist, dass Fredes Interpretation das Hauptproblem der inneren Kohärenz des Buches löst. Leider bringt sie auch neue Probleme mit sich. Deshalb ist die Fredesche Hermeneutik nicht völlig überzeugend. Heutzutage arbeiten Stephen Menn und Lindsay Judson intensiv an eigenen Kommentaren zu L. Ihre Manuskripte versprechen interessante Lektüren zu 16 Vgl. zum Beispiel Deely (2001), S. 84: „[...] it is enough to indicate that, with this notion of the Unmoved Mover, beyond and over against all movers caught up in the cosmic mechanism, we reach the summit fo being in ancient Aristotelian speculative philosophy“. Burnyeat unter anderen hält Z widerum für den „Everest“ der antiken Philosophie. Vgl. Burnyeat (2001), 1. In der spanischen Sprache kommt diese Redewendung („cumbre de la Metafísica“) in Bezug auf L öfters vor. Auf Deutsch bezieht sie sich eher auf Feuerbachs und Schellings Aussagen. |5| werden. Judson vertritt die Position, L sei eine Abhandlung über die prw/th filosofi/a. Menn dagegen versteht L als Archäologie, das letzte Stück eines umfassenderen Projektes Aristoteles’ über sofi/a. Meine Position liegt Menns nah, doch ich versuche, mich von ihr zu distanzieren. Diese Arbeit besteht aus fünf Teilen: (a) eine Diskussion über die Interpretation, die L für ein theologisches Buch hält; (b) die Position Fredes mit Hinsicht auf ihre historische Entstehung; (c) eine kurze Auseinandersetzung mit einem Essay von Lindsay Judson; (d) die Analyse der Hermeneutik von Stephen Menn in einem noch unveröffentlichten Kommentar zur Metaphysik; und anschließend (e) die Darstellung meiner eigenen Interpretation des zwölften Buches der Metaphysik des Aristoteles um ein neues Verständnis seines Werkes anzubieten, als einen Aufsatz über die sofi/a, die Suche der ersten Prinzipien. Meines Erachtens steht das Problem des Hauptthemas und des Zieles von L in einem engen Zusammenhang mit dem Problem der Textstruktur. Es besteht eine klare Korrelation zwischen dem Textaufbau und dessen Interpretation. Eine Diskussion über die Hauptfrage von L ist nur sinnvoll, wenn die Frage nach der Architektur dieser Schrift beantwortet wird. In dieser Arbeit wird die Beziehung zwischen Hermeneutik und Gestaltung verdeutlicht, denn die Betrachtungsweise eines Textes hängt letztendlich vom jeweiligen Verständnis seiner Struktur ab. Ich analysiere vier verschiedene Interpretationen des zwölften Buches chronologisch. Jede Interpretation entspricht einem eigenen Verständnis der Form. Diese erläutere ich jeweils in vier verschiedenen Kapiteln. Im fünften und letzten Kapitel stelle ich meine eigene Position dazu vor. Die nachstehende Tabelle zeigt die fünf verschiedenen Interpretationen des Buches L der Metaphysik17 mit einigen Hinweisen, die bei der Lektüre dieser 17 Sonderegger mag eine weitere Interpretation entdeckt haben, eine gewisse „noosologische“. Selbstverständlich haben sich mehrere Autoren mit der nou=j-Lehre in L beschäftigt, doch meines Wissens ist keiner der Meinung, L sei ein Buch darüber. Vgl. Sonderegger (2008), 153162. Er denkt, diese noosologische Lesart entstünde aus der theologischen Interpretation. Unter die Vertreter einer solchen Interpretation zählt er Franz Brentano, William David Ross, Joseph Owens, Hans-Georg Gadamer, Klaus Oehler, Hans Joachim Krämer, Fernando Inciarte, Horst Seidl, Hellmut Flashar, Karen Gloy, Giovanni Reale, Thomas de Koninck, „und einige Referenten beim Xth [sic anstatt XIV.] Symposium Aristotelicum“, die „in sehr vielen Beziehungen das mittelalterlichen Denken weiterführen“: Sonderegger (2008), 154. Er hält die sogenannte noosologische Interpretation für falsch: „Dass die no/hsij noh/sewj („Denken des Denkens“) mit zum Kern der Überlegungen von Met. L gehört, bildet wohl de stärkste gemeinsame Überzeugung aller an diesem Text Interessierten. Sie gehört auch zur Überzeugung dieser Darstellung. Beinahe ebenso generell ist die Zustimmung zur These, dass mit dem Ausdruck „no/hsij noh/sewj“ das Denken Gottes gemeint sei, obwohl das so nirgends im Text zu lesen ist. Das ergibt sich nur dann, wenn man das ausdrückliche Thema von Kapitel 9, den Nous, stillschweigend als Gott fasst“; Sonderegger (2008), 153. |6| Arbeit helfen sollen: der Gegenstand der aristotelischen Untersuchung und die Struktur des L-Textes. ALLGEMEINES SCHEMA DIESER ARBEIT L IST OUSIOLOGIE [Ursprung: Neoplatoniker] Joseph Owens (1951) von al-Kindi (gest. 873) bis Christoph Horn (2002) Gott Michael Frede (2000) Substanz GEGENSTAND AUTOR L IST THEOLOGIE L IST ARCHÄOLOGIE Stephen Menn (Manuskript 2013) Enrique García de la Garza (2013) erste Prinzipien erste Prinzipien erste Prinzipien [L1-5: Substanz + Prinzipien = Metaphysik] [L6-10: Gott] [L1-5: Prinzipien] [L6-10: unsichtbare Substanz] [Ziel: sofi/a] Basis: Theologie (L1-5 | L6-10) L1-5: TEXTSTRUKTUR L IST ERSTE PHILOSOPHIE Lindsay Judson (2007) Zusammenfassung von K L6-10: Theologie * L ist der Höhepunkt der Metaphysik * Bonitz und Jaeger: L ist ein eigenständiger Text (L1-5 | L6-10) (L1-5 | L6-10) (L1-5 | L6-10) L1-5: sichtbare Substanz L6-10: unsichtbare Substanz L1: Programm L2-3: Ousiologie L4-5: Archäologie L6-10: Theologie L1: Programm L2-3: weder * L ist ein eigenständiger Text * L gehört zur Metaphysik Materie noch Form L4-5: Prinzipien der sichtbaren Substanz L6-10: die unsichtbare Substanz * L gehört zur Metaphysik L IST SOPHIA [Beginn: vergängliche Substanz] [„Archäologie“ in der Perspektive der Vorsokratiker] (L1 | L2-7 | L8-10) L1: Programm L2-3: weder Materie noch Form L4-5: Die e)ne/rgeia ist der Weg L6-7: Die erste Substanz ist e)ne/rgeia L8-10: drei weitere Fragen zur ersten Substanz * L gehört zur Metaphysik Das erste Kapitel dieser Arbeit enthält einen grundsätzlichen, historischen Überblick über die theologische Interpretation des Buches L. Dieser Hermeneutik zufolge will Aristoteles einen theologischen Text „über Gott“ verfassen. Ich folge den bedeutendsten Peripatetikern, um zu zeigen, dass Aristoteles in den Augen seiner Schüler keine theologische Schrift verfassen wollte. Diese Interpretation entstand erst im frühen Mittelalter. Auf den letzten Seiten des Kapitels konzentriere ich mich auf einige Kommentatoren des XIX. und XX. Jahrhunderts, die mit dieser Lesart einverstanden sind, darunter auch David Ross, dessen Ausgabe der Metaphysik von großer Bedeutung für die Forschung ist. In diesem Kapitel wird auch gezeigt, wie die theologische Interpretation die Spaltung des Buches in zwei Hälften (L1-5 und L6-10) verursachte. Dieser Riss wurde jahrhundertelang als „Nebeneffekt“ zu Gunsten der Theologie in Kauf genommen. Das zweite Kapitel untersucht das Verständnis von L als einen Text über die Substanz an sich. L wäre demnach |7| also eine weitere Diskussion über dasselbe Thema der mittleren Bücher der Metaphysik. Um sie zu benennen, verwende ich den Neologismus „Ousiologie“. Damit will Michael Frede –der wichtigste Vertreter der ousiologischen Lesart– auch das Problem der Spaltung der Schrift in zwei Teile lösen. In diesem Abschnitt bringe ich alle Elemente seiner Lesart in die Diskussion ein und kritisiere seine Position. Im dritten Kapitel lenke ich die Aufmerksamkeit auf einen Autor unserer Zeit, der sich gerade mit einer neuen Hermeneutik von L befasst: Lindsay Judson. Judson versucht sich an einem Mittelweg zwischen der theologischen und der ousiologischen Interpretation. Er verteidigt also die Aussage, L sei die Schrift, in der Aristoteles auf die erste Philosophie, die sogenannte „generelle Metaphysik“, stößt – deshalb sei dies ein Buch über Metaphysik oder erste Philosophie. Dafür nimmt Judson das alte Problem der Zweiteilung des Textes in Kauf. Seiner Meinung nach ist L1-5 ein Aufsatz über die Ousiologie und L6-10 über Theologie. Im vierten Kapitel führe ich einen Dialog mit Stephen Menn, dessen Interpretation meiner eigenen ähnelt. Menn löst das Problem der Spaltung in einer effektiveren und überzeugenderen Weise als Frede. Laut Menn ist L ein Teil, und zwar der letzte, eines breiteren Projektes, welches Aristoteles in seinem ganzen Werk Metaphysik verfolgt: Die Suche nach der sofi/a. In diesem Sinne ist die Metaphysik ein Text über sofi/a, während L bloß ein Teil davon sein sollte, nämlich „Archäologie“, das heißt, die Untersuchung der ersten Prinzipien. Für Menn ist die Archäologie also ein Teil der sofi/a, genau wie L auch nur ein Teil der Metaphysik ist. Im letzten Kapitel dieser Arbeit mache ich meine eigene Position deutlich. Das abschließende Kapitel ist demnach das wichtigste, weil es einen neuen Interpretationsvorschlag präsentiert: Dieser besteht zum einen aus einer Karte, die die Architektur des Textes aufschlüsselt, um das Lesen zu vereinfachen, zum anderen aus der Untersuchung meiner eigenen Interpretation. Ich bin mit Menn insofern einverstanden, als die Archäologie eine entscheidende Rolle im L-Text hat. Ich verstehe die Beziehung zwischen Archäologie und sofi/a jedoch anders, und das zeigt den Unterschied zwischen der Mennschen Interpretation und meiner eigenen18. L ist also ein Text über sofi/a, den Aristoteles mit den Diskussionen über die ersten Prinzipien der alten Philosophen verbindet. Doch 18 „Archäologie“ verknüpft die aristotelische Forschung der ersten Prinzipien mit den Untersuchungen der alten Philosophen. Der Begriff erstreckt sich also bis zu Thales. „sofi/a“ allerdings wird wiederum nur innerhalb des Corpus Aristotelicum benutzt, um die besagte Forschung der ersten Prinzipien anzudeuten. |8| L analysiert die Prinzipien aller Substanzen und ist somit auch ein archäologischer Text, wie Menn es gezeigt hat. Die Karte zu L verwandelt sich in einen längeren Reiseführer und befindet sich im Anhang dieser Arbeit. Weiterhin liegt im Anhang eine Tabelle vor, in der die Häufigkeit der in L meist verwendeten Begriffe dargestellt wird. Die vorliegende Arbeit basiert auf der Untersuchung der Vorgeschichte der theologischen Interpretation von L. Hierfür bin ich folgendermaßen vorgegangen: Zuerst gehe ich darauf ein, dass die Vorsokratiker keinerlei theologische Absicht in ihren philosophischen Diskussionen verfolgten, obwohl sie Begriffe wie „Gott“ oder „das Göttliche“ oft verwendet haben. Eine Erklärung der Begriffe „Theologie“ und dem von Jaeger verwendeten Begriff „natürliche Theologie“ finde auch ich unerlässlich. Selbst bei Platon ist kein echtes theologisches Interesse zu finden, obwohl verschiedene Autoren sich bemüht haben, die platonische Gotteslehre zu rekonstruieren. Zunächst beschäftige ich mich mit einer Interpretation solcher Gotteslehre, nämlich der von Michael Bordt. Im vierten Punkt lenke ich die Aufmerksamkeit auf die Unterscheidung des Stagiriten zwischen der von Erzählungen geprägten „Theologie“ und der theoretischen Wissenschaft „qeologikh/“. Zuletzt beantworte ich die Frage nach den Prinzipien und deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten philosophischen Wissenschaft. Dies führt zu einer notwendigen Unterscheidung der Begriffe „sofi/a“, „prw/th filosofi/a“ und „qeologikh/“. Ich verteidige die Position, dass Aristoteles zu keiner Zeit einen „theologischen“ Diskurs beabsichtigt hat. Beweise dafür sind die Schriften seiner Schüler und der peripatetischen Kommentatoren. Die Hauptthese ist dieselbe wie die von Sorabji: Die Neoplatoniker haben L anders gelesen, transformiert und schließlich als eine theologische Abhandlung verstanden. Diese Lesart wird über die syrische Schule, die Araber und die Scholastiker hinaus überliefert, bis sie die modernen Kommentatoren erreichte19. Bei Sorabjis Aufsatz fehlt jedoch dieser historische Überblick. 19 Sonderegger ist der Meinung, auch der Autor von De mundo teile eine gewisse Verantwortung in dieser Konfusion, und zwar wegen einer Zeile gleich am Anfang im ersten Buch (391b4): „[...] qeologw=men peri\ tou/twn sumpa/ntwn [...]“. Er schreibt: „Der Text beginnt also mit dem Entschluss, die Kosmologie mit Gott in Beziehung zu bringen. Er führt sein Vorhaben in dem Sinne durch, dass er die Welt beschreibt, um sie als Werk Gottes zu loben. [...] Das ‚Theologisieren’ ist besonders gut in Kap. 6 fassbar, wo sich eine Darstellung der gestuften Verursachung des Kosmos durch Gott findet, und in Kap. 7, wo der Anonym von der Einzigkeit Gottes spricht, obwohl er unter vielen Namen verehrt werde [...]“; Sonderegger (2008), 121. |9| 1. Das vorsokratische Denken über das Göttliche Wie in jeder anderen Gesellschaft des Altertums versuchten auch die Denker des antiken Griechenlands die Welt zu verstehen. Damals waren die Erklärungen der kosmologischen Ereignisse in einer systematischen Mythologie verpackt. Mithilfe solcher Gottheiten hat der damalige Mensch den Eindruck gewonnen, dass er so einige Phänomene erklären konnte. Unter den Griechen galten Homer und Hesiod als die ersten Autoren, die über Götter, Halbgötter, Heroen und derlei mythologische Figuren Gedichte schrieben. Die Ankunft der Philosophie in Ionien initiiert in der Ideengeschichte des alten Griechenlands eine neue Phase. Nach und nach prägt die Mythologie immer weniger das Verständnis der Natur und deren Phänomene. An deren Stelle tritt ein Prozess der Rationalisierung – die erste Aufklärung auf europäischem Boden. Die ersten Fragen nach dem Ursprung und Antworten über den Ursprung der Bewegung bezeichnen die Anfänge der Philosophie. Im Laufe der Jahrhunderte entwickeln die Philosophen verschiedene Vorstellungen über diese Themen. Die ältesten Philosophen versuchen sich also von der Mythologie zu entfernen, um rationelle Erklärungen zu finden. Trotzdem können sie die Frage nach der ersten Ursache der Bewegung der Dinge innerhalb einer rationell geordneten Welt noch immer nur durch das Göttliche beantworten. Dieser offenbare Widerspruch ist Teil eines komplexeren Prozesses: „Der Kampf gegen partikulare, traditionell geglaubte Manifestationen der Gottheit geht Hand in Hand mit einer immer stärkern, abstrakten Radikalisierung der Gottesvorstellung“20. Die Argumente der Naturphilosophen beziehen sich grundsätzlich auf physische Stoffe, auch wenn Thales von Milet (624 – 546 v. Chr.) ausnahmsweise behauptet, alles Dingliche besitze etwas Göttliches21. Leider führt er diesen Gedankengang nicht weiter fort, oder zumindest ist kein weiteres Fragment mit Äußerungen darüber vorhanden. Deswegen ist seine wahre Meinung darüber noch immer unklar. Beweise dafür, dass er einen göttlichen Begriff in die philosophischen Diskussionen hinzufügt, liegen nicht vor, obwohl er höchstwahrscheinlich die Position seines Landsmanns und 20 Gigon (1972), 46. Vgl. DK A22-23. Nach Geoffrey S. Kirk ist die Zuordnung des ciceronischen Zitates (De natura deorum 1, 25) zu Thales, der Geist – mens – sei Gott (Fr. 23), nicht richtig. Vgl. Kirk & Raven & Schofield, Hgg. (1983), Fußnote zur Nummer 93. 21 | 10 | Zeitgenossen Anaximander bereits kannte. Es ist denkbar, dass beide zueinander Kontakt gepflegt haben. In der Philosophie beginnen die Diskussionen hinsichtlich des Göttlichen tatsächlich erst mit Anaximander von Milet (611 – 547/46 v.Ch.). Er verwendet den Begriff „a/)peiron“, welcher das Unsterbliche beziehungsweise 22 Unvergängliche beschreibt . In diesen beiden Eigenschaften findet Aristoteles den göttlichen Charakter der anaximanderischen Unbegrenztheit23. Eine Identifizierung des Göttlichen mit Gott liegt allerdings nicht vor24. Zwar ist Werner Jaeger mit Aristoteles einverstanden, dass das anaximanderische a/)peiron etwas Göttliches ist25, so spricht sich Gregory Vlastos dagegen aus, weil dies eine extrapolierte Lektüre des Stagiriten sei. Trotzdem ist Vlastos auch der Meinung, das dass a/)peiron die Rollen beziehungsweise Funktionen der mythologischen Götter übernimmt. Wahrscheinlich ist eine derartige göttliche Charakterisierung keine Überraschung für die Zeitgenossen Anaximanders gewesen26. Von Anaximander lernt man also zweierlei: (a) Das einfachste Prinzip hat einige Eigenschaften, die den Göttern der verschiedenen Mythologien bereits zugeschrieben wurden. (b) Deshalb gewinnt diese vage, entgötterte Figur eine Stellung in der philosophischen Diskussion der Bewegungsursache. Während Anaximander die Unbegrenztheit lehrt, entwickelt ein anderer Zeitgenosse einen weiteren Begriff: den nou=j. Hermotimos aus Klazomenai (VI. Jahrhundert v. Chr.), Lehrer von Anaxagoras, soll der Erste gewesen sein, der eine nou=j-Lehre vertrat, berichtet Aristoteles27. Inwiefern man diesem aristotelischen Bericht Vertrauen schenken darf, ist schwer einzuschätzen. Abgesehen davon, weiß die Forschung sehr wenig über Hermotimos, dessen Gedankengänge und obskuren sowie phantastischen Vorschläge. Damals glaubten die Menschen, er selbst 22 sei Pythagoras, der nach einer Charles S. Pierce nennt als abductive conclusion jene Ursachen, zu denen man nicht direkt kommt, sondern deren Präsenz man nur erahnt, um ein Phänomen zu erklären. Man sieht zum Beispiel nicht das Feuer, sondern den Rauch. Von daher kann man das Feuer herleiten. In diesem Sinne dürfte Pierce sagen, das a/)peiron sei auch eine abductive conclusion. 23 Vgl. Physica 3 203b13-15. 24 Vgl. DK 12A15. 25 Jaeger (1947), 203-206, Fußnote 44. 26 Darüber gibt es eine Diskussion: Nach Jaeger adjektiviert Anaximander selbst das a)/peiron als qei=on. Vlastos hält es für einen späteren Zusatz des Aristoteles. Vgl. Vlastos (1952), 113, Fußnote 75. 27 Metaphysica A 984b15. | 11 | Seelenwanderung in einer späteren Lebensperiode wieder auf die Erde kam28. Noch deutlicher und einflussreicher scheint Xenophanes von Kolophon (570 – 503 v. Chr.). Er führt die von Hermotimos begonnene Diskussion weiter. Seiner Hauptthese nach ist das Prinzip des Kosmos ein nou=j. Kurt von Fritz weist auf die ursprünglich sinnliche Bedeutung des Wortes hin29. Dieser „primitive“ nou=j ist rund und besitzt einen Körper. Wichtig hierbei ist, dass er zum ersten Mal einen bewegungslosen Beweger bezeichnet. Anaxagoras von Klazomenai (500 – 428 v. Chr.) macht einen entscheidenden Fortschritt, als er das Göttliche mit dem nou=j seiner Vorfahren verbindet. Neben dem vermischten Stoff stellt dieser einen unendlichen und reinen nou=j als zweites Prinzip dar, der alles (auch ihn selbst) regiert30. Dieser nou=j bewegt und trennt das, was seit unendlicher Zeit bewegungslos war und zusammen gehörte31. Damit stellt Anaxagoras zum ersten Mal die Frage nach der Beziehung von Gott zur Welt32. Außerdem äußert er sich zum ersten Mal überhaupt über eine effiziente Ursache im Rahmen des ersten Prinzips. Diese beiden Ideen werden vor allem bei Aristoteles eine wichtige Rolle in seinen späteren Untersuchungen spielen. Die nou=j-Vorstellung des Anaxagoras ist allerdings nicht unproblematisch. Vor allem scheint es plausibel, dass der nou=j räumlich-zeitlich ausgedehnt ist33. Die Beziehung zwischen seinem Wissen und der Bewegung bleibt aber unklar. Diogenes Laertios glaubt, der nou=j selbst sei der Ursprung der Bewegung. Diese These halten sowohl Plato34 als auch Aristoteles35 für unzureichend, zumal ein Stoff noch immer als Grundprinzip erkannt wurde. Zuletzt geht Diogenes von Apollonia (499 – 428 v. Chr.) noch einen Schritt weiter: Er verwendet eine philosophische Sprache, um auszusagen, dass alles dem unsterblichen und ewigen Gott unterzuordnen ist36. So identifiziert er auch Gott mit dem ersten Prinzip. Damit ist der Grundstein für die aristotelische Forschung gelegt. Lloyd P. Gerson fasst die Versuche der ersten Denker zusammen: „[...] it is therefore reasonable to hypothesize that natural theology arose because science, at least 28 Vgl. Wellmann (1913), 904-905. Das Wort hieß früher „riechen“ oder „sehen“. Vgl. von Fritz (1945), 232-242; (1946), 12-34. 30 Vgl. DK 46B12. 31 Vgl. Physica 8 250b24ff. 32 Die Neoplatoniker werden später auf diesen Punkt und auf Empedokles’ Theorie der Liebe und des Hasses im Rahmen der aristotelischen Diskussion über Gott und dessen Kausalität zur Welt aufmerksam. 33 Vgl. DK 59B14. 34 Vgl. zum Beispiel Phaidon 97bff. 35 Vgl. zum Beispiel Metaphysica A 984a1ff. 36 Vgl. DK 64B5. 29 | 12 | as many of the Pre-Socratics conceived of it, needed god or gods“37. Streng genommen „braucht“ die vorsokratische Wissenschaft aber keinen Gott oder Götter. Wer einen Blick auf die vorsokratischen Diskussionen wirft, findet keine echte Theologie. Die Aussagen der ersten Denker beziehen sich eher auf die Prinzipien des Kosmos und der Bewegung: Die Hauptfrage bleibt stets die Bewegungsursache und das Prinzip des Alls. Der Gott oder die Götter geben hierzu freilich eine Antwort. Es geht aber weniger um eine mögliche, geplante oder sogar gewünschte Theologie, als um einen echten theologischen Diskurs. Meiner Meinung nach bleibt das unverändert – auch über Aristoteles’ L hinaus. Es ist manchmal hilfreich, Vergleiche und Metaphern zu verwenden, um komplexe oder abstrakte Situationen anschaulicher darzustellen. Ein Sinnbild in dieser Diskussion über das Bewusstsein des (un)nötigen Gottes unter den frühen Denkern könnte vielleicht auch hier hilfreich sein. Beispielsweise die Entdeckung Amerikas: Die Wikinger hatten bereits erste Erfahrungen in der Annäherung an die sogenannte Neue Welt gemacht, aber erst mit Kolumbus wird Amerika im eigentlichen Sinne „entdeckt“. Hinter dem Begriff „Entdeckung“ verbirgt sich das Bewusstsein eines bisher unbekannten Landes und des Weges, der dorthin führt. Man sagt „die Entdeckung Amerikas“, weil es sich tatsächlich um die Entdeckung eines verlässlichen Hin- und Rückverkehrs handelte. Die religiösen Mythen lassen damals auf den Glauben an eine andere, fremde Realität schließen, so wie die Wikinger an dieses Land glaubten. In diesem Sinne betrachten die Vorsokratiker Gott eher als eine „Entdeckung“ denn als eine „Notwendigkeit“38. Auf diese Weise finden die griechischen Philosophen eine überzeugende –und in diesem Sinne auch bessere– Welterklärung als in der Mythologie. Durch den Vergleich mit solchen phantasievollen Erzählungen sieht man den echten Wert des durch die Vernunft „entdeckten“ Gottes. Jetzt darf man sich fragen, was für eine Rolle dieser Gott für das Weltverständnis tatsächlich spielte. In einem ersten Stadium unterscheidet Xenophanes den obersten Gott –er „sieht alles, denkt alles, hört alles“39– von der vagen göttlichen Vorstellung des Anaximanders. In einem nächsten Schritt beginnt er diese Gottesvorstellung von allen menschlichen Darstellungen zu reinigen, bis er letztendlich einen völlig spirituellen Gott konzipiert. In einer späteren Facette seiner Arbeit 37 Gerson (1990), 3. Kant würde über das Finden einer Bedingungsmöglichkeit reden. 39 Xenophanes Fr. B24. 38 | 13 | kritisiert Xenophanes zum ersten Mal den Anthropomorphismus der mythischen Figuren: „Ein Gott ist der größte unter den Göttern und den Menschen, er ist den Sterblichen weder in seiner Gestalt noch in seinem Geist ähnlich“40. Damit beginnt die Differenzierung der mythologischen Dichtung von einer (noch primitiven) philosophischen Annäherung zu Gott, das heißt den ersten aufgeklärten Beschreibungen von Gott41. Eine richtige Theologie ist dies nicht, aber es lässt sich ahnen, in welche Richtung sich die Diskussion bewegen wird. Es ist offensichtlich, dass Xenophanes irgendeine Art theologisches Denken aufbaut. „Gerade die kritische Funktion der neuen philosophischen Theologie kommt bei Xenophanes zum vollen Selbstbewußtsein“42, behauptet Jaeger. Dieser Versuch soll als die erste Darstellung einer „natürlichen“ Theologie gelten43. Trotzdem bleibt für die griechische Philosophie beziehungsweise für die Geschichte der (natürlichen) Theologie Xenophanes’ Bedeutung umstritten44. In diesem Sinne ist er bloß ein Vordenker, da kein einziger Philosoph der Antike eine systematische Gotteslehre dargelegt hat. Olof Gigon fasst es folgendermaßen zusammen: „Die maßgebende antike Darstellung der Vorsokratiker hat die Theologie nicht berücksichtigt“45. Um dies genauer einzuordnen, muss man sich mit der Geschichte des Begriffs „qeologi/a“ befassen. 2. Ursprung und Gebrauch der Begriffe „Theologie“ und „natürliche Theologie“ Nach Gerson kennen schon die Vorsokratiker den Unterschied zwischen den theologischen, rein rationell und aufgeklärten Forschungen und den mythologischen Erzählungen, in denen der Mensch versucht, sich den Kosmos auf eine primitive, zu dieser Zeit noch unaufgeklärte Weise begreifbar zu machen46. In dieser traditionell verstandenen Theologie war Thales von Milet ein Vorreiter. Er war der Ansicht, dass das Göttliche in allen Dingen vorzufinden sei, aber das, was später als „natürliche Theologie“ bezeichnet 40 Xenophanes Fr. B23. Vgl. DK 21B18: „ou)=loj o(ra|=, ou)=loj de\ noei=, ou)=loj de/ t¡a)kou/ei“. 42 Jaeger (1947), 59. 43 Vgl. zum Beispiel Gerson (1990), 17ff. 44 Vgl. Rapp (1997), 85. 45 Gigon (1954), 43. 46 Gerson (1990), 5. 41 | 14 | wird, beginne erst mit Anaxagoras. Wie ich bereits im ersten Abschnitt erwähnt habe, teile ich Gersons Meinung diesbezüglich nicht. Meiner Auffassung nach entsteht das Denken über –oder genauer gesagt „gegen“– das Göttliche erst mit Xenophanes. Doch darauf werde ich erst später eingehen. Woher stammt der so häufig verwendete Begriff „Theologie“? Offenbar ist der älteste Hinweis auf eine „natürliche Theologie“ unter den Griechen bei Thales von Milet zu finden, weil dieser berichtet haben soll, dass Pherekydes von Syros kein Gebrauch von Mythen gemacht habe, sondern eine rein rationelle Annäherung zum Göttlichen anstrebe47. Seltsam jedoch ist, dass der Begriff in seiner ursprünglichen Form ein Adjektiv gewesen sein soll. Tatsächlich ist das Zitat verfälscht und stammt aus der hellenistischen Zeit48. Doch das Wort „qeologi/a“ kommt zum ersten Mal im zweiten Buch der Politeia vor. Der Kontext ist die Diskussion zwischen Sokrates und Adeimantos über die Erziehung der Bürger, damit sie gerecht urteilen und handeln können. Als Sokrates anmerkt, dass für die mythologischen Erzählungen der Dichter einige Regeln (tu/poi) nötig seien, ist Adeimantos sogleich einverstanden: „Richtig [...], aber eben diese, die Regeln in Bezug auf die Theologie, welche wären es?“49. Eine Diskussion über die genaue Bedeutung des Wortes an dieser Stelle wird bereits seit langem geführt. Heutzutage verteidigen Kommentatoren wie Viktor Goldschmidt50 oder Michael Bordt51 die Position, dass an dieser Stelle ausschließlich mythologische Erzählungen gemeint seien. Zu diesem Zweck berufen sie sich auf Sokrates’ Antwort bezüglich der Mythologie: „Eben diese, sagte ich, wie der Gott tatsächlich ist, so muss er immer dargestellt werden, wenn jemand in Epen, Liedern oder in einer Tragödie von ihm dichtet“52. Mit dem Terminus „Theologia“ soll Platon also keine rationelle Untersuchung des Göttlichen bezeichnet haben, sondern ein Teilgebiet der Mythologie. Zur Unterstützung dieser Interpretation weist Goldschmidt darauf hin, dass die Variante „muqologi/aj“ anstatt „qeologi/aj“ im Codex Marcianus (T) vorkommt53. Bei Platon ist „qeologi/a“ an keiner anderen Stelle zu finden. Bordt vermutet, 47 Vgl. DK 11A1; auch Metaphysica N 1091b8-10. Vgl. Gerson (1990), 239, Fußnote 2. 49 Politeia 2 379a5: „o)rqw¤j, eãfh: a¦ll' au¦to£ dh£ tou¤to, oi¥ tu¢poi peri£ qeologi¢aj ti¢nej aän eiåen;“ 50 Vgl. Goldschmidt (1949), 141-172. 51 Bordt (2006b), 43-54. 52 Politeia 2 379b1: „toioi/de pou/ tinej, h)=n d` e)gw/: oi(=j tugxa/nei o( qeo\j w)\n, a)ei\ dh/pou a)podote/on, e)a\nte tij au)to\n e)n e)/pesin poih=| e)a/nte e)n me/lesin e)a/nte e)n tragw|di/a|“. 53 Vgl. Goldschmidt (1949), 147. Dagegen behauptet Naddaf, Platon verfüge bereits über eine wissenschaftliche, philosophische Theologie; vgl. Naddaf (2004). 48 | 15 | dieses sei damals ein alltägliches Wort ohne eine bestimmte wissenschaftliche Bedeutung gewesen. Da keine weiteren Textstellen vorhanden sind, ist es sehr kompliziert, dies zu beweisen. Die Adjektivisierung der „Theologie“ erfolgte erst zu einem späteren Zeitpunkt. Uns erreicht der Begriff „natürliche Theologie“ nicht durch eine griechische Überlieferung. In Antiquitates rerum humanarum et divinarum unterscheidet Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) drei Arten der Theologie: die Mystische, die Politische und die Natürliche. Nach dieser Differenzierung zu urteilen, ist die Götterwelt der Dichter ein Objekt der mystischen Theologie, die Politische umfasst die Staatsreligion und die Natürliche ist die Lehre der Philosophen über das Wesen Gottes54. Auf diesen Begriff stieß Varro in stoischen Quellen, er wird jedoch erst durch Augustinus (354 – 430) verbreitet55. Gemäß seines De civitate Dei war dieser Ausdruck schon vor ihm von anderen Schriftstellern eingeführt worden56. Damit bezeichnet der Kirchenvater rückwirkend die philosophischen Diskussionen bezüglich Gottes, die bereits durch eine Vielzahl von griechischen Denkern und Schulen geführt worden sein sollen. Einige Kommentatoren haben derlei Diskussionen bei Platon gefunden. Er hat sich um einen philosophischen Diskurs bemüht, in dem Gott eine zentrale Rolle spielt. Dies heißt selbstverständlich nicht, dass er eine theologische Lehre expressis verbis aufstellen wollte. Trotzdem ist es nicht unmöglich, seinen Gedankengang hinsichtlich Gottes zu rekonstruieren. 3. Skizzierte Rekonstruktion der Gotteslehre Platons Eine solche Rekonstruktion führt beispielsweise auch Michael Bordt in seinem jüngsten Buch, Platons Theologie, durch57. Für diese skizzierte Rekonstruktion mit dem Ziel einer Darstellung der platonischen Gotteslehre folge ich seinem Beispiel. Im Großen und Ganzen lassen sich zwei Richtungen ausmachen, Platons Gotteslehre zu interpretieren. Einerseits verstehen Kommentatoren wie 54 Vgl. Jaeger (1947), 10-11. Robert W. Sharples (2002) und David T. Runia (2002) sind der Meinung, das Göttliche sei ein Gegestand an sich der Physik. 56 De civitate Dei 6, 5: „Secundum autem ut naturale dicatur, iam et consuetudo locutionis admittit“. Jaeger vermutet, dass es Marius Victorinus war, der Augustinus’ Aufmerksamkeit auf Varros Theologie gelenkt hat. Lieberg ist hingegen der Meinung, die Unterscheidung hätte bereits Vorgänger; vgl. Lieberg (1982). 57 Vgl. Bordt (2006b). 55 | 16 | Eduard Zeller, Werner Jaeger, André-Jean Festugière, Hans J. Krämer oder Lloyd P. Gerson diese Lehre auf eine metaphysische Art; andererseits verteidigen etliche Spezialisten wie Victor Brochard oder Stephen Menn ein kosmologisches Verständnis der platonischen Gotteslehre58. Bordt seinerseits weist auf eine Entwicklung der Lehre Platons hin. Er versucht beide Lektüren zu vereinen, das Ergebnis mag als eine dritte Lesart gelten. Die Mehrheit der Kommentatoren sind sich darüber einig, dass Platon im Phaidon die Welt durch den nou=j erklären will. Es wird ihm vorgeworfen, dass er sein Projekt nicht abgeschlossen hat. Bordt ist jedoch nicht dieser Ansicht. Seiner Meinung nach begann Platon in der Politeia einen Dialog, den er im Timaios fortführte. In der Politeia vertritt Platon das, was man möglicherweise einen schwachen Monotheismus nennen könnte59. Darin ist „Der Gott“ das Urbild aller existierenden Götter, die Ihn lediglich nachahmen. Wenn Platon aber in demselben Werk über das oberste Prinzip spricht, dann ist Gott gar nicht gemeint. Das oberste Prinzip und Gott werden streng unterschieden. Im Symposion scheint dies offensichtlich anders zu sein, zumal das Schöne als etwas „Göttliches“ beschrieben wird. Das Adjektiv „göttlich“ wird zu dem Zweck gebraucht, um eine „nicht-menschliche“ – das heißt, eine „übermenschliche“ – Natur darzustellen. Damit ist also auf keinen Fall gemeint, dass Gott mit der Schönheit oder mit dem Schönen zu identifizieren sei. Es geht darin also nicht um Gott, sondern um eine übermenschliche Schönheit. In seinen späteren Werken denkt Platon über dieses Thema anders. Er spricht nicht mehr über das Schöne, sondern über den nou=j. Doch sowohl in den Nomoi als auch im Timaios identifiziert er diesen nou=j mit dem obersten Gott60. Der nou=j ist ein Gott sowohl für die Götter als auch für die Menschen, erklärt er in einem schwierigen Passus. Bordt legt diesen Passus so aus, als ob Platon sagen wolle, beide –Menschen und Götter– sollen den nou=j als Gott anerkennen61. Obwohl darüber heftig diskutiert wird, ist eines jedoch klar: Der nou=j liegt auf einer höheren Ebene als die Götter. Im metaphysischen Sinne deutet die Politeia an, Gott sei identisch mit dem obersten Prinzip. Aber erst in 58 Diese Klassifikation stammt aus Bordt (2006b). Dort spricht er über eine dritte Hermeneutik, die sogenannte „religiöse“ Interpretation. 59 Vgl. Bordt (2006b), 93. 60 Nomoi 897b1 und Timaios 29ff. Zu bemerken ist, dass Platon derselben Tradition des Anaxagoras und des Diogenes nachgeht. 61 Vgl. Nomoi 897b1: „[...] nou=n me\n proslabou=sa a)ei/ qeo\n o)rqw=j qeoi=j [...]“. Vgl. auch Bordt (2006b), 234. | 17 | den Nomoi drückt Platon dies explizit aus: Aus Hesiod stammt die Idee, dass die Vernunft die Basis des Kosmos und der Gerechtigkeit sei, indem der Dichter Zeus zum Ausgangspunkt aller Dinge machte. Dadurch sollen die Gesetzgeber die Gesetze auf Gott selbst aufbauen, das heißt, die Gesetze müssen ein rationales Fundament haben und sich nach einem Vernunftprinzip –wie die Gestirne im All– richten62. Der nou=j verfügt also über eine ordnungschaffende, strukturierende Funktion (ko/smei, diako/smei). Der Demiurg, der die Weltseele und die Götter erschafft, stellt sich als das Bild des nou=j dar. Im Philebus widerspricht Sokrates Philebus, dass der göttliche nou=j (nicht der menschliche) das Gute sei. Das Gute spielt in der Weltordnung und -struktur eine Rolle, und verursacht, dass alle Sachen gut sind. Leider fehlt in diesem Dialog eine detailliertere Argumentation zu dieser Aussage. Harold F. Cherniss seinerseits empfindet es als falsch, diese Lesart auszuschließen: Das Gute kommt seiner Meinung nach vor dem nou=j und verursacht ihn63. Für Bordt hingegen ist an dieser Stelle ausschließlich der menschliche nou=j gemeint. Sokrates beziehe sich auf eine Passage von Hesiod: Der nou=j ist König von Himmel und Erde. Es ist offensichtlich, dass Platon die Identität zwischen dem Guten und dem nou=j nicht ausspricht, was seine These jedoch nicht widerlegt. Das Gute muss als nou=j verstanden werden64, da der nou=j keine Idee ist, sondern ein Etwas, und weil die Idee des Guten keine Idee neben der anderen Idee ist, sondern sich jenseits der ou)si/a befindet, so Bordt65. Auf diese Weise verbindet Platon zwei Sphären, die bis dahin einander fremd waren: die religiöse und die metaphysische. Bezüglich der Religion folgt er dem Beispiel von Hesiod, Solon und Aischylos, indem er Gott als gut bezeichnet. Andererseits teilt Platon die Meinung der Vorsokratiker –mit der Ausnahme Diogenes’ von Apollonia, wie bereits erwähnt–, indem er Gott nicht mit dem obersten Prinzip identifiziert. Seine Neuerung durch Platon besteht darin, dass diese zwei Kontexte zum ersten Mal in Zusammenhang gebracht werden. In diesem Sinne ist Platon der erste, der Gott in einen klaren metaphysischen Kontext bringt. Folgende Frage bleibt allerdings unbeantwortet: Inwiefern darf man überhaupt über eine Theologie Platons reden? Hatte der Athener die Absicht, eine programmatische Darstellung der Gottheit anzufertigen? Meiner Meinung 62 Aristoteles holt diese Idee in L nach und entwickelte sie weiter. Vgl. Politeia 517c3. 64 Vgl. Bordt (2006b), 246. 65 Vgl. Politeia 509b9. 63 | 18 | nach ist dies nicht sehr wahrscheinlich. Bei Platon findet sich der Name „Gott“ immer im Rahmen einer Welterklärung: Gott ist ein wesentlicher Teil seines metaphysischen Systems, jedoch kein Element für seine Forschungen. Es bestehen klar definierbare Inkongruenzen zwischen den frühen und späten Dialogen. Es fehlen Details der lediglich skizzierten These des späteren Platons. Außerdem geht er auf zwei wichtige Punkte nicht ausreichend ein: Gott, das Gute und den nou=j kann er nicht verbinden66, weiterhin ist noch unklar, wie der nou=j die Seele bewegt. Dies zu lösen, bleibt dem Aristoteles und dem Speusippos67 überlassen. Meine Arbeit widmet sich allerdings nur der aristotelischen Lehre. 4. Die aristotelische qeologikh / Der Begriff „muqologei=n“ war schon im IV. Jahrhundert vor Christus üblich. Unter anderem machen Xenophon, Isokrates und Platon Gebrauch von ihm. Wie bereits erwähnt, erfindet Platon allenfalls einen neuen Ausdruck – „qeologi/a“, der zum ersten Mal in der Politeia erscheint68–, um diese Idee auszudrücken. Die qeologi/a beschreibt die Vorstellung der Dichter bezüglich der Götter und ihren Ahnen. Aristoteles kümmert sich allerdings nicht wirklich um die qeolo/goi, da sie seiner Auffassung nach lediglich von Mythen handeln und falsche Meinungen verbreiten. Er zieht diejenigen Personen vor, die rationale Beweise bieten, und erfindet neue Kognaten des Wortes, wie zum Beispiel das Substantiv „qeolo/goj“, das Verb „qeologei=n“ und das Partizip aktiv „qeologh/santej“69. Er verwendet diese Begriffe immer in Bezug auf Dichter wie Homer, Hesiod, Orpheus und so fort. Die Substantive „qeolo/goj“ und „qeologi/a“ und das Verb „qeologei=n“ verwendet er immer für ihre Erzählungen70. Diesen Erzählungen wird die Weisheit über das Menschliche 66 entgegengestellt. Deshalb Vgl. Nomoi 883-885. Nach Speusippos’ hängt der nou=j, der identisch mit Gott ist, vom ersten Prinzip ab; vgl. sein Fr.38. 68 Vgl. Politeia 2 379a5. 69 Diese Begriffe sind bei anderen Autoren nicht zu finden. Wenn „qeologi/a“ ein alltägliches Wort wäre, so wie Bordt es vorschlägt, dann hätte Aristoteles höchstwahrscheinlich diese Kognaten nicht erfunden. Bordts Vermutung scheint eher unplausibel zu sein. 70 Das Substantiv „qeologi/a“ findet sich auch im aristotelischen Corpus, es kommt genau einmal vor. Zweifellos ist der Sinn des Wortes ähnlich dem platonischen. Vgl. Metereologica 2 353a35. 67 | 19 | unterscheidet der Stagirit zwischen „fusikoi/“ und „qeolo/goi“ oder „qeologh/zantej“. Aristoteles nennt all jene Denker wie die Ionier, Empedokles, Anaxagoras und die Atomisten, die die Ursachen der Welt unter den stofflichen Dingen suchen, „Physiker“71. Aristoteles’ Unterscheidungskriterium zwischen „Theologe“ und „Physiker“ besteht darin, ob der Autor über die Götter und deren Abstammungen schreibt oder nicht: Wird darüber gedichtet, bezeichnet er den Schriftsteller, der sich auf diese mythologische Weise ausdrückt, als „Theologe“72. Die Theologen versuchen zu vermeiden, sich mit Zeus anzufeinden73. Deshalb räumen sie ein, dass die Götter erste Substanzen sind. Obwohl Aristoteles akzeptiert, dass die Mythen teilweise wahr sind, schenkt er diesen Autoren keine große Aufmerksamkeit74. Gott an sich scheint nie ein philosophisches Thema für Aristoteles gewesen zu sein. Es gibt keinen Beweis dafür, dass er einen Aufsatz über die Götter geschrieben hat. Es liegen jedoch andere Hinweise vor. Diogenes Laertios zum Beispiel berichtet, der Stagirit habe ein Buch Über das Gebet (Peri\ eu)xh=j a’) geschrieben. Auf einer persönlichen Ebene ist bekannt, dass der Stagirit in seinem letzten Willen darum gebeten hat, Athene der Weisen und Zeus dem Weisen jeweils eine Statue zu errichten und die Statue seiner Mutter Phaistis Demeter zu widmen75. Aristoteles verrät aber keine weiteren persönlichen Glaubensüberzeugungen. Selbst wenn man im Corpus etliche Seiten über Gott findet76, wird Gott stets in einer anderen Diskussion genannt. Im Buch E der Metaphysik findet sich allerdings eine interessante Begriffsvariante, die schnell die Aufmerksamkeit des Lesers gewinnt: Das Adjektiv „qeologiko/j“, das von dem Substantiv „qeologikh/“ abstammt77. 71 Vgl. Metaphysica A 983b29, B 1000a9, L 1071b27, L 1075b26 und N 1091a34; Meteorologica 2 353a34-b5. All jene Philosophen, die metaphysische Erklärungsversuche anstreben, wie zum Beispiel Pythagoras oder die Eleaten, werden nicht „fusikoi/“ genannt. 72 Vgl. zum Beispiel Metaphysica B 1000a9 und a18. Diese von Aristoteles stammende Unterscheidung wurde auch weiterhin verwendet – allerdings ausschließlich im peripatetischen Kreis –, zum Beispiel von Eudemus und Philodemus. Dementsprechend ist die von Hippias stammende Unterscheidung (Homer/Thales, Hesiod/Parmenides) erfolgreicher, da die Stoa und die Neoplatoniker oft Gebrauch davon machen. 73 Vgl. Annas (1976), 213. 74 Vgl. zum Beispiel De motu animalium 3 699a27-32; Meteorologica 2 353a35f. Eudemus differenziert diesbezüglich beispielsweise die verschiedenen Abstammungen der Götter. Diesen Unterschied nutzt Gábor Betegh um zu beweisen, dass sich das aristotelische Projekt vollkommen von dem Eudemischen unterscheidet; vgl. Betegh (2002). 75 Diogenes Laertios, Vitae philosophorum E 22.11. Vgl. auch Barnes (1995), 2-3. 76 Bemerkenswert sind die letzten Kapitel von L, die Ethica Nicomachea 10, 7, die Ethica Eudemia 7, 12 und 8, 3 unter anderen. 77 Nicht mit dem Adverb „qeologikw=j“ zu verwechseln. Platon benutzt es schon in der Politeia 10 617d. Zweimal kommt der Begriff „qeologikh/“ vor (Metaphysica E 1026a19 und K 1064b13). | 20 | Aristoteles erfindet dieses Substantiv, um sich von der genannten muqologi/a zu entfernen und den wissenschaftlichen Charakter hervorzuheben. Dort erklärt der Stagirit die qeologikh/ als eine theoretische Wissenschaft, so wie die Mathematik und die Physik78. Jedes Mal wenn Aristoteles sich über die Theologiké äußert, spricht er ihr einen theoretischen Charakter zu. Damit stellt Aristoteles –offensichtlich zum ersten Mal– die Möglichkeit einer 79 wissenschaftlichen Annäherung zum Göttlichen vor . Aber zweierlei darf nicht vergessen werden: Einerseits spricht Aristoteles die Bedingungen für diese Wissenschaft nicht aus, wodurch eine Rekonstruktion erschwert wird. Andererseits geht Aristoteles dieser Wissenschaft selbst nicht nach: Er beschränkt sich darauf, ihre Grundlagen festzulegen. Deshalb werden die Dichter in den folgenden Jahrhunderten trotz der Thronerhebung der Wissenschaft vom Göttlichen durch Aristoteles weiter mit dem Wort „qeolo/goj“ bezeichnet. Der Grund dafür scheint allzu offensichtlich: Es ist lediglich ein theoretischer Rahmen für eine Wissenschaft, der Aristoteles selbst nicht nachgeht. Niemanden überrascht es also, dass die ursprüngliche platonische Bedeutung noch lange –sogar von Cicero, Philodemos und Strabon– beibehalten wird. Erst mit Plutarch beginnt der Begriff „qeologi/a“ sich der heutigen Bedeutung anzunähern. Der Neuplatoniker bezeichnet damit die Untersuchung der göttlichen Gegenstände, die für ihn im Gegensatz zu der muqologi/a stehen, die ihrerseits eher für phantasievolle Erzählungen steht80. Aus diesen Gründen vermeide ich das Wort „Theologie“ in der vorliegenden Arbeit, um möglichst keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Selbst Aristoteles verwendet diesen Begriff in L nicht. Auch andere Autoren wie zum Beispiel Donini finden diese Maßnahme aus denselben Gründen auch empfehlenswert: „In questa situazione, mi domando se non sarebbe semplicemente doveroso rinunciare all’uso del termine teologia a proposito della concezione aristotelica esposta in L“81. Bedauernswerteweise unterscheidet die Realenzyklopädie von Pauly-Wissowa zwischen „qeologi/a“ und „qeologikh//“ nicht; vgl. Ziehen (1934), 2031-2032. 78 Metaphysica E 1026a18-19: „w(/ste trei=j a)/n ei)=en filosofi/ai qewrhtikai/, maqhmatikh/, fusikh/, qeologikh/ [...]“; vgl. auch Metaphysica E 1025b1-18. Über die Physik: E 1025b18-1026a7 und Z 1035b26-28. Über die Mathematik: E 1026a7-10 und E 1026a14-15. 79 Man vermutet, die Theologiké wäre in De philosophia systematisch dargestellt worden. Es fehlen allerdings die entscheidenden Hinweise, um dies belegen zu können. 80 Vgl. Plutarch, Quaestiones convivales I 1 614 D. Nach Robert Flacelières Meinung spielt auch die Polemik von Kleombrotos von Sparta eine Rolle im Ursprung dieser neuen Bedeutung des Begriffs. Außerdem soll Plutarch Platon als einen echten Theologen verehrt haben. Vgl. Flacelière (1974). 81 Donini (2002), 188, Fußnote 15. | 21 | 5. Die Untersuchung der Prinzipien: sofi/ a , prw/ t h filosofi/ a , Archäologie und qeologikh/ Philip Merlan erklärt überzeugend82, wie Aristoteles die Dreiteilung der ontologischen Bereiche –das Sichtbare, die Zahlen und die Formen– von Platon erbt. Mehrere Schüler der Akademie, wie zum Beispiel Xenokrates, werden dieses Schema überarbeiten. Aristoteles soll in diesem Sinne auch keine Ausnahme gewesen sein. Er hat seine eigene Dreiteilung: das vergängliche Sichtbare, das ewige Sichtbare und das Unsichtbare. Eine jede Wissenschaft, so Aristoteles, ist einer Substanz zuzuordnen, die erforscht werden soll. Merlans Meinung nach ist die Physik eine Innovation, denn bei Platon gab es keine Wissenschaft, die sich mit dem Sichtbaren befasste. Andererseits ist eine Wissenschaft, die die unsichtbaren Substanzen studiert, doch keine Neuigkeit, denn es gab schon seit langem die Mathematik als Wissenschaft der Zahlen. Platon selbst wollte auch die Formen mittels der Philosophie untersuchen. Aristoteles begründet aber nicht nur die Physik. Anstatt mit der platonischen Mathematik und der Philosophie befasst er sich vor allem mit der Theologiké, der Untersuchung der unsichtbaren Substanzen, die weder Zahlen noch Formen sind, sondern eher unsichtbare Beweger der himmlischen Sphären83. Dafür muss Aristoteles in L8 den Weg aus der Philosophie in die Astronomie verfolgen84. Ähnlich hierzu hatte Platon im Timaios den Weg aus der Philosophie zur Mathematik gefunden. Es ist ein Fehler der Kommentatoren, wenn sie das Wort „Theologiké“ nicht verwenden, sondern die nicht-aristotelische Variante „Theologie“. Dieses Wort hat heute –abgesehen von seiner ursprünglichen Bedeutung bei Platon– eine doppelte Bedeutung: Im christlichen Sinne ist sie die Forschung über Gott und in einem –falschen– aristotelischen Sinne bezeichnet sie die Forschung der unsichtbaren Substanz85, die in der aristotelischen Philosophie einen göttlichen 82 Vgl. Merlan (1946), 1-3. In seinem englischen Aufsatz verwendet Merlan das Wort theology; vgl. Merlan (1946), 3-6. 84 Deshalb will Merlan nach Physik 2 198a29 zwischen Physik, Astronomie und Theologie (sic) unterscheiden. In Physik 8.6 deutet Aristoteles bereits auf sein astronomisches System hin. Ist die Astronomie Teil der Mathematik oder eher der Physik? Man muss auch bedenken, dass Aristoteles die Sterne für Lebewesen hält. Merlan lässt die Frage offen. 85 Mithilfe der Astronomie beweist Aristoteles, dass es nicht mehr als 47 beziehungsweise 55 verschiedene unbewegte Beweger geben kann. Zu diesem Punkt konnte aber keinesfalls die Theologiké kommen, da diese Kenntnis ausschließlich vom astronomischen System abhängig ist. Über die Zahl der Kugeln beziehungsweise der unbewegten Beweger vgl. unter anderen Fazzo (2012), 293ff. 83 | 22 | Charakter besitzt. Einige Kommentatoren verwenden den Ausdruck im zweiten Sinne, jedoch verfälscht – L handle von der unsichtbaren Substanz und soll gerade deshalb ein theologisches Werk sein. In diesem Sinne ist der Begriff eher in seiner ersten Bedeutung zu verstehen. Andere, wie beispielsweise Ross, gehen zu weit, wenn sie die Meinung vertreten, L sei grundsätzlich eine Schrift über Gott sowie über andere göttliche Substanzen. Damit glauben sie nicht nur irgendein theologisches Thema zu erkennen – sie schreiben dem Stagiriten sogar die Absicht zu, er hätte eine solche Theologie verfassen wollen. Aristoteles’ Gründe, die Untersuchung von L zu beginnen, sind jedoch ganz andere. Aristoteles interessiert sich für eine kausale Welterklärung. Im Laufe der Metaphysik bleibt er seinen Untersuchungen über die Kosmoskausalität treu. Die Erlangung einer aufgeklärten philosophischen Erklärung der Bewegung war ursprünglich der Reiz der ersten Denker. Bei dieser philosophischen Untersuchung der Kausalität „entdeckt“ oder „begegnet“ der Stagirit dem Göttlichen – dies gilt auch für seine Vorläufer. Deshalb muss sich Aristoteles damit erst einmal genauer befassen. Wenn die Gottheit im Buch L der Metaphysik vorkommt, handelt es sich um eine „Entdeckung“ –durch die Weltkausalitätsforschung–, nicht um einen Teil eines Systems, in dem man bereits a priori einen Platz für Gott hätte. Aristoteles hat also überhaupt kein Interesse daran, eine systematische Gottesdarstellung oder gar eine Gotteslehre anzubieten. Dafür sind die Möglichkeitsbedingungen weder historisch noch kulturell oder philosophisch gegeben. Auch wegen des an Gott orientierten Endes von L wird seit langem darauf beharrt, dass das zwölfte Buch ein Text über Theologiké (oder über „Theologie“) ist. L ist nicht das einzige Werk des Stagiriten, das mit ähnlichen Worten endet, wie bereits von Menn beobachtet wurde: Physik, De generatione et corruptione, De anima, Nikomachische und Eudemische Ethik haben alle ein solches an Gott orientiertes Ende. In L widmet Aristoteles sich jedoch etwas völlig anderem. Gott an sich ist keineswegs das Ziel der aristotelischen Untersuchungen. Wäre dies der Fall, wäre anzunehmen, dass Aristoteles höchstwahrscheinlich eine zusätzliche Schrift darüber verfasst hätte. Es liegen jedoch keine Hinweise vor, dass er darüber ex professo schrieb. Was man unter dem heutigen Begriff „Theologie“ versteht, ist im aristotelischen Corpus nicht | 23 | zu finden – nicht einmal im Buch L86. Deshalb kommen mehrere erklärungsbedürftige Schlüsselbegriffe ins Spiel, die zu unterscheiden sind: sofi/a, prw/th filosofi/a und qeologikh/ und auch die Neologismen „Ousiologie“ und „Archäologie“. Tatsächlich kreuzen sich diese Begriffe. Burnyeat erklärt dieses Phänomen folgendermaßen87: It is because ‘all things are explained by reference to their primary case’ that the core task of first philosophy turns out to be an investigation into the causes and principles of substantial being. Substantial being is primary, so the most general science there is must culminate in the primary cause of the primary kind of substantial being, namely, God. Es ist also unabdingbar, diese Begriffe zu unterscheiden. Folgendes Schema repräsentiert die verschiedenen Disziplinen, wie sie meiner Ansicht nach zu gliedern sind: göttliche sofi/a (no/hsij noh/sewj) Homonymie menschliche sofi/a (prw/tai a)rxai/) * Innerhalb des Corpus: prw/th filosofi/a * Neologismus in Bezug auf die alten Denker: „Archäologie“ qeologikh/ (unsichtbare Substanzen) Ousiologie Astronomie 86 Für einen Überblick der entsprechenden Stellen vgl. die ‚Tabelle’ als Anhang dieser Arbeit. Auch in anderen Werken des Corpus sind die Begriffe „qeo/j“, „qeoi/“ und „to\ qei=on“ zu finden. Für einen ausführlichen Überblick vgl. Bonitz (1870), 325: „qeo/j, qeoi/, to\ qei=on“. Er zitiert folgende Passagen der Metaphysik in seinem Index Aristotelicus: A2 983a1-2, 983a8, K7 1064a37, L7 1072a23, 1072a25-26, 1072b14, 1072b18, 1072b29, L9 1074b21. Des Weiteren: Topica 4 126a35, 126a38, 5 128b19, 132b11, 6 136b7; Physica 8 259a14; De caelo 1 271a33, 279a28, 279a32, 2 286a9; De generatione et corruptione 2 336b32ff.; De mundo 2 391b11, 6 397b14, 400b8; De partibus animalium 2 656a8, 4 686a28; Ethica Nicomachea 7 1154b26, 8 1158b35, 1159a4, 10 1177a15, 8 1178b7-32, 10 1179b22; Magna ethica 2 1200b13, 11 1208b29ff., 15 1212b35, 1249b16; Ethica Eudemia 7 1238b27, 10 1242a33, 1242b20, 12 1244b8, 1245b17, 14 1248a26, 1248a28, 15 1249b14, 1249b16-17, 1249b20; Politica 3 1287a29, 7 1323b23, 1325b28. 87 Burnyeat (2001), 139. | 24 | Der Stagirit verfolgt in der Metaphysik eine Untersuchung der Prinzipien. Deshalb erklärt er gleich zu Anfang seines Werkes, was er unter „sofi/a“ versteht88: Göttlich aber dürfte allein sie [die sofi/a] im zweifachen Sinne sein: Einmal nämlich ist die Wissenschaft göttlich, welche der Gott am meisten haben mag, und zum anderen die, welche das Göttliche zum Gegenstand haben dürfte. Bei dieser Wissenschaft allein trifft beides zugleich ein; denn Gott gilt allein für eine Ursache und Prinzip, und diese Wissenschaft möchte wohl allein oder doch am meisten Gott besitzen. Notwendiger als diese sind alle anderen, besser aber keine. Auch das XVI. Symposium Aristotelicum hat diese Interpretation übernommen und akzeptiert, dass es ein einziges Projekt in der Metaphysik gibt – nämlich die Suche der sofi/a. Die Akten des Symposiums zeigen den roten Faden der Metaphysik und Aristoteles’ Verbindung –was die Untersuchung der ersten Prinzipien betrifft– zu den Vorsokratikern und vor allem zu Platon89: This is the project of a knowledge called ‘wisdom,’ a project which has been presented summarily and in a popular style in the first two chapters of Book A. This knowledge distinguishes itself from others both by virtue of its consummate character, because it proceeds to the extreme point of what there is to explain in ascending to the absolutely primary principles, and also by virtue of a certain epistemological quality, well captured in the manner whereby Hesiod is summarily excluded from the discussion of the tenth aporia: ‘But it is not worth the trouble seriously examining what those who speculate by means of myth think; it is necessary to take into consideration those who express their views by means of argument,’ etc.90 Wisdom actually explains (in that it makes the causes comprehensible) and shows why the facts that it explains could not have been otherwise than they are. It is capable of this because it gives universal explanations91, but this does not immediately imply that it ought to be a unique science that encompasses reality in its totality, as Plato probably thought; in fact, numerous aporiai envisage the possibility that there exist apart from this other sciences, possibly rivals of wisdom. This project, in a certain sense, belongs to the entire human race, even if the 88 Metaphysica A2 983a5-10: „h( ga\r qeiota/th kai\ timiwta/th: toiau/th de\ dixw=j a)\n ei)/h mo/nh: h(/n te ga\r ma/list¡ a)\n o( qeo\j e)/xoi, qei/a tw=n e)pisthmw=n e)sti/, ka)\n ei)/ tij tw=n qei/wn ei)/h. mo/nh d¡ au(/th tou/twn a)mfote/rwn tetu/xhken: o(/ te ga\r qeo\j dokei= tw=n ai)ti/wn pa=sin ei=)nai kai\ a)rxh/ tij, kai\ th\n toiau/thn h)\ mo/noj h)\ ma/list¡ a)\n e)/xoi o( qeo/j. a)nagkaio/terai me\n ou)=n pa=sai tau/thj, a)mei/nwn d¡ ou)demi/a“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung). Crubellier & Laks (2009), 16. 90 Metaphysica B4, 100018a20. 91 Vgl. Metaphysica A1, 981a7-12 89 | 25 | Greek thinkers of the generations immediately preceding Aristotle were the first to give it precise form; but it is more accurately a Platonic project, since Plato is the one who made an explicit philosophical programme of it and placed it at the heart of his work. To this extent, as Michael Frede has pointed out92, the public to whom Book B is addressed, the small number of listeners or readers for whom these questions could have had meaning and importance, could be characterized as ‘Platonic’, in a fairly broad sense. Menns Version der Textstruktur der Metaphysik ist anders als die von Michel Crubellier und André Laks. Sie schreiben93: So, in a way, Book G may look like the continuation of the methodical development of the aporiai. But it would appear more difficult to maintain this hypothesis for the remaining books. [...] As for the rest [der Metaphysik abgesehen von I2 1053b10-24, M2 1076a38-b1 und M10], the possible connections are more vague. One can certainly find in all the other books elements of responses to questions posed in B – which is not at all surprising, since they are dealing with the same material. But it seems that the resolution of these aporiai is no longer Aristotle’s main preoccupation. He engages with this one or that no more than incidentally, and in doing so he treats it no more methodically than is useful to him in the context of his argument at the moment. Menn ist fest davon überzeugt, dass L auch eine entscheidende Rolle in der Lösung einiger Aporien des Buches B spielt94, denn das Programm der Metaphysik stellt Aristoteles mittels der Aporien des dritten Buches vor, deren Lösungen er teilweise auch in L bietet95: “L draws on this investigation, not out of an interest in being as substance or even in being in general […], but in order to complete the task, set in AB, of a knowledge of the a)rxai/”. Diese Kenntnis der a)rxai/ ist die gesuchte sofi/a. Als sofi/a gilt im strikten Sinne das (göttliche) Denken der no/hsij noh/sewj. Das Wissen von Gott entspricht also derselben sofi/a, die Aristoteles dem Leser bereits in A2 vorgestellt hatte96. Der Stagirit macht Gebrauch von einer Homonymie, insofern er auch die (menschlichen) Nachforschungen der Prinzipien mit demselben Wort benennt97. Nicht nur L sondern die ganze 92 Vgl. Sophist 243c, 217a und vor allem 250e. Crubellier & Laks (2009), 23; vgl. auch 22. 94 Vgl. Menn (2009), 212-213. 95 Menn (2009), 262. 96 Vgl. Metaphysica A2 982a4ff. 97 Vgl. zum Beispiel Metaphysica A1 982b7-10: „e)c a(pa/ntwn ou)=n tw=n ei)rhme/nwn e)pi\ th\n au)th\n 93 e)pisth/mhn pi/ptei to\ zhtou/menon o)/noma: dei= ga\r tau/thn tw=n prw/twn a)rxw=n kai\ ai)tiw=n ei=)nai | 26 | Metaphysik begibt sich auf die Suche des ersten Prinzips. In diesem Sinne ist die Metaphysik eine Schrift über sofi/a. Die sofi/a ist also zweifach „göttlich“: die echte sofi/a gehört Gott und die menschliche sofi/a sucht das erste Prinzip. Da das gesuchte Prinzip göttlich ist, dürfte man behaupten, die sofi/a repräsentiere eine gewisse Kenntnis über das Göttliche. Im engeren Sinne befasst sich allerdings nur die Theologiké mit Gott oder den Göttern. Wie das Schema zeigt, wird die sofi/a im Corpus auch „prw/th filosofi/a“ genannt. Diese weitere aristotelische Bezeichnung der menschlichen Weißheit dient als Vergleich. Tatsächlich etabliert die Ordinalzahl „erste“ (prw/th) eine Ordnungsbeziehung mit der „zweiten Philosophie“, der Physik. „prw/th“ ist hier kein Superlativ im Sinne von: „die erste Philosophie überhaupt“. Dafür verwendet Aristoteles den zuvor genannten Begriff „sofi/a“, denn tatsächlich ist die sofi/a die beste Wissenschaft unter allen: „Besser als diese ist keine“ – „a)mei/nwn d¡ ou)demi/a“. Die Neologismen „Archäologie“ und „Ousiologie“ stammen von griechischen Termini: aus „a)rxh/“ beziehungsweise „ou)si/a“ und „lo/goj“. Mit diesen Begriffen werde ich die „Untersuchung der Prinzipien“ und „der Substanz“ bezeichnen. Wozu die beiden neuen Worte? „Ousiologie“ weist auf die Forschung der Substanz hin. Damit versuche ich zu betonen, dass die Substanz an sich der Gegenstand dieser Disziplin sein sollte. Außerdem mache ich Gebrauch von dem Begriff „Archäologie“, um auf die allgemeinen Studien der griechischen Tradition hinzuweisen. Damit benenne ich die von den alten Autoren –seit Thales– geführte Untersuchung der Prinzipien der beweglichen Realität. In Spannung dazu stehen freilich die „erste Philosophie“ und die „sofi/a“: Beide deuten auf ein bestimmtes Wissen hin, das nur innerhalb des Corpus zu finden ist. Da ich L als eine Schrift „über sofi/a“ behandle, ist mein nächster Schritt, den Text mit allen anderen Untersuchungen der vorsokratischen Bewegungskausalität in Verbindung zu bringen, das heißt, dass es sich um eine Forschung jenseits des aristotelischen Corpus handelt, die den Stagiriten mit seinen Vorfahren verbindet. Wenn man allerdings das zwölfte Buch innerhalb des aristotelischen Corpus betrachtet, dann hält man es für einen Text über die (menschliche) sofi/a. Zwei Disziplinen lassen sich also qewrhtikh/n [...]