FORUM ERNÄHRUNGSMEDIZIN Wissenschaftliche Ernährungsinformation Antioxidantien PROF. DR. MED. H.- K. BIESALSKI Wissenschaftliche Ernährungsinformation Antioxidantien Eine Initiative des FORUM ERNÄHRUNGSMEDIZIN „Wissenschaftliche Ernährungsinformation Antioxidantien” ist eine Broschüre in der Reihe von ernährungsmedizinischen Informationsschriften, die im FORUM ERNÄHRUNGSMEDIZIN erscheint. Das FORUM ERNÄHRUNGSMEDIZIN ist eine Initiative der KELLOGG (DEUTSCHLAND) GMBH. Inhaltsverzeichnis Editorial 4 Schlagwort: Freie Radikale 6 Weitere Broschüren und Informationen können Sie anfordern beim: FORUM ERNÄHRUNGSMEDIZIN Postfach 700842, 60558 Frankfurt a. M. Telefax 069/96 36 52-15 Was sind Antioxidantien? 9 Zusätzlich sind bisher erschienen: Eine Einführung Indikation Osteoporose Ballaststoffe Folsäure (mit zusätzlichem Faltblatt zur Ausgabe ans Publikum) Übergewicht bei Kindern Vitamin E 12 Vitamin C 17 Beta-Carotin 20 Die Bedeutung der Antioxidantien bei der Entstehung von Erkrankungen 23 Antioxidantien und Atherosklerose 23 Beta-Carotin und Lungenkrebs 27 Beta-Carotin und Colonkrebs 29 Carotinoide/ Vitamin E und Makula-Degeneration 29 Vitamin E und rheumatoide Arthritis oder Osteoarthritis 30 (mit zusätzlichem Elternratgeber zur Ausgabe ans Publikum) IMPRESSUM Herausgeber: FORUM ERNÄHRUNGSMEDIZIN 60558 Frankfurt a. M. Autor: Prof. Dr. med. H.-K. Biesalski 70599 Stuttgart Redaktion: :relations GmbH, 60596 Frankfurt und Dr. Susanne Nowitzki-Grimm, Dr. Peter Grimm, 73614 Schorndorf Layout und Satz: Christa Herzer 60596 Frankfurt Empfehlungen für die Praxis 31 Anhang 34 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne ausdrückliche Genehmigung der KELLOGG (DEUTSCHLAND) GMBH reproduziert werden. © FORUM ERNÄHRUNGSMEDIZIN Letzte überarbeitete Aufl. Januar 2000 0100/3000 Druck: Hella Pukowski 63452 Hanau 3 Editorial In den letzten Jahrzehnten wurde deutlich, daß der Sauerstoff uns nicht nur am Leben erhält, sondern dieses auch gefährden kann. Tritt er nämlich als sogenannter reaktiver Sauerstoff (ROS) auf, so trägt dies – bedingt durch oxidative Folgereaktionen – zur Pathogenese einer Reihe von Erkrankungen bei. Substanzen, die antioxidativ wirken, also die Bildung von ROS verhindern und oxidative Folgereaktionen unterdrücken, sind deshalb in den Brennpunkt des Interesses gerückt. Die Wirkungsweisen der antioxidativen Vitamine E, BetaCarotin und C sind heute recht gut erforscht Dank der rasanten Entwicklung zell- und molekularbiologischer Methoden konnten die Wirkungsweisen der antioxidativen Vitamine – Vitamin E, Beta-Carotin und Vitamin C – in den vergangenen Jahren gezielter erforscht und erklärt werden. Insbesondere ist es gelungen, phänomenologische Beobachtungen der Vergangenheit zu objektivieren und damit auch die vielfältigen – oft rein spekulativ postulierten – Wirkungsweisen zu hinterfragen. Dies gilt besonders für den Bereich der sogenannten ,,Free Radical Diseases", zu denen Krebs, Atherosklerose und weitere degenerative Erkrankungen gezählt werden. Die AntioxidantienForschung läßt die Entstehung von KHK in einem anderen Licht erscheinen Die intensive Forschung hat die Vorstellungen von der Pathogenese einiger Erkrankungen verändert. So ist in den letzten Jahren beispielsweise die Aussage, daß alleine ein hoher Gesamt- beziehungsweise LDL-Cholesterinwert mit einem gesteigerten Risiko für die koronare Herzkrankheit (KHK) einhergeht, aufgrund verschiedener Studienergebnisse in Frage gestellt worden. Einen neuen Ansatz zur Erklärung der Entwicklung der KHK bieten die Untersuchungen zur Wirkungsweise von antioxidativen Vitaminen. Epidemiologische Studien, die bereits seit langem einen Zusammenhang zwischen hoher Zufuhr antioxidativ wirkender Vitamine und geringem Herzinfarktrisiko diskutieren (Vorteile der ,,mediterranen Kost"), scheinen sich durch die Ergebnisse der Grundlagenforschung zu bestätigen. 4 Die antioxidativen Vitamine E, C und Beta-Carotin werden in dieser Broschüre beschrieben und durch Informationen zur gezielten Ernährungsempfehlung für den Patienten und für besondere Risikogruppen ergänzt. Professor Dr. med. H.-K. Biesalski 5 Schlagwort: Freie Radikale Freie Radikale – viel diskutiert, aber noch nicht vollständig erforscht Als freie Radikale bezeichnet man Verbindungen, die sich aufgrund eines fehlenden Elektrons (ungepaart) aggressiv verhalten: Sie entreißen dieses Elektron anderen Verbindungen, die dadurch zum Radikal werden und /oder sich chemisch verändern. Antioxidantien wirken als Teil der zellulären Abwehrmechanismen gegen freie Radikale. Glaubt man den Versprechungen der einschlägigen Presse, so helfen sie gegen alles. Tatsache ist, daß in den letzten Jahren die Wirkungen aggressiver Sauerstoffverbindungen und deren Abwehr durch Antioxidantien zunehmend besser, aber immer noch nicht vollständig verstanden werden. Vieles, was bisher nur symptomatisch behandelt werden konnte, wird heute erklärbar – und damit in Zukunft evtl. an der Wurzel angreifbar. Entstehung und Wirkung freier Radikale Reaktive Sauerstoffverbindungen entstehen ständig und sind daher physiologisch bei allen sauerstoffabhängigen Organismen Bei einer Vielzahl von Stoffwechselvorgängen entstehen als Nebenprodukte sogenannte „reaktive Sauerstoffverbindungen“, die im internationalen Sprachgebrauch mit ROS (reactive oxygen species) abgekürzt werden (s. Abb. 1). Generell handelt es sich dabei um sehr reaktionsfreudige Produkte wie z.B. Singulettsauerstoff oder das bekannte Wasserstoffperoxid. Aggressiver als die ROS selbst verhalten sich deren Folgeprodukte wie z. B. das Superoxid und das Hydroxylradikal. Aktivierte Leukozyten und Makrophagen nutzen sie sogar für ihre Funktion im Immunsystem: Phagozytierte (aufgenommene) Bakterien werden durch die freien Radikale zerstört. Bei intensiven immunologischen Prozessen können jedoch auch vermehrt freie Radikale aus Leukozyten, Makrophagen und aus Bakterien austreten. Diese erfüllen dann keine physiologische Funktion mehr, sondern belasten den Gesamtorganismus. Freie Radikale dienen auch der körpereigenen Abwehr Abbildung 1: Reaktive Sauerstoffverbindungen und freie Radikale (blau unterlegt) entstehen im Stoffwechsel oder durch exogene Einflüsse, reagieren mit ungesättigten Fettsäuren in Lipiden und provozieren dadurch die Bildung weiterer freier Radikale in Form verschiedener reaktiver Lipidverbindungen ROS entstehen bevorzugt dort, wo viel Sauerstoff verarbeitet wird. Dies ist z.B. in den Mitochondrien jeder Zelle der Fall, wo Sauerstoff zur Energiegewinnung benötigt wird. 3 bis 10% des Sauerstoffs werden hier nicht vollständig verarbeitet, sondern enden als aggressive ROS. Auch Substanzen, die gerne spontan oxidieren (Autoxidation) führen zur Bildung von ROS: Bekanntestes Beispiel ist die Oxidation von Eisen (Fe2+ zu Fe3+). Von großer Bedeutung sind auch photodynamische Reaktionen, bei denen (unabhängig von der Pigmentierung der Haut) unter Lichteinwirkung aktivierte Sauerstoffverbindungen entstehen. Die Liste möglicher Entstehungsorte und -mechanismen ließe sich beliebig fortsetzen. Freie Radikale sind nahezu überall zu finden – in jedem lebenden und damit sauerstoffverbrauchenden Organismus entstehen sie zwangsläufig. 6 7 Was sind Antioxidantien? Angriffspunkte freier Radikale ◆ Lipide ◆ Proteine ◆ DNA In biologischen Membranen bilden die eng gepackten mehrfach ungesättigten Fettsäuren ein bevorzugtes Ziel für freie Radikale Wenn ROS mit Proteinen reagieren, können Sie deren Funktion beeinträchtigen Die in Lipiden enthaltenen ungesättigten Fettsäuren sind ein bevorzugtes Ziel aktivierter Sauerstoffverbindungen. In der Nachbarschaft von Doppelbindungen (s. z.B. Abb. 3) entstehen hoch reaktive Strukturen (z. B. das Hydroperoxid) oder direkt wieder freie Radikale. Eine solche Reaktion kann prinzipiell zwischen jedem organischen Molekül und freien Radikalen eintreten. Dadurch entsteht wieder ein freies Radikal, das erneut reagiert – eine typische Kettenreaktion ist eingeleitet. Das Besondere an Lipiden ist deren gehäuftes Auftreten: Während andere organische Moleküle sehr verstreut vorkommen, liegen Lipide z.B. in allen biologischen Membranen als LipidDoppelschicht eng gepackt. Wenn hier eine Kettenreaktion ausgelöst wird, so ist die Ausbreitung über große Teile der Membran möglich. Dadurch können Strukturen der Membran zerstört werden, was im Extremfall zum Untergang der Zelle führt. Vor allem proteingebundenes Fe2+ – wie es in allen Zellen vorkommt – kann lokal zur Entstehung von ROS führen, die mit Aminosäureresten reagieren können. Dies führt entweder zur Veränderung einer Seitenkette (oxidative Desaminierung) oder zur Spaltung des Proteins (oxidative Spaltung). Da die Funktion von Proteinen durch deren Struktur bestimmt wird, ergeben sich durch diese Schäden auch Änderungen physiologischer Vorgänge. Antioxidantien sind Verbindungen, die in der Ernährung des Menschen vorkommen und oxidative Prozesse regulieren. Sie unterbinden unerwünschte Prozesse und wirken bei erwünschten Reaktionen als Schutz benachbarter Zellstrukturen. Die wichtigsten und bis dato auch die einzigen genauer erforschten Antioxidantien sind die Vitamine E und C sowie die Carotinoide, darunter vor allem Beta-Carotin. Grundsätzlich werden bei Antioxidantien auch solche Substanzen angesprochen, die selbst nicht antioxidativ sind, sondern erst in Verbindung mit bestimmten Enzymsystemen oder anderen antioxidativ wirkenden Komplexen in das antioxidative Geschehen eingreifen. Hierzu gehört z. B. Selen, das als Cofaktor des endogenen Glutathion-Systems fungiert. Insgesamt besteht die antioxidative Abwehr im menschlichen Organismus aus einem großen, vernetzten System, in dem die unterschiedlichsten Nahrungsbestandteile, aber auch endogen synthetisierte Enzyme und Proteine, eine Rolle spielen. Diese Vernetzung ist von besonderer Bedeutung, da durch die unterschiedliche räumliche Verteilung von freien Radikalen chemisch verschiedene antioxidative Systeme in unterschiedlichen Regionen der Zelle notwendig sind. Im wässrigen Kompartiment der Zellen oder dem Zwischenzellraum haben nur wasserlösliche Substanzen eine Chance, die aggressiven Substanzen zu erreichen. Aber auch im lipidlöslichen Raum von Zellmembranen oder Lipidtransportern muß sichergestellt sein, daß Oxidationsvorgänge (s. Abb. 2) jederzeit kontrolliert werden können. Zu den Antioxidantien werden auch Stoffe wie z. B. Selen gezählt, die selbst nicht antioxidativ wirksam sind, sondern Bestandteile körpereigener Abwehrsysteme darstellen Freie Radikale entstehen an unterschiedlichen Orten, so daß verschiedene Abwehrsysteme notwendig sind Der potentielle Nutzen von Antioxidantien In unmittelbarer Nähe der DNA können die äußerst reaktiven Hydroxylradikale entstehen. Sie können zu DNA-Schäden wie z.B. Strangbruch oder Basenmodifizierung führen – eine fehlerhafte Transkription (Ablesen des DNA-Codes) kann die Folge sein. 8 Antioxidantien haben zwei große lndikationsbereiche: ◆ die Verhütung und Behebung von Mangelzuständen und dadurch ausgelösten Erkrankungen (Intervention) und ◆ die Verhütung von Krankheiten und Gesundheitserhaltung (Prävention). Antioxidantien spielen bei Intervention und Prävention eine wichtige Rolle 9 Abbildung 2: Verschiedene Stoffwechselvorgänge, aber auch Umweltfaktoren können zur Bildung freier Radikale und damit zur Lipidoxidation führen Die Oxidationsvorgänge können Veränderungen auslösen, die wiederum zur Entstehung einer Reihe von akuten und chronischen Krankheiten beitragen können. Krankheiten, an deren Pathogenese freie Radikale beteiligt sind: Deutliche Mangelzustände mit entsprechender Symptomatik – etwa Muskeldystrophie und neurologische Anomalien bei Vitamin E- oder Skorbut bei Vitamin C-Mangel – sind in den Industrieländern heutzutage sehr selten geworden. Die neue Rolle der Vitamine bei Gesundheitsoptimierung und Krankheitsverhütung hat dagegen erheblich an Bedeutung gewonnen und ist einer der kostengünstigsten und vielversprechendsten Wege der Medizin und der Ernährungswissenschaft im nächsten Jahrzehnt. Im oxidativen Streß gewinnen Oxidantien gegenüber Antioxidantien die Oberhand. Folgeschäden an zellulären Strukturen sind vorprogrammiert 10 Ein ständiger Schutz gegen freie Radikale und Oxidantien ist notwendig, da molekularer Sauerstoff und seine aktivierten Formen ubiquitär vorhanden sind und mit biologischem Material reagieren können. Als oxidativer Streß wird ein Zustand bezeichnet, bei dem entweder prooxidative Faktoren durch unterschiedliche Ereignisse ein solches Ausmaß annehmen, daß die antioxidativen Systeme überfordert sind (chronische Entzündungen, toxische Verbindungen u.a.) oder aber durch Erkrankungen oder einseitige Ernährung die Zufuhr der exogenen Antioxidantien im Vergleich zu den prooxidativen Entwicklungen in unserem Organismus zu gering, d.h. nicht angepaßt, ist. ◆ Atherosklerose ◆ Krebs ◆ Störungen des Immunsystems ◆ Chronische Polyarthritis ◆ Hypoxämie und lschämie ◆ Thermische Schäden ◆ Katarakt ◆ Adulte Makula-Degeneration Coenzym Q 10 Viele Verbindungen wie z.B. Carotinoide und Flavonoide, die als antioxidative Vitamine bezeichnet bzw. beworben werden, sind entweder keine Vitamine (nicht essentiell) oder sie sind nicht antioxidativ wirksam bzw. beides. Zu ihnen zählen auch bestimmte Enzyme, die endogen gebildet werden, und verschiedene Eiweißbausteine, die im Verbund in unserem Organismus möglicherweise antioxidative Wirkungen mitentfalten können. Nur die antioxidativen Vitamine sind unter den zuführbaren Antioxidantien bis dato genauer erforscht Eine Ausnahme bei den Enzymen bildet das Coenzym Q10, welches teilweise mit der Nahrung zugeführt wird, aber im Wesentlichen in unserem Organismus synthetisiert wird. Es hat antioxidative Eigenschaften und entwickelt diese vor allen Dingen in lipidlöslichen Kompartimenten. Die Tatsache, daß es aber in ausreichender Menge im Organismus gebildet werden kann, und bisher der Nachweis fehlt, inwieweit mit der Nahrung aufgenommenes Coenzym Q10 tatsächlich „an den Ort des Geschehens“ gelangt, lassen dieses antioxidative Coenzym hinsichtlich seiner Essentialität eher fragwürdig erscheinen. 