“ („Nach allem eben Gesagten fällt also die gesuchte Benennung derselben Wissenschaft zu: Sie muss nämlich eine auf die ersten Prinzipien und Ursachen gehende, theoretische sein“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). Die Nikomachischen Ethik erörtert eine Betrachtung der Götter, die wahrscheinlich der vorliegenden sofi/a entspricht. Vgl. Ethica Nicomachea 10 1078b8ff. | 27 | einem göttlichen Charakter zuschreiben: auf der einen Seite der sofi/a in ihrer doppelten Bedeutung, auf der anderen Seite der Theologiké. Die Theologiké ist die Untersuchung aller unsichtbaren Substanzen, insofern sie unsichtbar sind98. Die antiken Philosophen erachten die unsichtbaren Substanzen für göttlich und somit erhält die Theologiké denselben Status. Wie seine Vorgänger schreibt auch Aristoteles dem ersten unbewegten Beweger einen göttlichen Charakter zu. Dieser Beweger ist für den Stagiriten ein Lebewesen. Wenn Gott ein einziges Individuum ist, dann ist es schwer nachvollziehbar, wie man von einer Wissenschaft Gottes99 überhaupt sprechen kann100. Auf der anderen Seite steht unter den Griechen und Aristoteles selbst das Adjektiv „göttlich“ für eine Menge von Wesen, die wohl eine eigene Gattung darstellen: alle unbewegten Beweger101. Diese Gruppe von göttlichen Wesen schließt alle unbewegten Beweger ein, die es im kosmischen System des Stagiriten gibt. Sie alle hängen von einer astronomischen Konzeption ab. Aristoteles selbst sagt, dass er sich nicht absolut sicher sei über die fortdauernde Gültigkeit der Lehre Eudoxos’ und Kallippos’. Nur in diesem Fall könnte man problemlos über eine Wissenschaft des Göttlichen bei Aristoteles reden. Aristoteles nennt diese allerdings nicht qeologi/a, sondern eher qeologikh/. Die qeologikh/ ist also die theoretische Wissenschaft, die die obersten, bewegungsunfähigen und getrennten Substanzen betrachtet. Sie ist nicht vollständig unabhängig und muss aus diesem Grund unbedingt zusammen mit der Astronomie untersucht werden. Erst mit Aristoteles gewinnt die Untersuchung der unsichtbaren Substanzen einen explizit wissenschaftlichen 98 Dies entspricht, laut Merlan und wie bereits erwähnt, der pythagoreischen Mathematik und der platonischen Philosophie. Nach Menn hat Frede die Stelle falsch verstanden, zumal er der Meinung ist, L widme sich nicht den unsichtbaren Substanzen an sich, sondern eher dem ens qua ens. In diesem Sinne erkenne Frede nicht die Verbindung zwischen der in L vorgestellten Theologie (sic) und dem, was – laut E2 – der Sinn der Theologie sein sollte. Vgl. Frede (2000a), 50. 99 Genitivus obiectivus. 100 Die Frage, ob eine Theologie – im heutigen Sinne als Wissenschaft über Gott – bei Aristoteles überhaupt möglich ist, bleibt offen. Der Stagirit ist überzeugt, dass eine Wissenschaft immer Universalien betrifft und niemals ein einzelnes Individuum. Es gibt beispielsweise die Zoologie – als Wissenschaft der Tiere –, aber keine Wissenschaft über Bukephalos oder über Argos (dass Argos ein fiktives Tier ist, spielt hier keine Rolle). Da beide einzelne Individuen sind – ein Pferd, ein Hund – kann keines von beiden ein geeigneter Gegenstand für eine Wissenschaft sein. Nur innerhalb einer Tiergruppe, das heißt „Pferde“, „Hunde“, können Bukephalos und Argos wissenschaftlich untersucht werden. Im Gegensatz dazu steht Gott als ein notwendiges Individuum. Man könnte also durchaus eine Wissenschaft über Ihn entwickeln (vgl. Metaphysica Z 1039b28-1040a2). 101 Merlan erklärt, wie jeder unbewegte Beweger eine eigene Spezies ist, genau wie auch jede Zahl bei Platon eine eigene Spezies darstellt. In diesem Sinne gehören alle zu einer bestimmten Substanzart, nämlich der Unsichtbaren. Vgl. Merlan (1946), 9-10. | 28 | Status. Da sich die Theologiké den ersten Prinzipien widmet, ist sie Teil einer umfassenderen Disziplin –der ersten Philosophie–, die Aristoteles zeitweilen auch „sofi/a“ nennt102. Auch André-Jean Festugière sieht die Theologiké als ein Teil der sofi/a an und beschreibt sie als ihren „Höhepunkt“, indem sie den Beweger des ersten Himmels, das heißt das oberste Prinzip, von dem Natur und Himmel abhängen, erforscht103. Das mag zwar wie eine schöne Metapher klingen, scheint aber von einer theologischen Interpretation geprägt zu sein. Um dies zu verstehen, wird im nächsten Kapitel die Tradition, die L für eine theologische Schrift hält, aufgezeigt. 102 Menn versteht es genau umgekehrt: Die sofi/a untersucht ausschließlich das erste Prinzip, das heißt die erste Substanz. Da die Theologie (sic) alle unbewegten Beweger betrachtet, ist sie weitläufiger als die sofi/a selbst. Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „L1, the status of L1-5 and the skopo/j of L“, 13-23. 103 Festugière (1944-1954), 598-605. | 29 | L IST THEOLOGIE Jahrhundertelang haben die Kommentatoren das zwölfte Buch der Metaphysik für einen Aufsatz über Theologie gehalten. Das hat teilweise mit Alexander von Aphrodisias zu tun, aber vor allem mit einer Transformation der Hermeneutik des aristotelischen Textes, die erst mit den Neoplatonikern begonnen hat. Eine systematische Darstellung der Entwicklung dieser Interpretation wurde bisher leider nicht gegeben. Das Folgende stellt einen ersten Entwurf für dieses Projekt dar, ausgehend von den ersten Schülern des Lyzeums und endend mit einigen Kommentatoren unserer Tage. Dieses erste Kapitel besteht aus fünf Teilen. Zuerst untersuche ich die Überlieferung der L-Schrift unter den peripatetischen Autoren. Ich prüfe die Paraphrase des Themistius zum Buch L genauer und folge anschließend Richard Sorabjis Untersuchung der Überlieferung des Textes unter den Neoplatonikern. Dann beschäftige ich mich mit der syrischen Schule und den Arabern, die das Werk des Stagiriten zum ersten Mal übersetzt haben. Ich befasse mich nicht mit dem Mittelalter und der Renaissance, sondern mache gleich einen Zeitsprung in die Moderne. Ich bespreche die verschiedenen philologischen und philosophischen Meinungen der Kommentatoren des XIX. Jahrhunderts und des frühen XX. Jahrhunderts, besonderes Augenmerk lege ich dabei auf die deutschen Autoren sowie auf den Engländer Sir David Ross. Im letzten Teil dieses Kapitels stelle ich einige Autoren des XX. Jahrhunderts vor, die ebenfalls diese theologische Interpretation vertraten. 1. Die Überlieferung von L unter den peripatetischen Denkern Zu den bedeutendsten Schülern des Aristoteles zählen Theophrast und Eudemus von Rhodos. Beide beschäftigen sich mit dem Werk ihres Lehrers. Nach dem Tod des Aristoteles kehrt Eudemus zurück nach Rhodos, wo er eine eigene Schule gründet. Zu seinen Hauptinteressengebieten gehören die Arithmetik, die Geometrie und die Astronomie. Einige Problemstellungen stellt er in seiner Sammlung von i(stori/ai der Wissenschaften vor. Mehrere Kommentatoren sind der Meinung, Eudemus’ Geschichte sei Teil eines | 30 | weitreichenderen Projektes, das Aristoteles selbst begonnen haben soll104. Jørgen Mejer zeigt, dass bei der oben genannten Geschichte der Wissenschaften das Werk (gegebenenfalls auch dessen Ziel) oder dessen Titel missverstanden wird105. Beschäftigt man sich mit erhaltenen Fragmenten, merkt man, dass Eudemus nur eine geringe Zahl der Probleme untersuchte, und zwar jene, die eine aristotelische Wurzel haben. Deswegen behauptet Mejer, dass die Arbeit des Eudemus in der Tat keine historische Schrift sei. Die Kommentatoren sind stets davon ausgegangen, dass Eudemus zum ersten Mal die Geschichte der antiken Wissenschaften zusammengefasst hat. Laut Mejer sollte man den Text anstatt „Geschichte“ eher „Untersuchung“ (research) nennen. Eudemus ist also nicht der erste Historiker der Wissenschaften, als der er oft bezeichnet worden ist. Dennoch ist Mejers Position zum Inhalt des eudemischen Textes wohl eher eine Ausnahme. Ob Eudemus im letzten Abschnitt seiner Geschichte eine historische Darstellung der Theologie lieferte –oder tatsächlich liefern wollte–, bleibt daher noch immer unklar. Der Titel des genannten Abschnittes, „Theologie“, scheint erst später, wahrscheinlich durch Damaskios oder durch einen anderen Neoplatoniker, hinzugefügt worden zu sein106. In diesem Teil berichtet Eudemus über Homer, Hesiod, die Orphiker, Akusilaos, Epimenides, Pherekydes von Syros, Musaios etc. sowie über die Kosmogonien aus Babylonien, Persien und Phönizien. In dieser Gruppe stellt er diejenigen Autoren vor, die von Aristoteles als „Theologen“ bezeichnet wurden107. Jaeger erachtet diese Einteilung als haltlos, zumal Eudemus Aristoteles nicht zu diesen Autoren zählt108. Allerdings ist dies nicht der zentrale Punkt der jüngsten eudemischen Studien. Hätte Aristoteles ein theologisches Werk geschrieben, wäre es sehr wahrscheinlich, dass ihn Eudemus –als sein Schüler– zitiert hätte. Dies wäre selbst dann der Fall, wenn Eudemus beabsichtig hätte, den kosmogonischen Diskurs von dem philosophischen zu unterscheiden. Dementsprechend hätte er ganz bestimmt Aristoteles behandelt. Dies hat er aber nicht getan. Dank des Fragments 150 (Wehrli) kann man ausschließen, dass das aristotelische Corpus eine Rolle bei der Interpretation der alten 104 Zum diesem Projekt sollten auch die Physikai Doxai des Theophrasts und die Iatrika des Menon gehören; vgl. Gottschalk (2002). 105 Vgl. Mejer (2002). 106 Es kommen weitere Neoplatoniker in Betracht. Dazu kommen wir später noch. 107 Ein Synonym dazu ist „a)retalo/goj“. Mit diesem Begriff bezeichnen die hellenistischen Autoren die „Wundererzähler“, das heißt „Erzähler hübscher Geschichten“, etc. 108 Vgl. Jaeger (1947), 14. | 31 | „Theologen“ gespielt hat. Das heißt also, dass der Sinn des Wortes „Theologie“ zumindest im peripatetischen Bereich sogar nach Aristoteles’ Tod unverändert geblieben ist. Es gibt noch eine ältere Diskussion bezüglich Eudemus’ Arbeit. Sie erreicht uns durch den Text über das De principiis des Damaskios (462 – nach 538). Das Fragment ist wohl die älteste Quelle der antiken Kosmogonien und zeigt die Entwicklung von mu/qoj zum lo/goj. Die Frage ist, ob man das Fragment 150 von Wehrli als Teil eines (verloren gegangenen) fortlaufenden Werkes akzeptiert oder nicht. Dieser Fragestellung soll jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht weiter nachgegangen werden. Als Aristoteles nach Chalkis flieht, bleibt sein Schüler Theophrast in Athen und wird bald zu seinem Nachfolger im Lyzeum. Theophrast veröffentlicht daraufhin eine wichtige Textreihe mit den Äußerungen des Eudemus. Des Weiteren schreibt er ein Buch, welches unter dem Titel Metaphysik bekannt ist. Zu diesem Buch liegen verschiedene Hypothesen vor, da es in der Tat immer noch unklar ist, welchen Titel das Werk ursprünglich trug. Burnikel schlägt vor, es in Theophrasts Anteil an der Metaphysik des Aristoteles umzubenennen, um den ursprünglichen Sinn beizubehalten. Van Raaltes behauptet, es sei eine unabhängige Abhandlung über die Prinzipien. Laks und More gehen davon aus, es handele sich um ein Fragment einer ganzen Metaphysik Theophrasts. Heutzutage hat die Behauptung von Laks und More viele Anhänger109. In seinem Buch untersucht Theophrast dreierlei: (a) die Bezeichnung der einzelnen Dinge, (b) ihre Relation zueinander und (c) die Wesensbestimmung des Ganzen110. Wie sein Lehrer Aristoteles fragt auch der Schüler Theophrast nach dem Prinzip der beweglichen Dinge. Die Frage stellt sich im Rahmen der Teleologie, die von Theophrast ausführlich problematisiert wird. Laks und More nennen drei Stichwörter, mit denen die Diskussion leicht verfolgt werden kann: „morfh/“, „ei)=doj“ und „du/namij“. Das Hauptinteresse Theophrasts bei der Auffassung der Metaphysik ist meiner Meinung nach die Prinzipienlehre. Hier übt er Kritik an der aristotelischen Kosmologie, Meteorologie und Biologie. Was das Verhältnis zwischen der theophrastischen Metaphysik und dem aristotelischen Buch L betrifft, tendiert man heute zu der Annahme, dass 109 110 Vgl. zum Beispiel Heinrich (2000), 15-16. Vgl. Heinrich (2000), 224. | 32 | Theophrast das Buch L der Metaphysik seines Lehrers höchstwahrscheinlich gekannt hat. Jörn Heinrich geht von Folgendem aus111: Die Diskussion um §7 [der Metaphysik Theophrasts] und L8 [der aristotelischen Metaphysik] ist letztlich unergiebig geblieben. […] Ich halte es für höchst unwahrscheinlich, dass diese zentrale Frage der aristotelischen Prinzipienlehre nicht vor der Entstehung der Metaphysik Theophrasts von beiden diskutiert worden ist. Dafür sprechen: 1. Die Frage nach Singularität oder Pluralität hat bereits eine philosophische Tradition und findet schon in der Vorsokratie mehrere Anwendungsfelder, zum Beispiel Theologie (Homer, Xenophanes) oder Wahrheitstheorie (Parmenides, Sophisten). 2. Aristoteles selbst referiert in der Physik diesbezüglich vorsokratische Positionen […]. Eine relevante Hypothese lautet: Je bedeutender ein Fragment für eine Schule oder einen Autor ist, desto größer ist die Möglichkeit, dass es über die Jahrhunderte hinaus überliefert wird112. Daraus darf man Folgendes schließen: (a) Das Interesse des Aristoteles an einer Prinzipienlehre rührt von den ältesten philosophischen Diskussionen her, die die Vorsokratiker bereits initiiert hatten. Eine solche Prinzipienlehre passt besser zum philosophischen Programm des Aristoteles als ein theologischer Exkurs. (b) Es ist anzunehmen, dass auch Theophrast sich mit dieser Lehre beschäftigen wollte. Aus seinen zahlreichen Werken geht hervor, dass er auch anderweitigen Interessen nachging. Der Inhalt der theophrastischen Metaphysik kann jedoch als sein Hauptinteressengebiet bezeichnet werden. Dort stellt sich stets die Frage nach den Prinzipien, niemals nach Gott. (c) Wäre das (Haupt)Interesse des Aristoteles die Frage nach einer philosophischen Gotteslehre gewesen, dürfte man zu Recht vermuten, dass Theophrast dies berücksichtigt hätte. Da Aristoteles sich vorwiegend mit den ersten Prinzipien beschäftigt, untersucht diese auch Theophrast genauer. Als Schüler des Stagiriten möchte er Aristoteles’ Lehre der Teleologie verbessern. Weiterhin weist Theophrast darauf hin, dass das Bewegungsprinzip etwas Göttliches ist. In seiner Metaphysik behandelt er die Frage nach dem 111 Heinrich (2000), 251. Silvia Fazzo ist der Meinung, das zwölfte Buch ist sehr gut erhalten worden: „il testo di Lambda infatti è stato copiato con uno zelo ammirevole e quasi religioso [...] Questo zelo è significativo e non casuale: anche al tempo die codici più antichi, Lambda era considerato depositario dell’esposizione più alta dei principi primi: lo si vede dai margini del codice E, dell’inizio del X secolo, anteriore dunque per data a tutti i commenti continui medievali“; Fazzo (2012), 23-24. 112 | 33 | Bewegungsprinzip so, wie man es von einer Frage hinsichtlich Gottes erwarten würde. Theophrast unterscheidet seinerseits klar zwischen diesen beiden Fragen113. Aufgrund der ähnlichen Annäherung an diese beiden Fragen ist die entstandene Verwirrung unter den Kommentatoren im Blick auf Gott und das erste Bewegungsprinzip verständlich. Sollten gar keine Hinweise über eine (mögliche) Gotteslehre –weder in Fragmenten von Eudemus noch von Theophrast– erhalten geblieben sein, hat die Gotteslehre im philosophischen Programm des Aristoteles und der Peripatetiker höchstwahrscheinlich keine Rolle gespielt. Wäre L verfasst worden, um eine Gotteslehre anzubieten, würden wir heutzutage wohl über eine klare Äußerung darüber –entweder von Eudemus oder von Theophrast oder von irgendeinem anderen Peripatetiker– verfügen. Dies ist allerdings nicht der Fall. Während Eudemus sich mit Problemen eines anderen wissenschaftlichen Bereiches beschäftigt, kritisiert und korrigiert Theophrast die Prinzipienlehre seines Lehrers114. Ein weiterer Grund zugunsten dieser theologischen Lesart besteht darin, was Silvia Fazzo115 als „Lambda-Zentrismus“ bezeichnet. Lange Zeit hielten die meisten Kommentatoren L für den entscheidenden Teil der ganzen Metaphysik. Da sich das ganze Werk um L drehen sollte, wuchs der Eindruck, das zwölfte Buch sei nicht nur sein Kern und seine Haspe, sondern auch sein Höhepunkt. Dieser Interpretation nach soll L also das Hauptthema der ganzen Metaphysik darstellen: Gott. Die theologische Auffassung wurde verstärkt, indem Gott nicht nur als Objekt der Begierde des ko/smoj funktionierte, sondern auch als das des Lesers, indem dieser dazu strebt, die Gotteslehre zu erreichen. In diesem Sinne schienen die restlichen Bücher M und N eher ein Zusatz zu sein, der in der gesamten Struktur des Werkes nicht ganz zu verstehen war. Der „LambdaZentrismus“ soll nicht nur als verantwortlich für eine falsche theologische Lesart gelten, sondern auch für ein Missverständnis der Strukturierung der gesamten Metaphysik. Er wurde in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verschoben und somit gewann die Substanzlehre den Vorrang unter den Kommentatoren bis zu einem gewissen „Zeta-Zentrismus“, der mit 113 Vgl. Metaphysica 4b6f. und 7b19f. An dieser Stelle könnte man ein Eingehen auf Alexander von Aphrodisias (Kopf des Lyzeums: 198-209) erwarten, doch hat er zur Frage kaum etwas zu sagen, da er L nicht kommentiert. Er identifiziert freilich „sofi/a“, „qeologikh/“ und „ta\ meta\ ta\ fusika/“. Die qeologikh/ sucht die erste Ursache-Form, die eine unvergängliche Substanz sei. Aristoteles nenne diese mal „Gott“, mal „nou=j“. Vgl. Commentaria in Metaphysica B1 171 5ff. 115 Fazzo (2009b), 31. 114 | 34 | dem von L rivalisierte, so Fazzo. Gegen Donini und andere Vertreter der ousiologischen Lesart behauptet sie, L handle weder von der Substanz noch von Gott116. Fazzos Argument bezieht sich auf die erste Zeile vom Buch L, in der Aristoteles schreibt, dass peri\ th=j ou)si/aj h( qewri/a. Ihrer Meinung nach ist diese Zeile nicht der Titel des zwölften Buches, sondern eher eine allgemeine Anweisung zur Diskussion117. Dieser Hinweis soll sich sowohl auf den generellen Plan der Metaphysik, eine Lehre der ersten Philosophie darzustellen, als auch auf die Tradition der antiken Philosophen, die die Substanzprinzipien untersuchten, beziehen. Das bedeutet, dass die gemeinte qewri/a als eine Anweisung auf das gesamte Werk dient und nicht nur auf die spezifische Unternehmung des zwölften Buches. Das heißt, die ganze Metaphysik untersucht –genau wie sich die antiken Denker damit bereits beschäftigt hatten–, wie die Substanz ist und welche ihre Prinzipien sind. Darüber wird in dieser Arbeit noch diskutiert. 2. Themistius’ Paraphrase Themistius (317 – 388) gilt je nach Betrachtungsweise entweder als der letzte Vertreter der peripatetischen Schule oder als ein Glied in der Kette zwischen den peripatetischen Kommentatoren und den neoplatonischen Philosophen118. Er verfasst Kommentare zu verschiedenen Werken des Aristoteles und hat eine besondere Stellung in der Interpretationsgeschichte von L. Sein Text über das Buch L erregt Aufmerksamkeit, weil er als eine Zusammenfassung der globalen aristotelischen Philosophie verstanden wird119. Deswegen will er keinen Kommentar schreiben, sondern eher eine Paraphrase. Der griechische Originaltext existiert nicht mehr. Erhalten ist nur eine Teilübersetzung auf Arabisch und eine vollständige Version auf Hebräisch120. Dabei handelt es sich 116 Fazzo (2008), 161. Fazzo (2008), 167. 118 Brague (1999) unterstützt die erste These. Henry J. Blumenthal verteidigt die Position, Themistius sei der letzte Peripatetiker; vgl. Blumenthal (1979), 391-400. 119 Laut Brague hält Shlomo Pines Themistius’ Kommentar zum zwölften Buch für einen der bedeutendsten Texte in der Geschichte der Philosophie (1999); vgl. Pines (1981), 224. 120 Es liegt eine eher mangelhafte Übersetzung ins Lateinische von Moïse Finzi aus dem XVI. Jahrhundert vor. Ich mache vor allem Gebrauch von der französischen Übersetzung von Brague (1999). 117 | 35 | also um die ältesten verfügbaren Texte des zwölften Buches der Metaphysik121. Aufgrund einer Vielzahl von Hinweisen wird angenommen, dass es sich hierbei um einen Teil eines größeren Werkes –wahrscheinlich eine Paraphrase oder sogar einen Kommentar zur ganzen Metaphysik– handelt122. Rémi Brague betont, dass die Beziehung von Gott zur vergänglichen Welt das Hauptthema der Paraphrase sei. Aristoteles’ eigene Position wird leider nicht deutlich und ist Gegenstand heftiger Diskussion. Um der Frage nachzugehen, bedient Themistius sich der Darstellung des göttlichen nou=j bei Plotin. (Er)kennt man sich selbst, dann nimmt man auch die Ideen wahr, die aus der eigenen Vernunft erwachsen. Gott kennt die Welt. Alle Dinge in der Welt können wahrgenommen werden, sofern Gott sich selbst (er)kennt. Daraus schließt Themistius, dass Gott sich selbst (er)kennt, jedoch gleichzeitig der Welt fremd bleibt, genau so wie Aristoteles es beabsichtigt hatte123. Der Leser der Paraphrase gewinnt den Eindruck, es handele sich eigentlich um einen Aufsatz über die Substanz. Die Frage nach den Prinzipien der Substanz zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Schrift und wird von Themistius an verschiedenen Stellen im gesamten Text erwähnt. Als Beweis hierfür zitiere ich eine entscheidende Textstelle aus der französischen Übersetzung von Rémi Brague. Die Paraphrase beginnt also mit folgenden Worten124: Aristote dit : L’étant se dit de plusieurs façons, mais, puisque nous avons pour but de chercher les principes de la chose qui est, nous n’aurons pour but que de chercher les principes de la seule substance, parce que la substance est, parmi les étants, le plus digne de ce concept (d’être) et <celui que le mérite le plus>. Im zwölften Buch entwickelt Aristoteles die Substanzlehre weiter, die er bereits in den mittleren Büchern vorgestellt hatte. Zweifellos ist dies seine zentrale 121 Allgemein bekannt ist, dass der sogenannte Kommentar zu L von Alexander tatsächlich von Michael von Ephesus (XII. Jahrhundert) stammt. Weder von Syrianos noch von Asklepios verfügen wir über Kommentare. Die Stellungnahme von Philoponos wurde tatsächlich erst nach Michael von Ephesus geschrieben. Ein weiterer vollkommen erhaltener und zur Verfügung stehender Kommentar stammt von Averroës. 122 Vgl. zum Beispiel dem Passus L 1069a28f. Die französische Version von Brague (1999) lautet: „Nous avons déjà examiné auparavant (plusieurs fois) ce qu’il en est de ces choses“. [Dieser Text stammt aus der arabischen Version, unter Ausnahme des Textes in Klammern, der aus dem Hebräischen stammt.] Gemeint ist damit die Diskussion gegen die Platoniker, die Aristoteles bereits im ersten Buch der Metaphysik begonnen hat. 123 Diese Theorie ist entscheidend für die Neoplatoniker und Scholastiker. Spuren davon sind unter anderem in Proklos, Pseudo-Dionysios, al-Farabi, Avicenna, Maimonides und Thomas von Aquin zu finden. 124 L1 nº 1. Brague nummeriert auf seine Weise die verschiedenen Paragraphen des Buches. Diese Passage hier übersetzt er aus dem arabischen Text. | 36 | Absicht in den ersten Kapiteln des Buches; zu Beginn des vierten Kapitels drückt er diese Absicht folgendermaßen aus125: Puisque notre but est de chercher le principe premier des choses existantes, ce qui convient dans cette recherche est que nous la fassions précéder par des questions, de la façon que j’ai mentionnée. Or, ce qu’il faut que je commence par dire, c’est : est-il possible que le principe de toutes les choses qui existent soit le même – si bien que ce principe serait le principe de la substance, celui de la relation, de la quantité et de la qualité – ou bien, pour chacun de ces genres, le principe de l’un est-il différent du principe de l’autre ? In der Fortsetzung des Textes von Themistius beziehungsweise Aristoteles findet man eine Kontinuität zwischen dem vierten und fünften Kapitel. Nun aber wird das Ziel auf eine andere Weise formuliert: „Notre but n’est pas de chercher le moteur prochain ; notre but est de chercher le moteur premier, à partir duquel se meuvent toutes choses“126. Obwohl dies Aristoteles’ eigene Intention nicht trifft, könnte man dennoch zugestehen, dass das Wichtigste die Darstellung einer Lehre bezüglich des ersten Bewegers ist. Die Frage nach dem Prinzip der Bewegung aller Dinge ist der Grund, warum Aristoteles sich mit dem ersten Beweger beschäftigt. Anders gesagt: Der Text erforscht den ersten Beweger als einen Teil einer weitläufigeren metaphysischen Lehre. So beginnt auch das nächste Kapitel127: La situation à son sujet est claire : il [der erste Beweger] est une substance. En effet, il est principe de la substance, et il n’est pas possible que le principe de la substance soit autre chose qu’une substance. Il est le principe de la substance et le principe de toutes les choses qui sont. [...] Il convient que nous cherchions ce qu’est cette substance qui meut tout ce corps (visible), s’il convient que nous posions qu’elle est une âme, ou qu’elle est un intellect, ou autre qu’eux deux [...]. Die übrigen Teile des Kapitels beschäftigen sich mit derselben Frage. Im sechsten Kapitel wird zunächst die dreifache Klassifizierung der Substanz 125 L4 nº 1. Der Text stammt aus der hebräischen Fassung. L4 nº 10. Der Text stammt aus der hebräischen Fassung. 127 L5 nº 1. Der Text stammt aus der hebräischen Fassung. 126 | 37 | wiederaufgenommen und das Hauptinteresse der vorliegenden Diskussion ausgedrückt128: Nous avons déjà dit que les substances sont trois en tout, et que parmi celles-ci, deux sont des substances naturelles, et la troisième une substance immobile. Quant aux deux substances naturelles, elles ont déjà été expliquées dans ce qui précède. Nous leur avons déjà consacré une enquête suffisante dans ce que nous avons dit auparavant. Mais maintenant, voici que nous sommes à la recherche de cette substance que ne se meut pas et qui ne cesse pas non plus. Dorénavant, nous enquêterons et nous chercherons129 s’il est possible qu’il existe une substance que le temps n’atteint pas, et qui n’admet ni altérations ni modifications, mais reste dans son état pendant tout l’éternité. Im siebten Kapitel drückt Themistius die Notwendigkeit der Suche nach den Prinzipien folgendermaßen aus: „S’il en est ainsi [das heißt, wenn es eine ewige Bewegung gibt], nous n’avons pas besoin de chercher d’autres principes et d’abandonner ceux-ci [...]“130. Man sollte auch ein besonderes Augenmerk auf das achte Kapitel legen, in dem sich der Autor über die Beziehung zwischen der Philosophie und der Astronomie äußert. Diese Textstelle ist für die Frage nach dem wissenschaftlichen Hintergrund des Buches L relevant: „Si j’ai dit que la science des astres est très unis à la philosophie, c’est seulement parce qu’elle seule cherche la substance sensible éternelle“131. Themistius erklärt, dass Aristoteles auf die Astronomie angewiesen ist, um die ewigen sichtbaren Substanzen zu erforschen. Dies sollte nicht als eine Digression verstanden werden, weil die Astronomie der Philosophie sehr nahe ist („très unis“). Themistius legt großen Wert darauf, zu erklären, warum L8 sich auf eine astronomische Diskussion beschränkt: Wäre L eine theologische Abhandlung, bestünde keinerlei Zusammenhang zwischen der Astronomie und der Philosophie. Diese Beziehung ist zu verdeutlichen, da es sich hierbei um einen philosophischen Text handelt. Die Paraphrase endet mit einer langen Diskussion über die Prinzipien der Realität132. So schließt der Autor den Kreis, den er bereits zu Anfang des Buches 128 L6 nº 1. Der Text stammt grundsätzlich aus der hebräischen Fassung. Die kursiv gesetzte Textstellen stammen aus der arabischen Fassung. 129 Eine Variante: on cherchera. 130 L7 nº 1. Dieser Text wird kursiv gesetzt, da er aus der arabischen Fassung stammt. 131 L8 nº 5. Der Text stammt aus der hebräischen Fassung. 132 Vgl. L10 nº 4-23. Der vollständige Text stammt aus der hebräischen Fassung. | 38 | begonnen hatte. Es wird deutlich, dass das Interesse des Autors nicht darin liegt, Gott darzustellen, sondern eine Erklärung der Prinzipien der Substanz zu liefern. Somit steht fest, dass Themistius L noch immer als ein philosophisches Buch versteht beziehungsweise liest, dessen Hauptthema die Prinzipien der Substanz sind. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass Themistius unter fremdem Einfluss stand – möglicherweise war er von christlichen Ideen geprägt. Ein kleiner Hinweis dafür ist beispielsweise das Wort „Schöpfer“, das er gebraucht, wenn er sich auf den anaxagoreischen nou=j bezieht133. 3. Wandlungen in der Interpretation von L unter den Neoplatonikern Zum Ende des III. Jahrhunderts behauptet Porphyrios (232 – 309), dass Platon und Aristoteles genau die gleiche Lehre verteidigt hätten. Er schreibt sogar ein Buch darüber mit dem Titel Tou= mi/an ei)=nai th\n Pla/tonoj kai\ )Aristote/louj ai(/resin z¡134. Außerdem fügt er Aristoteles in den neoplatonischen Syllabus ein, der eine gewisse teleologische Struktur aufweist. Das Ziel dieses Programms besteht darin, bis zu dem Einen „zu gelangen“. In diesem Zusammenhang erklärt David Sedley, dass die philosophischen Schulen jener Zeit sich nicht aufgrund der Suche nach der Wahrheit geeinigt haben, sondern eher aufgrund einer quasi religiösen Anbetung der Gründer der jeweiligen Schulen135. Es scheint, dass Kommentare zu Büchern größerer Autoren als „intellektuelle Mode“ entstanden sind. Vielleicht ist es gerade deswegen kein Zufall, dass Simplikios sogar gesagt hat, er habe das Buch L kommentiert136. Dies ist jedoch zu bezweifeln, da die Schrift bei den Arabern nirgends erwähnt wird. Alle Neoplatoniker verwenden also theologische Hermeneutiken, die ihnen behilflich sind, sich dem Einem zu „nähern“. Mehrere Autoren wie Arius Didymus (I. Jahrhundert v.Chr.), Ammonios Sakkas (gest. 241/242), Dexippus (fl. 330), Ambrosius von Mailand (333 – 397) und Hierokles von Alexandria (V. 133 Vgl. Passus zu L 1069b21f. Das hebräische Wort ist bore´. Dieser Text wird von Suidas zitiert. Leider existiert dieses Buch heute nicht mehr. Eine andere Schrift mit dem möglichen Titel Diasta/sewj Pla/tonoj kai\ )Aristote/louj (pro\j Xrusao/rion), zitiert Elias in seinem Kommentar zu Isagoge 39, 6ff. Vermutlich bezeichnen beide Titel ein und dieselbe Schrift. Als Gegenstück zu dieser Identifizierung zwischen Platon und Aristoteles gelten Syrianos und Proklos. Bei der Ideentheorie und der Rolle Gottes als Ursache des Kosmos haben beide Autoren Unterschiede zwischen den alten Philosophen bemerkt. 135 Cicero kennt und kritisiert diese falsche Hinwendung der Schulen zu den jeweiligen Gründern; vgl. De natura deorum 1, 10. 136 Vgl. Simplikios, Commentaria in De caelo 503, 34 und 506, 13. 134 | 39 | Jahrhundert) glauben, theologische Elemente in Platons und Aristoteles’ Werken zu erkennen137. Proklos (410 – 485) beispielsweise schreibt Die platonische Theologie und die Kompilation Elemente der Theologie. Er äußert sich gegen die christliche Religion und erklärt die Philosophie zu einer Art Gebet, zumal ihr Ziel ist, die authentischen Ursprünge des Kosmos zu retten. In diesem theologisch durchdrungenen Ambiente ist es also kein Zufall, eine theologische Interpretation von Platon zu finden. Diese erreicht ihren Höhepunkt im V. und VI. Jahrhundert in Athen138. Dass das philosophische Programm der athenischen Neoplatoniker teleologisch orientiert ist, wurde bereits erwähnt. Zum Telos der Philosophie wird die Theologie. Diese ist die Lehre der göttlichen Prinzipien. So identifizierten zu diesem Zeitpunkt bereits die Neoplatoniker Gott mit dem höchsten Prinzip des Kosmos. Hermias und Proklos sind Schüler von Syrianos. Hermias bringt zum ersten Mal die aristotelische Philosophie nach Alexandria, wo er einen Lehrstuhl erhält. Sein Sohn Ammonios (435/445 – 517/526) studiert zuerst in Athen bei Proklos (ca. 412 – 485) und geht anschließend zurück nach Alexandria, wo er seinerseits Damaskios (ca. 458 – ca. 540), Philoponos (ca. 490 – ca. 570) und Simplikios (VI. Jahrhundert) lehrt. Seine Werke existieren leider nicht mehr, sie sind nur teilweise über Simplikios überliefert. Dennoch ist bekannt, dass er ein Buch über Gott als effiziente Ursache des Kosmos geschrieben haben soll139. Die Alexandriner verstehen die Philosophie als eine systematische Einheit, auch das Corpus des Aristoteles ist eine Einheit. Deshalb versucht auch Ammonios Gottes Einfluss auf die Bewegung der Welt zu verstehen. Nach Simplikios’ Referat liefert Ammonios dafür mehrere Argumente. Das letzte wurde unter dem Namen „das Argument der unendlichen Kraft“ bekannt und besagt: Was den Himmel bewegt, kann weder ein räumliches Wesen sein noch die Potenz eines solchen Wesens. Nur ein Wesen, das überhaupt nicht in Potenz ist, kann eine unendliche Bewegung bewirken. Alles, was sich durch den Raum ausbreitet, besitzt (eine) Potenz. Nur Gott verfügt –oder könnte verfügen– über eine solche unendliche Kraft. Laut Sorabji beginnt Ammonios eine hermeneutische Linie des Corpus, die sich bis Thomas von Aquin fortsetzt. Demnach wären also Ammonios und 137 Vgl. Sorabji (1990), 181-183. An diesem Punkt sollte angemerkt werden, dass dieses theologisch durchdrungene Ambiente nicht durch das Christentum geprägt wurde. Die Neoplatoniker von Alexandrien haben das Eine nicht mit dem christlichen Lo/goj identifiziert. 139 Dank Simplikios ist uns dieses Werk bekannt. Vgl. Commentaria in Physica 1361, 11 - 1363, 12. 138 | 40 | Philoponos verantwortlich für die Transformationen der aristotelischen Tradition. Sorabji ist der Meinung, Ammonios sei für die Idee verantwortlich, Gott schaffe eine Welt ohne zeitlichen Anfang140. Daraus haben vier weitere Neoplatoniker ein Existenzproblem gemacht: Zuerst wirft Syrianos Aristoteles und Platon vor, sie hätten die Ursache des unendlichen Wesens als Ursache der unendlichen Bewegung nicht akzeptiert. Doch leider geht Syrianos darauf nicht weiter ein. Proklos widerspricht ihm: Ein räumlicher Körper kann weder eine unendliche Bewegung noch eine unendliche Existenz erzeugen. Folglich wird überlegt, ob die Ursache nicht außerhalb des Kosmos zu finden sei, und wird die Frage gestellt, ob Gott als Ursache zu zählen wäre. Laut Philoponos hat Aristoteles erkannt, dass Gott die effiziente Ursache der unendlichen Existenz des Kosmos ist. Er selbst als Christ liefert ein komplexeres Argument: Es ist unmöglich, dass diese Welt über eine unendliche Kraft verfügt. Sie hat sowohl einen Beginn als auch ein Ende. Philoponos weiß allerdings, dass Proklos dies niemals akzeptiert hätte und so wiederholt er: Proklos hätte sagen können, dass die Welt unendlich sein könnte, wenn sie eine unendliche Kraft von draußen empfangen würde. Dies ist allerdings für Philoponos unmöglich: Wenn X aufgrund seiner Natur vergänglich und nicht vergänglich wäre, dann hätte Gott der Natur von X Gewalt angetan. Ein solches Handeln wäre allerdings unmöglich für Gott. Simplikios ist damit jedoch nicht einverstanden: Wegen Gott ist die Welt unendlich, ihre Natur besitzt die Kapazität, die Unendlichkeit zu empfangen. Doch Philoponos entgegnet: Die Natur –sei sie vergänglich oder unvergänglich– ist von Gott gegeben. Es wäre deshalb sinnlos, wenn Gott die Welt vergänglich gemacht hätte, um ihr erst später die Unendlichkeit zu schenken. Trotzdem gibt Philoponos zu, dass es möglich sei, dass Gott der vergänglichen Welt die Unvergänglichkeit erst später gegeben haben könnte. Dennoch stellt er fest, dass die Welt keinen Anfang hat. Ammonios stirbt zwischen 517 und 526. Asklepios (VI. Jahrhundert) veröffentlicht seine Werke. So erreicht sein Einfluss etliche griechische Autoren über die Jahrhunderte hinweg, wie zum Beispiel Philoponos (490 – ca. 570), Simplikios (fl. ca. 535), Olympiodorus (495/505 – nach 565), Elias (fl. ca. 541) und Stephanus (fl. in Istanbul 610), sowie einige Araber wie al-Farabi (um 870 – 950), Avicenna (980 – 1037), Maimonides (1135/1138 – 1204) und den Autor der 140 Diese Aussage ist vielleicht überzogen. Passender wäre gegebenenfalls anzunehmen, dass Ammonios nicht allein, sondern mitverantwortlich war. | 41 | sogenannten Theologie des Aristoteles. Kaiser Justinian I. befahl 529 die Schließung der Akademie und verbot den Unterricht der heidnischen Philosophie. Die heidnischen Philosophen zogen sich zurück und schrieben nur noch sehr wenig141. Andere wie zum Beispiel Simplikios und Damaskios entschieden sich dafür, nach Bagdad zu fliehen. Die theologische Hermeneutik basiert also auf der Suche nach der ersten effizienten Ursache des Kosmos. Für einige ist diese Suche bloß eine Frage der Kausalität oder –genauer gesagt– der Kausalitätsarten. Für die späteren Denker wiederum geht es um die Kompatibilität der griechischen Philosophie mit dem Christentum. 4. Die syrische Schule und die Araber Nach Berichten Jakobs von Edessa sind die griechischen Texte im Nahen Osten zuerst ins Syrische übersetzt worden. Als Hauptfigur der Überlieferung des Aristoteles ins Syrische gilt Sergios von Resh‘ayná (gest. 536). In Alexandria studiert er die Werke des Aristoteles, schreibt dazu Kommentare sowie einige Einleitungen zu Origenes. Sergios und seine Nachfolger stimmen insofern überein, als die Philosophie eine Wissenschaft sei, die auf Beweisen beruhe und deren Abriss das aristotelische Corpus sei. Diese traditionelle Bevorzugung des Corpus setzt sich bis ins IX. Jahrhundert fort und weitet sich bis Bagdad aus. Die Araber studieren die Philosophie als eine kompakte und systematische Einheit, die mit der Logik beginnt und mit der rationalen Theologie endet. Deshalb werden auch jene neoplatonischen Hauptwerke, die entscheidend für die falsafa (Philosophie) sind, ins Arabische übersetzt. Einer der bedeutendsten Philosophen dieser Zeit ist al-Kindi (gest. 873). Er übersetzt Plotins Enneaden, die Theologische Elementarlehre sowie das De caelo von Aristoteles. Er hat einen Übersetzer seiner Gruppe namens Ustath (Eustathios) beauftragt, die Metaphysik zu übersetzen142. Außerdem ist al-Kindi der Autor der sogenannten Theologie des Aristoteles, das viele in die Irre führte: Damals wurde allgemein angenommen, sie sei von Aristoteles selbst geschrieben worden. Auf diese Weise entstehen mehrere Missverständnisse. Der vermeintliche Aristoteles stellt in diesem Werk eine rationale Theologie vor 141 142 Simplikios zum Beispiel kommentiert ab diesem Datum keine Dialoge von Platon mehr. Vgl. Walzer (1958) und D’Ancona (2009). | 42 | und behauptet, diese Theologie sei die echte Vollendung der Metaphysik. Kern der Diskussion ist die Frage, wie Gott die vergänglichen Dinge verursacht, ob gemeinsam mit der Natur mittels zweier unvergänglicher Prinzipien – und zwar mit dem nou=j und der Weltseele. Der Autor verspricht eine Diskussion über die rationale Theologie, die sich mit dem Einen, der Vernunft und der Weltseele befassen wird. Leider führt er sein Programm nicht durch. Stattdessen bietet er Teile der Enneaden 4-6 und so manche dazugehörige Extrapolationen. Ein ähnliches Phänomen findet man im Liber de causis, das unter den Arabern als Liber Aristotelis de expositione bonitatis purae bekannt ist. Al-Kindi zufolge ist die Metaphysik der Höhepunkt der Philosophie, zumal sie die Erste Wahrheit –Gott als Ursache aller Wahrheit– untersucht. Er versichert, Gott sei nicht nur (die) finale Ursache des Kosmos, sondern auch (seine) effiziente Ursache. Er ist fest davon überzeugt, dass Aristoteles seine Meinung teilt. Der Liber de causis bezeichnet Gott sogar als Schöpfer der Welt. Drei Gottesvorstellungen lassen sich bei al-Kindi feststellen: eine aristotelische, eine neoplatonische und eine kreationistische. Thomas von Aquin merkt als erster, dass der Liber de causis bloß eine arabische Version der plotinischen Theologische Elementarlehre ist. Doch diese Erkenntnis reicht nicht aus, um die theologische Interpretation zu entkräften. Erst später, in unserer Ära, bezeichnet Gerhard Endress das Buch als ein Werk des Übersetzungskreises von al-Kindi143. Dies ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Hermeneutik von L, zumal angenommen wird, dass L ausschließlich mit dem Christentum und dem Islam vereinbart werden könne. Ab diesem Zeitpunkt wird das Buch als eine rein theologische Schrift verstanden. Selbst Avicenna erzählt in seiner Autobiographie, wie er einst von diesem falschen Verständnis geprägt war, bis al-Farabi ihn endlich von seinem Irrtum befreite144. 5. Moderne Kommentatoren Da ich auf die Autoren der Scholastik und der Renaissance nicht eingehen kann, mache ich einen Sprung von etwa zehn Jahrhunderten. Ich befasse mich 143 144 Vgl. Endress (1973). Vgl. Gohlam, Hg. (1974), 30-35. | 43 | also als nächstes mit modernen Kommentatoren. Darunter wähle ich die bedeutendsten Interpretationen aus, und, um diese Arbeit nicht bis ins Endlose fortzuführen, sehe ich mich gezwungen, einige Variationen beiseite zu lassen. Ich beginne zuerst mit den deutschen Philologen, die sich im XIX. Jahrhundert die Mühe gemacht haben, die Wurzeln des aristotelischen Corpus zu erforschen. Zunächst wäre da Christian August Brandis zu nennen, der den aristotelischen Studien bereits 1823 einen neuen Impuls verlieh. Das ganze XIX. Jahrhundert war geprägt von deutschen Forschern in diesem Bereich. Erst mit Ross gewinnt die aristotelische Forschung im XX. Jahrhundert einen bedeutenden nichtdeutschen Forscher hinzu. Deshalb widme ich ihm einen eigenen Abschnitt. Anschließend verfolge ich die Diskussionen des XX. Jahrhunderts. Die Mehrheit der nachstehend genannten Kommentatoren ist mittlerweile schon verstorben. 5.1 Philologische und philosophische Kommentare des XIX. Jahrhunderts in Deutschland Zuerst mit der Diatribe de perditis Aristotelis libris de ideis et de bono sive philosophia (1823) – und später mit einem Aufsatz im Rahmen der Denkschrift der Berliner Akademie (1834) – initiiert Brandis weitere grundlegende Forschungen. Seine Arbeit bietet, laut Werner Jaeger, eine „genetische Auffassung der Metaphysikbücher mit glänzendem Scharfsinn, mit Methode und tiefster Sachkenntnis“145. Sowohl Hermann Bonitz als auch Eduard Zeller kennen und schätzen die Arbeit Brandis’. Dank Bonitz wird sie verbreitet, obwohl er nicht damit einverstanden ist, die Metaphysik eher als ein literarisches anstatt eines hypomnematischen Werkes zu begreifen. Brandis hält die Substanz für das Hauptinteresse des Aristoteles. Deswegen ist ZH, sagt er, der Kern der Metaphysik, Q liege dem auch nahe. Mit diesen Worten fasst er die thematische Einheit der Bücher GEZHQ zusammen. MN betrachtet er eher als einen Teil der Physik. Zum ursprünglichen Projekt der Metaphysik könnten a, D und L keineswegs gehören. Das spätere Buch, nämlich L, stehe für sich selbst und ist somit ein besonderes Spiegelbild der aristotelischen Lehre. Damit beabsichtigt der Stagirit, so Brandis, den Status eines selbstständigen Aufsatzes. 145 Jaeger (1912), 8. | 44 | Seinerseits unterstützt Franz N. Titze146 die Behauptung, die Metaphysik könne kein einheitliches Werk sein. Seiner Meinung nach gibt es zwei verschiedene Projekte innerhalb des von uns bekannten Buches Metaphysik, und zwar AKL und ABGEZHQIMNL. „Aristoteles schlug eine historisch-kritische Vorbereitung des L in Gestalt von MN hinzu“147, so Jaeger. Titzes Leistung besteht darin, dass er die „völlige kritische Zerstückelung der Metaphysik“ beendet148. Nach ihm wird versucht, die Metaphysik sowie die vielen Umstellungen in den entsprechenden Büchern zu rekonstruieren. Fünfzehn Jahre nach Titze verteidigen einige Gelehrte noch immer die Ganzheit der Metaphysik, selbst wenn diese Idee bereits vor langer Zeit als veraltet verurteilt worden war. Man könnte dies als einen Rückschritt bezeichnen. Karl-Ludwig Michelet149 und Johann Enouch Wilhelm Brummerstädt150 gehen davon aus, dass K und L1-5 jeweils BGE und ZHQ zusammenfassen. Anschließend untersuche Aristoteles die unsichtbaren Substanzen in L6-10. Michelet vertritt die Meinung, dass MN das Programm von L weiterführt ohne weitere Erklärungen über die unsichtbaren Substanzen. Auch Johann Carl Glaser151, um ein weiteres Beispiel zu nennen, erkennt zwei weitere Projekte und stellt eine neue Ordnung der Bücher auf: AK1-8L und ABDGEZHIQML6-9N. Wenige Jahre später erhält die Aristoteles-Forschung dank Albert Schwegler wieder einen positiven Impuls und es beginnt eine neue Ära in diesem Bereich. Zusammen mit Bonitz ist Schwegler einer der ersten Aristoteles- 152 Kommentatoren der Gegenwart . Selbst wenn seine Auffassung in Bezug auf die Ordnung der Bücher uns – aufgrund der fehlerhaften Deutungen – eher wenig weiter bringt, gilt sein Standpunkt zum Metaphysik-Problem als eine wichtige Neuerung, zumal er die Aufmerksamkeit eher auf das Kritische als auf das Exegetische lenkt. Obwohl er bereits eine moderne philologische Avance zum Corpus macht, ist seine Meinung noch immer von dem neoplatonischen Verständnis des aristotelischen Systems geprägt. Laut Schwegler ist Gott das Wesen (gemeint ist die Substanz), welches die Metaphysik – als Wissenschaft – sucht. Die Idee von Gott ist das Hauptthema, Ziel und Inspiration sämtlicher 146 Vgl. Titze (1826). Jaeger (1912), 4. 148 Jaeger (1912), 4. 149 Vgl. Michelet (1836). 150 Vgl. Brummerstädt (1840). 151 Vgl. Glaser (1841). 152 Vgl. Schwegler (1847). 147 | 45 | metaphysischen Gedanken des Stagiriten. Folglich ist die Metaphysik reine Theologiké, die Suche nach Gott als erstes Prinzip aller Wesen. In diesem Sinne ist L nicht nur der Beschluss der Metaphysik, sondern auch ihre „Kuppel“, da Aristoteles in ihr die höchsten Prinzipien aller Wesen darstellt. Das höchste Prinzip ist die Idee des ersten Bewegers – die Gottesidee. Schwegler irrt sich, wenn er Gott und den ersten Beweger mit einer Idee identifiziert. Aristoteles wäre niemals damit einverstanden gewesen, seine Gottesvorstellung mit einer Idee zu vergleichen. Für ihn ist Gott eine echte und authentische Wirklichkeit, keine (rationale) Idee. Bemerkenswert ist allerdings, dass der Kommentator L auch philologisch betrachtet. In seiner Arbeit erklärt er, dass die ersten Kapitel (L1-5) eine Einführung zu den nachfolgenden Seiten des gleichen Buches sind. Schwegler kritisiert insbesondere den letzten Teil von L. Es fehle an innerer Kohärenz, das Werk sei aporetisch, sogar etwas unheimlich, außerdem bleibe seine Absicht im Unklaren, konstatiert Schwegler153. Auf der anderen Seite befasst Schwegler sich mit einigen Kapiteln von L, und zwar L4-5, in denen allem Anschein nach eine Antwort zur 8. und zur 14. Aporie zu finden ist. Diese Beziehung zwischen dem zwölften Buch und den Aporien des dritten Buches wird später intensiver untersucht werden. Nach Schwegler taten es ihm alle gleichgesinnten Kommentatoren entsprechend ähnlich und versuchten, dieselbe Frage zu beantworten: Wie ist der innere Aufbau von L zu verstehen, wenn man bereits die zwei identifizierbaren Teile von L akzeptiert hat, zumal bisher noch immer keine direkte Verbindung hergestellt werden konnte? Als nächstes beschäftigt sich Hermann Bonitz damit154. Er räumt ein, dass L für die Metaphysik von großer Bedeutung sei, vertritt allerdings die Position, L bestehe aus zwei Teilen. Der erste Teil sei seiner Meinung nach kurz und abrupt und untersuche die Substanz – das Erste unter allen Dingen. Der zweite Teil hingegen sei in seinem Aufbau lang und komplex. In diesem Teil erforsche Aristoteles die ewige und unbewegte Substanz: ein bewegendes Prinzip, das selbst bewegungslos sei. In E1 unterscheidet der Stagirit die verschiedenen theoretischen Wissenschaften. Bonitz geht darauf zurück, um die erste Hälfte von L von der metaphysischen Forschung zu trennen. Er ist davon überzeugt, dass in L1-5 die Physik zum Hauptthema gemacht wird, wodurch der Diskussion um L ein neues Element 153 154 Vgl. Schwegler (1847-1848), IV 236. Vgl. Bonitz (1849), 23-35. | 46 | hinzugefügt wird, das noch immer präsent ist: Welche Wissenschaft sollte dem Buch L zugeordnet werden? Diese Problematik, fortgeführt von Friedrich Ueberweg155, prägt das Ende des XIX. Jahrhunderts. In den Folgejahren ist vor allem Werner Jaeger die richtungsweisende Persönlichkeit, bis Sir David Ross der Forschung eine neue Richtung gibt. Zu Anfang des neuen Jahrhunderts ist jedoch auch noch Albert Gödeckemeyer156 als Forscher auf dem Gebiet aktiv. Er vertritt die Meinung, die Metaphysik sei ein einheitliches Werk. Dazu gehörten allerdings nur die Bücher AaBGEZHQIMN, nicht aber L. So sieht er auch keinen Zusammenhang zwischen den Büchern K und L. Allerdings findet er ein anderes Programm in L, dessen Einleitung A8-10 beziehungsweise K1-8 gewesen wären, folglich bestünde also doch eine Beziehung zwischen K und L. Werner Jaeger interessiert sich nicht dafür, die Metaphysik hypothetisch zu rekonstruieren, sondern er versucht sie eher aus einem historischen Blickwinkel zu begreifen. Zu diesem Zweck beginnt er zunächst mit einer Übersicht über seine Vorgänger. In der „Einleitung“ seiner Studien zur Entstehungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles bietet er more Aristoteleo einen historischen Überblick der verschiedenen Aussagen seiner Vorfahren bezüglich der Metaphysik an. Auch ich bin diesem historischen Aspekt gefolgt. Nachstehend behalte ich diese Methode bei, um eine exakte Darstellung der Kritiken aufbauen zu können. Laut Jaeger war Bonitz der Meinung, dass weder a noch D oder L zur Metaphysik gehören sollten. Jaeger ist mit dieser Sichtweise jedoch nicht einverstanden. Beide Autoren sehen L als eine Schrift, die aus der Metaphysik herrühren muss. Jaeger verteidigt eine Entwicklung der Metaphysik. Laut Jaeger sagt Aristoteles in einer ersten, platonischen Stufe, dass die Metaphysik Theologie sei: „Seine [Aristoteles’] ursprüngliche Metaphysik ist Theologie, Lehre vom vollkommensten Seienden [...]“157. Darauf folge eine zweite Phase, in der Aristoteles akzeptiert habe, dass dieses vollkommenste Seiende nur ein Teil der Metaphysik sei158. Offensichtlich ist das in den Substanzbüchern159 erklärt worden, „von den mannigfaltigen Bedeutungen des Seienden (o)/n) und von der 155 Vgl. Ueberweg (1862), 238-239. Vgl. Gödeckemeyer (1907) und (1908). 157 Jaeger (1923), 224. 158 Jaeger (1923), 214. 159 Jaeger erfindet den Namen „Substanzbücher“, um ZQH zu nennen. Stephen Menn kritisiert überzeugend diesen Namen, der noch von einer alten Interpretation der Absicht (skopo/j) Aristoteles’ im Metaphysik-Projekt ist. Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „Q and the ongoing investigation peri\ a)rxw=n“, 1-10. 156 | 47 | fundamentalsten unter ihnen, der Wesenheit (o)usi/a)“160 handeln. Wie wir noch gleich sehen werden, findet man eine sich immer weiterentwickelnde Meinung eher bei Jaeger und nicht bei dem Stagiriten. Jaeger ist davon überzeugt, dass zwischen K und L keinerlei Beziehung besteht und widerspricht somit Gödeckemeyers unscharfer Aussage. Die Voraussetzung von L1 sei in K nicht zu finden. Auch L beantworte nicht die in K1-2 vorgestellten Probleme. K1-8 trenne die sichtbare Substanz von der ersten Philosophie, während L nach einer weiteren Wissenschaft jenseits der Physik suche. Daraus sei zu schließen, so Jaeger, dass zwischen den beiden Büchern keine Verbindung bestehe. L ist also vielmehr eine eigenständige Abhandlung, die nicht zur Metaphysik gehört. Der Unterschied zwischen den zwei Hälften soll genau dies beweisen. L1-5 ist eher in einem rigorosen Realismus einzuordnen, da der Stil des Autors, vermutlich ein Schüler des Aristoteles, sehr trocken ist. Wie bereits Bonitz bemerkt hatte, handelt es sich hierbei nicht um einen richtigen Aufsatz, sondern eher um eine strukturlose Ansammlung von Notizen. Trotzdem enthalte L ein einziges Programm, das gleich am Anfang von L6 dargestellt wird. So soll L6-10 ein neues, höheres Programm zugeschrieben werden: Dort entwickelt Aristoteles den für die Natur notwendigen Gott sowie die Kraft dieses Wesens. Folglich stimmen beide Teile des zwölften Buches bezüglich dieses einen Begriffs überein. L repräsentiert somit die erste Stufe der aristotelischen Gotteslehre. Andererseits legen ABGE den Grundstein für eine metaphysische Wissenschaft. Hätte Aristoteles eine Fortsetzung der Bücher der Metaphysik geplant, dann hätte er auf jeden Fall ein letztes Buch, eine Art Krönung des gesamten Werkes, das die authentische Gotteslehre darstellt hätte, schreiben müssen. L ist dieses Buch jedenfalls nicht. Wie Bonitz bereits erklärt hatte, fand L seinen Weg in die Metaphysik auf eine andere Weise. Obwohl L ein eigenständiges Buch ist, haben die Herausgeber es aufgrund des Versprechens der mittleren Bücher, dass das Werk die Theologie darstellen würde, dort miteinbezogen. Mit L wollte der Herausgeber dieses Versprechen einlösen. Im Anschluss daran stellt Jaeger eine Hypothese über die Entwicklung des metaphysischen Denkens des Aristoteles auf. In einer ersten Phase habe es eine sogenannte Urmetaphysik gegeben. Diese enthielt zwar noch nicht „die Lehre 160 Jaeger (1923), 209. | 48 | von der materiellen, sinnlichen Form“, aber dafür „eröffnet die der Urmetaphysik angehörende Fassung die Lehre von der ou)si/a mit der platonischen Einteilung in sinnliche und übersinnliche Substanz“161. Eine Zwischenphase repräsentieren die Bücher Z, H und Q, „die der ai)sqhth\ ou)si/a in weitgehendem Maße in die Metaphysik Einlaß gewährt, und die Erweiterung des Begriffs der Metaphysik zur Wissenschaft von den mannigfaltigen Bedeutungen des Seienden“162. Hier ist nun ein Bindeglied zu finden, und zwar der Begriff des Seienden als ein solcher („o)/n $(= o)/n“). Dieser „umfaßt die reine e)ne/rgeia des göttlichen Denkens ebenso wie die niedrigeren, dem Werden und Vergehen unterliegenden Formen der bewegten Natur“163. Erst in einer dritten Stufe kommt die eigentliche Metaphysik zutage, die das Sein als solches erforsche (sich jedoch nicht nur auf das absolute Sein beschränkt). Sie behandelt „den Seinsgehalt aller Dinge, ja selbst der Abstraktionen des Verstandes in seinem Bereich“164. Aristoteles sucht in L eine ewige Substanz, ein unbewegliches Prinzip und die entsprechende Wissenschaft, die diese erforscht. So wie die Metaphysik ihre Wurzeln in der Physik hat, so hat der Gottbeweger seine Wurzeln in der Natur165. Erst in L erhält die Metaphysik ihren eigenen wissenschaftlichen Status. Jaeger erklärt es weiter: „Die Urmetaphysik war also die Wissenschaft vom reinen, vollkommenen Sein und vom höchsten Gute, nicht von allen Arten und Bedeutungen des Seins, wie die spätere Metaphysik“166. In diesem Sinne sind Z, H und Q eher physische Schriften: „[...] e)pei\ tro/pon tina\ th=j fusikh=j kai\ 167 deute/raj filosofi/aj e)/rgon h( peri\ ta\j ai)sqhta\j ou)si/aj qewri/a“ . Laut L1 ist auch die erste Hälfte von L eine physische Schrift168. Stricto sensu gehöre die Substanz aber nicht zur Metaphysik, was allerdings nicht bedeutet, dass alle Substanzforschungen auch physische Untersuchungen sind. Die sichtbaren Substanzen finden kaum Platz in einer zentralen metaphysischen Abhandlung. 161 Jaeger (1923), 213. Jaeger (1923), 214. 163 Jaeger (1923), 215. 164 Jaeger (1923), 215. 165 Jaeger meint damit, dass unsere Untersuchungen von Gott nur über die Natur gelingen können. Damit meint er allerdings nicht, dass Gott ein Produkt der Natur ist. 166 Jaeger (1923), 230, Fußnote 4. 167 Metaphysica Z 1037a14-15. 168 Wahrscheinlich denkt Jaeger an L 1069b36ff., wo Aristoteles der Physik die sinnlichwahrnehmbaren Substanzen zuschreibt. Dass die erste Hälfte des zwölften Buches eine physikalische Schrift ist, wird dort allerdings nicht gesagt. 162 | 49 | Im Gegenzug aber werden die platonischen Substanzen in zwei Büchern (MN) erforscht. Dazu schreibt Jaeger169: Der Stufenaufbau von der sinnlichen zur reinen, übersinnlichen Form, der sich später innerhalb des Rahmens der Metaphysik vollzieht, findet sich in L noch in der primitiven Form, dass die Metaphysik als Wissenschaft vom Unbewegten und Transzendenten einfach äußerlich auf die Physik, die Wissenschaft vom Bewegten und Immanenten, aufgebaut wird. Erst danach kommt der Hauptteil der Metaphysik, und zwar die Gotteslehre von 170 L6-10 . Die Metaphysik hängt von dem Wesen und der Wirkung Gottes ab, weil nur er die unbewegte, transzendente, getrennte und intelligibele Substanz, das heißt, das höchste Prinzip, ist. Am Ende begrüßt Jaeger: „Hier stoßen wir auf die früheste Konzeption der aristotelischen Theologie: die Lehre von dem Abschluss der Physik durch das transzendente te/loj aller sichtbaren Bewegung in der Welt, das die Phänomene der Natur rettet“171. Jaeger zufolge gibt es demnach zwei Wissenschaften: Die eine für das Unbewegliche und das Unsichtbare und die andere für das bewegliche Wesen, sofern dieses sein eigenes Bewegungsprinzip einschließt. Die Notwendigkeit dieser ersten Wissenschaft wird in L6-10 belegt. Tatsächlich vertritt der spätere Jaeger eine andere Position. Zuvor war er davon überzeugt, in L gehe es um die Gotteslehre, und erkannte es somit als ein theologisches Buch an. Erst später wird er sich bewusst, dass die Substanz in diesem Buch das zentrale Thema darstellt. Dieser Punkt wurde ab der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts bis heute weiter erforscht. Der spätere Jaeger erinnert an Pseudo-Alexander, der behauptet, K und L fassten jeweils die Bücher BGE und ZHQ zusammen172. Jaeger allerdings versteht L1-5 nicht nur als eine Zusammenfassung von ZHQ, sondern auch von I. Diese Rekapitulation betrachtet die Substanz auf eine völlig andere Weise als ZHQ. Beispielsweise sagt L nichts über die vier Substanzarten aus. Stattdessen bietet es eine Klassifikation mit drei Substanzarten. Daraus folgert Jaeger, dass L nicht zu den zentralen Büchern der Metaphysik gehört. 169 Jaeger (1923), 231. Hier sieht Jaeger auch eine Diskussion mit dem platonischen Dualismus, die sich bis M1 erstreckt. 1994 vertritt DeFilippo genau dieselbe Interpretation: L1-5 sei eine Forschung der Physik und die zweite Hälfte eher ein Aufsatz über Theologie; vgl. DeFilippo (1994), 404. 171 Jaeger (1923), 231. 172 633, 25ff. 170 | 50 | Dies hatten bereits Brandis und Bonitz so gesehen, mit denen Jaeger im Grunde einverstanden ist, allerdings unter der Bedingung, L als einen eigenständigen Aufsatz anzuerkennen. Als Beweis hierfür liefert Jaeger auch die ersten Zeilen von L1, in denen Aristoteles schreibt, „diese Theorie“ („h( qewri/a“)173 geht um die Substanz. Jaeger ist der Meinung, in L gehe es bereits am Anfang um die Substanzprinzipien. Da bringt Aristoteles die Frage ins Spiel, ob es jenseits der Physik noch andere Wissenschaften gibt, die sich mit der Substanz beschäftigen. Von Bedeutung ist auch, so Jaeger, dass die Namen „erste Philosophie“ und „Theologiké“ im Buch L nicht vorzufinden seien. Später allerdings kommt in L ein neues Interesse für Gott auf. Diese Präsenz belegt das philosophische Programm des Textes. Jaeger führt diese Argumentation allerdings nicht weiter, und hält an der alten, theologischen Lesart fest. An diesem Punkt ist es entscheidend, dass Jaeger zum ersten Mal die Aufmerksamkeit auf den Abschnitt 1069a36-b2 in L1 lenkt: Haben die sichtbaren und unsichtbaren Substanzen kein gemeinsames Prinzip, dann gibt es keine gemeinsame Wissenschaft für beide Substanzarten, sondern eine eigene, separate Wissenschaft für die unbeweglichen Substanzen. Daraus folgert Jaeger, dass eine Wissenschaft für diese Substanzen existiert, und zwar die Theologie. Darum geht es in L. Der Passus ist sehr schwierig und ist stets auf verschiedene Weise ausgelegt worden. Er wird Grundlage für Frede sein, als er 2000 seine ousiologische Hermeneutik vorstellt174. 5.2 Sir William David Ross Auch Sir William David Ross liefert einen historischen Überblick über die Diskussion. Der Leser seiner kommentierten Ausgabe der Metaphysik gewinnt den Eindruck, Ross sei mit Jaeger einverstanden und habe sogar von ihm profitiert175. Laut Ross hat Jaeger die Metaphysik –mit Ausnahme von ZH– so gelesen, als ob jedes einzelne Buch ein eigenständiger Aufsatz wäre. Er habe beobachtet, dass ZHQ nicht wirklich zum Kern des Werkes gehört. In EZQ behauptet Aristoteles, die Metaphysik beschäftige sich mit den unsichtbaren 173 Vermutlich L aber darüber unten mehr. Vgl. den zweiten Abschnitt ‚Michael Fredes Interpretation’ des nächsten Kapitels dieser Arbeit. 175 Vgl. Ross (1924), 346-347. 