11 Vitamin E Vitamin E – das Abwehrsystem gegen freie Radikale in Lipiden Vitamin E zählt zu den fettlöslichen Vitaminen und ist daher in allen Lipidfraktionen wirksam. Es ist schon lange als natürliches Antioxidans bekannt: Die Lebensmittelindustrie nutzt dies, um Fette und Öle durch Zusatz von Vitamin E vor Verderb zu schützen. Je mehr ungesättigte Fettsäuren ein Fett oder Öl enthält, desto mehr Vitamin E muß es enthalten. Das gleiche Prinzip ist auf den Organismus übertragbar: Da die Fettsäurezusammensetzung der Membranen von der Ernährung abhängig ist (je höher die Aufnahme an ungesättigten Fettsäuren, desto höher der Gehalt in Membranen), muß eine hohe Zufuhr ungesättigter Fettsäuren mit einer hohen Vitamin E-Zufuhr einhergehen. dings finden sich im Mittel nur 0,5 bis 3 Moleküle Vitamin E pro 1.000 ungesättigte Fettsäuren. Daher muß nach der Unterbrechungsreaktion eine schnelle Regeneration stattfinden. Hierzu wird das Vitamin reduziert und damit wieder verfügbar – Vitamin C und Glutathion dienen dabei als Reduktionsmittel. Diese Reaktion zeigt einerseits, daß die Vitamine C und E in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Radikalprozessen verfügbar sein müssen, und andererseits, daß mit steigender Bereitschaft zur Radikalbildung auch der Vitamin E-Bedarf steigt. Exogene oder endogene Faktoren, die zu einer Steigerung der Radikalbildung führen, müssen also gleichzeitig eine Erhöhung der Vitamin E-Zufuhr nach sich ziehen, wenn Schäden vermieden werden sollen. Lebensmittel Abbildung 3: Vitamin E in biologischen Membranen 1 Die Auslösung: Freie Radikale greifen eine mehrfach ungesättigte Fettsäure an, wodurch diese selbst zum Radikal wird. 2 Das Fettsäureradikal reagiert mit Sauerstoff zum aggressiven Peroxylradikal. 3 Die Kettenreaktion ist eingeleitet; dabei ändert sich die Form der Lipide und damit die Eigenschaft der Membran. Es entstehen so lange weitere Fettsäureradikale, bis ein Vitamin E-Molekül den Weg kreuzt. 4 Vitamin E unterbricht die Kettenreaktion und wird dabei selbst zum Radikal. Dieses ist allerdings reaktionsträge, so daß keine weitere Radikalbildung in der Umgebung ausgelöst wird. 5 Regeneration des Vitamin E-Moleküls durch Vitamin C (Ascorbinsäure). Vitamin E liegt vorwiegend in Membranen vor und kann hier seine Schutzfunktion optimal ausüben. Es bricht durch Bildung eines relativ reaktionsträgen Tocopheroxyl-Radikals den Kettenreaktionsprozeß bei der Lipidperoxidation ab (s. Abb. 3). Aller- 12 Weizenkeimöl Haselnuß Sonnenblumenöl Olivenöl Butter Maiskeimöl Hering Makrele Distelöl Walnuß MUFS g/100 g Vitamin E mg/100 g 65 6 63 9 3 53 7 3 75 40 215 25 50 13 2 31 1 1 35 6 Beurteilung des Fettsäure/ Vitamin EVerhältnisses +++++ ++ ++ + 0 0 – – – –– Tabelle 1: Der Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (MUFS) und damit die Anzahl an Doppelbindungen korreliert nicht zwangsläufig mit der Vitamin EKonzentration: Walnüsse haben ein Vitamin E-Defizit (– –), während Weizenkeimöl einen großen Vitamin EÜberschuß aufweist Vorkommen und Bedarf Für die Versorgung mit Vitamin E beim Menschen sind pflanzliche Öle von zentraler Bedeutung. Bei der Beurteilung des Vitamin E-Gehaltes verschiedener Nahrungsmittel muß jedoch das Verhältnis von Vitamin E zu den mehrfach ungesättigten Fettsäuren (MUFS) berücksichtigt werden, um eine antioxidative Imbalance zu verhindern. Denn Vitamin E ist für den Schutz der mehrfach ungesättigten Fettsäuren essentiell. Je mehr Es gibt nur wenige Lebensmittel, die einen Vitamin E-Überschuß aufweisen 13 MUFS ein Nahrungsmittel enthält, desto mehr Vitamin E muß es bereitstellen, damit die Bilanz ausgeglichen ist (ca. 0,5 mg Vitamin E pro g MUFS). Wie die Betrachtung einzelner Nahrungsmittel zeigt (s. Tab. 1), ist dies nicht per se gewährleistet. Die beste Quelle für Vitamin E stellt Weizenkeimöl dar, das bei uns jedoch – auch aufgrund des hohen Preises – keine sehr große Verbreitung hat. Je Gramm ungesättigte Fettsäuren werden mindestens 0,5 mg Vitamin E benötigt Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) sollen bei einer geschätzten Zufuhr von 14 bis 19 g MUFS pro Tag je Gramm 0,5 mg Vitamin E zugeführt werden*. Einen Sicherheitszuschlag eingerechnet, ergibt sich eine wünschenswerte Zufuhr von 12 mg Vitamin E täglich. Bei dieser Empfehlung dürfte aber die Zufuhr eine Menge von 24 g MUFS pro Tag nicht überschreiten – sonst könnte die Bilanz unausgeglichen werden. Da Vitamin E so gut wie gar nicht gespeichert werden kann, ist es erforderlich, daß die Zufuhr kontinuierlich erfolgt und nicht von Tag zu Tag starken Schwankungen unterworfen ist. Die empfohlene Vitamin E-Zufuhr wird von großen Teilen der Bevölkerung nicht erreicht Generell wird in Deutschland bei gemischter Ernährung eher zu wenig Vitamin E aufgenommen. Eine aus den Empfehlungen resultierende Bedarfsdeckung wurde nach den Untersuchungen der VERA-Studie in 43 Prozent der Fälle nicht erreicht. Dabei sind in diesen Untersuchungen die bekannten Risikogruppen mit erhöhtem Bedarf nicht einmal berücksichtigt. Die Plasma Vitamin E-Werte müssen auf die Gesamtlipide bezogen werden *Die DGE wird im Laufe des Jahres 2000 neue Empfehlungen herausgeben. 14 In vielen Fällen muß eher mit einer marginalen Bedarfsdekkung an Vitamin E gerechnet werden. Ein solches marginales Defizit kann beim Erwachsenen bestehen, ohne daß spezifische Mangelsymptome zu beobachten sind. Folgende Erkrankungen und Zustände können mit einem erhöhten Bedarf oder einer verringerten Zufuhr an Vitamin E einhergehen: Erkrankungen, bei denen verringerte Plasmaspiegel ein Vitamin E-Defizit deutlich zeigen ◆ Enteropathien ◆ Hämolytische Anämien Faktoren oder Erkrankungen, bei denen ein gesteigerter Vitamin E-Bedarf besteht ◆ Rauchen ◆ Chronischer Alkoholabusus ◆ Verbrennungen ◆ Zustand nach Polytraumen und schweren Operationen ◆ Ungünstige LDL/HDL-Quotienten Risikogruppen Erkrankungen, bei denen pathogenetisch freie Radikale von Bedeutung sind und daher eine gute Vitamin E-Versorgung sinnvoll ist ◆ Chronische Arthritis ◆ Katarakt ◆ Makuladegeneration ◆ Lokale Ischämien wie z.B. venöse Ulcera u.a. Zur Beurteilung des Vitamin E-Status kann die Plasmakonzentration herangezogen werden (s. Tab. 2). Da aber die Vitamin E-Spiegel im Plasma mit den Lipiden korrelieren, hat es sich als notwendig erwiesen, die Vitamin E-Werte auf Gesamtlipide zu beziehen. Daraus ergibt sich, daß von einem Vitamin EDefizit ausgegangen werden muß, wenn bei Erwachsenen ein Wert von 0,8 mg/g Gesamtlipide und bei Kindern von 0,6 mg/g Gesamtlipide unterschritten wird. Erkrankungen, Zustände und Umweltfaktoren, bei denen mit verstärkter Bildung von freien Radikalen zu rechnen ist ◆ Diabetes mellitus ◆ Alterung ◆ Körperliche Schwerarbeit ◆ Luftverschmutzung ◆ Wundheilungsvorgänge Ein manifester Mangel äußert sich beim Erwachsenen in einer verringerten Lebensdauer der Erythrocyten und einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber peroxidativ-induzierter Hämolyse. Der Plasmaspiegel von Patienten mit Cholestase oder A-BetaLipoproteinämie liegt meist unter 0,1 mg /dl. Wer an Zöliakie, Sprue, chronischer Pankreatitis, ulcerativer Colitis oder cysti- 15 Vitamin C scher Fibrose erkrankt ist oder gastrektomiert ist, hat durch schnittliche Werte zwischen 0,4 und 0,8 mg /g Gesamtlipide. Die Bestimmung des antioxidativen Status und der Lipide gibt Auskunft über den Versorgungsstatus Der durchschnittliche Vitamin E-Plasmaspiegel bei hämolytischen Anämien liegt zwischen 0,8 und 1,2 mg/g Gesamtlipide. Auch bei parenteraler Ernährung und bei der Gaucherschen Speicherkrankheit kann die Vitamin E-Versorgung unzureichend sein. Um sicher zu gehen, daß Ihr Patient ausreichend versorgt ist, versuchen Sie, eine Analytik des antioxidativen Status und der Lipide durchführen zu lassen. Sie können hierzu die Vitamine E, C sowie Beta-Carotin bestimmen lassen. Auch eine Analyse von Lipidperoxidationsprodukten ist möglich. Tabelle 2: Die mittleren, als normal angesehenen PlasmaVitamin E-Spiegel bei den verschiedenen Altersgruppen Altersgruppe Tocopherol im Plasma in mg/g Gesamtlipid Erwachsene Jugendliche Kinder Neugeborene Frühgeborene 1,8 1,6 – 1,8 1,4 – 1,6 0,8 – 1,0 0,4 – 0,6 Vitamin C ist im eigentlichen Sinne kein echtes Antioxidans, da es weder radikalische Kettenreaktionen unterbrechen kann, noch dazu beiträgt, daß reaktive Sauerstoffverbindungen inaktiviert werden. Es stellt vielmehr ein essentielles wasserlösliches Redoxsystem dar, welches dazu beiträgt, daß im Zuge des Radikalfangprozesses gebildete oxidierte Antioxidantien wieder reduziert werden. Exemplarisch ist dies für Vitamin E untersucht (s. Abb. 4). Aus dem Zusammenspiel zwischen dem wasserlöslichen Vitamin C, welches sowohl im Plasma als auch im wässrigen Kompartiment der Zelle, dem Cytoplasma, aktiv ist, wird deutlich, daß neben einer ausreichenden Konzentration an lipidlöslichen Antioxidantien also z.B. Vitamin E in der Membran auch eine ausreichende Konzentration an Vitamin C für ein regelrechtes Funktionieren des antioxidativen Netzwerkes eine unabdingbare Voraussetzung ist. LOO ● Vitamin C ist das Bindeglied zwischen dem lipidlöslichen Vitamin E-Radikal und endogenen, antioxidativen Systemen im wässrigen Kompartiment Abbildung 4: Synergismus von Vitamin E und Vitamin C. Vitamin E aus der Membran wird durch Vitamin C regeneriert, das dadurch zum Radikal wird. Im wässrigen Milieu der Zelle findet die Regeneration des Vitamin C durch z.B. das Glutathion-System (GSH-GSSG) statt Es wird immer wieder behauptet, daß Vitamin E, wenn es im Zuge des Radikalfangprozesses oxidiert wird, selbst die radikalische Kettenreaktion anstoßen könne. Dies ist grundsätzlich möglich und zwar ganz besonders dann, wenn keine reduzierenden Äquivalente, vor allem Vitamin C, vorhanden sind. Untersuchungen aus jüngster Zeit zeigen jedoch, daß es zu 16 17 einem Anstieg des Vitamin E-Radikals erst dann kommt, wenn das Vitamin C deutlich absinkt. Die Gabe von Vitamin E sollte also immer gleichzeitig mit Vitamin C erfolgen. Ebenso wie Vitamin C das Vitamin E-Radikal wieder reduzieren kann, kann man eine solche Redoxeigenschaft auch bei Beta-Carotin und evtl. anderen Carotinoiden beobachten. Vorkommen und Bedarf Vitamin C ist so empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen wie Licht oder Wärme, daß sein Abbau als Marker für das Verhalten vieler anderer Vitamine angesehen wird Genügt die offizielle Empfehlung der Vitamin C-Zufuhr zur Prävention? *Die DGE wird im Laufe des Jahres 2000 neue Empfehlungen herausgeben. 18 Vitamin C ist in der Natur weit verbreitet. Für die menschliche Ernährung stellen Gemüse, Obst und Kartoffeln die wichtigsten Quellen dar (s. Tab. 3). Allerdings ist Vitamin C sehr empfindlich: Durch Einwirkung von Luftsauerstoff wird es sehr schnell zerstört. Dieser Prozeß wird durch Katalysatoren wie z.B. Eisen und durch Wärme verstärkt. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Ein Apfel verliert unter guten Lagerbedingungen, d.h. unter 3° C und hoher Luftfeuchtigkeit, nur ca. 0,2% Vitamin C pro Tag. Der gleiche Apfel – im warmen Wohnzimmer gelagert – hat nach wenigen Tagen nahezu kein Vitamin C mehr. Daher kommt der Sorgfalt bei der Lagerung und Zubereitung der Speisen große Bedeutung zu. Gerade bei der üblichen Gemeinschaftsverpflegung mit langen Warmhaltezeiten sind die Verluste sehr groß. Andererseits wird heute eine Vielzahl von Lebensmitteln mit Vitamin C (Ascorbinsäure) angereichert. Dies geschieht meist nicht, um die Versorgung der Menschen zu verbessern, sondern um das Lebensmittel haltbarer zu machen: Ein Apfelsaft wird z.B. schnell braun, was der Zusatz von Vitamin C bei der Verarbeitung verhindert. Gerade Fruchtsäfte tragen deshalb heute zu einem nicht unerheblichen Teil zur Versorgung bei. Die DGE empfiehlt für Jugendliche und Erwachsene eine Zufuhr von 75 mg Vitamin C pro Tag*. Diese 75 mg reichen zweifellos aus, um bekannte Mangelerscheinungen wie Skorbut zu verhindern. Eine optimale antioxidative Funktion setzt jedoch hohe Plasma- und Gewebekonzentrationen voraus, wozu eine tägliche Aufnahme von mindestens 100 – 200 mg notwendig ist. Die VERA-Studie hat ergeben, daß die empfohlenen 75 mg Vitamin C pro Tag meist erreicht werden. Aller- dings liegen die tatsächlichen Aufnahmen unter 100 mg: Nach obigen Ausführungen zur optimalen antioxidativen Wirkung wäre also auch bei der breiten Bevölkerung, besonders aber bei Rauchern (s. unten), eine Zufuhrerhöhung wünschenswert. Lebensmittel (roh) Paprika Brokkoli Grün-, Rosenkohl Weiß-, Rot-, Blumenkohl Kiwi Orangen und Saft Acerola Hagebutten Zitronen und Saft Vitamin C mg/100 g 140 110 80 50 100 50 1500 1250 50 Beurteilung als Vitamin CQuelle ++++++ ++++++ ++++ +++ ++ ++ + + + Risikogruppen Marginale Zufuhr ◆ Senioren Die Ernährung ist oft arm an frischem Obst und Gemüse. Auch Senioren in stationären Einrichtungen haben oft einen Vitamin C-Mangel: Neben Verlusten durch das Warmhalten von Speisen spielen sicher auch Faktoren wie Kauschwierigkeiten und Appetitlosigkeit eine große Rolle. Tabelle 3: Die Vitamin C- Gehalte von Lebensmitteln, wie sie in Nährwerttabellen zu finden sind. Die Angaben können nur Richtwerte darstellen, da der Gehalt von Anbau-, Transport-, Lagerund Verarbeitungsbedingungen abhängt. Bei der Beurteilung von Lebensmitteln als Quelle für einen Nährstoff müssen auch Verfügbarkeit und Gewohnheiten berücksichtigt werden: So sind rohe Acerola zwar sehr Vitamin Creich, jedoch wird kaum jemand große Mengen davon essen Die klassische Risikogruppe für Vitamin C-Mangel sind heute nicht mehr die Seefahrer Erhöhter Bedarf ◆ Raucher Es finden sich in dieser Gruppe regelmäßig erniedrigte Plasma Vitamin C-Werte, was wahrscheinlich auf einen erhöhten Verbrauch und damit Bedarf durch die gesteigerte Bildung freier Radikale zurückzuführen ist. ◆ Schwangere und Stillende ◆ Früh- und Neugeborene ◆ Während Antibiotikatherapie und unter Hämodialyse 19 Beta-Carotin Beta-Carotin ist der Hauptvertreter der großen Familie der Carotinoide Beta-Carotin gehört zur Familie der Carotinoide, von denen wir etwa 600 kennen und von denen 40 bisher in Lebensmitteln identifiziert wurden. Eine Reihe davon, unter ihnen als Hauptvertreter das Beta-Carotin, weist sogenannte Provitamin A-Aktivität auf, d.h. sie können im Organismus zu Vitamin A verstoffwechselt werden. Das bedeutet aber, daß Wirkungen, die dem Beta-Carotin und anderen Provitamin A-Carotinoiden