174 | 51 | Wesen. Deren Existenz wird in BE hinterfragt. Obwohl ZHQ eben das beantworten soll, gelingt es leider nicht: Dort wird nur über die sichtbaren Wesen diskutiert. Ross übertreibt mit seiner Aussage, dass Aristoteles selbst akzeptiere, ZH sei eine Vorstufe zur zentralen Untersuchung der Metaphysik176. Ross denkt, dass die Gedankenstruktur von L –mit Ausnahme der Zitate von Kallippos in L8– darauf hin deutet, dass Aristoteles zu dem Zeitpunkt, als er diese Schrift verfasste, noch jung war177. L ist ein autonomes Buch mit dem Ziel, die Existenz eines unbewegten Bewegers des Kosmos zu beweisen. Aufgrund seines Aufbaus jedoch scheint L vielmehr eine Ansammlung von Notizen zu sein als ein Buch. Einige Passagen gehören prinzipiell nicht dazu sowie etliche Worte, die fälschlicherweise hinzugefügt worden sind. Dies gilt vor allem für L1-5. Trotzdem darf man bei einer Lektüre von 1069b35ff und 1071a2 vermuten, dass L bereits von Anfang an ein hypomnematisches Werk war. In der Metaphysik halten zehn Bücher, nämlich ABGEZHQMNI, die thematische Einheit zusammen. ZH befasst sich mit einer logischen Analyse der Substanz. Man sollte L als einen eigenständigen Aufsatz betrachten. Dieses Buch wird als eine Schrift über die Substanz angesehen, wobei häufig übersehen wird, dass auch ZH eine solche Schrift repräsentiert. L bietet eine kausale Erklärung, während ZH eher für eine logische Analyse steht. So bereitet der Stagirit den Weg für den Beweis einer einzigen effizienten Ursache des Kosmos. Ross merkt letztendlich auch, dass die erste Hälfte von L eine Methodologie anwendet, die näher zur Physik als zur Metaphysik steht. Allem Anschein nach ist L das einzige Buch der Metaphysik, welches das Sein in einem einzigen Sinne erforscht. Die Kapitel 2-5 des Buches dienen als eine Einleitung, indem sie sich lediglich mit der sichtbaren Substanz beschäftigen. Die zweite Hälfte jedoch erforscht die unsichtbare Substanz. Erst dort beginnt die eigentliche Metaphysik und so sind ZHQ und L2-5 zu verstehen. Würde Ross dies nicht so sehen, dann wäre er auf ein echtes Problem gestoßen: Das Prinzip aller sichtbaren Substanzen wäre dann nämlich dasselbe Prinzip wie auch das 176 Vgl. zum Beispiel Ross (1924), xxvii und xxviii. Sollte Aristoteles die Absicht gehabt haben, eine theologische Schrift zu verfassen, fragt man sich, was wahrscheinlicher gewesen wäre: Hat er dieses Buch in seiner Jugend oder doch erst später geschrieben? Die Kontroverse geht weiter: Einige behaupten, er habe es unmittelbar nach seinen Studien bei Platon geschrieben, als er noch immer von dessen Einfluss geprägt war. Andere allerdings halten das Werk für das Ergebnis eines reifen Denkens. 177 | 52 | von Gott und der anderen unbewegten Beweger178. Anschließend bemerkt Ross, dass Aristoteles in der Tat keinen deutlichen Unterschied zwischen Physik und Metaphysik macht. Die Substanz ist das Hauptthema der Metaphysik und wie ein roter Faden ziehen sich folgende Elemente durch den Text: Zuerst ZH, in dem Aristoteles seine Meinung in Bezug auf die sichtbaren Substanzen äußert; dann L, in dem er seine Substanzlehre einschließlich der unsichtbaren Substanzen darstellt; und schließlich MN, in dem er auf die Lehren der Pythagoreer, Platons und der Platoniker eingeht. L ist unbestreitbar der Eckstein der Metaphysik. Hier ist die erste Ursache kein allgemeines Prinzip, sondern ein individueller Geist179. Damit will Aristoteles das Individuum in den Vordergrund rücken. Dieses, das zwölfte Buch, ist also der einzige systematische Aufsatz des Aristoteles über die Theologie, obwohl Ross daran erinnert, im Corpus seien mehrere Stellen darüber zu finden180. Gegenüber Jaeger meint Ross letztendlich, L sei ein Werk des reifen Stagiriten, der sich von der populären Religion zu entfernen sucht. Trotzdem sind etliche Spuren davon in seiner Weltanschauung zu finden, wie zum Beispiel der göttliche Charakter der Himmelskörper oder einige Eigenschaften Gottes. 5.3 Weitere Kommentatoren des XX. Jahrhunderts Ross ist unbestritten ein großartiger Kommentator und Herausgeber des Aristoteles. Sein Werk ist ein wesentlicher Bestandteil der aristotelischen Studien und sollte ausnahmslos von allen Schülern gelesen werden. Deshalb verdient Ross einen besonderen Platz. Nachstehend wird klar, dass in den Diskussionen stets irgendein Dialog mit Ross geführt wird. Nach wie vor sind es drei Hauptthemen: Die Unabhängigkeit des zwölften Buches von den anderen Büchern der Metaphysik, der innere Aufbau von L und dessen Hauptziel. Einen ersten historischen Überblick liefert Hans-Georg Gadamer kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Eher bekannt als Platonist, veröffentlicht er 178 Frede lenkt die Aufmerksamkeit auch auf diese Passage hier, um das Gegenteil zu beweisen. Vgl. den Abschnitt ‚L ist Ousiologie’ im nächsten Kapitel dieser Arbeit. 179 Vgl. L 1075a11-15. 180 Vgl. Ethica Nicomachea 1 1099b11; 8 1162a5; 10 1179a25. In L kommt nur das Wort „sofi/a“ vor. Den Begriff „qeologikh/“ ist in Metaphysica E1 1025b3, E1 1026a31, E4 1028a3 und in K7 1064b3 zu finden. | 53 | ausnahmsweise eine Übersetzung des zwölften Buches der Metaphysik mit einem kurzen Kommentar dazu181. Gadamer schlägt vor, L als eine Einführung in die Metaphysik zu betrachten. Die Forschung vermutet, der Text sollte für Aristoteles’ Unterricht dienen, zumal das Entstehungsdatum unklar ist. Der Hintergrund des Textes ist die Diskussion mit den Platonikern, insbesondere mit Speusippus und Xenokrates. Platon soll der Hauptgesprächspartner gewesen sein. In L stellt Aristoteles seine Meinung über Gott vor. Das bedeutet allerdings nicht, dass L der Schluss des Gesamtwerkes ist, da die Metaphysik keine Einheit darstellt. Da L der einzige Ort ist, an dem Aristoteles über Gott schreibt, hatte man angenommen, es sei doch ein integraler Teil der Metaphysik. Trotzdem muss es als ein eigenständiger Aufsatz betrachtet werden und unter keinen Umständen als eine Übersicht über die gesamte Metaphysik. Kurz danach veröffentlicht Jules Tricot einen historischen Überblick in Bezug auf die Eigenständigkeit des Buches gegenüber anderen Büchern der Metaphysik. Alle modernen Kommentatoren seit Bonitz bis Ross und Jaeger mit der Ausnahme von Octave Hamelin182 halten L für einen eigenständigen Aufsatz, dessen einziges Ziel es ist, die Existenz eines kosmischen Bewegers zu beweisen183. Sämtliche Kommentatoren stimmen insofern überein, als L6-10 von unvergleichlicher Wichtigkeit sei, dennoch sei es, so Tricot, eine Übertreibung von Ross, dass ZHQ die Wirbelsäule der Metaphysik darstelle. Er sieht eine Verbindung zwischen ZHQ und E. Diese Kette soll ein postulierter Vorläufer von I und die Voraussetzung der in L geführten Diskussion sein. Er hält L also für die Vollendung der Metaphysik. Dagegen behauptet Ross, L gehöre nicht zu diesem Werk, da in L keinerlei Referenzen zu anderen Büchern der Metaphysik zu finden seien. Tricot allerdings ist überzeugt, dass es doch einige, wenn auch ungewisse, Referenzen gibt. Im Diskussionskern bezüglich der Substanz fehlen allerdings die Referenzen zu den Substanzbüchern. Daher rührt die Behauptung, L sei ein eigenständiges Buch. Laut Tricot bestehe jedoch eine Beziehung zu den anderen Büchern der Metaphysik: Beispielsweise antwortet L4 auf die sechste Aporie von B3; E1 wirft bereits die Frage nach einer unbeweglichen Substanz auf, deren Antwort in L6-8 zu finden ist; L vollendet die Diskussion von Z und zwischen L und Physik 8 soll sogar eine Verbindung 181 Vgl. Gadamer (1948). O. Hamelin (1920), 34-35. 183 J. Tricot (1953), xxx. 182 | 54 | bestehen. Dieses Verhältnis zwischen Metaphysik und Physik erforscht Tricot weiter. In L1 behauptet Aristoteles, so der Franzose, die Physik erforsche die sichtbaren Substanzen. Diese werden von der Metaphysik zwar nicht ignoriert, aber doch eher als sekundäre Objekte betrachtet. Besteht zwischen ihnen und dem unbewegten Beweger eine Abhängigkeit, werden auch sie in dieser Hinsicht von der ersten Philosophie untersucht. Schon Bonitz hatte dieses Verhältnis erwähnt. Mit ihm ist Tricot allerdings nicht vollkommen einverstanden. Laut Tricot gehe er zu weit, wenn er sagt, L habe einen physischen Charakter. Das einzige Objekt dieses Buches sind die unsichtbaren Substanzen. Im Gegensatz dazu steht die Physik, die ihrerseits die sichtbaren Substanzen erforscht. L unterscheidet sich vom achten der Physik, in dem Aristoteles bereits einen metaphysischen Schluss im Rahmen der Physik zieht: Die Existenz eines unbewegten Bewegers wird bewiesen – er ist reine Form, transzendentes und unvergängliches Prinzip. Andererseits geht L noch weiter: Der erste Beweger ist reines Denken und der Grund –nicht nur des Bewegungsprinzips der Substanz, sondern auch– der Substanzexistenz. L erkennt deshalb Gott selbst –das Wesen qua Wesen– als sein Forschungsobjekt an, wodurch die Philosophie ihren wahren Namen erhält: Theologie. Das Feld der Physik wird verlassen. Daraus schließt Tricot, dass es sich bei L um kein eigenständiges Buch handle. Die Beziehungen zur Physik und zur Metaphysik bleiben ihm aber undeutlich. Tricot geht auf Jaeger zurück, um die Komposition der Metaphysik zu erklären. Jaeger meint, L sei ein frühes Werk, noch vor EZHQ, wahrscheinlich zeitgleich mit AB geschrieben. Tricot ist der Meinung, L wurde erst in Assos verfasst, als Aristoteles die Anschauung eines persönlichen Gottes (sic) entwickelte. Außerdem soll diese Lehre schon vor der ontologischen Lehre über das Wesen qua Wesen vorbereitet worden sein. L soll nach ZHQ kommen, denn es soll auch erst danach geschrieben worden sein. Laut Tricot münden die Lehren der Substanz und der e)ne/rgeia in L in die Theorie des ersten Bewegers und der „reinen“ e)ne/rgeia (sic). L bezieht sich also, indem es die unsichtbaren Substanzen diskutiert, auch auf MN. Tricots Meinung nach bestehe L aus zwei Teilen. L1-5 gleiche einer Sammlung von Notizen. Dort etabliert der Stagirit die Relevanz der effizienten Ursache, die sich nur auf die individuellen Substanzen auswirkt. Während ZH die sichtbare Substanz in sich selbst und in ihren Prinzipien betrachtet, betont L die Notwendigkeit einer individuellen | 55 | effizienten Ursache. Damit wird der Weg bereitet, um die Existenz und die Natur des ersten Bewegers zu beweisen, der in den Kapiteln 6-10 thematisiert wird. Beide Teile sind am Anfang des sechsten Kapitels gut miteinander verbunden184. Nur L8 soll beiseite gelassen werden: Dort führt Aristoteles einen kosmologischen Diskurs ein, der ihn allerdings in seinem metaphysischen System nicht weiterbringe. Leo Elders schreibt Anfang der 1970-er Jahre einen langen Kommentar zum zwölften Buch der Metaphysik, genannt Aristotle’s Theology185. Durch den Titel wird offensichtlich, dass der Autor von der theologischen Interpretation tief geprägt wurde. Es ist auch ein klares Beispiel dafür, wie eine bestimmte Interpretation des Textes die ganze Forschungsliteratur transformiert. In seinem Werk bietet Elders eine weitere historische Übersicht zu den verschiedenen Äußerungen anderer Kommentatoren über das Ziel von L. Die nachstehende Liste beschränkt sich auf das XX. Jahrhundert. Augustin Mansion bemerkt keinen bedeutenden Unterschied zwischen L und Physik 8. Paul Gohlke behauptet, L sei der Höhepunkt der Metaphysik. Pierre Aubenque vertritt die Ansicht, L repräsentiere doch einen metaphysischen Standpunkt. Günther Patzig findet in 1072b13-15 –„die Welt und die Natur hängen von solchem Prinzip ab“– den Schlüssel für das Verständnis von L. Laut Hans von Arnim ähnelt der Aufbau von L den Werken De philosophia, De caelo und Physik 8. Ingemar Düring seinerseits meint, L sei ein privates und eigenständiges Buch, obwohl doch gewisse Beziehungen zu De philosophia und Physik 1-2 bestünden. Jaeger geht davon aus, dass L ein paralleles Projekt zu De philosophia sei, zumal die Lehre des unbewegten Bewegers in beiden Büchern dargestellt werde. Von Arnim und Ross stellen sich dem entgegen und verweisen darauf, dass die Theologie von De philosophia immanentistisch sei. Von Arnim sieht in L die wesentliche Theologie des Aristoteles. Auch André-Jean Festugière pflichtet dem bei. Sowohl Harold Cherniss als auch Willy Theiler sprechen über einen ersten transzendenten Beweger: In L schlägt Aristoteles eine Theologie mit einer getrennten Vernunft vor. Jaegers zufolge stellt L das ganze metaphysische System des Aristoteles in nuce vor. Und im Gegenteil zu ZH manifestiert L keinen Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Philosophie. 184 185 Elders ist der Ansicht, dieser Passus sei erst später hinzugefügt worden. Vgl. Elders (1972). | 56 | Elders bemerkt, dass, obwohl Aristoteles die unbewegliche Substanz bereits in L1 nennt, diese in der ersten Hälfte des zwölften Buches keinesfalls zu finden ist. Deshalb ist es schwierig in L eine kohärente Struktur zu erkennen, selbst wenn L2-5 ein Ziel verfolgen sollte. Elders Meinung nach sei L in der Tat nicht als ein einziges Werk geplant. Es sehe eher aus wie eine Ansammlung kleinerer Texte. Er glaubt, dass das ursprüngliche Ziel des Aristoteles im vorliegenden Werk nicht erreicht wurde. Die Hauptlehre von L –so wie es uns vorliegt– ist die vom unbewegten und ewigen Beweger. Wenn das Hauptinteresse von Aristoteles der unbewegte Beweger gewesen wäre, dann hätte er dieses auf eine andere Art und Weise dargestellt, als es in L tatsächlich der Fall ist. Aristoteles will sich über die drei Substanzarten äußern, wie es in L1 und L6 geplant war. Allerdings setzt er dieses Vorhaben nicht um. Eine Tatsache, die sich Elders nicht erklären kann. Fernando Inciarte hat während der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die aristotelische Philosophie in Deutschland gelehrt. Er hat sich auch mit dem Problem der Metaphysik befasst. In der Buchkette GZHQL findet er ein einziges Thema und ein einziges Argument. Diese Kette wurde eigentlich schon in B initiiert, als Aristoteles sich mit der Frage beschäftigte, ob es lediglich eine Wissenschaft ist, die sowohl die Prinzipien der Argumentation als auch die Prinzipien der Substanz erforscht. Seine Antwort auf diese Frage hieß Ja. Obwohl L aufgrund seiner Thematik zu dieser Kette gehört, unterscheidet es sich durch einen anderen literarischen Stil. Hinweis dafür ist G, welches sich schon auf eine spätere Theologie bezieht (sic). Es wäre zu erwarten gewesen, dass L auf irgendeine Weise davon profitierte. Leider war dies aber nicht der Fall. Für Inciarte beginnt der Stagirit seine Metaphysik mit einer Ontologie und vollendet sie mit einer Theologie. Die Substanzlehre zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk, weil die Substanz (ein Wesen) „ist“. Nur sie ist Subjekt der Eigenschaften. Die erste Substanz ist Gott. Er ist ein eigenständiges Subjekt und sein Handeln von allem anderen unabhängig. Da Gott bloße Aktivität ist, wäre es passender, ihn mit einem Verb anstelle eines Substantivs zu bezeichnen. Als Prädikat ist er also nicht aussprechbar186. Christoph Horn betont die Rolle der e)ne/rgeia im Buch L, ist aber einer der letzten, der noch eine theologische Interpretation von L vertritt187: „Mit Blick 186 187 Vgl. Flamarique, Hg. (2005). Horn (2002), 44. | 57 | auf den Begriff der energeia in Metaphysik Lambda kann man somit festhalten, dass Aristoteles’ Theologie in der Linie seiner allgemeinen Ontologie, Handlungstheorie und Ethik konzipiert ist“. Seine Interpretation hängt mit seinem Verständnis der ganzen Metaphysik in ihre Beziehung zum Buch L zusammen. Er ist nämlich der Meinung, dass L keine vollständige Abhandlung sei, sondern die Skizze eines angeblichen theologischen Werkes, das unabhängig von der Metaphysik verstanden werden solle188: [...] bildet das Buch Lambda der Metaphysik eher eine Skizze als eine vollständige Abhandlung; insofern ist seine inhaltliche Ausrichtung und seine Verbindung mit dem Rest der Metaphysik schwer zu ermitteln. [...] Es handelt sich bei Lambda durchaus um die Skizze einer philosophischen Theologie, nicht nur um einen für partielle Erklärungszwecke unvermeidlichen Rückgriff auf ansonsten unabhängig behandelte Theologoumena. [...] Die Theologie von Lambda lässt sich aus dem Kontext der anderen philosophischen Auffassungen des Aristoteles verstehen; vielleicht lässt sich sogar als eines ihrer Zentren begreifen. Nun befasse ich mich noch kurz mit zwei italienischen Autoren unserer Zeit, Giovanni Reale und Enrico Berti. Reales Meinung nach behandelt E2-4ZHQI die Substanz auf einer horizontalen Ebene und LMN auf einer vertikalen Ebene. K stellt die Grenze zwischen den beiden Teilen der Metaphysik dar. Es fasst außerdem ABGE zusammen, kündigt die Diskussion über die sichtbare Substanz von L an und bereitet den Leser darauf vor. Während L also die unsichtbaren Substanzen akzeptiert, kritisiert MN einige falsche Meinungen darüber. Reale behauptet, die ganze Metaphysik konzentriere sich auf L. MN stützt sich auf L, um die falschen Lehren über die Transzendenz zu überprüfen. Die Unabhängigkeit von L in Bezug auf die Metaphysik scheint für Reale partiell zu sein: L4-5 beantwortet beispielsweise die 6. Aporie von B. In L könnte man auch Antworten auf die 5., 8. und 10. Aporien finden. Im Gegensatz zu Jaeger, der behauptet, L8 sei ein Zusatz des späteren Aristoteles, verteidigt Reale die These, L1 und L8 seien in demselben Zeitraum geschrieben worden. Beide Kapitel verfolgen denselben Gegenstand und dieselbe Methode. L8 ist die natürliche Folge von L6-7. Für Theophrast sei L8 sehr wichtig, woraus Reale schließt, dass L in den letzten Jahren des Aristoteles ein zentrales Thema gewesen sei. Er 188 Horn (2002), 48-49. | 58 | bevorzugt durchaus eine theologische Lesart des zwölften Buches: „è il libro teologico per eccellenza“189. Enrico Berti hat seine Meinung im Laufe der Jahre radikal verändert. In diesem Sinne ist er ein sehr gutes Beispiel für den Übergang von der alten Interpretation in die neue. Lange Zeit hielt er L für ein eigenständiges Buch des jungen Aristoteles. Die Originalfassung der Metaphysik enthielt seiner Meinung nach nur zehn Bücher, und zwar ABGEZQIKMN, so wie es auch die ältesten Kataloge beschrieben. Aus diesem Grund dachten Berti und Jaeger, L sei die Darstellung der genannten „Urmetaphysik“, die durch das Buch a eingeleitet wird. In jener Phase erklärte Berti die Entwicklung der theologischen Lesart von L folgendermaßen: Alexander von Aphrodisias war dafür verantwortlich und Themistius führte diese Entwicklung fort. Ein Grund für diese Transformation war beispielsweise der Ausbreitung des Christentums in Europa. Alle Philosophen waren tief geprägt von diesem religiösen Problem: „Tutti i filosofi antichi, da questo momento in poi, sono impegnati nella elaborazione di una filosofia che abbia al suo centro la nozione di Dio“190. Weder Alexander noch Themistius waren Christen. Trotzdem interessierten sie sich für dieses historische, religiöse und philosophische Problem. Damals wollten die heidnischen Autoren ein System gegen das Christentum aufbauen. Zu diesem Zweck schrieb Porphyrios zum Beispiel das Buch Gegen die Christen, und Themistius arbeitete seinerseits für den Kaiser Julian Apostata. Sowohl christliche als auch islamische Autoren haben die theologische Lesart weiter entwickelt, um ihren Glauben zu rechtfertigen: „Gli Arabi volevano a tutti i costi trovare in Aristotele i principi fondamentali della teologia islamica“191. Doch Berti hat mittlerweile sein Verständnis des Textes weiterentwickelt. Nun verteidigt er die Position, L sei eine Darstellung der Substanzlehre des Stagiriten. Im nächsten Kapitel dieser Arbeit wenden wir uns dem historischen Aspekt dieser mittlerweile allgemein verbreiteten Entwicklung zu, mit dem Zweck, diese besser nachvollziehen zu können. 189 Reale, Hg. (1993), 62. Berti (2006), 132. 191 Berti (2006), 130. 190 | 59 | L IST OUSIOLOGIE Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts lehnen die Kommentatoren die theologische Lesart des Buches L ab und arbeiten ihrerseits an einem neuen Verständnis des Werkes. Sie vertreten die Meinung, L führe eher eine Abhandlung über die Substanz fort, die der Stagirit bereits in den mittleren Büchern der Metaphysik zu untersuchen begonnen hatte. In diesen Texten kommt er allerdings nicht dazu, die (Existenz der) unsichtbaren Substanzen zu diskutieren. Dies erfolgt erst im zwölften Buch: In der ersten Hälfte dieses Buches behandelt er erneut die vergängliche Substanz, während er in der zweiten Hälfte auf die unvergängliche eingeht. Trotzdem ist dies nicht als die in den mittleren Büchern angekündigte Diskussion zu verstehen. Das vorliegende Kapitel besteht aus drei Teilen: Zunächst wende ich mich Joseph Owens zu. Seine Arbeit ist für uns bedeutsam, weil er der erste war, der ausdrücklich behauptet hat, in L gehe es um die Substanz. Zwar hatte das auch schon Jaeger angedeutet, wie bereits in einem früheren Kapitel erwähnt, später aber zog er diese Aussage zurück. Jaeger brachte bereits eine relevante Textstelle192 ins Spiel, die Michael Frede –zunächst in Zusammenarbeit mit Patzig, später in einer eigenen Arbeit– zitiert, um sich von der theologischen Lesart zu distanzieren. Im zweiten Absatz dieses Kapitels werde ich diesen Passus im Detail untersuchen, wie seinerzeit Frede. Im Anschluss übe ich Kritik an Fredes Position, der sogenannten ousiologischen Interpretation des Buches L. 1. Ursprung dieser Interpretation 1951 veröffentlicht Joseph Owens den Titel The doctrine of being in the Aristotelian Metaphysics. Dort erfährt man, dass der zentrale Punkt der aristotelischen Metaphysik das being ‘qua’ being ist. Das Hauptthema dieses Buches ist die Klärung des englischen Begriffs being nach der aristotelischen Philosophie aufgrund der verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten beziehungsweise seiner Mehrdeutigkeit. In Bezug auf die Mehrdeutigkeit des Wortes ist zu sagen, dass der erste Sinn von being nicht die materielle Substanz, sondern eine 192 Metaphysica L1 1069a36-b2. | 60 | bestimmte Form als Akt ist (definite form as act)193. Diese Form ist eine unsichtbare Substanz. Eine einzige Wissenschaft beschäftigt sich also sowohl mit der unsichtbaren Substanz als auch mit dem being ‘qua’ being, was bedeutet, dass beide Formulierungen genau dasselbe Objekt bezeichnen. Dieses Projekt beginnt Aristoteles in G und führt es in ZH sowie in L weiter: „Book L seeks the same causes as G and ZH. These are the principles and causes of Entities“194. Nachstehend zitiere ich Owens (etwas langen, allerdings lohnenden) Kommentar diesbezüglich195: Book L has shown itself to be what it announced. It is a study of Entity, first in sensible Entity and then in immobile Entity. But it shows no interest in setting up a science of separate Entity that treats universally of all beings. It is content with studying separate Entity in itself and as the final cause of all sensible Entities and of all movements. It makes no attempt to show how separate Entity is expressed in every predication of Being, as the science outlined in E1 would seem to require. Book L, accordingly, is not adapted to carry out the program envisaged in A-E1. Though it shows no discrepancy in doctrine from the main series, it is not conceived or adapted to form an integral part of the procedure undertaken there. Its closest affinities in form are to N, but they are none too definite either from the point of time or of method. L contains a properly scientific – as distinguished from the preliminary dialectical – procedure in regard to the separate Entities. It establishes the first principles as forms that are not forms of a matter, and then deduces the properties and the type of life and activity that belong to such forms. But it treats them only in themselves, and not as the Being that is seen universally in all other types. Nor does it follow out the elaborate study of ZHQ in reaching the separate Entities. It arrives at the immobile movers solely from the eternal movement established in the Physics, by a comparatively simple application of the principles of act and potency. No attempt is made to show that a sensible form though separate in notion, is not absolutely separate, and so does not possess one of the characteristics of Entity – separateness – in the highest degree. Nor is the theme of an act that is not movement made use of, nor the results of the study of Being as truth. Yet all these seemed to be meant in the main series as ways of reaching separate Entity. Gemeinsam mit Pierre Aubenque ist Owens der Meinung, dass eine aristotelische Ontologie unmöglich sei196. Owens ist fest davon überzeugt, dass 193 Owens (1957), xiv. Owens (1957), 438. 195 Owens (1957), 453-454. 196 Owens (1957), xxv: „‘Ontology’ is here understood in its historically authentic meaning of a general science of being qua being that is in some way, at least partially, distinct from a philosophical theology. 194 | 61 | eine Theologie als „restricted or regional science“197 nicht möglich ist. Entscheidend ist für ihn die Untersuchung der verschiedenen Aufsätze der Metaphysik. So sagt er: „But in any case, there is properly no theodicy in Aristotle“198. Damit schuf er die Voraussetzungen für das Ende der theologischen Lesart des Buches L. Trotzdem denkt Owens, dass die aristotelische Forschung der getrennten Substanz in der Tat eine Art Theologie sei: „But this science is not an ontology. It has as its subject a definite nature. It is the science of separate entity, a theology“199. Der Name „Theologie“ besitzt hier die Bedeutung, die einst der Begriff „Theologiké“ innehatte – nicht die des modernen Wortes „Theologie“. Owens hatte L keineswegs als ein theologisches Buch betrachtet, wie manchmal behauptet wird, sondern eher als eine Darstellung der aristotelischen Theologiké. Der Interpretation von Owens folgen trotz ihrer Originalität und ihrer Überzeugungskraft nur wenige. Sie ist allerdings insofern relevant, da sie die erste war, die die bisher „offizielle“ theologische Lesart und deren Tradition in Frage gestellt hat200. The reason for the impossibility of an Aristotelian science of this type is, as Aubenque points out, the Stagirite’s requirement of a ‘definite’ nature for the subject of a science“. 197 Owens (1957), xxix. 198 Owens (1957), 453, Fußnote 63. „Theodizee“ heißt hier „natürliche Theologie“. 199 Owens (1957), xxvi. 200 Zu dieser Tradition gehört auch Helen S. Lang. Ihre Interpretation ist eher abwegig. Sie verneint die theologische Lesart mit einer übertriebenen Argumentation in einem in der Zeitschrift Phronesis veröffentlichten Essay mit folgenden vier Schwerpunkten: (a) L bildet eine thematische Einheit: die Substanz. Als solche soll man dieses Buch lesen und verstehen. (b) Sowohl am Anfang von L1 als auch in L10 spricht Aristoteles über das All (vgl. Metaphysica L1 1069a19 und L10 1075a18). Damit grenzt Aristoteles noch weiter das Thema des Buches ein. Es soll nun die Substanz in Bezug auf das All sein. (c) Wenn L von der Substanz handelt und wenn Aristoteles mit dieser Untersuchung beginnt, indem er drei verschiedene Substanzen unterscheidet, dann gibt es ein gemeinsames Prinzip für alle drei Substanzen und – zweitens – dieses Prinzip ermöglicht eine solche Untersuchung. (d) Am Ende des Buches folgert Aristoteles, dass die Relation zwischen allen Substanzen im All eine solche pro\j e(/n ist (vgl. Metaphysica L10 1075a18-20). Damit soll klar werden, dass es ein gemeinsames Prinzip für alle Substanzen gibt. Lang (1993) schreibt in der Seite 276: „[…] All things are ordered together, connected, pro\j e(/n. The nature of the whole is not just a succession of parts; it must be unified in a stronger sense. But there is no mention here either of substance or of god. The reader and the reader alone must connect this account to the preceding analysis: the general is presumably the unmoved mover, god, while the other things mentioned, fishes, fowls and plants, are sensible substances. And on the basis of this identification an interpretation follows directly. Although the three kinds of substance are not derived from some one, and so cannot be known by an examination of it, nonetheless in the one to which they all relate, all things possess a first principle. In this sense, ‘the all’ is one and there is a common principle for all substances“. Lang geht noch weiter: In Metaphysik G2 spricht Aristoteles über eine allgemeine Wissenschaft, die alles, was sich pro\j e(/n bezieht, erforscht. In dem All findet man solch eine Zusammensetzung, sagt sie. Deswegen scheint es nicht, dass die Wissenschaft von L die Theologie ist, sondern diejenige, von der Aristoteles in G2 spricht – „the science of being ‘qua’ being“. | 62 | Vor kurzem veröffentlichte Erwin Sonderegger eine Übersetzung samt Kommentar zur Metaphysik L201. Sonderegger argumentiert auch gegen die Tradition, die L für eine theologische Schrift hält, und ist eher unter der ousiologischen Hermeneutik von L einzuordnen202: [...] denn der Sinn dieses Buches besteht darin, nachzuweisen, dass das Buch Met. L primär nicht die Darstellung einer Theologie sei, d.h. dass es weder zeigen will, was Gott ist, noch beweisen will, dass es Gott oder Götter gibt, sondern dass es sich um einen spekulativen Entwurf zur Frage nach dem Sein (Ousia) handelt. Sonderegger legt Wert auf die e)ne/rgeia, womit er die Aufmerksamkeit auf die „Wirklichkeit“ des ersten Bewegenden –er vermeidet stets den Ausdruck „erster Beweger“– lenken will. Dafür ist bei ihm die Rede von „e)/ndoca“, die er als Summe von „ou)si/a“, „no/hsij“ und „e)ne/rgeia“ versteht203: Met. L ist ein spekulativer Entwurf, weil die Frage nach dem Sein hier eine Antwort bekommt, jedoch nicht mit der Absicht, etwas Neues über das Seiende im Ganzen zu behaupten, wohl aber als die Mitteilung des Resultats einer Analyse der e)/ndoca. Dieses Resultat wird hauptsächlich über zwei Stufen erreicht. Auf der ersten soll der Zusammenhang von Sein und Wirklichkeit einsichtig werden. Auf der zweiten soll klar werden, dass Sein in der Noesis besteht. Mit Sonderegger werde ich mich nicht beschäftigen. Relevant ist, dass er –wie Frede– auch ein Vertreter der ousiologischen Interpretation ist. Er meint allerdings, dass Frede –und alle Teilnehmer des XIV. Symposium Aristotelicum– noch tief von der theologischen Hermeneutik geprägt seien. Damit kann ich nicht einverstanden sein. Deshalb will ich Fredes Position jetzt vorstellen. 201 Vgl. Sonderegger (2008). Sonderegger (2008), xxv. 203 Sonderegger (2008), xxvi-xxvii. 202 | 63 | 2. Michael Fredes Interpretation Diesen Bruch in der Interpretationsgeschichte vertieft und verstärkt Michael Frede. Fredes endgültige Meinung ist im Jahre 2000 im Rahmen der Memoires des XIV. Symposium Aristotelicum über L erschienen. Eine erste Darlegung dieser Interpretation war allerdings schon etwa fünfzehn Jahre zuvor bekannt, und zwar in einem Kommentar zu Z, der von Michael Frede und Günther Patzig veröffentlicht wurde. In jenem Kommentar sind etliche Ideen zu finden, die für die spätere Hermeneutik wegbereitend sind. Zunächst gehe ich auf die darin enthaltenen Ideen ein und wende mich anschließend der Position, die im XIV. Symposium Aristotelicum vertreten wird, zu204. Gemäß Frede und Patzig ist der Kern der Metaphysik die Kette ZHQ, in der Aristoteles die Substanz und das Sein erforscht. Aufgrund der bereits erörterten Bezugnamen von Q zu ZH, die vor allem in den ersten neun Kapiteln vorkommen, gliedert sich dieser Hauptteil ebenfalls thematisch in sie ein, obwohl Q ursprünglich eine eigenständige Schrift über die Potenz und den Akt war. I2 zum Beispiel räumt dies ein. Andererseits scheint ZH der Anfang eines metaphysischen Aufsatzes zu sein, der nicht vollendet worden ist. In Z wird der Frage nach der unsichtbaren und getrennten Substanz nachgegangen205. Wie bereits erwähnt, wird allgemein davon ausgegangen, dass L eine parallele Version von ZH ist. Niemand aber ging bisher davon aus, L könne eine kürzere Version des ursprünglichen und unvollendeten Projektes von ZH sein. Frede und Patzig sind der Meinung, L sei kein Werk des jungen Aristoteles, sondern eher eine Schrift, die nach Abschluss der gesamten Metaphysik geschrieben wurde. Dieses Werk diente also als Basis für L. Hier nimmt Aristoteles die Frage nach den unsichtbaren Substanzen wieder auf und entwickelt darüber eine Theorie. Hinzu kommt auch die Diskussion über etliche platonische Theorien, die er in Z2 ankündigt und in MN umsetzt. Die Autoren erinnern an die von Jaeger vorgeschlagene These über die Entwicklung der Substanzlehre von Aristoteles: Der junge „platonische“ Aristoteles soll gedacht haben, die 204 Sonderegger ist der Meinung, die Teilnehmer des XIV. Symposium Aristotelicum über L vertreten noch die theologische Interpretation: „Eben deshalb enthalte Met. L eine Theologie. Diese Ansicht vertritt auch noch das XIV. Symposium Aristotelicum von 1996. Der Text [L] habe als Ziel, Gott in irgendeiner Weise als Grund der Welt nachzuweisen. Was Aristoteles damit vorstelle, sei eine Umsetzung des Platonischen Demiurgen“: Sonderegger (2008), xix. Dies ist durchaus nicht der Fall. 205 Vgl. Metaphysica Z2 1028b30-31, Z3 1029a33-b12, Z11 1037a10-17 und Z17 1041a7-9. | 64 | Metaphysik sei die Wissenschaft, die ausschließlich die ewigen Substanzen erforscht (die sogenannte „Urmetaphysik“). Später allerdings habe er seine Meinung geändert und akzeptiert, dass die sichtbaren Substanzen auch Gegenstand der Metaphysik sind, so wie in ZHQ angenommen wurde (die von Aristoteles sogenannte erste Philosophie). Erst zu diesem Zeitpunkt soll in Aristoteles das Interesse für die göttlichen Substanzen geweckt worden sein. Diese These halten Frede und Patzig aber für unglaubwürdig und schlagen folgende Alternative vor: In ZH bereitet Aristoteles zwar die Antwort auf die Frage nach den unsichtbaren Substanzen vor, beantwortet sie aber nicht. Die Antwort folgt auch nicht in MN, wo man keine eigene Behauptung des Stagiriten, sondern eher kritische Aussagen vorfindet. Wahrscheinlich sollte L eine vage Darstellung der Theorie über diese Substanzen sein, so Frede und Patzig206. In Z2 fragt Aristoteles nach dem Warum und der Natur des ersten Bewegers. Dabei soll er an einen ewigen Beweger gedacht haben und benutzte aus diesem Grund die Singularform207. In Z17 spricht er über eine Untersuchung in Bezug auf die unsichtbaren Substanzen. Dort geht er davon aus, dass es solche Substanzen tatsächlich gibt, auch wenn er sich deren Natur nicht erklären kann208. Dass der erste Beweger eine a)rxh/ ist, scheint dem Stagirit allerdings klar zu sein. Diese Ideen verarbeitet Frede noch einmal im Jahre 2000 in einem detaillierten Aufsatz über Aristoteles Absicht im Buch L. Sein Beitrag basiert vor allem auf dem schon von Jaeger betonten Passus 1069a36-b2. Dies will ich nun im Folgenden darstellen: Frede beginnt mit einigen Bemerkungen, gefolgt von einer Aporie als Einleitung in die Diskussionen über die Prinzipien der sichtbaren und unsichtbaren Substanzen. In diesen Diskussionen geht es um die Frage, ob es ein gemeinsames Prinzip für alle Substanzen gibt oder nicht. Frede behauptet, Gott sei gewissermaßen das gemeinsame Prinzip aller Substanzen. Diese Interpretation erhält eine philologische Unterstützung von Michel Crubellier, wodurch Frede letztendlich in der Lage ist, seine Position –L sei eine Schrift über die Substanz– vorzustellen und zu erklären, welches die Stelle des zwölften Buches in Bezug auf die ganze Metaphysik ist. So kommen 206 Etliche Jahre später benutzt Frede das Adverb „wahrscheinlich“ nicht mehr. „Eine vage Vorstellung von der positiven Theorie immaterieller und zeitloser ousiai kann uns ‚vielleicht’ Met. L vermitteln“: Frede & Patzig (1986), 30; Hervorhebung von mir. 207 Vgl. Metaphysica Z2 1028b30. 208 Vgl. Metaphysica Z17 1041a7-9, auch Z3 1029b3-12 und Z11 1037a10-17. | 65 | wir zu der sogenannten „schwachen theologischen Lesart“ und der „ousiologischen Lesart“, die meiner Meinung nach von Frede stammt. Frede beginnt seinen Aufsatz mit einer Strukturierung von L1. Er erkennt folgende Teile dieses Kapitels: (a) 1069a18 - 1069b2 ist eine allgemeine „Einleitung“ zum Hauptthema des ganzen Buches, die wiederum aus zwei Teilen besteht: (a1) 1069a18-26 und (a2) 1069a26-b2. Der erste Teil (a1) beantwortet die Frage nach der eigentlichen Substanz; der zweite Teil (a2) diskutiert die Natur der Substanz. (b) Schon in 1069b3 - 1069b7 beginnt die Vorstellung des Hauptthemas von L, die stricto sensu zum zweiten Kapitel gehören sollte209. Der letzte Passus des ersten Kapitels von L, 1069a36-b2, schließt die sogenannte „Einleitung“ zum Hauptthema des ganzen Buches ab. Für Fredes Position spielt dies eine entscheidende Rolle. In diesem Textausschnitt leitet Aristoteles eine Beziehung zwischen den Substanzen und ihren Prinzipien ab, gemeinsam mit den Wissenschaften, die jene Substanzen untersuchen. Die Interpretation dieses Passus bestimmt also die Fredesche Lesart des ganzen Buches. Kurz davor unterscheidet Aristoteles bereits zwischen drei Arten von Substanzen210: Es gibt aber drei Substanzen: eine ist sinnlich wahrnehmbar –von der es [i] eine ewige und [ii] eine vergängliche gibt, in Bezug auf die alle übereinstimmen, wie zum Beispiel die Pflanzen und die Tiere– wovon man die Elemente erfassen muss, und zwar, ob es sich um eines oder um viele handelt. Die andere (Substanz) ist [iii] unbeweglich, und von dieser behaupten einige, sie sei selbständig und so weiter. Gleich nach dieser Unterscheidung kommt die besagte Passage 1069a36-b2. Auf Griechisch lautet sie so: „e)kei=nai [i und ii] me\n dh\ fusikh=j meta\ kinh/sewj ga/r, auàth [iii] de\ e(te/raj, ei) mhdemi/a au)toi=j a)rxh\ koinh/“. Horn übersetzt sie folgendermaßen: „Jene Substanzen [i und ii] aber sind Thema der Physik (denn sie sind mit Bewegung verbunden), diese [iii] dagegen ist Thema einer anderen Disziplin, falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt“. Wie gesagt weist Jaeger schon auf die Wichtigkeit dieses Passus hin. Trotzdem führt er diese Idee nicht 209 Alle Kommentatoren stimmen überein, dass das erste Kapitel von L schon bei 1069b3 hätte aufhören sollen. Der Herausgeber irrte sich als er dieses Kapitel erst bei 1069b7 beendet. Deswegen setzen sowohl Ross (1924) wie auch Jaeger (1957) unter anderem schon einen neuen Paragraphen bei 1069b3. 210 Metaphysica L1 1069a30-34: „ou)si/ai de\ trei=j, mi/a me\n ai)sqhth/ - h(=j h( me\n a)i+/dioj h( de\ fqarth/, h(\n pa/ntej o(mologou=sin, oi(=on ta\ futa\ kai\ ta\ z%=a [h( d¡ a)i+/dioj] - h(=j a)na/gkh ta\ stoixei=a labei=n, ei)/te e(\n ei)/te polla/: a)/llh de\ a)ki/nhtoj, kai\ tau/thn fasi/ tinej ei)=nai xwristh/n [...]“ (Christoph Horns Übersetzung). | 66 | weiter. Ross macht in seinen Kommentaren keinerlei Bemerkungen zu dieser Stelle. Frede jedoch merkt gleich Missverständnisse an. Er ist der Meinung, einige Kommentatoren hätten den Text falsch ausgelegt. Ein Fehler, der zu vermeiden gewesen wäre, hätte man bei zwei Bemerkungen innegehalten. Die erste Bemerkung geht auf Themistius zurück. Es scheint, er liest „e)pei/“ (begründende Konjunktion: „da“) anstatt „ei)“ (bedingende Konjunktion: „wenn“, „falls“): „e)kei=nai [ii] me\n dh\ fusikh=j meta\ kinh/sewj ga/r, auàth [iii] de\ e(te/raj, e)pei/ mhdemi/a au)toi=j a)rxh\ koinh/“. Diese Version mit „e)pei/“ würde also lauten: ‚Jene Substanzen [ii] aber sind Thema der Physik (denn sie sind mit Bewegung verbunden), diese [iii] dagegen ist Thema einer anderen Disziplin, „da“ ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt’211. Themistius ist fest davon überzeugt, dass diese Substanzarten nichts Gemeinsames verbindet, weil der unsichtbaren Substanz wiederum überhaupt kein Prinzip zugrunde liegt. Es ist deswegen unmöglich, dass die unsichtbaren und die sichtbaren Substanzen ein gemeinsames Prinzip haben212: Die sinnlich wahrnehmbare Substanz erfordert die Physik, denn diese Substanz überschreitet nicht den Bereich der Bewegung. Die zweite Substanz aber scheint zu einer anderen Wissenschaft zu gehören, und zwar einer edleren als es die Physik ist, „da“ ihnen nichts gemeinsam ist weder im Entstehen noch im Lokalisiertsein (beziehungsweise im Ort) noch im Zunehmen oder Abnehmen und sie auch kein gemeinsames Prinzip haben, von dem sie hergestellt werden. Auch das sechste Fragment bezieht sich direkt darauf213: Es sagt Alexander: Nachdem er über die bewegte Substanz gesprochen und sie in zwei Arten geteilt hat, in eine ewige und eine entstehende vergängliche, sagt er, dass über diese zwei Substanzen der Physiker zu sprechen hat. Denn die physikalische Untersuchung bezieht sich auf die Substanzen, denen Bewegung zukommt, indem sie die Prinzipien derselben der Metaphysik entnimmt. Was 211 Auch Bonitz übersetzt es mit „da“: „Jene Wesen gehören der Physik an, denn sie sind der Bewegung unterworfen, diese aber einer anderen Wissenschaft, da sie ja mit jenen kein gemeinsames Prinzip hat“. Hervorhebung von mir. 212 4, Fr. 3, 6-11. Übersetzung und Hervorhebungen von mir. Die lateinische Version des hebräischen Textes Themistius’ ist: „Porro sensibilis substantia naturali scientia indiget; haec enim substantia ex motu omnino non evadit; altera vero substantia ad aliam scientiam eamque nobiliorem quam sit scientia naturalis spectare videtur, cum nihil sit comune ipsis neque in generatione ulla neque in loco neque in augmento neque in decremento nec commune principium habeant, a quo producantur“; Landauer (1903), 4. 213 Freudenthal (1885), 74. | 67 | aber die unbewegte Substanz betrifft, so ist die Untersuchung derselben Aufgabe der Metaphysik. Frede schreibt, dass sich da sogar Averroës verliest: „And, according to Freudenthal’s translation, Averroes’ lemma has e)pei/“214. Obwohl es für Averroës scheint, dass es ein gemeinsames Prinzip für beide Substanzen gibt, ist er einverstanden, dass es verschiedene Wissenschaften sein sollten, die die jeweilige Substanzart behandeln: Die Physik untersucht demnach die vergängliche Substanz und die Metaphysik die Unbewegliche. Auch dies ist umstritten. In seinem Kommentar beharrt Pseudo-Alexander auf der Partikel „ei)“. So akzeptiert er, dass die Physik alle sichtbaren Substanzen behandelt, sowohl die Vergängliche, als auch die Ewige215. Frede selbst schenkt einem Hinweis über die arabische Übersetzung folgender Passage besondere Beachtung: „Michel Crubellier points out to me that the other Arabic translation has ei), and that there is no indication in Averroes that Alexander read e)pei/“216. Folglich bleibt Frede auch bei „ei)“. Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Partikel „au)toi=j“. Als Neutrum sollte sich auf „e)kei=nai“ und auf „au(/th“ beziehen, das heißt auf die sichtbaren und auf die unsichtbaren Substanzen. Laut Frede sind daher zwei Lektüren möglich. Der ersten Lektüre nach zu urteilen, besitzen die unsichtbaren Substanzen kein Bewegungsprinzip. Dies ist evident per definitionem und bringt somit die Diskussion nicht weiter. Deswegen scheint es unwahrscheinlich, dass es sich hierbei um den Sinn des Konditionalsatzes handelt. Die zweite Lektüre ist interessanter: Die unsichtbaren Substanzen gehören zu einer anderen Wissenschaft, falls keine von jenen Substanzen ein Bewegungsprinzip der sichtbaren Substanzen ist. Später lernen wir, schreibt Frede, dass diese Bedingung nicht erfüllt wird. Es ist nun deutlich, dass Frede das Wort „a)rxh/“ auf das Bewegungsprinzip beschränkt. Er tut das, weil Aristoteles selbst seine Untersuchung in L mit der Suche der Bewegungsprinzipien der sichtbaren Substanzen begonnen hat. Schließlich weist Frede noch darauf hin, dass in zwei Manuskripten217 nicht der Begriff „koinh/“ sondern „kinh/sewj“ vorkommt. Da Aristoteles in L mit dem Prinzip 214 Frede (2000b), 73. Vgl. Pseudo-Alexanders Kommentar zum Passus (671, 7-21). 216 Vgl. Frede (2000b), 73, Fußnote 4. 217 Manuskripten C und M der Familie Ab: Marc.gr.206 und Marc.gr.211. Fazzo (2012) bittet die Rekonstruktion der Familie der uns erhaltenen L-Manuskripten. 215 | 68 | aller Substanzarten beschäftigt ist, wäre es sinnvoller „koinh/“ anstatt „kinh/sewj“ zu lesen. Der besprochene Passus fragt deutlich nach einem Prinzip –oder mehreren Prinzipien– der Substanz. Dies ist genau das Ziel von Aristoteles am Anfang von L: Er will die Prinzipien und Ursachen der Substanz untersuchen. Deshalb nennt Aristoteles die Substanz das Erste und erst danach kommen die Akzidenzien218. Weil die vergängliche Substanz der Ausgangspunkt der Forschung ist, wird nach dem Bewegungsprinzip gesucht. So treffen wir an dieser Stelle auf eine Aporie: Entweder ist die Substanz nicht das Erste, weil ihr die eigenen Prinzipien beziehungsweise Ursachen vorausgehen, oder sie ist prinzipienlos, was unmöglich der Fall ist. Die Frage bleibt also noch immer offen: Was verursacht –bewirkt– die Substanz, wenn sie das Erste ist? Die Frage kann auch anders formuliert werden: Was ist eigentlich das Bewegungsprinzip der vergänglichen Substanz? Das Einzige, was eine Substanz bewegen kann, ist eine andere Substanz. Davon soll das ganze Buch L handeln. Es sucht jene Substanzen, die für die Bewegung der sichtbaren Substanzen verantwortlich sind. Aristoteles vermutet zunächst, diese Substanzen seien unsichtbar. Diese Idee stammt jedoch nicht ursprünglich von ihm, sondern von den Pythagoreern und Platonikern. Sie glauben an die Existenz unsichtbarer Substanzen und drücken diesen Glauben sowohl in Zahlen als auch in Ideen aus. Aristoteles erinnert daran219, als er Fragen nach dieser Substanz beziehungsweise Substanzart stellt. Offen bleibt die Frage, ob Aristoteles akzeptiert hätte, dass sich eine bestimmte Wissenschaft mit den unsichtbaren Substanzen beschäftigt. Wenn Aristoteles nach dem Prinzip der Substanzen fragt, sucht er vor allem das, was die Bewegung jener Substanzen verursacht. In L liefert er auf diese Frage eine sehr ausführliche Antwort. Jede Bewegung muss einen Ursprung haben. Welches ist also das gesuchte Bewegungsprinzip? Mit den Prinzipien 218 Vgl. Metaphysica L1 1069a18-19: „kai\ ei) t%= e)fech=j, ka)\n ou(/twj prw=ton h( ou)si/a, ei)=ta to\ poio/n h)\ to\ poso/n“ („Aber auch wenn es reihenförmig beschaffen ist, kommt auf diese Weise als erstes die Substanz, dann die Qualität oder die Quantität“; Christoph Horns Übersetzung). 219 Vgl. Metaphysica L1 1069a33-35: „a)/llh de\ a)ki/nhtoj, kai\ tau/thn tine\j ei)=nai/ fasi xwristh/n, oi( me\n ei)j du/o diairou=ntej, oi( de\ ei)j mi/an fu/sin tiqe/ntej ta\ ei)/dh kai\ ta\ maqhmatika/ [...]“ („Die andere [Substanz] ist unbeweglich, und von dieser behaupten einige, sie sei selbständig, wobei die einen sie in zwei aufteilen, die anderen die Idee und mathematischen Objekte zu einer Natur [zusammennehmen...]“; Christoph Horns Übersetzung). | 69 | und Elementen der sichtbaren Substanz beschäftigt sich der Stagirit in L4 und L5. Da unterscheidet er zwischen inneren und äußeren Ursachen220: [...] wie zum Beispiel Ursache eines Menschen die Elemente sind, Feuer und Erde, im Sinn der Materialursache, und die eigentümliche Form, und zudem etwas anderes, Äußeres wie der Vater, und neben diesen die Sonne und ihr ekliptischer Verlauf, wobei diese weder Materie noch Form noch Privation sind, sondern Bewegungsursachen. Neue Elemente –nämlich ewige sichtbare Substanzen– werden nun in die Diskussion hinzugefügt. Die Sonne und sämtliche Fixsterne gehören zur Gruppe der sinnlich wahrnehmbaren, ewigen Substanzen. Die Sphäre der Fixsterne ist ortsbezogen, weil die Materie der Himmelskörper ausschließlich in einem örtlichen Sinne bewegungsfähig ist. Sie fällt also nicht in die Kategorie „Entstehen/Vergehen“221. Trotzdem spielen die Sonne und ihre Ekliptik eine gewisse Rolle in der Bewegung aller vergänglichen Substanzen. In L8 beschreibt Aristoteles mit Hilfe der Theorien von Eudoxos und Kallippos seine persönliche Vorstellung eines astronomischen Systems. Dieses verfügt über mehrere Sphären. Jede Sphäre wird von einem Beweger bewegt. Die Beweger an sich sind allerdings bewegungslos. Da es mehrere Sphären gibt, gibt es folglich auch mehrere unbewegte Beweger222. Aristoteles schlägt eine Reihefolge von unbewegten Bewegern vor. Alle hängen von einem ersten Beweger ab. Eine genaue Beschreibung der Beziehung zwischen dem ersten und den folgenden Bewegern liefert Aristoteles jedoch leider nicht. Weil jeder unbewegte Beweger Vernunft ist (noei=), darf man vermuten, dass der erste Beweger ein Gedankenprinzip der anderen Beweger ist. In diesem Sinne könnte man behaupten, der erste Beweger sei Prinzip der anderen Beweger223. Daraus schließt Frede, dass es doch ein gemeinsames Prinzip der unsichtbaren und der 220 Metaphysica L5 1071a13-17: „w(/sper a)nqrw/pou ai)/tion ta/ te stoixei=a, pu=r kai\ gh= w(j u(/lh kai\ to\ i)/dion ei)/doj, kai\ e)/ti ti a)/llo e)/cw oi(/on o( pa/th/r, kai\ para\ tau=ta o( h(/lioj kai\ o( loco\j ku/kloj, ou)/te u(/lh o)/nta ou)/t¡ ei)=doj out)/e ste/rhsij ou)/te o(moeide\j a)lla\ kinou=nta“ (Christoph Horns Übersetzung). 221 Metaphysica L3 1069b25-27: „pa/nta d¡ u(/lhn e)/xei o(/sa metaba/llei, a)ll¡ e(te/ran: kai\ tw=n a)i+di/wn o(/sa mh\ genhta\ kinhta\ de\ fora=|, a)ll¡ ou) genhth\n poqe\n poi/“ („Alles nun, was sich verändert, hat Materie, aber jeweils eine andere. Auch von den ewigen Entitäten [haben alle diejenigen eine Materie], die zwar nicht entstanden sind, aber durch Ortsbewegung verändert werden, allerdings keine genetische Materie, sondern eine auf das Woher und Wohin bezogene“; Christoph Horns Übersetzung). 222 Vgl. Beere (2003). 223 Wie wird die Bewegung ausgehend von dem Beweger an die Sphäre abgegeben? Welche Art von Verbindung besteht zwischen dem Beweger und der Sphäre? Diese Fragen können hier leider nicht beantworten werden. Für Diskussionen zu diesem Thema vgl. Gill (1991). | 70 | sichtbaren Substanzen gibt. Um dies zu erklären, benutzt er den Begriff „a)nalogi/a“, auch wenn dieser nicht in L1 vorkommt224. Seine Argumentation lautet folgendermaßen: In L7 wird der erste Beweger mit Gott identifiziert. Weil der erste Beweger Prinzip aller Beweger ist, sagt man, Gott sei Prinzip von allem. Da alle diese Beweger bewegungslos sind, ist Gott kein Bewegungsprinzip, sondern eher Gedankenprinzip, zumal Gott Objekt (der Bewegung) für die Beweger ist. So ist Gott Bewegungsprinzip der himmlischen Sphären; außerdem ist Gott Bewegungsprinzip der vergänglichen Substanzen über die Fixsterne. Gott ist also das Gedankenprinzip aller unbewegten Beweger, die ihrerseits die Sonne bewegen, die ihrerseits die Bewegung der sichtbaren Substanzen verursacht. Anders ausgedrückt: Gott verursacht die Bewegung der nichtwahrnehmbaren Substanzen, die die Bewegung des Himmels erklären und durch die Sonne wird die Bewegung an die natürlichen Substanzen abgegeben. Gott ist also das Prinzip beider Substanzen, jedoch auf eine jeweils andere Art und Weise. Für die unsichtbaren Substanzen ist er Gedankenprinzip, für die sichtbaren Substanzen ist er Bewegungsprinzip. Nur wenn man diese zwei Arten der Prinzipien unterscheidet, ist man mit Hilfe der Analogie imstande zu erkennen, dass Gott ein gemeinsames Prinzip aller Dinge ist. In diesem analogischen Sinne haben also die sichtbaren und unsichtbaren Substanzen ein und dasselbe Prinzip. Crubellier unterstützt die Interpretation Fredes mit einer philologischen Anmerkung. Er erkennt eine doppelte Apodosis im Passus, das heißt, dass der Konditionalsatz der Passage („falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt“) sich seiner Meinung nach sowohl auf den ersten Teil des Satzes („jene Substanzen aber sind Thema der Physik“) wie auch auf den zweiten („diese dagegen ist Thema einer anderen Disziplin“) bezieht. So könnte man den Satz folgendermaßen auslegen: ‚Jene Substanzen sind Thema der Physik, falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt, jene Substanzen aber sind Thema einer anderen Disziplin, falls ihnen kein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt’. Darin findet Frede eine Bestätigung seiner Interpretation. Es gibt keine Schriften von Crubellier, die diese Idee enthalten, mit Ausnahme eben des Aufsatzes von Frede: 224 Aristoteles benutzt ihn erst in L5. | 71 | [...] Michel Crubellier has pointed out that the whole preceding sentence may constitute a twofold apodosis: if sensible and non-sensible substances have no principle in common, physics has to deal with sensible substances, whereas theology will deal with non-sensible substances. But, as they do have a principle in common, not only physics, but also metaphysics, will deal with sensible substances, and it will also deal with nonsensible substances. The thought on either construal must be very close to that of E1 1026a27-31225. Grundsätzlich liefern die Vertreter dieser „ousiologischen“ Position zwei Hinweise dafür, dass L als eine Substanzabhandlung zu lesen sei. Erstens: Am Anfang des zwölften Buches erläutert Aristoteles seine Absicht: „Über die Substanz geht die Betrachtung. Denn es sind die Substanzen, deren Prinzipien und Ursachen gesucht werden“226. Zu Beginn der zweiten Hälfte des Buches (L6-10) bezieht er sich auf L1 und wiederholt dasselbe Ziel noch einmal227. Zweitens: Am Ende des ersten Kapitels von L –und zwar im oben diskutierten Passus 1069b36-b2– etabliert Aristoteles eine Bedingung, die er in Verbindung mit der Partikel „ei)“ setzt: Falls es kein gemeinsames Prinzip für beide sichtbaren und unsichtbaren Substanzen gibt, dann müssen beide Substanzen (strenggenommen) von verschiedenen Wissenschaften behandelt werden. Wenn es aber doch ein gemeinsames Prinzip für beide Substanzarten gibt, dann gehört die Untersuchung beider Substanzen zu derselben Wissenschaft. Diese ei)-Bedingung wird jedoch nicht erfüllt und es muss doch ein gemeinsames Prinzip für beide Substanzarten geben. Wenn es kein gemeinsames Prinzip für beide Substanzarten gäbe, dann würde lediglich ein und dieselbe Wissenschaft beide Substanzarten erforschen. Das heißt, die sichtbaren Substanzen können von einer einzigen Wissenschaft –von der Physik– nicht erklärt werden. Sofern 225 Metaphysica E1 1026a27-31 lautet: „ei) me\n ou)=n mh/ e)sti/ tij e(te/ra ou)si/a para\ ta\j fu/sei sunesthkui/aj, h( fusikh\ a)\n ei)/h prw/th e)piste/mh: ei) d¡ e)sti/ tij ou)si/a a)ki/nhtoj, au(/th prote/ra kai\ filosofi/a prw/th, kai\ kaqo/lou ou(/twj o(/ti prw/th: kai\ peri\ tou= o)/ntoj $(= o)/n, tau/thj a)\n ei)/h qewrh=sai, kai\ ti/ e)sti kai\ ta\ u(pa/rxonta $(= o)/n“ („Gibt es nun neben den natürlich bestehenden Wesen kein anderes, so würde die Physik die erste Wissenschaft sein; gibt es aber ein unbewegliches Wesen, so ist dieses das frühere und die – es behandelnde – Philosophie die erste und eine allgemeine, insofern sie die erste ist, und ihr würde zukommen, das Seiende, insofern es Seiendes ist, zu betrachten, sowohl sein Was als auch das ihm als Seiendem Zukommende“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 226 Metaphysica L1 1069a18: „peri\ th=j ou)si/aj h( qewri/a: tw=n ga\r ou)siw=n ai( a)rxai\ kai\ ta\ ai)/tia zhtou=ntai“ (Christoph Horns Übersetzung mit leichten Veränderungen von mir). 227 Metaphysica L6 1071b3-4: „e)pei\ d¡ h)=san trei=j ou)si/ai, du/o me\n ai( fusikai\ mi/a d¡ h( a)ki/nhtoj, peri\ tau/thj lekte/on o(/ti a)na/gkh ei)=nai a)i+/dio/n tina ou)si/an a)ki/nhton“ („Da es nun drei ousiai gab, zwei natürliche und eine unbewegte, so müssen wir nun von dieser sprechen und zeigen, dass es notwendig ist, dass es irgendeine ewige unbewegliche ousia gibt“; Michael Bordts Übersetzung). Leo Elders hält diese Zeilen von L6, die man nicht auf L1 beziehen darf, für den Zusatz eines Kopisten; vgl. Elders (1972), 138. | 72 | die sichtbaren Substanzen bewegungsfähig sind, sind sie Gegenstand der Physik. Nun aber kommt eine weitere Wissenschaft hinzu. Diese Wissenschaft beschäftigt sich nicht nur mit den unsichtbaren Substanzen, sondern auch mit den sichtbaren. Allgemein ist sie unter dem Namen „Metaphysik“ bekannt228. Der Unterschied zur Physik besteht darin, dass sie alle Arten von Substanzen untersucht, sofern sie Substanzen sind. Deswegen ist L keine theologische, sondern eher eine metaphysische Abhandlung. In diesem Sinne ist jetzt deutlich geworden, dass L sich mit beiden Substanzen beschäftigt. Das Ziel dieses Buches ist es nicht, eine Theologie vorzustellen, sondern die Substanz besser zu verstehen. Das Göttliche wird in die Diskussion einfach als eine bestimmte Substanz(art) eingebracht, die Aristoteles auch behandeln muss. In diesem Sinne ist die Frage nach Gott der Frage nach der Substanz untergeordnet. Der wichtigste Vorteil dieser ousiologischen Interpretation ist, dass L eine vollendete Einheit mit einer klaren Struktur und einem konkreten Projekt darstellt. L ist ein Text über die Substanz, wie Aristoteles bereits am Anfang des Buches erläutert hat. Wenn man L auf diese Weise begreift, dann sind sowohl das Ausbleiben des Begriffs „Theologie“ als auch die offensichtliche Aufteilung in zwei Hälften irrelevant. Die drei Probleme der theologischen Lesart werden überwunden. Trotzdem ist Frede der Meinung, die Schrift solle als ein Substanzbuch anerkannt werden. Er verteidigt diese Behauptung mit Nachdruck229. Er glaubt, dass bei der Erarbeitung einer Substanzlehre auch die Untersuchung der Substanzprinzipien einbezogen werden sollte. In L verfolgte Aristoteles das Ziel, eine detailliertere Substanzlehre zu erarbeiten. Ein unabdingbarer Teil dieser Arbeit war, sich zu den Prinzipien aller Substanzen zu äußern230. Der Autor des zwölften Buches ist Fredes Meinung nach unstreitig Aristoteles, daran besteht für ihn keinerlei Zweifel. Frede bezeichnet den „Wagemut“ der Gedanken in L als ein Zeichen der Authentizität231. Außerdem setzt die Metaphysik des Theophrasts L voraus. Dies wäre unmöglich, wenn L 228 Aristoteles selbst verwendet diesen Namen nicht, sondern andere wie zum Beispiel „sofi/a“ oder „prw/th filosofi/a“. 229 Vgl. Frede (2000a). 230 Eine Gegenposition zu Fredes Äußerung könnte beispielsweise sein, dass die Substanzprinzipien nicht untersucht werden konnten, weil die Prinzipien bereits in den mittleren Büchern erforscht worden waren. Die Lehre in L also soll nur eine detailliertere Darstellung sein, insofern sowohl die sichtbaren als auch die unsichtbaren Substanzen behandelt werden. 