zugeschrieben werden, durchaus auch durch das im Stoffwechsel entstehende Vitamin A bedingt sein können. Eine Abgrenzung ist häufig schwierig, so daß in manchen Fällen nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden kann, wie die beobachteten Wirkungen zustande gekommen sind. Beta-Carotin kann von reaktiven Sauerstoffverbindungen aufgenommene Energie in Form von Wärme abgeben Eine besondere Wirkungsweise, die durch Vitamin A selbst nicht möglich ist, hat Beta-Carotin als Antioxidans: Es kann reaktive Sauerstoffverbindungen und hier ganz besonders den Singulett-Sauerstoff abfangen. Dieses Abfangen geschieht, indem Beta-Carotin die Energie des Singulett-Sauerstoffs aufnimmt und in Form von Wärme abgibt: O2 + Beta-Carotin ➜ Beta Carotin-Radikal Beta-Carotin-Radikal ➜ Beta Carotin + Wärme 1 Beta-Carotin: Wichtiges Element des Schutzmechanismus der Haut 20 Damit ist erreicht, daß sich diese Energie nicht auf andere Verbindungen überträgt und damit freie Radikale produziert. Aus diesem Prozeß – dem sogenannten Quenchen – geht BetaCarotin wieder als aktives Antioxidans hervor. Der SingulettSauerstoff kann sowohl im Stoffwechsel als auch durch ultraviolettes Licht in der Haut entstehen. Folglich kommt dem Hautschutz durch Beta-Carotin eine ganz besondere Bedeutung zu. Eine ausreichende Konzentration von Beta-Carotin, möglicherweise aber auch von anderen Carotinoiden, in der Haut, kann diese vor schädlichen Einwirkungen des Sonnenlichtes schützen. Zu den UV-Schäden zählen ganz besonders die lokale Immunabwehr, aber möglicherweise auch Prozesse der vorzeitigen lichtinduzierten Hautalterung, wie in kürzlich durchgeführten Untersuchungen beobachtet wurde. Durch UV-Licht nimmt der Beta-Carotin-Gehalt der Haut sehr schnell ab. Bereits wenige Tage nach intensiver Sonneneinstrahlung ist diese Abnahme in der Haut (insbesondere bei empfindlicher Haut des Hauttyps I und II) und im Blut meßbar. Da aber niedrige Blutwerte an Beta-Carotin auf Dauer das Risiko für die Entwicklung verschiedener Krebsformen erhöhen, sollte auf eine ausreichende Zufuhr des Beta-Carotins besonders über die Ernährung geachtet werden. Es wird von einigen Dermatologen empfohlen, daß Menschen mit empfindlicher Haut vor Antritt des Urlaubs in der Sonne, besonders wenn dieser in der Winterzeit stattfindet, für eine kurze Zeit (6 – 8 Wochen) eine höhere Dosis Beta-Carotin (20 mg/Tag) supplementieren. Hierdurch kann, wie verschiedene Untersuchungen gezeigt haben, tatsächlich die Haut geschützt werden. Dabei stellt sich aber die Frage, inwieweit eine solche Dosis möglicherweise als Überdosis zu betrachten ist und ein Risiko darstellt (s. Seite 28). Hohe Beta-CarotinGehalte in der Haut können diese vor lichtinduzierten Schäden schützen Vorkommen und Bedarf Der Anteil von Beta-Carotin in pflanzlichen Nahrungsmitteln ist unterschiedlich groß. Die Gehalte liegen bei Früchten zwischen 2 und 10 mg/kg und bei Gemüse zwischen 20 und 60 mg/kg (s. Tab. 4). Geht man von einem Pro-Kopf-Verbrauch in der Bundesrepublik von 75 kg Gemüse und 85 kg Obst pro Jahr aus, so ergibt sich unter optimierten Bedingungen, ohne Berücksichtigung von Zubereitungsverlusten, eine tägliche Zufuhr von etwa 1,5 mg Beta-Carotin. Diese Berechnungen stimmen mit US-amerikanischen Daten (von USDA und FDA) überein. Beta-Carotin kommt nur in Gemüse und Früchten vor Die VERA-Studie zeigte für Deutschland eine mittlere Aufnahme von ca. 2 mg /Tag. Unberücksichtigt bleibt jedoch der Anteil an Beta-Carotin, der zu Vitamin A umgewandelt wird und somit nicht für antioxidative Zwecke zur Verfügung steht. Orientiert man sich an den epidemiologischen Studien, die außer den Beta-Carotin-Werten im Plasma auch die Ernährung der Studienteilnehmer erfaßt haben, so läßt sich eine tägliche, präventiv wirksame Dosis von 6 bis 8 mg berechnen. Dies entspricht in etwa auch der Forderung des US-amerikanischen National Cancer Institute, das 5,7 mg pro Tag empfiehlt. Die bekannte präventive Dosis ist weit höher als die tatsächliche Aufnahme 21 Die Bedeutung der Antioxidantien bei der Entstehung von Erkrankungen Tabelle 4: Auch in Gemüse und Früchten sind die BetaCarotin-Gehalte sehr unterschiedlich Früchte (roh) Beta-Carotin mg/100 g Orangen Erdbeeren Bananen Pfirsiche Kirschen Honigmelonen Holunderbeeren Aprikosen 0,05 0,08 0,2 0,4 0,5 0,6 1,1 1,5 Gemüse (roh) Beta-Carotin mg/100 g Bohnen Paprika Tomaten Endivie Lauch Feldsalat Brokkoli Karotten 0,3 0,6 0,8 2,0 2,0 3,9 2,5 7,0 Antioxidantien und Atherosklerose Die Wirkung von Antioxidantien soll im folgenden an deren Einfluß auf die Pathogenese der Atherosklerose verdeutlicht werden. Eine modellhafte Darstellung der frühen Phasen der Entstehung der Atherosklerose ist in Abbildung 5 wiedergegeben. Risikogruppen ◆ Personen mit schlechtem Ernährungsstatus, eingeschränkter Nahrungszufuhr, Störung der Beta-Carotin-Aufnahme oder erhöhtem Bedarf (Malabsorption bzw. Maldigestion) ◆ Personen mit klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren (Nikotinabusus, Body-Mass-lndex > 30); besonders bei Rauchern finden sich deutlich erniedrigte Plasma-BetaCarotin-Spiegel Danach wird in den subendothelialen Raum einströmendes LDL durch Singulett-Sauerstoff oder Hydroxylradikale oxidiert. Dies bewirkt über die Freisetzung eines chemotaktischen Proteins (MCP-1) einen verstärkten Einstrom von Monozyten. Andere freie Radikale und Peroxide führen zu einer weiteren Oxidation des LDL. Dieses kann von Makrophagen, die aus Monozyten entstanden sind, nicht mehr über den normalen Weg (LDLRezeptor) aufgenommen werden. Die Bindungsdomäne des Apo-B-Anteils der LDL-Partikel, die durch die Oxidation verändert ist, kann nicht mehr vom Oberflächen-LDL-Rezeptor des Makrophagen erkannt werden. Dadurch kommt es zu einer Aufnahme von LDL über den Scavenger-Rezeptor. Dieser kann im Gegensatz zum LDL-Rezeptor nicht herunterreguliert werden: LDL strömt ungehindert ein, was zu einer Cholesterinüberladung des Makrophagen führt und letztlich in der Bildung von Schaumzellen resultiert. Diese wiederum können zur 22 Abbildung 5: Modell der Bildung von Schaumzellen, die zur Schädigung des Endothels beitragen können. Diese Vorgänge stellen die frühe Phase der Atheroskleroseentstehung dar Oxidative Prozesse führen zu einer CholesterinÜberladung von Makrophagen 23 Endothelschädigung beitragen, was die frühesten Veränderungen bei der Atherosklerose erklärt. Diese ersten Schritte in der Entstehung der Atherosklerose können durch die Antioxidantien beeinflußt werden. Sie können die Oxidation der LDL im subendothelialen Raum unterdrücken. Wie resistent die LDL gegenüber der oxidativen Modifizierung sind, hängt von der Konzentration der einzelnen Antioxidantien im Blut ab. Dies konnte besonders für BetaCarotin und Vitamin E gezeigt werden. Epidemiologische Studien Abbildung 6: Korrelation zwischen der aktuellen altersspezifischen KHKMortalität bei Männern (mittlere Altersklasse) aus 16 verschiedenen Bevölkerungsgruppen und der Vorhersage der KHK-Mortalität, errechnet aus den Parametern Vitamin A und E, diastolischer Blutdruck und Gesamtcholesterin Quelle: Gey et al., 1989 Abbildung 7: Das