231 Frede (2000a), 4: „Given the character and the breath-taking audacity of its thought, it is difficult to see who else could have written it“, außer Aristoteles. | 73 | nicht von Aristoteles selbst stammen würde, so Frede. Mehrere Kommentatoren stimmen überein, dass L eine spätere Schrift des Stagiriten ist. Diese Meinung bezieht sich vor allen Dingen auf die astronomischen Referenzen in L8 zum Werk des Kallippos von Kyzikos, dessen Theorien 330 v. Chr. in Athen offiziell anerkannt worden sind. All dieser Hinweise zum Trotz ist es keine Aufgabe, L genau zu datieren. Andere Indizien lassen darauf schließen, dass das Buch L unter großem Zeitdruck geschrieben wurde. Sollte sich dies bewahrheiten, kann man definitiv ausschließen, dass L ein Entwurf für ein Projekt ist, das zeigen soll, dass man zwangsweise auf die unvergänglichen Substanzen stößt, sobald man die sichtbaren Substanzen zu erklären versucht. Aus diesen Gründen haben sich die Herausgeber –möglicherweise Aristoteles selbst– dafür entschieden, L zu den Büchern der Metaphysik zu zählen. Eine weitere Hypothese, die Frede gern wiederholt, stellt Myles Burnyeat während der Schlusssitzung des XIV. Symposium Aristotelicum auf: Aristoteles müsste sich bewusst gewesen sein, dass er in der Metaphysik eine Lücke in der Theorie über die unsichtbaren Substanzen hinterlassen hatte. Wahrscheinlich wäre es, dass er L aus früheren Texten zusammengestellt und unter Zeitdruck als eine Skizze für eine zukünftige Schrift über jene Substanzen geschrieben hat. So weit die Spekulationen über den Entstehungszeitpunkt des Buches. Ein anderer Punkt, der bei der Frage nach der Entstehung des Textes aufkommt, ist ob L die in ZHQ angekündigte Diskussion über die unsichtbaren Substanzen weiterverfolgt oder nicht. Für Frede ist eine solche Untersuchung dort nicht zu finden. Vielmehr eröffnet Aristoteles in L eine Studie über die sichtbaren Substanzen, die allerdings auch auf die unsichtbaren Substanzen eingeht. Trotzdem ist in dem elften Buch jene angekündigte Diskussion nicht wirklich zu finden, obwohl dieser Punkt früher häufig in Frage gestellt wurde. Für all diejenigen, die meinen, die Diskussion sei dort vorzufinden, hat Frede zwei Hinweise, die dies widerlegen. Erstens: L ist keine Darstellung der getrennten Substanzen, sondern der Substanz überhaupt. Zweitens: ZHQ folgt einem Gedankenfaden, der die Prinzipien der sichtbaren Substanzen –Materie und Form– als Potenz und Akt erklärt. Im Gegensatz dazu folgt L einer anderen Art von Argumentation232. Das Projekt von L ist dem in ZHQ zwar ähnlich, aber dennoch gibt es gewisse Unterschiede: „It, again, like the central 232 Frede (2000a), 2: „L does not pick up the threads of argument offered in the central books and asking to be developed further in the light of a discussion of separate substances“. | 74 | books, begins with a discussion of sensible substances. The difference just is that it, unlike the central books, actually does proceed to discuss non-sensible substances“233. Obwohl L den zentralen Büchern ähnlich ist, handelt es sich zweifellos um einen anderen Text, der ursprünglich unabhängig vom Rest der Metaphysik war. Zum Beispiel: Während Aristoteles sich in L nicht fragt, was es bedeuten mag, Substanz beziehungsweise Wesen zu sein, geht er dieser Frage in den mittleren Büchern nach. In L erklärt er nicht einmal, dass die Substanz eine Art von Aktualität ist – eine Voraussetzung, um L richtig zu verstehen. L scheint eher eine alternative Annäherung an die Substanz zu sein, die im Wesentlichen an Z anknüpft. Dies verläuft parallel zu den zentralen Büchern bis zu dem Moment, in dem Aristoteles die Untersuchung der unsichtbaren Substanzen in L beginnt. Ab diesem Punkt verliert sich der Parallelismus. (Die Diskussion über diese Substanzen, die eigentlich für die mittleren Bücher geplant war, wurde entweder niemals geschrieben oder uns nicht überliefert.) Niemand kann wirklich sagen, in welcher Beziehung Z und L ursprünglich zueinander standen, wenn überhaupt. Deshalb wird L oft als ein autonomes Buch angesehen. Besonders L muss in einem bestimmten Kontext gelesen werden. Frede schließt jedoch aus, dass dieser Kontext die Metaphysik ist. Diesen Rahmen muss jeder selbst herstellen. Hilfreich hierfür ist vielleicht, darüber nachzudenken, wie es Aristoteles geschafft hat, dass L als ein metaphysisches Werk gelesen und aufgenommen wird. In solch einem metaphysischen System muss eine Substanztheorie im Mittelpunkt stehen. L stellt also doch einen metaphysischen Aufsatz dar, der die zentrale Frage der Metaphysik aufnimmt. Ausschließlich in diesem Sinne kann man L für die angekündigte Diskussion in ZHQ halten. Nur wenn man die Absicht und die Ziele des Aristoteles in L verstanden hat, darf man L mit den anderen aristotelischen Schriften vergleichen. Andernfalls vervielfältigen sich die Fehldeutungen. Aber wie ist die theologische Lesart überhaupt entstanden? Frede versucht, dieser Frage nachzugehen. Ursprünglich galt als Ausgangspunkt die Meinung, L sei doch eine metaphysische Schrift. Das könnte der Hauptgrund gewesen sein zu akzeptieren, dass L2-5 gewissermaßen eine Art von Vorbereitung auf L6-10 ist. Gäbe es tatsächlich eine solche –erwünschte– Einleitung, dann wäre die 233 Frede (2000a), 2. | 75 | theologische Lesart letztendlich doch annehmbar. Was beabsichtigte Aristoteles jedoch wirklich? In L1 2069a36 schreibt er ausdrücklich, dass die Physik die sichtbare Substanz erforscht. Darf die Metaphysik diese Substanzen also nicht untersuchen? Wäre dies der Fall, dann wären die Seiten von L, die die sichtbaren Substanzen behandeln, nur eine Einleitung zum Thema. Und wenn man den berühmten Passus E1 1026a10-32234 und das Versprechen von Z11 1037a13-20235 miteinander in Verbindung bringt, kann man zwei Folgen 234 „ei) de/ ti/ e)stin a)i+/dion kai\ a)ki/nhton kai\ xwristo/n, fanero\n o(/ti qewrhtikh=j to\ gnw=nai, ou) me/ntoi fusikh=j ge (peri\ kinhtw=n ga/r tinwn h( fusikh/) ou)de\ maqhmatikh=j, a)lla\ prote/raj a)mfoi=n. h( me\n ga\r fusikh\ peri\ xwrista\ me\n a)ll¡ ou)k a)ki/nhta, th=j de\ maqhmatikh=j e)/nia peri\ a)ki/nhta me\n ou) xwrista\ de\ i)/swj a)ll¡ w(j e)n u(/l$: h( de\ prw/th kai\ peri\ xwrista\ kai\ a)ki/nhta. a)na/gkh de\ pa/nta me\n ta\ ai)/tia a)i+/dia ei)=nai, ma/lista de\ tau=ta: tau=ta ga\r ai)/tia toi=j faneroi=j tw=n qei/wn. w(/ste trei=j a)\n ei)=en filosofi/ai qewrhtikai/, maqhmatikh/, fusikh/, qeologikh/: ou) ga\r a)/dhlon o(/ti ei)/ pou to\ qei=on u(pa/rxei, e)n t$= toiau/t$ fu/sei u(pa/rxei, kai\ th\n timiwta/thn dei= peri\ to\ timiw/taton ge/noj ei)=nai. ai( me\n ou)=n qewrhtikai\ tw=n a)/llwn e)pisthmw=n ai(retw/terai, au(/th de\ tw=n qewrhtikw=n. a)porh/seie ga\r a)/n tij po/tero/n poq¡ h( prw/th filosofi/a kaqo/lou e)sti/n h)\ peri/ ti ge/noj kai\ fu/sin tina\ mi/an. [...] ei) me\n ou)=n mh\ e)/sti tij e(te/ra ou)si/a para\ ta\j fu/sei sunesthkui/aj, h/ fusikh\ a)\n ei)/h prw/th e)pisth/mh: ei) d¡ e)/sti tij ou)si/a a)ki/nhtoj, au(/th prote/ra kai\ filosofi/a prw/th, kai\ kaqo/lou ou(/twj o(/ti prw/th: kai\ peri\ tou= o)/ntoj $(= o)/n tau/thj a)\n ei)/h qewrh=sai, kai\ ti/ e)sti kai\ ta\ u(pa/rxonta $(= o)/n“ („Gibt es aber etwas Ewiges, Unbewegliches, Abtrennbares, so muß offenbar dessen Erkenntnis einer betrachtenden Wissenschaft angehören. Aber der Physik gehört es nicht an, da diese von Bewegbarem handelt, und auch nicht der Mathematik, sondern einer beiden vorausgehenden Wissenschaft. Denn die Physik handelt von abtrennbaren, aber nicht unbeweglichen Dingen, einiges zur Mathematik gehörende betrifft Unbewegliches, das aber nicht abtrennbar ist, sondern an einem Stoff befindlich; die erste Philosophie aber handelt von sowohl abtrennbaren, als auch unbeweglichen Dingen. Nun müssen notwendig alle Ursachen ewig sein, vor allem aber diese, denn sie sind die Ursachen des Sichtbaren von den göttlichen Dingen. Hiernach würde es also drei betrachtende philosophische Wissenschaften geben: Mathematik, Physik, Theologie. Denn unzweifelhaft ist, dass, wenn sich irgendwo ein Göttliches findet, es findet sich in so einer Natur, und die würdigste Wissenschaft die würdigste Gattung des Seienden zum Gegenstande haben muß. Nun haben die betrachtenden Wissenschaften den Vorzug vor den anderen, und diese wieder unter den betrachtenden. Man könnte nämlich fragen, ob die erste Philosophie allgemein ist oder auf eine einzelne Gattung und eine einzelne Natur geht. Auf dieselbe Weise verhält es sich auch in den mathematischen Wissenschaften, indem Geometrie und Astronomie von einer einzelnen Natur handeln, die allgemeine Mathematik aber alle gemeinsam umfaßt. [...] Gibt es neben den natürlich bestehenden Wesen kein anderes, so würde die Physik die erste Wissenschaft sein; gibt es aber ein unbewegliches Wesen, so ist dieses das frühere und die es behandelnde Philosophie die erste und eine allgemeine, insofern sie die erste ist, und ihr würde es zukommen, das Seiende, insofern es Seiendes ist, zu betrachten, sowohl sein Was als auch das ihm als Seiendem Zukommende“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 235 „tou/tou ga\r xa/rin kai\ peri\ tw=n ai)sqhtw=n ou)siw=n peirw/meqa diori/zein, e)pei\ tro/pon tina\ th=j fusikh=j kai\ deute/raj filosofi/aj e)/rgon h( peri\ ta\j ai)sqhta\j ou)si/aj qewri/a: ou) ga\r mo/non peri\ th=j u(/lhj dei= gnwri/zein to\n fusiko/n a)lla\ kai\ <peri\ th=j ou)si/aj> th=j kata\ to\n lo/gon, kai\ ma=llon. e)pi\ de\ tw=n o(rismw=n pw=j me/rh ta\ e)n t%= lo/g%, kai\ dia\ ti/ ei(=j lo/goj o( o(rismo/j (dh=lon ga\r o(ti to\ pra=gma e(/n, to\ de\ pra=gma ti/ni e(/n, me/rh ge e)/xon), skepte/on u(/steron“ („Ob es nun neben dem Stoff der Wesen dieser Art noch einen anderen gibt, und ob man ein von diesen verschiedenes Wesen aufzusuchen hat, wie Zahlen und dergleichen, das soll später untersucht werden. Eben deswegen versuchen wir ja auch hinsichtlich der sinnlichen Wesen Begriffsdefinitionen zu geben; denn eigentlich ist die Untersuchung über die sinnlichen Wesen Aufgabe der Physik und des zweiten Teiles der Philosophie; denn dem Physiker kommt es zu, nicht nur die Materie allein, sondern auch die begriffsmäßig bestimmte zu untersuchen, und diese noch mehr. Inwiefern hinsichtlich der Wesensdefinitionen das im Begriff Enthaltene Teil ist und wodurch die Wesensdefinition ein einheitlicher Begriff ist – offenbar nämlich, weil die Sache ‚eine’ ist; aber wodurch ist die Sache ‚eine’, da sie ja Teile hat? –, diese Fragen sind später der Untersuchung zu unterwerfen“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). | 76 | ausschließen: Dass eine metaphysische Schrift (a) nur die göttliche Substanz behandeln soll und dass sie (b) keine systematische Diskussion über die sichtbare Substanz führen darf. Diese doppelte Schlussfolgerung ist allerdings gleich zweifach falsch. Eigentlich liest sich L nicht wie ein Aufsatz über die göttlichen Substanzen oder die göttliche Substanz. Für die Behauptung, dass der erste Teil eine Einleitung zu dem gewünschten Hauptthema –die immaterielle Substanz– ist, fehlen Hinweise236. Deshalb führt die Interpretation, L sei ein theologischer Text, zu Missverständnissen, wie bereits Ross anmerkte. Der erste Teil von L handelt tatsächlich von den Ursachen und Prinzipien der sichtbaren Substanz. Allerdings diskutiert der zweite Teil die erwarteten Ursachen und Prinzipien der unsichtbaren Substanz nicht. Vielleicht hatte Aristoteles vor, etwas darüber zu schreiben, später aber nicht mehr daran gedacht. Handelt es sich bei L wirklich um einen Text über die unsichtbaren Substanzen, dann wäre zu erwarten gewesen, dass Aristoteles diese erörtert hätte, selbst wenn er L unter Zeitdruck geschrieben hätte. (Im Gegensatz dazu akzeptieren die Anhänger der theologischen Lesart, dass der Schwerpunkt im zweiten Teil von L die unsichtbare und göttliche Substanz sei.) In L1 äußert Aristoteles, er wolle die Prinzipien und Ursachen der Substanz erforschen. Damit meint er die vergängliche Substanz. Aristoteles sagt in L aber nicht, dass er die Prinzipien aller Substanzarten erforschen will. Wäre dies seine Absicht gewesen, dann wäre der zweite Teil keineswegs ins Spiel gekommen. In dieser Hinsicht folgt der Stagirit der Tradition der früheren Philosophen. Er beobachtet, dass bereits die früheren Philosophen die Substanzprinzipien untersuchten, obwohl sie diese anders bezeichneten. Wenn die Philosophen die Prinzipien der vergänglichen Welt und deren Substanzen erforschen, dann postulieren sie unsichtbare Substanzen, um diese Welt bestmöglich zu erklären. Wie in der Tradition Platons und seiner Schüler schließt Aristoteles aus, dass unter den Prinzipien der sichtbaren Substanzen immaterielle Substanzen zu finden sind. In diesem Sinne fügt Aristoteles dem Thema keine neuen Aspekte hinzu. Das heißt allerdings nicht, in L gehe es prinzipiell um die unsichtbaren Substanzen, sondern eher, dass eine Untersuchung der Substanzen unvollständig wäre, wenn man keine Untersuchungen über die unsichtbaren 236 Frede (2000a), 5: „[...] our text [L] does not present itself as a treatise on divine substances, let alone as a treatise on the divine ousia. There is no suggestion that the first part concerning sensible substances is just supposed to introduce the material on the basis of which we then can consider the real subject of the treatise, namely immaterial substances“. | 77 | Substanzen betreibe. Bemerkenswert ist auch, dass, obwohl Frede sich doch für eine „ousiologische“ Lesart entscheidet, er gleichzeitig eine schwache „theologische“ Lesart von L akzeptiert. Für die von ihm aufgestellte Theologie sind sowohl die göttlichen als auch die sichtbaren Substanzen von Bedeutung. Das muss betont werden, denn normalerweise bezieht sich das theologische Denken ausschließlich auf unsichtbare Substanzen. In diesem Sinne nennt Frede L eine theologische Schrift. Aristoteles schreibt in Z11 und in L1, dass beide Substanzarten –sichtbare und unsichtbare– von verschiedenen Wissenschaften untersucht werden, sofern diese keinem gemeinsamen Prinzip unterliegen. Ganz gleich wie man diese Passage interpretiert, es bleibt stets die Möglichkeit bestehen, dass eine einzige Wissenschaft sich mit beiden Substanzarten beschäftigen kann. An dieser Stelle identifiziert Frede die Theologie beziehungsweise die Metaphysik mit der sogenannten ersten Philosophie. Daraus schließt Frede, dass, obwohl die sichtbaren Substanzen Gegenstand der Physik sind, sie auch von der Metaphysik erforscht werden. L2-5 ist also keine Einleitung zum Hauptthema, sondern lediglich ein Teil der ganzen Analyse. Selbst wenn Aristoteles L als einen theologischen Aufsatz konzipiert hätte, wäre es, so Frede, sinnvoll gewesen, seine Meinung über die vergängliche Substanz zu äußern. Der Schwerpunkt von L ist also nicht Gott und das Göttliche, sondern die Substanz. Um den Unterschied zwischen der Untersuchung der unsichtbaren und der sichtbaren Substanzen deutlicher zu machen, behauptet Frede, dass die Metaphysik die unsichtbaren Substanzen –jene Intellekte, die ausschließlich die vergänglichen Substanzen bewegen– nicht erforscht. So vertritt Frede eine gewisse „schwache theologische“ Lesart. Dieser Lesart zur Folge müsste Aristoteles eine allgemeine Darstellung der Substanz hinzufügen, die auch die vergängliche Substanz mit einbezieht. Das macht er in den ersten Kapiteln von L. Dann unterscheidet er die unsichtbare Substanz von den sichtbaren und ihren Formen. Die unsichtbaren Substanzen werden als „e)ne/rgeia“ bezeichnet, die sichtbaren aber nicht. Gewissermaßen behauptet Frede, die Theologie sei universell und müsste sich deswegen mit allen Substanzen beschäftigen. Wenn Frede L als eine theologische Schrift dieser Art –derselben von E– erklärt, dann muss er annehmen, dass die Diskussion über die vergänglichen Substanzen in L ein wesentlicher Bestandteil der Theologie in ihrer Eigenschaft als universelle Wissenschaft ist. Anders gesagt: Der zweite Teil von L | 78 | thematisiert die ewigen, unvergänglichen Substanzen, die Aristoteles „göttlich“ nennt. In diesem Sinne darf man nach dem Begriff „Theologie“, auf den Frede in E gestoßen ist, L als ein theologisches Buch erklären. Diese allgemeine Wissenschaft behandelt beide, die sichtbaren und die göttlichen Substanzen. Leider erklärt Aristoteles den universellen Charakter der Metaphysik nicht weiter. Schon damals war man darüber empört. Frede ist davon überzeugt, dass die Metaphysik als erste Wissenschaft über einen universellen Charakter verfügt. Sie behandelt also keine bestimmte Art von Seienden237. Klar ist, dass die Metaphysik die Substanz untersucht. Am Anfang von L beschäftigt sich Aristoteles mit der sichtbaren Welt und ihrem Wesen. Da versucht er die Prinzipien der Welt zu etablieren: Welche Prinzipien enthalten die auf dieser Welt vorhandenen Substanzen? Die Schwierigkeit besteht darin, dass zu den Prinzipien der vergänglichen Substanzen getrennte und unsichtbare Prinzipien gezählt werden. Von daher müssen die Substanzprinzipien unbedingt Substanzen sein. Andernfalls würde man fälschlicherweise behaupten, eine Nicht-Substanz käme vor der Substanz – was aber unmöglich ist. Deswegen müssen die getrennten, unvergänglichen Substanzen unabdingbar existieren. Nur wer sie kennt, ist in der Lage, die Welt zu verstehen. Aus diesem Grund werden diese Substanzen im zwölften Buch behandelt. Laut Frede wollte Aristoteles eine eigene Theorie über die unsichtbaren Substanzen aufstellen, um sich von Platon und den Platonikern zu distanzieren. Offenbar ist L ein voreiliger Versuch, sich von diesen Gelehrten abzugrenzen. Dennoch ist anzunehmen, dass Aristoteles sich schon vor der Niederschrift des Buches Z Gedanken zu dem Thema gemacht hat. Schon in L1 wird deutlich, dass das Thema (focus of the inquiry) in L –wie auch in Z– die Substanz ist: „It [L], again, is an inquiry into substances quite generally“ 238. Damit löst Frede das wichtigste hermeneutische Problem, über das sich die Kommentatoren seit langem den Kopf zerbrachen, nämlich die Aufteilung des Buches in zwei Hälften, die zunächst den Anschein erwecken, in keinerlei Verbindung zueinander zu stehen. Die neue Interpretation von Frede eröffnet eine kohärente Lesart des ganzen Buches, indem diese Spaltung vermieden wird. Dies halte ich für den größten Vorteil seiner Arbeit. 237 Meiner Meinung nach ist die Metaphysik universell, weil sie die e)ne/rgeia, die universell ist, behandelt. Alle Wesen können auf diese Weise erklärt werden. 238 Frede (2000a), 2. | 79 | 3. Kritik an Fredes Position Fredes Position scheint nicht in allen Punkten zu überzeugen. Meiner Meinung nach können Fredes Argumente zu Gunsten dieser starken ousiologischen Interpretation zu Missverständnissen führen. Entscheidend ist auch, dass er einem Passus, den alle anderen Kommentatoren eher als undurchsichtig und kompliziert bezeichnen, besonderes Gewicht beimisst239. In diesem Ausschnitt möchte ich einige Aspekte seiner Interpretation besprechen. Zuerst kommentiere ich seine Aussage über die theologische Interpretation, weil meiner Meinung nach in seiner Argumentation wichtige Elemente fehlen. Danach werde ich Kritik an seiner starken ousiologischen Lesart üben. Zum Schluss möchte ich auf zwei Einwände aufmerksam machen, die Frede gegen eine mögliche archäologische Lesart240 a priori erhebt. Der Ausgangspunkt für Michael Fredes Kritik an der alten traditionellen Lesart, die ich „theologisch“ nenne, ist die allgemein akzeptierte Eigenständigkeit von L. Er bevorzugt eine Hermeneutik des Buches L, die ich „ousiologisch“ bezeichne, indem er die Position vertritt, Aristoteles stelle dort eine weitere Version seiner Substanzlehre vor. Mit „(stark) ousiologisch“ meine ich, dass die Hauptaufgabe von L die Darstellung einer Substanzlehre ist; wobei ich mit „schwach theologisch“ die von Frede akzeptierte Position, dass L weitestgehend mit den theologischen Elementen der aristotelischen Philosophie zu tun hat, betonen möchte. Die Strategie Fredes, die wir oben gezeigt haben, lässt sich grosso modo folgendermaßen zusammenfassen: Frede diskreditiert die starke theologische Lesart, um eine schwache theologische Lesart in den Vordergrund zu rücken und stellt die dafür notwendigen Bedingungen auf. Seiner Position fehlt es allerdings an Argumenten: Dieselben Gründe, die ihn zu einer schwachen theologischen Position führen, leiten ihn auch, tollendo tollens, zu einer (starken) ousiologischen Hermeneutik von L. Die schwache theologische Lesart Fredes konzentriert sich vor allem auf eine Umdeutung des Passus 1069a36-b2. Anscheinend ist er der erste, der dieser Passage eine so entscheidende Wichtigkeit für das Verständnis von L zukommen lässt241. Frede 239 Lindsay Judson folgt diesen Weg bis zum Ende; vgl. Judson (2007a). Unter dem Begriff „archäologische“ Lesung von L wird diejenige gemeint, die die Substanzprinzipien als das Hauptinteresse bevorzugt. 241 Sir David Ross zum Beispiel kommentiert ihn nur in der Einleitung seines Kommentars zur Metaphysik, und er versteht ihn ganz anders als Frede; vgl. Ross (1924), xxviii-xxix. Auch für Jules Tricot ist dieses Thema von besonderer Wichtigkeit; vgl. Tricot (1953), xxxi-xxxii. Ebenso 240 | 80 | behauptet, das erste Prinzip sei eine Substanz, deswegen solle diese in L als zentrale Idee thematisiert werden. Vor allem verteidigt er eine starke ousiologische Lesart und parallel dazu eine schwache theologische242. Wie ich bereits erwähnt habe, hält Frede L trotz der Abwesenheit in der ganzen Metaphysik des von Aristoteles angekündigten Textes über die unsichtbaren Substanzen nicht für die Erfüllung dieses Versprechens, zumal L nicht von diesen Substanzen handele und weil L ein eigenständiges Buch sei243. Die Seiten von L über Gott und die himmlischen Substanzen hätten die Vertreter der theologischen Interpretation zu dem Glauben verleitet, dass es sich bei L sehr wohl um ein solches Versprechen handelt. So haben sie diese highly misleading244 Interpretation irrtümlicherweise genährt. Um die starke theologische Hermeneutik zu diskreditieren, liefert Frede zwei Argumente: (a) L liest sich nicht wie ein Aufsatz über die immateriellen Substanzen und keineswegs über das göttliche Wesen, sondern eher wie ein Text über die allgemeine Substanz; (b) die theologische Lesart führt zu Irrtümern beziehungsweise zu großen Problemen, wie beispielsweise zu der Aufteilung des Buches in zwei Hälften. Da er sich auf seinen eigenen Vorschlag konzentriert, vertieft Frede seine Argumente bedauernswerterweise nicht mehr. Über den ersten Punkt (a) wird in den nächsten Kapiteln ausführlich und mit Blick auf meine eigene und Menns Interpretation diskutiert. Zunächst befassen wir uns allerdings mit dem zweiten Punkt (b). Da L die unsichtbaren Substanzen nicht als Hauptthema betrachtet, ist es –gemäß Frede– gewissermaßen unmöglich, die theologische Lesart zu vertreten. Einen Hinweis befasst sich Charles Kahn damit: „[...] physics as the study of motion is essentially incomplete and must borrow its first principle from the study of unmoving substance“. Und er geht fort und fragt sich: „Could the thought be: first philosophy deals with immobile substance ‘alone, and not with substance in motion’, unless there is a common principle for both (as there in fact is); and to this extent the theory of moving substance ‘also’ belongs to First Philosophy?“: Kahn (1985), 319-320. Daniel Devereux versteht die Stelle völlig anders; vgl. Devereux (1988), 175-176 und 180-181. Lindsay Judson interpretiert die folgendermaßen: „So Aristotle is saying, ‘unchanging substances will be the subject of a different science if they are not simply further natural bodies like the changing ones’“, wobei für ihn „a specifically identical principle here – as opposed to one which is identical by analogy (kaq¡ a)nalogi/an) – is something like air or fire“: Judson (2007a), 4, Fußnote 13. 242 Ich beschreibe es als tollendo tollens, da es für Frede wie eine Subtraktion funktioniert: L liest er nicht wie einen „stark theologischen“ Text, sondern wie einen „schwach theologischen“ Aufsatz. Deshalb handelt es sich auf jeden Fall um ein „ousiologisches“ Buch, da in ihm auch die Substanz thematisiert wird. Rein statistisch gesehen, kommt beispielsweise das Wort „ou)si/a“ 68 Mal vor, während der Begriff „qeo/j“ (und Kognaten) nur 12 Mal verwendet wird. Für weitere Details darüber vgl. die ‚Wortuntersuchung’ im letzten Kapitel dieser Arbeit. 243 Die meisten Kommentatoren sind heutzutage davon überzeugt, dass L ein eigenständiges Buch ist. Stephen Menn aber liefert überzeugende Argumente, die dies widerlegen; vgl. das 4. Kapitel (‚L ist Archäologie’) dieser Arbeit. 244 Frede (2000a), 5. | 81 | darauf, dass L nicht von diesen Substanzen handelt, ist im ersten Teil des Buches (L1-5) zu finden, in dem ausschließlich die sichtbaren Substanzen diskutiert werden. Hierzu kommentiert Frede245: This in itself suggests, and it is important to realize this, that our text does not present itself as a treatise on divine substances, let alone as a treatise on the divine ousia. There is no suggestion that the first part concerning sensible substances is just supposed to introduce the material on the basis of which we then can consider the real subject of the treatise, namely immaterial substance. Fredes Beitrag besteht darin, dass er sagt, man dürfe L weder als ein theologisches Buch (und wenn, dann nur in einem schwachen Sinne) noch als einen Aufsatz über die unsichtbare Substanz betrachten. Folglich fragt man sich nach den Problemen der theologischen Interpretation. Ich nehme an, dass die besagte Spaltung des Buches ein zentraler Beweis dafür ist, dass die theologische Interpretation keinen Bestand hat. Hinzu kommen die vielen Versuche –manchmal bizarr und stets erfolglos–, eine solche Interpretation durchzuhalten. Hierfür ein klassisches Beispiel: Pseudo-Alexander folgend behaupten Jaeger und Ross unter anderem, L6-10 sei ein metaphysischer Aufsatz, der ausschließlich die unsichtbaren Substanzen erforsche, während L15 eine vorläufige und einführende Auseinandersetzung ist. Frede seinerseits hebt die Spaltung des Buches auf, indem er L als ein einheitliches Werk anerkennt246. Wer nach den Problemen der theologischen Interpretation fragt, stößt unweigerlich auf die daraus entstandenen Folgen für die Philosophie im Laufe der Jahrhunderte. Idealerweise beschäftigt man sich jedoch mit ihrer Entstehungsgeschichte. So würden die problematischen Schlussfolgerungen ipso facto beseitigt. Im Fredeschen Text sucht man danach allerdings vergebens. Er erörtert dieses Thema kaum – eine zweite bedauerliche Schwäche seines Textes. Gleich versuche ich, dem genauer nachzugehen. Die entscheidende Frage ist, ob es zu Lebzeiten des Aristoteles überhaupt möglich war, einen theologischen Aufsatz zu verfassen, und wenn ja, inwiefern. Diesem historisch- 245 Frede (2000a), 5. Darüber wird auch in den nächsten Kapiteln (‚L ist Archäologie’ und ‚L ist Sophia’) dieser Arbeit diskutiert. 246 | 82 | kulturellen Kontext widmet sich Frede überhaupt nicht247. Außerdem ist dieser Aspekt dazu geeignet, das Vertrauen in die theologische Lesart zu schmälern. Historisch-philosophisch betrachtet, ist es sowohl bei Aristoteles als auch bei Platon noch immer zu früh für eine ausgearbeitete Darstellung einer Theologie, selbst wenn beide Philosophen schon eine gewisse Vorstellung von Gott entwickelt hatten. Der Grund dafür ist, dass sie mit einer philosophisch(meta)physischen Weltanschauung beschäftigt sind. Dabei spielt Gott doch eine wesentliche Rolle und in dieser Hinsicht könnte man eine gewisse „göttliche Metaphysik“ oder eine gewisse „Theologie“ –im vagen Sinne– rekonstruieren248. Platon oder Aristoteles eine strikte Theologie zuzuschreiben, wäre allerdings übertrieben. Die Zeiten dafür waren noch nicht gekommen. In jener Zeit konnte kein entwickeltes Verständnis der Theologie existieren, wie zum Beispiel jenes, das uns über das Christentum erreicht hat. Im kulturellen und philosophischen Rahmen der Griechen gab es bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Diskussion über Gott, die man „theologisch“ bezeichnen könnte. Da das Adjektiv „theologisch“ in diesem Zusammenhang eine doppelte Bedeutung erhalten kann, muss ich das oben stehende nuancieren. Auf der einen Seite gibt es eine Reihe von Denkern, die sich gegen die offizielle Religion gestellt hatten und nicht an die mythologischen Gottheiten glaubten. Die ersten Versuche, die damalige Mythologie und den Volksglauben zu kritisieren, findet man schon unter den Vorsokratikern beziehungsweise unter den Zeitgenossen des Sokrates, wie beispielsweise Xenophanes von Kolophon, Diagoras von Melos, Theodorus von Kyrene und so weiter. Andere Autoren hatten eine ähnliche Meinung darüber und hörten auf, an die Mythen zu glauben. Auf der anderen Seite trägt der Begriff unter dem Einfluss des Christentums eine jahrhundertelange Last. Auf Letzteres gehe ich hier jedoch nicht weiter ein – es reicht zunächst einmal, sich dessen bewusst zu sein. Interessant ist der erste Punkt, da es sich offensichtlich nicht um einen theologischen sondern um einen 247 Einen kleinen Kommentar dazu gibt es von Frede doch, allerdings in Bezug auf ein anderes Thema: „It is clear from the rest of the first chapter, for instance from 1069a25-6, but also from what we know about Greek philosophy before Aristotle and in Aristotle’s day, that the fact he has in mind is that philosophers do inquire into the principles of the sensible world we live in, the principles of sensible substances, though in the course of this inquiry they may also come to postulate non-sensible substances to account for the sensible world. And so he is going to join these other philosophers, the Pre-Socratic and the Platonists, in their endeavor“: Frede (2000a), 7. 248 Erst vor kurzen wurde dies von Michael Bordt versucht. In seiner Arbeit geht es nicht um eine platonische Untersuchung Gottes, sondern eher um Gott als Eckstein des komplexen metaphysischen System Platons; vgl. Bordt (2006b). | 83 | atheistischen Diskurs handelt. Es sieht so aus, als ob der aufgeklärte Atheismus noch vor der eigentlichen Theologie entstanden wäre, denn sogar unter denjenigen, die das Göttliche akzeptieren –wie beispielsweise Platon oder Aristoteles–, fehlt jegliche Art von artikulierten und systematischen Untersuchungen über Gott. Trotzdem wird die Lehre über Gott und die himmlischen Körper auch heute noch häufig mit den Worten „aristotelische Theologie“ bezeichnet. Ich möchte mich gegen diesen Gebrauch aussprechen, da er leicht zu weiteren Missverständnissen –zu ganz neuen oder zu den schon bekannten– führen kann. Eine systematische Untersuchung des Göttlichen ist im Corpus nicht zu finden. Die Fragen der letzten Kapitel von L sind zum Beispiel keine Fragen im Rahmen einer Forschung des Göttlichen oder des Theologischen an sich, sondern eher Fragen im Rahmen der Forschung nach den Prinzipien der sichtbaren Substanzen. Hierzu erklärt Michael Bordt249: Nachdem Ar[istoteles] die erste Substanz derart bestimmt hat, identifiziert er sie mit G[ott], denn die Bestimmungen der ersten Substanz sind identisch mit den Bestimmungen, die man auch G[ott] zuschreibt: ‚G[ott] sagen wir, ist das ewige, beste Lebewesen, so daß G[ott] Leben und beständige und ewige Fortdauer zukommen; denn dies ist G[ott]’ (Met. L7 1072b28-30). Die Identifikation der ersten Substanz mit G[ott] ist insofern unproblematisch, als sie sich auf den gängigen Sprachgebrauch berufen kann. Zumindest innerhalb der philosophischen Kreise um Platons Akademie wird unter ‚G[ott]’ das ewige, beste Lebewesen verstanden. Das bedeutet nicht, daß Ar[istoteles] Met. L6-10 geschrieben hat, um eine Theologie zu entwickeln; innerhalb des Projektes einer ersten Philosophie, die die Aufgabe hat, die letzten Prinzipien der Wirklichkeit zu bestimmen, zeigt sich durch die Bestimmung der ersten Substanz, daß diese nicht von dem verschiedenen ist, was unter G[ott] verstanden wird. In diesem Sinn wird die Erste Philosophie von Ar[istoteles] auch theologische Wissenschaft genannt (z.B. Met. A2 982b28-983a11; E1 1026a18-23). Auffallend sparsam sind die Aussagen des Ar[istoteles] zu den vielen Göttern, deren Existenz in den griechischen Mythen und Kulten vorausgesetzt wird. Der wahre Kern der die Götter betreffenden Mythen besteht Ar[istoteles] zufolge darin, daß die Himmelskörper als Götter angesehen werden – alles andere ist aus pädagogischen und moralischen Motiven heraus dazugedichtet worden (Met. L8 1074a38-b14). 249 Bordt (2005), 590. | 84 | Unter Vorbehalten könnte man grob über eine gewisse aristotelische Theologie sprechen. Die aristotelische qeologikh/ ähnelt keineswegs der weitaus bekannteren Theologie. Sie sind nicht als Synonyme zu verwenden. Der aristotelische Gebrauch des Wortes „qeologikh/“ soll den Leser nicht irreführen. Um solche Missverständnisse und falschen Auslegungen auszuschließen und zu verhindern, sollte man idealerweise, wenn man über die aristotelische Annährung zum Göttlichen spricht, nur den aristotelischen Begriff „qeologikh/“ benutzen. Myles Burnyeat hat sich in Bezug auf den Titel des Buches ein kluges Argument ausgedacht, dessen Folgerungen man hier verwenden kann, um den Begriff „qeologikh/“ in diesem Zusammenhang besser zu verstehen250: The title we have inherited makes best sense if it was devised for a work that set out to reach […] theology but never got there, i.e. for a Metaphysics without L. In those circumstances it would be reasonable to name the work after its starting point, instead of its unattained goal and completion. Das zwölfte Buch, so Burnyeat, hieße also weder „Theologie“ („qeologikh/“) noch „Weisheit“ („sofi/a“), sondern eher „Metaphysik“ („ta\ meta\ ta\ fusika/“)251. Ihm zufolge ist L keineswegs eine theologische Untersuchung252. Der Weg Fredes zu einer schwach theologischen Lesart ist nun klar. Aber welcher Weg führt Frede zu einem stark ousiologischen Verständnis von L? Frede beginnt seine Argumentation zugunsten einer stark ousiologischen Hermeneutik wohl mit der ersten Zeile von L: „Diese Theorie geht um die Substanz“253. Sollte L ein eigenständiges Buch sein, dann müsste es mit „h( qewri/a“ bezeichnet werden. Frede denkt, die wirkliche Aufgabe von L bestehe in der Untersuchung der Substanz in ihrer Eigenschaft als das Erste überhaupt. Offenbar steht dieser Punkt für ihn außer Diskussion, zumal er kein weiteres Argument dafür liefert. Es ist so, als ob Aristoteles ein Enthymem geschaffen hätte: Da die ersten Prinzipien zwingendermaßen Substanzen sind und da L sich mit den Prinzipien beschäftigt, muss eingeräumt werden, dass das Hauptthema von L die Substanz ist. Man sollte allerdings genauer prüfen, ob die besagte Interpretation allein auf diesem Argument beruhen kann oder nicht. 250 Burnyeat (2001), 141. Burnyeat verwendet die Begriffen „Theologie“ und „qeologikh/“ als Synonyme. 252 Meine Position dazu ist im letzten Kapitel dieser Arbeit zu finden. 253 Metaphysica L1 1069a18: „peri\ th=j ou)si/aj h( qewri/a“. Silvia Fazzo vertritt ist mit diesem Verständnis des Satzes nicht einverstanden; vgl. Fazzo (2008) und (2009). 251 | 85 | Fredes Lesart finde ich originell und inspirierend, obwohl ich weder von den Argumenten noch von der Schlussfolgerung völlig überzeugt bin. Der größte Vorteil seines Aufsatzes besteht, wie gesagt, darin, dass man sich endlich von der typischen Hermeneutik (und den aus ihr resultierenden Schwierigkeiten) distanzieren kann. Der Leser gewinnt den Eindruck, Fortschritte in Bezug auf das Bewusstsein des Textes zu machen. Frede denkt, dass Aristoteles die Prinzipien der sichtbaren Substanz untersucht, dass er aufgrund seiner Absicht eine Substanzlehre vorliegt und er sich demnach für die sichtbare Substanz interessieren musste. Ich denke dagegen, dass Aristoteles beabsichtigte, eine Prinzipienlehre vorzubereiten. Hinzu kommt die Untersuchung der Substanz. Aber Frede streitet dies expressis verbis ab. Ausdrücklich verneint er die Möglichkeit, dass L eine Untersuchung der Substanzprinzipien sein könnte. Diese Argumentation ist wahrscheinlich eine Folge sowohl seiner Diskussion über das Hauptthema des Buches als auch seines Einspruchs gegen die stark theologische Lesart254. Der Leser muss den Eindruck haben, so Frede, dass der Aufsatz die Prinzipien und Ursachen der Substanz überhaupt behandelt. Die erste Hälfte des Buches behandelt seiner Meinung nach die Ursachen und Prinzipien der sichtbaren Substanz. Wenn Aristoteles in L1 sagt, er suche die Prinzipien und Ursachen der Substanz, meint er damit nur die sichtbare Substanz. Aristoteles äußert nicht die Absicht, die Prinzipien jeder Substanzart zu diskutieren. Wäre dies seine Absicht gewesen, so hätte er im zweiten Teil des Aufsatzes sein Ziel nicht erreicht. Deshalb wird derjenige, so Frede, der auf eine Analyse der Ursachen und Prinzipien der unsichtbaren Substanzen wartet, bestimmt enttäuscht sein255. (Dass Aristoteles sich doch damit beschäftigen wollte, akzeptiert Frede nur als eine rein theoretische Möglichkeit. Aus irgendeinem uns unbekannten Grund konnte er es nicht getan oder umgesetzt haben.) Selbst wenn Aristoteles L unter Zeitdruck geschrieben hätte, wäre es merkwürdig, dass er überhaupt nichts über die Prinzipien und Ursachen der unsichtbaren Substanzen sagt, obwohl dies das Hauptziel des Buches gewesen wäre. 254 Vgl. Frede (2000a), 5-6. Frede (2000a), 6: „The first lines of L might make us think that we are going to inquire into the causes and principles of substances quite generally. And since later in the first chapter we distinguish between two, or three, kinds of substances, respectively, we might think that, in the first part of L, we will get an inquiry into the causes and principles of sensible substances and, in the second part, an inquiry into the causes and principles of immaterial substances. This expectation is fully met by the first part, but sorely disappointed by the second part“. 255 | 86 | Demzufolge schließt Frede aus, dass das Ziel von L die Untersuchung der Prinzipien und Ursachen der unsichtbaren Substanz ist256. Um seine These zu belegen, zitiert er einen entscheidenden Passus aus den ersten Seiten des Buches. Dort spricht Aristoteles über die antiken Philosophen, die die Prinzipien der Welt und –selbstverständlich– der sichtbaren Substanzen untersucht haben. Um diese Welt zu erklären, postulierten sie eine andere Substanzart, nämlich die immaterielle Substanz. Folgender ist der von Frede zitierte Abschnitt der Metaphysik257: Es bezeugen dies auch die früheren (Philosophen) durch die Tat; denn sie suchten die Prinzipien, Elemente und Ursachen der Substanz. Die heutigen nun bevorzugen die allgemeinen (Entitäten) als (Prinzipien und Ursachen) der Substanz – die Gattungen, von denen sie aufgrund ihrer begrifflich orientierten Methode behaupten, dass sie in höherem Maße Prinzipien und Substanzen seien, sind nämlich allgemein. Die alten (Philosophen) demgegenüber bevorzugten das Einzelne, wie Feuer und Erde, nicht aber was ihnen gemeinsam ist, der Körper. Frede schließt daraus, dass Aristoteles sich der Tradition fügt: „And so he [Aristoteles] is going to join these other philosophers, the Pre-Socratic and the Platonists, in their endeavor“258. Frede geht aber noch einen Schritt weiter, indem er den Text heranzieht, um abzustreiten, dass L eine Diskussion über die unsichtbaren Substanzen sei. Aus diesem Textausschnitt folgert er, dass die vorliegende Annäherung zur Substanz überhaupt auch die sichtbaren Substanzen unbedingt einschließen muss, andernfalls wäre die Aufgabe unvollendet. Frede bemerkt, dass Aristoteles zu denselben Schlussfolgerungen kam wie bereits die Vorsokratiker und Platon, und zwar dass die unsichtbaren Substanzen Prinzip der Sichtbaren sind. Für Frede ist dies die Bestätigung Frede (2000a), 6: „We might think that Aristotle when he wrote L1 had planned to write L6 ff. also about the principles of non-sensible substances, but never got around to fulfilling the promise of L1, since it turned out to be difficult enough to establish their existence, nature, and at least something about their number. This, of course, cannot be ruled out. But, even if we did assume that L was written in great haste, it would seem strange that Aristotle does not care to make any remark, one way or the other, about the principles and causes of immaterial substances, if this was his initial plan“. 257 Metaphysica L1 1069a25-30: „marturou=si de\ kai\ oi( a)rxai=oi e)/rg%: th=j ga\r ou)si/aj e)zh/toun a)rxa\j kai\ stoixei=a kai\ ai)/tia. oi( me\n ou)=n un=n ta\ kaqo/lou ou)si/aj ma=llon tiqe/asin (ta\ ga\r ge/nh kaqo/lou, a(/ 256 fasin a)rxa\j kai\ ou)si/aj ei=)nai ma=llon dia\ to\ logikw=j zhtei=n): oi( de\ pa/lai ta\ kaq¡ e(/kasta, oi(=on pu=r kai\ gh=n, a)ll¡ ou) to\ koino\n, sw=ma“ (Christoph Horns Übersetzung). 258 Frede (2000a), 7. | 87 | dafür, dass das zwölfte Buch beabsichtigt, die Diskussion über die Substanz noch einmal aufzurollen. Die Vorsokratiker haben sich nicht mit der Substanz an sich beschäftigt, sondern eher mit den ersten Prinzipien der Realität, das heißt entweder mit sichtbaren oder mit unsichtbaren Wesen. Hierzu bemerkt Frede: „Aristotle is making a factual claim, the claim that philosophers in fact are inquiring into the principles of substances, even if this may not be the language they themselves use to describe what they are doing“259. Ähnliche Textausschnitte sind beispielsweise sowohl in L2 als auch in L6 zu finden260. In L2 spricht der Stagirit über die Erzeugung der sichtbaren Substanzen261: Und dieses ist das Eine des Anaxagoras; denn das ist besser als sein Diktum ‚Alles ist zugleich’ und besser als die Mischung des Empedokles sowie des Anaximander und als, wie Demokrit sagt, ‚Es war alles zugleich der Möglichkeit nach, der Wirklichkeit nach aber nicht’. Daher durften sie (dem Begriff) der Materie nahegekommen sein. Das zweite Beispiel lautet: „Dass aber die wirkliche Tätigkeit das Frühere ist, dafür zeugen Anaxagoras (denn der Geist ist in wirklicher Tätigkeit) und Empedokles mit seinen Prinzipien, Liebe und Hass, und diejenigen, welche eine ewige Bewegung annehmen, wie Leukipp“262. Beide Texte zeigen, dass Aristoteles sich letztendlich doch mit den Denkern aus der Antike hinsichtlich der Untersuchungen über die ersten Prinzipien identifizierte. In diesem Sinne halte ich L für ein Werk, dass die Prinzipien der Realität –der Substanz– zu erklären versucht. 259 Frede (2000a), 7. Für weitere Beispiele vgl. auch Metaphysica L7 1072b31-34; L8 1074b1-14; L10 1075a26-b12; L10 1075b24-27; L10 1075b31-1076a5. 261 Metaphysica L1 1069b20-24: „kai\ tou=t¡ e)/sti to\ )Anacago/rou e(/n: be/ltion ga\r h)\ ‚o(mou= pa/nta’ – kai\ )Empedokle/ouj to\ mi=gma kai\ )Anacima/ndrou, kai\ w(j Dhmo/krito/j fhsin –‚ h)=n o(mou= pa/nta duna/mei, e)nergei/a| d¡ ou)/’: w(/ste th=j u(/lhj a)\n ei)=en h(mme/noi“ (Christoph Horns Übersetzung). 262 Metaphysica L6 1072a4-7: „o(/ti d¡ e)ne/rgeia pro/teron, martuprei= )Anacago/raj (o) ga\r nou=j e)ne/rgeia) kai\ )Empedoklh=j fili/an kai\ to\ nei=koj, kai\ oi( a)ei\ le/gontej ki/nhsin ei=)nai, w(/sper Leu/kippoj“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung). 260 | 88 | L IST ERSTE PHILOSOPHIE Seit einigen Jahren verleihen die Kommentatoren den Diskussionen über L vielerlei neue Impulse. Von den Autoren, die sich heutzutage damit beschäftigen und deren Bücher voraussichtlich demnächst veröffentlicht werden, wähle ich zwei aus, nämlich Lindsay Judson und Stephen Menn. Ihre Positionen analysiere ich jeweils in diesem und im Folgekapitel genauer. Judson lehrt in Oxford und arbeitet seit ein paar Jahren an einem Buch über L und die erste Philosophie. Seine Ideen stehen teilweise schon zur Verfügung, da er zwei Aufsätze als elektronische Versionen veröffentlicht hat. Hier werde ich mich vor allem mit folgendem Essay befassen: „Aristotle’s conception of first philosophy and the unity of Metaphysics L“263. Judson versucht einen Mittelweg zwischen der historischen Interpretation von L – der theologischen – und der neuen – ousiologischen – Interpretation zu finden. Sein Vorschlag ist aber schon allein deshalb nicht völlig überzeugend, weil Judson nicht ökonomisch ist, denn er vervielfacht die gebrauchten Begriffe. Notwendige Voraussetzung seiner Interpretation ist die behauptete Zweiteilung von L: die erste Hälfte als eine Suche der Prinzipien der Substanz, die zweite als die Suche nach Gott. Beide Teile sollen zu einem allgemeinen Begriff der generellen Metaphysik oder der prw/th filosofi/a führen. Dieses Kapitel, das kürzeste dieser Arbeit, besteht aus zwei Teilen: die Darstellung der Judsonschen Hermeneutik und die entsprechende Kritik daran. 1. Lindsay Judson: ein Kompromiss zwischen Theologie, Archäologie und Ousiologie Judsons Interpretation von L ist ein Kompromiss zwischen den theologischen und den ousiologischen Lesarten. Demnach ist L ein Buch über „generelle Metaphysik“ und eine Forschungsarbeit über prw/th filosofi/a. Die ersten fünf Kapitel des Buches sollen eine allgemeine Untersuchung der Prinzipien der physischen Substanzen – vielleicht aller Dinge – sein. Nach Judson beweist die zweite Hälfte des Buches die Existenz von bewegungslosen und getrennten 263 Der Titel des zweiten Essays lautet: Teleology and goodness in Aristotle’s Metaphysics L. | 89 | (göttlichen) Substanzen. In L zeigt Aristoteles noch ein geringes – oder überhaupt kein – Interesse für die Prinzipien der sichtbaren Substanz. Judson fragt sich, wie die offensichtliche Spaltung des zwölften Buches in zwei Teile am besten zu erklären sei. Er ist der Meinung, L enthalte weder zwei verschiedene Projekte – L1-5 und L6-10, wie lange Zeit angenommen wurde – noch eine Lehre über die verschiedenen Substanzarten, wie Helen S. Lang264 und Charles Kahn265 behaupten. Judson widerlegt dies mit dem Argument, Aristoteles stelle L als ein einheitliches Projekt in seinem Programm vor, welches sich nicht um die Substanz dreht. Er zitiert die erste Zeile von L: „Über die Substanz geht die Betrachtung. Denn es sind die Substanzen, deren Prinzipien und Ursachen gesucht werden“266. Hier glaubt er, eine implizite Referenz zu der schon in den früheren Büchern der Metaphysik erörterten ersten Philosophie zu erkennen. So kommt Judson schnell in medias res. L6-10 verkörpert eine Fachwissenschaft (departmental science) und gilt als ihr repräsentativer Aufsatz. Judson ist fest davon überzeugt, dass L der entscheidende Text ist, um den aristotelischen Begriff „erste Philosophie“ richtig zu verstehen. Er untersucht, ob beide Begriffsvariationen der ersten Philosophie, nämlich der von G1 und von E1, miteinander vereinbar sind, um in L ein kohärentes Projekt zu erkennen. Laut Judson beschreibt der Stagirit die erste Begriffvariation im Passus G1 1003a21-32267: Es gibt eine Wissenschaft, welche das Seiende als Seiende untersucht und das demselben an sich Zukommende. Diese Wissenschaft ist mit keiner der einzelnen Wissenschaften identisch; denn keine der übrigen Wissenschaften handelt allgemein vom Seienden als Seiendem, sondern sie grenzen sich einen Teil des Seienden ab und untersuchen die für diesen sich ergebenden Bestimmungen, wie zum Beispiel die mathematischen Wissenschaften. Indem wir nun die Prinzipien und die höchsten Ursachen einer gewissen Natur an sich sein müssen. Wenn also auch diejenigen, welche die Elemente des Seienden 264 Vgl. Lang (1993). Vgl. Kahn (1985). 266 Metaphysik L1 1069a18-19: „peri\ th=j ou)si/aj h( qewri/a: tw=n ga\r ou)siw=n ai( a)rxai\ kai\ ta\ ai)/tia zhtou=ntai“ (Christoph Horns Übersetzung). 267 „eãstin e)pisth/mh tij há qewrei= to\ oän $â oän kai\ ta\ tou\t% u(pa/rxonta kaq' au(to/. auàth d' e)sti\n ou)demi#= 265 tw=n e)n me/rei legome/nwn h( au)th/: ou)demi/a ga\r tw=n aãllwn e)piskopei= kaqo/lou peri\ tou= oãntoj $â oãn, a)lla\ me/roj au)tou= ti a)potemo/menai peri\ tou/tou qewrou=si to\ sumbebhko/j, oiâon ai( maqhmatikai\ tw=n e)pisthmw=n. e)pei\ de\ ta\j a)rxa\j kai\ ta\j a)krota/taj ai)ti/aj zhtou=men, dh=lon w(j fu/sew/j tinoj au)ta\j a)nagkai=on eiånai kaq' au(th/n. ei) ouån kai\ oi( ta\ stoixei=a tw=n oãntwn zhtou=ntej tau/taj ta\j a)rxa\j e)zh/toun, a)na/gkh kai\ ta\ stoixei=a tou= oãntoj eiånai mh\ kata\ sumbebhko\j a)ll' $â oãn: dio\ kai\ h(mi=n tou= oãntoj $â oän ta\j prw/taj ai)ti/aj lhpte/on“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung). | 90 | suchten, diese Prinzipien suchten, so müssen dies auch die Elemente des Seienden sein nicht in akzidentellem Sinne, sondern insofern es ist. Daher müssen auch wir die ersten Ursachen des Seienden als Seienden erfassen. Und die zweite in E1 1026a10-32268: Gibt es aber etwas Ewiges, Unbewegliches, Abtrennbares, so muß offenbar dessen Erkenntnis einer betrachtenden Wissenschaft angehören. Aber der Physik gehört es nicht an, da diese von Bewegbarem handelt, und auch nicht der Mathematik, sondern einer beiden vorausgehenden Wissenschaft. Denn die Physik handelt von abtrennbaren, aber nicht unbeweglichen Dingen, einiges zur Mathematik gehörende betrifft Unbewegliches, das aber nicht abtrennbar ist, sondern an einem Stoff befindlich; die erste Philosophie aber handelt von sowohl abtrennbaren, als auch unbeweglichen Dingen. Nun müssen notwendig alle Ursachen ewig sein, vor allem aber diese, denn sie sind die Ursachen des Sichtbaren von den göttlichen Dingen. Hiernach würde es also drei betrachtende philosophische Wissenschaften geben: Mathematik, Physik, Theologiké. Denn unzweifelhaft ist, dass, wenn sich irgendwo ein Göttliches findet, es sich in einer solchen Natur findet, und die würdigste Wissenschaft die würdigste Gattung des Seienden zum Gegenstande haben muß. Nun haben die betrachtenden Wissenschaften den Vorzug vor den anderen, und diese wieder unter den betrachtenden. Man könnte nämlich fragen, ob die erste Philosophie allgemein ist oder auf eine einzelne Gattung und eine einzelne Natur geht. Auf dieselbe Weise verhält es sich auch in den mathematischen Wissenschaften, indem Geometrie und Astronomie von einer einzelnen Natur handeln, die allgemeine Mathematik aber alle gemeinsam umfaßt. Gibt es neben den natürlich bestehenden Wesen kein anderes, so würde die Physik die erste Wissenschaft sein; gibt es aber ein unbewegliches Wesen, so ist dieses das frühere und die es behandelnde Philosophie die erste und eine allgemeine, insofern sie die erste ist, und ihr würde es zukommen, das Seiende, insofern es Seiendes ist, zu betrachten, sowohl sein Was als auch das ihm als Seiendem Zukommende. 268 „ei) de/ ti/ e)stin a)i+/dion kai\ a)ki/nhton kai\ xwristo/n, fanero\n o(/ti qewrhtikh=j to\ gnw=nai, ou) me/ntoi fusikh=j ge (peri\ kinhtw=n ga/r tinwn h( fusikh/) ou)de\ maqhmatikh=j, a)lla\ prote/raj a)mfoi=n. h( me\n ga\r fusikh\ peri\ xwrista\ me\n a)ll¡ ou)k a)ki/nhta, th=j de\ maqhmatikh=j e)/nia peri\ a)ki/nhta me\n ou) xwrista\ de\ i)/swj a)ll¡ w(j e)n u(/l$: h( de\ prw/th kai\ peri\ xwrista\ kai\ a)ki/nhta. a)na/gkh de\ pa/nta me\n ta\ ai)/tia a)i+/dia ei)=nai, ma/lista de\ tau=ta: tau=ta ga\r ai)/tia toi=j faneroi=j tw=n qei/wn. w(/ste trei=j a)\n ei)=en filosofi/ai qewrhtikai/, maqhmatikh/, fusikh/, qeologikh/: ou) ga\r a)/dhlon o(/ti ei)/ pou to\ qei=on u(pa/rxei, e)n t$= toiau/t$ fu/sei u(pa/rxei, kai\ th\n timiwta/thn dei= peri\ to\ timiw/taton ge/noj ei)=nai. ai( me\n ou)=n qewrhtikai\ tw=n a)/llwn e)pisthmw=n ai(retw/terai, au(/th de\ tw=n qewrhtikw=n. a)porh/seie ga\r a)/n tij po/tero/n poq¡ h( prw/th filosofi/a kaqo/lou e)sti/n h)\ peri/ ti ge/noj kai\ fu/sin tina\ mi/an. [...] ei) me\n ou)=n mh\ e)/sti tij e(te/ra ou)si/a para\ ta\j fu/sei sunesthkui/aj, h/ fusikh\ a)\n ei)/h prw/th e)pisth/mh: ei) d¡ e)/sti tij ou)si/a a)ki/nhtoj, au(/th prote/ra kai\ filosofi/a prw/th, kai\ kaqo/lou ou(/twj o(/ti prw/th: kai\ peri\ tou= o)/ntoj $(= o)/n tau/thj a)\n ei)/h qewrh=sai, kai\ ti/ e)sti kai\ ta\ u(pa/rxonta $(= o)/n“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung mit leichten Veränderungen von mir). | 91 | Entgegen Judsons Ansicht sieht es so aus, als ob beide Versionen miteinander kollidierten. Laut G ist die erste Philosophie die umfangreichste Wissenschaft, die sich mit den Prinzipien und Elementen aller Seienden qua Existierenden auseinandersetzt. Die Untersuchung der Substanz gilt als ein konstituierender, vielleicht sogar entscheidender Teil dieser generellen Wissenschaft. Auf der anderen Seite steht die Version des Buches E: Die erste Philosophie soll durch den Gegenstand (subject matter) differenziert werden. Sie erforscht die unbewegten und von der Materie unabhängigen Dinge. In dieser Hinsicht ist sie die höchste Wissenschaft, auch Theologie (theology) genannt. Dadurch wird die Aporie klar: Ist die erste Philosophie eine generelle Wissenschaft des existierenden Wesens oder eher eine Fachwissenschaft der göttlichen Substanzen? Judson ist der Meinung, dass diese Differenz beider Auffassungen der „ersten Philosophie“ der Spaltung des zwölften Buches in zwei Hälften entspricht. Das heißt: Die generelle Untersuchung der Substanzprinzipien (G und L1-5), die er als „generelle Metaphysik“ bezeichnet, und die punktuelle (departmental) Analyse der Theologie (E und L6-10) sind doch zwei aufeinander abgestimmte Teile eines einzigen Projektes. Doch wie soll man sich diese Auseinandersetzung vorstellen? Folgendes Schema soll dies verdeutlichen: Erste Philosophie Ousiologie Metaphysik (G | L1-5) Analogie Archäologie qeologikh/ (E | L6-10) Judson denkt, Aristoteles versuche, beide Begriffsvariationen der ersten Philosophie in G3 1005a33-b1269 und vor allem im oben zitierten Passus von E1 miteinander zu versöhnen270: 269 „e)pei\ d' eãstin eãti tou= fusikou= tij a)nwte/rw (eán ga/r ti ge/noj tou= oãntoj h( fu/sij), tou= <peri\ to\> kaqo/lou kai\ [tou=] peri\ th\n prw/thn ou)si/an qewrhtikou= kai\ h( peri\ tou/twn aän eiãh ske/yij“ („Da es aber einen Wissenschaftler gibt, der noch über dem Physiker steht (denn die Natur ist ja nur ‚eine’ Gattung des Seienden), so wird diesem, welcher (das Seiende) allgemein und die erste Substanz betrachtet hat, auch die Untersuchung der Axiome zufallen“; Hermann Bonitz’ Übersetzung mit kleinen Änderungen von mir). | 92 | Gibt es aber eine unbewegliche Substanz, so ist dieses das frühere und die es behandelnde Philosophie die erste und eine allgemeine, insofern sie die erste ist, und ihr würde es zukommen, das Seiende, insofern es Seiendes ist, zu betrachten, sowohl sein Was als auch das ihm als Seiendem Zukommende. In den Worten Judsons heißt es, dass „the ideas of considering being as being and of the science of unchanging substance exist side by side. What is more, Aristotle emphatically (if enigmatically) claims that in some way they form a single conception“271. L soll also die generelle Untersuchung der Substanzprinzipien im Zusammenspiel mit der punktuellen (departmental) Untersuchung der göttlichen Substanz darstellen. Judson bezeichnet die generelle Metaphysik als „erste Philosophie“, weil ihr Ziel ist, die Prinzipien des Wesens zu verstehen. Durch die Untersuchung der Prinzipien der sichtbaren Substanz findet man die Prinzipien der Substanz überhaupt. Das erste Projekt von L ist also die Untersuchung der Prinzipien aller Substanzen durch die Untersuchung der Prinzipien der sichtbaren Substanz. So weit, so gut. Doch Judson geht ein Stück weiter. Er denkt, die Metaphysik bedürfe noch einer Validierung. Warum bedarf die generelle Metaphysik solch einer Validierung überhaupt? Egal welche die erste Wissenschaft sein mag – das heißt unabhängig davon, welche Disziplin sich mit den ersten Substanzen befasst und ganz gleich, welche dies sind – muss die erste Wissenschaft überhaupt die generelle Metaphysik gültig erklären. Eo ipso übt die erste Wissenschaft eine universelle Wirkung (universal impact) auf die Wissenschaft des Seienden aus. Judson sieht in der Theologie die erste Wissenschaft überhaupt. Diese macht die generelle Metaphysik gültig, indem sie die Existenz des ersten Bewegers beweist, und damit der e)ne/rgeia einen absoluten ontologischen Vorrang zuschreibt272. So dient die Theologie auch der generellen Metaphysik als Stütze ihrer ganzen Struktur. Ohne die Theologie wäre die universelle Darstellung des Wesens unmöglich, „because of its crucial significance for the universal account of being“273. Judson erklärt es folgendermaßen274: 270 Metaphysica E1 1026a29-32: „ei) d¡ e)/sti tij ou)si/a a)ki/nhtoj, au(/th prote/ra kai\ filosofi/a prw/th, kai\ kaqo/lou ou(/twj o(/ti prw/th: kai\ peri\ tou= o)/ntoj $(= o)/n tau/thj a)\n ei)/h qewrh=sai, kai\ ti/ e)sti kai\ ta\ u(pa/rxonta $(= o)/n“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung mit kleinen Änderungen von mir). 271 Vgl. Judson (2007), 13. Vgl. Judson (2007), 34-35. 273 Vgl. Judson (2007), 36. 274 Judson (2007), 30. 272 | 93 | The idea is that in Aristotle’s view theology’s demonstration of the existence of divine substances, and in particular of the role they can play as unmoved movers, does two things. (1) It is what makes it beyond doubt that Aristotle’s picture of an eternal, orderly cosmos is one in which form and actuality are prior to potentiality and matter: it licences the conception of this world as a permanently stable one in which ‘horizontal’ explanations of the genesis of species-members can plausibly be traced back to form rather than matter, and it provides a line of ‘vertical’ explanations which ultimately terminates in the pure form of the Prime Mover. (2) It is also what enables Aristotle’s cosmology to satisfy certain general scientific constraints which rival accounts of the universe cannot, in his view, satisfy. Without this, Aristotle’s cosmology would lose the decisive advantages which he takes it to have over these accounts – accounts which (again to his mind, at least) positively encourage the view that matter is prior to form. Als Untersuchung der göttlichen Substanz validiert die Theologie das ganze System. Solch eine Validierung sei, so Judson, der Schlussstein einer metaphysischen Weltanschauung im Geist des Aristoteles. Tatsächlich ist eine Validierung der Wissenschaft des Seienden bei Aristoteles nicht zu finden. Judson argumentiert, dass so eine Validierung doch ‚aristotelisch’ sei, denn es gehe letztendlich um die wahre Welt, und „the idea of an elegant theory which just is not true of the actual world is certainly Aristotelian“. Aristoteles schreibt in E1, die Theologie könnte nur unter einer Bedingung die erste sein: Gibt es die getrennten Substanzen, dann ist die Theologie die erste Wissenschaft; gibt es sie nicht, dann erhält die Physik den Vorrang unter den Wissenschaften. Die Theologie ist also universell, indem sie die erste Wissenschaft ist: „kaqo/lou [...] 275 o(/ti prw/th“ . Judson beendet seinen Aufsatz mit einer Analogie: „My contention is that for him [Aristoteles] theology stands to general metaphysics as its principal subject, the Prime Mover, stands to the whole world“276. Das heißt, nur mithilfe der Analogie kann man die größten Hindernisse überwinden, um den L-Text richtig zu verstehen. Die ersten Prinzipien, wie zum Beispiel die Form oder die Möglichkeit, werden weiterhin Prinzipien der unsichtbaren Substanzen genannt werden. Man darf also sagen, sie gehen den Substanzen voran. Sie sind ja der Gegenstand der allgemeinen Metaphysik, zu der auch die Theologie gehört. Die Untersuchung von E und L umfasst also zwei Disziplinen – „a general enquiry into the principles of substances and the departmental study of 275 276 Metaphysica E1 1026a30-31. Judson (2007), 36-37. | 94 | theology“277 – in einem einzigen metaphysischen Projekt278. Für Judson sind beide Probleme eigentlich nur ein einziges, das auch nur einer Lösung bedarf. 2. Kritik an Judsons Position Michael Frede hatte bereits die Einheit eines einzigen Projektes in L verteidigt, nämlich aus zwei Gründen: Weil er die Unabhängigkeit des Buches L vom Rest der Metaphysik betonte und weil er fälschlicherweise bei der Interpretation des ganzen Buches ausschließlich auf den Passus 1069a34-b2 setzte. Judson erbt Fredes Interpretation, indem er sich auf die Diskussion jener Passage stützt, und so treibt er auch die Fredesche Hermeneutik bis zu ihren letzten Konsequenzen. Gerade deswegen leugnet er, L sei ein voll und ganz ousiologischer Text, wie Frede es wollte. Seinerseits hält Judson L für die im Corpus einzige systematische Darstellung der ersten Philosophie. Er denkt, dass L die Prinzipien aller Dinge sucht, und so habe es Aristoteles bereits in L1 erörtert. So schreibt Judson dieses Projekt dem Buch L – vor allem den Kapiteln 4 und 5 – gerne zu. Danach sucht er eine entsprechende Interpretation, die Hinweise darauf liefern soll: „Of course, this explanation might turn out to be unworkable; but we should, naturally, try first for an interpretation which makes it work“279. Es mag sein, wie Judson will, dass L die einzige aristotelische Schrift über die erste Philosophie ist. Aber das sollte man nicht als Ausgangspunkt, sondern eher als Endpunkt auffassen, wenn es überhaupt der Fall sein soll280. Anders ausgedrückt: Um die Absicht des Stagiriten in L zu begreifen, ist die Frage, ob es in dem Text um die erste Philosophie geht, eher falsch gestellt. Diese Frage darf man später stellen, denn erst am Ende kann man sie entweder positiv oder negativ beantworten. Eine sinnvolle Einstiegsfrage lautet vielmehr zum Beispiel: „Wovon handelt L eigentlich?“. Es scheint, als hätte Judson L rückwärts gelesen: In dem in L1 vorgestellten Programm äußert sich Aristoteles nicht über die erste Philosophie und erst am Ende merkt der Leser des Buches, dass L doch bereits von Anfang an etwas darüber zu sagen hatte. Doch zu dieser Erkenntnis kommt man erst nebenbei. Es könnte gut sein, dass 277 Judson (2007), 13. Judson (2007), 13: „[...] or at least as co-ordinate parts of the same project“. 279 Judson (2007), 13. 280 Darüber wird im letzten Kapitel dieser Arbeit ausführlicher diskutiert. 278 | 95 | Aristoteles es sich so gewünscht hat. Doch wenn Judson dieses Programm L zuschreibt, räumt er etwas Nebensächlichem zu viel Bedeutung ein, denn in L1 ist keine Aussage über eine vermeintliche erste Philosophie zu finden. Die Judsonsche Auffassung über die erste Philosophie gleicht einem Konstrukt aus verschiedenen Teilen. Da es eine symmetrische Korrespondenz zwischen L und der ersten Philosophie geben soll, muss auch die Architektur von L komplex sein. So erkennt er eine ungewöhnliche architektonische Zusammenstellung von L: Programmdarstellung (L1), Ousiologie (L2-3), Archäologie (L4-5) und Theologie (L6-10), wobei er die Ousiologie von der Archäologie abhängig macht281. Die Ousiologie ordnet sich letztendlich der Archäologie unter, da die erste Hälfte von L bei Judson als eine archäologische Schrift gilt282. Zunächst reduziert er die Untersuchung aller Prinzipien – die Archäologie – auf eine Analyse der Prinzipien der sichtbaren Substanz283. Diesem von Judson vorgeschlagenen Modell nach würde L folgendermaßen aussehen: Laut dem Programm des ersten Kapitels wäre L eine Untersuchung der Prinzipien aller Dinge im Kosmos. Aber Aristoteles untersucht faktisch nur die Prinzipien der sichtbaren Substanzen – das macht er in L2-5. Diese Untersuchung muss allerdings, so Judson, noch von der Theologie – durch L610 – bestätigt werden. So will Judson die Idee der Spaltung von L in zwei Hälften überwinden. Die Ansicht Judsons, L von dieser Spaltung zu befreien und die Kapitel L1-5 als wesentliche Teile des gesamten Projektes anzuerkennen, ist richtig. Selbst wenn er diese Aufteilung expressis verbis ablehnt, räumt er doch ein, dass verschiedene Themen in beiden Teilen behandelt werden müssen, um die Kohärenz des gesamten Projektes zu bewahren. Judson sieht in den beiden Teilen von L kein doppeltes Programm, sondern zwei Teile eines einheitlichen Programms, und zwar „a general investigation of natural substances qua being substances“ und „a sketch of Judson (2007), 9: „[...] L is ‘both’ an investigation of the different kinds of substance [Ousiologie] and an account of the principles of substance [Archäologie] – and, moreover, [...] it seems concerned with the existence and particular nature of just one of these kinds of substance [göttliche Substanz] and shows little or no apparent interest in the principles of that kind“. 282 Judson (2007), 26: „it certainly might seem as if chapters 1-5 investigate only the general principles of ‘natural substances’, and it is of course true that chapters 2-5 are explicitly characterized as concerned with the two kinds of natural substance […]“. 283 Judson (2007), 28: „it is thus quite plausible to imagine that Aristotle took the first half of L to have investigated the principles of ‘all’ substances: he can do this within the overall structure of the book because in arriving at the principles of natural substance he has arrived at the principles of all. We can in this way give due weight to the generality of the opening of L1 ‘and’ to the focus on the principles of natural substances in chapters 2-5“. 281 | 96 | departmental theology“284. So muss er nun die Kohärenz zweier vermeintlicher Teile eines einzigen Planes erklären. Um das zu erreichen, vervielfacht Judson die Mittel und fügt sogar manch neuen Begriff hinzu: science of being, departmental science, (general) theology und general metaphysics. Eine ökonomische Erklärung liefert er nicht. Alles wird nur noch komplexer. In seiner Sprache ist der schwierigste Begriff der der Theologie. Da die Theologie ein doppeltes Antlitz besitzt, muss sie genauestens erklärt werden. Obwohl sie eine punktuelle Disziplin ist – ein departmental science, wie Judson sagen würde –, ist sie gewissermaßen auch universell: „kaqo/lou [...] o(/ti prw/th“. Sie ist also eine eigenständige Wissenschaft und zugleich ein wesentlicher Teil der ersten Philosophie, die er zuweilen285 auch Wissenschaft vom Seiendem – science of being – nennt. Somit versteht Judson die Theologie als eine von der allgemeinen Metaphysik abhängige Disziplin, und führt dann beides in einem einzigen Begriff –„erste Philosophie“– zusammen. Gegen seine eigene Interpretation macht Judson folgenden Einwand: Wenn die Theologie von L nur die Metaphysik validieren will, wieso sind in L7-10 so viele Details zu finden? Er denkt, diese Details seien wohl notwendig, um die Aktivität des nou=j zu verstehen [L7 und 9]; außerdem wird dort erklärt, wie der Kosmos, der von einem Prinzip abhängt, eine ordentliche Einheit ist [L10]. Judsons Antwort scheint ungenügend. Auf der einen Seite äußert er sich nicht über die Rolle von L8, auf der anderen Seite behauptet er, dass diese vielen Details faktisch nur für die Theologie als Fachdisziplin wichtig sind. Für diese interessiert sich Judson jedoch nicht. Wäre (das zentrale Interesse der Theologie in) L die erwähnte Validation der generellen Metaphysik, dann schiene L7-10 vielmehr eine inhaltslose Abschweifung zu sein. Judson „konstruiert“ also aus der Theologie und der generellen Metaphysik die erste Philosophie. So schließt er den Kreis und erklärt: L ist ein Aufsatz über die erste Philosophie286 und alle seine Teile kreuzen sich im Ziel. Der metaphysische Bereich kann L1-5 annektieren, weil die generelle Untersuchung der Substanzprinzipien, die dort stattfindet, ein wesentlicher Teil der ersten 284 Judson (2007), 2. Der Begriff departmental science wird nicht weiter erklärt. Dafür macht er Gebrauch von einem anderen Begriff (general theology), der von Frede stammt. Außerdem liefert er noch ein weiteres Beispiel: Ein gewisses Buch z¡ der Metaphysik; vgl. Frede (1987), 94. 285 Vgl. Judson (2007), 35. 286 Vgl. Judson (2007), 3 und 36. | 97 | Philosophie ist287. Die Theologie ist insofern vorhergehend, da sie das System und somit auch die erste Philosophie validiert. In diesem Sinne rehabilitiert Judson eine neue Variante der theologischen Lesart. Gleichzeitig will er eine „generell-metaphysische“ Lesart oder „erste-philosophieartige“ Lesart etablieren. 287 Vgl. Judson (2007), 4-5. Dies behauptet schon Frede. Jaeger und Ross sind aber der Meinung, L1-5 sei Bestandteil der Physik. Vgl. auch Metaphysica G2 1003b15-19: „dh=lon ou)=n o(/ti kai\ ta\ o)/nta mia=j qewrh=sai v(= o)/nta. pantaxou= de\ kuri/wj tou= prw/tou h( e)pisth/mh, kai\ e)c ou(= ta\ a)/lla h)/rthtai, kai\ di¡ o(\ le/gontai. ei) ou)=n tou=t¡ e)sti\n h( ou)si/a, tw=n ou)siw=n a)\n de/oi ta\j a)rxa\j kai\ ta\j ai)ti/aj e)/xein to\n filo/sofon“ („Also gehört offenbar auch alles Seiende als Seiendes einer einzigen Wissenschaft an. Überall geht aber die Wissenschaft vornehmlich und zunächst auf das Erste, von dem das übrige abhängt und wonach es benannt ist. Ist dies nun die Substanz, so muss der Philosoph die Prinzipien und die Ursachen der Substanz (erfasst) haben“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). | 98 | L IST ARCHÄOLOGIE Stephen Menn wurde vor allem durch sein Plato on God as nou=j bekannt288. Zurzeit beschäftigt er sich in Montréal mit einem ehrgeizigen Kommentar zur ganzen Metaphysik. Seine Interpretation ist die wichtigste hinsichtlich meiner Arbeit. Der Leser wird bald merken, dass Menn und Frede meine wichtigsten Gesprächspartner sind. Bisher kennen nur die Teilnehmer seiner Seminare das Manuskript seines Kommentars, dessen Titel lauten wird: The aim and the argument of Aristotle’s Metaphysics. Menn argumentiert überzeugend, dass das Werk Metaphysik ein einheitliches Projekt des Stagiriten ist, dessen Programm in A und B vorgestellt wird. In G werden Aporien vorgelegt, deren Auflösungen erst in L zu finden sind. Dank eines Seminars in Berlin bekam ich Zugang zum dritten Teil des Kommentars, nämlich einer Forschung über das zwölfte Buch: „The true path“. Dieser Teil allein besteht aus etwa 180 Seiten, was vermuten lässt, dass der ganze Kommentar sich auf mehrere Hundert Seiten ausdehnt. Ich konzentriere mich nun vor allem auf drei wichtige Aspekte der Untersuchung von Stephen Menn bezüglich L, um sein Verständnis des inneren Zusammenhanges des Textes und dessen Verhältnis zur gesamten Metaphysik darzustellen. Zuerst stelle ich die Mennsche Position bezüglich der Frage, ob L ein eigenständiges Werk oder doch eher Bestandteil eines anderen, größeren Werkes sei, der Fredeschen Interpretation gegenüber. Während Frede die Meinung vertritt, L sei ein autonomer Text, widerspricht Menn ihm mit der Behauptung, L sei zwar ein wichtiges, aber nur ein einziges Kapitel der Metaphysik, genauer gesagt, das letzte. Zu diesem Thema bezieht Menn unter anderem auch Bonitz und Jaeger mit in die Diskussion ein. Danach präsentiere ich Menns Meinung über die mögliche Absicht des Aristoteles in L: In dem genannten Text beabsichtige der Stagirit, die ersten Prinzipien zu untersuchen. In diesem Sinne hält Menn L für eine archäologische Abhandlung. In dieser Schrift sieht er die gleich am Anfang der Metaphysik angekündigte Annäherung zur lang gesuchten sofi/a. Schließlich bringe ich seine Gliederung des L-Textes ins Spiel. So kann der Leser Menns Analyse der innerlichen Struktur von L nachvollziehen. 288 Vgl. Menn (1995). | 99 | 1. Stephen Menn: L ist Archäologie – die letzte Phase der Suche der sofi/ a Die Kommentatoren von L sind häufig enttäuscht, da sie nicht gleichzeitig die Kohärenz der Form und die Geschlossenheit des Inhaltes verstehen können. Einige Autoren wie zum Beispiel Ross meinen, die (in L vorgestellte) Theologie sei der Hauptteil der Metaphysik. Aufgrund des Interesses jener „theologischen“ Seiten schenkten sie L1-5 keine große Bedeutung und so entstand die Meinung, L1-5 sei eine Zusammenfassung oder sogar ein paralleler Text zu den Substanzbüchern (ZHQ) und L6-10 auch eine solche Zusammenfassung eines angeblichen Buches („Buch z“), in dem der Stagirit seine authentische Theologie dargestellt haben soll. Als Beispiel dafür könnte man das Buch De philosophia nennen, in dem eine weitere Version des theologischen Gedankens Aristoteles’ zu finden sein soll. Es sieht jedoch so aus, als ob diese angebliche Darstellung der Theologie auch nicht stärker (thicker) als die von L ist. Außerdem enthält sie keine ontologische Untersuchung, wie sie zum Beispiel in L zu finden ist. Folglich sind einige Autoren der Auffassung, diese Theologie sei unecht. Um sich mit dem Problem der Struktur zu befassen, widerspricht Menn der weitverbreiteten Meinung, L könne keineswegs die erwartete Schlussdiskussion der Metaphysik sein. Diese Behauptung sei, so Menn, viel zu wenig begründet worden. Mit Ausnahme von Frede, der weitere Argumente dafür liefert, beziehen sich weitere Kommentatoren in diesem Zusammenhang normalerweise auf die veralteten Positionen von Bonitz und Jaeger. Aus einem historischen Blickwinkel betrachtet, gibt es fünf Hauptargumente. (a) Bonitz behauptet, L beziehe sich auf kein anderes Buch der Metaphysik. Da keine Anknüpfung an B vorliegt, kann der Leser davon ausgehen, dass L nicht dem Programm des Werkes folgt. (b) Jaeger ist der Meinung, L6-10 sei zu kurz für eine theologische Schlussfolgerung der ganzen Metaphysik. In diesem Sinne scheint ihm, dass L1-5 wiederum eher eine Zusammenfassung von ZHQ sei, als eine Vorbereitung oder eine Art von Einleitung zu dem Hauptthema. (c) Sollte L1-5 die Zusammenfassung von ZHQ sein, dann wäre L6-10 die Zusammenfassung des theologischen Werkes, das Aristoteles entweder nicht geschrieben hat oder das uns nicht erreicht hat. (d) L1-5 ist eine Schrift über Physik, zumal in ihr die sichtbare Substanz erforscht wird. Im Gegensatz dazu ist L6-10 wohl ein Werk über Metaphysik. Laut Jaeger soll der junge Aristoteles unter „Metaphysik“ das verstanden haben, was man später unter „Theologie“ | 100 | bezeichnete, während der ältere Aristoteles unter diesem Begriff etwas ähnliches wie „universelle Ontologie“ verstand289. Da L offensichtlich eine Schrift des jungen Aristoteles ist290, kann es keineswegs der angekündigte theologische Aufsatz sein, sondern eher ein rein metaphysisches Werk, auch wenn darin Spuren von theologischen Ideen zu finden sind. (e) Da L nicht dem Inhalt von Z folgt, dürfte es auch nicht als Theologie gelten. Laut Frede erforscht Aristoteles die Substanz in GEZHQ mit einem ontologischen Interesse. Doch davon ist in L zu keiner Zeit die Rede: Weder davon, was es heißt, Substanz zu sein, noch von den daraus entstehenden Schlussfolgerungen. Frede behauptet also, L erforsche die unsichtbaren Substanzen, um das ens qua ens zu verstehen. So glaubt er, auf Konflikte bei den Aufgaben der Theologie, das heißt zwischen der gewünschten Theologie von L und der Lehre von E2, gestoßen zu sein. In diesem Zusammenhang schließt Menn auch aus, dass L ein Aufsatz über Ontotheologie sei. Im ganzen Corpus gibt es keinen Präzedenzfall für eine solche Schrift. Dafür liegt eine Lehre bezüglich der a)rxai/ vor, die bereits Aristoteles kommentiert haben soll. Die heutigen Kommentatoren beschäftigen sich auch mit dem Problem der Struktur von L. Die Mehrheit ist davon überzeugt, L sei ein unabhängiges Werk: Es sollte der generellen Meinung nach ein anderes Projekt als das der Metaphysik sein. Der gleichen Meinung sind beispielsweise auch die Teilnehmer des XIV. Symposium Aristotelicum291. Diese Behauptung und die daraus resultierende Schlussfolgerungen hält Menn allerdings für falsch292. Stattdessen vertritt Menn die Position, das zwölfte Buch sei nichts anderes als der letzte Teil der ganzen Metaphysik, der Schluss des Gesamtwerkes. Die theologische Nuance von L als letztes Kapitel der Metaphysik ist nicht untypisch für Aristoteles, der ein auf Gott bezogenes Schlusswort auch bei anderen Texten verwendet, wie zum Beispiel in der Physik, De generatione et corruptione und De anima oder in den beiden Ethikschriften, Nikomachische und Eudemische Ethik. Es sollte also nicht überraschend sein, wenn der Leser etwas Ähnliches in der 289 Vgl. Jaeger (1923), 229-231; vgl. zum Beispiel 230: „Nur das Vollkommene und Gute (a)gaqo/n) innerhalb der Kategorie der ou)si/a: qeo/j, nou=j ist ihr [der Metaphysik] Gegenstand“. 290 Diese Aussage wird darauf gegründet, dass – laut Jaeger – die sichtbaren Substanzen nicht nur von der Physik erforscht werden, sondern auch von der Metaphysik (Z), aber in verschiedenen Weisen. In L zeigt sich eine andere Konzeption von Metaphysik als die in Z. Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „L and the Metaphysics“, 1-13. 291 Vgl. Frede & Charles, Hgg. (2000). 292 Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „L and the Metaphysics“, 1-13. | 101 | Metaphysik findet, so Menn. Doch noch wichtiger als die letzten (theologischen) Zeilen von L scheinen Menn die deutlichen und ständigen Referenzen von L zu anderen Teilen der Metaphysik zu sein. Es ist für ihn klar, dass L auf die Ergebnisse der in ZHQ durchgeführten Untersuchung aufgebaut ist293. Damit lenkt Menn auch die Aufmerksamkeit auf die Beziehungen zwischen dem Anfang der Metaphysik und dem Buch L: In B stellt Aristoteles in Form von zahlreichen Aporien das Programm für das ganze Werk vor. In L sollen sich wiederum die Antworten zu den bisher übrig gebliebenen Aporien von (A3-7 und) B (1., 8., 10. und 11.) befinden. Dies entspricht dem Plan zur Vollendung des letzten Kapitels294. Damit ist also die gesamte Metaphysik gemäß den Regeln der Rhetorik für einen erfolgreichen Epilog vollendet295. Diese Tatsache hat zur Folge, dass die Metaphysik als eine kontinuierliche Darstellung über die erste Philosophie, deren Schluss L ist, zu betrachten ist296. Was will also Aristoteles mit der Metaphysik erreichen? Was soll das Ziel von L sein? In A beginnt Aristoteles die Untersuchung der sofi/a damit, dass er die Theorien anderer Philosophen verwarf, die nicht imstande gewesen seien, das erste Prinzip richtig einzuschätzen. Die Aporien bereiten darauf vor, die sofi/a zu erreichen. Laut Menn wird aber die Untersuchung der sofi/a erst in L vollendet. Deshalb holt L10 die in A angekündigte Untersuchung nach sowie die Diskussionen mit Anaxagoras, Speusippus, Empedokles, Platon und deren Schwierigkeiten, das Gute zu erklären. (Ist es eine Formal-, Bewegungs-, oder Finalursache? Gibt es ein böses Gegenprinzip?) Deshalb muss L10 Schlussfolgerungen unter anderem aus L1-5, L6-9 und sogar aus N, aus der Physik und aus De anima ziehen, um endlich die Aporie B1 beantworten zu können: Da die a)rxh/ eine Bewegungs- beziehungsweise Finalursache ist, ist die 293 Menn findet jedoch eine viel geringere Ähnlichkeit zwischen L und den Substanzbüchern als der spätere Jaeger (1923) oder Frede. 294 Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „Alternatives to Plato: Speusippus and Aristotle“, 19-21. 295 Rhetorica 3 1419b12-15: „o( d' e)pi/logoj su/gkeitai e)k tetta/rwn, eãk te tou= pro\j e(auto\n kataskeua/sai euå to\n a)kroath\n kai\ to\n e)nanti/on fau/lwj, kai\ e)k tou= au)ch=sai kai\ tapeinw=sai, kai\ e)k tou= ei)j ta\ pa/qh to\n a)kroath\n katasth=sai, kai\ e)c a)namnh/sewj“ („Das Schlusswort ist aus vier Dingen zusammengesetzt, nämlich daraus, den Hörer gegenüber einem selbst günstig, gegenüber dem Gegner ungünstig zu stimmen, daraus, zu steigern und zu verringern, daraus, den Hörer in einen emotionalen Zustand zu versetzen, und aus der Rekapitulation“; Christof Rapps Übersetzung). 296 Menn denkt, die Bücher M und N seien vor L einzuordnen; vgl. Menn (masch. Manuskript), § „L10: the promise about the good redeemed and the aporiai about the a)rxai/ resolved“, 1-3. Félix Ravaisson vertrat schon im XIX. Jahrhundert eine ähnliche Meinung, und er seinerseits sagte, er folge bloß Antonio Scaynos Paraphrasis (1587) zu Aristoteles’ Metaphysik; vgl. Ravaisson (1837), 98-102. | 102 | sofi/a die Wissenschaft dieser (ersten) Ursachen. Damit vollendet Aristoteles das Projekt des Guten als erste a)rxh/ und vergleicht seine Ergebnisse mit denen seiner Vorläufer. Menn muss sich nun erneut fragen, worum es eigentlich in L geht. Er unterscheidet sehr deutlich das Ziel der ganzen Metaphysik vom Ziel des zwölften Buches, welches unbedingt als ein eigener Teil davon betrachtet werden sollte. Laut Menn ist die Metaphysik die Suche nach der sofi/a, während L vor allem die ersten Prinzipien untersucht. L ist also ein Aufsatz über Archäologie, in dem auch Kritik an den vorherigen Archäologien geübt wird. So gilt es als die letzte Stufe der Metaphysik auf dem Weg zur Eroberung der sofi/a. L muss also untersuchen, ob die sichtbaren Substanzen zu den bewegungslosen Prinzipien in irgendeiner kausalen Beziehung stehen, um zu erörtern, ob diese Substanzen auch zur Untersuchung der Metaphysik gehören. Wiederum ist die Beziehung von L mit der Theologie eher dünn: Sobald es einen einzigen Beweger gibt, wäre man berechtigt zu sagen, dass das Spektrum der sofi/a reduzierter ist als das der Theologie selbst. Das zwölfte Buch beginnt mit den Worten „h( qewri/a“. Was bedeutet „qewri/a“ in diesem Zusammenhang297? Menn denkt, diese Worte beziehen sich auf die sofi/a-Lehre als Kenntnis der a)rxai/, welche die Ursache des Wesens an sich und der ou)si/ai sind. Als paralleler Passus dazu gilt H1 1042a5-6: „Es ist also gesagt, dass die Ursachen, die Prinzipien und die Elemente der Substanzen Gegenstand der Forschung sind“298. Dies bedeutet, dass L nicht eine neue, selbstständige Untersuchung ist, sondern eher eine weitere Phase desselben Projektes. So etabliert Menn L als eine archäologische Schrift. Die Physik hat auch schon darauf hingewiesen, dass die erste Philosophie das formale Prinzip behandelt, sowie dass man dessen Anzahl, falls es mehrere Prinzipien geben 297 Silvia Fazzo merkt die philologische Nähe zwischen den Begriffen qewri/a und ou)si/a. Vgl. Fazzo (2008), 169-171, zum Beispiel 169: „Ciò che insomma mi sembra importante, per non perdere nessuna valenza della prima frase, è lasciare che essa si apra su di una generale visione del rapporto fra sostanza (ou)si/a) e attività teoretica (qewri/a), che appaiono qui, se la nostra ipotesi è corretta, come termini interrelati: ou)si/a è, per definizione, l’oggeto primario della conoscenza ed è, pertanto, reciproco e conseguente che la conoscenza e la ricerca teoretica portino primariamente sulla sostanza“. Solche Verwandtschaft beider Begriffen sei, so Fazzo, schon bei Platon zu finden: „I due termini si trovano in relazione già in Platone, e.g. in Rep. VI 486a: qewri/a panto\j me\n xro/nou, pa/shj de\ ou)si/aj. Questo è uno die luoghi platonici che più si avvicinano all’uso aristotelico di qewri/a come conoscenza contemplativa“. 298 „ei)/rhtai dh\ o(/ti tw=n ou)siw=n zhtei=tai ta\ ai)/tia kai\ ai( a)rxai\ kai\ ta\ stoixei=a“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung mit leichten Veränderungen von mir). | 103 | sollte, präzise festsetzen sollte299. Menn sieht hier eine deutliche Referenz zu L25, wobei die Frage, ob es für alle Individuen eine gemeinsame platonische Form gibt, unbeantwortet bleibt. Der Hintergrund dieser Argumentation ist also, wie die sofi/a nach den Prinzipien aller Dinge forscht. Nur Speusippus stellte sich dieser von den Vorsokratikern etablierten Tradition entgegen. In einem analogen Sinne wäre das Prinzip für alle Dinge dasselbe, in einem strikten Sinne jedoch handelt es sich hierbei um verschiedene Prinzipien. Das authentische Interesse des Stagiriten ist also die Frage, ob das erste Prinzip, nach dem in der sofi/a gesucht wird, tatsächlich die numerische Einheit des to/de besitzt oder nicht. Folglich untersucht Aristoteles die immateriellen Substanzen, weil man unter ihnen die Prinzipien und Ursachen der materiellen Substanzen findet. Menns Auslegung unterscheidet sich radikal von allen anderen Interpretationen. Bonitz, der frühe Jaeger (1912) und Frede zum Beispiel meinen, das Ziel von L sei eine metaphysische Untersuchung. Der spätere Jaeger (1923) hingegen meint, das Ziel sei eher die Untersuchung der theoretischen Philosophie. Bonitz und der frühe Jaeger behaupten, die Metaphysik sei eine vage Theologie im Sinne der Wissenschaft der immateriellen ou)si/a. Der spätere Jäger findet einen Widerspruch gegenüber ZHQ, wo die Metaphysik der Ousiologie – beziehungsweise einer generellen Ontologie – gleichkommt. Seinerseits ist Frede der Meinung, die Metaphysik entspreche der in ZHQ vorhandenen Ousiologie. Auch darüber äußert sich Menn vollkommen anders. Er hält die sofi/a eher für die „h( peri\ a)rxw=n qewri/a“. Seiner Meinung nach identifiziert L die sofi/a keineswegs mit der Theologie (die Wissenschaft der immateriellen Substanz) und auch nicht mit der Ousiologie. Die Mennsche Interpretation zeigt eine einheitliche Struktur von L. Menn ist davon überzeugt, L1-5 sei weder Physik, so wie Bonitz und Jaeger es behaupteten, noch Metaphysik, wovon Frede überzeugt war, sondern vielmehr 299 Physica 1 192a34-b2: „peri\ de\ th=j kata\ to\ ei)=doj a)rxh=j, po/teron mi/a h)\ pollai\ kai\ ti/j h)\ ti/nej ei)si/n, di¡ a)kribei/aj th=j prw/thj filosofi/aj e)/rgon e)sti\n diori/sai, w(/st¡ ei)j e)kei=non to\n kairo\n a)pokei/sqw“ („Was andererseits das Gestaltprinzip angeht, so fällt seine eingehende Erörterung in das Aufgabengebiet der ersten Philosophie; dort ist zu bestimmen, ob es ein oder mehrere Gestaltprinzipien gibt, und was als dieses Gestaltprinzip beziehungsweise als diese Gestaltungsprinzipien in Anschlag zu bringen ist. Dies soll also bis dahin zurückgestellt bleiben“; Hans Wagners Übersetzung mit leichten Änderungen von mir). | 104 | eine „contribution towards wisdom“300. Somit rettet er die Einheit des gesamten Buches. Was aber bedeutet sofi/a eigentlich? Für Menn ist sie die Kenntnis der a)rxai/, Kenntnis des ens qua ens, indem die a)rxai/ das Sein der Wesen verursachen. Sie ist aber auch die Kenntnis der unsichtbaren Substanzen: Weil sie allen Dingen vorhergehen, findet man die a)rxai/ nur unter ihnen. sofi/a bedeutet die Kenntnis der ersten Prinzipien, welche ewig und getrennt sind (to/de ti). L forscht nach der sofi/a und dem, was man im strikten Sinne als „Prinzip“ bezeichnet. L knüpft also an A2 an, wo die sofi/a für eine zweideutige „göttliche Wissenschaft“ gehalten wird: die Wissenschaft Gottes301 und die Wissenschaft über Gott. Erst in L wird deutlich, dass das Prinzip Gott ist. So stimmen die in L sich befindende Untersuchung und die Ideen in A über die sofi/a überein. Die Hauptstelle ist L7, in der Aristoteles die Wissenschaft Gottes302 (no/hsij) präsentiert. Dieses Wissen müsste, laut Menn, der sofi/a-Vorstellung von A2 gleichkommen303. Auf diese Weise versteht auch Menn den Passus 1069a36-b2, über den seit Frede viel diskutiert worden ist. Die zentrale Frage dieser Stelle ist, ob die Prinzipien der vergänglichen Substanzen ebenfalls vergänglich sind oder nicht. Der Schlüssel, um die Aporie zu dechiffrieren, befindet sich in L4: Die stoixei=a beziehungsweise die e)nupa/rxontai ai)ti/ai unterscheiden sich von den äußerlichen Prinzipien, das heißt von den unbewegten Bewegern. Man kann also problemlos behaupten, eine sichtbare Substanz habe eine unsichtbare Substanz als Prinzip, das zugleich ein externes Prinzip der Bewegung ist. Die inneren Prinzipien der beweglichen Substanz sind die Materie und die Form, die sich jenseits des Entstehens/Vergehens und der Veränderung befinden. In L2-5 erfährt man, dass weder die Material- noch die Formalursachen zu den ersten Prinzipien führen. Zu ihnen gelangt man eher über die Suche nach den äußerlichen Ursachen. Der besagte Passus wird von Menn folgendermaßen interpretiert: Die Untersuchung der sichtbaren Substanzen gehört zum Feld der Physik; untersucht man sie jedoch als ein Glied einer Kette, die zur immateriellen Substanz führt oder führen könnte, dann gehört diese Untersuchung zur ersten Philosophie. Dies ist also der Weg des Aristoteles im zwölften Buch der Metaphysik. So kann er auch das zeigen, was Empedokles Menn (masch. Manuskript), § „L1, the status of L5, and the skopo/j of L“, 13-23. Genitivus subiectivus. 302 Genitivus subiectivus. 303 Über das Denken der Götter schreibt Aristoteles auch in der Nikomachischen Ethik 10, 8. 300 301 | 105 | und Platon erfolglos zu erklären versuchten: Wie das Gute ohne die Intervention eines negativen Prinzips Prinzip ist. Nun zur Struktur des zwölften Buches. Wie alle anderen Kommentatoren sieht auch Menn zwei Hauptteile im Buch L: Kapitel 1-5 beziehungsweise 2-5 und Kapitel 6-10. Der erste Teil ist seiner Meinung eine Vorbereitung zum zweiten Teil. So ist auch Menn mit Bonitz und mit dem frühen Jaeger einverstanden304. Menn versteht die Struktur von L folgendermaßen: In L1 beginnt der Stagirit die Untersuchung (der Prinzipien) der sichtbaren Substanz. In L2-3 diskutiert er ihre inneren Prinzipien – und zwar die Materie (L2) und die Form (L3) – und weist beide als das gesuchte (Bewegungs)Prinzip aller Dinge zurück. In L4-5 fragt er sich, ob die a)rxai/ aller Dinge dieselben sind oder nicht, und wie eine solche Kausalität gegebenenfalls wäre. Die erste Hälfte ist also eine präzise Diskussion der Prinzipien der sichtbaren Substanz. Andererseits behandelt L6-10 die Prinzipien der unsichtbaren Substanz nicht. Hier revidiert Aristoteles vor allem die von Anaxagoras und Platon vorgeschlagenen Theorien über das erste Prinzip beziehungsweise über die ersten Prinzipien. Der größte Teil des Mennschen Kommentars befasst sich mit dem zweiten Teil und mit den entsprechenden Passagen, wie beispielsweise De anima 3 4-5 oder Physik 8. Menn zeigt die Verteilung der verschiedenen Abschnitte innerhalb des entsprechenden Kapitels. Leider fehlt seinem Manuskript die Analyse der Architektur von L3, L6, L7 und L9. In L1 1069a18-b2 stellt Aristoteles das Programm für das ganze Buch vor. Dieses Programm gliedert sich in fünf Teile. (1.1) 1069a18-19: Der Autor äußert seine Absicht: Es wird nach den Prinzipien und Ursachen der Substanz gesucht. (1.2) 1069a19-26: Vier Argumente, um zu beweisen, dass in dieser Untersuchung nach der Substanz geforscht wird305. (1.2.1) 1069a19-21: Die ou)si/a ist das erste, entweder in Gesamtheit aller Wesen, falls sie eine Ganzheit bilden, oder als Teil einer Serie, falls sich die Wesen in einer Kette organisieren sollten. (1.2.2) 1069a21-24: Nur die ou)si/a ist a(plw=j. (1.2.3) 1069a24: Nur die ou)si/a existiert getrennt. (1.2.4) 1069a25-26: Die Alten hatten sie bereits untersucht. (1.3) 1069a26-30: Man unterscheidet zwischen den Arbeiten der früheren und der neuen Denker. Die Alten favorisieren die individuellen Dinge, wie zum 304 1923 vertrat Jaeger diesbezüglich eine andere Meinung: L1-5 hat denselben Status wie L6-10. Hier teile ich Fredes Meinung. 305 Muss man dies argumentieren? Vgl. den nächsten Abschnitt dieses Kapitels, ‚Kritik an Menns Position’. | 106 | Beispiel die Erde oder das Feuer, während die Platoniker eher die Universalien bevorzugen. Die Untersuchung der Substanz impliziert die Suche nach den Prinzipien. (1.4) 1069a30-36: Die ou)si/a wird in drei verschiedene Arten unterteilt. (1.5) 1069a36-b2: Es ist uns unbekannt, was Aristoteles über diesen Bedingungssatz gedacht hat, und ob die Bedingung erfüllt wird oder nicht. Die entsprechenden Folgen sind uns ebenfalls fremd. Auf der anderen Seite stimmen die Manuskripte nicht überein: Einige lesen an der letzten Stelle das Wort „koinh/“, andere „kinh/sewj“. Dieser Passus ist, so Menn, folgendermaßen zu verstehen: Die sichtbare Substanz wird von der Metaphysik untersucht – selbstverständlich auch von der Physik –, denn es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen ihr und der immateriellen a)rxh/306. L2-5 zeichnet sich durch eine instrumentale Funktion aus. Hier erklärt der Stagirit die Prinzipien der sichtbaren Substanz: Einige dieser Prinzipien befinden sich unter den unsichtbaren Substanzen, wie man in L6-10 erfährt. Das Thema wird schon in L1 1069a32-33 angesprochen: „[...] wovon die Elemente gefunden werden müssen, mag es nun eines oder mehrere sein“307. L2 setzt sich aus drei Teilen und einem Übergangsteil zu L3 zusammen. (2.1) 1069b3-20: Die Änderung besteht aus vier Punkten. Aristoteles geht auf die Physik zurück: Die Materie ist du/namij308. (2.2) 1069b20-24: Dieser Abschnitt ist aufgrund der Variationen in den Manuskripten umstritten. Es geht um die a)rxh/ Anaxagoras’ im Vergleich zu den Prinzipien anderer Vorsokratiker. (2.3) 1069b24-32: Alles, was sich verändern kann, besitzt Materie. Zwei Argumente, um zu beweisen, dass es verschiedene Materienarten gibt. (2.4) 1069b32-34: Aristoteles erwähnt hier drei Prinzipien: Form, Privation und Materie. Mit dem Begriff „morfh/“ geht er zu L3 über. Hier kommt der Begriff „nou=j“ zum ersten Mal in L vor. Menn sieht die Kapitel 4-5 als eine thematische Einheit. Dort diskutiert Aristoteles mit all jenen Platonikern, die sämtliche Prinzipien als innere 306 Vgl. Z11 1037a13-16: „tou/tou ga\r xa/rin kai\ peri\ tw=n ai)sqhtw=n ou)siw=n peirw/meqa diori/zein, e)pei\ tro/pon tina\ th=j fusikh=j kai\ deute/raj filosofi/aj e)/rgon h( peri\ ta\j ai)sqhta\j ou)si/aj qewri/a: ou) ga\r mo/non peri\ th=j u(/lhj dei= gnwri/zein to\n fusiko/n a)lla/ kai\ <peri\ th=j ou)si/aj> th=j kata\ to\n lo/gon, kai\ ma=llon“ („Eben deswegen versuchen wir ja auch hinsichtlich der sinnlichen Substanzen Begriffsdefinitionen zu geben; denn eigentlich ist die Untersuchung über die sinnlichen Substanzen Aufgabe der Physik und des zweiten Teiles der Philosophie; denn dem Physiker kommt es zu, nicht nur die Materie allein, sondern auch die begriffsmäßig bestimmte zu untersuchen, und diese noch mehr“; Hermann Bonitz’ Übersetzung mit kleinen Änderungen von mir). 307 „[...] h(=j a)na/gkh ta\ stoixei=a labei=n, ei)/te e(n ei)/te polla/“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung). Dies könnte man als einen möglichen Verweis zu L8 verstehen. 308 Vgl. Physica 191b27-29. | 107 | Ursachen, das heißt als Elemente im eigentlichen Sinne, behandelt haben. Diese thematische Einheit hat neun Teile: Vier gehören zu L4 und die übrigen fünf zu L5. (4.1) 1070a31-33: Darstellung der Hauptthese: Gewissermaßen unterscheiden sich die Prinzipien und Ursachen der Dinge in einem analogen Sinne. Im universellen Sinne sind sie jedoch für alle dieselben. (4.2) 1070a33b10: Es wird angenommen, dass die Prinzipien innere sind und es wird danach gefragt, ob alle Prinzipien dieselben sind. Eine Aporie: Jenseits der Kategorien kann es nichts geben und auch zwischen den Kategorien gibt es keine Kausalität (X kann Y nicht verursachen, wenn sie sich in verschiedenen Kategorien befinden). Wie funktioniert also die Kausalität? (4.3) 1070b10-21: Der Analogie nach sagt man, die Prinzipien aller Dinge seien dieselben; streng genommen jedoch sind sie nicht gleich. (4.4) 1070b22-35: Die äußerlichen Ursachen unterscheiden sich von den inneren (Elementen oder stoixei=a). Die Bewegungsursache ist etwas Äußerliches, wie zum Beispiel die Kunst, aber auch das Erste, das alles bewegt. (5.1) 1070b36-1071a3: Die Ursachen der Substanzen sind auch die Ursachen aller Dinge. Als Beispiel hierfür gelten Seele/Körper, der nou=j, Begierde/Körper. (5.2) 1071a3-17: In einem weiteren Sinne sind jedoch alle Prinzipien gleich: Die Prinzipien sind du/namij und e)ne/rgeia und beide stehen analog miteinander in Verbindung. Die externe e)ne/rgeia wirkt auf die du/namij des passiven Empfängers anders als seine eigenen inneren Ursachen. Als Beispiel dafür dient der Mensch: Seine Ursachen sind die Materie, die spezifische Form, der Vater und die Sonne, das heißt ein externes Prinzip, das zu einer fremden Spezies gehört. (5.3) 1071a17-29: du/namij und e)ne/rgeia sind Prinzipien aller Dinge. Die beiden sind nicht universell, man kann die beiden jedoch universell aussprechen, das heißt, die Prinzipien sind an sich selbst individuell, lassen sich aber universell aussprechen. In diesem Zusammenhang sind auch die Prinzipien von Dingen anders, die sich auf derselben Speziesebene befinden. (5.4) 1071a29-b1: Mit folgenden Worten beendet Aristoteles die Einheit L4-5: Die Prinzipien aller Dinge sind auf drei verschiedene Weisen gleich: laut der Analogie, indem die Substanzprinzipien die Prinzipien aller Dinge sind und das erste laut der e)ne/rgeia. Eine externe, individuelle Ursache ist Ursache vieler Dinge, denn sie ist ewig und befindet sich auf einer anderen Speziesebene beziehungsweise in einer anderen Kategorie als die Wirkung. (5.5) 1071b1-2: Dies ist der Schluss der ersten Hälfte des Buches (L1-5): Es weist auf L1 hin und vollendet den Übergang zu L6 durch | 108 | die Frage, ob die unsichtbaren Substanzen unter den Prinzipien der sichtbaren Substanzen existieren309. So beendet L5 die in L1 aufgeworfene Diskussion über die Zahl der Prinzipien der sichtbaren Substanz und welches Prinzip dieses sein mag, falls es ein gemeinsames gibt. Für die zweite Hälfte des Buches (L6-10) ist die Prämisse, die a)rxh/ sei e)ne/rgeia ohne du/namij, entscheidend. Menn widmet diesem Thema große Aufmerksamkeit und stellt Beziehungen zu anderen Texten des Corpus her, um sich ein genaueres Verständnis des Buches zu verschaffen. Schon der Anfang von L7 bezieht sich auf L6, obwohl Aristoteles hier auf etwas ganz anderes abzielt. Anders als Laks ist Menn davon überzeugt, dass L6-7 keine argumentative Einheit ist. Durch die Kapitel 7, 9 und 10 will Menn den Begriff „sofi/a“ als „Wissenschaft der Prinzipien“ erklären und etablieren, und zudem die entsprechenden Aporien von B auflösen. Seit Jaeger behaupten viele Kommentatoren, L8 gehöre nicht zu dem ursprünglichen Buch, sondern sei ein Zusatz. Gleich zwei Gründe sprechen für diese These: Der Stil ist anders und der sogenannte „Polytheismus“ von L8 widerspricht dem sogenannten „Monotheismus“ anderer Kapitel desselben Buches, wodurch das gesamte Werk „inkohärent“ würde. In Wahrheit ist in L7 1073a3-L8 1072b32, L8 1074a14-31, L8 1074a38-b14 und L8 1074a31-38 kein Hiatus zu finden, was auf einen gepflegten Stil hindeutet, so wie bereits Blass im XIX. Jahrhundert argumentierte310. Menn ist mit Blass einverstanden, dass ein großer Teil von L8 nicht in demselben Zeitraum wie der Rest des Buches geschrieben wurde. Das bedeutet aber nicht, dass es sich hierbei um nachträgliche Zusätze handelt, oder dass sich Aristoteles in seinen letzten Tagen nicht mehr für die Astronomie interessierte. Natürlich fällt es schwer zu glauben, dass L8 zu demselben Zeitpunkt wie L geschrieben wurde. Noch unwahrscheinlicher ist es aber, dass es später geschrieben und dann hinzugefügt wurde. Menn ist davon überzeugt, dass Aristoteles von dem bereits geschriebenen L8-Text profitierte, und dass er ihn in den noch unbeendeten L-Text eingefügt hat. Blass311 vertrat diese Meinung bereits im Jahre 1875 so wie kürzlich auch Burnyeat312. Blass glaubt, Aristoteles habe den L8-Text aus De philosophia genommen und in 1073b32309 Diese Frage sehe ich nicht. Vgl. Blass (1875). Auch Jaeger folgt wohl dieser Technik: Ein Text ohne Hiatus deutet auf einen besseren Stil hin, das heißt, man erkennt ihn als ein exoterisches Werk des Stagiriten. Es scheint, dass Aristoteles oft in jener Weise geschrieben hat. 311 Vgl. Blass (1875), 486ff. und 493. 312 Vgl. Burnyeat (2001), 141-143. 310 | 109 | 1074a14 habe er lediglich eine Aktualisierung mithilfe von Theorien des Kallippos vorgenommen. Auch Menn hält dies für wahrscheinlich und bezweifelt, dass L8 ein wesentlicher Teil der Diskussion ist. Über Jaeger, der meint, man könne L7 und L9 ohne L8 verbinden, denkt Menn, ohne L8 bestünde L nur aus den Diskussionen über den nou=j und über das erste Prinzip, auch die Diskussion bezüglich der unsichtbaren Substanzen wäre damit aus dem Werk ausgeschlossen. Ebenfalls haben die Kommentatoren mit L9 einige Probleme. Laut Menn ist dies der Grund dafür, dass nicht erkannt wird, was der Text eigentlich versucht. Von L9 zu L10 heißt es, die Diskussion gehe vom nou=j zum Guten über. Der ganze L10-Text wurde in einem Telegramm-Stil geschrieben, außerdem fehlen wesentliche Übergänge, dennoch kann man den roten Faden eines gemeinsamen Themas ausmachen. L10 beginnt mit der Frage nach der Ordnung des Kosmos und dessen Prinzip als ein existierendes Gut. Zentrum dieser Frage ist eine positive These, die aus L6 stammt: Vor jeder Form, Materie, Gegensätze oder u(pokei/menoj gibt es eine a)rxh/, welche weder Teil noch Element der Dinge selbst ist, sondern eine äußerliche Bewegungsursache. Diese a)rxh/ müsste e)ne/rgeia ohne du/namij sein. Diese ist die Ordnungsquelle und das Gute der Welt. Aus diesem Grund verfügt sie über kein Prinzip. Die Struktur des 10. Kapitels von L ist also ziemlich einfach. (10.1) 1075a11-25: Der Abschnitt ist eine positive Erklärung über das Gute als Prinzip und über dessen Kausalität. (10.2) 1075a25-1076a4: Der Rest des Textes ist eher negativ. Deshalb fällt es den Kommentatoren schwer, eine Struktur zu erkennen313. Der harte Stil kontrastiert mit dem vorherigen Stil. Das Programm für diesen sogenannten „negativen“ Teil liegt gleich am Anfang in 1075a25-27 vor. Aristoteles konzentriert sich hier auf die Diskreditierung anderer Philosophen mithilfe einiger aus B entnommener aporetischer Probleme. Seine Kritik hat eine doppelte Absicht: Er beanstandet seine Vorgänger in Bezug auf das Verständnis der Rolle des Guten als a)rxh/ und diejenigen, die die Existenz einer bösen a)rxh/ vertreten, vor allem aber Platon. Beide Fehler verhindern das Verständnis, wie das Gute als Ursache fungiert. Den zweiten Teil des zehnten Kapitels teilt Menn wieder in zwei kleinere Teile. (10.2.1) 1075a25-b16: Hier untersucht Aristoteles die absurden Schlussfolgerungen, zu denen man käme, würde man alles aus gegenseitigen Prinzipien abstammen lassen. (10.2.2) 313 David Sedleys Versuch sei der Beste, wenn auch nicht vollkommen überzeugend, sagt Menn; vgl. Sedley (2000). | 110 | 1075b16-1076a4: In diesem Abschnitt beschäftigt er sich weiter mit dem Thema, obwohl er sich eher mit der Aporie B8 (ob das Entstehen ein ewiges Prinzip voraussetzt und gegebenenfalls was für eins) beschäftigt. So darf man sagen, L10 diskutiert die Frage, ob es nur ein einziges oder doch zwei Prinzipien gibt, das heißt ein gutes und ein böses. Um dies zu beantworten, bedient sich Aristoteles etlicher Schlussfolgerungen aus L1-5 und N4-5. So beendet er das Buch L mit einer deutlichen Referenz zu den Büchern AB; zudem stellt er seine Theorie den erfolglosen Äußerungen seiner Kollegen gegenüber. 2. Kritik an Menns Position Ich finde Menns Kommentar zu L brillant314. Er versteht die Metaphysik als eine Untersuchung über die Ursachen der ewigen Bewegung im Sinne der traditionellen Ideen der früheren Philosophen, das heißt ein von Aristoteles geführter Dialog mit seinen eigenen Vorfahren. Ihm geht es auch um die Frage nach der (Ewigkeit der) Bewegung und deren Prinzipien. Diese Frage stellt Aristoteles aus Anlass des Problems der ewigen Bewegung der Himmel, das er schon in De generatione et corruptione angesprochen hatte. In L6 aber verwendet er zum Zweck der Konfrontation ein Argument, das offensichtlich von Demokrit stammt. Klar ist, dass alle Dinge der Welt mit Ausnahme der beweglichen Himmel und der Himmelskörper vergänglich sind. Gibt es eine spontane Bewegung im Himmel, die jener der vier Elemente entsprechen würde? Das könnte man dem Äther zuschreiben, denn Aristoteles denkt, dieser folge einer natürlichen kreisförmigen Bewegung. Trotzdem sei der Äther nicht der beste Kandidat dafür, denn er kann die verschiedenartigen Bewegungen der Sphären mit ihren verschiedenen Winkeln und Geschwindigkeiten nicht ausreichend erklären. Die Frage bleibt zwar offen, jedoch kommt Aristoteles später in L8 wieder darauf zurück. Jedoch ist Aristoteles mit seinen Vorfahren insofern einverstanden, als es ein erstes Prinzip gibt, das die Bewegung aller Dinge erklären kann. Die Eleaten waren die Ersten, die die materiellen Ursachen erforschten, und später folgte auch Platon dem Weg der formalen Ursachen. Aristoteles will aber keine der 314 Er versteht die Bücher Q und L als eine starke thematische Einheit, die man nicht abspalten darf; vgl. Menn (masch. Manuskript), „Part III: The true path“. | 111 | beiden Ursachen, wie er jeweils in L2 und L3 bespricht, weiterführen. Trotzdem nimmt er Platons Nuance über eine causa efficiens, nämlich die des nou=j auf und beschließt in diese Richtung weiter zu forschen. Diese Suche nach dem ersten Prinzip steht in einer engen Verbindung mit der Suche nach dem Guten, seitdem Anaxagoras und Empedokles – zuerst – und Platon – danach –, das Gute als ein (Mit)Prinzip etablierten. Aristoteles strebt jedoch eine bessere Erklärung des Guten an, da er unzufrieden mit den Erläuterungen seiner Vorfahren ist. Und so stellt er sich die Frage, ob dieses Prinzip die numerische Einheit des to\de besitzt oder nicht. So muss die Suche nach dem ersten Prinzip mit der Untersuchung der Substanz beginnen, da ja die gesuchte und gewünschte numerische Einheit des to\de der Substanz zuzuschreiben ist315. All dies präsentiert Aristoteles als Hintergrund gleich am Anfang der Metaphysik. Dem Programm nach ist es nämlich in A und in den Aporien von B zu finden. Aus diesem Grund verweist L immer wieder auf diese Textstellen. Als Antwort auf die Aporien gilt L als der einzig richtige Abschluss des gesamten Werkes. Deshalb zweifelt Menn daran, dass L ein eigenständiger Text ist. Dieser Text ist eine kompakte Schrift, dessen einzelne Teile gut miteinander verbunden sind. Sämtliche Teile des zwölften Buches zielen nur auf die (Suche nach der) sofi/a ab. Deshalb bezeichnet Menn L als „Archäologie“, das heißt die Untersuchung der ersten Prinzipien. Das ganze Buch bezweckt es. Dies erreicht der Stagirit erst bei L10. Ein großer Vorteil der Mennschen Interpretation liegt darin, dass sie die Beziehung der verschiedenen Teile innerhalb und jenseits von L erkennt: Alle Teile befinden sich also an ihrem richtigen Platz. Leider ist seine Gliederung des L-Textes noch unvollständig und teilweise nicht überzeugend. In dem mir vorliegenden Manuskript sind, wie oben gesagt, große Lücken zu finden (L3, L6, L7 und L9)316. Menn trennt L6 und L7 voneinander, obwohl sie eigentlich 315 Menn sieht in L1 vier Argumente, um zu beweisen, dass L von der Substanz handelt (sic). Da L1 das Programm darstellt, ist es schwer zu akzeptieren, dass Aristoteles beabsichtigt, dafür zu „argumentieren“. Mir scheint es vielmehr, dass die besagten vier Punkte eher „Gründe“ darstellen, warum man die Prinzipien der Substanz suchen sollte. (Etwas Ähnliches findet sich in a2 – vgl. zum Beispiel 994a1-11 –, wo Aristoteles behauptet, es existierten keine unendlichen Ketten von Ursachen.) Das Problem liegt darin, dass Menn denkt, die Untersuchung der Prinzipien sei Teil der Suche nach der Substanz. Meiner Meinung nach ist jedoch genau das Gegenteil der Fall: Aristoteles muss sich mit der Substanz befassen, denn er interessiert sich für die ersten Prinzipien. Anders ausgedrückt: Die Substanz ist der Ausgangspunkt seiner Suche nach den Prinzipien. 316 Man darf allerdings nicht vergessen, dass es sich hierbei um eine unvollendete Arbeit handelt. | 112 | zusammen gehören, um die Rolle der e)ne/rgeia als das erste Prinzip zu verdeutlichen317. Er betrachtet L6, L9 und L10 als eine Einheit, um die noch ungelösten Aporien aus dem Buch B zusammen zu lösen. Diese Lösung der Aporien zeigt den Weg der sofi/a. Aber damit stößt Menn auf ein neues Problem: Was hat es mit L1-5 auf sich? Menn bietet eine seltsame Erklärung an: L1-5 weist keine sofi/a an sich auf, sondern einen (vagen, charakterlosen) „Beitrag zur sofi/a“ („contribution towards wisdom“)318. Die beste Beschreibung, die Menn für L2-5 findet, lautet, dass es instrumental sei. Auf der anderen Seite wäre es schwer zu akzeptieren, dass L doch eine archäologische Schrift ist, denn – laut Menn – geht es in L6-10 nicht um die Prinzipien der unsichtbaren Substanzen. Dieses versteht nur derjenige, der L6-10 für eine präzise Studie über die unsichtbaren Substanzen im Rahmen einer breiteren Untersuchung der Prinzipien der sichtbaren Substanzen hält. Nur so macht es Sinn, das gesamte L für eine Archäologie zu halten. Ich teile Menns Meinung nicht, L2-5 sei in der Forschung der sofi/a instrumental. Diese Kapitel sind meines Erachtens durchaus ein Teil – und zwar der erste – der Suche nach der sofi/a. Damit meine ich, dass alle Kapitel von L eine Darstellung der sofi/a sind. Das wird ausführlicher im nächsten Kapitel dieser Arbeit diskutiert. Bedeutend ist hier, dass diese Darstellung unvollständig ist. Man wünscht sich vor allen Dingen eine umfassende Analyse der Natur der unsichtbaren Substanzen und der ersten Substanz sowie der Rolle der e)ne/rgeia als erstes Prinzip. Menns spezifisches Verständnis der Archäologie als Disziplin, die auf die sofi/a abzielt, impliziert eine völlig andere Einteilung der verschiedenen Wissenschaften. Folgendes Schema zeigt, wie Menn sich deren Beziehungen vorstellt: Die Archäologie ist ein Teil der sofi/a, die wiederum ein Teil der qeologikh/ ist. Die qeologikh/ wird von der Astronomie unterstützt, hingegen die Archäologie von der Ousiologie mittels der Forschung des to/de. Dieses Schema unterscheidet sich stark von jenem am Anfang dieser Arbeit, das meiner eigenen Vorstellung entspricht. 317 Damit will Menn der von Merlan und Laks kommentierten Einheit L6-7 widersprechen; vgl. Merlan (1946), 18 und Laks (2000), 207. 318 Menn (masch. Manuskript), § „L1, the status of L1-5 and the skopo/j of L“, 14.: „I think that […] Aristotle does not describe L1-5 as physics; they are instead intended as a contribution toward wisdom“. | 113 | sofi/a Ousiologie to/de Archäologie qeologikh/ Astronomie Menns Kommentare über L8 und L10 sind zweifellos bemerkenswert: Seine mathematische Ausbildung bereichert das Verständnis des schon veralteten astronomischen Systems des Stagiriten319. Diese Erklärung hilft, L8 gegen die allgemeine Behauptung, es gehöre nicht zum zwölften Buch, in den Kontext von L einzugliedern. Überdies bringt Menn die in L10 vorliegende Diskussion über das Gute nicht nur mit Anaxagoras, Empedokles und Platon, sondern sogar mit Plotin in Verbindung. Die Mennsche Verteilung der verschiedenen Teile von L10 trägt dazu bei, den Text genauer zu interpretieren: Laut Menn ist es vielmehr ein Dialog mit den früheren Philosophen und kein historischer Überblick, um eine neue Diskussion vorzubereiten, zumal keine neue Diskussion in L vorliegt. Korrekt ist, dass Menn L mit anderen Büchern des Corpus in Verbindung bringt, um die sehr kompakten, manchmal sogar telegraphischen Argumentationen zu ergänzen, vor allem Physik 8, De anima 3 und De generatione et corruptione. Nur mithilfe dieser Texte versteht man einen wesentlichen Punkt von L richtig, und zwar, dass die e)ne/rgeia des ersten Bewegers keine Bewegung ist, sondern no/hsij. Die „no/hsij“ als Attribut (sic)320 verhüllt den Kommentatoren 319 Vielleicht übertreibt Menn ein bisschen, wenn er behauptet, Aristoteles habe das astronomische Wissen seiner Zeit revolutioniert, indem er dessen Prinzipien verändert hat. Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „The argument continued: why astronomical or cosmic reversals require a single eternal motion“, 27: „In insisting that the first and governing motions are uniform circular motions, Aristotle is endorsing the conclusions, and, more importantly, the methodological principles, of Eudoxian mathematical astronomy, as against pre-Socratic-style narrative physics. This leads Aristotle to a radical re-working of physics“. 320 Hierbei möchte ich den Gebrauch des Wortes „Attribut“ („attribute” im englischen Original) kritisieren. Es erinnert an die göttlichen Attribute der theologischen Lehre, was uns wieder zur theologischen Lesart zurückführen würde. Treffender wäre, das griechische Wort | 114 | das Attribut „e)ne/rgeia“. Die e)ne/rgeia der ersten Substanz ist kein Prädikat, weil sie wesentlich e)nergou=sa ist. Menn schließt damit den Kreis der aristotelischen Metaphysik: Gottes eigenes Denken ist die von Aristoteles gesuchte sofi/a. Die sofi/a gewinnt hier eine doppelte Bedeutung, nämlich die von Gott und die von den Menschen: Einerseits ist sie die von Aristoteles gesuchte Wissenschaft, andererseits ist sie Gottes eigenes Denken321. Die zentrale Bedeutung ist die, die sich auf Gott bezieht. Nur per Homonymie wird das menschliche Wissen der Prinzipien auch sofi/a genannt322. Dies kann zu Missverständnissen führen, denn der menschlichen Natur ist es nicht gegeben, die no/hsij der no/hsij noh/sewj zu besitzen. So stößt Menn auf die längst bekannte Diskussion, ob die Theologie und die sofi/a auf L bezogen sind. De philosophia sollte die Theologie des Aristoteles dargestellt haben. „Theologie“ bedeutet für Aristoteles den Diskurs über die immateriellen Substanzen. Andererseits ist die sofi/a die Wissenschaft der ersten Ursache, das heißt des Guten als erstes Prinzip323. Die sofi/a ist also kein Wissen der Formen – pace Platon –, sondern Wissen des Prinzips. So löst Menn den Konflikt zwischen beiden Begriffen. Dafür reduziert er den Unterschied zwischen beiden auf eine quantitative Frage. Die Theologie ist umfangreicher als die sofi/a: Sie befasst sich mit allen unbewegten Bewegern, während sich die sofi/a lediglich mit dem Ersten beschäftigt. Menn führt die Idee bezüglich der Ähnlichkeit zwischen dem ersten Beweger und den anderen Bewegern der Sphären fort. Er vertritt teilweise die Meinung, zwischen ihnen bestehe kein Unterschied. Die einzige Differenz zwischen dem ersten Beweger und den weiteren wäre die Position in der Kausalitätskette. Er bemerkt allerdings, dass der erste Beweger absolut bewegungsunfähig ist324, während sich die weiteren unbewegten Beweger doch per accidens nach der Bewegung der Sphären richten, die sie selbst bewegen (ähnlich der Bewegung der Seele von den Tieren). „sumbebhko/j“. Vgl. zum Beispiel Physica 186b19-35; De partibus animalium 639a27-30 und 643a2731; für eine weitere Diskussion vgl. zum Beispiel Lennox (2001), ad passum. 321 In L hat Aristoteles den ursprünglichen Sinn des akademischen Begriffs „Gott“ beibehalten. 322 Vgl. Metaphysica A2 983a5-10. Dies verdeutlicht das Schema in der ‚Einleitung’ dieser Arbeit. 323 Diese erste Ursache hat eine doppelte Kausalität: eine effiziente und eine finale. So erklärt Menn die sofi/a als die Wissenschaft dieser Ursachen in Hinsicht auf das erste Prinzip. 324 Merkwürdig ist die Aussage Menns, der erste Beweger e)nergei= immer auf dieselbe Weise, „um“ Bewegung zu produzieren. Der Beweger verfolgt tatsächlich keine Absicht oder Zielvorstellung, etwas in Bewegung zu setzen. Menn (masch. Manuskript), § „The strategy of L6 and the eternity of motion“, 1: „[...] what he [Aristoteles] emphasizes instead, against both Anaxagoras and the Timaeus, is that the a)rxh/ is always acting in the same way to produce motion“. | 115 | Menns Interpretation ist unter den bisher vorhandenen zweifellos die beste, und zwar aus diesen Gründen: Menn versteht das Werk Metaphysik als ein einziges Projekt und somit integriert er das Buch L in das gesamte Projekt; er löst außerdem die Spaltung der zwei Hälften des zwölften Buches mit einem besseren Verständnis der inneren Architektur des besagten Buches, das sogar L8 beherbergt; er betont die Rolle der e)ne/rgeia, wie kein anderer zuvor; damit betont er die Suche einer Aktivität als erstes Prinzip anstatt einer Substanz, wie es üblich gewesen war; er findet die Lösung für die in B gestellte aporetischen Fragen; und schließlich sieht er die Arbeit des Stagiriten im Kontext der Versuche der Vorsokratiker, das erste Prinzip zu finden. Sobald Menns Kommentar zur Metaphysik abgeschlossen und veröffentlicht ist, werden die Untersuchungen einen neuen Impuls für das noch junge Jahrhundert geben. Doch selbstverständlich hat seine Lesart auch einige Schwachpunkte: Menn versteht die Archäologie als ein geringeres Gebiet der etwas breiteren sofi/a; damit trennt er ganz subtil die Absicht des Aristoteles nicht nur innerhalb der Metaphysik (die sofi/a und L Archäologie sei), sondern auch innerhalb desselben Buches L (1-5 sei „contribution towards wisdom“); er versteht die no/hsij als ein „Attribut“ Gottes, was eventuell zu einer Rückkehr einer leichten Version der theologischen Interpretation führen könnte; und schließlich denkt er, dass die Untersuchung der Substanz die Untersuchung der Prinzipien enthält, während ich für das Gegenteil plädiere, das heißt, ich gehe davon aus, dass Aristoteles vor allem die Prinzipien sucht, und dafür muss er sich erst einmal mit der Substanz beschäftigen. Deshalb will ich im nächsten Kapitel meine eigene Position zum Thema vorstellen, die sich hauptsächlich mit Menn und Frede auseinandersetzen wird. In diesem werde ich möglichst deutlich die Unterschiede zwischen der Mennschen Interpretation und meiner eigenen darstellen. | 116 | L IST SOPHIA Bis Mitte des XX. Jahrhunderts lesen die Kommentatoren L als einen strengen theologischen Aufsatz. Richard Sorabji erforschte erstmals, wie diese Interpretation überhaupt entstanden war. Im ersten Kapitel dieser Arbeit habe ich bereits gezeigt, dass die theologische Lesart von L erst im Frühmittelalter beginnt, und dass sie zunächst mithilfe der islamischen Kommentatoren und dann mithilfe der Scholastiker weiterentwickelt wird. Die theologische Hermeneutik von L übte also einen starken Einfluss auf die Geschichte der Philosophie aus. Mit den methodologischen und hermeneutischen Techniken der deutschen Philologie des XIX. Jahrhunderts beginnt eine neue Entwicklungsphase. Jedoch kommen erst ein Jahrhundert später erste Zweifel auf. Die Arbeiten von Bonitz und Ross brachten den Kanadier Joseph Owens als Ersten dazu, diese Interpretation in Frage zu stellen325. Außerdem argumentieren Bonitz und Jaeger, dass L auf keinen Fall zur Metaphysik gehört. Dies stellt einen Bruch zur alten Interpretation dar. Nach Owens beschäftigte sich eine Reihe von Kommentatoren mit der Frage, wie L am besten auszulegen wäre. Ganz besonders befassten sie sich mit der Frage, welche Absichten Aristoteles beim Schreiben dieses Textes verfolgte. Schon allein mit einer Antwort auf diese Frage kann man den genannten Text besser verstehen. Es überrascht also nicht, dass eine Vielzahl von Kommentatoren über die Jahrhunderte letztendlich von der langen und traditionellen theologischen Lesart abwichen. Wer heutzutage die jahrhundertealte Interpretation akzeptiert, dass L im Grunde ein Aufsatz über Gott und andere göttliche Substanzen ist, der wird mit guten Gründen als altmodisch bezeichnet. Seit der Veröffentlichung der Vorträge des XIV. Symposium Aristotelicum hält man L nicht mehr für eine Untersuchung über Gott. Ich pflichte Frede insofern bei, als auch ich nicht glaube, dass das Hauptziel der aristotelischen Forschung in diesem Text Gott ist. Zweifellos verleiht die von Frede vorgeschlagene ousiologische Interpretation von Buch L einen ganz neuen Impuls, der auch die Aufmerksamkeit der Kommentatoren bald wecken wird. Doch obwohl diese 325 Ross’ (1924) Hauptkommentar ist einer der letzten, der sich noch der theologischen Lesung widmet. Den letzten hat Giovanni Reale (1993) veröffentlicht. Damit kann man allerdings das Ende der theologischen Interpretation des zwölften Buches der Metaphysik noch nicht definieren, denn einige Autoren vertreten noch diese Interpretation; vgl. zum Beispiel Horn (2002). | 117 | Hermeneutik Lösungen für mehrere Probleme der alten theologischen Hermeneutik liefert, ist sie dennoch nicht ganz überzeugend. Beschäftigt man sich mit dieser Hermeneutik des zwölften Buches der Metaphysik, kommen zwangsläufig Fragen und Zweifel auf: Wollte Aristoteles hier wirklich eine umfassendere (aber nicht unbedingt tiefergehende) Substanzlehre als die der mittleren Bücher darlegen? Welche Art von Problemen löst Fredes Verständnis des Buches im Vergleich zu der theologisch traditionellen Auslegung? Aus welchem Grund beschäftigte sich der Stagirit in L mit der Überarbeitung der Übersicht der Substanzlehre, anstatt die bereits in den zentralen Büchern vorhandenen Übersichten zu vollenden? Hatte er nicht andere Pläne? Inwieweit darf man L in Zusammenhang mit den anderen Teilen der Metaphysik bringen? Oder ist L als ein eigenes, selbstständiges Projekt zu verstehen? Diese und andere Fragen verdienen einen Antwortversuch, zumal der kurze Aufsatz von Frede nicht auf alle diese Fragen eingeht. Zunächst werde ich mich diesen letzten Fragestellungen widmen. Dieses Kapitel ist das letzte dieser Arbeit und besteht aus vier Punkten. Zuerst folge ich Burnyeats Strategie und skizziere eine Karte für L, ähnlich seiner Map über Z. Danach gehe ich auf die Frage ein, inwiefern L von der Metaphysik abhängig zu machen ist. Ferner führe ich eine kurze philologische Wortuntersuchung durch, um meine Hermeneutik zu untermauern. Schließlich stelle ich meine eigene Position dar. An dieser Stelle erkläre ich die sogenannte schwache ousiologische Interpretation, die ich von der archäologischen Lesart abhängig mache. Meine Position zu der Interpretation des L-Textes ist Folgende: Aristoteles möchte im zwölften Buch der Metaphysik die ersten Prinzipien erforschen. Diese Untersuchung wird von Stephen Menn „Archäologie“ genannt, zumal er sie für eine Vorstufe der Forschung der sofi/a hält. Ich gebe zu, dass L auch eine unvollendete Untersuchung der sofi/a ist, wobei ich Menns Meinung nicht teile, wenn er einen Neologismus verwendet, um L zu beschreiben. In diesem Sinne ist L einfach sofi/a, die man wiederum in ihrer doppelten Bedeutung entfalten kann: die göttliche sofi/a und die menschliche sofi/a. Auf den Mennschen Begriff „Archäologie“ werde ich nachstehend, allerdings mit einer Variation, auch zurückkommen. Wenn ich von der „archäologischen Interpretation“ spreche, dann meine ich damit die aristotelische Forschung der Prinzipien in der Tradition der Vorsokratiker und | 118 | Platons326. In diesem Sinne denke ich, dass L als ein Text über aristotelische sofi/a verstanden werden sollte, aber auch als ein weiterer Schritt in der langen Tradition der Frage nach den ersten Prinzipien, die bereits Thales stellte. Diese Suche beginnt Aristoteles in L mittels der Substanzforschung. Deshalb spreche ich in meiner Arbeit über eine „schwache ousiologische Lesung“ des L-Textes, die der archäologischen und sofi/a-Interpretation dient. Des Weiteren versuche ich in dem vorhandenen Kapitel die Diskussion über die verschiedenen Teile des genannten Buches in ein neues Licht zu rücken. Mit der hier vorgeschlagenen Gliederung des Textes ist man imstande, L als ein kohärentes Werk zu betrachten. Damit beginne ich die Diskussion dieses Kapitels. 