Nord-Süd-Gefälle in der Inzidenz von KHK und anderer Herzkrankheiten Koronare Herzkrankheiten Andere Herzkrankheiten 500 400 200 100 300 0 100 200 300 400 500 600 lnterventionsstudien 200 100 0 0 100 200 300 KHK- Mortalität vorhergesagt nach Modell 24 Diese Beobachtung deckt sich auch mit dem seit langem bekannten Nord-Süd-Gefälle in der KHK-Inzidenz (s. Abb. 7) und der im Süden deutlich höheren Aufnahme v. a. von Beta-Carotin aus Gemüse und Früchten (s. Tab. 5) bzw. von Vitamin E aus pflanzlichen Ölen. Verschiedene epidemiologische Studien zeigen, daß zwischen der KHK-Mortalität und der Plasmakonzentration der Vitamine A und E eine inverse Beziehung besteht. In einem Modell, welches das KHK-Mortalitätsrisiko vorhersagt, zeigt sich für die Variablen Vitamin A, E, diastolischer Blutdruck und Cholesterin eine Zuverlässigkeit mit hoher Signifikanz (r2 = 0,87). Die alleinige Betrachtung des KHK-Risikos auf Grundlage des Gesamtcholesterins ergab eine im Vergleich dazu schwache Korrelation (r2 = 0,29). Mit diesem Modell der vier Variablen lassen sich die KHK-Risiken trotz landesspezifischer Unterschiede mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersagen (s. Abb. 6). Obwohl Vitamin E direkt hemmend auf die Entwicklung einer AtheroAktuelle KHK-Mortalität pro 100.000 Das KHK-Risiko läßt sich aus den Parametern Vitamin A, Vitamin E, diastolischer Blutdruck und Cholesterin mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen sklerose wirkt, kann man nicht im Umkehrschluß postulieren, daß ein Vitamin E-Mangel bevorzugt diese Erkrankung verursacht. Vielmehr bedeutet dies, daß eine unzureichende Zufuhr, eine unausgewogene Bilanz zwischen Peroxidation und Vitamin E oder eine verminderte periphere Verfügbarkeit die Entwicklung der Erkrankung mit begünstigen. 400 500 Es liegen einige Interventionsstudien vor, die sich mit der Frage der Wirkungsweise von Vitamin E in höheren Dosen auf den Verlauf der Atherosklerose bzw. auf die Restenosierung nach Ballon-Katheterisierung befaßt haben. Damit aber werden Wirkungsweisen des Vitamins geprüft, die im klassischen Sinne als pharmakologisch zu betrachten sind. 25 Es liegen Studien vor, die die sekundäre präventive Wirkung von Vitamin E bei atherosklerotischen Veränderungen belegen CLAS-Trial: Deutlicher Rückgang der Stenoserate bei mehr als 200 mg Vitamin E pro Tag Die wichtigste dieser Studien ist die sogenannte CHAOS Studie, in der der Effekt einer Vitamin E-Gabe (zunächst 800 mg, später 400 mg /Tag) auf den Verlauf der koronaren Herzkrankheit bei Hochrisikopatienten gegen Placebo geprüft wurde. Der Behandlungszeitraum lag zwischen 3 und 950 Tagen. Das Ergebnis war in zweierlei Hinsicht überraschend. Zum einen nahm die Sterblichkeit an Myokardinfarkt in der behandelten Gruppe signifikant ab. Eine Zunahme der Todesfälle war allerdings in den ersten sechs Behandlungsmonaten zu beobachten. Es muß die Frage gestellt werden, inwieweit hier nicht schon so weit fortgeschrittene Erkrankungszustände bestanden haben, daß jede Intervention ohne Erfolg gewesen wäre. Beta-Carotin und Lungenkrebs Land Gemüse Kartoffeln Obst (Verzehrsangabe in g/Tag) Die deutliche Abnahme der nicht tödlichen Infarktereignisse scheint dagegen zu belegen, daß Vitamin E die Progression der Erkrankung und damit auch die Zunahme der Stenosierung zu hemmen scheint. Letzteres wird durch Studien gestützt, die den Effekt von Vitamin E auf die Restenosierung nach Ballon-Katheterisierung untersuchten. Im sogenannten CLAS-Trial zeigte sich ein deutlicher Rückgang der Stenoserate bei Vitamin E-Gaben von mehr als 200 mg /Tag, was im Sinne einer Hemmung des üblicherweise progressiven Verlaufs der Stenosierung interpretiert werden kann. Deutschland Frankreich Finnland 119 g 227 g 87 g Mit diesen Untersuchungen ist also erstmals und eindrucksvoll gezeigt, daß Vitamin E im Sinne einer pharmakologischen Intervention bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit eingesetzt werden könnte. Zweifellos muß der Effekt auf die in der CHAOS-Studie beobachtete Frühsterblichkeit näher untersucht werden. 26 Epidemiologische Studien zeigen vor allem Zusammenhänge zwischen Rauchen, Beta-Carotin-Blutspiegeln und Lungenkrebsrisiko auf. Hieraus kann jedoch kaum abgeleitet werden, daß Beta-Carotin alleine Raucher vor Lungenkrebs schützen kann. Vielmehr korreliert der Beta-Carotin-Blutspiegel eng mit dem Verzehr von Obst und Gemüse, der im Ländervergleich unterschiedlich ist (s. Tab.5). 87 g 151 g 171 g 100 g 171 g 80 g Zwei große Studien sind der Frage nachgegangen, ob die epidemiologisch in vielen Untersuchungen beobachtete Korrelation zwischen dem Blutspiegel an Beta-Carotin und der Häufigkeit von Lungenkrebs bei Rauchern wie auch bei Nichtrauchern Ansatz für eine Intervention sein kann. Aus diesem Grunde wurde bei nahezu 30.000 freiwilligen Teilnehmern, die in den meisten Fällen mehr als 25 Jahre stark geraucht hatten, eine Placebo kontrollierte lnterventionsstudie durchgeführt. Im einen Fall bestand sie aus einer Kombination von 20 mg BetaCarotin und 50 mg Vitamin E pro Tag, im anderen aus 30 mg Beta-Carotin und 25.000 IE Vitamin A, jeweils gegen Placebo. Nachdem sich zum Abschluß der ersten Studie (Finnlandstudie) zur großen Überraschung der Wissenschaftler gezeigt hatte, daß die mit Beta-Carotin supplementierte Gruppe signifikant häufiger Lungenkrebs aufwies, wurde die zweite laufende Studie hinsichtlich ihrer Entwicklung kontrolliert und vorzeitig abgebrochen, da sich hier ein nahezu identisches Ergebnis (Steigerung des Lungenkrebses) in der mit BetaCarotin und Vitamin A supplementierten Gruppe fand. Wenngleich eine Vielzahl von kritischen Beurteilungen den Wert dieser Studien in Frage gestellt haben, so zeigen diese doch zwei für die Beurteilung der Effizienz und auch der Sicherheit des Beta-Carotins wichtige Aspekte: Tabelle 5: Der mittlere tägliche Verzehr von Gemüse, Kartoffeln und Obst, exemplarisch für die Länder Deutschland, Frankreich und Finnland. Quelle: Winkler et al., 1992 Der Zusammenhang zwischen Versorgungsstatus mit Antioxidantien und Lungenkrebsrisiko ist einer der interessantesten Ansätze zur Prävention 27 ◆ Jahrelanger Nikotinabusus läßt sich nicht durch Gabe einzelner Vitamine kompensieren. ◆ Das Risiko für die Entwicklung von Lungenkrebs scheint sich bei Rauchern unter jahrelanger Einnahme von BetaCarotin in Mengen, die die physiologischen Dosen weit überschreiten, zu erhöhen. Die Beobachtung, daß Beta-Carotin alleine das Krebsrisiko nicht mindern kann, scheint gegen die epidemiologische Evidenz zu sprechen. Streng genommen hat die Epidemiologie jedoch lediglich gezeigt, daß hohe Plasmawerte an Beta-Carotin mit einem geringeren Risiko korrelieren. Diese hohen Plasmawerte sind jedoch bei den untersuchten Gruppen durch eine spezielle Ernährungsweise (s. Tab. 5) und nicht wie in der Interventionsstudie durch eine Supplementierung mit Beta-Carotin zu erklären. Dies wird durch die Ergebnisse der Nachauswertung bestätigt, die zeigen, daß die Probanden, die zu Beginn der Studie, also vor der Supplementierung, die höchsten Plasma-BetaCarotin-Werte aufwiesen, das geringste Risiko