1. Die Architektur von L Wenn man die Struktur eines Textes kennt, dann versteht der Leser auch besser die in ihm enthaltene Argumentation. Ein notwendiger Schritt beim Lesen antiker Texte ist es, die architektonische Struktur weitestgehend zu rekonstruieren. Um die innere Architektur des zwölften Buches der Metaphysik richtig zu begreifen, zerlege ich den Text in einzelne Teile. Der erste Abschnitt besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil stelle ich das Programm des zwölften Buches und die Strategie, die Aristoteles verfolgt, dar. Danach gehe ich die verschiedenen Gliederungen des Textes durch, als wären sie „Meilensteine eines Weges“ – die Metapher gehört Burnyeat. Als letztes zähle ich in Form einer kurzen Liste die Passagen auf, in denen die wichtigsten Begriffe von L zum ersten Mal im Buch vorkommen, um einen klaren Eindruck über die stetig neuen Elemente in der Diskussion zu gewinnen. 1.1 Das strategische Programm von L In L erkenne ich grundsätzlich drei Hauptteile: L1, L2-7 und L8-10. Das Programm für das zwölfte Buch der Metaphysik steht bereits in L1: Aristoteles will in L die Prinzipien und Ursachen der Substanz untersuchen (1069a18-30). 326 Das XVI. Symposium Aristotelicum behauptet, das sofi/a-Projekt beginne erst mit Platon; vgl. zum Beispiel Crubellier & Laks (2009), 16: „Thus the project of wisdom mobilizes philosophical material that had been progressively developed, beginning with Plato, right down to Aristotle himself“. Stephen Menn distanziert sich deutlich von dieser Position. | 119 | Aus diesem Anlass bietet er in L1 einen allgemeinen Überblick über L. Das erste Kapitel wird noch mit allgemeinen Fragen über die kommende Diskussion ergänzt. Jenseits der Darlegung des Programms im ersten Kapitel besteht L grosso modo aus zwei weiteren Teilen: L2-7 und L8-10. Eine solche doppelte Teilung hilft, sich einen allgemeinen Überblick über den ganzen Text zu verschaffen. Außerdem erlaubt sie, die Architektur des Werkes besser zu fassen und somit die bekannten Probleme der alten Version symmetrischer Hälften (L1-5 und L6-10) zu lösen. Im zweiten Teil (L2-7) untersucht Aristoteles die Prinzipien und Ursachen der Substanz, um die Existenz des ersten Prinzips aller Bewegungen zu rechtfertigen. Der zweite Teil ist doppelt so lang wie der dritte (L8-10) und läst sich wiederum in drei Einheiten gliedern: L2-3, L4-5, L67. Die Einheiten L2-3 und L6-7 stellen ihre eigenen Programme vor, während L4-5 ihr Programm nicht erwähnt; trotzdem wird offensichtlich, dass darin ein neues Thema angesprochen wird. In dieser Einteilung der verschiedenen Einheiten von L folge ich teilweise Menn. Ich gebe ihm Recht, wenn er L2-3 und L4-5 als Einheiten ansieht. Doch beharrt er auf der traditionellen Einteilung des Buches in zwei Hälften. Im dritten Teil (L8-10) entwickelt der Stagirit seine Theorie über das erste Prinzip durch drei Hauptfragen mit dem Ziel, wesentliche Aspekte weiter zu verdeutlichen327. Ich behandle die letzten drei Kapitel als einen Teil an sich, denn es werden verschiedene Fragen im Rahmen des allgemeinen Programms von L beantwortet, selbst wenn jedes Kapitel mit einem einleitenden Satz beginnt, in dem die entsprechende(n) Frage(n) oder Diskussion(en) ausdrücklich erwähnt werden. L10 bietet sogar ein neues Subprogramm im Rahmen der allgemeinen Forschung über die Beziehung des Guten mit der Welt. Diese Gliederung des zwölften Buches verdient eine präzisere Darstellung. In L1 teilt Aristoteles das Ziel des ganzen Buches mit: die Untersuchung der Prinzipien und der Ursachen der Substanz. Er bietet zwei Rechtfertigungen dieses Zieles: eine philosophische (die Substanz ist das Erste), und eine historische (als die Kosmologen und Platoniker die Prinzipien erforschten, untersuchten sie die Substanz). Anschließend stellt Aristoteles eine allgemeine Frage nach der Unterscheidung der Substanzarten zur Diskussion, die später geführt wird. Vor dem Schluss des ersten Kapitels, welches eigentlich schon bei 327 Pierluigi Donini verteidigt eine ähnliche Meinung, jedoch in Bezug auf L9-10. Er nennt beide Kapitel „appendici” („Anhänge“); vgl. Donini (2002), 195. | 120 | 1069b2 endet, etabliert Aristoteles eine Bedingung, die mittlerweile von Frede schon eingehend diskutiert worden ist: das Objekt der Wissenschaften je nach ihren Prinzipien festzustellen. Die Analyse von L beginnt bei (den inneren Prinzipien) der sichtbaren Substanz, nämlich der Materie (L2) und der Form (L3). Aristoteles fängt seine Untersuchung mit der Materie an, da sie eine Bedingung der Bewegung ist und er – wie auch schon die Vorsokratiker – die (Ursache der) Bewegung erklären möchte. Doch die Materie und die Form sowie die sichtbare Substanz werden bald als das erste Prinzip ausgeschlossen328. Aristoteles erkennt die zwingende Existenz einer getrennten Substanz, die als Bewegungsursache wirken muss, denn eine innere Formursache reicht nicht aus, um die Bewegung zu erklären (L4). Deshalb muss er auch die Begriffe e)ne/rgeia/du/namij in die allgemeine Diskussion der Kausalität einbringen (L5). Dort erklärt der Stagirit das Eigene und das Bestimmende dieser Substanz: Sie ist e)ne/rgeia ohne du/namij. Diese Begriffe spielen eine entscheidende Rolle in den übrigen Kapiteln. In L6-7 wird die Existenz der e)ne/rgeia-Substanz bewiesen, die das Entstehen/Vergehen bewirkt, und deren effiziente Kausalität begründet329. So kann der Stagirit eine e)ne/rgeia ohne Mischung mit du/namij als Prinzip des Entstehens/Vergehens in der vergänglichen Welt erkennen und rechtfertigen (L6). Aristoteles erreicht sein Ziel erst, wenn die Existenz des ersten Bewegungsprinzips begründet ist (L7)330. Bis dahin könnte man Aristoteles mit seinen Vorgängern vergleichen, zumal er endlich auch ein erstes Prinzip erreicht. Damit ist also der erste Schritt getan. Aristoteles wirft jedoch den älteren Philosophen vor, dass sie weder die Kausalität noch die Natur der genannten Ursache ausreichend erklärten331. Aristoteles will diesen Fehler vermeiden, zumal wesentliche Punkte eine noch detailliertere Untersuchung erfordern. Dieses holt er in den letzten drei Kapiteln nach. Die Themen von L8, L9 und L10 entstehen aus der Diskussion Hier folge ich Menn; vgl. Menn (masch. Manuskript), § „What is distinctive in L2-3“, 27-36. André Laks bemerkt auch diese Zusammengehörigkeit; vgl. Laks (2000), 207: „L7 does not constitute a self-contained unit, but is the continuation of a discussion begun in L6 whose official function it is to justify the thesis which Aristotle puts forth at the outset of the chapter“. 330 Vgl. Metaphysica a2 994a1: „a)lla\ mh\n o(/ti g¡ e)/stin a)rxh/ tij kai\ ou)k a)/peira ta\ ai)/tia tw=n o)/ntwn ou)/t¡ ei)j eu)quwri/an ou)/te kat¡ ei)=doj, dh=lon“ („Dass es ein Prinzip gibt und die Ursachen des Seienden nicht ins Unendliche fortschreiten, weder in fortlaufender Reihe noch der Art nach, ist offenbar“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 331 Tatsächlich ist dieser Vorwurf des Aristoteles nicht gerechtfertigt. In A4 985a29 zum Beispiel erklärt Aristoteles, dass Empedokles zum ersten Mal der Meinung ist, dass es sich um mehrere Prinzipien, insgesamt vier an der Zahl, handelt. Aristoteles weiß auch, dass die Pythagoreer zehn Grundprinzipien kannten; vgl. zum Beispiel A5 986a8. 328 329 | 121 | der vorherigen Einheit (L6-7) und vollenden das zwölfte Buch. Diese Verbindung zwischen L6-7 und L8-10 verlangt eine genauere Analyse. Sowohl in L6 als auch in L7 sind mehrere vorbereitende Hinweise für die kommenden Diskussionen des letzten Teiles des Buches zu finden. Die letzten Zeilen von L6 knüpfen gut an L8 an. Aristoteles benutzt dies als eine Technik, um den Leser darauf aufmerksam zu machen, dass er dies noch als offene Diskussion stehen lässt. In L7 befinden sich zahlreiche Hinweise dieser Art: Schon der Anfang bezieht sich auf die Bewegung des Himmels, was man als ein Hinweis auf die in L8 geführte Diskussion verstehen darf. Die Übertragung der ersten Bewegung über den Himmel bis zur Erde muss auch erklärt werden. Als Ursache dafür werden mehrere Vermittler in einem vielschichtigen kosmologischen System genannt (L8)332. Der erste Beweger wird „nou=j“ genannt und sein Denken erklärt (L9). Die zusammengefasste Darstellung der nou=jLehre in L7 bezieht sich offenbar auf L9. Sowohl das Gute als auch das o)rekto/n, welche in L10 akribisch untersucht werden, kommen auch schon in L7 als Vorankündigung vor. So wird also das Gute dem Beweger zugesprochen und das Verhältnis des Guten mit der Welt erforscht (L10). Wer nach der Lektüre von L zu A und a zurückkehrt, merkt sofort, dass L grundsätzlich dem entspricht, was Aristoteles bereits auf den ersten Seiten der Metaphysik geäußert hatte. Im ersten Buch sind etliche Textstellen zu finden, die auf das zwölfte Buch verweisen. Auf seiner Suche nach den Ursachen des Entstehens und Vergehens verspricht Aristoteles in A333, andere Meinungen über die ersten Prinzipien zu einem späteren Zeitpunkt zu beurteilen334. Dieses Versprechen wird erst in L erfüllt. Von dieser Untersuchung will der Stagirit Xenophanes 332 Da es nicht mehr als einen einzigen Himmel gibt, kann kein anderes System außer diesem – dem unseren – existieren. Da 47 bzw. 55 verschiedene Himmelsbewegungen in diesem astronomischen System zu zählen sind, ist es unmöglich, dass es mehr Beweger als die besagten Bewegungen geben kann. Mit Merlans Aussage, Aristoteles habe ein großes Interesse an der Existenz einer göttlichen Substanz(en) und ein geringeres an deren Anzahl, bin ich nicht einverstanden: Die Frage nach der Zahl der unsichtbaren Substanzen ist im Wesentlichen Aufgabe der Archäologie beziehungsweise der sofi/a; vgl. Merlan (1946), 25. 333 Vgl. Metaphysica A8 988b26-28: „kai\ peri\ gene/sewj kai\ fqora=j e)pixeirou=ntej ta\j ai)ti/aj le/gein, kai\ peri\ pa/ntwn fusiologou=ntej, to\ th=j kinh/sewj ai)/tion a)nairou=sin“ („Und während sie die Ursachen des Entstehens und Vergehens anzugeben versuchen und über die Natur aller Dinge Untersuchungen anstellen, heben sie doch die Ursache der Bewegung auf“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 334 Vgl. Metaphysica A4 984b31-32: „tou/toij me\n ou)=n pw=j xrh\ dianei=mai peri\ tou= ti/j prw=toj, e)ce/stw kri/nein u(/steron“ („Wem unter diesen man den Vorrang geben soll, es zuerst ausgesprochen zu haben, das sei später zu entscheiden gestattet“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). | 122 | und Melissos ausklammern335. Diese Autoren sind nicht seine Hauptgesprächspartner, sondern vielmehr Platon, Empedokles, Anaxagoras, Speusippos und die Pythagoreer. Da es unsichtbare Entitäten gibt336, muss man jenseits des Feldes der Physik suchen337. Dies stellt eine Beziehung zu dem schon viel diskutierten Passus 1069a36-b2 her338. Die sofi/a beschäftigt sich mit den ersten Ursachen. Von daher beginnt sie ihre Untersuchung am besten mit den Ursachen der sichtbaren Substanzen339. Als theoretische Wissenschaft unterscheidet sich die sofi/a auch im Buch a von der poietischen Wissenschaft: Während die poietische sich mit dem Ziel der Handlung befasst, sucht die sofi/a die Wahrheit und zugleich auch die Erkenntnis der Ursachen340. Deshalb schließt Aristoteles schon in A3 die materielle Ursache als Quelle der Wahrheit aus341: Dieser Strategie folgt er später noch einmal in L2. Mehr Details zu der Strategie zu Gunsten der Suche 335 Vgl. Metaphysica A5 986b25-27: „ou(=toi me\n ou)=n, kaqa/per ei)/pomen, a)fete/oi pro\j th\n nu=n zh/thsin, oi( me\n du/o kai\ pa/mpan w(j o)/ntej mikro\n a)groiko/teroi, Cenofa/nhj kai\ Me/lissoj“ („Diese müssen also für die gegenwärtige Untersuchung beiseite gesetzt werden die beiden, Xenophanes und Melissos, durchaus, da sie zu wenig philosophische Bildung haben“; Hermann Bonitz’ Übersetzung mit leichten Veränderungen von mir). 336 Vgl. Metaphysica A8 988b25-26: „[...] o)/ntwn kai\ a)swma/twn [...]“ („[...] obgleich es doch auch Unkörperliches gibt [...]“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 337 Vgl. Metaphysica A10 993a11-15: „o/(ti me\n ou)=n ta\j ei)rhme/naj e)n toi=j fusikoi=j ai)ti/aj zhtei=n e)oi/kasi pa/ntej, kai\ tou/twn e)kto\j ou)demi/an e)/xoimen a)\n ei)pei=n, dh=lon kai\ e)k tw=n pro/teron ei)rhme/nwn: a)ll¡ a)mudrw=j tau/taj, kai\ tro/pon me/n tina pa=sai pro/teron ei)/rhntai tro/pon de/ tina ou)damw=j“ („Dass also alle die in den Büchern Über die Natur angeführten Ursachen aufzusuchen scheinen, und dass wir außer diesen keine andere Art von Ursachen anführen können, ist selbst aus den obigen Erörterungen offenbar. Doch handelten sie von diesen nur dunkel, und wenn in gewissem Sinne alle Ursachen schon früher genannt sind, so sind sie es wieder in gewissem Sinne durchaus nicht“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 338 Vgl. auch Metaphysica a3 995a19-20: „[...] kai\ ei) mia=j e)pisth/mhj h)\ pleio/nwn ta\ ai)/tia kai\ ta\j a)rxa\j qewrh=sai/ e)stin [...]“ („[...] und ob die Untersuchung der Ursachen und Prinzipien Gegenstand einer oder mehrerer Wissenschaften ist [...]“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 339 Vgl. Metaphysica A9 992a24-25: „o(/lwj de\ zhtou/shj th=j sofi/aj peri\ tw=n fanerw=n to\ ai)/tion, tou=to me\n ei)a/kamen [...]“ („Überhaupt haben wir, indem doch die Weisheit über die Ursachen der sichtbaren Dinge forscht, dies beiseite gesetzt [...]“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 340 Vgl. Metaphysica a1 993b20-24: „qewrhtikh=j me\n ga\r te/loj a)lh/qeia praktikh=j d¡ e)/rgon: kai\ ga\r a)\n to\ pw=j e)/xei skopw=sin, ou) to\ ai)/tion kaq¡ au(to/, a)lla\ pro/j ti kai\ nu=n qewrou=sin oi( praktikoi/. ou)k i)/smen de\ to\ a)lhqe\j a)/neu th=j ai)ti/aj“ („Denn für die theoretische Philosophie ist die Wahrheit, für die praktische das Werk Ziel. Denn wenn auch die Vertreter der praktischen Philosophie danach fragen, wie etwas beschaffen ist, so ist doch nicht das Ewige (das Ursächliche, das An sich), sondern das Relative und Zeitliche Gegenstand ihrer Betrachtung. Die Wahrheit aber wissen wir nicht ohne Erkenntnis der Ursache“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 341 Vgl. Metaphysica A3 984a16-22: „e)k me\n ou)=n tou/twn mo/nhn tij ai)ti/an nomi/seien a)\n th\n e)n u(/lhj ei)/dei legome/nhn: proi+o/ntwn d¡ ou(/twj au)to\ to\ pra/gma w(dopoi/hsen au)toi=j kai\ sunhna/gkase zhtei=n: ei) ga\r o(/ti ma/lista pa=sa ge/nesij kai\ fqora\ e)/k tinoj e(no\j h)\ kai\ pleio/nwn e)sti/n, dia\ ti/ tou=to sumbai/nei kai\ ti/ to\ ai)/tion; ou) ga\r dh\ to/ ge u(pokei/menon au)to\ poiei= metaba/llein e(auto/“ („Hiernach möchte man das nach Art des Stoffes verstandene Prinzip für das einzige ansehen. Beim weiteren Fortschritt jedoch zeigte ihnen die Sache selbst den Weg und nötigte sie zum (weiteren) Forschen. Denn wenn auch durchaus jedem Entstehen und Vergehen etwas zugrunde liegt, aus dem es hervorgeht, sei dies eines oder mehreres, warum geschieht denn dies und was ist die Ursache? Denn das Zugrundeliegende bewirkt doch nicht selbst seine eigne Veränderung“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). | 123 | nach dem ersten Prinzip sind in A nicht zu finden. Trotzdem gibt es doch einen kurzen, historischen Überblick, in dem Aristoteles die Anzahl der Beweger und deren Natur beschreibt, was als Hinweis auf die Aufgaben von L8 und L9 verstanden werden kann342. Denjenigen, die meinen, das Gute sei das Prinzip, wird vorgeworfen, sie erklärten nicht die kausale Beziehung zwischen diesem Guten und der Welt343. Dieser Vorwurf ist auch in L zu finden, allerdings mit 342 Vgl. Metaphysica A3 983b18-984a16: „to\ me/ntoi plh=qoj kai\ to\ ei)=doj th=j toiau/thj a)rxh=j ou) to\ au)to\ pa/ntej le/gousin, a)lla\ Qalh=j men\ o( th=j toiau/thj a)rxhgo\j filosofi/aj u(/dwr fhsi\n ei)=nai (dio\ kai\ th\n gh=n e)f¡ u(/datoj a)pefh/nato ei=)nai), labw\n i)/swj th\n u(po/lhyin tau/thn e)k tou= pa/ntwn o(ra=n th\n trofh\n u(gra\n ou)=san kai\ au)to\ to\ qermo\n e)k tou/tou gigno/menon kai\ tou/t% zw=n (to\ d¡ e)c ou(= gi/gnetai, tou=t¡ e)sti\n a)rxh\ pa/ntwn) – dia/ te dh\ tou=to th\n u(po/lhyin labw\n tau/thn kai\ dia\ to\ pa/ntwn ta\ spe/rmata th\n fu/sin u(gra\n e)/xein: to\ d¡ u(/dwr a)rxh\ th=j fu/sew/j e)sti toi=j u(groi=j. ei)si\ de/ tinej oi\( kai\ tou\j pampalai/ouj kai\ polu\ pro\ th=j nu=n gene/sewj kai\ prw/touj qeologh/santaj ou(/twj oi)/ontai peri\ th=j fu/sewj u(polabei=n: )Wkeano/n te ga\r kai\ Thqu\n e)poi/hsan th=j gene/sewj pate/raj, kai\ to\n o(/rkon tw=n qew=n u(/dwr, th\n kaloume/nhn u(p¡ au)tw=n Stu/ga [tw=n poihtw=n]: timiw/taton me\n ga\r to\ presbu/taton, o(/rkoj de\ to\ timiw/tato/n e)stin. ei) me\n ou)=n a)rxai/a tij au(/th kai\ palaia\ tetu/xhken ou)=sa peri\ th=j fu/sewj h( do/ca, ta/x¡ a)\n a)/dhlon ei)/h, Qalh=j me/ntoi le/getai ou(/twj a)pofh/nasqai peri\ th=j prw/thj ai)ti/aj ( (/Ippwna ga\r ou)k a)\n tij a)ciw/seie qei=nai meta\ tou/twn dia\ th\n eu)te/leian au)tou= th=j dianoi/aj): )Anacime/nhj de\ a)e/ra kai\ Dioge/nhj pro/teron u(/datoj kai\ ma/list¡ a)rxh\n tiqe/asi tw=n a(plw=n swma/twn, (/Ippasoj de\ pu=r o( Metaponti=noj kai\ (Hra/kleitoj o( )Efe/sioj, )Empedoklh=j de\ ta\ te/ttara, pro\j toi=j ei)rhme/noij gh=n prostiqei\j te/tarton (tau=ta ga\r a)ei\ diame/nein kai\ ou) gi/gnesqai a)ll¡ h\) plh/qei kai\ o)ligo/thti, sugkrino/mena kai\ diakrino/mena ei)j e(/n te kai\ e)c e(no/j): )Anacago/raj d¡ o( Klazome/nioj tv= me\n h(liki/a| pro/teroj w)\n tou/tou toi=j d¡ e)/rgoij u(/steroj a)pei/rouj ei=)nai/ fhsi ta\j a)rxa/j: sxedo\n ga\r a(/panta ta\ o(moiomerh= kaqa/per u(/dwr h)\ pu=r ou(/tw gi/gnesqai kai\ a)po/llusqai/ fhsi, sugkri/sei kai\ diakri/sei mo/non, a)/llwj d¡ ou)/te gi/gnesqai ou)/t¡ a)po/llusqai a)lla\ diame/nein a)i+/dia“ („Doch über die Menge und die Art eines derartigen Prinzips stimmen nicht alle überein. Thales, der Urheber solcher Philosophie, nennt es Wasser (weshalb er auch erklärte, dass die Erde auf dem Wasser sei), wobei er vielleicht zu dieser Annahme kam, weil er sah, dass die Nahrung aller Dinge feucht ist und das Warme selbst aus dem Feuchten entsteht und durch dasselbe lebt (das aber, woraus alles wird, ist das Prinzip von allem); hierdurch also kam er wohl auf diese Annahme und außerdem dadurch, dass die Samen aller Dinge feuchter Natur sind, das Wasser aber für das Feuchte Prinzip seiner Natur ist. Manche meinen auch, dass die Alten, welche lange vor unserer Generation und zuerst über die göttlichen Dinge geforscht haben (die ersten Theologen), ebenso über die Natur gedacht hätten; denn den Okeanos und die Tethys machten sie zu Erzeugern der Entstehung und den Eid der Götter zum Wasser, das bei den Dichtern Styx heißt; denn am ehrwürdigsten ist das Älteste, der Eid aber ist das Ehrwürdigste. Ob nun dies schon eine ursprüngliche und alte Meinung über die Natur war, das möchte wohl dunkel bleiben; Thales jedoch soll sich auf diese Weise über die erste Ursache ausgesprochen haben. Den Hippon wird man wohl wegen des geringen Wertes seiner Gedanken nicht würdigen, unter diese Männer zu rechnen. Anaximenes und Diogenes dagegen setzen die Luft als früher gegenüber dem Wasser an und als vorzüglichstes Prinzip unter den einfachen Körpern, Hippasos der Metapontiner und Herakleitos der Ephesier das Feuer, Empedokles die vier Elemente, indem er zu den genannten die Erde als viertes hinzufügte. Denn diese blieben (nach seiner Ansicht) immer und entstünden nicht, außer in Hinsicht der größeren oder geringeren Menge, indem sie zur Einheit verbunden oder aus der Einheit ausgeschieden würden. Anaxagoras aber, der Klazomenier, welcher der Zeit nach früher ist als dieser, seinen Werken nach aber später, behauptet, dass die Prinzipien unbegrenzt viele seien; denn ziemlich alles Gleichteilige, wie Wasser und Feuer, entstände und verginge so, nämlich nur durch Verbindung und Trennung, auf andere Weise aber entstehe und vergehe es nicht, sondern bleibe ewig“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 343 Vgl. Metaphysica A7 988b11-16: „w(j d¡ au(/twj kai\ oi( to\ e(\n h)\ to\ o)\n fa/skontej ei)=nai th\n toiau/thn fu/sin th=j me\n ou)si/aj ai)/tio/n fasin ei)=nai, ou) mh\n tou/tou ge e(/neka h)\ ei)=nai h\) gignesqai, w(/ste le/gein te kai\ mh\ le/gein pwj sumbai/nei au)toi=j ta)gaqo\n ai)/tion: ou) ga\r a(plw=j a)lla\ kata\ sumbebhko\j le/gousin“ („Ebenso sagen zwar die, welche das Eine oder das Seiende für eine solche Natur erklären, dass dieses Ursachen der Substanz sei, aber doch nicht, dass um seinetwillen etwas sei oder werde. So ergibt sich denn, dass sie das Gute als Ursache gewissermaßen aufstellen und | 124 | einer ganz anderen Nuance: Aristoteles beansprucht, diese Beziehung in seinem eigenen Text erfolgreich erklärt zu haben344. Jetzt lohnt sich noch etwas über die letzte Zeile von L zu sagen. Scharfsinnig bemerkt Menn, dass L mindestens zwei der in der Rhetorik zu findenden Regeln für korrekte Epiloge befolgt345. Menn übersieht aber, dass die Rhetorik mit einem literarischen Zitat von Lysias endet, welches nicht ein weiteres Beispiel, sondern vielmehr ein perfektes Ende – ein Asyndeton – sein soll: „ei)/rhka, 346 a)khko/ate, e)/xete, kri/nate“ . Etwas Ähnliches geschieht auch in L10. Ein Zitat von Homer dient nicht nur dem vorliegenden Argument, sondern stellt vielmehr ein echtes und perfektes Ende des ganzen Buches dar347. Kein anderes Werk des Stagiriten endet mit einem literarischen Zitat348, das ich „Hypograph“ auch nicht aufstellen; denn sie machen es nicht schlechthin, sondern in akzidentellem Sinne zur Ursache“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 344 Es wäre zu viel zu sagen, dass die Symmetrie beider Bücher, das heißt A und L, die jeweils aus zehn Kapiteln bestehen, ein Zeichen für diese „Verwandtschaft“ beziehungsweise Kontinuität ist. Nur eine abergläubische Person würde diesen Zufall als eine Art von Vorahnung interpretieren. Die Bücher Q, I und M haben auch jeweils zehn Kapitel. a besteht aus 3 Kapiteln, B aus 6, G aus 8, D aus 30, E aus 4, Z aus 17, H aus 6, K aus 12 und N aus 6. 345 Rhetorica 3 1419b12-15: „o( d' e)pi/logoj su/gkeitai e)k tetta/rwn, eãk te tou= pro\j e(auto\n kataskeua/sai euå to\n a)kroath\n kai\ to\n e)nanti/on fau/lwj, kai\ e)k tou= au)ch=sai kai\ tapeinw=sai, kai\ e)k tou= ei)j ta\ pa/qh to\n a)kroath\n katasth=sai, kai\ e)c a)namnh/sewj“ („Das Schlusswort ist aus vier Dingen zusammengesetzt, nämlich daraus, den Hörer gegenüber einem selbst günstig, gegenüber dem Gegner ungünstig zu stimmen, daraus, zu steigern und zu verringern, daraus, den Hörer in einen emotionalen Zustand zu versetzen, und aus der Rekapitulation“; Christof Rapps Übersetzung). 346 Rhetorica 3 1420a7-8: „Ihr habt gehört, gesehen, geduldet, den Schuldigen gefasst: richtet“ (Christof Rapps Übersetzung). Aristoteles wollte die letzte Zeile aus dem Diskurs des Lysias Gegen Eratosthenes zitieren, verfügte aber offensichtlich über keine Kopie und gab die Textstelle aus diesem Grund ungenau wieder. Im Diskurs des Lysias heißt es: „a)khko/ate, e(wra/kate, pepo/nqate, e)/xete: dika/zete“. 347 Iliad 2, 203-206: „ou) me/n pwj pa/ntej basileu/somen e)nqa/d¡ A)xaioi/: ou)k a)gaqo\n polukoirani/h: ei(=j koi/ranoj e)/stw, ei(=j basileu/j, %(= dw=ke Kro/nou pa/i+j a)gkulomh/tew skh=ptro/n t¡ h)de\ qe/mistaj, i(/na/ sfisi bouleu/vsi“. Bemerkenswert ist auch De partibus animalium 3 665b15-16, wo Aristoteles dieselbe Metapher verwendet, um zu beweisen, dass das Blut eine einzige Quelle hat, nämlich das Herz: „a)rxh\n de\ tou/twn a)nagkai=on ei)=nai mi/an (o(/pou ga\r e)nde/xetai, mi/an be/ltion h\) polla/j), h( de\ kardi/a tw=n flebw=n a)rxh/“ („Und diese [Adern] müssen alle einen einzigen Ausgangspunkt haben. Denn einer ist, wo dies möglich ist, besser als viele. Das Herz ist aber der Ausgangspunkt der Adern“; Wolfgang Kullmanns Übersetzung). 348 In der letzten Passage von Œconomica 3 147, 17-19 macht Aristoteles noch einmal etwas Ähnliches. Dort zieht er eine Zeile von Pindar heran (Fr. 214) und zitiert ihn erneut falsch (zum dritten Buch der Œconomica besitzen wir bloß eine lateinische Quelle): „In quibus qui vicerit, maximum meritum a diis consequitur, ut Pindarus ait: dulce enim sibi cor et spes mortalium multiplicem voluntatem gubernat, secundum autem a filiis, feliciter ad senectutem depasci“ („Wer hier den Sieg davonträgt, der wird von den Göttern den größten Lohn erlangen, und den ‚geleitet, erquickend das Herz, als Freundin | Süße Hoffnung, die menschlichen Sinns | des wankelmütigen, Steuer ist’, wie Pindar sagt“; Renate Zoepffels Übersetzung). Das pindarische Zitat kennen wir durch Platon (Politeia 331a). Bei ihm wiederum heißt es so: „glukei=a oi( kardi/an | a)ta/lloisa ghrotro/foj sunaorei= | e)lpi\j a(\ ma/lista qnatw=n polu/strofon | gnw/man kuberna=|“ („Von solchem weicht nie des Herzens Labsal, die freudvolle Alterspflegerin | Hoffnung, die am allermeisten der Erdensöhn’ unstäten Sinn lenkt“; Wilhelm Siegmund Teuffels Übersetzung). | 125 | (als Antonym zu „Epigraph“) nenne349. Vielleicht hat Menn Recht, wenn er zusammen mit Ravaisson L für den letzten Teil der ganzen Metaphysik hält und die Bücher MN vor L stellt. 1.2 A map of Metaphysics L (nach dem Beispiel von M. Burnyeat) Myles Burnyeat hat eine Karte (map) für das Buch Z der Metaphysik erstellt. In diesem Abschnitt folge ich seinem Beispiel, um hier meine eigene Karte zu L zu präsentieren350. Doch normalerweise ist eine Karte minimalistisch und liefert weder Beschreibungen noch Details. Wer sich für eine entspannte Reise gut ausrüsten will, besorgt sich vor allem einen Reiseführer – um die Metapher weiter fortzusetzen –, der dem Reisenden nützliche Hinweise, organisatorische Etappen und lohnende Aussichtspunkte bietet. Damit kann man bereits den Unterschied zwischen der nachstehenden „Karte“ und dem im Anhang dieser Arbeit vorzufindenden „Reiseführer“ ahnen: Hier zeige ich ganz schlicht die architektonische Struktur des zwölften Buches der Metaphysik, beim „Reiseführer“ lenke ich die Aufmerksamkeit auf jedes kleine Detail der Reise durch den gesamten Text von L. Die nachstehende Karte besteht also aus den folgenden Punkten: * Vorbereitung für die Besteigung: (a) Ein allgemeiner Überblick über L | L1 (b) Zwei falsche Wege: weder der Weg der Materie noch der Weg der Form. Hinweise | L2-3 * Erste Etappe: (c) Der richtige Weg: die effiziente Kausalität | L4 (d) Darstellung der richtigen Strategie: die e)ne/rgeia | L5 * Zweite Etappe: (e) Aufwärts: die Prinzipien der effizienten Kausalität | L6 349 Hegel ahmt Aristoteles nach, indem er seine Phänomenologie des Geistes auch mit einem geänderten Zitat von Schiller beendet. 1728 schreibt Schiller das Gedicht Die Freundschaft, dessen letzten Zeilen sind: „aus dem Kelche dieses Geisterreiches | schäumt ihm seine Unendlichkeit“. Hegel beendet sein Werk mit folgenden Wörtern: „aus dem Kelch des ganzen Seelenreiches | schäumt ihm – die Unendlichkeit“. 350 Silvia Fazzo gliedert nur L1 und vergleicht jede Zeile mit dem in Z2-3 dargestellten Program. Fazzos Absicht besteht jedoch darin, die Ähnlichkeiten zwischen Z und L zu zeigen. Vgl. Fazzo (2008), 176-177. | 126 | (f) Ziel erreicht: das erste Prinzip beziehungsweise die erste Substanz überhaupt | L7 * Drei weitere Blicke zurück, um das gesamte L und sein Ziel besser zu betrachten: (g) Die Transmission der Bewegung über – wie viele? – Vermittler | L8 (h) „Denken“ ist die e)ne/rgeia der ersten Substanz, da sie nou=j ist | L9 (i) Die Beziehung dieses Prinzips – des Guten – mit der Welt | L10 Vorbereitung für die Besteigung (a) Ein allgemeiner Überblick über L L1 [1069a18-1069b2 (nota bene: Ende schon bei b2, nicht erst, wie üblich, bei b9)] Ziel: Das Programm des Buches vorzustellen. 1. Das Programm: die Untersuchung der Prinzipien und Ursachen der Substanz. [1069a18-30] 2. Allgemeine Fragen zu der bevorstehenden Diskussion. [1069a30-b2] Nota bene: L1 endet bei 1069b2. (b) Zwei falsche Wege: weder der Weg der Materie noch der Weg der Form. Hinweise L2 [1069b3-34] Ziel: Die Erforschung der Prinzipien beziehungsweise der Ursachen der sichtbaren Substanz: die Materie. 1. Die Materie ist unabdingbar, um die Veränderung zu erklären. [1069b3-15] 2. Unterbrechung: Definition von „metabolh/“. [1069b15-20] 3. Fortsetzung von (1.): Auflistung von Autoren, die die Materie kannten (Anaxagoras, Empedokles, Anaximander, Demokrit). [1069b20-24] 4. These: Es gibt verschiedene Arten von Materien. [1069b24-25] 5. Über die topische Materie der Himmelskörper. Argument der Notwendigkeit: Die Gestirne bewegen sich und sind ewig, sie besitzen also zwangsläufig eine Materie jenseits des Entstehens und des Vergehens. [1069b24-26] | 127 | 6. Fortsetzung von (2.): Fragen über das Verhältnis zwischen metabolh/ und e)ne/rgeia/du/namij. [1069b26-32] 7. Schlussfolgerung aus L2: Drei Veränderungsprinzipien: Form, Privation, Materie. [1069b32-34] L3 [1069b35-1070a30] Ziel: Die Erforschung der Prinzipien beziehungsweise der Ursachen der sichtbaren Substanz: die Form. 1. Anknüpfung an L2. Notwendigkeit eines ersten Bewegers. [1069b35-1070a4] 2. Die Entstehung der sichtbaren Substanz. [1070a4-9] 3. Die Form existiert nur zusammen mit dem su/nolon. [1070a9-20] 4. Die Formursache existiert nicht vor der Entstehung des su/nolon, ob sie es gänzlich oder nur teilweise überlebt. [1070a21-26] 5. Schlussfolgerung aus L3: Die Form ist kein Prinzip, da sie gleichzeitig zu ihrem Objekt ist. Kritik an Platons Position. [1070a26-30] * Schlussfolgerung aus der Einheit L2-3: Erklärung der Prinzipien der sichtbaren Substanz: Weder die Materie noch die Form sind das gesuchte erste Prinzip. Erste Etappe (c) Der richtige Weg: die effiziente Kausalität L4 [1070a31-b35] Ziel: Es muss eine effiziente Ursache geben, die ewig ist, das heißt eine getrennte Substanz. 1. Darstellung mehrerer Thesen, Fragen und Aporien über die Elemente der sichtbaren Substanz bezüglich der Kategorien. [1070a31-b9] 2. Rückkehr zur Anfangsthese von L4 [1070a31-33], um diese zu stützen: Die Prinzipien von verschiedenen Dingen sind unterschiedlich, aber laut der Analogie sind es dieselben. Beispiele. [1070b10-21] | 128 | 3. Unterscheidung zwischen (inneren) Elementen und (äußeren) Ursachen. [1070b22-34] 4. Schlussfolgerung: Es muss einen ersten Beweger geben, der eine Substanz ist. Bestätigung der Bewegungsursache – keine Formursache. [1070b34-35] Vgl. L5 (6.) [1071b1-2] (d) Darstellung der richtigen Strategie: die e)ne/rgeia L5 [1070b36-1071b2] Ziel: Untersuchung der Kausalität aus der Sicht der modalen Theorie (und der Prädikation). 1. Argument: Die Prinzipien sind Substanzen. [1070b36-1071a3] 2. Untersuchung der Kausalität aus der Sicht der modalen Theorie. [1071a3-a17] 3. Unterscheidung zwischen Nah- und Fernursachen. [1071a17-24] 4. Wiederholung: Inwiefern die Ursachen laut der a)nalogi/a – mit der Betonung auf ihrer strikten Verschiedenheit – dieselben sind. [1071a24-29] 5. Aufstellung und Lösung einer Aporie, um die bisher erarbeiteten Fortschritte zusammenzufassen. Anknüpfung an L6. [1071a29-b1] 6. Schlussfolgerung: Es muss eine e)ne/rgeia-Substanz geben, um die Kausalität jenseits beziehungsweise unter den verschiedenen Kategorien zu erklären. [1071b1-2] Vgl. L4 (4.) [1070b34-35] * Schlussfolgerung aus der Einheit L4-5: Eine erste, immer verursachende Substanz ist notwendig, um sowohl die Ortsbewegungen aller Dinge als auch das Entstehen/Vergehen der sichtbaren Substanzen zu erklären. Zweite Etappe (e) Aufwärts: die Prinzipien der effizienten Kausalität L6 [1071b3-1072a21 (nota bene: Ende erst bei a21, nicht bei a18)] Ziel: Erklärung der Ortsbewegung und vor allem des Entstehens/Vergehens, Erklärung der notwendigen Prinzipien. | 129 | 1. Anknüpfung an L1. Programm für die Einheit L6-7. [1071b3-5] 2. Unmöglichkeit: Nicht alle Substanzen sind vergänglich. [1071b5-11] 3. Unmöglichkeit: Nicht alle Substanzen sind ewig: Einige besitzen ein Veränderungsprinzip. [1071b12-16] 4. Unmöglichkeit: Das Prinzip schließt keine du/namij ein. Notwendigkeit: Es muss eine essentielle e)ne/rgeia sein. [1071b16-20] 5. [Seltsame] Digression: Den Bewegern der himmlischen Sphären sind dieselben Attribute zuzuordnen. [1071b20-22] 6. Der resultierende Widersinn, wenn man die du/namij vor der e)ne/rgeia einordnet. [1071b22-b31] 7. Anerkennung jener, die ein ewiges, aktives Prinzip aufstellen: Leukipp und Platon. Kritik: Ihnen fehlt die entsprechende Begründung. [1071b31-34] Fortsetzung in (10.). 8. Nichts geschieht ohne Ursache. [1071b34-36] 9. Versuch, eine erste Bewegung zu etablieren. [1071b36-1072a3] 10. Fortsetzung von (7.): Anaxagoras, Empedokles und jene, die eine ewige Bewegung akzeptieren, wie zum Beispiel Leukipp. [1072a3-7] 11. Absurdes Szenario, falls die du/namij vor der e)ne/rgeia kommen sollte. [1072a7-10] 12. Erklärung: Wie es ewige Bewegung und ewiges Entstehen/Vergehen gibt. [1072a10-17] 13. Schlussfolgerung aus L6: So geschieht das Entstehen/Vergehen in der natürlichen Welt. Anknüpfung an L8 mithilfe astronomischer Hinweise. [1072a17-18] * Trotz „e)pei/“ [1072a19] halte ich die ersten Zeilen von L7 für einen Ausschnitt aus dem Schlussteil von L6 [13a]: Nichts kann aus einem Prinzip mit du/namij entstehen. [1072a19-21] (f) Ziel erreicht: das erste Prinzip beziehungsweise die erste Substanz überhaupt L7 [1072a21-1073a13] Ziel: Existenzbegründung des ersten Prinzips (eine ewige Substanz, die e)ne/rgeia ist) und dessen Kausalität (es bewegt, ohne sich selbst zu bewegen). Beschreibung des genannten Prinzips. | 130 | 1. Der erste Himmel ist ewig und folgt einem Kreislauf. Er hat einen Beweger. [1072a21-24] Vgl. L8. 2. Notwendigkeit eines ersten Bewegers. Erste Charakterisierung. [1072a24-26] 3. Gesamtbewertung von zwei bewegungslosen Bewegern: o)rekto/n und nohto/n. [1072a26-30] Fortsetzung in (5.). 4. Das Thema „nou=j“ wird zum ersten Mal aufgegriffen. [1072a30-34] 5. Fortsetzung von (3.) mit Hinweisen von (4.): Erklärung über das Gute. [1072a34-1072b1] 6. Welche Art von Finalursache diese Bewegungsursache bewegt. [1072b1-4] 7. Argument, um die Existenznotwendigkeit des ersten Bewegers zu beweisen. [1072b4-13] 8. Der erste Beweger wirkt auf den ersten Himmel, und der seinerseits wirkt auf die sichtbare Welt. [1072b13-14] Vgl. den Himmel als Bewegungsvermittler: (2.1) [1072a24]; über die erste Bewegung: (7.4) [1072b8-10]; Bewegungsübermittlungstheorie: L8. 9. Erste Beschreibung Gottes: Das angenehme Leben des ersten Bewegers. [1072b14-18] 10. Fortsetzung von (4.): Revision der allgemeinen Theorie des nou=j. [1072b1823] Fortsetzung in (11.). 11. Fortsetzung von (4.) und (10.): Über den nou=j überhaupt. [1072b23-25] Anknüpfung an (12.). Dies wird in L9 nachgeholt. 12. Zweite Beschreibung Gottes: Gott ist das optimale [vgl. L10], ewige, glückliche Lebewesen. [1072b24-30] 13. Eine Art Korollarium, um eine Antwort zu verdeutlichen: Das Schöne und das Gute sind an sich keine Ergebnisse, sondern Prinzipien. [1072b30-1073a3] Anknüpfung an L10. 14. In der Mitte von (15.): Beweis dafür, dass die erste Substanz keine Größe haben kann. [1073a5-11] Vgl. L8 (11.) [1073b38-1074a14] 15. Schlussfolgerung aus L7: Dritte Beschreibung Gottes: Es gibt eine ewige, unbewegliche, getrennte, unteilbare und unveränderbare Substanz. [1073a3-13] 16. Alle Bewegungen kommen nach der Ortsbewegung. [1073a12]351 351 Ich bin mir nicht sicher, wo dieser Punkt innerhalb von (15.) einzuordnen ist. Er knüpft gut an L8 (2.) an. | 131 | * Schlussfolgerung aus der Einheit L6-7: Die Existenz des gesuchten Prinzips aller Bewegungen beziehungsweise des Entstehens/Vergehens zu beweisen ist gelungen, aber noch nicht vollendet. Drei weitere Blicke zurück, um das gesamte L und sein Ziel besser zu betrachten (g) Die Transmission der Bewegung über – wie viele? – Vermittler L8 [1073a14-1074b14] Ziel: Begründung der Prinzipienanzahl. 1. Programm von L8: Die Begründung der Prinzipienanzahl. [1073a14-23] 2. Rekapitulation der Schlussfolgerungen aus L7: Der erste Beweger ist bewegungslos; wie soll die von ihm verursachte Bewegung sein? Einleitung zum nächsten Argument. [1073a23-25] 3. Erstes Argument: Für jede himmlische Bewegung muss es einen Beweger – eine Substanz – geben. [1073a26-34] 4. Zweites Argument: Die Anzahl der himmlischen Bewegungen entspricht jener der ewigen, unbeweglichen und unkörperlichen Substanzen. [1073a341073b1] 5. Korollarium von (3.) und (4.): Solche Beweger sind Substanzen. Es gibt eine geordnete Serie von ihnen. [1073b1-b3] 6. Einleitung zur Untersuchung der Anzahl der Substanzen. [1073b3-8] 7. Ausgangsthese für alle Untersuchungen (6.): Jedem Planeten sind mehrere Bewegungen zuzuschreiben. Es gibt also mehr Bewegungen als bewegliche Objekte. [1073b8-10] 8. Methodik und Programm der genannten Untersuchung. [1073b10-17] 9. Darstellung der Theorien von Eudoxos. [1073b17-32] 10. Darstellung der Theorien von Kallippos. [1073b32-38] 11. Aristoteles’ eigene Berechnungen und Kalkulationen: Es sind 49 unbewegte Beweger. [1073b38-1074a14] 12. Ende der mathematisch-astronomischen Kalkulation. [1074a15-17] 13. Philosophisches Argument: Es müssen die besagten Bewegungen vorliegen. [1074a17-25] | 132 | 14. Argument: Ein Stern verursacht die existierenden Bewegungen. [1074a2531] 15. Argument: Wenn es nur einen einzigen Beweger gibt, dann gibt es auch nur einen Himmel. [1074a31-38] Vgl. L7 (14.) [1073a5-11] 16. Epilog: Über die mythologische Vergötterung der Planeten. [1074a381074b14] (h) „Denken“ ist die e)ne/rgeia der ersten Substanz, da sie nou=j ist L9 [1074b15-1075a10] Ziel: Wie der nou=j und sein Denken sind. 1. Programm: Bereits in L7 wurde über den nou=j im Allgemeinen diskutiert. Nun wird ausschließlich über den göttlichen nou=j und die daraus resultierenden Schwierigkeiten gesprochen. [1074b15-17] 2. Erster Schritt des Arguments: Der göttliche nou=j muss an etwas denken. [1074b17-18] 3. Zweiter Schritt: Nichts Externes bestimmt sein Denken. [1074b18-21] 4. Dritter Schritt: Er denkt nicht an etwas Äußerliches oder an etwas anderes als an sich selbst. [1074b21-27] 5. Vierter Schritt: In diesem nou=j ist keinerlei Spur von du/namij zu finden. [1074b28-33] 6. Schlussfolgerung des Argumentes: „kai\ e)/stin h( no/hsij noh/sewj no/hsij“. [1074b32-35] 7. Darstellung zweier Schwierigkeiten. [1074b35-1075a5] 8. Fortsetzung von (7.): Darstellung und Lösung einer dritten Schwierigkeit. [1075a5-7] 9. Fortsetzung von (7.): Lösung der zweiten Schwierigkeit. Anknüpfung an L10. [1075a7-10] (i) Die Beziehung dieses Prinzips – des Guten – mit der Welt L 10 [1075a11-1076a4] Ziel: Begründung der Beziehung des allerersten Guten mit der Welt. Untersuchung anderer Meinungen. | 133 | 1. Programm: Begründung des Verhältnisses des Guten mit dem Kosmos. [1075a11-12] 2. Vergleich: Das Gute ist im Kosmos wie der General – und die Schlachtordnung – im Heer. [1075a12-15] 3. Das All besitzt eine innere Ordnung. Die Natur aller Dinge ist ein Prinzip, das zum Guten des Alls beiträgt. [1075a16-25] 4. Neues Subprogramm als wesentlicher Teil von L10: Untersuchung der Meinungen der bedeutendsten Autoren und der relevantesten Theorien. [1075a25-27] 5. Allgemeine Meinung: Alles stammt von den Gegensätzen ab. [1075a28-32] 6. Zweite Meinung: Die Materie ist einer der Gegensätze. [1075a32-34] 7. Das Böse ist kein Mitprinzip. Allein das Gute ist das Prinzip von allem. [1075a34-1075b1] 8. Kritik an Empedokles’ Position. [1075b1-7] 9. Kritik an Anaxagoras’ Position. [1075b8-11] 10. Fehler jener, die die Gegensätze akzeptieren. [1075b11-17] 11. Zwei Prinzipien deuten ein oberes Prinzip an. [1075b17-20] 12. Es gibt nichts über der sofi/a. [1075b20-24] 13. Fehler der Theologen und Kosmologen: Es gibt nur sichtbare Substanzen. [1075b15-27] 14. Gegen die Platoniker: Die Formen und Zahlen sind keine Ursachen – erst recht keine Bewegungsursachen. [1075b27-28] 15. Besonderer Fall: Gegen die Position der Platoniker beziehungsweise der Pythagoreer. Zahlen können kein Kontinuum bewirken. [1075b28-30] 16. Fortsetzung von (15.): Allgemeiner Fall: Gegensätze können keine Bewegung verursachen. [1075b30-34] 17. Unmöglichkeit zu erklären, wie alle Sachen Eins sind. [1075b34-37] 18. Gegen Speusippos’ Position: Unmöglichkeit mehrerer Prinzipien. [1075b371076a4] * Schlussfolgerung aus der Einheit L8-10: Aristoteles ist es gelungen, was auch andere Autoren erreichten, und zwar die Begründung der ersten Ursache. Seine Theorie ist allerdings deutlich besser, da er die Art der Kausalität, die Übertragung der Bewegung und die Beziehung zur Welt ausführlicher erklärt. | 134 | 3.3 Entscheidende Begriffe in L Nachstehend gebe ich eine kurze Auflistung der Passagen in L, in denen die 18 wichtigsten Schlüsselbegriffe jeweils zum ersten Mal verwendet werden. Eine ausführlichere Liste ist als Anhang zu dieser Arbeit zu finden. Dabei handelt es sich um eine Tabelle mit den Hauptbegriffen des ganzen Buches, den entsprechenden Passagen, in denen sie vorkommen, sowie deren Häufigkeit. L1 1069a18 ou)si/a L1 1069a18 a)rxh/ L1 1069a19 ai)ti/a L1 1069a24 xwristo/n L1 1069a26 stoixei=on L1 1069a33 a)ki/nhtoj L1 1069b3 metabolh/ L2 1069b15-16 e)ne/rgeia/du/namij L2 1069b31 nou=j L4 1070a32 a)nalogi/a L6 1071b7 ki/nhsij L7 1072a28 kalo/j L7 1072a35 a)risto/j L7 1072b23, 25 qei=on, qeo/j L8 1073b4 filosofi/a 352 L10 1075a12 a)gaqo/j L10 1075b20 sofi/a Dadurch wird deutlich, dass die Untersuchung mit der Substanz in L1 beginnt und mit der sofi/a bei L10 endet. Bereits relativ früh erwähnt Aristoteles die e)ne/rgeia, die in dieser Schrift eine ganz besondere Rolle spielt. 352 Hier kommen die Begriffe im Zusammenhang mit der metabolh/ vor. In L5 verwendet er sie erneut, um die (effiziente) Kausalität zu erklären. | 135 | 2. Ist L abhängig oder unabhängig von der Metaphysik? Im Jahre 1834 behauptet Brandis zum ersten Mal, L sei ein Buch für sich selbst, das heißt, es sei kein Teil der Metaphysik. Obwohl Schwegler sehr früh (1846) seine Zweifel daran äußert, weil er glaubt, die Antworten zu den Aporien in L zu finden, gewinnt Brandis’ Idee dank Jaeger und Ross an Zuspruch. Schwegler selbst entdeckt die von Pseudo-Alexander beobachtete Spaltung des Buches in zwei Hälften wieder – eine Lesart, die von Bonitz weiterhin intensiv unterstützt wird. Später vereinen sich bei Jaeger beide Ideen, das heißt die brandissche und die schweglersche Lesart. Jaeger argumentiert, L könne aufgrund seiner Zweiteilung nicht zur Metaphysik gehören. Diese vermutete Teilung sollte gleichzeitig die wichtigsten Diskussionen der Metaphysik widerspiegeln. Peu à peu erklärt sich L durch diese Hermeneutik von der Metaphysik unabhängig. Dieser Status erreicht seinen Höhepunkt, als Ross L fast ein Jahrhundert später zu einem Werk des Aristoteles über systematische Theologie erklärt. Die Argumente dafür, L als ein eigenständiges Werk anzusehen, sind im Grunde genommen drei: (a) L zitiert kein anderes Buch der Metaphysik; (b) L mag sich nicht dem Rest der Metaphysik beziehungsweise den zehn ursprünglichen Büchern anpassen; (c) L befasst sich mit einem anderen Thema, nämlich mit den immateriellen Substanzen. In diesem Zusammenhang lautet Fredes Ausgangspunkt: Die philosophische community hält L für ein eigenständiges Werk353. Frede und Patzig sind sogar der Meinung, Aristoteles habe zuerst L und erst danach die Substanzbücher geschrieben354: Vielmehr scheint es so zu sein, dass L bereits geschrieben war, als die Metaphysik entstand, und dass sich Aristoteles hilfsweise dieses Textes bediente, um zunächst einmal überhaupt irgendeine Behandlung der Frage der immateriellen ousia zu haben. 353 Dies war damals immer noch umstritten; vgl. zum Beispiel Reale (1968) und (1997). Frede & Patzig (1986), 23. Etliche Jahre später meint Frede; vgl. Frede (2000a), 3: „It still remains the case the L looks like an independent treatise which has just been inserted into the Metaphysics, a treatise which could as well have been inserted at the end of the Metaphysics rather than as the twelfth book, a treatise which has not been integrated even superficially into the surrounding text, which in its first part runs parallel to the discussion provided by the central books, and in that sense reduplicates it [...]“. 354 | 136 | Tatsächlich sind Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen L und den Substanzbüchern zu finden: Gödeckemeyer355 sieht beispielsweise eine Menge Ähnlichkeiten, Ross356 beobachtet später auch einen Parallelismus zwischen Z79 und L2-3, um bloß zwei Beispiele zu nennen. Das Positive an Fredes Forderung, L als ein eigenständiges Buch anzunehmen, ist, dass es eine frische Lesart des Buches gebracht hat, ohne den Versuch, es a priori und a fortiori in Zusammenhang mit dem Rest der Metaphysik zu bringen. Fredes Erläuterung unterstützt tatsächlich die zunehmende Distanzierung der Kommentatoren zur theologischen Interpretation von L. Mit den philologischen Untersuchungen hat diese (erwünschte) „Entdeckung“ der Eigenständigkeit des zwölften Buches –das heißt, die angeführte Nicht-Zugehörigkeit zur Metaphysik von L– die Kommentatoren dazu geführt, L anders zu verstehen. Um den Erfolg dieses „unabhängigen“ Verständnisses von L zu verstehen, muss man zwei Faktoren einbeziehen: (a) Das Problem der Integration der zwei Hälften von L, die bis damals fremd und unzusammenhängend waren, scheint damit gelöst zu sein. (b) Angeblich will die erste Zeile des L-Textes eine Theorie über die Substanz vorstellen, ohne eine klare Verbindung zu den vorherigen Seiten der Metaphysik herzustellen357. Seit Owens und vor allem dem XIV. Symposium Aristotelicum im Jahre 1996 –Michael Fredes Vortrag überragt an diesem Punkt alle Anderen–, wird L als ein Aufsatz verstanden, der einzig und allein von der Substanz handelt. Das ist die jüngste Interpretation, die seit der Veröffentlichung der Akten des genannten XIV. Symposium Aristotelicum im Jahre 2000 allgemein akzeptiert und verbreitet wurde358. Das Verständnis der Eigenständigkeit von L bringt allerdings eine Schwierigkeit mit sich, auf die man gleich am Anfang von Fredes Arbeit stößt. Folgendes Zitat ist zwar lang, aber es lohnt sich, Fredes Meinung darüber zu kennen359: The reason why this is crucial [L als selbstständiger Aufsatz, der ursprünglich zur Metaphysik nicht gehört] is that this assumption brings with it a certain approach to 355 Beispielsweise: L1 1069a18 soll Z1-2 entsprechen; L1-2 1069b3-34 ! H1 1042a24ff. und H5 1044b21ff.; L3 1069b35-1070a9 ! Z7-9; L3 1070a9-13 ! Z3 1029a2-7 und H1 1042a26-31; L3 1070a13-30 ! Z8 1033b20-1034a8 und H3 1043b19-23; vgl. Gödeckemeyer (1907) und (1908). 356 Ross (1924), xxix. 357 Vgl. den Abschnitt ‚Eine schwache ousiologische Lesart von L’ im vorliegenden Kapitel dieser Arbeit. 358 Als eine der ersten akribischen Gegenreaktionen gilt Donini (2002). Für ihn wäre das ganze L Physik, müsste man L1-5 als Physik betrachten. 359 Frede (2000a), 4-5. | 137 | the text. If it originally was an independent treatise, we should approach it as such. And that is to say that in our interpretation of it we should not feel constrained by the assumption that the view it presents has to fit in with the view presented by what precedes and what follows L in the Metaphysics, that the arguments it advances fit in with an overall argument of the rest of the Metaphysics. For, given that the questions the Metaphysics raises as a text have not been fully resolved, we do not even know whether there is such a thing as an overall argument of the Metaphysics, whether there is an overall view presented by this writing. We do not know whether all the parts are informed by one and the same conception of the metaphysical enterprise. It seems safe to say that L is a metaphysical treatise, but we should not even presume from the outset that the conception of metaphysics underlying it is the same as that underlying other parts of the Metaphysics. In this sense we should approach it as a treatise by itself, try to understand it on its own terms, without letting our understanding of this be prejudged and constrained by what we believe we know about the rest of the Metaphysics so as to bring L in line with the text as a whole. Damit deutet Frede an, dass wir L nicht zu einem Teil des Werkes, das wir unter dem Titel Metaphysik kennen, zählen sollten, selbst wenn es ein authentisches Werk des Aristoteles sei. Um dies zu erklären, hat sich der Gebrauch des Wortes „Projekt“ eingebürgert. So findet man Ausdrücke, die behaupten, L sei ein anderes Projekt als das der Metaphysik. Der Begriff „Projekt“ kann leicht zu Missverständnissen führen. Es ist deswegen notwendig, seine doppelte Bedeutung zu erklären. „Projekt“ könnte sich gut auf den generellen Plan beziehen. Das Projekt der Politik ist beispielsweise die Begründung von Bedingungen für eine optimale Regierung der Polis360, während andererseits das Projekt der Poetik darin besteht, die Gründe und Elemente der Kunst des Dichters (Epos, Tragödie, Dithyramben-Dichtung, Komödie) zu etablieren361. Diese beiden Ideen könnte man „Verlagsprojekte“ oder vielleicht besser „bibliographische Projekte“ bezeichnen, da sie exoterische Werke des Stagiriten sind. So unterscheidet man sie von den schon bekannten Pragmatien. Die zweite Bedeutung des Ausdrucks ist eher philosophisch. Im Werk Politik stellt Aristoteles sein politisch-philosophisches Projekt vor, während er sein ästhetisches Projekt in der Poetik nur teilweise darstellt. Beide 360 Höffe (2005), 478: „(politei/a; lat. civilitas, res publica) meint damit die rechtlich-soziale, auch ökonomische und sittliche Ordnung eines Gemeinwesens, einschließlich dessen Ämtern, Gesetzen und maßgeblichen Zielen“. 361 Rapp (2005), 472: „Die ‚p.t.’ [poiêtikê (sc. technê)] untersucht, welche Wirkung jede Art von Dichtung hat, wie man die dargestellte Handlung komponieren muss und aus welchen Teilen ein Stück besteht, wenn die entsprechende Dichtung gut gelingen soll (Poet. 1, 1447a8ff.)“. | 138 | Werke – sowohl die Politik als auch die Poetik – gehören einem allgemeinen philosophischen Projekt seines Autors an. Im Gegensatz dazu gehören die Parva naturalia zum Beispiel eher zu einem anderen Projekt, einem biologischen. Was bedeutet also, dass L „ein anderes Projekt“ als das von der Metaphysik sei, oder dass L ein „eigenständiges Buch“ repräsentiere? Wer diese Ausdrücke verwendet, gebraucht die erste Bedeutung des Begriffs „Projekt“: L wurde nicht als ein Teil der Metaphysik geschrieben. Es ist trotzdem evident, dass beide Texte Teile eines gemeinsamen Projektes im Sinne der oben genannten zweiten Bedeutung sind: Beide sind Teile des metaphysischen Projektes des Stagiriten, Kernstücke seines Versuches, die Welt zu erklären. Mit dem Ausdruck „eigenständige Schrift“ wird also vor allem angedeutet, dass L eine redaktionelle Einheit bildet. Dies heißt aber nicht, dass dieses Buch ein absolutes und fremdes Projekt verfolgt. Man kann –und muss sogar– Brücken zu anderen Gliedern der Metaphysik und des Corpus bauen, um L besser zu verstehen. Die redaktionelle Autarkie von L bedeutet insofern nicht, dass alle notwendigen Elemente für das Verständnis des Textes im Text selbst zu finden sind. Au contraire: Da L die Suche der ersten Prinzipien darstellt, sollte man möglichst viele Vorkenntnisse aus anderen Büchern der Metaphysik und des Corpus sammeln. 2.1 Gemeinsamkeit eines Projektes: A und L Betrachtet man L als Ganzes, bemerkt man, dass es tatsächlich Gemeinsamkeiten mit dem allgemeinen Projekt der Metaphysik hat, unabhängig davon, ob sich dieses während des Lebens seines Autors weiterentwickelte oder nicht, oder ob verschiedene Darstellungen mehrerer Projekte in L enthalten sind oder nur eine einzige. Selbst wenn L ursprünglich nicht zum Buch Metaphysik gehörte, schließt dies nicht aus, dass wir es als einen Teil des ganzen metaphysischen Projekts des Aristoteles verstehen müssen. Um es anders auszudrücken: Der Leser muss im Hinterkopf behalten, dass das zwölfte Buch mit dem weitreichenderen metaphysischen Projekt des Aristoteles verbunden ist. Der Leser muss sich bewusst sein, dass L unumstritten ein Teil davon ist362. 362 Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Im Gegensatz dazu sind die zoologischen Schriften kein Teil des metaphysischen Projektes. | 139 | Nur mit den notwendigen Vorkenntnissen über die aristotelische Lehre der Metaphysik ist man in der Lage, L richtig zu interpretieren. Aristoteles bearbeitet L mit demselben Geist und demselben Impuls, wie beim Schreiben der Metaphysik beziehungsweise des ganzen Corpus. Als Bestätigung dafür dienen beispielsweise die zahlreichen Teile des L-Textes, die mit Passagen anderer Bücher der Metaphysik verwandt sind. Burnyeat hat etwas dazu zu sagen: Seiner Meinung nach gab es ein großes und allgemeines Projekt – oder sogar mehrere Projekte –, um die erste Philosophie fortzuführen. Keins davon scheint aber vollendet worden zu sein. Er denkt, L sei ein Teil davon, selbst wenn es ein anderes Projekt als das von ABGE, ZHQ, I oder MN war. Das heißt, L ist doch Bestandteil des metaphysischen oder erst-philosophischen Projektes des Aristoteles gewesen, genau wie die anderen schon genannten Teile, auch wenn es offenbar zu einem anderen bibliographischen Projekt gehören würde363: That is why I belongs in the Metaphysics alongside ZHQ and L. But this does not make it the link between ZHQ and L. There is no such link. [...] But it [I] has no organic connection with either of the Books that flank it. [...] L does not belong in the sequence. The Metaphysics as we have it is a patchwork, irretrievably incomplete. There was an overall plan for developing first philosophy, or several such plans. But none was ever completed. L was completed. But if, as we saw earlier, L begins where Z begins, it is unlikely to have been part of any plan that included ABGE, ZHQ, or I and MN. Das metaphysische Projekt des Aristoteles verfügt über verschiedene Aspekte, Diskussionen und Fragen, aber grundsätzlich ist es ein weiterer Aspekt der Frage par excellence der vorsokratischen Philosophie: die Frage nach der beweglichen Realität und ihrer Prinzipien. Fredes Vorschlag – L als einen vollständig vom Rest der Metaphysik unabhängigen Text anzuerkennen – scheint unsinnig, wenn nicht sogar unmöglich. Wie kann man überhaupt L begreifen, wenn man noch nicht einmal Grundkenntnisse über die darin enthaltenden Begriffe hat?364 363 Burnyeat (2001), 140. Es ist außerdem umstritten – Frede und andere Autoren behaupteten es dennoch –, dass die Metaphysik tatsächlich von Aristoteles stammt. Man kann also weder so tun, als ob L nicht das Werk des Autors der Metaphysik, noch ob L das einzige Werk des Autors sei. Da L eine Schrift des Aristoteles ist, sollte es als ein aristotelischer Aufsatz gelesen, verstanden und begriffen werden. 364 | 140 | Zuerst Schwegler und später auch Merlan behaupten, dass Aristoteles in L etliche Aporien des dritten Buches beantworten will365. Diese Meinung teilt auch Menn. Er beweist, dass L an den Rest der Metaphysik – vor allem an A und an die Aporien von B – anknüpft366: […] the opening sentence of L looks like a reminiscence of H1, tw=n ou)siw=n zhtei=tai ta\ ai)/tia kai\ ai( a)rxai\ ta\ stoixei=a (1042a5-6). In any case, the argument of L1 shows that the chapter is not the beginning of a new treatise: h( qewri/a picks up something Aristotle has already been discussing, presumably in earlier books of the Metaphysics, and in picking up that discussion now he is identifying the skopo/j of L, not in the first instance as ousiology, but as archeology. Die erste Äußerung des Aristoteles am Anfang des zwölften Buches lautet: „peri\ th=j ou)si/aj h( qewri/a“ („Über die Substanz geht die Betrachtung“)367. Es ist für viele nicht völlig klar, ob mit „h( qewri/a“ das ganze Buch L bezeichnet wird oder etwas anderes. Diskussionen darüber gab es sowohl früher als auch heute. 365 Vgl. Merlan (1946), 21, Fußnote 66. Menn (masch. Manuskript), § „L1, the status of L1-5, and the skopo/j of L“, 13-23. In seinem Beitrag zum XVI. Symposium Aristotelicum erwähnt Menn diese Idee mehrere Male, wie zum Beispiel (2009), 212-213: „Aristotle had described wisdom as the science of the a)rxai/ and first causes, and he regards this as the consensus of all who pursue knowledge for its own sake. Each pre Socratic physicist tries to explain all things by tracing them back to the a)rxai/, where the a)rxai/ are the first of all things, whatever there was before the ordered world came to be out of them: the correct a)rxh/ for beginning the narrative discourse about the world is with the a)rxh/ or a)rxai/ from which the world itself began, and the only first causes that we can use to explain the things in the world are the a)rxai/ that we have posited at the beginning [...] Aristotle’s predecessors thus agree that wisdom will be a knowledge of the a)rxai/, even if they have very different views on what these a)rxai/ are, how they are causes, and what discipline leads us to know them. When Aristotle says that wisdom is the science of the a)rxai/, he does not mean ‘a)rxh/’ simply in the broad sense in which it is coextensive with ‘cause’ (in that sense, all sciences are sciences of a)rxai/), but in the same strict sense in which the physicists and Academics meant it, the first of all things. And in A and B he is pursuing the questions of what these a)rxai/ are, how they are causes (and of what), and whether any of the disciplines that have so far been practised as means to the a)rxai/ – physics, dialectic, and Pythagorizing mathematics – have succeeded in reaching the a)rxai/, or whether some new discipline must be found. Aristotle will claim, in Metaphysics E1, that wisdom must be a ‘first philosophy’ considering separately existing immaterial things, distinct from physics (which deals with things that have separate existence but are material) and from mathematics (which, Aristotle says, deals with things that are immaterial but do not exist separately); dialectic, as a science of immaterial, separately existing Platonic Forms, might be such a first philosophy if there were Platonic Forms, but there are not, and a fourth discipline is needed. And one of Aristotle’s reasons for raising aporiai about the a)rxai/ (both in A and in B) is to show that earlier philosophers, and the disciplines they practise, are not able to solve these aporiai, and thus to motivate the Metaphysics’ project of constructing a new discipline for reaching the a)rxai/; he will take up many of the aporiai in L, and will argue there that he is able to solve the aporiai, and (especially in the polemical conclusion L10, 1075a151076a4) that his competitors are not.“ 367 Metaphysica L1 1069a18. Eine ähnliche Idee findet man am Anfang des Buches E, im Passus 1025b3-4: „ai( a)rxai\ kai\ ta\ ai)/tia zhtei=tai tw=n o)/ntwn, dh=lon de\ o(/ti $(= o)/nta“ („Die Prinzipien und Ursachen des Seienden, und zwar insofern es Seiendes ist, sind der Gegenstand der Untersuchung“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). Darin darf man eine Kontinuität der aristotelischen Forschung erblicken. 366 | 141 | Man geht davon aus, es beziehe sich doch auf das ganze Buch L, sofern es sich dabei tatsächlich um ein eigenständiges Buch handelt. Ich sehe im Wort „qewri/a“ dennoch ein weiteres Zeichen für das Verhältnis zwischen A und L, um zu argumentieren, dass es doch ein Teil eines breiteren Werkes – nämlich der Metaphysik – ist. Das Substantiv „qewri/a“ stammt von dem Verb „qewre/w“ und bedeutet „sehen“. A1 ist voll von Referenzen zu diesem und weiteren ähnlichen Verben des Sehens, wenn Aristoteles über die gerade begonnene Untersuchung der Prinzipien aller Dinge spricht. In A5 986b13 und b18 zum Beispiel verwendet er auch den Ausdruck „ske/yij (tw=n ai)ti/wn)“, um sich erneut über die vorliegende Untersuchung der Prinzipien zu äußern. Das Substantiv stammt von einem ähnlichen Verb des Sehens: „ske/ptomai“; es heißt so viel wie „anschauen“, „betrachten“ oder „beobachten“368. Gleich danach kommt wiederum das Substantiv „zh/thsij“ vor, welches von dem Verb „zhte/w“ stammt. Damit bezieht man sich nicht nur auf die „Suche“ und die „Untersuchung“, sondern auch auf den Begriff „Bewunderung“ – ein Wort, dass Brücken zu den Verben des Sehens baut, denn „Bewunderung“ ist ein Schlüsselbegriff in den Büchern A und a der Metaphysik369. Aristoteles vergleicht sogar die philosophische Suche mit dem Sehen („o)/mmata“) der Fledermäuse370. Diese visuelle Metapher wird in demselben Kontext später wieder verwendet371. Als einziges Gegenbeispiel könnte man das Verb „qigga/nw“ anführen, welches eher einen taktilen Aspekt andeutet: „umarmen“ oder „sich mit etwas befassen“372. Mit dem Wort des Sehens in der ersten Zeile von L mag Aristoteles also andeuten, dass diese Untersuchung dieselbe Untersuchung wie im ersten Buch ist. 368 Vgl. auch a3 998a17-18: „dio\ skepte/on prw=ton ti/ e)stin h( fu/sij“. Vgl. auch dem Wort „zhth/simoj“, einem verwandten Wort, das auch der Bedeutung Sehen nahe kommt: ‚Jener Ort, wo man Wild findet’. 370 Metaphysica a1 993b9-11: „w(/sper ga\r ta\ tw=n nukteri/dwn o)/mmata pro\j to\ fe/ggoj e)/xei to\ meq¡ h/me/ran, ou/(tw kai\ th=j h(mete/raj yuxh=j o( nou=j pro\j ta tv= fu/sei fanerw/tata pa/ntwn“ („Wie sich nämlich die Augen der Fledermäuse gegen das Tageslicht verhalten, so verhält sich die Vernunft unserer Seele zu dem, was seiner Natur nach unter allem am offenbarsten ist“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). Bonitz gibt „nukteri/j“ als „Eule“ fehlerweise wieder. 371 Vgl. zum Beispiel Metaphysica A5 986b24: „[...] a)ll¡ ei)j to\n o(/lon ou)rano/n a)poble/yaj to\ e(/n ei)=nai/ fhsi to\n qeo/n“ („[...] sondern im Hinblick auf den ganzen Himmel sagt er, das Eine sei Gott“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 372 Vgl. Metaphysica A7 988b18. Ähnlicherweise ist „a)kroa/seij“ (aus „a)kroa/omai“: „zuhören“, „anhören“) in a3 994b32 zu finden. Ich nehme dies nicht als Gegenbeispiel, da es dort nur sehr allgemeinen angesprochen wird. 369 | 142 | 2.2 Auf der Suche nach der archäologischen Rolle von L innerhalb der Metaphysik Auf der anderen Seite schreibt Aristoteles ausführlich über die Substanz in den sogenannten mittleren Büchern der Metaphysik. Eine der darin erhaltenen Hauptideen lautet, die Substanz sei das Erste373. Diese Idee konvergiert mit dem Anfang von L. Jedoch könnte die genannte Konvergenz wieder zu einer falschen Auslegung des Textes führen und gewissermaßen – aus Gewohnheit oder aufgrund von Trägheit – auch ein Hindernis darstellen, L anders zu lesen. Die Konvergenz beabsichtigt meiner Meinung nach, keine noch ausführlichere Version der (teilweise) bereits bekannten Substanzlehre auf den Tisch zu bringen, sondern erfordert eher eine neue Diskussion. Die Fredesche ousiologische Lesart ist nicht gerade ökonomisch. Wozu eine andere Darstellung derselben Lehre? In der Tat bietet L nur wenige Neuigkeiten über die Substanzlehre an374. Ich teile Fredes Einschätzung nicht, dass Aristoteles sich auch hier erneut prinzipiell über die Substanzen äußern will. Ich gehe deshalb davon aus, dass Aristoteles in Wahrheit etwas anderes als eine neue Darstellung seiner Substanzlehre erarbeiten will. Ich erachte L also eher für einen Versuch, die (ersten) Prinzipien zu erklären. Der Kontrast zu Fredes Position ist nun offensichtlich. Er behauptet, die Substanzlehre führe zwangsläufig zur Untersuchung der Substanzprinzipien. Dieses sei also der zentrale Punkt in L. Ich vertrete im Gegenteil die Position, die Untersuchung der Prinzipien enthalte an sich eine Lehre über die Substanz per definitionem. In diesen Zusammenhang stelle ich das Programm des zwölften Buches vor: Es ist eine Diskussion über die Prinzipien, die eine Darstellung der Substanzlehre enthält. Aus dem gesuchten a)rxh/ stammt also die bereits von Menn vorgeschlagene Adjektivisierung „archäologisch“375. Große Bedeutung gewinnt Burnyeats Interpretation von L im Rahmen seines Werkes über das siebte Buch 373 Dieses wird an verschiedenen Stellen der Metaphysik, vor allem im siebten Buch, behauptet. Vgl. zum Beispiel Metaphysica Z1 1028a13-15: „tosautaxw=j de\ legome/nou tou= o)/ntoj fanero\n o(/ti tou/twn prw=ton o)\n to\ ti/ e)stin, o(/per shmai/nei th\n ou)si/an“; vgl. auch Metaphysica Z1 1028a29-31; Z1 1028a34-35; Z6 1032a5-6; Z17 1041a28, unter anderen. 374 Vgl. den Abschnitt ‚Die schwache ousiologische Lesung von L’ in diesem Kapitel. 375 Menn gebraucht dieses Adjektiv, um seiner eigenen Lesart einen Namen zu geben; vgl. Menn (masch. Manuskript) § „L and the Metaphysics“, 1-13 (wie zum Beispiel 11: „L will always be disappointing if it is read as a contribution to ousiology or ontology. But it is very interesting when it is read as what it is, a contribution to archaeology“) und § „L1, the status of L1-5, and the skopo/j of L“, 13-23. Vgl. auch Menn (2009), 211-221 und 253-265. | 143 | der Metaphysik376. Dort vertritt er eine ähnliche Position wie jene, die man auf den vorliegenden Seiten findet377: L defined its task as that of finding the principles and causes of substantial beings (L1 1069a18-20), where substantial beings (we soon learn) covers all three ranks of substantial beings enumerated at 1069a30-b2. Eine Theorie der Prinzipien muss immer eine Theorie über die Substanz einschließen, zumal die Substanz das Erste ist. Diese Prinzipien, das heißt die Substanzprinzipien, werden also zuerst erforscht. Aus zwei Gründen beginnt man mit den sichtbaren Substanzen: (a) weil sie uns am nächsten liegen, und (b) weil man das Prinzip der Bewegung sucht, die nur den sichtbaren Substanzen zuzuschreiben ist. So kommen die unsichtbaren Substanzen ins Spiel, die gewissermaßen als Prinzipien der sichtbaren Substanzen gelten. Aristoteles beschäftigt sich damit und gibt diesbezüglich eine Erklärung. Gerade dadurch lernt man viel über die aristotelische Vorstellung der Substanz, vor allem aber über die bisher fast unbekannten immateriellen Substanzen. Dies entspricht der oben genannten Substanzlehre. Gott spielt in diesem Kontext eine relevante Rolle, da er die erste Substanz ist, von der die Bewegung aller Substanzen abhängt. Deshalb sprechen einige Kommentatoren fälschlicherweise von einer (aristotelischen) „Theologie“. Von der ersten Substanz hängen – wie gesagt – alle Bewegungen ab. Das spezifische dieser Substanz ist allerdings nicht ihre Immaterialität, da es auch andere dieser Natur gibt, sondern eher ihr absolutes „e)ne/rgeia-Sein“. „Actuality is Aristotle’s key term for understanding God“378, resümiert Burnyeat. Diese Substanz ist die erste und zudem die einzige, die überhaupt keine Potenz kennt. Dadurch wird sie von der scholastischen Tradition oft „reine e)ne/rgeia“ genannt379. „ou)si/a“ sollte also nicht der Hauptbegriff von L sein. Ich finde diesen eher im Begriff „e)ne/rgeia“, weil L die 376 Vgl. Burnyeat (2001), 6. Kapitel, vor allem 132-134 und 140-148. Burnyeat (2001), 133. 378 Burnyeat (2001), 130, n.8. 379 Offensichtlich stammt dieser Ausdruck aus der sogenannten Theologie des Aristoteles; vgl. Alonso (1958), 315. Vermutlich ist der Begriff actus purus allerdings von den Dominikanern verbreitet worden. Der Bischof von Paris, Wilhelm von Auvergne (um 1180-1249), macht davon zum Beispiel in seinem De Trinitate 4 („Quod illud ens [Gott] est unum et nullomodo commune“) Gebrauch; vgl. Le Feron, Hg. (1674), 5. Viel häufiger wird der Ausdruck von Thomas von Aquin (1225-1274) verwendet vor allem in der prima pars seiner Summa theologiae (24 Mal) aber auch in Super sententiis (19 Mal) und in der Summa contra gentiles (17 Mal). Unter seinen Kommentaren zu den aristotelischen Werken ist der Ausdruck nur ein einziges Mal zu finden; vgl. Commentaria in octo libros Physicorum 1, l. 15, n. 7. Bei seinem Freund, dem Franziskaner Bonaventura (1221-1274), ist er auch zu finden. 377 | 144 | Suche nach dem Ursprung der Bewegung – wieder eine Art von e)ne/rgeia – darstellt380. Die e)ne/rgeia dient wohl eher als universelles und allgemeines Prinzip der (beweglichen) Realität denn als das Entscheidende der ersten Substanz. Meiner Meinung nach will Aristoteles in L nicht den Vorrang der Substanz vor allen anderen verteidigen, sondern eher die Voranstellung der e)ne/rgeia. Darin besteht der wesentliche Unterschied zu den mittleren Büchern, dadurch wird klar: In ihnen zeigt Aristoteles, wie die Substanz das Erste ist. In L aber beabsichtigt er eine Theorie aufzustellen, in welcher die Hauptrolle eine „substanziierte e)ne/rgeia“ spielt. Dazu kommen noch zwei weitere Schwierigkeiten: Die erste besteht in dem Verständnis der Dyade e)ne/rgeia/du/namij im Sinne der sogenannten modalen Theorie381. Diese Auffassung der du/namij und der e)ne/rgeia führt zu dem Gedanken, dass beide modi der Substanz sind. Das gilt zwar für die du/namij, allerdings nicht immer für die e)ne/rgeia. Bei diesem modus gibt es eine einzige Ausnahme, und zwar die erste Substanz. Bei ihr ist das „e)ne/rgeia-Sein“ kein modus, sondern ihr eigenes to\ de\ ti/. So stößt man auf die zweite Schwierigkeit: Diese e)ne/rgeia steht „auch“ für die (erste) Substanz. Das ist zwar korrekt, weil sie tatsächlich eine Substanz ist, aber um diese e)ne/rgeia zu begreifen, ist es nicht ausreichend, sie einfach nur „(erste) Substanz“ zu nennen. Dies würde ihr Sein und ihre Natur nicht ausreichend beschreiben. All das erfährt man im Buch L. Wer L auf diese Weise betrachtet, dem wird zum einen klar, dass die Substanz in der ganzen Diskussion eine sehr wichtige Rolle spielt, zum anderen, dass sie in einer Diskussion über die e)ne/rgeia mündet. Meines Erachtens folgt Aristoteles im zwölften Buch diesem Weg: von der Unterscheidung der Substanz in drei verschiedene Arten382 über die 380 Kahn denkt, „Beweger“ sei der Schlüsselbegriff, um L zu verstehen. Er registriert in einer Fußnote die Wichtigkeit der e)ne/rgeia/du/namij: „As act is prior in being to potency (Q8), so immobile substance is prior in being and causality to moving substance; but this means that metaphysics is prior to physics and needed for the complete explanation of motion in the natural world. This is no doubt part of the thought expressed in the enigmatic formula ‘universal because first’“: Kahn (1985), 319, Fußnote 10. 381 Aristoteles macht von solchen Namen keinen ausdrücklichen Gebrauch. 382 Burnyeat beschreibt es so: „If L starts from sensible substantial beings, this is because they are better know to us than the other two ranks of substantial being (cf. Z3 1029b3-12)“. Und er erklärt es weiter: „The point of reminding us, here and at the beginning of L6 1071b3, that the first two ranks of substantial being are studied by physics is that, since they are ‘also’ studied by physics, the reader can be expected to come to first philosophy already familiar with matter and form and other factors in the Aristotelian analysis of change. Compare A3 983a33-b1, which says that the four causes have been ‘sufficiently’ explained in the Physics; the knowledge we are assumed to have is now to be put to a new | 145 | Untersuchung der Substanzprinzipien hin zum ersten Prinzip überhaupt, nämlich der e)ne/rgeia. Dafür schlage ich hier eine schwache ousiologische Lesart vor, die zu einer gewissen sofi/a-Lesart führen soll, um die „substanziierte e)ne/rgeia“ als Kernstück des zwölften Buches aufzuzeigen383. Ich wage sogar die Behauptung, in L orientiere sich die Substanzlehre teleologisch an der e)ne/rgeiaLehre. Oder wäre dieser Ansatz überzogen? Auf den folgenden Seiten soll diese Frage diskutiert werden. 3. Wortuntersuchung Dass das Prinzip einer jeden Substanz auch selbst eine Substanz ist, ist weiterhin umstritten. In diesem Sinne scheint die Lesart Fredes prima facie richtig: Es sieht so aus, als wollte Aristoteles eine möglichst ausführliche Substanzlehre darstellen mit dem Schwerpunkt auf den unsichtbaren Substanzen. Dafür erklärt er nicht nur die sichtbaren Substanzen, die wir aus unserer Welt kennen, sondern auch deren Prinzipien, das heißt die unsichtbaren Substanzen. Die Zahl der Seiten, auf denen dies diskutiert wird, geben Frede gewissermaßen Recht, zumal sich die meisten Seiten von L auf diese Substanzen beziehen. Selbst die „ou)si/a“ ist – wie kein anderer in L – der am häufigsten zu findende Begriff. Ich möchte jedoch auf jene Seiten von L aufmerksam machen, auf denen der Begriff „e)ne/rgeia“ die Hauptrolle spielt. Nur so kann man die erste Substanz wirklich verstehen: Sie ist e)ne/rgeia jenseits aller du/namij, diese ständige Aktivität hört niemals auf. Dies erfordert zwangsläufig eine neue Lesart von L. Meiner Lesart zufolge ist L kein unabhängiger Text, sondern der Teil der Metaphysik, der die ersten Prinzipien (der beweglichen Realität) erforscht und erklärt. Unter „Prinzipien (der beweglichen Realität)“ sind die Prinzipien der sichtbaren Substanz zu verstehen. Das erste Prinzip ist eine Substanz. Deshalb muss sich Aristoteles mit ihr bafessen. Man trifft sie gleich am Anfang von L. Dies ist aber nur ein Teil des use. [...] First philosophy is first in the order of understanding, but last in the order of learning“: Burnyeat (2001), 133. 383 Mit „schwach ousiologischer“ Lesart deute ich an, dass L doch etwas zur Substanzlehre des Aristoteles beiträgt, obwohl seine zentrale Aufgabe darin besteht, die Prinzipienlehre vorzustellen. Menn nennt die „archäologische“ Interpretation, ich hingegen „sofi/a-Lesart“; vgl. den Abschnitt ‚Die schwache ousiologische Lesung von L’ in diesem Kapitel. | 146 | ganzen Programms des Buches und nicht dessen Hauptziel oder Hauptthema. Selbst wenn das L-Projekt die Untersuchung der ersten Prinzipien der Realität ist, wird – schon rein quantitativ – ausführlich über die Substanz gesprochen, da der Stagirit noch erklären muss, inwiefern die unsichtbaren Substanzen Prinzipien der sichtbaren sind. Darüber hatte er sich bisher kaum geäußert. Aber jenseits dieser Seiten über die Substanz trifft man den wesentlichen Kern der unsichtbaren Substanz: das e)ne/rgeia-Sein. Meiner Meinung nach ist das Stichwort e)ne/rgeia der Schlüsselbegriff des Buches, denn ohne ihn wäre die Prinzipienlehre in L unvollständig. Aus diesem Grund schlage ich vor, L einmal aus dieser Perspektive zu lesen. Die e)ne/rgeia ist demnach wichtig, um die aristotelische Lehre von L richtig zu verstehen. Der Gebrauch des e)ne/rgeiaBegriffs in L ist entscheidend für eine richtige Auslegung der Prinzipienlehre im besprochenen Buch. In diesem Sinne ordnet sich eine gewisse ousiologische Lesart der Suche nach der sofi/a unter. Damit versuche ich zu betonen, dass das wesentliche und entscheidende Kernstück der Substanz ihr e)ne/rgeia-Sein ist. Aristoteles erklärt in Z, wie die Frage nach dem Sein (to\ o)/n) der Suche nach der Substanz entspricht384. Und so beginnt er, sie in den mittleren Büchern mithilfe von Begriffen wie Akzidenzien, Entstehen und Vergehen, Materialität et cetera zu erklären. Auf eine ähnliche Weise entspricht die Frage nach der ersten Substanz der Frage nach der e)ne/rgeia. Die ontologische Eigenständigkeit (xwristo/n) ist wesentlich für jede Substanz: Dies ist uns nur durch den Kern der e)ne/rgeia, den die Substanz in sich einschließt, verständlich. Die erste Substanz ist aber in jeder Hinsicht eigenständig. Dies ist nicht so aufgrund irgendeines inneren e)ne/rgeia-Kerns, sondern eher, weil sie e)ne/rgeia ohne weitere du/namij ist. Der Unterschied zwischen der ersten Substanz und der natürlichen ist also ontologisch385. Weiterhin bedeutet dies, dass die Untersuchung der Physik und des Buches Q der Metaphysik bezüglich der e)ne/rgeia nicht das letzte Wort haben. Die Ergebnisse von L bringen neue und entscheidende Elemente in die e)ne/rgeiaLehre ein. 384 Vgl. Metaphysica Z1 1028b2-4: „kai\ dh\ kai\ to\ pa/lai te kai\ nu=n kai\ ai)ei\ zhtou/menon kai\ ai)ei\ a)porou/menon, ti/ to\ o)/n, tou=to/ e)sti ti/j h( ou)si/a“ („Und die Frage, welche von alters her so gut wie jetzt und immer aufgeworfen und Gegenstand des Zweifels ist, die Frage, was das Seiende ist, bedeutet nichts anderes als, was das Wesen ist“; Hermann Bonitz’ Übersetzung). 385 Die Differenz zwischen der ersten Substanz und den anderen unsichtbaren Substanzen ist spezifisch: Jeder unbewegte Beweger ist eine eigene Spezies. Außerdem ist zu bemerken, dass die erste Substanz absolut unbewegt ist, während die Beweger der Sphären eine akzidentelle Bewegung erhalten; vgl. Merlan (1946). | 147 | Ein großes Hindernis oder sogar ein mögliches Gegenargument dieser hier vorgeschlagenen Lesart zugunsten der sofi/a ist die geringe Anzahl von Stellen in L, in denen der Begriff „e)ne/rgeia“ im Vergleich zu „ou)si/a“ zu finden ist. Frede meint sogar, dass die Annährung an das Thema „Substanz“ in Z genau entgegengesetzt sein sollte: Während Z die Substanz mithilfe der modalen Theorie erklärt, untersucht L ihre Prinzipien. Trotz der Lücken muss man eingestehen, dass Aristoteles doch erklärt, wie die unsichtbaren Substanzen Prinzipien der sichtbaren sind beziehungsweise sein können. Doch eine detaillierte Diskussion über die Prinzipien der unsichtbaren Substanzen fehlt noch bei Aristoteles. Während „ou)si/a“ 68 Mal in L vorkommt386, liest man „e)ne/rgeia“ nur 30 Mal – weniger als die Hälfte. Was „ou)si/a“ betrifft, so kommt dieser Begriff im achten Kapitel 18 Mal vor. Andererseits stößt der Leser im sechsten Kapitel 11 Mal auf das Stichwort „e)ne/rgeia“. Dazu summiert sich der Begriff „du/namij“, der 23 Mal wiederholt wird. Wenn man also die Anzahl dieser beiden Begriffe addiert, ist die Differenz zwischen ihnen und dem Begriff „ou)si/a“ nicht so hoch. Außerdem: „a)rxh/“ und „ai)ti/a“ sind auch Schlüsselbegriffe, die man im zwölften Buch sehr oft vorfindet: „a)rxh/“ 38 Mal und „ai)ti/a“ 20 Mal. Mit diesen Zahlen will ich darauf aufmerksam machen, dass die Substanz als Hauptthema von L – rein statistisch gesehen – überhaupt nicht evident ist. Der Begriff kommt häufiger vor als andere Begriffe387. Dies ist allerdings kein schlüssiger Beweis oder ein treffendes Argument, um ausschließen zu können, dass die Substanzlehre das Hauptthema sei. Die ‚Tabelle’ im Anhang zu dieser Arbeit listet die oben erwähnten Begriffe zum Vergleich auf388. 4. Meine eigene Position: L ist sofi/ a Im vorliegenden Abschnitt stelle ich meine eigene Position zum Verständnis von L dar. Ich versuche, einen neuen Weg zu finden, der dem Leser von L eine neue Interpretation der dort vorliegenden metaphysischen Lehre eröffnen soll. Wie oben schon dargelegt, halte ich L – zusammen mit Myles Burnyeat und 386 In diesem statistischen Überblick beziehe ich selbstverständlich auch die Kognaten der entsprechenden Begriffe ein. 387 Der Begriff „qeo/j“ zum Beispiel kommt im Buch bloß 12 Mal vor. 388 Vgl. die entsprechende ‚Tabelle’ als Anhang dieser Arbeit. | 148 | Stephen Menn – im Wesentlichen eher für eine Untersuchung der Substanzprinzipien. Mit Burnyeat pace Frede teile ich die Meinung, dass L vielmehr über sofi/a statt über qeologikh/ handelt. Das Ziel der qeologikh/ wird auf anderen Seiten der Metaphysik außerhalb L erwähnt. Auch dies spricht für die Kontinuität eines einzigen Projektes innerhalb desselben Werkes: „[…] the task of finding the principles and causes of all three ranks of substantial being has the universal scope assigned to first philosophy at the end of E4 1028b3-4: to find the principles and causes of being itself qua being“389. So thematisiert L die Prinzipien und Ursachen aller Substanzen: L defined its task as that of finding the principles and causes of substantial beings (L1 1069a18-20), where substantial beings (we soon learn) covers all three ranks of substantial [sichtbar-vergänglich, sichtbar-ewig, unsichtbar-unveränderlich] being enumerated at 1069a30-b2“390. In diesem Abschnitt erkläre ich zunächst, inwiefern der L-Text eine „schwache“ ousiologische Interpretation zulässt. In diesem Sinne hat Frede teilweise Recht, wenn er die Rolle der Substanz im Buch L betont. Diese Lesart macht vor allem dann Sinn, wenn sie der sofi/a-Lesart dient, das heißt: Die Forschung der Prinzipien fängt mit der Untersuchung der Substanz an. Durch diese Diskussion wird meine eigene Position möglichst deutlich dargestellt und präzise von Menns ähnlicher Position unterschieden. Am Ende dieses Abschnitts entkräftige ich noch einen Einwand gegen meine Position, um einen Vorschlag einzuführen: Im Hinblick auf das erste Prinzip sollte man weniger über die erste Substanz reden, dafür aber über die „substanziierte Aktivität“ (e)ne/rgeia), um der e)ne/rgeia – statt der Substanz – den Vorrang der Untersuchung zu geben, denn letztendlich handelt es sich seit Anaxagoras391 um die Suche nach einem ewig-aktiven ersten Prinzip. 4.1 Eine schwache ousiologische Lesart von L Der allgemeinen Darstellung der aristotelischen Substanzlehre würde ein wesentliches Stück fehlen, wäre L nicht geschrieben worden. In diesem Sinne 389 Burnyeat (2001), 134. Burnyeat (2001), 133. Auf der vorherigen Seite hatte er bereits geschrieben: „The immediate task under this rival plan is to determine the number of principles required to explain sensible substantial being (1069a32-33: Are they one or many?), before going on in L6-10 to provide the Aristotelian alternative to Platonist views about non-sensible substantial being“. 391 Vgl. Physica 8 250b24ff. 390 | 149 | kann man zweifellos behaupten, dass unsere Kenntnisse über die Substanzlehre unzureichend wären, würde uns L fehlen, denn es ist unumstritten, dass L mit neuen Hinweisen und Elementen eine große Bereicherung für die aristotelische Substanzlehre ist. Demnach wäre es auch ein Fehler, die ousiologische Lesart radikal zu verneinen. Das ist auf keinen Fall die Absicht dieser Arbeit, denn vielmehr gilt jene Interpretation als eine der bedeutendsten Annäherungen zum Buch L. Da die Substanz eben doch ein entscheidendes Element in L ist, wäre es sowohl naiv als auch falsch, sie zu übergehen oder zu unterschätzen. Es ist also unmöglich, sich von einer ousiologischen Interpretation des Buches L zu distanzieren. Die modernen und gegenwärtigen Kommentatoren, die die Aufmerksamkeit auf diesen Aspekt zu lenken versuchen, haben teilweise Recht, wenn sie die Rolle der Substanz im zwölften Buch betonen. Problematisch ist eine (zu) starke Version dieser Interpretation. Deshalb möchte ich mich bloß gegen einen „übertriebenen“ Vorrang der ousiologischen Hermeneutik aussprechen, wie er vor allem Frede auszeichnet392. In einer ousiologischen Perspektive ist eine schwache Interpretation des Textes unbedingt notwendig. Es geht dann nicht darum, dass L ein Aufsatz über die Substanz ist, wie Frede es versteht, sondern bloß darum, dass es eine Diskussion über die Substanz enthält, die zur sofi/a führt. Die Präsenz einer gewissen Substanzlehre, die eine schwache ousiologische Lesart ermöglicht, erkenne ich in L vor allem durch folgende Charakteristiken: (a) Aristoteles sagt nirgendwo, dass er die Substanz in L als Hauptthema begreift. (b) L funktioniert teilweise auch wie eine Ergänzung zu der in den mittleren Büchern bereits dargestellten Substanzlehre. (c) Aristoteles beschreibt die unsichtbare Substanz zwar ausführlicher als in anderen Büchern der Metaphysik, aber aus Anlass einer Untersuchung ihrer Prinzipien. (d) Hätte Aristoteles die (sichtbare oder unsichtbare) Substanz in L doch programmatisch erforschen wollen, dann wäre er einer anderen Strategie gefolgt – vielleicht eher der der inneren Ursachen, so wie in den mittleren Büchern, jedoch nicht der der effizienten Kausalität. Man muss sich also im Rahmen der Gesamtdarstellung dieser Lehre mit der richtigen Rolle des Buches auseinandersetzen. Erst dann kann man die notwendigen Fragen stellen: Inwiefern vervollständigt Aristoteles mit L seine sonstige Darstellung der Substanz? Was gewinnt die aristotelische 392 Das Fredesche Verständnis des Buches begeht, wie ich es bereits darzustellen versuchte, diesen Fehler; vgl. den Abschnitt ‚Kritik an Fredes Position’ im 2. Kapitel dieser Arbeit. | 150 | Substanzlehre durch L? Inwiefern wird sie gegebenenfalls im zwölften Buch vertieft? Diese Fragen deuten eine gewisse Bereicherung der allgemeinen Substanzlehre an. Bereits in den mittleren Büchern wurde die sichtbare Substanz als Hauptthema angenommen. Doch im zwölften Buch sind noch zwei beachtenswerte Beiträgen zur Lehre über die vergängliche Substanz zu bemerken: (a) Ihre Prinzipien sind wiederum unvergängliche Substanzen393. (b) Die Substanzbücher erforschen die Substanz mittels der e)ne/rgeia/du/namij, während L sie durch die Kausalität erforscht. Es sind zwei völlig verschiedene Annährungen zur Substanz. Der Weg der Kausalität von L erlaubt Aristoteles, die Neuigkeit der e)ne/rgeia-Substanz zu erreichen, die er in den mittleren Büchern nicht entwickelt hatte. Damit gewinnt die Forschung der Substanz einen wichtigen Impuls. Im Bereich der unsichtbaren Substanzen sind in L drei wesentliche Neuheiten zu finden, die die Substanzlehre bereichern und bestimmen. (c) Die Darstellung der ewigen Planeten und ihrer ewigen lokalen Bewegung. Nur in L liegt eine Antwort auf die Frage nach der Bewegung der ewigen Planeten vor. Prima facie scheint dies widersprüchlich, zumal alle ewigen Substanzen jenseits der Bewegung liegen. Ausnahme jedoch ist die lokale Bewegung einiger Himmelskörper. Aristoteles erklärt es mithilfe der sogenannten „topischen Materie“, die außerhalb von L2 nicht zu finden ist – auch nicht in den mittleren Büchern der Metaphysik394. Wäre dies in L nicht enthalten, dann wäre die Bewegung der Planeten und anderer Himmelskörper kaum zu verstehen. Trotzdem fehlt uns eine weitere Präzisierung der topischen Materie395. (d) Die Lehre der unbewegten Beweger des Himmels. L liefert die einzige Erklärung über die Bewegung des Himmels und seiner Sphären im ganzen Corpus. L8 ist tatsächlich eine komplexe Darstellung des aristotelischen astronomischen Systems, das unsere Kenntnisse über die Substanzlehre erheblich erweitert. (e) Doch als wichtigster Beitrag zur Substanzlehre gilt die in L vorhandene Lehre der ersten Substanz. Ihre Darstellung in Physik 8 ist – in Zusammenhang mit L – von großer Bedeutung, da sie eine neue Perspektive 393 Vgl. zum Beispiel Frede (2000a), 9-10. Vgl. Metaphysica H4 1044b8-9. Dort stellt Aristoteles sie als eine reine Hypothese vor. 395 Silvia Fazzo ist der Meinung, diese Materie ist das einzige Prinzip der Himmelskörper. Fazzo (2013a), 172: „Unlike corruptible beings, whose substance is matter, sc. du/namij, heavenly beings do not have ‘matter, sc. du/namij’ as their own substance. That is why there is no effort in eternal heavenly movement, and no reason to be afraid that it will ever cease (Q.8, 1050b21-9)“; vgl. auch Fazzo (2013a), 175. 394 | 151 | zum ersten Beweger liefert396. Aber Aristoteles macht in L etwas anderes als im achten Buch der Physik. Von daher ist diese Lehre über die erste Substanz ein wichtiger Beitrag. Worin liegt der Hauptunterschied zwischen Physik 8 und Metaphysik L? Das 1., 3.-6. und 10. Kapitel des achten Buches der Physik ist hier relevant. Die Bewegung ist das Hauptthema der Physik 8397, deshalb muss auch der Stagirit zuerst die Begriffe „ki/nhsij“, „h)re/mhsij“ und „xro/noj“ dort erklären. In L muss er auf diese Begriffe nicht wieder eingehen, denn der erste Unterschied zur Physik besteht darin, dass L sich vor allem mit den Substanzprinzipien beschäftigt. Aristoteles beginnt seine Untersuchung des Ursprungs der Bewegung in der Physik mit den Theorien der alten Denker, vor allem Anaxagoras und Empedokles. Anaxagoras meinte, die Bewegung habe der nou=j initiiert. Aristoteles setzt diese Intuition in L fort. Eine ähnliche Untersuchung der Theorien seiner Vorgänger macht Aristoteles auch in L2, selbst wenn seine Perspektive dort eine völlig andere ist. In L2 kommt die „modale Theorie“ vor, die Aristoteles in Metaphysik Q bereits erarbeitet hatte398. In der Physik ist die Natur die Ursache des Kosmos: „Die Natur ist für alles Ordnungsursache“399. Doch diese Konzeption wird in L anders aufgegriffen: Der erste Beweger ist die Ursache des Kosmos: „Nicht er ist nämlich durch die Ordnung, sondern die Ordnung durch ihn“400. In Physik 8.4 bietet Aristoteles zwei Argumente401 zugunsten eines ersten Bewegers, wobei beide in einen Selbstbeweger münden. In dieser Hinsicht zeigt L einen Fortschritt, indem dort von einem unbewegten Beweger die Rede ist. Das kündigt Aristoteles erst am Ende des fünften Kapitels des achten Buches an: „Es ist also klar, dass es einen unbewegten Beweger gibt“402. Physik 8 macht keinen weiteren Forstschritt in diesem Bereich. In L geht 396 Im 3. und 4. Buch von De motu animalium diskutiert Aristoteles auch die Bewegung des ersten Himmels und die Funktion des ersten Bewegers. 397 Physica 8 248b10. Simplikios, Porphyrios und Philoponos sowie in unseren Tagen Ross sind der Meinung, das achte Buch der Physik sei das Werk Ta\ peri\ kinh/sewj, welches Aristoteles selbst in De generatione et corruptione 318a4 unter anderen erwähnt. Vgl. Brunschwig (1991) und Barnes (1997). 398 Jede Referenz zur modalen Theorie fehlt in der Physik. Die einzige Ausnahme ist 8 251a10-20, wo Aristoteles eine bestimmte Bedeutung von „Bewegung“ mithilfe der „modalen Theorie“ näher erklärt. 399 Physica 8 252a13: „h( ga\r fu/sij ai)ti/a pa=sin ta/cewj“ (meine Übersetzung). 400 Metaphysica L 1075a15: „ou) ga\r ou(=toj dia\ th\n ta/cin a)ll¡ e)kei/nh dia\ tou=to/n e)stin“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung). 401 Vgl. Physica 8 256a14ff. und 256b4ff. 402 Physica 8 258b4: „fanero\n toi/nun e)k tou/twn o(/ti e)/stin to\ prw/twj kinou=n a)ki/nhton“ (meine Übersetzung). Vgl. auch Physica 8 258b11-12: „to\ prw=ton kinou=n a)ki/nhton“ („der erste Beweger ist bewegungslos“; meine Übersetzung). | 152 | Aristoteles ein Stück weiter, insofern er auch einen unbewegten Beweger postuliert. Dort geht es nicht um die Bewegungskontinuität, wie es in der Physik der Fall war403. So wirft die Physik ein Problem auf: Nichts Begrenztes kann über unendliche Zeit etwas in Bewegung setzen, das heißt, keine begrenzte Größe hat eine unbegrenzte du/namij, und nichts Unbegrenztes kann eine begrenzte du/namij in sich enthalten. Daraus ergibt sich eine wichtige Frage für L: Wieso haben die sichtbaren Substanzen eine ewige Bewegung, wenn sie vergänglich sind? In L beschäftigt sich Aristoteles intensiver mit diesem Punkt. Die sichtbaren Substanzen sind einfach vergänglich, das heißt, alle haben du/namij. Der erste Beweger aber ist e)ne/rgeia. Der erste Beweger von L ist bewegungsunfähig, da es keine du/namij in ihm gibt. So beendet Aristoteles in der Metaphysik die Rede über die effiziente Ursache und nimmt die finale Ursache in Betracht, um die Überlieferung der Bewegung besser zu erklären: Der erste Beweger ist Objekt des Begehrens aller anderen unbewegten Beweger, insofern er das Gute ist. Die letzten Seiten der Physik kommen L immer näher. Der bewegungslose Beweger der Physik handelt immer und seine Aktivität ist „mühelos“ („a)/ponon“)404. In L7 liegt ein ähnlicher Passus vor: „seine Aktivität ist zugleich Lust“405. Der erste Beweger von Physik 8 bewegt durch eine ewige Bewegung in einem grenzenlosen Zeitraum. Dieser Beweger hat keine innere Teile, ist also unteilbar und hat keine Größe. So endet die Physik. Damit stimmt L überein, obwohl Aristoteles dort den Weg der e)ne/rgeia/du/namij verfolgt. Eine gewisse Bereicherung der Substanzlehre durch L ist also evident. Dies dient dem Zweck des Buches jedoch nicht direkt, sondern über Umwege. Die Substanzlehre wird der Prinzipienlehre untergeordnet, da das Thema der Prinzipien über dem der Substanz steht. Dies kommt gleich in der ersten Zeile von L1 zum Ausdruck und dient hier als Schlüssel zu meiner Interpretation. L fängt in 1069a18 folgendermaßen an: „peri\ th=j ou)si/aj h( qewri/a“ („Über die Substanz geht die Betrachtung“). Zu diesem ersten Satz wird noch eine Apposition mittels einer a)/nw telei/a samt der Partikel „ga\r“ beigefügt. Die a)/nw telei/a ist in der griechischen Sprache seit Jahrtausenden im Gebrauch und hat ihre Darstellung in Form eines Hochpunktes (:) nicht geändert. Sie entspricht 403 Die Frage stellt Aristoteles wieder in L8, aber „von oben nach unten“ (wie überträgt der erste Beweger seine Bewegung an die weiteren unbewegten Bewegern), während die Physik die Frage „von unten nach oben“ stellt (was wäre der Ursprung der kontinuierlichen Bewegung). 404 Physica 8 267b4. 405 Metaphysica L7 1072b16: „e)pei\ kai\ h(donh\ h( e)ne/rgeia tou/tou“ (Hermann Bonitz’ Übersetzung). | 153 | dem deutschen Doppelpunkt, der unter anderen Funktionen auch die Nennung einer Ursache einleitet406. Das ist hier der Fall, verstärkt auch durch die – in diesem Fall kausale – Partikel „ga\r“. So fügt Aristoteles die Ursache des ersten Satzes bei: „peri\ th=j ou)si/aj h( qewri/a: tw=n ga\r ou)siw=n ai( a)rxai\ kai\ ta\ ai)ti/a zhtou=ntai“. Die Übersetzer geben diesen Hochpunkt samt „ga\r“ mit einem „denn“ wieder, um den kausalen Sinne („weil“, „da“) widerzuspiegeln: „Über die Substanz geht die Betrachtung. Denn es sind die Substanzen, deren Prinzipien und Ursachen gesucht werden“407. Aristoteles muss über die Substanz reden, denn er sucht letztendlich ihre Prinzipien. Er ist ein Forscher der Prinzipien, deren Untersuchung mit der Untersuchung der Substanz beginnt408. Deshalb verstehe ich die ousiologische Interpretation als abhängig von der Suche der sofi/a. Wenn ich hier über eine schwache ousiologische Lesart spreche, dann ist die Rede von einer untergeordneten Rolle, insofern die Untersuchung der Prinzipien der Substanzen den Vorrang hat. Diese Unterordnung verschiedener Themen zeigt auch, dass ein gewisses teleologisches Programm innerhalb des Buches L vorliegt. Jedoch welches? In L beginnt Aristoteles seine Untersuchung über die Prinzipien mit den sichtbaren Substanzen, da diese uns am nächsten liegen. Bei so einer Untersuchung müssen die Prinzipien der sichtbaren Substanzen zuerst erklärt werden. Schon in den ersten Kapiteln erklärt der Stagirit die Materie und die Form als das gesuchte Prinzip. Das sind die ersten Schritte des zwölften Buches, um das erste Prinzip zu erreichen. Das bezieht sich auf eine ähnliche Untersuchung, die Aristoteles bereits in den mittleren Büchern der Metaphysik geführt hatte. Der Unterschied zu den Ergebnissen der Untersuchung in L ist klar: Die mittleren 406 In ihrer Fassung der Metaphysik ersetzt die Perseus Digital Library beispielsweise jede a/)nw telei/a (:) mit einem Doppelpunkt (:), um die kausale Funktionen weiterzugeben. Vgl. Metaphysica L 1069a18 apud www.perseus.tufts.edu/hopper/text;jsessionid=AABD329CEFC86F 8057A5E5E8830C5217?doc=Perseus%3Atext%3A1999.01.0051%3Abook%3D12%3Asection%3D1 069a (aufgerufen am 15. November 2010). 407 Christoph Horns Übersetzung. Weitere Beispiele (Kursivierung jeweils von mir), Hermann Bonitz’ Übersetzung: „Das Wesen ist der Gegenstand unserer Betrachtung; denn die Prinzipien und Ursachen der Wesen werden gesucht“; Thomas Alexander Szlezáks Übersetzung: „Über die Substanz geht die Betrachtung; denn von den Substanzen werden die Prinzipien und die Ursachen gesucht“; Erwin Sondereggers Übersetzung: „Die Betrachtung bezieht sich auf das Sein; denn es ist Seiendes, von dem die Prinzipien und die Gründe gesucht werden“. 408 Genau so versteht auch Menn diese Stelle, wenn er schreibt: „Further, while it is true that L is about substances, both sensible and non sensible, it is more precise to say that L is about the a)rxai/ of sensible substances, where among these a)rxai/ are the non sensible substances (L starts by saying ‘the investigation is about substance, for it is substances whose a)rxai/ and causes we are seeking’, L1, 1069a18-19)“: Menn (2009), 261. | 154 | Bücher bevorzugen die inneren Prinzipien der materiellen Substanz – das heißt die Materie und die Form –, während L eher die äußerlichen Prinzipien der sichtbaren Substanz benennt. Um sie zu erklären, folgt Aristoteles in den mittleren Büchern dem Weg der du/namij/e)ne/rgeia, in L jedoch eher dem Weg der Kausalität. Burnyeat hat die Strategie von Z bereits erläutert409. In seiner Map zu Z zeigt er verschiedene Wege, um die Prinzipien der sichtbaren Substanz zu „erreichen“. Er spricht von vier Wegen, die dort hinführen: „u(pokei/menon“ (Z3), „ti/ h=)n ei)=nai“ (Z4-6, 10-11), „kaqo/lou“ (Z13-16) und „a)rxh/ kai\ ai)ti/a ti\j“ (Z17). All diese Wege beginnen auf der logischen Ebene, wenden sich allerdings später ab und betreten die Ebene der du/namij/e)ne/rgeia unter den Namen „Materie“ und „Form“. Sein Ziel erreicht Aristoteles in Z17, das Ergebnis beschreibt er in 1041b27-32410: Das aber nun ist die Wesenheit eines jeden, da es die erste Ursache des Seins ist. Manche Dinge nun freilich sind nicht Wesenheiten; bei allen aber, die naturgemäß oder durch die Natur als Wesenheiten bestehen, würde sich diese Natur als Wesenheit zeigen, die nicht Element ist, sondern Prinzip. Burnyeat drückt sich folgendermaßen aus: „Substantial being as the primary cause of a thing’s being is nature as form“411. Nun erscheint das Hauptprinzip der sichtbaren Substanz deutlicher als zuvor: Die Form (als Natur) ist dieses Prinzip, denn sie ist ihre erste Ursache. Aus der Sicht von L betrachtet, sieht die Lage jedoch anders aus. In meiner Karte habe ich gezeigt, wie Aristoteles die Form (und die Materie, jeweils in L3 und L2) als Ursache(n) der vergänglichen Substanz verneint. Der Stagirit fokussiert sein Interesse auf die effiziente Ursache. Folglich sucht er nach etwas Äußerlichem, das als Prinzip der sichtbaren Substanzen gilt (L4). Mithilfe der modalen Theorie (L5) „findet“ er es unter den unsichtbaren Substanzen (L6-7). Deshalb muss Aristoteles noch darlegen, welchen Prinzipien solche unvergänglichen Substanzen folgen. Frede bestreitet jedoch, dass Aristoteles in L die ersten Prinzipien dieser Substanzen behandelt. Seiner Meinung nach macht Aristoteles etwas anderes: Er „entdeckt“ diese Substanzen und diskutiert 409 410 Vgl. Burnyeat (2001). „ou)si/a de\ e(ka/stou me\n tou=to (tou=to ga\r aiãtion prw=ton tou= eiånai) – e)pei\ d' eãnia ou)k ou)si/ai tw=n pragma/twn, a)ll¡ oàsai ou)si/ai, kata\ fu/sin [kai\ fu/sei] sunesth/kasi, fanei/h aän auàth h( fu/sij ou)si/a, hà e)stin ou) stoixei=on a)ll¡ a)rxh/“. 411 Burnyeat (2001), 10. | 155 | ihre Natur. Auch gegen diese Interpretation Fredes habe ich mich geäußert. Aristoteles spricht über die Prinzipien aller Substanzen, sowohl über die der beweglichen als auch über die der unbeweglichen Substanzen. Er erwähnt zum Beispiel die „topische“ Materie, ein Prinzip der Sterne, die ihrerseits ewig bewegliche Substanzen sind. Das Prinzip der ewigen unbeweglichen Substanz ist die e)ne/rgeia. Leider reichen die Erklärungen in L über diese bisher unbekannten Themen nicht aus, denn Aristoteles führt keine Diskussion über die Natur der ersten Substanz. Dennoch stellt er einige Fragen über die erste Substanz, um sie besser zu verstehen. Die letzten Kapitel von L besprechen drei wichtige Punkte: Wie überträgt diese Substanz allen anderen Dingen die Bewegung (L8), was e)nergei= sie, das heißt, was denkt sie (L9), und in welcher Beziehung steht sie zu dieser Welt (L10). Wer die Natur der ersten Substanz besser verstehen will, der soll sich am besten mit dem siebten und neunten Kapitel befassen. Mehr darf man von diesen Passagen allerdings nicht erwarten. Vor allem wünscht man sich eine nähere Definition des ersten Prinzips, aber es scheint unmöglich, es zu definieren412. Offenbar kann man es nur mithilfe eines Synonymes weiter explizieren: das „e)nergei=n“. Die Identität zwischen dem ersten Prinzip und dem „e)nergei=n“ ist real und essentiell, keines steht über dem anderen413. Das ist auch die Bedeutung der schon erwähnten Zeile „kai\ e)/stin h( no/hsij noh/sewj no/hsij“: seine Aktivität ist denken414. Dies begegnet uns auch in der Nikomachische Ethik: „Die Aktivität Gottes [...] ist die denkende Tätigkeit“. Das erste Prinzip ist e)nergei=n. Man müsste eigentlich die Begriffe „e)ne/rgeia“ und „erstes Prinzip“ als Synonyme gleichsetzen. Ein bedeutsamer Beitrag von L zur Substanzlehre besteht somit darin, die Relevanz der e)ne/rgeia dank der Untersuchung der ersten Substanz aufzuklären. Um sein Ziel zu erreichen, geht Aristoteles den Weg der Kausalität, der über die Substanz führt. Deshalb ist in L eine gewisse Ousiologie zu erkennen. Bei der Suche nach der sofi/a nimmt man eine schwach 412 In Z15 schreibt Aristoteles, es sei unmöglich, die ewigen Dinge zu definieren, vor allem wenn sie einzigartig sind, denn eine Darstellung muss Namen enthalten. Das ist der Fall der Sonne und des Mondes, aber auch des ersten Bewegers. Vgl. Metaphysica Z 1040a27ff. 413 Als Beispiel oder Zeichen dafür stellt Aristoteles in 1074b28 zwei Begriffe gegenüber, nämlich das Denken und die Potenz: „prw=ton me\n ou=)n ei) mh\ no/hsi/j e)stin a)lla\ du/namij [...]“. Hier verwendet er den Begriff „no/hsij“ als Synonym von „e)ne/rgeia“. 414 Ethica Nicomachea 10 1178b21-22: „w(/ste h( tou= qeou= e)ne/rgeia [...] qewrhtikh\ a)\n ei)/h“ (meine Übersetzung). | 156 | ousiologische Lesart des Textes wahr. Somit wurde das ganze teleologische Programm verdeutlicht. 4.2 Meine Position Menns archäologischer Lesart gegenüber So gesehen muss man sich wieder auf Stephen Menn beziehen, um den Unterschied zwischen seiner archäologischen Lesart und meiner Interpretation von L als einen Text über die sofi/a deutlicher zu machen. Im Großen und Ganzen bin ich mit Menns Hermeneutik einverstanden, vor allem in zwei Punkten, die wesentlich für unsere Arbeiten sind. Erstens: Die e)ne/rgeia ist das erste Prinzip und wir betonen es so, anstatt dem Begriff „erste Substanz“ den Vorrang zu geben. Aristoteles selbst ist diese Intuition gut bekannt, denn schon die Vorsokratiker und Platon redeten über ein erstes Prinzip, das e)nergei=. Auch der Stagirit sucht ein aktives Prinzip, denn die Bewegung der beweglichen Welt ist ewig: „Aristotle can accept that the first a)rxh/ is essentially e)ne/rgeia because he accepts that the [bewegliche] world is eternal“415. Menn weist darauf hin, dass Aristoteles keinen Weg der Zeit nach (temporary) folgt, wenn er das erste Prinzip sucht: „if, as Aristotle thinks, the ordered world has existed from eternity, then we will not be able to reach a)rxai/ by looking for what is temporally first“416. Durch meine Karte habe ich bereits gezeigt, dass Aristoteles in L4 dem Weg der effizienten Kausalität folgt. Deshalb muss er auch seine Suche mit der vergänglichen Substanz beginnen, um sich mit der effizienten Kausalität zu befassen. In meiner Karte betone ich auch die „richtige Strategie“ von Aristoteles, die der e)ne/rgeia (L5). Diese Suche eines e)ne/rgeia-Prinzips durch die vergängliche Substanz mündet in die unvergänglichen Substanzen, welche Prinzipien der vergänglichen Substanzen sind. Aristoteles muss sich dann von der effizienten Kausalität verabschieden und das erste Prinzip mittels der Finalursache weiter suchen417. Menn nennt diesen Weg „Suche kata\ ou)si/an“418. Letztendlich geht es darum, ein Prinzip zu finden, das an sich (xwristo/n) ist419. Das schreibt Aristoteles in K, wenn er das o)/n und das e(/n bespricht: „pw=j e)/sontai 415 Menn (2009), 215. Menn (2009), 216. 417 Vgl. Metaphysica L7 1072a26-30. 418 Vgl. zum Beispiel (2009), 217. 419 Aristoteles erwähnt dies bereits am Anfang von L; vgl. Metaphysica L1 1069a24. 416 | 157 | 420 xwristai\ kai\ kaq¡ au(ta/j; toiau/taj de\ zhtou=men ta\j a)id + i/ouj te kai\ prw/taj a)rxa/j“ . Zweitens: Wir betrachten L als Teil der Metaphysik, nicht als ein eigenständiges Werk an sich, wie Frede behauptet, und wir beziehen auch L8 in das ganze Buch L erfolgreich ein. So lösen wir nicht nur den alten Disput über die Zugehörigkeit des achten Kapitels zu L, sondern auch die Problematik der inneren Kohärenz des zwölften Buches. Meinerseits stelle ich die Struktur des ganzen Buches L vor: Die kürzere Version heißt „Map“ nach Burnyeats Beispiel und die längere Version nenne ich „Reiseführer“, um Burnyeats Metapher der Besteigung eines Berges beizubehalten und diese ausführlicher zu beschreiben. Doch es bestehen auch gewisse Differenzen in unseren Interpretationen. Hier will ich ein Gespräch mit Menn führen, um verschiedene Punkte unserer Positionen durchzugehen. Erstens: Selbst wenn Menn die Metaphysik für die Untersuchung der sofi/a hält, ist er der Meinung, dass L selbst nur teilweise an diesem Projekt teilnimmt. Ich gehe auch davon aus, dass die von Aristoteles gesuchte sofi/a ein work in progress geblieben ist. Allerdings nennt Menn L nicht „sofi/a“, sondern bloß „contribution“ zur sofi/a, denn die sofi/a befinde sich in der ganzen Metaphysik, wenn überhaupt, nicht in einem einzelnen Buch: „Too narrow a concentration on wisdom as a science of substance, or even, more broadly, on wisdom as a science of being, leads to disappointment with B and Q and L“421. Menn hält L für „Archäologie“, eine unvollendete Untersuchung der Prinzipien und der letzte Schritt der Suche nach der sofi/a. Meines Erachtens ist es nicht nötig, einen weiteren Namen zu schaffen, um die in L vorliegende Diskussion zu benennen, denn – wie Judson bereits bemerkt hat – die Suche nach der sofi/a entspricht auch der Suche nach der ersten Philosophie422. Dem Mennschen Neologismus „Archäologie“ schenke ich eine andere Bedeutung, nämlich die Suche der alten Vorsokratiker und der Platoniker nach den ersten Prinzipien. Wie Menn überzeugend argumentiert hat423, will Aristoteles ebenfalls zu solchen Philosophen, die die ersten Prinzipien gesucht haben, gezählt werden. In meiner Arbeit heißt „Archäologie“ die von Thales beginnende jahrhunderte alte Tradition, die Prinzipien der beweglichen Realität zu untersuchen. Damit gewinnt der Neologismus eine weitere Bedeutung, die ihn jenseits des Corpus 420 Metaphysica K 1060b1-3: „Wie werden sie getrennt und eins sein? Dies ist aber die Art von ewigen Prinzipien und Ursachen, die wir suchen“ (meine Übersetzung). Vgl. auch Menn (2009), 220. 421 Menn (2009), 261. 422 Vgl. das Kapitel ‚L ist erste Philosophie’ dieser Arbeit. 423 Vgl. zum Beispiel Menn (2009), 212. | 158 | Aristotelicum von der sofi/a und ersten Philosophie unterscheidet. Doch ich vertrete eine doppelte Bedeutung der sofi/a: Die ist vor allem das Denken der ersten Substanz, die (an) sich selbst denkt424. Denken ist das e)nergei=n der ersten Substanz und heißt sofi/a, insofern dieses Denken (an) sich selbst denkt, denn der sofi/a gehört die Kenntnis der ersten Prinzipien425. Per Homonymie heißt auch die menschliche Kenntnis der Prinzipien sofi/a. Zweitens: Für Menn ist der Begriff sofi/a eher breit, indem er sie auf drei verschiedene Arten versteht: als die Wissenschaft Gottes, als die Wissenschaft über Gott und als die menschlichen Kenntnisse über die ersten Prinzipien. Meiner Meinung nach ist das Denken Gottes – das heißt das Wissen, welches Gott besitzt, und das identisch mit der e)ne/rgeia der ersten Substanz ist – die echte sofi/a. Per Homonymie verfügt der Mensch auch über eine gewisse sofi/a, welche Aristoteles als die Suche der ersten Prinzipien beschreibt. Menn geht jedoch einen Schritt weiter, indem er auch die Wissenschaft über Gott als sofi/a versteht. Das finde ich nicht passend, denn Aristoteles hat dafür einen besonderen Begriff geprägt, die sogenannte qeologikh/. Mir erscheint es als nicht korrekt, dass Menn einen aristotelischen Begriff beiseite lässt, die qeologikh/, während er von einem neuen Begriff Gebrauch macht, von der Archäologie. Strategisch und ökonomisch wirkt dies nicht optimal. Drittens: Menn betont, dass L sich mit den unsichtbaren Substanzen beschäftigt, weil sie die sichtbaren verursachen. Diese Aussage scheint zu stark zu sein, denn L und die ganze Metaphysik beschäftigen sich mit den Substanzen jener Art. Denn die Substanz ist das, was an sich existiert. Viertens: Darüber hinaus nennt Menn L1-5 contribution towards wisdom, anstatt solche Kapitel einfach sofi/a zu nennen. Dieses Subdividieren scheint mir eher eine moderne und akademische erzwungene Unterscheidung zu sein als eine für Aristoteles selbst notwendige Distinguiertheit. Das Ziel der ganzen Metaphysik ist sofi/a, von daher wäre nicht nur L1-5 ein Beitrag oder contribution dazu, sondern auch viele andere Teile des Werkes. Ansonsten müsste Menn erklären, was ein solcher „Beitrag zur sofi/a“ heißen soll – dies bleibt jedoch eher aus. Fünftes: Die größte Differenz zwischen Menns Position und meiner eigenen besteht darin, wie der Zusammenhang 424 Richard Norman hat gezeigt, dass 1074b33ff. nicht (nur) auf einen „narzistischen Gott“ bezogen ist, sondern auf jeden selbstreflektierenden nou=j; vgl. Norman (1969). Damit bin ich einverstanden. Aber die vorherige Diskussion in 1074b28 bezieht sich doch auf den göttlichen Verstand. 425 Vgl. Metaphysica L10 1074b21ff. | 159 | zwischen sofi/a und qeologikh/ zu verstehen ist. Für Menn ist die sofi/a (und die oben genannte contribution towards wisdom) Teil der etwas breiteren qeologikh/. Unter sofi/a versteht Menn die Forschung der ersten Prinzipien, die stets unter den immateriellen Substanzen zu finden sind. Man muss also die Theologie untersuchen, um die sofi/a überhaupt erreichen zu dürfen. Meine Position dagegen ist, dass nur Gott über die wahre sofi/a verfügt, denn sie ist die e)ne/rgeia Gottes und Menschen besitzen bloß eine homonymische sofi/a im Bezug auf die göttliche. Die qeologikh/ ist also unser Wissen über Gott, wie ich bereits erklärt habe426. Dieser letzte Unterschied führt uns zu einer weiteren Diskussion über die von Menn vorgeschlagene Gliederung von L im Vergleich zu meiner eigenen. Wir gliedern den L-Text jeweils anders, wie die entsprechenden Schemata es zeigen427. Menn erkennt eine Spannung in der ganzen Metaphysik. Der Unterschied besteht darin, dass Menn darauf beharrt, die Verbindung zwischen den Aporien des dritten Buches und L zu beweisen. Die Lösungen für die bereits in B aufgeworfenen Aporien findet er in L. Dies ist eine erhellende Interpretation des Textes, mit der er die Einheit der Metaphysik zu retten versucht428. Das ist tatsächlich ein origineller Beitrag von Menn, den ich hier nicht revidieren kann. Menns Ausgangspunkt ist also, L als Antwort des ganzen aporetischen Programms der Metaphysik zu erklären. A1-2 argues that ‘wisdom’ (a name for the most intrinsically valuable science, whatever it may turn out to be) is a science of a)rxai/ and first causes, and B develops the aporiai that a science of the a)rxai/ must solve, long before G1 announces a general science of being. And Aristotle’s reason for announcing the science of being is that ‘since we are seeking the a)rxai/ and the highest causes, they must be [causes] of some nature per se’ (G1, 1003a26-8) and he proposes that the a)rxai/ will be found as causes of being, and of its per se attributes such as unity, presumably on the ground that the highest causes will be the causes of the most widely extended effects. This motivates the project in EZHQ of investigating the causes of being in each of the senses of being, not just of being as substance, but notably, in Q, of being as du/namij and e)ntele/xeia. L draws on this investigation, not out of an interest in being as substance or even in being in general […], but in order to complete the task, set in AB, of a knowledge of the a)rxai/. 426 Vgl. die Schemata in den Seiten 24 und 114. Mein Schema befindet sich in Seite 24 dieser Arbeit, Menns in Seite 114. 428 Vgl. Menn (2009), 261-262. 427 | 160 | Somit hält Menn allerdings L1-5 für ein instrumentales Werkzeug, das bei der Suche der sofi/a mitwirkt. L6-10 ziehe einige Schlussfolgerungen, um die Frage nach einer kausalen Kette, die bis zu den ersten Prinzipien zurückgeht, zu beantworten. L6-10 handele aber nicht von den Prinzipien der unsichtbaren Substanz. Für Menn bleibt das sofi/a–Projekt von Aristoteles unvollendet, von daher zögert er eigentlich, L „sofi/a“ zu nennen. Dafür verwendet er den Namen „Beitrag zur sofi/a“ („contribution towards wisdom“)429. Dieses Umtaufen kommt für mich überhaupt nicht in Frage, denn das ganze Buch L ist ja – wie oben gesagt – eine unvollendete Vorstellung der gesuchten sofi/a. Dass Aristoteles sein Projekt der ersten Philosophie nicht beendet, heißt nicht, dass man einen neuen Begriff erfinden soll („Archäologie“), um ein partielles Ergebnis zu bestimmen. Wenn Menn aber mit der Aussage „contribution towards wisdom“ diesen Teil als nicht ganz erreichtes Ziel bezeichnet, dann kann man damit einverstanden sein. Dies scheint mir aber nicht der Fall zu sein. Der wichtigste Beitrag dieser Arbeit mag in der Karte bestehen, die ich anbiete, um L besser lesen zu können. Das mag auch der größte Unterschied zu Menns Vorschlag sein, da ihm so ein praktisch skizzierter Weg fehlt. Wenn der Leser auf diese Karte schaut, dann versteht er auch, dass Menns Gliederung vom zwölften Buch sich von meiner unterscheidet. Er versteht den Text grundsätzlich als eine dreiteilige Schrift, nämlich L1, L2-5 und L6-10, während ich mehrere Teile finde: L1, L2-3, L4-5, L6-7 und L8-10. Meine Gliederung dient auch als Karte, da der Leser damit einen generellen Eindruck des gesamten Buches gewinnt, um so seinen Sinn zu begreifen. Ein Vorteil meines Vorschlags besteht außerdem darin, dass das Verstehen des Textes in kleinen und differenzierten Schritten geschieht: Erstmals das generelle Programm und die Disqualifizierung von zwei Wegen, die nicht zum richtigen Verständnis führen; dann der Weg der effizienten Kausalität, gefolgt von der Darstellung der richtigen Strategie und der Prinzipien der effizienten Kausalität sowie am Ende drei wesentliche Fragen, um die Haupttheorie des Textes zu verfeinern. Dieses Schema wirkt sehr praktisch und ist eine Art Schlüssel für den interessierten Leser von L. Bei Menns Manuskript fehlt noch, wie gesagt, diese klare Gliederung des gesamten Buches. 429 Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „L1, the status of L1-5, and the skopo/j of L“, 13-23. | 161 | Schließlich will ich noch eine kleine Anmerkung zur Lindsay Judsons Position machen. Bereits im dritten Kapitel dieser Arbeit ‚L ist erste Philosophie’ habe ich seine Interpretation diskutiert. Judson sucht einen Mittelweg zwischen der ousiologischen Interpretation Fredes und der alten theologischen Interpretation, und vertritt die Meinung, L sei eine Untersuchung der prw/th filosofi/a. Seiner Meinung nach seien E und L jeweils „a general enquiry into the principles of substances and the departmental study of theology “430, zwei Seiten einer Medaille. Mit dem Judsonschen Verständnis des Textes und dessen Struktur bin ich – wie bereits angedeutet – nicht einverstanden. Doch der Name „erste Philosophie“ passt ganz richtig zum Buch L der Metaphysik, denn die sofi/a ist letztendlich die vom Stagiriten lang gesuchte erste Philosophie, denn tatsächlich beginnt die Metaphysik wohl mit dem Ziel, die erste Philosophie zu bestimmen431 und mündet damit in L432. So beschreibt es auch Judson, denn für ihn ist die sofi/a die prw/th filosofi/a. Damit ist Menn auch einverstanden433. 4.3 Ein Einwand Gegen meine Position könnte man einen Einwand erheben. Ich antizipiere ihn, um eventuellen Zweifeln entgegenzuwirken. Grundsätzlich bezieht er sich auf das Verständnis der e)ne/rgeia in Bezug auf die erste Substanz. Das Gegenargument bezieht sich auf die Stellung der Substanz, um eine bereits entkräftete starke ousiologische Interpretation zu erneuen. Wie bereits deutlich wurde434, ist die „Substanz“ der meistgebrauchte Begriff des Buches. Ein Kritiker meiner Position könnte dies als ein Zeichen interpretieren, dass L tatsächlich eine Diskussion über die Substanz ist, wie beispielsweise unter anderem Frede behauptet. Das Gegenargument verteidigt also die Substanz als Hauptthema von L. Es handelt sich aber vor allem um eine Frage der 430 Judson (2007), 13. Vgl. Metaphysica A2 982a4: „e)pei\ de\ tau/thn th\n e)pisth/mh zhtou=men, tou=t¡ a)\n ei)/h skepte/on, h( peri\ poi/aj ai)ti/aj kai\ peri\ poi/aj a)rxa\j e)pisth/mh sofi/a e)sti/n“ („Da wir nun diese Wissenschaft suchen, müssen wir danach fragen, von welcherlei Ursachen und Prinzipien die Wissenschaft handelt, welche Weisheit ist“; Horst Seidls Übersetzung). 432 Vgl. Metaphysica L10 1075b20-21: „kai\ toi=j me\n a)/lloij a)na/gnkh tv== sofi/# kai\ tv= timiwta/tv= e)pisth/mv= ei)/nai/ ti e)nanti/on, h(mi=n d¡ ou)/“ („Andere gebrauchen einen Gegensatz zu der Weisheit und zu der besten Wissenschaft, wir aber nicht“; meine Übersetzung). 433 Vgl. Menn (masch. Manuskript), § „L and the Metaphysics“, 1-13. 434 Vgl. die ‚Wortuntersuchung’ im vorhandenen Kapitel dieser Arbeit. 431 | 162 | Wortwahl: Kommentatoren haben oft die Redewendung „aktive Substanz“ verwendet, um das erste Prinzip bestmöglich zu erklären. Demzufolge wird das Wort „Substanz“ als Substantiv benutzt und durch das Wort „aktive“ adjektivisiert. Folglich fällt die Betonung auf das Substantiv „Substanz“. Kritiker meiner Position würden einwenden, dass, wenn die Substanz der meist gebrauchte Begriff in L ist, und wenn die Redewendung „aktive Substanz“ das erste Prinzip erklären soll, dies ein Zeichen dafür ist, dass das zwölfte Buch hauptsächlich von der Substanz handelt. Doch diese Bezeichnung führt aufgrund der oben genannten Motive bloß zu Irrtümern. Der Ausdruck „aktive Substanz“ ist von den theologischen und den ousiologischen Interpretationen tief geprägt. Der Leser von L muss sich, um den Text richtig zu verstehen, vor allen Dingen von der Substanz-Perspektive befreien. Wie bereits erwähnt ist der Schlüsselbegriff des Buches die „e)ne/rgeia“, nicht die „Substanz“. Als Beleg hierfür dient der Passus des siebten Kapitels von L 1072a25: „[...] ou)si/a kai\ e)ne/rgeia ou)=sa“. Hier unterscheidet der Stagirit sehr deutlich zwischen einer Substanz und einer Aktivität, deren Wesen – ou)=sa435 – wohl e)ne/rgeia ist. Spricht man von dem ersten Prinzip, dann sollte die Betonung auf „aktive“ fallen, und nicht auf „Substanz“. Die von mir vorgeschlagene neue Formulierung funktioniert deutlich besser: Aus dem Substantiv ein Adjektiv zu machen: Das erste Prinzip sollte besser als „substanziierte Aktivität“ beschrieben werden436. Dieser neue Ausdruck bewahrt die aristotelische Bedeutung am besten, denn die Betonung fällt auf e)ne/rgeia, die mithilfe des Partizips „ substanziierte“ weiter beschrieben wird. Mein Vorschlag ist eine klare, bessere Art, das erste Prinzip zu beschreiben. Dieser Ausdruck hat allerdings auch seine Grenzen. Das Partizip „substanziierte“ ist eine statische Adjektivisierung einer anhaltenden Aktivität. Demnach könnte das Gerundium „substanziierende“ den aktiven Charakter dieser e)ne/rgeia vielleicht noch besser widerspiegeln. Das Problem liegt darin, dass es einem Prozess ähnelt, der die erste e)ne/rgeia definitiv nicht ist. Das Adjektiv „substanzielle“ überzeugt auch nicht wirklich, weil es den Charakter dieser e)ne/rgeia nur ungenau beschreibt und zu Irrtümern führen könnte. Es hört 435 „ou)=sa“ ist hier ein aktives Präsenspartizip. Als Feminin und Nominativ Singular bezieht es sich problemlos auf „e)ne/rgeia“. 