für die Entwicklung von Lungenkrebs hatten. Oberstes Ziel muß es sein, primäre Risikofaktoren wie Rauchen zu eliminieren und präventiv langfristig den Versorgungsstatus mit Antioxidantien zu verbessern 28 In der Frage, inwieweit Raucher weiterhin Beta-Carotin supplementieren sollten, kann heute diesbezüglich keine Empfehlung mehr abgegeben werden. Vielmehr sollten Raucher versuchen, neben der obligatorischen Forderung, das Rauchen einzustellen, den Anteil carotinoidreicher Obst- und Gemüsesorten steigern, um auf diese Weise hohe Beta-Carotin-Blutwerte zu bekommen. Auch der Konsum angereicherter Lebensmittel wie z.B. von Fruchtsäften kann durchaus noch empfohlen werden, solange die darin enthaltene Beta-Carotin-Dosis die tägliche Gesamtzufuhr von 10 mg nicht übersteigt. Diese Grenzwertdosis 10 mg, die auf einem internationalen Konsensusgespräch als sicherer Wert auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten erarbeitet wurde, entspricht der durch Ernährung maximal möglichen Beta-Carotin-Zufuhr. Eine solche Zufuhr wurde in den epidemiologischen Studien mit dem geringsten Risiko für die Entwicklung von Lungenkrebs assoziiert. Hinsichtlich der Frage einer vorübergehenden Einnahme höherer Dosierungen Beta-Carotin (bis max. 30 mg /Tag über 2 – 3 Monate) kann nach derzeitigem Wissensstand davon ausgegangen, werden, daß diese keine negativen Auswirkungen hat. Beta-Carotin und Colonkrebs Es gilt als allgemein akzeptiert, daß die Zufuhr von Ballaststoffen aus Getreide sowie Gemüse die Entwicklung des Colonkrebses hemmt. Die Ursachen für diesen präventiven Effekt werden einerseits in der positiven Auswirkung einzelner nichtverdaubarer „Fasern“ auf den Verdauungsvorgang und die bakterielle Mikroflora gesehen. Getreideballaststoffe können vor Dickdarmkrebs schützen Andererseits sind Ballaststoffe, besonders wenn sie aus Gemüse stammen, immer mit Carotinoiden und meist mit BetaCarotin assoziiert. Durch die „bindende“ Wirkung mancher Ballaststoffe auf diese fettlöslichen Verbindungen werden die Carotinoide zum Teil der Resorption im oberen Dünndarm entzogen und gelangen so in mehr oder weniger großer Konzentration in den Dickdarm. Hier werden sie durch die Mucosazellen aufgenommen und tragen zum Schutz der Zellen vor Carcinogenen und freien Radikalen bei. Beta-Carotin kann sich in der Dickdarmmucosa anreichern und stellt dort einen Abwehrmechanismus gegen Carcinogene und freie Radikale dar Kürzlich durchgeführte Untersuchungen haben ergeben, daß eine vorübergehende (10 Wochen) Supplementierung mit BetaCarotin zu einer Anreicherung in der Rektalmucosa führt. Gleichzeitig konnte eine Abnahme carcinogen aktiver Enzyme gemessen werden, was die präventive Wirkung erklären kann. Carotinoide/Vitamin E und Makula-Degeneration Seit einiger Zeit mehren sich Befunde, daß antioxidative Vitamine und hier besonders bestimmte Carotinoide und Vitamin E das Auge vor der Entwicklung der adulten Makula-Degeneration (AMD) schützen können. Diese Erkrankung beruht auf einem fortschreitenden Verlust der Funktion der Retina im Bereich des schärfsten Sehens, der Makula-Lutea. Jenseits des 75. Lebensjahrs ist die AMD die häufigste Ursache für Erblindung. Da es bisher keine Therapie gibt, muß auf Intervention gesetzt werden. Es mehren sich Hinweise darauf, daß antioxidative Vitamine vor adulter MakulaDegeneration schützen können Die gelbe Färbung der Makula Lutea rührt von zwei Carotinoiden, Lutein und Zeaxanthin, her. Menschen mit einer hohen Zufuhr an diesen Carotinoiden weisen, wie epidemiolo- 29 Empfehlungen für die Praxis Die Carotinoide Lutein und Zeaxanthin sowie Vitamin E können das Erkrankungsrisiko senken Antioxidative Vitamine können den Abbau von Photorezeptoren hemmen gische Untersuchungen zeigten, ein deutlich geringeres Risiko für die Entwicklung der AMD auf. Auch eine hohe Zufuhr an Vitamin E reduziert das Risiko. Die Ursache liegt darin, daß diese Carotinoide zusammen mit dem Vitamin E die empfindlichen Photorezeptoren an unterschiedlicher Stelle schützen. Carotinoide finden sich in Bereichen mit niedrigem, Vitamin E kommt in Bereichen mit hohem Sauerstoffpartialdruck vor. Damit werden die radikalfangenden Eigenschaften optimal genutzt. Radikale entstehen immer dann, wenn UV Licht auf die Photorezeptoren fällt und die dort befindlichen ungesättigten Fettsäuren oxidativ verändert. Wird die dadurch entstehende Kettenreaktion nicht unterbrochen, so kommt es zum Abbau der Photorezeptoren. Die Abbauprodukte reichern sich im Pigmentepithel an und führen hier nicht nur zu der bei AMD zu beobachtenden Neovaskularisierung, sondern stellen darüber hinaus auch wieder ein radikalgenerierendes Gewebe dar. Eine gute Versorgung mit Vitamin E und Carotinoiden ist somit eine wichtige präventive Maßnahme gegen die Entwicklung der AMD. Vitamin E ist vor allem in pflanzlichen Ölen zu finden, Spinat und andere tiefgrüne Blattgemüse liefern reichlich Lutein und Zeaxanthin. Vitamin E und rheumatoide Arthritis oder Osteoarthritis Vitamin E in höheren Dosen zeigt therapeutischen Effekt bei Osteoarthritis 30 Beim Hohenheimer Consensus Meeting wurde der Wert einer Mono- oder adjuvanten Therapie mit Vitamin E bei rheumatoider Arthritis (RA) oder Osteoarthritis (OA) diskutiert. Mit folgendem Ergebnis: Vitamin E weist in höheren Dosen einen therapeutischen Effekt bei der OA auf. Es liegen klinische Studien vor, die einen positiven Effekt auf Symptome und objektive klinische Zeichen zeigen. Eine antiinflammatorische Wirkung des Vitamin E konnte bisher nur in vitro beobachtet werden. Weitere Studien sind nötig, um diesen Effekt in vivo zu verifizieren. Zur Zeit wird empfohlen, einen Versuch mit einer Vitamin E-Therapie zu unternehmen. Nebenwirkungen sind bei Vitamin E im Gegensatz zu nichtsteroidalen Antirheumatika (NSA) nicht zu erwarten. Das Besondere an den antioxidativen Vitaminen, zu denen nach neueren Erkenntnissen auch einige wasserlösliche Vitamine gezählt werden müssen, ist es, daß sie wie ein Netzwerk untereinander verbunden sind. Es ist also, von speziellen Indikationen abgesehen, nicht sehr sinnvoll, nur ein einzelnes Vitamin zu supplementieren bzw. die Ernährung so auszurichten, daß z. B. über ständigen Genuß von Zitronen- oder Karottensaft nur Vitamin C oder β-Carotin zugeführt werden. Da wir darüber hinaus zu wenig darüber wissen, in welcher Konzentration eine individuelle Bedarfsanpassung möglich ist, erscheint es nach vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen durchaus sinnvoll, eine Multi-Mikronährstoff-Kur durch entsprechende Ernährung (Steigerung der Obst- und Gemüsezufuhr, Reduzierung der Fleischzufuhr, sowie Ersatz tierischer durch pflanzlicher Fette) durchzuführen oder aber bei Supplementen, solche Präparate zu wählen, die möglichst viele einzelne Mikronährstoffe, also Vitamine, Spurenelemente und Mineralstoffe, enthalten. Antioxidative Vitamine sind wie ein Netzwerk untereinander verbunden Die allgemeinen Empfehlungen, die Zufuhr von vegetabilen Nahrungsbestandteilen wegen des hohen Gehaltes an Carotinoiden, phenolischen Antioxidantien, Spurenelementen, B-Vitaminen und Ballaststoffen zu Lasten tierischer Produkte, und hier v.a. tierischer Fette, zu erhöhen, muß jedoch differenziert werden. Allein der Ersatz tierischer Fette durch pflanzliche Öle reicht nicht aus. Die dadurch vermehrt zugeführten MUFS (mehrfach ungesättigte Fettsäuren) entfalten nur dann ihre positiven Wirkungen, wenn sie durch eine erhöhte Menge an Vitamin E gestützt werden. Wegen des hohen Gehaltes an Carotinoiden muß auf den Verzehr von insbesondere tiefgrünen und orangefarbenen Gemüse- und Obstsorten hingewiesen werden. Die derzeit tägliche Aufnahme von etwa 120 g Gemüse pro Tag muß mindestens verdoppelt werden, um schützende Effekte wie in den Mittelmeerländern zu erreichen. Vegetabile Nahrungsbestandteile zu Lasten tierischer Lebensmittel erhöhen Die Ernährung so gestalten, daß eine optimale Versorgung mit allen Nährstoffen gewährleistet ist. Dem Obst- und Gemüseverzehr wird nach wie vor größte Bedeutung zugeschrieben In der Praxis steht der präventive Einsatz der Antioxidantien im Vordergrund. Im Hohenheimer Konsensusgespräch 1995 wurde versucht, die Empfehlung für antioxidative Vitamine unter Berücksichtigung der jüngsten Erkenntnisse neu zu formulieren (s. Tab. 6). Grundlage der Beurteilung waren die „präventiven Plasmaspiegel“, die in großen Kollektiven (Baselstudie, 31 US Health Professionals Study, NHANES, MONICA-Projekt, Edinburgh-Angina-Fallstudie) ermittelt wurden. Tabelle 6: Die von einem internationalen WissenschaftlerGremium empfohlenen präventiven Plasma-Spiegel der antioxidativen Vitamine Vitamin präventive Plasma-Konzentration Alpha-Tocopherol (Vitamin E) Ascorbinsäure (Vitamin C) Beta-Carotin > 30 µmol/ l* > 50 µmol/ l* > 0,4 µmol/ l* *lipidkorrigiert auf 220 mg/dl Cholesterin und 110 mg/dl Triglyceride bzw. Alpha-Tocopherol/Cholesterin 5,1– 5,2 µM/mM Aus der Beziehung zwischen hohen Plasmawerten und geringerer Morbidität bzw. Mortalität an koronarer Herzkrankheit und neoplastischen Erkrankungen kann angenommen werden, daß die Plasmakonzentrationen den für die Prävention dieser Erkrankungen notwendigen individuellen Versorgungszustand hinreichend widerspiegeln. Werte, die 15 bis 20% unter den präventiven Schwellenwerten liegen, sind mit einer statistischen Verdopplung des Risikos assoziiert. Um die präventiven Plasma-Spiegel zu erreichen, müssen im Mittel täglich zugeführt werden: ◆ Vitamin E (15 bis 30 mg) sind z.B. enthalten in 10 bis 15 ml Weizenkeimöl ◆ Vitamin C (75 bis 150 mg) sind z.B. enthalten in 100 g Paprika oder 200 g Erdbeeren oder 300 g Orangen ◆ Beta-Carotin (2 bis 4 mg) sind z.B. enthalten in 100 g Feldsalat oder 200 g Paprika oder 300 g Tomaten 32 Es können nur Bereiche angegeben werden, da die Reaktionen der Plasmakonzentration auf eine gegebene Zufuhr individuell variieren und breiter angelegte Studien über Zufuhr und resultierende Plasmaspiegel fehlen. Zusätzliche biochemische und funktionelle Meßgrößen des antioxidativen Systems bleiben zu erarbeiten, um insbesondere Risikogruppen mit erhöhtem Bedarf definieren zu können. Obwohl für Vitamin E und C keine Berichte vorliegen, die für hohe Dosen (Vitamin E > 600 I.E./Tag, Vitamin C > 1g/Tag) unerwünschte Nebenwirkungen zeigen, sollten wegen fehlender präventiver Langzeitstudien Dosierungen von Vitamin E ≥ 400 I. E./Tag und von Vitamin C ≥ 1g/ Tag über längere Zeit vermieden werden. In großen mehrere Jahre dauernden epidemiologischen Studien hat sich eine tägliche Dosis von β-Carotin ≤ 10 mg als unbedenklich erwiesen. Weitere Forschung ist jedoch notwendig, um die Sicherheit höherer Dosierungen in Kombinations- und Einzelpräparaten über längere Zeit in unterschiedlichen Altersklassen zu evaluieren. Lebhaft diskutiert wurde über einen Bericht, nach dem Vitamin C in hoher Dosierung DNA Schäden verursachen könne. Man hatte bei freiwilligen Probanden nach Gabe von 500 mg Vitamin C über einen Zeitraum von 12 Wochen beobachtet, daß es zu oxidativen Veränderungen an der DNA kam. Diese waren jedoch von einem Rückgang anderer oxidativer Veränderungen der DNA, die wissenschaftlich als weitaus kritischer eingestuft werden, begleitet. Das Ergebnis kann deshalb lediglich Anlaß dazu geben, darüber nachzudenken, ob nicht die isolierte Gabe einzelner Vitamine dem Gedanken des antioxidativen Netzwerkes zuwider läuft. Angereicherte Lebensmittel und /oder Supplemente sind dann indiziert, wenn sich eine gezielte Ernährung nicht dauerhaft realisieren läßt. Eine Steigerung der Antioxidantienzufuhr stellt keine Kompensationsmaßnahme für einen ungesunden Lebenswandel dar. Die Erhöhung der Zufuhr bei Gesunden wie auch bei Risikogruppen stellt nur dann eine echte präventive Maßnahme dar, wenn gleichzeitig eine Minderung der prooxidativen Risikofaktoren verwirklicht wird. Dosierungen von Vitamin E ≥ 400 I. E./ Tag und von Vitamin C ≥ 1 g /Tag sollten über längere Zeit vermieden werden. Eine tägliche Dosis von ≤ 10 mg β -Carotin ist unbedenklich Isolierte Gaben einzelner Vitamine könnten bedenklich sein Mit erhöhter Antioxidantienzufuhr läßt sich ein ungesunder Lebenswandel nicht kompensieren 33 Anhang Literatur 1 Biesalski, H.-K.: Beta-Carotin und Krebs. VitaMinSpur, Suppl 7, 1–32,1991 2 Biesalski, H.-K.: Antioxidative Vitamine und Rauchen. Akt. Ernährungsmedizin 16, 269–279, 1991 3 Biesalski, H.-K. et al.: Hohenheimer Konsensusgespräch: Antioxidative Vitamine in der Prävention. Deutsches Ärzteblatt 92, 1316 –1324, 1995 4 Esterbauer, H., Striegel, G., Puhl, H., Oberefther, M.: The role of vitamin E and carotinoids in preventing oxidation of low density lipoproteins. Ann. N. Y. Acad. Sci. 570, 254–267, 1989 5 Gaziano, J.M., Mauson, J.E.: Dietary antioxidants and cardiovascular disease. Ann. N. Y. Acad. Sci. 669, 249 –259, 1992 6 Gey, K.F., Puska, P., Jordan, P., Moser, U.K.: Inverse correlation between plasma vitamin E and mortality from ischemic heart disease in cross cultural epidemiology. Am. J. Clin. Nutr. 7, 1987 7 Gey, K.F., Puska, P.: Plasma vitamin E and A inversely correlated to mortality from IHD in cross cultural epidemiology. Ann. N. Y. Acad. Sci. 570, 254–282, 1989 8 Heseker, H., Schneider, R., Moek, K.J.: Vitaminversorgung Erwachsener in der BRD. VERA-Schriftenreihe Bd. IV, Wiss. Fachverlag Fleck, 1992 9 Luc, G., Fruchart, J.: Oxidation of lipoproteins and atherosclerosis. Am. J. Clin. Nutr. 53, 206S –209S, 1991 10 Palozza, P., Krinaki, N.L.: The inhibition of radical induced peroxidation of microsomal lipids by both alpha-tocopherol and betacarotene. Free Radical Biol. Med. 11, 407– 441, 1991 Aktuelle Erkenntnisse zur Ernährungsmedizin und speziell zu antioxidativen Vitaminen finden sich in: 11 Biesalski, H.-K., Fürst, P., Kasper, H., Kluthe, R., Pölert, W., Puchstein, C., Stähelin, H.: Ernährungsmedizin. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, 1995, überarbeitete Neuauflage erscheint Ende 1998 12 Biesalski, H.-K., Schrezenmeir, J., Weber, P., Weiß, H.: Vitamine. Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, 1997 13 Biesalski, H.-K., Grimm, P.: Taschenatlas Ernährung: Georg Thieme Verlag, Stuttgart, New York, erscheint im Oktober 1998 14 Biesalski, H.-K.: Vitamine. TRIAS Thieme Hippokrates Enke, Stuttgart, 1996 34