436 Sprachwissenschaftler könnten hier nun auch den Auftrag bekommen, diese Konmutation als Rhetorik- oder Literaturfigur zu klassifizieren, denn meinem Kenntnisstand nach ist sie als solche unter den bekannten Figuren nicht aufgelistet. | 163 | sich an wie eine Unterscheidung zu einer e)ne/rgeia per accidens. Deshalb bleibe ich bei dem Ausdruck „substanziierte Aktivität“. So wird auch der Charakter des Werkes als Suche der sofi/a vor der ousiologischen Hermeneutik betont, da der Schwerpunkt ganz auf das Prinzip fällt, die e)ne/rgeia. | 164 | SCHLUSSWORT Die Metaphysik hat die Kommentatoren schon immer fasziniert. Doch unter ihren Büchern ragt das zwölfte Buch aus historischen Gründen hervor: Dieser Text hat eine wichtige Rolle jenseits der Philosophie gespielt und wurde lange Zeit für die „Krone“ des aristotelischen Werkes gehalten437, da in ihm zum ersten Mal in der Geschichte der Philosophie bewiesen wird, dass es nur einen Gott gibt. L deutet also auf den Anfang des philosophischen Monotheismus hin. Jahrhunderte nach dem Tod des Stagiriten haben etliche Neoplatoniker den Text von L mit einer mutmaßlichen Theologie in Verbindung gebracht, als habe Aristoteles eigentlich eine theologische Schrift vorlegen wollen. In der Tat fehlte es zu Zeiten des Aristoteles an jeglichem theologischen Bewusstsein. Das Wort qeologi/a war zwar schon von Platon erfunden worden, hatte allerdings eine ganz andere Bedeutung, nämlich die, unter der man heute „Mythologie“ versteht438. Das aristotelische Projekt enthält keine Diskussion über Gott an sich, zumindest fehlen uns jegliche Beweise, um das Gegenteil behaupten zu können. Dennoch gibt es in den Pragmatien Texte, die direkt oder indirekt teilweise von Gott handeln – der längste dieser Texte ist wohl das Buch L439. Von daher ist es vielleicht verständlich, dass die Kommentatoren zu viel in diesen Text hineininterpretiert haben. Aber wieso beharrten die Kommentatoren jahrhundertelang darauf, L sei eine theologische Abhandlung? Richard Sorabji hat vor langer Zeit über die Rezeption beziehungsweise Transformation der aristotelischen Texte geschrieben – das heißt über deren Interpretationen –, und zwar anhand der verschiedenen Kommentatoren, die im Laufe der Zeit die ursprünglichen Themen und Argumente verarbeiteten und sie langsam veränderten440. Bemerkenswert ist, dass im Laufe solch einer langen und tiefen Transformation des L-Textes kaum eine historische Übersicht entstanden ist441. 437 Eine gleichbleibende Meinung findet man im Laufe der Jahrhunderte von al-Kindi bis Giovanni Reale, jeweils der erste und einer der letzten Vertreter der theologischen Interpretation. Vgl. Fußnote 325 dieser Arbeit. 438 Politeia 2 379a5: „o)rqw=j, eãfh: a)ll' au)to\ dh\ tou=to, oi( tu/poi peri\ qeologi/aj ti/nej aän eiåen;“. 439 Vgl. vor allem Physica 8, Ethica Nicomachea 10, 7, Ethica Eudemia 7, 12 und 8, 3 und die Fragmente aus De philosophia unter anderen. 440 Vgl. Sorabji (1990a). 441 Während der Realisation dieses Projekts entstand die erste kompakte Geschichte der verschiedenen Interpretationen von L; vgl. Sonderegger (2008). Mitte 2014 bleibt noch unvollendet Stephen Menns Kommentar, der auch in die Geschichte der Rezeption des L-Textes eingeht. Mittlerweile ist auch Fazzos Übersetzung samt Kommentar zum Buch L; vgl. Fazzo (2014). | 165 | Hier habe ich versucht, eine der ersten historischen Darstellungen dieser hermeneutischen Transformation zu bieten. Absichtlich habe ich das Mittelalter und die Renaissance übersprungen, um mich auf den Anfang und das Ende dieser Geschichte zu konzentrieren. So konnte sich der Leser einen Überblick über die alten Kommentare der Metaphysik verschaffen und lernte schließlich auch die modernen Kommentatoren kennen, die mit der philologischen Technik im XIX. Jahrhundert den aristotelischen Studien einen entscheidenden Impuls verliehen. Mitte des vergangenen Jahrhunderts wirft Joseph Owen in einer schüchternen Fußnote die Möglichkeit auf, L sei nicht unbedingt ein theologischer Aufsatz442. Damit zerstört er jene alte hermeneutische Tradition. Aber erst im Jahre 2000 einigt sich die internationale aristotelische community darauf, L nicht als eine theologische Untersuchung anzusehen. Da spielt das XIV. Symposium Aristotelicum eine besondere Rolle443. Die Gelehrten, die daran teilnehmen, legen sich auf eine andere Interpretation fest, und zwar, dass die Substanz der Gegenstand der in L dargelegten Untersuchung sei. Demnach liegt der Schwerpunkt hier nicht mehr auf Gott, sondern auf der Substanz – so setzen sie eine starke ousiologische Lesart des zwölften Buches der Metaphysik fort444. Inmitten dieser wichtigen Auseinandersetzung mit L hat Michael Frede die entscheidende Frage nach Aristoteles’ Absicht gestellt. Es geht nicht mehr darum, über Gott zu spekulieren, sondern darum, die Absicht des Stagiriten zu verstehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Aristoteles zunächst die alte Tradition der Vorsokratiker fortführen wollte und sich somit auch mit einer der ältesten Frage der Philosophen beschäftigte: Wieso gibt es Bewegung und was ist das Bewegungsprinzip der sichtbaren Substanzen? Wie Thales und alle alten Denker hat Aristoteles vor allem eine kosmologische Frage im Kopf, die er in der Metaphysik und im zwölften Buch zu untersuchen beabsichtigt. Dieses Werk hat also nichts mit einer mutmaßlichen Untersuchung über Gott zu tun, es ist ja keine Theologie. Aristoteles fragt lediglich nach dem ersten Prinzip aller Dinge. So ist auch zu verstehen, dass Aristoteles diese Frage mithilfe der Astronomie beantwortet445: Er tut es den älteren Denkern gleich, weil die lokale Bewegung vom Himmel stammt, denn offensichtlich besitzen nur die ewigen Gestirne eine 442 Owens (1957), 453, Fußnote 63. Vgl. Frede & Charles, Hgg. (2000). 444 Vgl. Frede (2000a) und (2000b). 445 Vgl. L8. 443 | 166 | ewige Bewegung. Unter ihnen ist also der Ursprung der Bewegung zu suchen. Das macht Aristoteles – wie gesagt – im Buch L und zwar mit einem speziellen Programm446. Dieses Programm ist teleologisch orientiert, nicht nur innerhalb des besagten Buches, sondern auch im Rahmen der Metaphysik. Um dies klar zu machen, habe ich die erste „Karte zu L“ vorbereitet – nach dem Beispiel von Myles Burnyeats Map zum Buch Z447. Als Anhang an die vorliegende Untersuchung liefere ich auch noch einen „Reiseführer zu L“ – eine ausführliche Karte mit praktischen Hinweisen, um die Reise-Metapher weiter fortzuführen. Ein wichtiger Vorteil dieser Karte besteht darin, dass sie eine harmonische Integration aller Teile des zwölften Buches darstellt, keine Teilung in zwei Hälften. Die theologische Lesart litt mehrere Jahrhunderte lang unter dieser problematischen Spaltung448. Nun möchte ich mich für eine programmatische Suche des ersten Prinzips in L und in den anderen Büchern der Metaphysik einsetzen. Das Programm von L zeigt auch, dass dieser Text eine in sich geschlossene Einheit ist. Dagegen sprechen sich seit langem viele Kommentatoren aus – sogar die Gruppe des XIV. Symposium Aristotelicum –, die L als eine unabhängige Schrift ohne jede Verbindung zur restlichen Metaphysik verstehen wollen449. Ich denke, L knüpft gut an die ersten Bücher der Metaphysik an, indem es einen Bogen zwischen A und L zieht. Seinerseits beweist Stephen Menn auch, wie L zahlreiche Aporien von B beantwortet450. Andererseits zeigt diese Karte auch, dass Aristoteles die Substanz an sich nicht erneut – wie bereits in den mittleren Büchern – erforschen will. Stattdessen will der Stagirit die Prinzipien der Substanz – das heißt die Prinzipien der beweglichen Realität – untersuchen. Die Substanz ist das Erste, so Aristoteles451. Er muss also ihre Prinzipien in L erforschen, wenn er die ersten Prinzipien (überhaupt) erklären will. Deshalb würde ich das zwölfte Buch eher als eine Schrift über die ersten Prinzipien bezeichnen, das heißt über die von Aristoteles sogenannte sofi/a, die sich auf eine schwach ousiologische Hermeneutik des Textes bezieht. In Hinblick auf die Ousiologie erkennt diese 446 Das Programm liegt in L1 vor. Vgl. Burnyeat (2001). 448 Die Kommentatoren, die eine theologische Interpretation von L favorisieren, klammern L1-5 aus und konzentrieren sich auf die zweite Hälfte des Buches (L6-10): Die erste Hälfte sei bloß eine Zusammenfassung der vorherigen Bücher, während die zweite die eigentliche Diskussion in medias res sei. 449 Vgl. zum Beispiel Frede (2000b), 53. 450 Vgl. Menn (masch. Manuskript), The aim and the argument of Aristotle’s Metaphysics. 451 Vgl. zum Beispiel die ersten Zeilen von Metaphysica Z1 1028a10ff. 447 | 167 | schwache Interpretation die Rolle der Substanz in der programmatischen Suche nach den ersten Prinzipien: Die sofi/a sucht eigentlich die Prinzipien der Substanz. Mit dem Neologismus „Archäologie“ verbinde ich diese Suche des Stagiriten nach den ersten Prinzipien mit derjenigen der Vorsokratiker und Platons, weil der Begriff „sofi/a“ nur innerhalb des Corpus Aristotelicum verwendet wird. Die Begründung dieser Lesart von L zugunsten der sofi/a führt dazu, eine Passage aus E1 noch einmal zu überdenken. Dort nennt Aristoteles die qeologikh/ andere wie eine theoretische Wissenschaft des Göttlichen452. Diese und mit ihr verwandte Wissenschaften wurden jahrhundertelang missverstanden. Manchmal stehen sie sogar zueinander im Widerspruch. Ich habe auch mithilfe eines Schemas versucht, sie bestmöglich zu erklären. Die qeologikh/ ist die theoretische Wissenschaft, die alle im aristotelischen System eingeschlossenen unsichtbaren Substanzen erforscht, insofern sie unsichtbar sind. Gerade weil sie sich mit immateriellen Substanzen befasst, ist sie „göttlich“453. Aber göttlich ist vor allem die sofi/a, denn sie ist das Denken der no/hsij noh/sewj. Nur in einem weiteren Sinne – der Homonymie nach – versteht man unter „sofi/a“ auch die Suche nach den ersten Prinzipien. Denn Aristoteles nennt die sofi/a manchmal auch „prw/th filosofi/a“, um eine Ordnungsunterscheidung von der Physik – der zweiten Philosophie – klarzumachen. Kurzum: Innerhalb des Corpus heißt die Suche nach den ersten Prinzipien wegen einer Homonymie „sofi/a“, denn die erste Substanz – ein nou=j – denkt an sich selbst und ihr Denken selbst konstituiert die richtige (göttliche) sofi/a. Um diese Suche nach den Prinzipien an die Tradition der alten Denker anzuknüpfen, nenne ich sie in der vorliegenden Arbeit „Archäologie“, denn die alten Philosophen haben sich grundsätzlich darum bemüht, die Prinzipien (a)rxai/) der Bewegung zu suchen. Das im letzten Kapitel vorgeschlagene Schema zeigt deutlich, dass die (Suche nach den) ersten Prinzipien – durch die besagte sofi/a – nicht auf die unsichtbaren Substanzen – von der qeologikh/ – beschränkt sind (ist). Die qeologikh/ ist zwar ein Teil der sofi/a, sie ist jedoch nicht identisch mit ihr. 452 453 Vgl. Metaphysica E1 1026a27-31 und auch E1 1025b3. Vgl. Metaphysica E1 1026a10-32. | 168 | Da Aristoteles sagt, die Substanz sei das Erste, verbindet man das erste Prinzip immer mit dieser Aussage. So spricht Frede der Substanz die Hauptrolle des ersten Prinzips zu. Wenn man über das erste Prinzip spricht, betont man normalerweise die Tatsache, dass das erste Prinzip eigentlich die erste Substanz ist. Diese These sollte man dennoch besser ausführen, um Missverständnisse zu vermeiden. So ist die Rolle der e)ne/rgeia zu betonen, was auch ich in dieser Arbeit zu befolgen suchte. Ich denke, das Wesentliche der ersten Substanz ist jedoch nicht, dass sie Substanz ist, sondern ihre spezifische Art: Sie ist die e)ne/rgeia-Substanz, eine Substanz, deren ti/ h)/n ei=)nai eine e)ne/rgeia ist. Dies muss unbedingt hinzugefügt werden, wenn man über die erste Substanz spricht. Gerade deshalb bin ich auch der Meinung, dass die Betonung eher auf die sofi/a fallen sollte. Eine solche Lesart des Textes würde also den Namen „substanziierte e)ne/rgeia“ stützen. Mit diesem Ausdruck lege ich die Betonung auf den aktiven Charakter des ersten Prinzips, den die sofi/a untersucht. Der Beitrag meiner Studie besteht also aus fünf zentralen Errungenschaften. Erstens, einer der ersten historischen Überblicke der hermeneutischen Evolution von L. Zweitens, die erste Karte von L, die die alten Kohärenzprobleme der verschiedenen Teile des Textes erfolgreich löst. Drittens fügt die vorgeschlagene Interpretation L in einen teleologischen Kontext ein – innerhalb der Metaphysik, des Corpus und der alten, allgemeinen Tradition. Viertens, die Klärung der doppelten Bedeutung von „sofi/a“ und der Begriffe „qeologikh/“ und „prw/th filosofi/a“ sowie deren Beziehungen zueinander. Schließlich das Ersetzen der verwendeten Ausdrücke „aktive Substanz“ und „erste Substanz“ durch den Ausdruck „substanziierte Aktivität“, um die Präsenz der e)ne/rgeia als erstes Prinzip – anstatt der Präsenz der Substanz – zu akzentuieren. Zum Schluss noch ein Zitat Hegels als „Hypograph“454, weil ich versucht habe, seine Beschwerde aufzuheben, um dem Stagiriten gerecht zu werden455: Ein Grund, von Aristoteles weitläufig zu sein, liegt darin, daß keinem Philosophen soviel Unrecht getan worden ist durch ganz gedankenlose Traditionen, die sich über seine Philosophie erhalten haben und noch an der Tagesordnung sind, obgleich er lange Jahrhunderte der Lehrer aller 454 455 Vgl. Fußnote 349 dieser Arbeit. Hegel (1833), 299. | 169 | Philosophen war. Man schreibt ihm Entgegengesetzte seiner Philosophie sind. | 170 | Ansichten zu, die gerade das ANHANG 1 EIN REISEFÜHRER FÜR L Vorbereitung für die Besteigung (a) Ein allgemeiner Überblick über L L1 [1069a18-1069b2 (nota bene: Ende schon bei b2, nicht erst, wie üblich, bei b9)] Ziel: Das Programm des Buches vorzustellen. 1. Das Programm: die Untersuchung der Prinzipien und Ursachen der Substanz. [1069a18-30] 1.1 Mitteilung des Zieles des ganzen Buches: die Untersuchung der Prinzipien und der Ursachen der Substanz. [a18-19] 1.2 Philosophische Rechtfertigung des Zieles: Die Substanz ist das Erste überhaupt, ganz gleich ob der Kosmos ein All oder eine Abfolge ist. [a19-21] 1.2.1 Die Akzidenzien ordnen sich der Substanz unter. [a21-24] 1.3 Historische Rechtfertigung des Zieles: Schon die Kosmologen und Platoniker untersuchten die Substanz, wenn sie die Prinzipien erforschten. [a25-30] 2. Allgemeine Fragen zu der bevorstehenden Diskussion. [1069a30-b2] 2.1 Unterscheidung der Substanzarten (a. Wahrnehmbar-ewige. b. Wahrnehmbar-vergängliche. c. Unveränderliche: Platon: Zahlen und Formen; Xenokrates: Zahlen-Formen; Speusippus: Zahlen), um die Hauptgesprächspartner und die Diskussionskoordinaten zu etablieren. [a3036] 2.2 Bedingung: das Objekt der Wissenschaften je nach ihren Prinzipien. [a36b2] Nota bene: L1 endet bei 1069b2. (b) Zwei falsche Wege: weder der Weg der Materie noch der Weg der Form. Hinweise L2 [1069b3-34] Ziel: Die Erforschung der Prinzipien beziehungsweise der Ursachen der sichtbaren Substanz: die Materie. | 171 | 1. Die Materie ist unabdingbar, um die Veränderung zu erklären. [1069b3-15] 1.1 Die Veränderung der sichtbaren Substanz impliziert die Materie. [b3-9] 1.2 Veränderungsarten: substanzielle (Entstehen, Vergehen), qualitative (Alteration), quantitative (Steigerung, Verkleinerung), lokal (Ortsbewegung). [b9-14] 1.3 Schlussfolgerung: Die Materie nimmt beiderlei Gegensätze auf. [b14-15] 2. Unterbrechung: Definition von „metabolh/“. [1069b15-20] 2.1 „Das, was ist“ wird von der e)ne/rgeia/du/namij ausgesagt. Man spricht über die Veränderung von X genau dann, wenn man X die Eigenschaft E, die X vorher nur gemäß der du/namij aufwies, zuschreiben kann. 3. Fortsetzung von (1.): Auflistung von Autoren, die die Materie kannten (Anaxagoras, Empedokles, Anaximander, Demokrit). [1069b20-24] 4. These: Es gibt verschiedene Arten von Materien. [1069b24-25] 5. Über die topische Materie der Himmelskörper. Argument der Notwendigkeit: Die Gestirne bewegen sich und sind ewig, sie besitzen also zwangsläufig eine Materie jenseits des Entstehens und des Vergehens. [1069b24-26] 6. Fortsetzung von (2.): Fragen über das Verhältnis zwischen metabolh/ und e)ne/rgeia/du/namij. [1069b26-32] 6.1 Frage: Woher (aus welchem Nicht-Sein) stammt das Entstandene? [b2628] 6.2 Erste Lösung: Das Andersartige entsteht aus dem Andersartigen. [b2929] 6.3 Zweite Lösung: Aus verschiedenen Materien. [b29-30] 6.3.1 Frage: Wie konnte die Vielzahl entstehen, wenn der nou=j nur Eins ist? [b30-31] 6.3.2 Lösung: Es existiert keine „einzige Materie“. [b31-32] 7. Schlussfolgerung aus L2: Drei Veränderungsprinzipien: Form, Privation, Materie. [1069b32-34] L3 [1069b35-1070a30] Ziel: Die Erforschung der Prinzipien beziehungsweise der Ursachen der sichtbaren Substanz: die Form. 1. Anknüpfung an L2. Notwendigkeit eines ersten Bewegers. [1069b35-1070a4] | 172 | 1.1 Es entstehen weder die Form noch die Materie. [b35-36] 1.2 Untersuchung der metabolh/: Nur das su/nolon entsteht. [b36-a4] 1.3 Schlussfolgerung: Es kann keine unendliche Serie von Bewegern geben. [a4] 2. Die Entstehung der sichtbaren Substanz. [1070a4-9] 2.1 These: Alles – sowohl das Natürliche als auch das Künstliche – entsteht aus einem Homonym. [a4-a6] 2.2 Entstehungsarten: Kunst (äußerliches Prinzip), Natur (inneres Prinzip), Zufall (Privation von der Kunst) und Spontaneität (Privation vom Zufall). [a6-9] 3. Die Form existiert nur zusammen mit dem su/nolon. [1070a9-20] 3.1 Substanzarten (innerhalb der sichtbaren Substanzen): Materie, Form und su/nolon. [a9-13] 3.2 Weder im Natürlichen noch im Künstlichen existiert eine vom su/nolon getrennte Form. [a13-18] 3.3 Zugeständnis an Platon: Alle Arten von Dingen verfügen über eine Form. [a18-20] 4. Die Formursache existiert nicht vor der Entstehung des su/nolon, ob sie es gänzlich oder nur teilweise überlebt. [1070a21-26] 4.1 Die Form ist simultan zu ihrer Wirkung. Die Bewegungsursache geht ihr voran. [a21-24] 4.2 Frage: Dauert die Form nach dem Vergehen fort? [a24] 4.2.1 Lösung: Manchmal ja (nach dem Tod bleibt ein Teil der Seele und zwar der Verstand). [a25-26] 5. Schlussfolgerung aus L3: Die Form ist kein Prinzip, da sie gleichzeitig zu ihrem Objekt ist. Kritik an Platons Position. [1070a26-30] 5.1 Man benötigt keine platonischen Ideen, um die Natur zu erklären. [a2628] 5.2 Auch nicht für die künstliche Entstehung. [a28-30] * Schlussfolgerung aus der Einheit L2-3: Erklärung der Prinzipien der sichtbaren Substanz: Weder die Materie noch die Form sind das gesuchte erste Prinzip. | 173 | Erste Etappe (c) Der richtige Weg: die effiziente Kausalität L4 [1070a31-b35] Ziel: Es muss eine effiziente Ursache geben, die ewig ist, das heißt eine getrennte Substanz. 1. Darstellung mehrerer Thesen, Fragen und Aporien über die Elemente der sichtbaren Substanz bezüglich der Kategorien. [1070a31-b9] 1.1 These: Die Ursachen/Prinzipien sind nicht immer dieselben, sie sind von Fall zu Fall verschieden. Doch laut der a)nalogi/a sind sie dieselben. [a31-a33] Vgl. L1 (2.2) [1069a36-b2]; L4 (2.1) [1070b10-11]; L5 (2.1-2.2) [1071a3-6]. 1.2 Frage: Haben die Substanz und die anderen Kategorien dieselben Prinzipien und Elemente? [a33-35] 1.2.1 Antwort: Nein, das wäre absurd. [a35-36] 1.3 Aporie: Was könnte das gemeinsame stoixei=on sein? [a36-b1] 1.3.1 Lösung: Es gibt keins. [b1-2] 1.4 These: Das stoixei=on ist vor dem Kompositum. [b2-3] Vgl. L4 (1.7) [1070b5-6]. 1.5 These: Die Substanz ist kein Kompositum und stammt nicht aus der Relation von stoixei=a, da sie kein stoixei=on ist. [b3-4] Vgl. L4 (1.9) [1070b8-9]. 1.6 Aporie: Können alle Kategorien dieselben Elemente haben? [b4-5] 1.6.1 Antwort: Die Kategorien haben nicht dieselben stoixei=a. [b9-10] 1.7 These: Kein stoixei=on gleicht dem Kompositum. [b5-6] Vgl. L4 (1.4) [1070b2-3]. 1.8 Korollarium aus (1.7): Das Intelligible (Eins, Sein) ist kein stoixei=on, selbst wenn es allen Dingen zugeordnet wird. [b7-8] 1.9 These: Ein stoixei=on ist weder Substanz noch Relation. [b8-9] Vgl. L4 (1.5) [1070b3-4]. 1.9.1 Aporie: Das stoixei=on muss entweder Substanz oder Relation sein. [b9] 2. Rückkehr zur Anfangsthese von L4 [1070a31-33], um diese zu stützen: Die Prinzipien von verschiedenen Dingen sind unterschiedlich, aber laut der Analogie sind es dieselben. Beispiele. [1070b10-21] | 174 | 2.1 Überdenken der These: Gewissermaßen haben alle Dinge dieselben Prinzipien, andererseits aber auch wieder nicht. [b10-11] Vgl. L4 (1.1) [1070a31-33]. 2.1.1 Beispiele: Kalt und warm in einem lebendigen Körper, in den vier Elementen und in einem Organ. [b11-15] 2.1.2 Bestätigung der These. [b15-17] 2.2 Erklärung der analogen Bedeutung. [b17-20] 2.2.1 Beispiele: Farbe, Tag/Nacht. [b20-21] 3. Unterscheidung zwischen (inneren) Elementen und (äußeren) Ursachen. [1070b22-34] 3.1 These: Einige Ursachen befinden sich in den Dingen selbst, andere befinden sich außerhalb. [b22-23] 3.1.1 Korollarium: Prinzip und stoixei=on sind nicht gleich, selbst wenn beide sogenannte Verursacher sind. [b23-24] 3.2 These: Es gibt zwei Arten von Prinzipien: innere und äußere. [b24] 3.3 These: Der Beweger ist eine Ursache und eine Substanz. [b24] 3.4 Unterscheidung gemäß der a)nalogi/a: drei Elemente und vier Ursachen. [b25-27] 3.4.1 Beispiele. [b28-30] 3.5 Vergleich: Bei der Natur ist die Bewegungsursache eine andere Substanz; bei der Kunst ist es die Form beziehungsweise die Privation. [b30-32] 3.5.1 Bei der Natur sind es also vier Ursachen, bei der Kunst sind es drei. [b32] 3.5.2 Beispiele: Mensch (Natur), Medizin und Hausbau (Kunst). [b3334] 4. Schlussfolgerung: Es muss einen ersten Beweger geben, der eine Substanz ist. Bestätigung der Bewegungsursache – keine Formursache [1070b34-35] Vgl. L5 (6.) [1071b1-2]. (d) Darstellung der richtigen Strategie: die e)ne/rgeia L5 [1070b36-1071b2] Ziel: Untersuchung der Kausalität aus der Sicht der modalen Theorie (und der Prädikation). | 175 | 1. Argument: Die Prinzipien sind Substanzen. [1070b36-1071a3] 1.1 Definition von Substanz: das Getrennte. Gegensatz zu den Akzidenzien. [b36-a1] 1.2 Dieselben Prinzipien für alle Dinge. [a1] 1.3 Die Prinzipien sind die Substanzen. [a1-a2] 1.4 Beispiele: Tier (Leib, Seele) und Mensch (Verstand, Wille, Körper). [a2-3] 2. Untersuchung der Kausalität aus der Sicht der modalen Theorie. [1071a3-a17] 2.1 Gemäß der e)ne/rgeia/du/namij sind die Prinzipien laut der a)nalogi/a dieselben. [a3-5] 2.2 e)ne/rgeia/du/namij werden auf verschiedenen Weisen zugeordnet. [a5-6] 2.3 Etwas existiert mal in du/namij, mal in e)ne/rgeia. [a6-7] 2.3.1 [Schwierige] Beispiele: Wein, Fleisch, Mensch. [a7] 2.4 e)ne/rgeia (Form, Privation, das Ganze) und du/namij (Materie) sind unter den Ursachen zu finden. [a7-11] 2.5 Wiederholung von (2.2) [a11-17] 2.5.1 Beispiel: Untersuchung der Ursachen des Menschen: Elemente (Feuer, Erde), äußere Formursache (Vater), äußere Bewegungsursache (Sonne, Ellipse). [a13-16] 2.6 Unterscheidung der Bewegungsursache von den anderen Ursachen. [a16-17] 3. Unterscheidung zwischen Nah- und Fernursachen. [1071a17-24] 3.1 Universelle und partielle Prädikation der Ursachen: Fern- beziehungsweise Nahursachen. [a17-18] 3.2 Die Ursachen gemäß der Prädikation und gemäß der e)ne/rgeia/du/namij werden aufgelistet. Nahprinzipien aller Dinge: aktuelles und potentielles Individuum. [a18-19] 3.3 Die Fernprinzipien sind nicht universell. [a19-20] 3.4 These: Das Besondere ist Prinzip oder Ursache von Besonderem. [a20-21] 3.4.1 Beispiele: Peleus ist Ursache von Achilleus. Dieses B ist Ursache dieser Silbe BA. [a22-23] 3.4.2 Gegenbeispiele: Der Mensch ist Ursache des Menschen, aber keiner von beiden existiert. Das abstrakte B ist Prinzip der abstrakten Silbe BA. [a21-22, 23-24] 4. Wiederholung: Inwiefern die Ursachen laut der a)nalogi/a – mit der Betonung auf ihrer strikten Verschiedenheit – dieselben sind. [1071a24-29] | 176 | 4.1 Selbst wenn es Ideen gibt, haben verschiedenartige Dinge verschiedene Ursachen. [a24-26] 4.2 Laut der a)nalogi/a handelt es sich um dieselben Ursachen. [a26-27] 4.3 Unter den Individuen derselben Spezies gibt es verschiedene Ursachen, weil alle Individuen anders sind. [a27-28] 4.3.1 Beispiele: Trotz derselben Prädikation ist deine Materie, Form und Bewegungsursache anders als meine. [a28-29] 5. Aufstellung und Lösung einer Aporie, um die bisher erarbeiteten Fortschritte zusammenzufassen. Anknüpfung an L6. [1071a29-b1] 5.1 Aporie: Sind die Prinzipien für alle Kategorien gleich? [a29-31] 5.1.1 Lösung: Das hängt von der Prädikation ab. Wenn es verschiedene Sinne gibt, dann handelt es sich um dieselben Prinzipien; wenn man verschiedene Prinzipien findet, ist es aufgrund des genaueren Sinnes. [a31-33] 5.2 These: Gemäß der a)nalogi/a haben alle Dinge dieselben Prinzipien. [a33] 5.3 Kleine Zusammenfassung in drei Punkten: Die sichtbaren Substanzen haben vier Prinzipien (Materie, Form, Privation, Agens); die Ursachen der Substanzen sind die Ursachen aller Dinge; die erste e)ne/rgeia verursacht alles. [a33-36] 5.4 Die Nahursachen sind in einem anderen Sinne anders. [a36-b1] 5.4.1 Korollarium: Die bestimmte Materialursachen sind auch anders. [b1] 6. Schlussfolgerung: Es muss eine e)ne/rgeia-Substanz geben, um die Kausalität jenseits beziehungsweise unter den verschiedenen Kategorien zu erklären. [1071b1-2] Vgl. L4 (4.) [1070b34-35]. * Schlussfolgerung aus der Einheit L4-5: Eine erste, immer verursachende Substanz ist notwendig, um sowohl die Ortsbewegungen aller Dinge als auch das Entstehen/Vergehen der sichtbaren Substanzen zu erklären. | 177 | Zweite Etappe (e) Aufwärts: die Prinzipien der effizienten Kausalität L6 [1071b3-1072a21 (nota bene: Ende erst bei a21, nicht bei a18)] Ziel: Erklärung der Ortsbewegung und vor allem des Entstehens/Vergehens, Erklärung der notwendigen Prinzipien. 1. Anknüpfung an L1. Programm für die Einheit L6-7. [1071b3-5] 1.1 Anknüpfung an L1: Es gibt drei Substanzarten: zwei sichtbare und eine unveränderliche. [b3-4] 1.2 Programm: Beweis der Notwendigkeit einer ewigen unveränderlichen Substanz. [b4-5] 2. Unmöglichkeit: Nicht alle Substanzen sind vergänglich. [1071b5-11] 2.1 These: Die Substanzen sind das erste. [b5] 2.2 Reductio ad absurdum: Wären alle Substanzen vergänglich, dann wäre alles vergänglich. Das wäre jedoch absurd. [b6] 2.2.1 Erstes Beispiel: Die Bewegung ist ewig. [b6-7] 2.2.2 Zweites Beispiel: Das gleiche gilt für die Zeit (sonst gäbe es kein Vorher und kein Danach). [b7-9] 2.2.3 Weitere Erklärung: Die Bewegung gleicht der Zeit in ihrer Kontinuität, da die Bewegung eine Affektion der Zeit ist. [b9-10] 2.3 Die einzige kontinuierliche Bewegung ist die kreisförmige Ortsbewegung. [b10-11] 3. Unmöglichkeit: Nicht alle Substanzen sind ewig: Einige besitzen ein Veränderungsprinzip. [1071b12-16] 3.1 Prinzip des ausreichenden Grundes: Eine effiziente und poietische du/namij-Ursache reicht nicht aus: Es gäbe keinen ausreichenden Grund, diese zu aktualisieren. [b12-14] 3.1.1 Kritik an den platonischen Ideen: Sie sind unzureichend. [b1415] 3.2 Notwendig ist ein Prinzip, dass Änderungen bewirken kann. [b15-16] 4. Unmöglichkeit: Das Prinzip schließt keine du/namij ein. Notwendigkeit: Es muss eine essentielle e)ne/rgeia sein. [1071b16-20] 4.1 Eine Substanz, die in sich das Veränderungsprinzip einschließt, reicht nicht aus. [b16] | 178 | 4.1.1 Kritik an Platon: Unzureichend ist auch eine Substanz jenseits der Formen. [b16-17] 4.1.2 Grund: Wenn sie e)ne/rgeia wäre, gäbe es auch Bewegung. [b17] 4.2 Eine Substanz mit irgendeiner essentiellen du/namij ist unzureichend. [b17-18] 4.3 Grund: Das mit-du/namij-Existierende ist kontingent. Dies kann keine Ursache der ewigen Bewegung sein. [b18-19] 4.4 Schlussfolgerung (tollendo tollens): Es muss ein Bewegungsprinzip als eine essentielle e)ne/rgeia geben. [b19-20] 5. [Seltsame] Digression: Den Bewegern der himmlischen Sphären sind dieselben Attribute zuzuordnen [1071b20-22] 5.1 Nun wird der Plural verwendet: Die Substanzen [die Beweger der Sphären] sollen unsichtbar sein, und deshalb sind sie auch ewig [b20-22] 5.2 Wiederholung der Schlussfolgerung: Dann sind sie e)ne/rgeia [b22] 6. Der resultierende Widersinn, wenn man die du/namij vor der e)ne/rgeia einordnet [1071b22-b31] 6.1 Aporie: Es sieht so aus, als ob die du/namij vor der e)ne/rgeia entstünde, denn alles, was e)nergei=, hat eine du/namij – aber nicht alles, was eine du/namij hat, e)nergei=. [b22-24] 6.1.1 Lösung: Wenn dies so wäre, würde nichts existieren, da es keinen zureichenden Grund für einen Anfang gäbe. [b25-26] 6.2 Dies ist der Fehler der qeolo/goi und der fusikoi/. Der Beginn einer Bewegung ist unmöglich ohne eine e)ne/rgeia-Ursache. [b26-29] 6.3 Drei Gegenbeispiele: Das Holz, die Monatsblutung und die Erde werden jeweils von der Schreinerkunst, vom Sperma und vom Samen bewegt. [b2931] 7. Anerkennung jener, die ein ewiges, aktives Prinzip aufstellen: Leukipp und Platon. Kritik: Ihnen fehlt die entsprechende Begründung. [1071b31-34] Fortsetzung in (10.). 7.1 Wenn Leukipp und Platon eine ewige Bewegung akzeptieren, dann postulieren sie auch eine ewige e)ne/rgeia. [b31-33] 7.2 Aber sie erklären weder das Warum noch das Was oder das Wie. [b3334] 8. Nichts geschieht ohne Ursache. [1071b34-36] 8.1 Alles impliziert eine Ursache. [b34-35] | 179 | 8.2 Der Zufall wird ausgeschlossen. [b34-35] 8.3 Zu den Ursachen zählt man die Natur, die Gewalt, den nou=j oder einen anderen Agens. [b35-36] Vgl. L7 (3.2) [1072a26-27]. 9. Versuch, eine erste Bewegung zu etablieren. [1071b36-1072a3] 9.1 Frage: Welche ist die erste Bewegung überhaupt? [b36-37] 9.2 Platon löst das Problem nicht. Er räumt ein, etwas bewege sich, erklärt dies aber nicht. Die Weltseele soll nach der Bewegung kommen. [b37-a3] 10. Fortsetzung von (7.): Anaxagoras, Empedokles und jene, die eine ewige Bewegung akzeptieren, wie zum Beispiel Leukipp. [1072a3-7] 10.1 In einem gewissen Sinne steht die du/namij vor der e)ne/rgeia, in einem anderen Sinne kommt sie aber erst später. [a3-4] 10.2 Auflistung derer, die den Vorrang der e)ne/rgeia bezeugen: Anaxagoras (nou=j), Empedokles (Liebe, Feindschaft) und die Vertreter einer ewigen Bewegung, wie zum Beispiel Leukipp. [a5-7] 11. Absurdes Szenario, falls die du/namij vor der e)ne/rgeia kommen sollte. [1072a7-10] 11.1 Weder die Nacht noch das Chaos dauern ewig. [a7-8] 11.2 Mögliche Alternative: Vielleicht gibt es ja immer dieselben Dinge, die sich immer wiederholen, im Zyklus oder auf eine andere Weise. [a8-9] 11.3 Widerspruch: Gäbe es einen Zyklus, dann würde man etwas benötigen, dass immer auf dieselbe Weise e)nergei=. [a9-11] 11.4 Schlussfolgerung: Die e)ne/rgeia ist also vor der du/namij. [a9] 12. Erklärung: Wie es ewige Bewegung und ewiges Entstehen/Vergehen gibt. [1072a10-17] 12.1 Existiert das Entstehen/Vergehen, dann muss es auch etwas geben, das immer auf zwei verschiedene Weisen e)nergei=. [a10-12] 12.1.1 Erstens: Es e)nergei= für sich selbst. [a12-13] 12.1.2 Zweitens: Es e)nergei= durch ein anderes Prinzip. [a13] 12.2 Es muss durch das erste Prinzip e)nergei=n, da es Ursache des zweiten und dritten Prinzips ist. [a13-15] 12.3 Schlussfolgerung: Das erste Prinzip erklärt die ewige Bewegung und das Andersartige das Entstehen/Vergehen. [a15-16] 12.4 Korollarium: Das Zusammen-e)nergei=n beider erklärt den ewigen Entstehen/Vergehen-Prozess. [a16-17] | 180 | 13. Schlussfolgerung aus L6: So geschieht das Entstehen/Vergehen in der natürlichen Welt. Anknüpfung an L8 mithilfe astronomischer Hinweise. [1072a17-18] * Trotz „e)pei/“ [1072a19] halte ich die ersten Zeilen von L7 für einen Ausschnitt aus dem Schlussteil von L6: 13a: Nichts kann aus einem Prinzip mit du/namij entstehen. [1072a19-21] (f) Ziel erreicht: das erste Prinzip beziehungsweise die erste Substanz überhaupt L7 [1072a21-1073a13] Ziel: Existenzbegründung des ersten Prinzips (eine ewige Substanz, die e)ne/rgeia ist) und dessen Kausalität (es bewegt, ohne sich selbst zu bewegen). Beschreibung des genannten Prinzips. 1. Der erste Himmel ist ewig und folgt einem Kreislauf. Er hat einen Beweger. [1072a21-24] Vgl. L8. 1.1 Faktum: Etwas wird mit einer ewigen, kreisförmigen Bewegung bewegt. [a21-22] 1.2 Erste Schlussfolgerung: Der erste Himmel muss demnach ewig sein. [a23] 1.3 Zweite Schlussfolgerung: Er muss auch einen Beweger haben. [a23-24] 2. Notwendigkeit eines ersten Bewegers. Erste Charakterisierung. [1072a24-26] 2.1 Das, was bewegt und bewegt wird, ist lediglich ein Vermittler. [a24] 2.2 Schlussfolgerung (tollendo tollens): Es muss etwas geben, das bewegt, ohne selbst bewegt zu werden. [a24-25] 2.3 Es muss etwas Ewiges und eine e)ne/rgeia-Substanz geben. [a25-26] 3. Gesamtbewertung von zwei bewegungslosen Bewegern: o)rekto/n und nohto/n. [1072a26-30] Fortsetzung in (5.). 3.1 Programm: Erklären, wie der unbewegte Beweger bewegt. [a26] 3.2 These: Das o)rekto/n und das nohto/n bewegen, ohne sich selbst zu bewegen beziehungsweise ohne bewegt zu werden. [a26-27] 3.3 Die primären Objekte der Begierde und des Denkens sind dieselben. [a27] | 181 | 3.4 Unterscheidung: Das scheinbare Gute ist Objekt des Verlangens; das reale Gute ist Objekt der rationalen Begierde. [a27-28] 3.4.1 These: Die o)/recij ist eine Folge der Meinung. [a29] 4. Das Thema „nou=j“ wird zum ersten Mal aufgegriffen. [1072a30-34] 4.1 Das Prinzip ist das noei=n. [a30] 4.2 These: Der nou=j wird von dem nohto/n bewegt. [a30] 4.3 Faktum: Eine der beiden Serien von Gegensätzen ist essentiell-nohto/n. [a30-31] 4.3.1 In einer solchen Serie ist eine a(plh=-e)ne/rgeia-Substanz das Allererste. [a31-32] 4.3.2 Präzisierung: „a(plou=j“ und „eins“ sind nicht gleich. [a32-34] 5. Fortsetzung von (3.) mit Hinweisen von (4.): Erklärung über das Gute. [1072a34-1072b1] 5.1 Das Gute und das an-sich-ai(reto/n befinden sich in derselben Serie. [a3435] 5.2 Das Erste ist das beste. [a35-b1] 6. Welche Art von Finalursache diese Bewegungsursache bewegt. [1072b1-4] 6.1 Zwei Sinne von „Finalursache“: Das Gute für etwas (to\ %(=, tini/) und das Gute, in dem eine Handlung endet (to\ ou(=, tino/j). [b1-3] 6.2 Nur der zweite Sinn wird den unbewegten Dingen zugeschrieben. [b3] 6.3 Diese Finalursache verursacht wie e)rw/menon. [b3] 6.4 Gegenposition: Die anderen Ursachen verursachen, da sie sich selbst bewegen. [b3-4] 7. Argument, um die Existenznotwendigkeit des ersten Bewegers zu beweisen. [1072b4-13] 7.1 These: Das Bewegte kann anders sein. [b4-5] 7.2 Der Himmel ist nicht substanziell- aber doch ortsbewegungsfähig. [b5-7] 7.3 Aber der Beweger lässt keine Veränderung zu. [b7-8] 7.4 Der Beweger leitet die erste Bewegung: die kreisläufige Ortsbewegung. [b8-10] 7.5 Dieser Beweger existiert (o)/n) demnach zwangsläufig. [b10] 7.6 Notwendigkeit: Er muss gut und das erste Prinzip sein. [b10-11] 7.6.1 Das Adjektiv „notwendig“ wird in dreifachem Sinn ausgesprochen: Wegen einer gegensätzlichen Kraft; eine Bedingung, | 182 | um das Beste zu schaffen; das, was nur auf eine bestimmte Weise sein kann. [b11-13] 8. Der erste Beweger wirkt auf den ersten Himmel, und der seinerseits wirkt auf die sichtbare Welt. [1072b13-14] Vgl. den Himmel als Bewegungsvermittler: (2.1) [1072a24]; über die erste Bewegung: (7.4) [1072b8-10]; Bewegungsübermittlungstheorie: L8. 9. Erste Beschreibung Gottes: Das angenehme Leben des ersten Bewegers. [1072b14-18] 9.1 Sein Leben ist wie das Beste, das dem Menschen widerfahren kann. [b1415] 9.2 Dieser Zustand ist immer ihm zu verdanken: Sein e)nergei=n ist immer angenehm. [b15-16] 9.2.1 Dieser Zustand ist für den Menschen unerreichbar. [b16] 9.3 Das Angenehmste: Hellwach, Fühlen, Denken. Hoffnungen zu hegen und Erinnerungen sind angenehme Empfindungen. [a17-18] 10. Fortsetzung von (4.): Revision der allgemeinen Theorie des nou=j. [1072b1823] Fortsetzung in (11.). 10.1 Wenn noei=n das Beste ist, dann ist das Allerbeste, an das Beste zu denken. [b18-19] 10.2 These: Der nou=j denkt (an) sich selbst, da er am nohto/n teilnimmt. [b1920] 10.2.1 Erklärung: Beim Begreifen und Denken wird er selbst nohto/n. nou=j und nohto/n sind also gleich. Der nou=j erhält das nohto/n und die ou)si/a. [b20-22] 10.3 Die Begriffe „du/namij/e)ne/rgeia“ werden im Zusammenhang mit dem nou=j hergeleitet: Er e)nergei=, da er das Objekt-nohto/n besitzt. [b22-23] 11. Fortsetzung von (4.) und (10.): Über den nou=j überhaupt. [1072b23-25] Anknüpfung an (12.). Dies wird in L9 nachgeholt. 11.1 Das e)nergei=n des nou=j im Allgemeinen ist etwas qei=on. [b23] 11.2 Die beste und angenehmste Aktivität ist die qewri/a. [b24] 12. Zweite Beschreibung Gottes: Gott ist das optimale [vgl. L10], ewige, glückliche Lebewesen. [1072b24-30] 12.1 Es wäre zu bewundern, wenn Gott unser Glück ständig besitzt. Es wäre aber bewundernswerter, wenn das Glück Gottes noch höher als das menschliche wäre. [b24-26] | 183 | 12.1.1 Und so ist es. [b26] 12.2 These: Gott gehört das Leben. Begründung: Leben heißt die e)ne/rgeia des nou=j. Gott ist diese e)ne/rgeia. [b26-27] 12.2.1 Gottes wesentliche e)ne/rgeia ist das optimale und ewige Leben. [b27-28] 12.2.2 Koda: Das Leben und die kontinuierliche, ewige Existenz gehört Gott. [b28-29] 12.3 Erste Schlussfolgerung: Gott ist das optimale, ewige Lebewesen. Das ist Gott. [b29-30] 13. Eine Art Korollarium, um eine Antwort zu verdeutlichen: Das Schöne und das Gute sind an sich keine Ergebnisse, sondern Prinzipien. [1072b30-1073a3] Anknüpfung an L10. 13.1 Gegen die Pythagoreer und Speusippos: Die Aussage, dass die Schönheit und das Gute Ergebnisse sind, ist falsch: Beide sind unter den Ursachen zu finden. [b30-34] 13.1.1 Beispiel: Das Sperma stammt aus einem vorherigen, perfekten Wesen. [b35-a3] 14. In der Mitte von (15.): Beweis dafür, dass die erste Substanz keine Größe haben kann. [1073a5-11] Vgl. L8 (11.) [1073b38-1074a14]. 14.1 These: Diese Substanz hat keine Größe; sie ist unteilbar. [a5-7] 14.2 Argument: Nichts Vergängliches verfügt über eine unendliche du/namij. Das Prinzip aber verursacht eine unendliche Bewegung. [a7-8] 14.2.1 Zwei Möglichkeiten: Diese Bewegung wird entweder von einem begrenzten oder von einem unendlichen Körper verursacht. Beide Möglichkeiten sind aber wohl unmöglich. [a8-11] 15. Schlussfolgerung aus L7: Dritte Beschreibung Gottes: Es gibt eine ewige, unbewegliche, getrennte, unteilbare und unveränderbare Substanz. [1073a3-13] 15.1 Es gibt eine Substanz, die ewig, unbewegt und getrennt vom Sichtbaren ist. Ihr fehlt jede Größe und sie ist deshalb unteilbar. Außerdem ist sie unveränderbar und schließt in sich keine du/namij ein. [a3-5, a11, a13] 16. Alle Bewegungen kommen nach der Ortsbewegung. [1073a12]456 456 Ich bin mir nicht sicher, wo dieser Punkt innerhalb von (15.) einzuordnen ist. Er knüpft gut an L8 (2.) an. | 184 | * Schlussfolgerung aus der Einheit L6-7: Die Existenz des gesuchten Prinzips aller Bewegungen beziehungsweise des Entstehens/Vergehens zu beweisen ist gelungen, aber noch nicht vollendet. Drei weitere Blicke zurück, um das gesamte L und sein Ziel besser zu betrachten (g) Die Transmission der Bewegung über – wie viele? – Vermittler L8 [1073a14-1074b14] Ziel: Begründung der Prinzipienanzahl. 1. Programm von L8: Die Begründung der Prinzipienanzahl. [1073a14-23] 1.1 Frage: Gibt es nur ein einziges Substanz-Prinzip oder mehrere? Wenn ja, wie viele? [a14-15] 1.2 Methodologie beziehungsweise Kritik: Untersuchung anderer Meinungen. [a15-17] 1.3 Platon sagt nichts darüber in seiner Theorie der Ideen. [a17-18] 1.3.1 Andere denken, es gebe unendliche viele. [a18-20] 1.3.2 Einige Platoniker meinen, es seien weniger als zehn. [a20-21] 1.3.3 Sie geben keine klare Äußerung diesbezüglich ab. [a21-22] 1.4 Vorsatz: Untersuchung des Themas. [a22-23] 2. Rekapitulation der Schlussfolgerungen aus L7: Der erste Beweger ist bewegungslos; wie soll die von ihm verursachte Bewegung sein? Einleitung zum nächsten Argument. [1073a23-25] 2.1 Erste These: Das erste Prinzip beziehungsweise die erste Substanz ist bewegungslos (sowohl per accidens als auch per se). [a23-25] 2.2 Zweite These: Die erste Substanz verursacht die primäre Bewegung, die einzig und ewig ist. [a25] 3. Erstes Argument: Für jede himmlische Bewegung muss es einen Beweger – eine Substanz – geben. [1073a26-34] 3.1 Erste Prämisse: Das Bewegte wird von etwas bewegt. [a26] 3.2 Zweite Prämisse: Der erste Beweger ist essentiell bewegungslos. [a26-27] 3.3 Dritte Prämisse: Die ewige Bewegung muss von etwas ewigem verursacht werden. [a27-28] | 185 | 3.4 Vierte Prämisse: Jede Bewegung wird von einem Beweger verursacht. [a28] 3.5 Fünfte Prämisse: Neben der Bewegung des ersten Himmels gibt es andere Ortsbewegungen im Himmel, nämlich die der Planeten. [a28-32] 3.5.1 Erste These: Die erste unbewegte Substanz verursacht die Bewegung des Himmels. [a28-30] 3.5.2 Zweite These: Die Planetenbewegungen sind ewig und folgen einem Kreislauf. [a30-32] 3.6 Schlussfolgerung: Jede dieser Bewegungen wird jeweils von einer ewigen, bewegungslosen Substanz verursacht. [a32-34] 4. Zweites Argument: Die Anzahl der himmlischen Bewegungen entspricht jener der ewigen, unbeweglichen und unkörperlichen Substanzen. [1073a341073b1] 4.1 Erste Prämisse: Die Himmelskörper sind ewig und sie sind Substanzen. [a34-35] 4.2 Zweite Prämisse: Der Beweger ist ewig und vorhergehend zum Bewegten. [a35-36] 4.3 Dritte Prämisse: Vor einer Substanz gibt es eine Substanz. [a36] 4.4 Schlussfolgerung: Für jede Bewegung muss es eine ewige Substanz geben, die essentiell bewegungslos und ohne Größe ist. [a36-b1] 5. Korollarium von (3.) und (4.): Solche Beweger sind Substanzen. Es gibt eine geordnete Serie von ihnen. [1073b1-b3] 6. Einleitung zur Untersuchung der Anzahl der Substanzen. [1073b3-8] 6.1 Um die genaue Anzahl der Substanzen zu berechnen, benötigt man die Astronomie – die mathematische Disziplin, die der Philosophie am nächsten ist. [b3-5] 6.2 Das Objekt der Astronomie ist die ewige, sichtbare Substanz. [b5-6] 6.3 Die Mathematik beschäftigt sich nicht mit den Substanzen. [b6-8] 7. Ausgangsthese für alle Untersuchungen (6.): Jedem Planeten sind mehrere Bewegungen zuzuschreiben. Es gibt also mehr Bewegungen als bewegliche Objekte. [1073b8-10] 8. Methodik und Programm der genannten Untersuchung. [1073b10-17] 8.1 Untersuchung anderer mathematischer Berechnungen anzustellen. [b10-14] | 186 | Meinungen, um eigene 8.2 Falls Aristoteles zu denselben Schlussfolgerungen kommt, muss man den genauesten Berechnungen folgen. [b15-17] 9. Darstellung der Theorien von Eudoxos. [1073b17-32] 10. Darstellung der Theorien von Kallippos. [1073b32-38] 11. Aristoteles’ eigene Berechnungen und Kalkulationen: Es sind 49 unbewegte Beweger. [1073b38-1074a14] 11.1 Theoretische Erklärung. [b38-a5] 11.2 Mathematische Berechnungen. [a6-13] 11.3 Schlussfolgerung: Es sind 49 unbewegte Beweger [fälschlicherweise liegt die Zahl 47 vor]. [a13-14] 12. Ende der mathematisch-astronomischen Kalkulation. [1074a15-17] 12.1 Für jede Sphäre gibt es einen unbewegten Beweger. [a15-16] 12.2 Experten sollten dies noch überprüfen. [a16-17] 13. Philosophisches Argument: Es müssen die besagten Bewegungen vorliegen. [1074a17-25] 13.1 Feststellung: Jede Bewegung bezieht sich auf einen Stern. Außer den genannten Bewegern gibt es keine weiteren. Diesen Bewegern fehlt die du/namij; sie bekommen das höchste Gut und sind ein te/loj an sich. [a18-22] 13.2 Falls es andere Substanzen gibt, dann sollten sie auch etwas bewegen, denn sie sind das Ziel der himmlischen Bewegungen. [a22-23] 13.3 Schlussfolgerung: Es gibt einzig die schon genannten Bewegungen. Dies ist das Ergebnis einer allgemeinen Untersuchung der himmlischen Bewegungen. [a23-25] 14. Argument: Ein Stern verursacht die existierenden Bewegungen. [1074a2531] 14.1 Argument: Alle Bewegungen existieren für die Sterne [to\ %(=, tini/], das heißt, keine Bewegung existiert für sich selbst oder für eine andere Bewegung. Alle Beweger existieren für das [to\ %(=, tini/] Bewegte und alle Bewegungen für das [to\ %(=, tini/] Bewegte. [a25-28] 14.2 Erklärung: Gäbe es eine Bewegung für eine andere Bewegung, entstünde eine unendliche Kette, die jedoch unmöglich ist. [a28-30] 14.3 Schlussfolgerung: Das Ziel einer jeden Bewegung muss ein Stern sein. [a30-31] 15. Argument: Wenn es nur einen einzigen Beweger gibt, dann gibt es auch nur einen Himmel. [1074a31-38] Vgl. L7 (14.) [1073a5-11]. | 187 | 15.1 These: Es gibt nur einen Himmel. [a31] 15.2 Argument: Gäbe es mehrere Himmel, dann gäbe es auch mehrere Beweger. Aber alles Vielfache besitzt Materie. Die erste Substanz ist aber immateriell, da sie nur e)ne/rgeia ist. [a31-36] 15.2.1 Beispiel: Sokrates ist eins, Menschen gibt es aber viele. [a34-35] 15.3 Erste Schlussfolgerung: Der erste bewegungslose Beweger ist Eins sowohl laut der Prädikation als auch laut der Zahl. [a36-37] 15.4 Zweite Schlussfolgerung: Das, was stets und unendlich bewegt wird (der Himmel), ist auch Eins. [a37-38] 16. Epilog: Über die mythologische Vergötterung der Planeten. [1074a381074b14] 16.1 Die Alten überlieferten einen Mythos: Die Planeten seien Götter und das Göttliche erreiche alle Dinge. [a38-b3] 16.2 Zur Beeinflussung des Volkes wurde dies in der Verfassung festgelegt. [b3-5] 16.2.1 Es wird zum Beispiel gesagt, die Götter besäßen menschliche oder tierische Gestalten. [b5-8] 16.3 Diese Aussage, dass die ersten Substanzen Götter sind, ist inspiriert. Die andere jedoch nicht. [b8-10, b13-14] 16.4 Über die Jahre bleibt diese Idee trotz der Fortschritte in der Kunst und in der Philosophie erhalten. [b10-13] (h) „Denken“ ist die e)ne/rgeia der ersten Substanz, da sie nou=j ist L9 [1074b15-1075a10] Ziel: Wie der nou=j und sein Denken sind. 1. Programm: Bereits in L7 wurde über den nou=j im Allgemeinen diskutiert. Nun wird ausschließlich über den göttlichen nou=j und die daraus resultierenden Schwierigkeiten gesprochen. [1074b15-17] 2. Erster Schritt des Arguments: Der göttliche nou=j muss an etwas denken. [1074b17-18] 2.1 Frage: Woran denkt er? Vielleicht an nichts? [b17-18] | 188 | 2.2 Antwort: Würde er an nichts denken, hätte er keine Würde und entspräche einem schlafenden Menschen. Das ist aber unmöglich. Er denkt an etwas. [b18] 3. Zweiter Schritt: Nichts Externes bestimmt sein Denken. [1074b18-21] 3.1 Voraussetzung ist, dass er an etwas denkt. Doch woran? [b18-19] 3.2 Frage: Bestimmt etwas Externes dieses Denken? [b19] 3.2.1 Wenn dies so wäre, besitzt seine Essenz eine bestimmte du/namij – das heißt, dann wäre er nicht die höchste Substanz. [b19-20] 3.3 Seine Würde entspringt aus seinem Denken. [b20-21] 4. Dritter Schritt: Er denkt nicht an etwas Äußerliches oder an etwas anderes als an sich selbst. [1074b21-27] 4.1 Fragen: Woran denkt er? An sich selbst oder an etwas anderes? Falls er an etwas anderes denkt, würde er immer an dasselbe oder an verschiedene Dinge denken? Denkt er an das Gute oder an das, was ihm zufällig einfällt [an Verschiedenes]? Wäre es nicht absurd, wenn er an bestimmte Dinge denken würde? [b21-25] 4.2 Er denkt immer an das Göttlichste und das Würdevollste. [b25-26] Vgl. (3.3) [1074b20-21]. 4.3 Sein nohto/n wird aus zwei Gründen nicht verändert: Eine Veränderung wäre eine Verschlechterung und somit auch eine Bewegung. [b26-27] 5. Vierter Schritt: In diesem nou=j ist keinerlei Spur von du/namij zu finden. [1074b28-33] 5.1 Zwei Konsequenzen, falls es du/namij im nou=j geben sollte: Das Denken wäre ermüdend und das nohto/n wäre würdevoller als der nou=j selbst. [b2830] Vgl. L7 (11.) [1072b23-25]. 5.2 Dies ist aber in diesem Fall zu vermeiden. [b32] 5.2.1 These: Es ist besser, einige Sachen nicht zu sehen. [b32-33] 5.3 Gäbe es du/namij in diesem nou=j, dann wäre er nicht das Optimum. [b33] 6. Schlussfolgerung des Argumentes: „kai\ e)/stin h( no/hsij noh/sewj no/hsij“. [1074b32-35] 6.1 Wenn er das Optimum ist, dann muss er an sich selbst denken. [b33-34] 6.2 Er denkt an sich selbst und sein Denken ist Denken des Denkens. [b3435] 7. Darstellung zweier Schwierigkeiten. [1074b35-1075a5] | 189 | 7.1 Erste Schwierigkeit: „e)pisth/mh“, „ai)/sqhsij“, „do/ca“ und „dia/noia“ beziehen sich immer auf etwas anderes. [b35-36] 7.2 Zweite Schwierigkeit: Wenn das noei=n und sein nohto/n nicht dieselbe Essenz besitzen würden, das heißt, wenn das Denken nicht gleich zum Gedachten würde, wie würde das Gute zum Denken gehören? [b36-38] 7.3 Lösung: In bestimmten Fällen ist die e)pisth/mh das Objekt selbst. [b38-a1] 7.3.1 Poietische Wissenschaften: Wenn die Materie beiseite gelassen wird, ist der Gegenstand die Substanz oder die Essenz. [a1-2] 7.3.2 Theoretische Wissenschaften: Der Gegenstand ist der lo/goj oder die no/hsij. [a2-3] 7.4 Im immateriellen Bereich sind der nou=j und sein nohto/n dasselbe. [a3-5] 8. Fortsetzung von (7.): Darstellung und Lösung einer dritten Schwierigkeit. [1075a5-7] 8.1 Ist das nohto/n ein Kompositum? Wenn ja, dann würde der nou=j, da er von einem Teil zum nächsten wechselt, über Bewegung verfügen. [a5-6] 8.2 Lösung: Das Immaterielle hat keine Materie [es ist also unteilbar]. [a6-7] 9. Fortsetzung von (7.): Lösung der zweiten Schwierigkeit. Anknüpfung an L10. [1075a7-10] 9.1 Der nou=j des Menschen und des Kompositums erreicht das Gute in einem Zeitraum, weil das Gute etwas Fremdes, Anderes ist. [a7-9] 9.2 Dieser nou=j ist immer so, das heißt, er besitzt das Gute, insofern er ihm gleicht. [a10] (i) Die Beziehung dieses Prinzips – des Guten – mit der Welt L 10 [1075a11-1076a4] Ziel: Begründung der Beziehung des allerersten Guten mit der Welt. Untersuchung anderer Meinungen. 1. Programm: Begründung des Verhältnisses des Guten mit dem Kosmos. [1075a11-12] 1.1 Untersuchung: Auf welche Art besitzt die Natur des Kosmos das Gute und das Beste? [a11-12] | 190 | 2. Vergleich: Das Gute ist im Kosmos wie der General – und die Schlachtordnung – im Heer. [1075a12-15] 2.1 Frage: Existiert das oberste Gut als etwas getrenntes und unabhängiges, oder doch eher als die Ordnung der Bestandteile des Kosmos? [a12-13] 2.2 Vielleicht beides, wie im Heer. [a13] 2.3 Erklärung: Die Effizienz des Heeres hängt vor allem vom General ab, teilweise jedoch auch von der inneren Ordnung. [a14-15] 3. Das All besitzt eine innere Ordnung. Die Natur aller Dinge ist ein Prinzip, das zum Guten des Alls beiträgt. [1075a16-25] 3.1 Alle Wesen des Kosmos (Fische, Vögel, Pflanzen) besitzen eine gewisse Orientierung, jedoch ist diese nicht bei allen dieselbe. [a16-17] 3.2 Das System unterhält doch eine gewisses Verbindung zwischen den verschiedenen dazugehörigen Teilen. [a17-18] 3.3 These: Alles verfügt über eine gemeinsame Orientierung. [a18-19] 3.3.1 Erklärung: Es funktioniert wohl wie in einem Haus, in dem die Herren die geringste Handelsfreiheit besitzen, da ihnen bereits ihre Pflichten zugeordnet wurden, und die Sklaven und Tiere die niedrigste Verantwortung haben, da sie eher zufällig handeln. [a1922] 3.4 These: Die Natur aller Dinge ist ein Prinzip. [a22-23] 3.4.1 Beispiele: Der Kosmos ist so orientiert, dass alles vergeht. [a2325] 4. Neues Subprogramm als wesentlicher Teil von L10: Untersuchung der Meinungen der bedeutendsten Autoren und der relevantesten Theorien. [1075a25-27] 5. Allgemeine Meinung: Alles stammt von den Gegensätzen ab. [1075a28-32] 5.1 Erste Meinung: Es wird allgemein behauptet, alle Dinge stammen von den Gegensätzen. [a28] 5.2 Dies ist jedoch falsch. [a28-30] 5.3 Begründung: Gegensätze können nicht gegeneinander wirken. [a30-31] 5.4 Lösung: Es gibt ein drittes Prinzip – Materie, Form, Privation. [a31-32] 6. Zweite Meinung: Die Materie ist einer der Gegensätze. [1075a32-34] 6.1 Andere halten die Materie für einen Gegensatz. [a32] 6.1.1 Beispiel: Das Ungleiche wird für die Materie des Gleichen oder für die Materie des Eins gehalten. [a32-33] | 191 | 6.2 Fehler: Die Materie selbst hat keinen Gegensatz. [a33-34] 7. Das Böse ist kein Mitprinzip. Allein das Gute ist das Prinzip von allem. [1075a34-1075b1] 7.1 Dieselben Autoren meinen, das Böse sei Prinzip von allem mit Ausnahme des Eins. [a34-35] 7.1.1 Begründung: Das Böse sei ein Element. [a35-36] 7.2 Andere halten weder das Gute noch das Böse für Prinzipien. [a36-37] 7.3 Lösung zu (7.1) und (7.2): Das Gute ist im Grunde Prinzip aller Dinge. Im Gegensatz zum Bösen ist das Gute Prinzip. [a37] 7.4 Vorwurf: Das „Wie“ wird von ihnen nicht erklärt: Ist es eine Final-, Bewegungs- oder eine Formursache? [a38-b1] 8. Kritik an Empedokles’ Position. [1075b1-7] 8.1 Widersinn: Er identifiziert das Gute mit der Liebe. [b1-2] 8.2 Erster Fehler: Das Gute ist sowohl Bewegungsursache – insofern es die Dinge zusammenführt –, als auch Materialursache – da es ein Teil der Mischung ist. [b3-4] 8.3 Zweiter Fehler: Beide Prinzipien (Liebe, Hass) haben dieselbe Essenz. Doch wie kann die Liebe Prinzip sein? [b4-6] 8.4 Dritter Fehler: Die absurde Annahme, der Hass sei unsterblich. [6-7] 8.4.1 Lösung: Der Hass ist die Essenz des Bösen. [b7] 9. Kritik an Anaxagoras’ Position. [1075b8-11] 9.1 Er behauptet, das Gute sei eine Bewegungsursache. [b8] 9.2 Dieser nou=j bewegt die Dinge zu einem weiteren Guten, nicht zu ihm selbst. [b8-9] 9.3 Korrektur: nou=j und Gut sind identisch. [b9-10] 9.3.1 Beispiel: Die Heilungskunst entspricht gewissermaßen der Gesundheit. [b10] 9.4 Fehler des Anaxagoras: Er etabliert keinen Gegensatz zum Guten beziehungsweise zum nou=j. [b10-11] 10. Fehler jener, die die Gegensätze akzeptieren. [1075b11-17] 10.1 Alle, die die Gegensätze akzeptieren, machen keinen richtigen Gebrauch von ihnen. [b11-13] 10.2 Niemand erklärt, wieso es vergängliche und unvergängliche Dinge gibt. [b13] | 192 | 10.2.1 Grund: Ihnen zufolge gründet alles auf denselben Prinzipien. [b14] 10.3 Einige meinen, alles stamme von dem Nicht-Sein. [b15] 10.4 Um das zu vermeiden, behaupten manche, alles sei eins. [b15-16] 10.5 Vorwurf: Niemandem gelingt es, das Entstehen und dessen Ursachen zu erklären. [b16-17] 11. Zwei Prinzipien deuten ein oberes Prinzip an. [1075b17-20] 11.1 Die, die zwei Prinzipien akzeptieren, müssen auch ein oberes Prinzip in Kauf nehmen. [b17-18] 11.2 Beispiel: Die Platoniker. [b18-19] 11.2 Schwierigkeit: Wie haben die Individuen an den Formen teil? [b19-20] 12. Es gibt nichts über der sofi/a. [1075b20-24] 12.1 Allgemeiner Fehler: Als Folge aller Meinungen sollte ein Gegensatz zur sofi/a und zu dem obersten Wissen akzeptiert werden. [b20-21] 12.2 Ausnahme: Aristoteles’ Meinung. [b21] 12.2.1 Grund: Es gibt keinen Gegensatz zum Ersten, weil alle Gegensätze Materie einschließen und sie somit unter die du/namij fallen. [b21-23] 12.3 Die sich der sofi/a widersetzende Ignoranz sollte das Gegenteil der sofi/a als Objekt haben. Aber so etwas existiert nicht: Das Erste hat kein Gegenteil. [b23-24] 13. Fehler der Theologen und Kosmologen: Es gibt nur sichtbare Substanzen. [1075b15-27] 13.1 Die Theologen und Kosmologen meinen, jenseits der sichtbaren Dinge gibt es nichts. [b24-25, b26-27] 13.2 In diesem Fall würde sich ein jedes Prinzip über ein anderes stellen. Folglich gäbe es weder ein erstes Prinzip noch Ordnung, Entstehen oder Bewegung im Himmel. [b25-26] 14. Gegen die Platoniker: Die Formen und Zahlen sind keine Ursachen – erst recht keine Bewegungsursachen. [1075b27-28] 15. Besonderer Fall: Gegen die Position der Platoniker beziehungsweise der Pythagoreer. Zahlen können kein Kontinuum bewirken. [1075b28-30] 15.1 Frage: Wie kann etwas Nicht-Ausgedehntes etwas Ausgedehntes beziehungsweise ein Kontinuum verursachen? [b28-29] | 193 | 15.2 Die Zahlen verursachen kein Kontinuum, weder als Bewegungsursache noch als Formursache. [b29-30] 16. Fortsetzung von (15.): Allgemeiner Fall: Gegensätze können keine Bewegung verursachen. [1075b30-34] 16.1 These: Wegen der Essenz ist ein Gegensatz weder poihtiko/j noch Beweger. [b30-31] 16.1.1 Grund: Dann wäre es kontingent. [b32] 16.2 Folgerung: Das poiei=n käme nach der du/namij. [b32-33] 16.2.1 Widersinn: Dann gäbe es nichts Ewiges. [b33] 16.3 These: Es gibt doch ewige Substanzen. [b33] 16.4 Hier liegt ein Fehler vor. Dieser Punkt wurde bereits erklärt. [b33-34] 17. Unmöglichkeit, um zu erklären, wie alle Sachen Eins sind. [1075b34-37] 17.1 Keiner Theorie gelingt es, die Einheit der Zahlen, die Einheit von Seele/Körper, oder die Einheit von Form/Ding zu erklären. [b34-36] 17.2 Einzig die aristotelische Theorie ist dazu fähig. [b36] 17.2.1 Erklärung: Die Bewegungsursache macht sie zu Eins zusammen. [b37] 18. Gegen Speusippos’ Position: Unmöglichkeit mehrerer Prinzipien. [1075b371076a4] 18.1 Er macht aus der mathematischen Zahl die erste Substanz. [b37-38] 18.1.1 Erster Fehler: Eine Substanz entsteht aus einer anderen, sofern jede Substanz ein anderes Prinzip besitzt. [b38-a1] 18.1.2 Zweiter Fehler: Demnach wäre alles unzusammenhängend. [a1] 18.1.3 Falsche Schlussfolgerung: Es sollte mehrere Prinzipien geben. [a3] 18.2 Dies widerspricht sogar Homers Prinzip: Die Herrschaft mehrerer Individuen ist nicht von Vorteil. Herrschen soll ein Einziger. [a3-4] * Schlussfolgerung aus der Einheit L8-10: Aristoteles ist es gelungen, was auch andere Autoren erreichten, und zwar die Begründung der ersten Ursache. Seine Theorie ist allerdings deutlich besser, da er die Art der Kausalität, die Übertragung der Bewegung und die Beziehung zur Welt ausführlicher erklärt. | 194 | ANHANG 2 TABELLE: BEGRIFFE IN L L1 (1069a18-1069b7) ou)si/a 1069a18 (x2) 1069a20 1069a21 1069a25 1069a27 1069a28 1069a30 1069b3 9 e)ne/rgeia 0 1069b16 1069b17 1069b20 1069b32 L2 (1069b7-1069b34) 0 L3 (1069b35-1070a30) (1070a31-1070b35) (1070b36-1071b2) (1071b3-1072a18) ai)ti/a 1069a19 4 1069b33 6 qeo/j 1 0 1 0 4 0 4 0 6 0 4 0 1069b33 1 1070a9 1070a20 1070a31 1070b22 0 1070a34 1070a36 1070b1 1070b3 1070b4 1070b9 1070b13 1070b25 0 1070b13 1070b36 1071a1 1071a24 1071a30 1071a34 1071a35 0 1071a4 1071a6 1071a8 1071a11 1071a19 6 L6 0 1069b14 1069b15 1069b16 1069b20 1069b28 1069b32 4 8 L5 a)rxh/ 1069a18 1069a26 1069a28 1069b2 1070a5 (x2) 1070a9 1070a14 1070a20 5 L4 du/namij 1071b3 1071b5 (x2) 1071b14 1071b16 1071b18 1071b20 1071b21 8 1 1071a5 1071a7 1071a10 1071a11 1071a12 1071a19 5 1071b14 1071b20 1071b22 1071b23 1071b24 1071b29 1071b32 1072a3 1072a4 1072a9 1072a10 0 1070a31 1070a34 1070b14 1070b16 1070b18 1070b23 1070b24 1070b25 1070b26 1070b30 10 1071a4 1071a18 1071a20 1071a30 1071b1 6 1071b13 1071b15 1071b18 1071b19 1071b23 1071b24 1072a3 1072a9 11 | 195 | 1070b24 1070b26 1070b27 1070b32 1071a1 1071a4 1071a8 1071a13 1071a25 1071a35 5 1071b15 1071b20 1072a1 8 1071b29 1071b34 1072a14 1072a15 3 L7 (1072a19-1073a13) L8 (1073a14-1074b14) L9 (1074b15-1075a11) L10 (1075a11-1076a5) SUMME 1072a25 1072a26 1072a31 1072b7 1073a4 1073a6 1072a12 1072a25 1072a32 1072b5 1072b8 1072b17 1072b23 1072b27 (x3) 10724b11 1074b20 6 1073a14 1073a30 (x2) 1073a34 1073a35 (x2) 1073a36 (x2) 1073a37 1073b2 1073b6 1073b7 1073b11 1074a15 1074a19 1074a22 1074a23 1074b9 18 1074b20 (x2) 1074b22 1075a2 4 1075b38 1076a1 1076a3 (x2) 10 4 0 1072a30 2 1072b24 1072b25 1072b29 1072b30 (x2) 1 0 1074a15 1074a33 1074b1 0 0 5 1074a30 1074b2 1074b3 1074b9 (x2) 3 0 5 1074b16 1074b26 0 0 0 0 2 11 0 0 1075a37 1075a38 (x2) 1075b3 1075b5 1075b14 1075b18 1075b19 1075b25 1075b26 (x2) 0 68 30 23 38 20 12 ou)si/a e)ne/rgeia du/namij a)rxh/ ai)ti/a qeo/j | 196 | BIBLIOGRAPHIE 1. 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